Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration

Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration

06.12.2012 Aufrufe

54 Michael Gehler beweis, den Österreich mit einer regelrechten Regierungskampagne gegen den vehement opponierenden Beitrittsgegner und Demagogen Haider erbracht hatte, blieb völlig unberücksichtigt bzw. wurde nicht honoriert, als die 14 EU-Staaten im Februar 2000 angesichts der ÖVP-FPÖ- Koalitionsbildung Amok liefen und Boykottmaßnahmen, auch Sanktionen genannt, gegen diese Regierung verhängten. 146 Es wäre im nachhinein betrachtet demokratiepolitisch wohl besser gewesen, das Ergebnis vom 12. Juni 1994 hätte einen knapperen Ausgang genommen. Aber infolge massiver Propaganda wurde die Bevölkerung relativ unvorbereitet in die EU hineingetrieben – die Neutralität war kein Thema, sonst hätten wohl auch nicht so viele für die EU-Mitgliedschaft gestimmt. Der Beitrittsvertrag vom 24. Juni 1994, der inhaltsgleich mit den 12 EU- Staaten und den übrigen Beitrittsbewerbern abgeschlossen wurde, enthielt keine die Neutralität betreffenden Sonderregelungen. Das konnte von Kennern der Materie auch als ein neutralitätspolitischer Gewinn für die neuen Mitglieder gewertet werden. Sie verpflichteten sich aber auf den acquis communautaire bzw. die aus der GASP erwachsenden Verpflichtungen 147 - und damit war im Grunde schon alles gesagt. Während sich die politischen Führungen der skandinavischen Länder für einen EU-Beitritt stark machten, verhielt sich ein großer Teil ihrer Bevölkerungen eher abwartend, skeptisch bis ablehnend. 148 Die Finnen stimmten Mobilisierung und Motivlagen bei der Volksabstimmung über den EU-Beitritt, in: Anton Pelinka (Hg.), EU-Referendum. Zur Praxis direkter Demokratie in Österreich (Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung 6), Wien 1994, S. 87-119. Den jüngsten Forschungen zufolge wurden staatlicherseits Beträge in der Größenordnung von über einer Milliarde Schilling für die Beitrittspropaganda eingesetzt, vgl. Gilbert Scharsach, EU-Handbuch. Das große Nachschlagwerk der österreichischen EU-Diskussion, Wien 1996, S. 305-311, hier S. 311. 146 Siehe Michael Gehler, Präventivschlag als Fehlschlag: Motive, Intentionen und Konsequenzen der EU 14-Sanktionsmaßnahmen gegen Österreich im Jahre 2000, in: Wilfried Loth (Hg.), Das europäische Projekt zu Beginn des 21. Jahrhunderts (Grundlagen für Europa 8), Opladen 2001, S. 325-382. 147 Pieper, Neutralität von Staaten, S. 375-376. 148 Godrun Gaarder, Domino: Kippt Helsinki auch die Steine in Oslo und Stockholm?, Das Parlament, 16. September 1994.

Finis Neutralität? am 16. Oktober 1994 immerhin mit einer Mehrheit von 57% zu, 149 die Schweden am 13. November bei 52,2% schon knapper, 150 während die Norweger am 28. November die EU-Mitgliedschaft mit 52,2% erneut ablehnten. 151 Sie hatten einen Beitritt bereits am 25. September 1972 mit 53,5% der Stimmen verworfen, Befürworter wie Gegner hatten erstaunlich identisch abgestimmt. 152 Mit 1. Januar 1995 erfolgte der EU-Beitritt für Österreich, Finnland und Schweden. Als erste neutrale Staaten Europas hatten sich bereits Finnland und Schweden am 9. Mai 1994 dem (tautologisch klingenden) NATO- Projekt „Partnerschaft für den Frieden“ (PfP) verschrieben - dieses enthält keine Beistandsverpflichtung, schafft aber entsprechende individuelle Kooperationsmöglichkeiten mit der NATO 153 -, wobei beide skandinavischen Staaten die Fortführung ihrer militärischen Bündnisfreiheit und die Aufrechterhaltung einer unabhängigen Verteidigungspolitik betonten. 154 Von Kritikern wurde dieses Verhalten bereits als Anfang vom Ende der Neutralität gewertet, wonach scheibchenweise dem betreffenden Land in einer Art „Aufwärmphase“ für die NATO sein außenpolitischer Status genommen werde. 155 Am 10. Februar 1995 trat dann auch Österreich als 25. Staat dem PfP bei. Mit Ausnahme Irlands, der Schweiz (die sich dann 1996 anschloß) und Ex-Jugoslawiens war damit das gesamte Europa an dieser 149 Godrun Gaarder, Die Finnen sagten "Kyllä"-Ja, Das Parlament, 21. Oktober 1994; vgl. u.a. auch zum Ausgang der skandinavischen Beitrittsreferenden Wolfram Kaiser/Pekka Visuri/Cecilia Malmström/Arve Hjelseth, Die EU-Volksabstimmungen in Österreich, Finnland, Schweden und Norwegen: Folgen für die Europäische Union, integration, 18 Jg., Nr. 2 (1995), S. 76-87. 150 Godrun Gaarder, Ein Ja mit Zweifeln, Das Parlament, 25. November 1994. 151 Godrun Gaarder, Freude und Katerstimmung, Das Parlament, 9. Dezember 1994. 152 Gregor Woschnagg, Die EU-Beitrittsverhandlungen Österreichs, in: Albrecht Rohracher/Markus Zemanek/Wolfgang Hargassner (Hg.), Österreichs europäische Zukunft. Analysen und Perspektiven, Wien 1996, S. 129-142, hier S. 142. 153 Hans-Heinz Schlenker, Neuer Schritt in der Sicherheitspolitik, Salzburger Nachrichten, 11. Februar 1995. 154 Der Standard, 23. Januar 1995. 155 Georg Schöfbänker, Neutralität – Quo vadis? Struktur eines außenpolitischen Prioritätenkonflikts (Working Papers Friedenszentrum Burg Schlaining Nr. 1/97), Schlaining 1997, S. 3-68, hier S. 46-55. 55

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<strong>Michael</strong> <strong>Gehler</strong><br />

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hatte, blieb völlig unberücksichtigt bzw. wurde nicht honoriert, als<br />

die 14 EU-Staaten im Februar 2000 angesichts der ÖVP-FPÖ-<br />

Koalitionsbildung Amok liefen und Boykottmaßnahmen, auch Sanktionen<br />

genannt, gegen diese Regierung verhängten. 146 Es wäre im nachhinein betrachtet<br />

demokratiepolitisch wohl besser gewesen, das Ergebnis vom 12.<br />

Juni 1994 hätte einen knapperen Ausgang genommen. Aber infolge massiver<br />

Propaganda wurde die Bevölkerung relativ unvorbereitet in die EU hineingetrieben<br />

– die <strong>Neutralität</strong> war kein Thema, sonst hätten wohl auch<br />

nicht so viele für die EU-Mitgliedschaft gestimmt.<br />

Der Beitrittsvertrag vom 24. Juni 1994, der inhaltsgleich mit den 12 EU-<br />

Staaten und den übrigen Beitrittsbewerbern abgeschlossen wurde, enthielt<br />

keine die <strong>Neutralität</strong> betreffenden Sonderregelungen. Das konnte von Kennern<br />

der Materie auch als ein neutralitätspolitischer Gewinn für die neuen<br />

Mitglieder gewertet werden. Sie verpflichteten sich aber auf den acquis<br />

communautaire bzw. die aus der GASP erwachsenden Verpflichtungen 147 -<br />

und damit war im Grunde schon alles gesagt.<br />

Während sich die politischen Führungen der skandinavischen Länder für<br />

einen EU-Beitritt stark machten, verhielt sich ein großer Teil ihrer Bevölkerungen<br />

eher abwartend, skeptisch bis ablehnend. 148 Die Finnen stimmten<br />

Mobilisierung und Motivlagen bei der Volksabstimmung über den EU-Beitritt, in:<br />

Anton Pelinka (Hg.), EU-Referendum. Zur Praxis direkter Demokratie in Österreich<br />

(Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung 6), Wien 1994,<br />

S. 87-119. Den jüngsten Forschungen zufolge wurden staatlicherseits Beträge in der<br />

Größenordnung von über einer Milliarde Schilling für die Beitrittspropaganda eingesetzt,<br />

vgl. Gilbert Scharsach, EU-Handbuch. Das große Nachschlagwerk der österreichischen<br />

EU-Diskussion, Wien 1996, S. 305-311, hier S. 311.<br />

146 Siehe <strong>Michael</strong> <strong>Gehler</strong>, Präventivschlag als Fehlschlag: Motive, Intentionen und<br />

Konsequenzen der EU 14-Sanktionsmaßnahmen gegen Österreich im Jahre 2000,<br />

in: Wilfried Loth (Hg.), Das europäische Projekt zu Beginn des 21. Jahrhunderts<br />

(Grundlagen für Europa 8), Opladen 2001, S. 325-382.<br />

147 Pieper, <strong>Neutralität</strong> von Staaten, S. 375-376.<br />

148 Godrun Gaarder, Domino: Kippt Helsinki auch die Steine in Oslo und Stockholm?,<br />

Das Parlament, 16. September 1994.

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