Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration
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<strong>Michael</strong> <strong>Gehler</strong><br />
te Helsinki damit als Vorbild. Doch war dieser Reduktionsprozeß nicht ohne<br />
innenpolitischen Widerspruch verlaufen. „<strong>Neutralität</strong>“ war eng verknüpft<br />
mit schwedischer Sozialstaatlichkeit und Wohlfahrtspolitik, dem<br />
vielzitierten „Folkshemmet“ („Volksheim“). In der Vergangenheit war das<br />
„konservativ-kapitalistische“ Europa <strong>of</strong>tmals gegen das „sozialdemokratische“<br />
schwedische Gesellschaftsmodell ausgespielt worden. Das von Ministerpräsident<br />
Tage Erlander 1961 überlieferte Diktum von der Unvereinbarkeit<br />
von <strong>Neutralität</strong>spolitik und EWG-Mitgliedschaft verlor aber nun<br />
sichtlich an Gültigkeit. Die seit Ende der 80er Jahre einsetzende Wegorientierung<br />
von der <strong>Neutralität</strong> wurde von einer relativ unreflektierten Europa-<br />
Euphorie überlagert. Die kommunistische Opposition klagte zwar den<br />
Schutz sozialstaatlicher Errungenschaften und damit indirekt die Aufrechterhaltung<br />
der jahrzehntelangen wohlfahrtsstaatlichen Unterfütterung der<br />
schwedischen <strong>Neutralität</strong> ein. Die bürgerliche Vierparteien-Regierung<br />
(1991-1994) unter Ministerpräsident Carl Bildt argumentierte aber mit einem<br />
ausgeprägt sicherheitspolitisch definierten <strong>Neutralität</strong>sbegriff, der einen<br />
EG-Beitritt nicht ausschließen sollte. Publizistische Schein-<br />
Rückzugsmanöver von Ministerpräsident Ingvar Carlsson im Jahr 1990<br />
hatten bereits über den sich anbahnenden Schwenk der schwedischen Politik<br />
nicht hinwegtäuschen können. Die Debatte war zunächst kaum in der<br />
Öffentlichkeit, sondern im Grunde nur auf Elitenebene ausgetragen worden.<br />
Die Veränderungen in Mittel- und Osteuropa, die sich abzeichnende<br />
Schaffung des „Binnenmarkts“ und der Druck der Währungsmärkte auf die<br />
schwedische Krone, die sich in einer Krise befand, sowie der Wunsch, eine<br />
Flucht von Investitionskapital zu verhindern, zwangen zur Kursänderung.<br />
Nach außen wurden die EWR-Verhandlungen noch unter der Prämisse geführt,<br />
daß damit kein EG-Beitritt verbunden sei. Bereits 1991 wurde dieser<br />
aber immer unverhohlener als vereinbar mit der <strong>Neutralität</strong> bezeichnet und<br />
von „alliansfrihet“ („Blockfreiheit“) gesprochen, die für Schwedens Interessen<br />
nun geeigneter schien. Am 1. Juli 1991 stellte Stockholm den EG-<br />
Beitrittsantrag - ohne <strong>Neutralität</strong>svorbehalt. Damit nahm es Abschied von<br />
der mit dem "Folkshemmet" eng verknüpften und gleichsam mythisch überhöhten<br />
<strong>Neutralität</strong>. Bo Stråth weist darauf hin, daß dieser Wandel als<br />
solcher nicht neu war, sondern einen Vorläufer in Form des „<strong>of</strong>fenen An-