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Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration

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<strong>Michael</strong> <strong>Gehler</strong><br />

wendigkeiten unter Ministerpräsident Seán Lemass, der 1959 auf de Valera<br />

gefolgt war, von 1957 bis 1959 bereits als Industrie- und Handelsminister<br />

amtiert und im Zeichen des Regierungsprogramms („economic expansion“)<br />

die strikte Auffassung von der irischen <strong>Neutralität</strong> einer geheimen Revision<br />

unterzogen hatte. 107<br />

Diese wurde nun auf militärische Aspekte limitiert, vereinbar mit dem als<br />

rein ökonomische Angelegenheit interpretierten „Gemeinsamen Markt“<br />

bezeichnet und dabei verdeutlicht, daß sie aufgegeben werde, sollte die<br />

EWG-Kommission dies zur Aufnahmebedingung machen. Irland unterschied<br />

sich mit dieser äußerst konzessionsfreudigen Haltung deutlich von<br />

den übrigen Neutralen. Nach de Gaulles am 14. Januar 1963 öffentlich gemachten<br />

Veto gegen den britischen EWG-Beitritt - der irische Antrag war<br />

von der Kommission gar nicht behandelt worden - legte Dublin den Antrag<br />

auf Eis, nachdem H<strong>of</strong>fnungen auf ein Interimsabkommen mit der Gemeinschaft<br />

nicht in Erfüllung gegangen waren. Am 14. Dezember 1965 schlossen<br />

Seán Lemass und Harold Wilson ein Freihandelsabkommen, das „einen<br />

neuen Abschnitt auf dem Weg zur anglo-irischen Normalität“ markierte. 108<br />

Am 10. Mai 1967 stellte Irland erneut einen EG-Beitrittsantrag. In den<br />

Verhandlungen ab 1970 betonte es die besondere Art seiner <strong>Neutralität</strong> und<br />

versicherte, in der Gemeinschaft sogar Verteidigungsaufgaben übernehmen<br />

zu können! 109 Nach derzeitigem Kenntnisstand bildete die irische <strong>Neutralität</strong><br />

keinen Verhandlungsgegenstand zwischen Dublin und Brüssel. Sie war<br />

eine <strong>Neutralität</strong> sui generis, die ohne tiefere und innere Überzeugung überwiegend<br />

pragmatisch gehandhabt und daher emotionslos betrachtet wurde,<br />

daher auch in <strong>Integration</strong>sfragen zur Disposition gestellt und von der<br />

Kommission entsprechend ignoriert werden konnte. Formell und nach außen<br />

blieb das Land aber weiterhin „neutral“: „Ireland is neutral by accident,<br />

not by conviction“, so der irische Historiker Dermot Keogh. In der öffentlichen<br />

Debatte hatte die <strong>Neutralität</strong> nie den Stellenwert wie in der Schweiz<br />

oder Österreich. Am 10. Mai 1972 stimmte die Bevölkerung mit 83,1% für<br />

107 Maurice FitzGerald, Irish Neutrality and <strong>European</strong> <strong>Integration</strong> 1960-1972, S. 144-<br />

148, 156.<br />

108 Elvert, Geschichte Irlands, S. 457.<br />

109 Pieper, <strong>Neutralität</strong> von Staaten, S. 382.

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