Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration
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36 Michael Gehler sich nicht nur eine Reduzierung des Handels mit Osteuropa, sondern auch die Mitwirkung an der US-Embargopolitik. Diese war nicht unproblematisch, da Österreich von den OEEC-Partnern den höchsten Handelsanteil mit den mittel- und osteuropäischen Staaten sowie der UdSSR hatte (15- 25%). Im Kalten Krieg wurde dieser weiter reduziert. Dagegen stiegen Importe von und Exporte zu den OEEC-Ländern. Nachdem das ERP 1953 ausgelaufen war, erhielt Wien noch US-Zuwendungen für die klandestine Rearmierung der westlichen Besatzungszonen. Trotz ökonomischer Westorientierung des Landes behielt die Wahrung der territorialen Integrität Vorrang vor der Partizipation an der westeuropäischen Integration. 103 1953 war infolge ausgeglichener Zahlungsbilanz eine Liberalisierung des Warenverkehrs nach OEEC-Vorschriften möglich. Österreich wurde vom bisherigen Schuldner zum Gläubiger der EZU, durch Wiedererlangung der relativen außenpolitischen Handlungsfreiheit auch der Liberalisierungsprozeß verstärkt. Trotz neutralitätspolitischer Vorbehalte versuchte das Land sein Verhältnis zur Sechsergemeinschaft zu überdenken und - falls möglich - auch zu intensivieren. Solange vorsichtige wohldosierte Integrationspartizipation dem außenpolitischen Status nicht abträglich und der staatlichen und nationalen Konsolidierung förderlich war, blieb sie erwünscht. 104 Dabei wurden die Handlungsmöglichkeiten zuweilen bis aufs Äußerste ausgereizt: 1956 erwogen die Regierungsspitzen sogar öffentlich die Mitglied- 103 Zur geheimen Bewaffnung der Westzonen, den CIA-Waffenlagern in Österreich und seiner NATO-Connection siehe Oliver Rathkolb, Washington ruft Wien. US- Großmachtpolitik und Österreich 1953-1963, Wien – Köln – Weimar 1997, S. 120- 127, 144-153, 279-280; zum Forschungsstand über die Rolle Österreichs im frühen oder ersten Kalten Krieg siehe Günter Bischof, Eine historiographische Einführung: Die Ära des Kalten Krieges und Österreich, in: Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien – Köln –Weimar 2000, S. 19-53; Thomas Angerer, Integrität vor Integration. Österreich und "Europa" aus französischer Sicht 1949-1960, in: Michael Gehler/Rolf Steininger (Hg.), Österreich und die europäische Integration 1945-1993. Aspekte einer wechselvollen Entwicklung (Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, Arbeitskreis Europäische Integration, Historische Forschungen, Veröffentlichungen 1), Wien - Köln - Weimar 1993, S. 178-200. 104 Gehler, Zwischen Supranationalität und Gaullismus, S. 497-500.
Finis Neutralität? schaft in der supranationalen EGKS! 105 Es fehlte nur noch ein vollständig ausformulierter Beitrittsantrag, der bei den zuständigen Stellen (so wie später am 17. Juli 1989) deponiert wurde. Die Sowjetunion nahm - wenn auch mit Vorbehalten - den im April 1956 im Unterschied zum „Schweizer Vorbild“ erfolgten Beitritt zum Europarat zur Kenntnis, ein Schritt der nach erreichtem Truppenabzug und errungener weitgehender staatlicher Freiheit leichter nachvollzogen werden konnte. Eine EWG-Mitgliedschaft kam für das Land trotz zeitweiliger interner Überlegungen (1958) nicht in Frage, um so mehr war es vom Scheitern der FHZ betroffen. 106 Die österreichische Neutralität war mit intergouvernementaler Kooperation und ökonomischer Partizipation (Westorientierung) vereinbar. Sie konnte sich gegenüber Marktintegrationsdruck flexibel artikulieren und auch noch behaupten, erwies sich in jedem Fall jedoch dominanter als supranationale Versuchungen. 2. Von der EFTA-Gründung bis zu den Freihandelsabkommen mit den EG 1960-1972/73 a) Irland In den 60er Jahren begann die Anziehungskraft der Ökonomie bereits stärkeren Einfluß auf die Politik der Neutralen auszuüben. Irland, außenhandelspolitisch völlig vom Vereinigten Königreich abhängig, entschied sich am 31. Juli 1961 für die EWG-Option mit Blick auf den zu erwartenden britischen EWG-Beitrittsantrag, der am 9. August gestellt wurde. Die irische EWG-Annäherung - ohne Information, Konsultation oder gar Koordination mit den übrigen Neutralen - erfolgte aus rein wirtschaftlichen Not- 105 Florian Weiß, "Auf sanften Pfoten gehen": Die österreichische Bundesregierung und die Anfänge der westeuropäischen Integration 1947-1957, Phil. Dipl. Arbeit Universität München 1989, S. 149 f. und zuletzt eingehend analysiert von Angerer, Exklusivität und Selbstausschließung, S. 38-45; zur österr. Position grundsätzlich Michael Gehler, Austria and European Integration 1947-60: Western Orientation, Neutrality and Free Trade, in: Diplomacy & Statecraft, Vol. 9, No. 3 (November 1998), pp. 154-210. 106 Gehler, Zwischen Supranationalität und Gaullismus, S. 500-501, 502-509. 37
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<strong>Michael</strong> <strong>Gehler</strong><br />
sich nicht nur eine Reduzierung des Handels mit Osteuropa, sondern auch<br />
die Mitwirkung an der US-Embargopolitik. Diese war nicht unproblematisch,<br />
da Österreich von den OEEC-Partnern den höchsten Handelsanteil<br />
mit den mittel- und osteuropäischen Staaten sowie der UdSSR hatte (15-<br />
25%). Im Kalten Krieg wurde dieser weiter reduziert. Dagegen stiegen Importe<br />
von und Exporte zu den OEEC-Ländern. Nachdem das ERP 1953<br />
ausgelaufen war, erhielt Wien noch US-Zuwendungen für die klandestine<br />
Rearmierung der westlichen Besatzungszonen. Trotz ökonomischer Westorientierung<br />
des Landes behielt die Wahrung der territorialen Integrität<br />
Vorrang vor der Partizipation an der westeuropäischen <strong>Integration</strong>. 103<br />
1953 war infolge ausgeglichener Zahlungsbilanz eine Liberalisierung des<br />
Warenverkehrs nach OEEC-Vorschriften möglich. Österreich wurde vom<br />
bisherigen Schuldner zum Gläubiger der EZU, durch Wiedererlangung der<br />
relativen außenpolitischen Handlungsfreiheit auch der Liberalisierungsprozeß<br />
verstärkt. Trotz neutralitätspolitischer Vorbehalte versuchte das Land<br />
sein Verhältnis zur Sechsergemeinschaft zu überdenken und - falls möglich<br />
- auch zu intensivieren. Solange vorsichtige wohldosierte <strong>Integration</strong>spartizipation<br />
dem außenpolitischen Status nicht abträglich und der staatlichen<br />
und nationalen Konsolidierung förderlich war, blieb sie erwünscht. 104 Dabei<br />
wurden die Handlungsmöglichkeiten zuweilen bis aufs Äußerste ausgereizt:<br />
1956 erwogen die Regierungsspitzen sogar öffentlich die Mitglied-<br />
103 Zur geheimen Bewaffnung der Westzonen, den CIA-Waffenlagern in Österreich<br />
und seiner NATO-Connection siehe Oliver Rathkolb, Washington ruft Wien. US-<br />
Großmachtpolitik und Österreich 1953-1963, Wien – Köln – Weimar 1997, S. 120-<br />
127, 144-153, 279-280; zum Forschungsstand über die Rolle Österreichs im frühen<br />
oder ersten Kalten Krieg siehe Günter Bisch<strong>of</strong>, Eine historiographische Einführung:<br />
Die Ära des Kalten Krieges und Österreich, in: Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich<br />
im frühen Kalten Krieg. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien – Köln –Weimar<br />
2000, S. 19-53; Thomas Angerer, Integrität vor <strong>Integration</strong>. Österreich und "Europa"<br />
aus französischer Sicht 1949-1960, in: <strong>Michael</strong> <strong>Gehler</strong>/Rolf Steininger (Hg.),<br />
Österreich und die europäische <strong>Integration</strong> 1945-1993. Aspekte einer wechselvollen<br />
Entwicklung (Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, Arbeitskreis Europäische<br />
<strong>Integration</strong>, Historische Forschungen, Veröffentlichungen 1), Wien -<br />
Köln - Weimar 1993, S. 178-200.<br />
104 <strong>Gehler</strong>, Zwischen Supranationalität und Gaullismus, S. 497-500.