Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration

Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration

06.12.2012 Aufrufe

Michael Gehler, geboren 1962, ist seit 1999 Professor am Institut für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck. Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität Innsbruck, Promotion 1987, Habilitation 1999. Von 1992-1996 Research Fellow des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Wien. Gastprofessor beim International Cultural Centre und am College for New Europe in Krakau. Er ist Senior Fellow am Zentrum für Europäische Integrationsforschung in Bonn und Mitglied des erweiterten Vorstands der Leopold von Ranke-Gesellschaft Kiel-Hamburg. Publikationsauswahl: (gemeinsam mit Rolf Steininger), The Neutrals and the European Integration 1945-1995, Vienna-Cologne-Weimar 2000; (in cooperation with Wolfram Kaiser and Helmut Wohnout), Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert/Christian Democracy in 20th Century Europe/La Démocratie Chrétienne en Europe au XXe siècle, Vienna-Cologne-Weimar 2001; Zeitgeschichte im dynamischen Mehrebenensystem: Zwischen Regionalisierung, Nationalstaat, Europäisierung, internationaler Arena und Globalisierung, Bochum 2001.

Michael Gehler Finis Neutralität? Historische und politische Aspekte im europäischen Vergleich: Irland, Finnland, Schweden, Schweiz und Österreich I. Terminologien, Funktionen und Dimensionen Neutralitäts-Begriffsinhalt und -Recht entstanden Ende des 14. Jh. 1 Im 15. Jh. wurden Ausdrücke wie „neutralitet“ und „neutralité“ erstmals verwendet. Im deutschen Sprachgebrauch taucht das Wort zeitgleich auf. 2 Sein Ursprung ist lateinisch: „ne uter“ = „keiner von beiden“. Die Semantik blieb unverändert. Unter Neutralität verstand man im 14. Jh. dasselbe wie im 20. Jh.: Nichtbeteiligung am Krieg zwischen zwei oder mehreren Staaten. Unterschiede in Vorstellung und Erfassung des Inhalts erwuchsen erst 1 Bei Dietrich Engelhusen 1394; in den Verträgen zwischen Bern und Leopold III. 1382, Zürich und Leopold IV. 1393, Bern und Solothurn einerseits und Markgraf Rudolf von Hochburg 1399 andererseits: Darin tauchen die Bezeichnungen "still sitzen" und "unpartysches Verhalten" auf, was ein Unterstützungsverbot des jeweiligen Feindes zum Ausdruck brachte. Im Vertrag zwischen England und Dänemark von 1463 ist von "guerrarum abstinentia" die Rede; "Libre de Consolat de Mar" (Costums de la Mar = Seegewohnheitsrecht, Behandlung neutraler Schiffe und Prisenrecht). Michael Schweitzer, Völkerrechtliche Begriffsbildung und Ausgestaltung, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 317-337, hier S. 318 f. 2 In "Frankfurts Reichscorrespondenz" von 1446 wird "neutralitet" erwähnt; in der Erklärung Lüttichs von 1478 heißt es "bonne et vraie Neutralité", d.h. die Verpflichtung Karls VIII. von Frankreich, diese Neutralität zu achten; ein ähnliches Dokument bezüglich der Niederlande 1492, zit. n. ebd., S. 319.

<strong>Michael</strong> <strong>Gehler</strong><br />

<strong>Finis</strong> <strong>Neutralität</strong>?<br />

Historische und politische Aspekte im europäischen<br />

Vergleich: Irland, Finnland, Schweden, Schweiz und<br />

Österreich<br />

I. Terminologien, Funktionen und Dimensionen<br />

<strong>Neutralität</strong>s-Begriffsinhalt und -Recht entstanden Ende des 14. Jh. 1 Im 15.<br />

Jh. wurden Ausdrücke wie „neutralitet“ und „neutralité“ erstmals verwendet.<br />

Im deutschen Sprachgebrauch taucht das Wort zeitgleich auf. 2 Sein<br />

Ursprung ist lateinisch: „ne uter“ = „keiner von beiden“. Die Semantik<br />

blieb unverändert. Unter <strong>Neutralität</strong> verstand man im 14. Jh. dasselbe wie<br />

im 20. Jh.: Nichtbeteiligung am Krieg zwischen zwei oder mehreren Staaten.<br />

Unterschiede in Vorstellung und Erfassung des Inhalts erwuchsen erst<br />

1 Bei Dietrich Engelhusen 1394; in den Verträgen zwischen Bern und Leopold III.<br />

1382, Zürich und Leopold IV. 1393, Bern und Solothurn einerseits und Markgraf<br />

Rudolf von Hochburg 1399 andererseits: Darin tauchen die Bezeichnungen "still<br />

sitzen" und "unpartysches Verhalten" auf, was ein Unterstützungsverbot des jeweiligen<br />

Feindes zum Ausdruck brachte. Im Vertrag zwischen England und Dänemark<br />

von 1463 ist von "guerrarum abstinentia" die Rede; "Libre de Consolat de Mar"<br />

(Costums de la Mar = Seegewohnheitsrecht, Behandlung neutraler Schiffe und Prisenrecht).<br />

<strong>Michael</strong> Schweitzer, Völkerrechtliche Begriffsbildung und Ausgestaltung,<br />

in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche<br />

Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland,<br />

Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 317-337, hier S. 318 f.<br />

2 In "Frankfurts Reichscorrespondenz" von 1446 wird "neutralitet" erwähnt; in der<br />

Erklärung Lüttichs von 1478 heißt es "bonne et vraie Neutralité", d.h. die Verpflichtung<br />

Karls VIII. von Frankreich, diese <strong>Neutralität</strong> zu achten; ein ähnliches<br />

Dokument bezüglich der Niederlande 1492, zit. n. ebd., S. 319.

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