Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration

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06.12.2012 Aufrufe

12 Michael Gehler zählten. Kleinere und neutrale Staaten entdeckten die UNO als Forum internationaler Politikkooperation und friedenserhaltender Missionen. 26 Die drei UN-Generalsekretäre, die dem pro-amerikanischen Norweger Trygve Lie folgten, der die US-Kriegführung in Korea (1950-53) mitgetragen hatte, kamen aus neutralen bzw. blockfreien Ländern Schweden (Dag Hammarskjöld 1953-1961), Burma (Sithu U Thant 1962-1971) und Österreich (Kurt Waldheim 1972-1981). 27 In ihrer Amtszeit wandelte sich auch das Profil der Weltorganisation von einer stark prowestlich-ausgerichteten, den amerikanischen Interessen sehr entgegenkommenden, wenn nicht folgenden zu einer ausgleichenden, mehr die Bedürfnisse der Entwicklungsländer wahrnehmenden Institution. Dies erzeugte neuen Argwohn gegenüber Blockfreien und Neutralen. Das Verhältnis der Super- und Großmächte zu den Neutralen war von Ambivalenzen geprägt. Sie wurden geringgeschätzt, beeinflußt, manipuliert und instrumentalisiert. Neben ideologisch-politischer Mißbilligung gab es aber auch pragmatische Kooperation entweder zur Immunisierung gegen sowjet-kommunistische Penetration oder zur sukzessiven Einbindung in das westliche (amerikanische) Politiksystem. Kritik an und Ablehnung der Neutralität erwuchsen u.a. aus der Erkenntnis der De-facto-Kooperation 26 Franz Kernic/Harald Haas, Warriors for Peace. A Sociological Study on the Austrian Experience of UN Peacekeeping (Studien zur Verteidigungspädagogik, Militärwissenschaft und Sicherheitspolitik 6), Frankfurt/Main – Berlin – Bern – New York – Paris – Wien 1999; Franz Kernic, The Soldier and the Task: Austria’s Experience of Preparing Peacekeepers, International Peacekeeping, Vol. 6, No. 3 (1999), pp. 113-128; Erwin A. Schmidl, Neutral, klein, unabhängig: die idealen “Blauhelme”?, in: Michael Gehler/Rolf Steininger (Hg.), Die Neutralen und die europäische Integration 1945-1995/The Neutrals and the European Integration 1945- 1995 (Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, Arbeitskreis Europäische Integration, Historische Forschungen, Veröffentlichungen 3), Wien - Köln - Weimar 2000, S. 61-79; zuletzt Erwin A. Schmidl (ed.), Peace Operations between Peace and War: Four Studies (Informationen zur Sicherheitspolitik des Militärwissenschaftlichen Büros des BMfLV 11), Wien 1998; Erwin A. Schmidl, Im Dienste des Friedens. Die österreichische Teilnahme an Friedensoperationen seit 1960/In the Service of Peace. Austrian Participation in Peace Operations since 1960, Wien 2001. 27 Es folgten Perez de Cuellar (Peru), Butros Butros-Ghali (Ägypten) und Kofi Annan (Ghana). Ägypten zählt zu den Blockfreien.

Finis Neutralität? Irlands, der Schweiz oder Schwedens mit NS-Deutschland im Zweiten Weltkrieg. 28 Großbritannien 29 und die Vereinigten Staaten 30 blickten daher verächtlich auf die „Immoralität“ dieser „Trittbrettfahrer des Sieges“. 31 Unter den Neutralen galt besonders die Schweiz als „Schmarotzer und Kriegsprofiteur“. 32 Später wurden sie als kritische Zonen bzw. Schwachpunkte im US-dominierten Einflußbereich in Europa interpretiert, wie man auch bei ihrer versuchten Annäherung an die EWG Anfang der 60er Jahre eine Verwässerung der Gemeinschaftssubstanz, Gefährdung ihrer Integrationsziele und Schwächung dieses auch als antikommunistisch gedachten Bollwerks im Kalten Krieg befürchtete. 33 Die Haltung der UdSSR war alles andere als von Wertschätzung für Neutrale geprägt: Sie galten als „Kollaborateure des Hitlerfaschismus“, „Handlanger des Imperialismus“ etc. und wurden deshalb auch ideologisch dem gegnerischen Lager zugerechnet. Im Zeichen der semi détente (1953-1956) brachte Moskau jedoch für den Westen vollkommen überraschend, aber 28 Vgl. Heinrich Payr, Die schwierige Kunst der Neutralität, Wien – Köln 1990, S, 25- 36; Florian H. Setzen, Neutralität im Zweiten Weltkrieg. Irland, Schweden und die Schweiz im Vergleich, Hamburg 1997 und den Kommentar von Wilfried Loth, Neutralität im Kalten Krieg, in: Gehler/Steininger (Hg.), Die Neutralen und die europäische Integration 1945-1995, S. 80-83, hier S. 80. Zur Rolle der Eidgenossenschaft 1939-1945 vgl. den gewinnbringenden Band von Georg Kreis/Bertrand Müller (Hg.), Die Schweiz und der Zweite Weltkrieg. La Suisse et la Seconde Guerre mondiale [Sonderausgabe von Vol. 47, Nr. 4, 1997 der Schweizerischen Zeitschrift für Geschichte] (Allgemeine Geschichtforschende Gesellschaft der Schweiz/Société Générale Suisse d'Histoire/Società Generale Svizzera di Storia), Basel 1997. 29 Wolfram Kaiser, Neutral, nicht neutral, auch egal: Großbritannien, die Neutralen und die europäische Integration 1945-1972, in: Gehler/Steininger (Hg.), Die Neutralen und die europäische Integration 1945-1995, S. 44-60. 30 Thomas O. Schlesinger, The United States and the European Neutrals (Studien zur politischen Wirklichkeit 5), Wien 1991; Michael Ruddy, European Integration, the Neutrals, and U.S. Security Interests: From the Marshall Plan to the Rome Treaties, in: Gehler/Steininger (Hg.), Die Neutralen und die europäische Integration 1945- 1995, S. 13-28. 31 Loth, Neutralität im Kalten Krieg, S. 80. 32 Martin Fenner, Außenpolitik. Die Schweiz in der Welt von heute und morgen, Aarau 1997, S. 99. 33 Michael Gehler, Zwischen Supranationalität und Gaullismus. Österreich und die europäische Integration 1957-1963, in: Gehler/Steininger (Hg.), Die Neutralen und 13

<strong>Finis</strong> <strong>Neutralität</strong>?<br />

Irlands, der Schweiz oder Schwedens mit NS-Deutschland im Zweiten<br />

Weltkrieg. 28 Großbritannien 29 und die Vereinigten Staaten 30 blickten daher<br />

verächtlich auf die „Immoralität“ dieser „Trittbrettfahrer des Sieges“. 31 Unter<br />

den Neutralen galt besonders die Schweiz als „Schmarotzer und<br />

Kriegspr<strong>of</strong>iteur“. 32 Später wurden sie als kritische Zonen bzw. Schwachpunkte<br />

im US-dominierten Einflußbereich in Europa interpretiert, wie man<br />

auch bei ihrer versuchten Annäherung an die EWG Anfang der 60er Jahre<br />

eine Verwässerung der Gemeinschaftssubstanz, Gefährdung ihrer <strong>Integration</strong>sziele<br />

und Schwächung dieses auch als antikommunistisch gedachten<br />

Bollwerks im Kalten Krieg befürchtete. 33<br />

Die Haltung der UdSSR war alles andere als von Wertschätzung für Neutrale<br />

geprägt: Sie galten als „Kollaborateure des Hitlerfaschismus“, „Handlanger<br />

des Imperialismus“ etc. und wurden deshalb auch ideologisch dem<br />

gegnerischen Lager zugerechnet. Im Zeichen der semi détente (1953-1956)<br />

brachte Moskau jedoch für den Westen vollkommen überraschend, aber<br />

28 Vgl. Heinrich Payr, Die schwierige Kunst der <strong>Neutralität</strong>, Wien – Köln 1990, S, 25-<br />

36; Florian H. Setzen, <strong>Neutralität</strong> im Zweiten Weltkrieg. Irland, Schweden und die<br />

Schweiz im Vergleich, Hamburg 1997 und den Kommentar von Wilfried Loth,<br />

<strong>Neutralität</strong> im Kalten Krieg, in: <strong>Gehler</strong>/Steininger (Hg.), Die Neutralen und die europäische<br />

<strong>Integration</strong> 1945-1995, S. 80-83, hier S. 80. Zur Rolle der Eidgenossenschaft<br />

1939-1945 vgl. den gewinnbringenden Band von Georg Kreis/Bertrand Müller<br />

(Hg.), Die Schweiz und der Zweite Weltkrieg. La Suisse et la Seconde Guerre<br />

mondiale [Sonderausgabe von Vol. 47, Nr. 4, 1997 der Schweizerischen Zeitschrift<br />

für Geschichte] (Allgemeine Geschichtforschende Gesellschaft der Schweiz/Société<br />

Générale Suisse d'Histoire/Società Generale Svizzera di Storia), Basel 1997.<br />

29 Wolfram Kaiser, Neutral, nicht neutral, auch egal: Großbritannien, die Neutralen<br />

und die europäische <strong>Integration</strong> 1945-1972, in: <strong>Gehler</strong>/Steininger (Hg.), Die Neutralen<br />

und die europäische <strong>Integration</strong> 1945-1995, S. 44-60.<br />

30 Thomas O. Schlesinger, The United States and the <strong>European</strong> Neutrals (Studien zur<br />

politischen Wirklichkeit 5), Wien 1991; <strong>Michael</strong> Ruddy, <strong>European</strong> <strong>Integration</strong>, the<br />

Neutrals, and U.S. Security Interests: From the Marshall Plan to the Rome Treaties,<br />

in: <strong>Gehler</strong>/Steininger (Hg.), Die Neutralen und die europäische <strong>Integration</strong> 1945-<br />

1995, S. 13-28.<br />

31 Loth, <strong>Neutralität</strong> im Kalten Krieg, S. 80.<br />

32 Martin Fenner, Außenpolitik. Die Schweiz in der Welt von heute und morgen,<br />

Aarau 1997, S. 99.<br />

33 <strong>Michael</strong> <strong>Gehler</strong>, Zwischen Supranationalität und Gaullismus. Österreich und die<br />

europäische <strong>Integration</strong> 1957-1963, in: <strong>Gehler</strong>/Steininger (Hg.), Die Neutralen und<br />

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