Ausgabe 1960 - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
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58 HOHENZOLLERISCHE HEIMAT Jahrgang lSfifl<br />
Erinnerungen eines „Nobelhäftigen"<br />
Vor kurzem kam er mir wieder zu Gesicht. Ueberrascht<br />
und erfreut stand ich plötzlich vor ihm, dem fast in völlige<br />
Vergessenheit geratenen lieben alten Bekannten aus der<br />
„Kleinbubenzeit", von dem ich wähnte, daß er schon längst<br />
den Weg alles Irdischen gegangen sei.<br />
Es war ein frohes Wiedersehen, stand er doch da, so wie er<br />
immer gewesen ist — stolz, behäbig, unnahbar —<br />
nobelhäftig. Doch es schien mir, als sei er traurig und<br />
träume in seiner finsteren Ecke von längst vergangenen<br />
besseren Tagen.<br />
Teilnahmsvoll strich ich sanft über sein verstaubtes Lederzeug<br />
und begann mit ihm zu reden aus jenen Zeiten, da<br />
er noch das allein anerkannte, unbestrittene Gefährt der<br />
vornehmen Leute war. Für uns Buben gab es keinen größeren<br />
Wunsch, als einmal mit ihm fahren zu dürfen. In<br />
scheuer Ehrfurcht und in gemessenem Abstand schauten wir<br />
zu, wenn sein Besitzer sich anschickte, ihn zu einer Fahrt<br />
herzurichten. Gar zu oft kam das zwar nicht vor, und deshalb<br />
war es immer ein Ereignis, wenn der Landauer aus<br />
dem Dorf fuhr. Uns Buben allerdings blieb der Wunsch,<br />
mitzufahren, unerfüllt.<br />
Doch haben wir uns dafür entschädigt. Oft saßen wir am<br />
Sonntagnachmittag heimlich in seinen weichen Polstern und<br />
spielten „große Herren". In ihm machten wir auch die ersten<br />
Rauchversuche. Aus der gemeinsamen Porzellanpfeife, —<br />
sie war wochentags sorgfältig versteckt in der Holzbeige im<br />
„Webgarten" — rauchten wir „Maryland". Einmal rauchten<br />
wir „Burrus". Aber nur ein einziges Mal!<br />
Viele Jahre später, ja, da fuhren wir noch einmal mit ihm.<br />
Es wird wohl eine seiner letzten Fahrten gewesen sein, als<br />
eines Tages vier „fürnehme" Herren, angetan mit Frack<br />
und Zylinderhut, zu einer Fastnachtsveranstaltung über Land<br />
fuhren. Auf dem Bock thronte der Kutscher, die beiden<br />
Rösser waren mit bunten Bändern geziert. Es war eine<br />
lustige Fahrt, — weißt du es noch, guter alter Freund?<br />
Da begann auch er mir aus seinem langen wechselvollen<br />
Leben zu erzählen: „Ich wurde anfangs der achtziger Jahre<br />
des vorigen Jahrhunderts drüben in der schönen Breisgauer<br />
Metropole gebaut. Meine Räder waren mit Glanzlack überzogen<br />
und mit farbigen Linien versehen. In meinem spiegelglatten,<br />
ledernen Dach spiegelten sich die Berge des Schwarzwaldes.<br />
Weich und schwellend waren meine gepolsterten<br />
Sitze, die auf den zukünftigen Besitzer warteten. Eines Tages<br />
verlud man mich auf die Eisenbahn, und ich wurde in einer<br />
großen Stadt am Main ausgestellt. In einer riesigen Halle<br />
verbrachte ich dort mit noch vielen Kameraden Tage und<br />
Wochen. Tausende von Menschen kamen und gingen an uns<br />
vorüber. Hochfeine Damen und vornehme Herren besahen<br />
mich von allen Seiten, doch wollte mich lange niemand<br />
kaufen. Erst als die Ausstellung ihrem Ende zu ging, erschien<br />
eines Tages ein vornehmer Herr mit seiner noch vornehmeren<br />
Frau Gemahlin und zwei betreßten Dienern. Der<br />
Herr besah mich von innen und außen mit kritischen<br />
Blicken, die Dame hielt ihr Lorgnon unablässig vor die<br />
Augen und ging ein paar mal um mich herum. Dann öffnete<br />
sie den Schlag und befühlte meine Polster. Zuletzt kletterte<br />
sie höchst selbst in mein Inneres, wobei ihr die beiden<br />
Diener behilflich waren. Das gleiche tat nun auch der Herr<br />
Gemahl und ließ sich schwer neben seiner Gemahlin in<br />
meinen Sitz fallen, während die zwei Lakaien mit ihren<br />
glatten, steifledernen Gesichtern wie Bildsäulen daneben<br />
standen. Mein bisheriger Herr und Erbauer kam sofort<br />
katzbuckelnd herbei, erklärte den Herrschaften meine besonderen<br />
Vorzüge und lobte mich über das Bohnenlied. Nach<br />
kurzer Zeit war ich ein hochherrschaftlicher Wagen und<br />
kam in den Besitz des Pfälzischen Freiherrn von H.<br />
Nun begann ein flottes, „n o b e 1 h ä f t i g e s" Leben. Täglich<br />
mußte ich am Tor des Freiherrlichen Schlößchens bereitstehen,<br />
um die Dame des Hauses mit ihren zwei lieblichen<br />
Töchtern Ursula und Ingeborg und deren Erzieherin über<br />
Land und in das nahe Städtchen zu fahren. Manchmal blieb<br />
die Frau Mama zu Haus, und die beiden Mädchen durften<br />
allein fahren. Das gab dann immer eine lustige Fahrt. Alsbald<br />
kletterten die beiden auf den Bock, das muntere, übermütige<br />
Fräulein Ursula nahm dem Kutscher die Zügel aus<br />
der Hand und lenkte die Rappen selber, dieweil die Gouvernante<br />
und der Kutscher schwitzend vor Angst in meinem<br />
Innern saßen.<br />
Karl König, Weildorf<br />
So vergingen ein paar Jahre. Da kam ein linder, wundersamer<br />
Maientag. Schon früh am Morgen wurde ich geschmückt<br />
und geziert mit lauter weißem Flieder. Es war<br />
der gemeinsame Hochzeitstag von Ursula und Ingeborg.<br />
Ursula heiratete einen schneidigen Kölner Kürassieroffizier,<br />
Ingeborg wurde die Gemahlin eines ausländischen Diplomaten.<br />
Nun war es lange Zeit still im freiherrlichen Haus. Dann<br />
kam ein Tag, an dem die beiden Rappen mit schwarzen<br />
Tüchern behangen wurden. Ich wurde mit Trauerkränzen<br />
voll beladen und mußte in einem großen Leichenzug fahren.<br />
Mein Herr und Besitzer war tot! Das war meine letzte<br />
Fahrt in freiherrlichen Diensten. Der Haushalt wurde aufgelöst,<br />
die Witwe meines toten Herrn zog zu ihrer Tochter<br />
Ingeborg ins Ausland.<br />
Ich wurde verkauft und kam in den Besitz eines Hotelbesitzers<br />
nach Stuttgart. Dort hatte ich die Aufgabe, ankommende<br />
und abreisende Gäste am Bahnhof abzuholen<br />
bzw. hinzufahren. Diese Tätigkeit aber gefiel mir nicht,<br />
und es war für mich eine Erlösung, als diese Fahrten nach<br />
kurzer Zeit wieder eingestellt wurden.<br />
Lange Zeit stand ich verstaubt und vernachlässigt in einem<br />
Schuppen. Dann kam ein dicker Mann, der zog mich heraus,<br />
reinigte mich von Schmutz und Staub und fuhr mit<br />
zwei schönen „Braunen" mit mir durch die Stadt und weit<br />
über Land. Ich kam jetzt in den Dienst eines Pferde- und<br />
Wagenverleihers in die nahe Universitätsstadt. Jetzt begann<br />
wieder eine fröhliche, lustige Zeit. Im Frühling und Sommer<br />
gab es täglich Ausfahrten der Studenten in die nahe, oft auch<br />
in die weitere Umgebung. Manche tolle Kneiperei und manches<br />
fröhliche Zechgelage habe ich gesehen. Ja, das war so<br />
ein Leben und ein Umtrieb, wenn ich draußen vor dem<br />
Weilheimer Kneiple stand und drin die Becher klangen und<br />
fröhliche Studentenlieder aus den Fenstern tönten. Wenn<br />
dann die „bemoosten Häupter" bei der Rückfahrt in gehobener<br />
Stimmung und weinseliger Laune in den Polstern<br />
saßen — meist nahmen sie noch einen Humpen mit auf den<br />
Weg — und ihr „Gaudeamus igitur" hinausschmetterten,<br />
da ging die lustige Fahrt nochmal so leicht über die<br />
holprigen Pflaster in den engen Gäßlein der Stadt.<br />
Oft fuhr ich die Studenten zur Mensur hinaus ins „Waldhorn",<br />
und manch schwer blessiertes Haupt trug ich wieder<br />
zurück. Dann mußte ich langsam, sachte über das Pflaster<br />
fahren. Bei den Stiftungsfesten der Verbindungen und bei<br />
sonstigen Veranstaltungen der Universität ging es immer<br />
hoch her. In vielen großartigen Festzügen war ich dabei.<br />
Bekränzt mit Tannenreis und gezogen von feurigen Rossen<br />
rollte ich stolz über die Neckarbrücke. Im offenen Wagen<br />
saßen der Bannerträger mit dem Banner seiner Verbindung<br />
und seinen Begleitern in vollem „Wichs". Alle befreundeten<br />
Verbindungen und Burschenschaften nahmen an den Festzügen<br />
teil, die ein eindrucksvolles, farbenprächtiges Bild<br />
boten, das stets Tausende von Zuschauern anzog. Der alljährliche<br />
Festzug der Mediziner war das Großartigste,<br />
was ich je gesehen habe.<br />
Unterdessen war mein Herr alt geworden, er gab sein<br />
Leihgeschäft auf, und wieder wurde ich überflüssig. Ich<br />
wurde in der Zeitung ausgeschrieben und kam so endlich<br />
hierher. Ich war wohl in meiner Studentenzeit etwas mitgenommen<br />
und da und dort verbeult. Aber in meinem<br />
jetzigen neuen Wirkungskreis war ich doch noch ein „nobelhäftiger"<br />
Wagen. Als ich hierher kam, stand ich lange Zeit<br />
untätig im Schuppen. Meine Kundschaft war dünn gesät.<br />
Ab und zu fuhr ich den Herrn Oberamtmann in den „hinteren<br />
Bezirk", auch wenn einmal hier oder in einem Nachbarort<br />
ein neuer Pfarrherr Einzug hielt, holte mich mein<br />
Herr heraus. Einmal fuhr ich den Herrn Regierungspräsidenten<br />
von Sigmaringen von Haigerloch bis nach Dettingen.<br />
Meine schönsten Fahrten, die ich nicht vermissen möchte,<br />
habe ich aber doch hier gemacht. Wenn es eine Hochzeit gab<br />
und die Braut aus einem Nachbardorf stammte, und das<br />
kam hier von jeher nicht selten vor, so mußte ich diese abholen.<br />
Das war immer eine freudige Fahrt. Dann fuhren die<br />
„Ledige n" auf prachtvoll gezierten Leiterwagen mit, um<br />
die Braut in die neue Heimat zu begleiten. Manchmal waren<br />
noch berittene Begleiter dabei, die hoch zu Roß stolz an<br />
meiner Seite einherritten. Einer der Ledigen hielt die „Brautrede".<br />
Ernstes und Heiteres kamen darin zum Ausdruck, wobei<br />
manch heimliches Tränlein der schönen Braut über die<br />
Wangen tropfte.