Ausgabe 1960 - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
Ausgabe 1960 - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
Ausgabe 1960 - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Hohenzollerlsche Heimat<br />
Viertel jahresblätter für Schule und Haus<br />
Herausgegeben vom Verein für Geschichte,<br />
in Verbindung mit<br />
Schriftleitung:<br />
Josef Wiest, Rangendingen<br />
10 Y 3828 F<br />
Preis halbjährlich 0.80 DM<br />
Kultur- und Landeskunde in Hohenzollern<br />
der hohenz. Lehrerschaft<br />
Druck:<br />
Buchdruckerei S. A c k e r, Gammertingen<br />
Postscheckkonto Stuttgart 35 892<br />
Bank: Hohenz. Landesbank Gammertingen 15<br />
Nummer 4 Gammertingen, Oktober <strong>1960</strong> 10. Jahrgang<br />
Bauern pilgern zur St. Wendelinskapelle<br />
Verwurzeltes bäuerliches Brauchtum zwischen Starzel und Neckar<br />
Haigerloch. Das frühere Oberamtsgebiet Haigerloch, eine<br />
zwischen Starzel und Neckar eingebettete Landschaft von<br />
seltener Schönheit und lieblicher Romantik, ist umgeben<br />
vom zarten Hauch längst vergangener Tage. Zahlreiche zerfallene<br />
und noch gut erhaltene wehrhafte Gebäulichkeiten<br />
künden heute noch vom Werden und Vergehen ehemaliger<br />
Adelsgeschlechter, deren Spuren wir heute noch überall<br />
verfolgen können.<br />
Wer durch das felszerklüftete Eyachtal abwärts wandert,<br />
ist bald in dem Stahlbad Imnau, wo durch fürstliche Gründung<br />
Anno 1733 den Kranken ein Gesundbrunnen geschenkt<br />
wurde. In diesem Raum waren auch begütert die Herren<br />
von Neuneck in Glatt, die Herren von Wehrstein in Fischingen<br />
und noch eine Anzahl oft nur noch im Reiche der Sage<br />
fortlebender Geschlechter und Burgherren. Wenn man diese<br />
gesegnete Landschaft einmal durchwandert und richtig erlebt<br />
hat, seine Blicke über die Felder und Fluren schweifen<br />
ließ, wo fleißige Bauernhände werken und wo man heute<br />
noch das erhabene Bild des hinter dem Pfluge einherschreitenden<br />
Bauern erlebt, so wird man unwillkürlich hingelenkt<br />
auf eine glaubensreiche Vergangenheit. Zahlreiche, oft kunstvoll<br />
gefertigte Feldkreuze, Bildstöckle und Kapellen schmükken<br />
und beleben das Landschaftsbild und verleihen ihm<br />
jenen abwechslungsvollen Reiz, der jeden gläubigen und<br />
für Naturschönheiten aufgeschlossenen Menschen beglücken<br />
muß. Schlichte Feldblumen, irgendwo flüchtig gepflückt,<br />
zieren vielleicht da und dort eine solche Andachtsstätte, der<br />
wir uns ehrfurchtsvoll nähern und unsere Gedanken zurückgehen<br />
lassen in jene große Glaubensepoche, die diese Stätten<br />
geboren hat.<br />
Gerade diese oft unscheinbaren Kreuze oder Bildstöckle<br />
haben uns Menschen der gehetzten Gegenwart so viel zu<br />
erzählen und können uns zur Besinnung rufen. Zur Besinnung<br />
an unsere Vorfahren, die einst vor uns dieses Land bebaut<br />
und ihm das tägliche Brot abgerungen haben. Ihre<br />
tiefen Beziehungen zur Schöpfungsordnung Gottes fanden<br />
ihren Niederschlag in einem reichen Brauchtum und ebenso<br />
in einem tiefen Gauben. Dieser wiederum kam zum Ausdruck<br />
in der Entfaltung starken religiösen Lebens, vor allem<br />
von Wallfahrten und Flurgängen.<br />
Wir denken hierbei nicht allein an die reiche Wallfahrtstradition<br />
der herrlichen Haigerlocher Kirchen mit ihren<br />
berühmten Gnadenbildern, sondern blättern wir einmal in<br />
den Büchern, die von Wallfahrten auf den Landorten rund<br />
um Haigerloch erzählen. Wir hören von den Prozessionen<br />
aus Fischingen und Dettingen zum Marienheiligtum, der<br />
Liebfrauenkapelle ins Stunzachtal bei Gruol, wir hören<br />
von den Flurgängen am Urbanstag zu den Weinbergen, und<br />
man ist Zeuge der Bauernwallfahrt nach Trillfingen zur<br />
St.-Wendelins-Kapelle.<br />
Unter den wenigen noch heute erhaltenen bäuerlichen<br />
Wallfahrten im Bezirk Haigerloch hat sich der sogenannte<br />
„Schäferjahrtag" in Trillfingen, der seit über 200 Jahren<br />
als Bauernwallfahrtstag im weiten Umkreis von Haigerloch<br />
seine Kreise zog, bis auf den heutigen Tag erhalten. Noch<br />
heute grüßt die auf einer Anhöhe in reizvoller landschaftli-<br />
Josef Schneider<br />
cher Lage erbaute St.-Wendelins-Kapelle weit übers Land,<br />
und wenn alljährlich am 20. Oktober ihr Glöcklein zum<br />
Gottesdienst ruft, dann ist im Dorf Feiertag. Die Bauern<br />
vertauschen ihr „Werktagshäs" mit dem Sonntagsrock und<br />
ziehen hinauf zur Kapelle, um den Segen des Bauernheiligen<br />
Wendelin für Haus und Hof zu erflehen. Es sind aber nicht<br />
nur Trillfinger Bauern, es sind auch solche aus Hart, Höfendorf,<br />
Bittelbronn, Imnau, Weildorf und Gruol, sie kommen<br />
aus Wachendorf, Bierlingen und Felldorf zum Bauernheiligen,<br />
und was dürfte wohl näher liegen, als daß sie im 17.<br />
Jahrhundert in Anlehnung an die handwerklichen Zünfte<br />
gegründeten Bruderschaften den Bauernheiligen Wendelin<br />
zum Patron erwählten.<br />
Echte, verwurzelte Tradition stand hier von jeher mit der<br />
Liebe zu den echten, sittlichen Werten in harmonischem Einklang,<br />
und so hat die Gemeinde, die auch Pflegestätte der<br />
Musik und des Gesanges ist und die durch ihre Bauernkapelle<br />
Deuringer weithin berühmt wurde, dieses tätige Leben<br />
immer wieder reich befruchtet. Träger aber waren<br />
vielfach die bäuerlichen Bruderschaften, die dem religiösen<br />
Leben neuen Impuls gaben. Sie bezweckten vor allem den<br />
Schutz des Viehes vor Krankheiten und Seuchen, wobei die<br />
Mittel zur Erreichung dieser Ziele ausschließlich auf religiösem<br />
Gebiet liegen. Die Trillfinger Bruderschaft, „Schäferzunft"<br />
war ihr offizieller Name, der auch Bauern aus Hart,<br />
Höfendorf, Gruol, Imnau, Wiesenstetten, Felldorf, Wachendorf<br />
und Bierlingen angehörten; sie zählte gegen Ende dea<br />
19. Jahrhunderts 263 Mitglieder.<br />
Der religiöse Brauch, den diese Bruderschaft (deren Zunftbrief<br />
eine besondere Verehrung des hl. Wendelin vorschrieb)<br />
ausübte, ist in seiner Art einmalig. Alljährlich acht Tage<br />
nach dem St.-Wendelinstag wurden in der Kapelle drei Gottesdienste<br />
abgehalten. Diese begannen mit einem Lobamt,<br />
dem eine stille Messe mit Vigil und Vesper folgte, und<br />
schließlich rundete ein Seelenamt für die verstorbenen<br />
Zunftmitglieder den kirchlichen Teil des Wallfahrtstagea<br />
ab. In der Herberge, dem heutigen Gasthof zum Rößle, fanden<br />
sich die Zunftbrüder zum Frühschoppen und Vesper ein.<br />
Hier fand dann auch im Rahmen der Jahresversammlung<br />
die Einschreibung neuer Zunftbrüder statt. Dieser in seiner<br />
Art einmalige Brauchtums- und bäuerliche Wallfahrtstag<br />
konnte vor drei Jahren sein 175jähriges Bestehen feiern.<br />
Die Einschreibung vierzehn neuer Mitglieder und darüber<br />
hinaus eine starke Beteiligung am Jubiläumstag ließen erkennen,<br />
daß der „Schäferjahrtag" zu Trillfingen in der Gemeinde<br />
selbst, wie in der Umgebung, ebenso wie der St.-<br />
Wendelinstag, ein fester Begriff ist, daß die tragenden Kräfte<br />
verdienstvoll bemüht sind, dieses Erbe einer glaubensgroßen<br />
Zeit auch kommenden Generationen zu überliefern zum<br />
Nutz und Frommen der Bauern, ihrer Felder und Viehherden.<br />
Sie sind in dieser bäuerlichen Landschaft ein fester<br />
Bestandteil, sie gehören hinein wie der Baum oder der<br />
Strauch, und sie runden so eindrucksvoll jenes Bild ab, das<br />
sich hier von diesem Bauernheiligen der St.-Wendelins-Kspelle<br />
zu Trillfingen auch in so überwältigender Schönheit<br />
und Erhabenheit erschließt.