Ausgabe 1960 - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
Ausgabe 1960 - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
Ausgabe 1960 - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Jahrgang <strong>1960</strong> H O H E N Z O L L, E R I S C H E HEIMAT 33<br />
Das Leben zwingt uns aber auch seinen Ernst auf, denn<br />
auch das Sterben gehört mithin dazu und ist etwas Unumgängliches<br />
:<br />
„So also leit ma ond verlöscht,<br />
koi Mensch ka' Hilf maih bringa.<br />
Ma' moit, ma' müeßt im letschta Jäscht<br />
ällz nomal hear verzwinga."<br />
Eine andere Feststellung darüber lautet:<br />
„Wear stearba mueß ischt maischt it gricht<br />
ond descht grad 's dtlmmscht bei deara Gschicht.<br />
Genau so, wia's bei deam wo gricht ischt<br />
ond It stirbt überhaupt koi Geschieht ischt!<br />
Interessehalber soll jedoch hierauf gesagt sein, daß es auch<br />
eine Zusammenfassung von Gedichten gibt, deren Titel<br />
„Mädle" lautet. Sie enthält sogar Gerns größte Mundartdichtung:<br />
„Die Geschieht um eis Zwoi". Eine nicht weniger<br />
als etwa 3000 Zeilen umfassende Fabel, hinter der die Lebens-<br />
und Liebesgeschichte zweier Liebender steht. Nur<br />
zwei Auszüge:<br />
„Denn grad drum ischt doch eisa Leaba<br />
faschtgar an Kreizweag, weil mr eaba<br />
halt zemahaltet ond it deand,<br />
was all dia guate Bäsa weand<br />
ond all dia buzerbaisa Vetter<br />
mit ihrem Geschealt ond ihrem Gschetter<br />
ond ihrem Dausetsappermaa. —<br />
Bloß, weil dr Herr beim Sachvergeah<br />
's Bue's Vatter häb maih Batza gschenkt<br />
ond meim a Armetei s'ghenkt."<br />
Es müßten nun auch noch die anderen großen Mundartgedichte<br />
Gerns, wie „Muetter" - „Früeher" - „Dorfbildle" -<br />
„Schö wärs schao" - „Altbacha, aber echt" und andere mehr<br />
angeführt werden, um das Ausmaß von Gerns dichterischem<br />
Schaffen auf dem Gebiete der Mundart ins rechte Licht zu<br />
rücken. ''<br />
Auch müssen wir seine einfachen Heimatlieder, seine<br />
witzigen Couplets und vor allem sein vielen bodenständigen<br />
Schnadahüpfl erwähnen, um dieses Bild zu vervollständigen.<br />
Hier kommt der Satiriker, der schalkhafte Beobachter des<br />
Alltäglichen und somit oft auch des Allzumenschlichen zu<br />
Wort. Der Mensch, der hinter die Kulissen sieht, der die<br />
Dinge an sich herankommen läßt, um ihnen auf humorvolle<br />
und manchmal sogar besinnliche Art die heiterste Seite abzugewinnen.<br />
In seine Arbeit „Altbacha, aber echt", bringt Gern zusammenfassend<br />
das zum Ausdruck, was er in allen seinen<br />
Gedichten vorzugsweise zu verwirklichen sucht: die Anwendung<br />
unserer noch unverfälschten alten Mundart, mit vielen<br />
Ausdrücken und überlieferten Begriffen, die bereits verlorengegangen,<br />
oder aber im Schwinden sind. Viele Worte,<br />
wie „feand" (voriges Jahr), „hinerscht" (gestern abend), „bäareg"<br />
(vorhin), der Jugend bereits fremd, weisen noch ihre<br />
ungeschmälerte Daseinsberechtigung auf. Echte Mundart<br />
muß immer lokal bedingt und ohne jedes Zugeständnis an<br />
das Allgemeinverständliche auf das Herkömmliche bedacht<br />
sein. Aus dieser Art nur ein Beispiel:<br />
Am 28. Mai dieses Jahres sind es 100 Jahre, seitdem im<br />
Namen Sr. Majestät des Königs von Preußen mit Zustimmung<br />
der beiden Häuser des Landtages der Monarchie das<br />
„Gesetz betreffend die Ablösung der Reallasten<br />
in den Hohenzollern'sehen Landen"<br />
verkündet wurde. Dieses Gesetz war für die landwirtschaftliche<br />
Entwicklung unserer engeren Heimat von allergrößter<br />
Bedeutung, denn erst hierdurch wurden die Voraussetzungen<br />
geschaffen, auf Grund deren die heimische Landwirtschaft<br />
im Laufe des 19. Jahrhunderts den anerkannt hohen Stand<br />
erreichen konnte.<br />
Zu den Reallasten, d. i. Belastungen eines Grundstückes,<br />
vermöge derer an den Berechtigten wiederkehrende Leistungen<br />
zu entrichten waren, zählte neben den Grundzinsen oder<br />
Gülten vor allem der Zehnte. Es war dies eine Abgabe in<br />
Höhe von einem Zehntel des Ertrags der landwirtschaftlichen<br />
Erzeugung. Der Zehnte war schon in der mosaischen<br />
Gesetzgebung begründet und wurde übernommen, als das<br />
Christentum zur Staatsreligion erklärt worden war. Im fränkischen<br />
Reich erhielt der Zehnte seine gesetzliche Grundlage<br />
auf der Synode von Macon im Jahre 585 und dann<br />
wieder unter Karl dem Großen. Der Zehnte war ursprünglich<br />
Vor 100 Jahren<br />
Ablösung des Zehnten in Hohenzollern<br />
„Tresget, g'aosket, gjapst ond gmaozet,<br />
kneepret, booberet ond knaozet<br />
ond da Mäser ond da Deez<br />
vola Mucka ghet im Meez,<br />
hot ma'; gjaonret, gjaicht ond gjusket,<br />
pforret, pfutteret ond pfusket,<br />
sich vermohnet - geemleg dao<br />
ond da Rambaß füre glao."<br />
Und der Googeler, dr Glunker,<br />
d' Lauskrott ond dr Lumpadunker<br />
haod gschlampamblet ond gschlabutzt,<br />
Luseng kriagt und d' Lataa butzt."<br />
Um einen schönen Abschluß herbei zu führen, jetzt aber<br />
noch das liebreizende Kapitel vom Kind in seinen Kinderliedern.<br />
Sie sind unter dem Titel „Guggusele" zusammengefaßt<br />
und gehören mithin zu Gerns besten Gedichten.<br />
Guggusele<br />
„Guggusele - Guggusele,<br />
schlupf gotteg, gotteg neu,<br />
du Zamsele, du Zusele<br />
ond laß dei zaabla sei'!<br />
Mach zua dia liaba Lädele,<br />
dia Aeugle gar so blo!"<br />
saits Müetterle zum Mädele<br />
ond laits anander no.<br />
Und bettet 's Dockabäbele<br />
no weng drneabet na<br />
ond sait: „Jetzt heltscht dei Schnäbele,<br />
weils suscht it schlofa ka."<br />
Du Liabs, du Butziwackele,<br />
ond geischt mur no an Schmatz,<br />
no kriagscht du moan a Gaggele<br />
ond bischt du s' Mammes Schatz!"<br />
Drauf beattet se a bissele<br />
no etlich Mäule vool<br />
ond druckts gar nei e's Kissele:<br />
„Schlof wohl, du Liabs, schlof wohl!"<br />
Ii gendwie drängt sich bei Einsichtnahme in Gerns Mundartdichtung<br />
die Ueberzeugung auf, daß hier ein ganz Eigener<br />
unbekümmert seine eigenen Wege ging. Daß hier ein<br />
Naturtalent am Werk ist, getrieben von der Liebe zu der<br />
Heimat, immer wieder gepackt von ihrer Eigenart und<br />
Schönheit, und aus dieser Begeisterung heraus ganz ihrem<br />
Erlebnis verschrieben, das ist auch das, was gepaart mit<br />
einem guten handwerklichen Können und mit der Strenge<br />
seiner Anschauung über unsere Mundart als überliefertes<br />
Sprachgut, alles Unechte ausschaltet und zu diesen natürlich<br />
gewachsenen reizvollen Versen führt. Mag bei Gern als<br />
Außenseiter auch ein Schuß Eigenbrötelei dabei sein, sie ist<br />
mit ein Beweis für das Unmittelbare von Gerns Gestaltungskraft<br />
und so mithin auch ein wesentlicher Faktor seiner<br />
Originalität. „Auch sind die Arbeiten Gerns in ihrer Gesamtheit<br />
nicht nur die Gelegenheitsprodukte eines von seinen<br />
Stimmungen und Gefühlen Ueberwältigten, sondern das<br />
zielbewußte verpflichtende Lebenswerk eines zum Dichter<br />
Berufenen", dem man noch viele Jahre erfolgreichen Schaffens<br />
wünschen darf.<br />
eine Abgabe an die Kirche bzw. Pfarrei zur Bestreitung des<br />
Unterhalts der Geistlichen, der Kultausgaben und der Baulasten.<br />
Im Laufe der Jahrhunderte gelangte der Zehnte durch<br />
Kauf, Schenkung, Verpfändung oder auf irgendwelchen anderen<br />
Wegen sehr häufig in weltliche Hände. Er wurde so<br />
zum Laienzehnten und seit der Reformation in protestantischen<br />
Ortschaften zur Staatsabgabe. Daß übrigens die Reichung<br />
des Zehnten im Bewußtsein der Bauern bis in die<br />
Neuzeit herein als eine gerechte Sache galt, muß daraus<br />
geschlossen werden, daß nicht einmal die 12 Artikel der<br />
Bauernschaft im Bauernkrieg des Jahres 1525 daran zu rütteln<br />
wagten.<br />
Zum Großzehnten gehörten die Hauptfrüchte Dinkel,<br />
Roggen, Gerste und Hafer, während Erbsen, Linsen, Rüben,<br />
Kraut, sowie Hanf und Flachs zum Kleinzehnten<br />
zählten. Von Weingärten wurde einstens der Weinzehnt<br />
erhoben und von jungen Tieren bis zu den Bienen, da und<br />
dort, der Blutzehnt. Wurde neues Ackerfeld angelegt,<br />
also eine Oedung, Weide oder Wiese umgebrochen, so war<br />
der Neubruchzehnt oder Novalzehnt (novus =<br />
neu) zu entrichten. Welche Zehnten in den einzelnen Gemeinden<br />
unserer Heimat erhoben wurden und wer die Zehnt-