Ausgabe 1960 - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
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Jahrgang <strong>1960</strong> HÖHENZOLL ERISCHE HEIMAT 27<br />
Die Passion des Herrn in den Kunstwerken des Bezirks Haigerloch<br />
Haigerloch. Unschätzbar ist die kulturelle und<br />
religiöse Bedeutung vieler alter Wallfahrtsorte<br />
und Kunstdenkmäler unserer hohenzollerischen<br />
Heimat. Wenn sie auch nie ein Kulturzentrum<br />
mit weit ausstrahlender Wirkung war, so besitzt<br />
sie doch Kunstwerke aus fast allen Bauepochen<br />
der Geschichte. Unsere engere Heimat ist von<br />
diesen alten Zeugen einer glaubensgroßen Vergangenheit<br />
besonders gesegnet, und die Kunstwerke<br />
im Raum Haigerloch sind vor allem von<br />
den reifen Formen der Gotik und des Barock bestimmt.<br />
Die gegenwärtige stille Zeit möge uns<br />
Anlaß geben für einen Rundblick zu diesen<br />
Kunststätten, die das Volk seit Jahrhunderten<br />
schätzt und verehrt und die es wert sind, auch in<br />
unserer Zeit wieder mehr in den Gesichtskreis<br />
gerückt zu werden.<br />
Dies scheint umso notwendiger, weil wir in unserer so<br />
ruhelos bewegten Welt und vor lauter Augenblicksinteressen<br />
vielfach achtlos und ohne Ehrfurcht an ihnen vorübergehen,<br />
uns dieser Werte nicht immer bewußt sind und die jahrhundert<br />
alte segensreiche Verbindung zu ihnen immer mehr<br />
lösen. Dabei wissen wir aus alten Funden und Schriften,<br />
welche Bedeutung schon vor Jahrhunderten der Karwoche<br />
im Ablauf des Jahres auch außerhalb der kirchlichen Gottesdienste<br />
zugemessen wurde. Die Leidensgeschichte des Welterlösers<br />
hat in ihrem ganzen Ablauf vom letzten Abendmahl<br />
bis zum Kreuzestod und der Grablegung das Schaffen<br />
und Wirken der Künstler aller Bauepochen inszeniert, und<br />
die Erinnerung an das Heilsgeschehen fand in vielen Bräuchen,<br />
Bildern, Plastiken und anderen Formen seinen Niederschlag.<br />
Hierbei haben es vor allem die Künstler der Gotik zu großer<br />
Meisterschaft gebracht. Das Wirken der Bettelorden und<br />
die glühende Gottessuche der Mystiker bereiteten damals den<br />
Boden zu einer realistischen Kunst. Aus ihren Predigten und<br />
Legendensammlungen entstanden neue Bildinhalte. Die gotische<br />
Plastik stellt den Gekreuzigten in aller Furchtbarkeit<br />
des Martertodes dar. Auf dem Antlitz Christi liegen Pein<br />
und Not. Die Gotik will den Menschen am Leiden teilnehmen<br />
lassen und die Größe des Erlösungswerkes in seinem ganzen<br />
Ausmaß darstellen. In dieses Stilempfinden gehört auch die<br />
gotische Pietä. Sie ist eine Komposition gramerfüllter Klage<br />
und Trauer. Die Künstler warer. fähig, starke Gefühlskraft<br />
in ihre Werke zu legen. Sie wurde vom Volke erwidert, das<br />
Mater Dolorosa - Schloßkirche Haigerloch Foto Weber<br />
von Jo?ef Schneider<br />
Triumpfkreuz in der Schloßkirche Haigerloch<br />
Foto Marburg<br />
diese Bildwerke aufnahm und verehrte. Daher auch die Vielzahl<br />
dieser Bilder auf Grab- und Kriegerdenkmälern und<br />
Bildstöcken.<br />
In unserer Heimat nehmen eine ganze Anzahl bedeutender<br />
gotischer Kunstwerke auf die Leidensgeschichte Bezug. In Haiderloch,<br />
dem kunstreichen Mittelpunkt Hohenzollerns, ist eine<br />
Reihe ergreifender Bildwerke, die seit Jahrhunderten vom<br />
gläubigen Volk verehrt werden und durch die glücklich durchgeführten<br />
Renovationsarbeiten wieder zu neuen Ehren kamen.<br />
Hoch über dem Chorgitter der Schloßkirche mit seiner ornamentalen<br />
Klarheit schwebt das monumentale Triumpfkreuz,<br />
gleichsam den Sieg des Kreuzes über Nacht und<br />
Tod verkündend. Dieses Kreuz stammt aus dem 15. Jahrhundert.<br />
Zu seinen Füßen steht das ergreifende Bildnis der<br />
Mater Dolorosa, die 1755 von dem begabten Haigerlocher<br />
Bildhauer Weckenmann geschaffen wurde Dieses Bildnis<br />
mit seiner eindringlichen Aussage und Empfindsamkeit<br />
ist die einzige Darstellung dieser Art der schmerzhaften<br />
Mutter Gottes im Bezirk Haigerloch. Nur liebevolle Versenkung<br />
in die Seelengröße Mariens konnte die Idee eines<br />
solchen Bildes schaffen, nur höchstgesteigerte Anteilnahme<br />
an ihrem Leid die Künstlerhand führen. Jahr für Jahr bildet<br />
dieses Bildnis den Mittelpunkt der großen Wallfahrt am<br />
Schmerzensfreitag. Von bedeutendem Kunstwert ist auch die<br />
aus dem 15. Jahrhundert stammende Pietä in der Unterstadtkirche,<br />
welche nach der Renovation auf dem linken<br />
Seitenaltar einen neuen Ehrenplatz erhielt. Andachtsstimmend<br />
und zur beschaulichen Betrachtung ist auch der neue<br />
Kreuzweg, welcher im vergangenen Jahre beschafft wurde.<br />
Fast wird man auch hier erinnert an das Wort Paul Wilhelm<br />
Kepplers, das dieser einmal für Weggental prägte:<br />
„Der besondere Seelenmagnet dieser Wallfahrtsstätte ist das<br />
Leid der Schmerzensmutter; Leid weckt Leid, Leid lockt Leid<br />
und Leid ruft dem Leid ..." Dies trifft für Haigerlochs Wallfahrtsstätten<br />
in vollem Umfange zu. Ein Blick gilt hier auch<br />
der Kreuzigungsgruppe an der St. Annakirche. Bevor man<br />
Haigerloch verläßt, wird man es auch nicht versäumen, der