Hohenzollertsehe Heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
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zwischen den Bänken erwischt wurden. Seit der Abreise ans<br />
Gymnasium Sigmaringen hatte ich die Brennesseln ganz<br />
vergessen, und so waren die 50 Pfennig eine schöne Ueberraschung.<br />
Es bildete eine nette Summe für uns Buben, zumal<br />
wir gewöhnlich nur 5 bis 10 Pfennig gelegentlich auf den<br />
Namenstag oder Sonntag bekamen, um uns eine Mutschel<br />
oder einen Bärendreck zu kaufen, oder für 10 Pfennig eine<br />
rote Wurst. Waren das Zeiten!<br />
Den Schnee und die prächtige Schlittenbahn haben wir in<br />
den Ferien weidlich ausgenutzt, ich mit meinem Fiedle-<br />
Schlitten oder zusammen mit Seffer auf seinem Zweisitzer.<br />
Rodelschlitten waren ganz unbekannt. Alle abschüssigen<br />
Dorfgassen bildeten hervorragende feste Bahnen für Schlittschuhe<br />
oder Schlitten, für große Holzschlitten oder kleinere<br />
zum Wasserholen am laufenden Brunnen. Die Wasserleitung<br />
war nämlich erst kurz vorher eingebaut worden und Schlitten<br />
noch vorhanden. Auf den großen Schlitten, die zur Holzabfuhr<br />
aus den Wäldern dienten, hatten gut 10 bis 15 Kinder<br />
Platz, und zwei mit Schlittschuhen bewehrte dirigierten die<br />
Deichsel. Es ging prächtig und schnell, natürlich mit viel<br />
Geschrei, das zu einer rechten Gugelfuhr gehört Nur einmal<br />
hat mir ein Neidhammel wegen des Platzes meine unentbehrliche<br />
Kappe heruntergeworfen, sodaß ich abspringen<br />
mußte, um sie zu retten, dabei aber pünktlich auf die Nase<br />
fiel. Die Tränen flössen reichlich, und das Schnupftuch trat<br />
in Tätigkeit, bis der Schlitten zur nächsten Fahrt wieder<br />
oben ankam. Gefahren durch Fuhrwerke oder Autos gab es<br />
kaum. Letztere kamen sowieso nur bei „äberen" (schneefreien)<br />
Wegen, besonders das Dreirädrige des Doktors Lehr<br />
von Burladingen, das wir geradezu ersehnten. Da gab es<br />
nämlich für Waschen und Putzen allerlei „Zickerle" und<br />
süße Brötle. Kurz nach Neujahr setzte Tauwetter ein. Aus<br />
allen Gassen und Rinnen flössen die Bächlein, sodaß sich<br />
unterhalb der Häuser im sog. Kessel unter der Schächerwies<br />
ein nicht tiefer Weiher bildete, der regelmäßig die Jugend<br />
zu gefährlichen Bootsfahrten in Gelten oder der „Metzgermuot"<br />
verleitete, wie an anderer Stelle gesagt wird. Die<br />
unausbleibliche Folge waren nasse Füße und Kleider. Aber<br />
immerhin war es nicht so heimtückisch gewesen wie das<br />
Schleifen oder Schlittschuhlaufen auf der Hilb oder im<br />
Raißle bis 1911.<br />
Das Dorf wimmelte im Krieg von Hamsterern aus<br />
dem Killer- und Fehlatal, die ein Pfündchen Butter oder<br />
Mehl, Milch oder Kartoffeln zu ergattern suchten. Bei einer<br />
Kontrolle durch Soldaten habe ich mit meiner Schwester<br />
einmal vorsorglich einen Sack Mehl kurzfristig in der hinteren<br />
Scheuer vevgraben. Eine Frau flüchtete vor dem<br />
„Schandarm" zu unserer hinteren Tür und durch das stille<br />
Örtchen hinaus und schloß in kluger Vorsicht die Türe. Als<br />
der Verfolger ums Haus und den Brunnen herumsauste, um<br />
sie zu fassen, kam sie schnell wieder, von unserer Mutter<br />
dirigiert, herein und verschwand in der Gasse. Unter einer<br />
Ladung Mist verborgen rollte ein Sack Mehl im gemächlichen<br />
Schritt unserer Ochsen au f den Seeheimerberg hinaus und<br />
wanderte dann vorsichtig die Haide hinab nach Jungingen.<br />
Die Bauern und Müller wußten sich mit den amtlichen Mahlscheinen<br />
zurechtzufinden in Erinnerung an das Bi'oelwort:<br />
„Dem dreschenden bzw. arbeitenden Ochsen sollst Du das<br />
Maul nicht verbinden."<br />
Wieder im Städtchen<br />
Vorsorglich wurden bei der Abreise ins Regierungsstädtchen<br />
auch die Schlittschuhe mitgenommen. Und es hat sich<br />
in den kommenden Jahren reichlich gelohnt. Manchmal war<br />
das ganze Wiesental von Sigmaringen bis Laiz vom Hochwasser<br />
überschwemmt, was bei einsetzender Kälte eine herrliche<br />
große Eisbahn abgab. Jung und alt, Männlein und<br />
Weiblein, tummelten sich dann dort, wo sonst dürftiges Gras<br />
wuchs. Einige „Fachleute" fehlten nicht, die Kunststücke<br />
darboten, was uns Junge mächtig aneiferte, ihnen gleich zu<br />
tun. Auch ich war ein gelehriger Schüler und brachte sogar<br />
einige Fertigkeiten zustande, vorwärts und rückwärts. Einmal<br />
freilich fuhr ich rücklings In eine Gruppe Schüler und<br />
Schülerinnen hinein, so daß alle auf einen Haufen flogen<br />
und ich ganz weich oben drauf. Glücklicherweise passierte<br />
weiter nichts, während ein andermal der Mitschüler Wojahn,<br />
von mir ungewollt angerempelt, hinfiel und den Arm auskugelte.<br />
Doch der vernünftige Vater machte keine große Szene<br />
daraus, als ich mich entschuldigte, trotzdem der Arzt beigezogen<br />
werden mußte. Später sind wir einmal, als es bei<br />
der Stadt kein Eis gab, zum Wusthauer Weiher gen<br />
Krauchenwies zum Schlittschuhlaufen gegangen, haben aber<br />
abends in unserem Eifer den Zug in Josefslust verfehlt, so<br />
daß wir zwei Stunden heimmarschieren mußten. Auch bei<br />
der „Sigmaringer Revolution", als Genosse<br />
Friedrich mit auswärtigen Kumpanen nach Kriegsende<br />
die Druckerei demolierten, den Schriftleiter Stroh mißhan-<br />
HOHENZOLLEB SCHE HEIMAT Jahrgang 1965<br />
delten, protestierend vor das fürstliche Schloß zogen, haben<br />
wir jüngeren Schüler uns währenddessen auf Weisung des<br />
Rektori. Waldner auf dem Eise „verlustiert". Erst abends<br />
erfuhren wir von dem Primaner Brändle und anderen, die<br />
Schloßwache, die vom Heuberg hergerufen worden, sei sofort<br />
zu den Krakeelern übergegangen und habe das am Schloßtor<br />
postierte Maschinengewehr beiseite gesetzt. Der Fürst habe<br />
den Anführer Friedrich und einige andere ins Schloß geladen<br />
und bewirten lassen, während die andern draußen jämmerlich<br />
froren, habe er schließlich eine Millionenstiftung für die<br />
Kriegsopfer gemacht, und dann seien alle friedlich auseinander<br />
gegangen. Allerdings wurde mir nie recht klar, wodurch<br />
der Redakteur der Sigmaringer Zeitung eine solch<br />
brutale Behandlung verdient haben solle. Hat er doch wie<br />
andere Schriftleiter während des Krieges getreulich zum<br />
Zeichnen der Kriegsanleihe aufgefordert, bei jedem Sieg<br />
seine Extrablätter herausgebracht, in denen zu Glockengeläute<br />
und Fahnenhissen aufgerufen wurde. Dabei spielte<br />
sein Sohn als Tertianer insofern eine große Rolle, als er die<br />
Blätter noch druckwarm austrug und mit seiner tiefen<br />
Bärenstimme alle Straßen vollbrüllte: „Sieg, Sieg! Extrablatt!<br />
Fahnen heraus!" Ebenso rätselhaft war das Vorgehen<br />
gegen den beliebten Schloßherrn, der doch so wenig Schuld<br />
an Krieg und Niederlage trug, wie alle andern, der mit der<br />
Fürstin viel Gutes getan an den Verwundeten, für die im<br />
Prinzenbau ein Lazarett errichtet war. Seine Millionenstiftung<br />
war ein neuer Beweis seines Entgegenkommens und<br />
seiner Hilfsbereitschaft in jeder Not. Die beiden Söhne hatten<br />
den Krieg mitgemacht und der Zweitgeborene hatte,<br />
wenn ich nicht irre, noch in englischer Gefangenschaft geschmachtet.<br />
Wenn der Fürst mit seiner dicken Zigarre im<br />
prächtigen Pferdegespann durch die Stadt fuhr — die herrlichen<br />
Rosse seines Marstalls bildeten sowieso die Lieblinge<br />
der ganzen Bevölkerung und der Besucher — oder die Fürstin<br />
Adelgunde durch die Straßen ging, standen wir Schüler<br />
vor Ehrfurcht still und zogen unsere Kappen zum Gruße.<br />
Das Schloß mit seinen Kunstschätzen und der Waffensammlung<br />
hat uns mächtig imponiert, und dankbar spazierten wir<br />
in den vom edlen Fürstenhaus unterhaltenen Anlagen der<br />
Au, des Brenzkofer- oder Mühlberges, oder bei den Grotten<br />
von Inzigkofen und der Teufelsbrücke sowie im Tierpark von<br />
Josefslust. Ein Schreckensschrei erscholl im Fidelishaus, als<br />
einmal einer hereinstürmte und rief: „Die Muttergottes am<br />
Schloß brennt!" Doch war es zum Glück kein Brand, sondern<br />
die elektrischen Glühbirnen, die in den Abend hinausleuchteten,<br />
so daß die Madonna mit dem Kinde selig lächelte.<br />
Auch die Sigmaringer Geschäftswelt hat von der Hofhaltung<br />
nur profitiert. Viele Läden zierte das fürstliche Wappen,<br />
und mit Stolz nannte sich der Inhaber „Hofbuchhändler,<br />
Hofkonditor, Hofapotheker" usw. So war es klar, daß<br />
später der überspannte Regierungpräsident Scberer mit seinem<br />
Verhalten gegen das Fürstenhaus wenig Anklang finden<br />
konnte.<br />
Wenn oben von der Not des Vaterlandes an Gespinstpflanzen<br />
die Rede war, so daß man auch auf den Dörfern<br />
wieder Hanf und Flachs pflanzte und die alten Hanfbrechen<br />
and Spinnräder wieder hervorholte, Mohn- und Leinöl wieder<br />
zu Ehren kam, so darf auch nicht verschwiegen werden,<br />
daß nachher unsere blauen Tertianermützen aus einem<br />
rohen Gewebe bestand, so daß nicht zu entscheiden war, ob<br />
es aus Papierfäden oder sonst einem Notprodukt bestand.<br />
Im Sommer rückten die Klassen des Gymnasiums aus zum<br />
Sammeln von L a u b h e u. Da stellte sich im Antoniustäle<br />
und anderswo heraus, daß die meisten Mitschüler unserer<br />
Klasse aus den Städten nicht einmal eine Buch i von einer<br />
Esche oder Eiche unterscheiden konnten, geschweige von<br />
einer Ahorn, genau so wie vorher im Unterricht bei Papa<br />
Fink viele die Blüte des Huflattichs (bei uns im Dorf „Roßrueben"<br />
genannt) als Löwenzahn angesehen hatten. Einmal<br />
wollte ein Mit-Fidelianer aus einem Städtchen statt Schlehen<br />
dem Rektor Waldner die Giftbeeren des Ligusterstrauchs<br />
sammeln! Allerdings gab es in der Umgebung wenig Schlehen<br />
im Gegensatz zur hohen Alb. Sie geben abgebrüht einen<br />
köstlichen Saft. In diesen Kenntnissen waren wir Buben<br />
vom Lande voraus, und da körperliche Arbeit durch Mithilfe<br />
in der Landwirtschaft eher gewöhnt, lag die Hauptlast des<br />
Laubabstreifens wesentlich auf unseren Schultern. Man hatte<br />
überhaupt den Eindruck, daß eine zweiklassige Dorfschule<br />
mit einiger Nachhilfe durch „Stunden" sicher so gut oder<br />
besser aufs Gymnasium vorbereitete, als eine achtklassige<br />
Stadtschule. Das sollten sich auch die Schulverbesserer von<br />
heute ein wenig überlegen. Man hat nicht so viel am Lehrplan<br />
herumexperimentiert, sondern die nur auf Präparandie<br />
und Lehrerseminar gebildeten Lehrer haben gearbeitet!<br />
Auch sich die nötige Autorität unter Mithilfe der Eltern<br />
zu verschaffen gewußt.