Neurobiologie des Lernens Neue Reiserechnung - alter Hut Was ...

Neurobiologie des Lernens Neue Reiserechnung - alter Hut Was ... Neurobiologie des Lernens Neue Reiserechnung - alter Hut Was ...

06.12.2012 Aufrufe

lernen & lehren 18 halt gegebenenfalls mehrmals erklärt wird. Bildung einer breiten neuronalen Repräsentanzfläche Dass durch intensive Beschäftigung mit Inhalten deren Repräsentanz in unserem Gedächtnis größer und intensiver wird, leuchtet ein. Christine Österreicher weist aber darauf hin, dass ein wichtiger Faktor dazu in den Schulbüchern oft vernachlässigt wird. Es kommt nämlich auch auf die „Mischung“ an: So sollen etwa neue und alte Inhalte immer wieder im Wechsel bearbeitet werden. Sind beispielsweise Sachaufgaben, die eine Multiplikation erfordern, erarbeitet, sollte der nächste Schritt sein, diese Aufgaben mit solchen, die mit einer Addition bzw. Subtraktion zu lösen sind, zu mischen. Damit müssen die Kinder bewusst le- Kontakt Christine Österreicher, M.Sc., M.Ed. office@gala.at www.gala.at Praxis: A-2514 Traiskirchen, Hauptplatz 17/C/1 Telefon: +43-2252-56 333 Zum Weiterlesen sen. Dabei kann auch schon das bloße Anschreiben der Rechnung zielführend sein. In diesem Zusammenhang warnt Christine Österreicher auch davor mit „Schlüsselwörtern“ wie z. B. „mehr“ oder „weniger“ zu arbeiten. Kinder leiten davon oft ohne selbständig zu denken die Rechenart ab. Wenn es aber dann einmal heißt: „Fritz hat 7 Kugeln. Susi 10. Um wie viel hat sie mehr?“… Für eine effiziente Lernstrategie muss weiters berücksichtigt werden, dass komplizierte Sachverhalte immer wieder mit einfachen Beispielen durchgemischt werden sollen. Prozess der Mustererkennung Es ist ziemlich spannend, die Kinder einmal beliebige Wörter „ordnen“ zu lassen. Ordnen diese die Wörter nämlich nach eigenen • Caspary R. (Hg.), Lernen und Gehirn, Herder Verlag • Herrmann U. (Hg.), Neurodidaktik, Beltz • Hüther G., Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen • Neubauer A., Stern E., Lernen macht intelligent, DVA Verlag • Spitzer M., Lernen, Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Spektrum Akademischer Verlag Kriterien, kommen sie selbst verschiedenen Gesetzmäßigkeiten auf die Spur. „Ich wende das auch gerne bei den „if-Sätzen“ an“, erzählt Christine Österreicher. „Die Kinder erhalten den Auftrag, sel- „Prinzipien werden behalten, auch wenn Einzelheiten vergessen sind.“ ber das Muster herauszufinden, nach dem diese Sätze gebildet werden. Am besten behalten wir, was wir uns selbst erarbeitet und erübt haben!“ Die Neuroplastizität des Gehirns Lernen besteht neurobiologisch betrachtet in der Veränderung der Stärke der synaptischen Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Wir wissen heute, dass das Gehirn ein Leben lang fähig ist, die Struktur der Nervenverbindungen zu verändern und neue Nervenzellen zu bilden. Diese Veränderungen sind abhängig von der Beanspruchung der beteiligten Zentren. Eine bemerkenswerte Studie machte man mit Londoner Taxifahrern: Je länger jemand in London Taxi fährt, desto größer ist der vordere Bereich des Hippocampus - die Hirnregion, welche für das Abspeichern von räumlichen Erinnerungen verantwortlich ist. Bei unbekanntem Neuen greift das Gehirn auf bekannte Regeln und Strukturen zurück: Ein Beispiel, das der Gehirnforscher Manfred Spitzer nennt, ist die Grammatikregel, dass Verben mit –ieren im Partizip perfekt nicht mit ge- gebeugt werden. Die meisten ken-

neurobiologie des lernens nen diese Regel nicht, können sie aber im Satz anwenden: „Heute morgen habe ich mir die Haare geschnitten und mich rasiert – nicht gerasiert“. Bei einem Spiel, einen Satz in der Vergangenheitsform zu sagen, wenden wir diese Regel auch bei erfundenen Verben richtig an. Z.B. Phantasiewort „patieren“: „Die Schlümpfe saßen gestern zusammen und haben „patiert“ und gegessen“. Kinder mit 5 (!) Jahren können mit diesen Regeln arbeiten. Wurden komplizierte Sachverhalte wie etwa Kurvendarstellungen einmal erarbeitet, so wird die Abbildung, selbst wenn die Differentialrechnung nicht mehr gekonnt wird, verstanden. Daraus folgt, dass Prinzipien behalten werden, auch wenn Einzelheiten wieder vergessen sind. Verstehensprozesse und Arbeitsgedächtnis Der in früheren Modellen als „Kurzzeitgedächtnis“ bezeichnete Gedächtnisbereich wird heute aufgrund seiner Bedeutung im Zusammenhang mit der Lösung komplexer Aufgaben vielfach „Arbeitsgedächtnis“ genannt. Das Arbeitsgedächtnis ermöglicht uns, mehrere Informationen vorübergehend zu merken und zueinander in Beziehung zu setzen oder zu verändern, um geistige Aufgaben durchführen zu können, also das „bewusste Denken“. Jeder Verstehensprozess wird entscheidend von der Kapazität dieses Arbeitsgedächtnisses beeinflusst. Für Denkprozesse braucht man freie Kapazitäten. Christine Österreicher, Trägerin des Förderpreises 2007 der PA Wien für die wissenschaftliche Abschlussarbeit „Rechnen und Arbeitsgedächtnis – Eine Studie zur Korrelation der mathematischen Fertigkeiten mit Gedächtnisleistungen des Arbeitsgedächtnisses“ erklärt dies an einem ganz einfachen Beispiel: Die Rechnung 7 • 8 + 61 = ? kann ungleich schneller gelöst werden, wenn ein Kind die Malreihen automatisiert und somit in einem anderen Bereich des Gedächtnisses abgespeichert hat. Automatisiertes Wissen entlastet das Arbeitsgedächtnis bei der Bewältigung schwierigerer und komplexerer Aufgaben! Zustandsmanagement und Emotionen Emotionen spielen beim Lernen eine wichtige Rolle! So erleichtert „Wir lernen am liebsten dort weiter, wo wir schon etwas wissen.“ Angst zwar das rasche Ausführen einfacher Routinen, sie erschwert aber das lockere Assoziieren und führt zu Problemlösungsunfähigkeit. Flexibles Umgehen mit Leistungsanforderungen ist im Christine Österreicher Zustand der Angst besonders schwierig. „Kennt zum Beispiel ein Kind die Struktur einer Leistungsüberprüfung nicht, hat es wesentlich schlechtere Voraussetzungen“ spricht sich Christine Österreicher für Probeschularbeiten und Probetests aus. Die Art der Fragestellung, man denke an Multiple Choice Tests usw., muss für alle Kinder transparent und bekannt sein. „Wenn ein erster Test in einem Gegenstand negativ ausfällt, ist das ganze Fach vom Zustandsmanagement des Kindes her belastet“, appelliert die Lerntrainerin an uns Lehrer/innen Erfolgserlebnisse für jedes Kind zu kreieren. Die Gehirnforschung zeigt, dass die Stärke des positiven emotionalen Zustandes positiv mit der Gedächtnisleistung korreliert. „Wir lernen dort leicht, wo wir schon etwas können, wir lernen am liebsten dort weiter, wo wir schon etwas wissen!“ „Wenn man weiß, wie der Mensch lernt, kann man es im Unterricht bewusst einsetzen, es ermöglicht uns die geplante, zielgerichtete Steuerung von erfolgreichen Lernprozessen im Unterricht. Denn“, sagt Christine Österreicher „es fängt an, bevor es beginnt!“ lernen & lehren nö.lehrerstimme 1/2010 19

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halt gegebenenfalls mehrmals<br />

erklärt wird.<br />

Bildung einer breiten neuronalen<br />

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Dass durch intensive Beschäftigung<br />

mit Inhalten deren Repräsentanz<br />

in unserem Gedächtnis<br />

größer und intensiver wird, leuchtet<br />

ein. Christine Österreicher weist<br />

aber darauf hin, dass ein wichtiger<br />

Faktor dazu in den Schulbüchern<br />

oft vernachlässigt wird. Es kommt<br />

nämlich auch auf die „Mischung“<br />

an: So sollen etwa neue und alte<br />

Inhalte immer wieder im Wechsel<br />

bearbeitet werden.<br />

Sind beispielsweise Sachaufgaben,<br />

die eine Multiplikation<br />

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mit solchen, die mit einer<br />

Addition bzw. Subtraktion zu<br />

lösen sind, zu mischen. Damit<br />

müssen die Kinder bewusst le-<br />

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Christine Österreicher, M.Sc., M.Ed.<br />

office@gala.at www.gala.at<br />

Praxis: A-2514 Traiskirchen, Hauptplatz 17/C/1<br />

Telefon: +43-2252-56 333<br />

Zum Weiterlesen<br />

sen. Dabei kann auch schon das<br />

bloße Anschreiben der Rechnung<br />

zielführend sein.<br />

In diesem Zusammenhang warnt<br />

Christine Österreicher auch davor<br />

mit „Schlüsselwörtern“ wie z. B.<br />

„mehr“ oder „weniger“ zu arbeiten.<br />

Kinder leiten davon oft ohne<br />

selbständig zu denken die Rechenart<br />

ab. Wenn es aber dann einmal<br />

heißt: „Fritz hat 7 Kugeln. Susi 10.<br />

Um wie viel hat sie mehr?“…<br />

Für eine effiziente Lernstrategie<br />

muss weiters berücksichtigt werden,<br />

dass komplizierte Sachverhalte<br />

immer wieder mit einfachen<br />

Beispielen durchgemischt werden<br />

sollen.<br />

Prozess der Mustererkennung<br />

Es ist ziemlich spannend, die<br />

Kinder einmal beliebige Wörter<br />

„ordnen“ zu lassen. Ordnen diese<br />

die Wörter nämlich nach eigenen<br />

• Caspary R. (Hg.), Lernen und Gehirn, Herder Verlag<br />

• Herrmann U. (Hg.), Neurodidaktik, Beltz<br />

• Hüther G., Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn,<br />

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen<br />

• Neubauer A., Stern E., Lernen macht intelligent, DVA Verlag<br />

• Spitzer M., Lernen, Gehirnforschung und die Schule <strong>des</strong><br />

Lebens, Spektrum Akademischer Verlag<br />

Kriterien, kommen sie selbst verschiedenen<br />

Gesetzmäßigkeiten<br />

auf die Spur. „Ich wende das auch<br />

gerne bei den „if-Sätzen“ an“, erzählt<br />

Christine Österreicher. „Die<br />

Kinder erhalten den Auftrag, sel-<br />

„Prinzipien werden<br />

behalten, auch<br />

wenn Einzelheiten<br />

vergessen sind.“<br />

ber das Muster herauszufinden,<br />

nach dem diese Sätze gebildet<br />

werden. Am besten behalten wir,<br />

was wir uns selbst erarbeitet und<br />

erübt haben!“<br />

Die Neuroplastizität<br />

<strong>des</strong> Gehirns<br />

Lernen besteht neurobiologisch<br />

betrachtet in der Veränderung<br />

der Stärke der synaptischen<br />

Verbindungen zwischen<br />

den Nervenzellen.<br />

Wir wissen heute, dass das Gehirn<br />

ein Leben lang fähig ist, die Struktur<br />

der Nervenverbindungen zu<br />

verändern und neue Nervenzellen<br />

zu bilden. Diese Veränderungen<br />

sind abhängig von der Beanspruchung<br />

der beteiligten Zentren. Eine<br />

bemerkenswerte Studie machte<br />

man mit Londoner Taxifahrern:<br />

Je länger jemand in London Taxi<br />

fährt, <strong>des</strong>to größer ist der vordere<br />

Bereich <strong>des</strong> Hippocampus - die<br />

Hirnregion, welche für das Abspeichern<br />

von räumlichen Erinnerungen<br />

verantwortlich ist.<br />

Bei unbekanntem <strong>Neue</strong>n greift das<br />

Gehirn auf bekannte Regeln und<br />

Strukturen zurück: Ein Beispiel,<br />

das der Gehirnforscher Manfred<br />

Spitzer nennt, ist die Grammatikregel,<br />

dass Verben mit –ieren im<br />

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werden. Die meisten ken-

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