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Fight Back 04 (Mai 2009) - Nazis auf die Pelle rücken

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fight.back Nr.4 - <strong>2009</strong><br />

Die Antifas Sophie und Thomas über ihre Arbeit.<br />

„Erfolgsversprechend ist ein Zusammenspiel von Aufklärung und direktem Widerstand“<br />

Wann habt ihr euch zu antifaschistischer Arbeit entschlossen?<br />

Sophie: Wir sind in der gleichen Gegend <strong>auf</strong>gewachsen und haben <strong>die</strong>selbe<br />

Schule besucht. Unser Bezirk war noch nie besonders subkulturell geprägt<br />

und als wir älter wurden, stießen wir schnell <strong>auf</strong> neonazistische Umtriebe.<br />

Auf unserem Schulweg häuften sich Sticker mit neonazistischen<br />

Slogans und auch in den Klassen hatten wir Probleme. Einige MitschülerInnen<br />

machten Witze über MigrantInnen und alternativ aussehende<br />

Jugendliche oder fingen an, andere SchülerInnen zu belästigen. Das ging<br />

so weit, dass ein paar von uns nach der Schule abgefangen wurden und<br />

der Stress dort weiter ging. Es hatte mittlerweile unsere Freiheit merklich<br />

eingeschränkt und niemand außer uns schien sich dafür zu interessieren.<br />

Weder von unseren Eltern noch von der Schulleitung bekamen wir Unterstützung,<br />

im Gegenteil: Die Vorfälle wurden als normales Kräftemessen<br />

unter Jugendlichen abgetan.<br />

Thomas: Es ging bisweilen soweit, dass wir Angst haben mussten nachts<br />

allein raus zu gehen, da <strong>die</strong> Konfrontation mit Neonazis unumgänglich<br />

geworden war. Spätestens ab dem Zeitpunkt wurde deutlich, dass wir<br />

etwas ändern müssen. Der Gedanke kam uns zuerst aus Gründen des<br />

Selbstschutzes, später wurde uns klar, dass es nicht nur in unserem Kiez<br />

passiert, sondern dass überall in Deutschland Menschen <strong>die</strong> nicht in das<br />

rechte Weltbild passen, täglich beleidigt, drangsaliert, zusammengeschlagen<br />

oder sogar ermordet werden.<br />

Was habt ihr gemacht um <strong>die</strong> Situation zu ändern?<br />

Thomas: Wir haben zuerst mit FreundInnen geredet,<br />

<strong>die</strong> in einer ähnlichen Situationen waren wie wir,<br />

und uns zusammengeschlossen, um verschiedene<br />

Aktionen zu planen. Denn allein konnten wir nicht viel<br />

ausrichten. Wir fingen im Kleinen an, zum Beispiel mit<br />

dem Überkleben oder Abreißen von rechter Propaganda,<br />

seien es Wahlplakate oder Aufkleber aus dem Kameradschaftsspektrum.<br />

Dadurch reduzierten wir zumindest ein<br />

bisschen <strong>die</strong> Präsenz der Neonazis. Auch wurde es notwendig, unseren<br />

Freundeskreis dahingehend zu organisieren, dass wir unsere Schul- und<br />

Heimwege gemeinsam gingen und auch so etwas wie eine Notfalltelefonkette<br />

einrichteten. Dadurch trauten sich <strong>die</strong> Neonazis oft nicht mehr an<br />

uns heran. Und wenn doch, konnten wir ihnen zumindest hin und wieder<br />

deutlich machen: „Mit uns läuft das nicht!“.<br />

Sophie: Nebenbei haben wir eine Projektwoche organisiert, wo wir <strong>die</strong><br />

SchülerInnen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Situation <strong>auf</strong>merksam gemacht haben, <strong>die</strong> an<br />

unserer Schule, aber auch in unserem Bezirk vorherrscht. Wir wussten<br />

zuerst nicht ganz genau wie wir <strong>die</strong> Projektwoche gestalten sollten und<br />

haben dann nach einigem Suchen Hilfe und Informationen aus linken<br />

Infoläden und von antifaschistischen Gruppen bekommen. Das war unser<br />

erster Kontakt mit organisierten AktivistenInnen und neben den Tipps, <strong>die</strong><br />

wir bekommen haben, hat es uns bestärkt zu sehen, dass es noch mehr<br />

Menschen gibt, <strong>die</strong> sich alltäglich um einen nazifreien Kiez bemühen.<br />

Wie ging es dann für euch weiter? Welche Ideen habt Ihr entwickelt?<br />

Setzte sich <strong>die</strong> Organisierung – also das gemeinsame Handeln – fort?<br />

Thomas: Nach dem positiven Feedback, das wir bekommen haben,<br />

wollten wir es nicht bei der Projektwoche belassen. Denn auch wenn wir<br />

ein paar MitschülerInnen sensibilisieren konnten, waren <strong>die</strong> Probleme<br />

nicht aus der Welt. Für uns hatte es sich sogar zugespitzt. Wir waren<br />

nun vermehrt das Ziel von neonazistischen Attacken. Um <strong>die</strong> Situation<br />

grundlegend ändern zu können, mussten wir uns organisieren und so <strong>die</strong><br />

vorhanden Kapazitäten und das Wissen nutzen, um effektiver handeln zu<br />

können. Durch <strong>die</strong> Recherche, <strong>die</strong> wir für <strong>die</strong> Projektwoche betrieben haben,<br />

sind wir im Internet <strong>auf</strong> unterschiedliche Gruppen, Parteien, Vereine<br />

und Verbände auch aus dem zivilgesellschaftlichem Spektrum gestoßen.<br />

Ich wollte unbedingt das Konzept der Projektwoche weiterentwickeln und<br />

Schulen eine Möglichkeit geben, leichter an Materialien gegen Rechtsextremismus<br />

zu kommen. Auch fand ich es wichtig eine breite Basis vor Ort<br />

zu haben, das hieß, dass <strong>die</strong> Geschäftstreibenden und AnwohnerInnen<br />

aktiv in das antifaschistische Handeln miteinbezogen werden mussten,<br />

um eine Sensibilisierung zu erreichen.<br />

Das sieht in der Praxis so aus, dass sich z. B. offene Bürgerinitiativen, <strong>die</strong><br />

es auch schon in manchen Gegenden gibt, gründen und sich gemeinsam<br />

überlegen, was man im Alltag gegen Neonazis machen kann. Das können<br />

<strong>die</strong> Kennzeichnung von Schutzräumen, also Geschäfte oder andere Orte,<br />

<strong>die</strong> Opfern von rechten Übergriffen Schutz bieten, oder <strong>die</strong> Organisierung<br />

von Infoständen sein.<br />

Sophie: Ich habe mich danach schnell mit anderen zusammengeschlossen<br />

und aktiv in der autonomen antifaschistischen Szene gearbeitet.<br />

Bei mir stand an erster Stelle direkt etwas gegen <strong>die</strong> Neonazistrukturen<br />

zu unternehmen. Das sollte <strong>auf</strong> unterschiedlichen Ebenen l<strong>auf</strong>en und<br />

beinhaltete eben auch Aktionsformen, <strong>die</strong> in einer Bürgerini in der Regel<br />

schlechter umzusetzen sind. Dazu zählte Aufklärungsarbeit ebenso wie<br />

handfester Widerstand. Wir haben uns dabei am Konzept des antifaschistischen<br />

Selbstschutzes orientiert. Es war klar, dass es nicht mehr<br />

hinzunehmen ist, wenn Neonazis über Gewalt ein Klima der Angst<br />

erzeugen. Dem Einhalt zu gebieten, stand für uns an vorderster Stelle. Sie<br />

sollten spüren, wie es ist, sich zu keinem Zeitpunkt mehr sicher zu fühlen.<br />

Wir begannen, an den relevanten Abenden unsere Freunde<br />

zu mobilisieren und jenen Neonazis, <strong>die</strong> uns in der Ver-<br />

„Die Neonazis<br />

gezielt <strong>auf</strong>zusuchen und<br />

mittels Präsenz oder direkter<br />

körperlicher Konfrontation das<br />

Rumlungern an jenen Orten<br />

gangenheit <strong>auf</strong> unseren Heimwegen, am S-Bahnhof,<br />

etc. belästigt oder gar angegriffen hatten, gezielt<br />

<strong>auf</strong>zusuchen und mittels Präsenz oder direkter<br />

körperlicher Konfrontation das Rumlungern an jenen<br />

Orten madig zu machen. Dies führte erstaunlich<br />

schnell zu einem Rückzug der Neonazis und zu<br />

mehr Sicherheit für so manchen von uns. Das war<br />

eine wichtige Erfahrung für uns. Aber es hat auch weit<br />

über unseren Freundeskreis hinaus Leute ermutigt, den<br />

Mund <strong>auf</strong>zumachen und sich zu wehren.<br />

Grundlegend wichtig für <strong>die</strong> konkrete antifaschistische Arbeit - das möchte<br />

ich an <strong>die</strong>ser Stelle nochmal betonen - ist das Wissen über neonazistische<br />

Organisationen, aktive Personen, ihr Umfeld, ihre Treffpunkte, ihre Arbeitsweisen<br />

und ihre Ideologie, sprich eine gewissenhafte Recherche, wie sie<br />

<strong>die</strong>se Zeitung hier oder eine Recherchegruppe macht. Das hieß und heißt<br />

für uns immer auch, dass wir Beobachtungen jeglicher rechten Aktivität,<br />

sei es irgendwo <strong>auf</strong> der Straße, im Klub oder im Internet, an <strong>die</strong> entsprechende<br />

regionale Antifa melden. Umgekehrt haben wir schon so manchen<br />

„heißen Tipp“ von AnwohnerInnen oder anderen Antifas erhalten.<br />

Natürlich ist es auch notwendig, im Kiez mit den gewonnenen Erkenntnissen<br />

regelmäßig über extrem rechte Strukturen zu informieren und<br />

öffentlich zu machen. Gerade in einer Zeit, in welcher <strong>die</strong> Neonazis ihr<br />

Auftreten verändern und nicht mehr <strong>auf</strong> den ersten Blick als solche zu<br />

erkennen sind, da sie auch Piercings, un<strong>auf</strong>fällige, modische Klamotten<br />

wie der Marke Thor Steinar tragen. Damit können sie sich viel un<strong>auf</strong>fälliger<br />

bewegen und den meisten fällt gar nicht mehr <strong>auf</strong>, wenn ein Neonazi<br />

neben ihnen im Supermarkt steht oder in einer alternativen Kneipe sitzt.<br />

Wir wollten aber genau das ändern. Die Neonazis müssen aus der sicheren<br />

Anonymität gerissen werden, um ihnen dadurch jegliche Bewegungsfreiheit<br />

und eine soziale Integration zu nehmen. Die Vergangenheit zeigt,<br />

dass ein aktiver Neonazi sich nicht selten von seinen Aktivitäten zurück<br />

zieht, wenn er nach einem ‚Outing‘ durch Antifas um seine Arbeit, seine<br />

Freundschaften oder sein Auto fürchten muss.<br />

Darüber hinaus ist es wichtig, dass eine alternative Kultur gepflegt wird,<br />

zu der Infoveranstaltungen, aber auch subkulturelle Angebote wie linke<br />

Partys oder antifaschistische Konzerte, gehören. Diese bietet Jugendlichen<br />

einen Platz jenseits des kommerziellen Angebots, wo sie sich bilden<br />

und kreativ entfalten können. Trotzdem arbeiten wir in manchen Berei-<br />

madig zu machen.“<br />

I n t e r v i e w 73

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