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Fight Back 04 (Mai 2009) - Nazis auf die Pelle rücken

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„Anti-Antifa“ in Neukölln aktiv<br />

nung. Die Stände waren jedoch durchweg von kurzer Dauer und fanden<br />

wenig Anklang.<br />

Der Norden Neuköllns<br />

In Nord-Neukölln sind bislang keine etablierten Neonazi-Strukturen<br />

erkennbar. Die einzige rechte Veranstaltung mit einer mehrjährigen<br />

Kontinuität ist das alljährliche Gedenken für Soldaten der Wehrmacht und<br />

deutsche Kolonialtruppen <strong>auf</strong> dem Garnisonsfriedhof am Columbiadamm<br />

zum sogenannten Volkstrauertag. Nachdem sich in früheren Jahren<br />

neben einzelnen Mitgliedern von NPD und DVU vor allem Burschenschaften<br />

und Soldatenverbände an der Veranstaltung beteiligten, führten<br />

antifaschistische Proteste und das Ticken der biologischen Uhr zuletzt zu<br />

stetig sinkenden TeilnehmerInnenzahlen. Es bleibt zu hoffen, dass sich<br />

<strong>die</strong>ser Trend fortsetzt.<br />

Neonazistische Aufkleber, Plakate und Sprühereien fanden sich in Nord-<br />

Neukölln zumeist im Wohnumfeld von Mitgliedern der NPD (Marian Hacke,<br />

Jan Sturm) bzw. in der Nähe von Wohnungen einzelner Neonazis, welche<br />

in geringerem Maß organisatorisch eingebunden sind, wie z.B. Oliver<br />

Mätzig. Neben Propagandatätigkeiten kam es allerdings auch<br />

immer wieder zu rassistischen Gewalttaten, <strong>die</strong> Opfer<br />

waren zumeist MigrantInnen oder alternative<br />

Jugendliche. Im Unterschied zu Süd-Neukölln<br />

waren <strong>die</strong> Täter in vielen Fällen alkoholisierte<br />

und eher spontan agierende, unorganisierte<br />

Personen bzw. Gruppen. So wurde<br />

am 18. Oktober 2008 ein 8jähriges Kind in<br />

der Weichselstraße von einem betrunkenen<br />

Mann rassistisch beleidigt und bespuckt. In einem<br />

Mietshaus in der Sonnenallee bedrohte Kai Timbers im<br />

August 2008 zwei ebenfalls im Haus wohnende und in Ghana geborene<br />

Männer mit einer Schusswaffe, nachdem er sie zuvor rassistisch beleidigt<br />

hatte. Die Polizei nahm den betrunkenen 38jährigen Täter fest und<br />

fand NPD-Aufkleber sowie eine Reichskriegsfahne in der Wohnung. Im<br />

November 2007 attackierte ein Mann zwei rumänische Jugendliche in der<br />

Schönstedtstraße mit einem Messer, im März 2006 wurde ein Schwarzer<br />

am U-Bahnhof Boddinstraße Opfer eines neonazistischen Angriffs, zwei<br />

Monate später eine Gruppe von Punks am U-Bahnhof Hermannplatz.<br />

Trotz <strong>die</strong>ser teilweise gewalttätigen Aktivitäten kann jedoch das Fazit<br />

gezogen werden, dass es Neuköllner Neonazis bislang nicht gelungen ist,<br />

im Norden des Stadtteils feste Strukturen oder Treffpunkte zu etablieren.<br />

Eine im Stadtteil stärker werdende links-alternative Szene wird perspektivisch<br />

ein zusätzlicher Faktor gegen Versuche sein, an <strong>die</strong>ser Situation<br />

etwas ändern zu wollen. Die bisherigen Aktivitäten der NPD im Norden<br />

Neuköllns waren bislang auch mit einem erfreulich breiten Spektrum an<br />

Widerstand konfrontiert.<br />

Fazit<br />

Aus antifaschistischer Perspektive war in den letzten 2-3 Jahren eine<br />

stetige Verbesserung der Situation in Berlin-Neukölln zu verzeichnen.<br />

Zustand, Charisma und intellektuelles Niveau sowohl der Neuköllner als<br />

auch der Berliner NPD lassen qualitative Sprünge der Partei als äußerst<br />

unwahrscheinlich erscheinen. Daran ändern auch <strong>die</strong> zwei Verordneten<br />

im Bezirksparlament <strong>auf</strong> absehbare Zeit nichts.<br />

Um <strong>die</strong> KameradschafterInnen im Süden Neuköllns ist es nach einer<br />

dynamischen Entwicklung, welche im Jahr 2006 mit einer Vielzahl an<br />

Aktionen und einem entsprechenden Selbstbewusstsein einen Kulminationspunkt<br />

erreicht hatte, deutlich ruhiger geworden. Antifaschistische<br />

Aktionen wie Demonstrationen, Outings, Kiezspaziergänge und direkte<br />

38 N e u k ö l l n<br />

Neuköllner NPDler<br />

1 2 3 4<br />

„...der Kamerad macht ja auch<br />

nichts mehr, weil <strong>die</strong> Antifa alles<br />

über ihn weiß, Fotos veröffentlicht<br />

und Stress macht.“<br />

In der U-Bahn mitgehörtes Gespräch zweier<br />

junger Neuköllner ‚Kameradinnen‘<br />

Angriffe <strong>auf</strong> Neonazis und ihr Eigentum haben den Mythos der „Neonazi-<br />

Homezone“ weitestgehend gebrochen.<br />

Als ein Novum im Süden Neuköllns ist zudem das Entstehen und Heranwachsen<br />

zivilgesellschaftlicher Strukturen zu beobachten, welche mit<br />

Veranstaltungen, Kampagnen und Runden Tischen der Ideologie der<br />

Neonazis entgegentreten. Staatliche Repressionsmaßnahmen und <strong>die</strong><br />

entsprechend zahlreichen Strafverfahren haben als ein weiterer Faktor<br />

eine sichtbare Verunsicherung der lokalen Neonazi-Szene bewirkt. Vor<br />

allem dem Eifer der ‚jüngsten Generation‘ um <strong>die</strong> Division Rudow wurde<br />

durch <strong>die</strong> von Antifas schon länger prognostizierten Knast<strong>auf</strong>enthalte<br />

(nachzulesen im Faltblatt „Informationen zu neonazistischen Aktivitäten<br />

in Neukölln“) ein starker Dämpfer verpasst.<br />

Dass der neu gegründete „Frontbann 24“ in Zukunft eine politische<br />

Relevanz in Neukölln erlangen wird, ist nicht abzusehen. Auch dass <strong>die</strong><br />

DVU, <strong>die</strong> <strong>2009</strong> vereinzelt Infostände durchführte, in naher Zukunft zu<br />

einem Faktor in Neukölln wird, ist zu bezweifeln. Das zeigt auch <strong>die</strong> für<br />

den 27.Juni <strong>2009</strong> geplante - aber wieder abgesagte - Kundgebung der<br />

Brandenburger DVU in Neukölln.<br />

Eine deutliche Trendverschiebung innerhalb <strong>die</strong>ser Szene seit<br />

dem Erscheinen der letzten Ausgabe der fight.back gibt<br />

es jedoch: Die Süd-Neuköllner Neonazis agieren<br />

zwar weiterhin als Szene, haben jedoch – aus<br />

oben genannten Gründen – ihren Aktionsschwerpunkt<br />

weg von „ihrer Homezone“ hin zu überregionalen<br />

Aktivitäten und Strukturen verlagert. Die<br />

älteren Kader sind stärker in den Hintergrund getreten,<br />

und <strong>die</strong> Nachgerückten haben ein stückweit<br />

ihre Kiezbezogenheit und ihr Revierverhalten abgebaut.<br />

Ein Blick in <strong>die</strong> Chronik der Antifa Neukölln bestätigt <strong>die</strong>se<br />

Entwicklung: Viele der Einträge in 2008 und <strong>2009</strong> behandeln Fahrten zu<br />

bundesweiten Aufmärschen mit anderen Berliner KameradschafterInnen.<br />

Die Anzahl der mobilisierbaren Neonazis in Neukölln stagniert dabei.<br />

Beispielhaft für <strong>die</strong>se Entwicklung stehen Sebastian Thom, der vom<br />

Rudower „Kiezschläger“ in den Landesvorstand der Berliner NPD „<strong>auf</strong>gestiegen“<br />

ist, Patrick Weiß, der, anstatt an der Rudower Spinne Sticker zu<br />

kleben, nun mit anderen Berliner Neonazis und einer Kamera <strong>auf</strong> Aufmärschen<br />

als „Anti-Antifa“ posiert und Marcel Königsberger, der mit Megafon<br />

bei Aufmärschen auch überregional den Neuköllner Block koordiniert.<br />

Trotz <strong>die</strong>ser für den Kiez relativ positiven Entwicklung kann von einem unumkehrbaren<br />

positiven Trend und einer generellen Entwarnung allerdings<br />

noch nicht gesprochen werden. Nach wie vor ist zu beobachten, dass sich<br />

hin und wieder bis zu 15 Neonazis abends an der Spinne <strong>auf</strong>halten, dass<br />

bis zu 20 Neuköllner Neonazis für Aufmärsche mobilisierbar sind oder<br />

dass in verschiedenen Teilen des Bezirks regelmäßig Neonazi<strong>auf</strong>kleber<br />

<strong>auf</strong>tauchen. Zudem gelingt es der Szene weiterhin, neuen Nachwuchs<br />

zu gewinnen und ein zwar verringertes, aber dennoch kontinuierliches<br />

Aktionsniveau beizubehalten. Nicht zuletzt <strong>die</strong> Mordversuche des Jahres<br />

2008 bezeugen, dass auch im Angesicht von Verurteilungen und Haftstrafen<br />

eine Bereitschaft zu massiven Gewalttaten bestehen bleibt.<br />

Dementsprechend gilt es, neonazistische Akteure und Strukturen weiterhin<br />

im Auge zu behalten, mit dem Ziel, sie effektiv zu bekämpfen, <strong>auf</strong><br />

allen Ebenen und mit allen notwendigen Mitteln.<br />

Eine detailierte Chronik, Recherche-Veröffentlichungen, ein Pressearchiv,<br />

Ankündigungen von Terminen antifaschistischer Gruppen und vieles<br />

mehr findet sich unter www.antifa-neukoelln.de.vu <strong>auf</strong> der Homepage der<br />

Neuköllner Antifa.

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