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Fight Back 04 (Mai 2009) - Nazis auf die Pelle rücken

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Berliner KameradschaftlerInnen (u.a. Sebastian Schmidtke) betrieben<br />

wird, hält der Lichtenberger Neonazi Marcel Rockel seinen Namen hin.<br />

Entsprechend wenig strafrechtlich relevant waren zunächst <strong>die</strong> Inhalte<br />

der Seite. Im November 2008 wurde sich im Berliner Boten allerdings<br />

schwulenfeindlich geäußert, was Anzeigen wegen Volksverhetzung nach<br />

sich zog. Der Großteil der relevanten deutschen Neonaziseiten läuft aus<br />

Angst vor staatlicher Repression über den Namen des US-Neonazis Gary<br />

Lauck, der teilweise Schutz vor Abschaltung der Seiten sowie Anonymität<br />

für <strong>die</strong> Webmaster bereitstellen kann.<br />

Google als Betreiber von YouTube wurde Mitte 2007 vom Zentralrat der<br />

Jüdinnen und Juden in Deutschland öffentlich angemahnt, Neonazipropaganda-Filme<br />

zu entfernen. Dabei handelte es sich um Werbevideos<br />

einzelner „Kameradschaften“, um Film<strong>auf</strong>nahmen von neonazistischen<br />

Demonstrationen, Klassikern des nationalsozialistischen Films oder<br />

um Clips von Rechtsrock-Bands. Seitdem herrscht ein relativ rigoroser<br />

Umgang mit UserInnen, <strong>die</strong> Filme wie „Jud Süß“ einspielen. Nach der<br />

Sperrung von Videos durch <strong>die</strong> BetreiberInnen haben Neonazis damit<br />

begonnen, eigene Videoplattformen zur Verbreitung ihrer Filme einzurichten.<br />

Als eine Gegenstrategie ist <strong>die</strong> Videoplattform media pro patria von<br />

selbsternannten Video-AktivistInnen aus Jena sowie Volksfront-Me<strong>die</strong>n zu<br />

werten. Hier finden sich immer aktuelle Handyvideos vergangener Aufmärsche<br />

und Mobiliserungsvideos.<br />

Im März <strong>2009</strong> gründete der Neonazi Fabian Spanuth aus Bad Doberan<br />

in Mecklenburg-Vorpommern als Reaktion <strong>auf</strong> seinen Rauswurf beim<br />

Flirtchat MV-Spion das Online-Asyl für Nationale AktivistInnen NS-Treff,<br />

mit anfänglich 1000 Mitgliedern. Auch <strong>die</strong>ses ist mittlerweile wieder dicht.<br />

Auch das European Broterhood Radio (EBR), das 2008 aus dem White<br />

Nation Online Radio hervorgegangen ist, erfuhr recht deutliche Repression.<br />

Sechs AktivistInnen aus dem Kameradschafts-Spektrum wurden wegen<br />

Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung<br />

im März in Berlin in Untersuchungshaft genommen. Sie haben mehrere<br />

Wochen rund um <strong>die</strong> Uhr aus Räumen in Berlin und Bernau Neonazi-<br />

Bands abgespielt, NS-Propaganda verbreitet, den Holocaust geleugnet<br />

und Sprengstoffanleitungen bereitgestellt. Der Verfassungsschutz Niedersachsen<br />

hatte <strong>die</strong> Admin der EBR-Seite, Sandra Franke (früher Habig),<br />

bereits 2007 angeworben und mit monatlich 300 Euro finanziert. Sie<br />

war unter anderem in der DVU-Soltau und den Autonomen Nationalisten<br />

Nord/West organisiert sowie beim Netzradio Germania tätig.<br />

Enyzklopedia und Altermedia<br />

Ende 2007 kündigte Linkspartei-Politikerin Schubert Strafanzeige gegen<br />

Wikipedia an, da etliche Lobreden <strong>auf</strong> NS-Organisationen von rechten UserInnen<br />

eingestellt worden waren und Wikipedia als Bildquelle für rechte<br />

Symbole und Propagandabildchen verwendet wurde. Der Schein der Objektivität<br />

haftete den Biografien von NS-Größen, Wehrmachtsoffizieren und<br />

SA-Führern <strong>auf</strong> Wikipedia an. Militärische Heldenepen und im Landser-Stil<br />

Altermedia Betreiber Axel Möller (links)<br />

Sandra Franke (rechts) vom European Brotherhood Radio (EBR)<br />

fight.back Nr.4 - <strong>2009</strong><br />

beschriebene Schlachten des zweiten Weltkrieges standen allein, ohne <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> Verbrechen des NS und <strong>auf</strong> Kritisches zum Treiben der Einheiten hinzuweisen.<br />

Insgesamt wurde ein positiver NS-Eindruck vermittelt – Schuld<br />

war das Konzept von Wikipedia, allen Publikationsraum zu geben, <strong>die</strong> sich<br />

als ExpertInnen irgendwie behaupten können. Eine Diskussion im Neonazi-<br />

Forum Thiazi zum Thema „Handlungsbedarf bei Wikipedia” offenbarte <strong>die</strong><br />

strategische Herangehensweise an Wikipedia zur Meinungsmache. Eine<br />

Reihe von TeilnehmerInnen postete im Sommer 2008 hier Vorschläge, <strong>auf</strong><br />

welche Weise sich KameradInnen effektiver als bislang ins freie Lexikon<br />

einklinken könnten. Die rechten Thiazi-PosterInnen besaßen durchaus<br />

solide Insider-Kenntnisse: Eine Aufstellung von Wikipedia-Nicknames<br />

brachte <strong>die</strong> Mitdiskutierenden <strong>auf</strong> den Stand, welche UserIn im Sinn der<br />

nationalen Sache als vertrauenswürdig einzuschätzen sei. Parallel wurden<br />

eigene Internet-Lexika gegründet. Die Seiten Encyklopaedia Germanica<br />

und Metapedia haben Wikipedia-Artikel übernommen und abgeändert.<br />

Eine weitere Alternative zu bereits etablierten Me<strong>die</strong>n ist Altermedia von<br />

Axel Möller aus Stralsund als rechte Kopie zum linken Projekt Indymedia.<br />

Wie beim linken Pendant erscheinen regelmäßig Berichte mit der Möglichkeit<br />

<strong>die</strong>se zu kommentieren. Doch <strong>die</strong> Funktion der Teilhabe ist weniger<br />

ausgebaut, um zu verhindern, dass sich tatsächlich eine Diskussion<br />

entfacht, <strong>die</strong> das neonazistische Weltbild zum Wanken bringen könnte.<br />

Fazit<br />

Die „deutsche Jugend“ soll mit modernen Me<strong>die</strong>n erreicht werden:<br />

Altermedia, Videopalttformen, Jappy und Chatrooms. Doch so ganz<br />

trauen sich <strong>die</strong> Neonazis nicht, das partizipative Element des Web 2.0 zu<br />

nutzen. Je offener desto höher das Risiko, dass sich Jugendliche kritisch<br />

äußern könnten, sich es nicht nehmen lassen mit humanistischen und<br />

antifaschistischen Werten zurückzubloggen. Strategisch nutzbar ist<br />

das Web 2.0 bis dato wenig. Bei den Propaganda-Seiten fällt es ihnen<br />

zunehmend schwerer, <strong>die</strong> sich öfter ändernden URLs unter das Volk zu<br />

bringen. Wichtiger erscheint vielmehr <strong>die</strong> interne Kommunikation und<br />

<strong>die</strong> spontane Mobilisierbarkeit über das Web. Der permanente Wunsch,<br />

<strong>die</strong> Erlebnisorientierung in den Mittelpunkt der Propaganda zu stellen,<br />

um vermeintlich rebellische Jugendliche anzuziehen, wirkt fast schon<br />

theoriefeindlich. Während bedrucktes Papier zu Gunsten des Webs immer<br />

mehr aus dem Publikationsrepertoire der Neonazis verschwindet, ist auch<br />

eine Verflachung der Inhalte neonazistischer Propaganda festzustellen.<br />

Nur noch Wortfetzen, ein paar Hauptsätze, weiterführende Links – mehr<br />

braucht es nicht um authentisch ein rechtes Weltbild zu demonstrieren.<br />

Aufgebauscht und verbalradikal kann <strong>die</strong> mediatisierte Neonaziszene<br />

ihren verkürzten Web<strong>auf</strong>tritten in der Realität nur hinterherhinken.<br />

Überzeugend für potentielle Neonazis, <strong>die</strong> nicht nur Versatzstücke eines<br />

Weltbildes präsentiert bekommen wollen, sind <strong>die</strong> Angebote im Web nicht.<br />

Fakt ist, dass <strong>die</strong> Vernetzung <strong>auf</strong> einem bestimmten Level bleibt. Flache<br />

Mobiliserungen von relativ losen Zusammenhängen jugendlicher AktivistInnen,<br />

Propagandaschmierereien, Plakate und Flyer zu bestimmten<br />

Themen sind durch Online-Vernetzung und Absprache möglich. Alles was<br />

darüber hinausgeht ist nur im Organisationszusammenhang mit der NPD<br />

machbar. Insofern haben <strong>die</strong> Verbote der Kameradschaften TOR und<br />

BASO aus antifaschistischer Perspektive durchaus ihre Früchte gezeigt.<br />

Unverbindliche Zusammenhänge – ob nun im Chat oder in der Freizeit<br />

– ten<strong>die</strong>ren, so <strong>die</strong> Erfahrungen der letzten Jahre in Berlin, dazu sich ständig<br />

im Zerfall und Neu<strong>auf</strong>bau zu befinden. Handlungsfähigkeit können<br />

Informations- und Kommunikationstechnologien nicht herstellen, den fehlenden<br />

Organisierungsgrad im Reallife auch nicht temporär ausgleichen.

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