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Fight Back 04 (Mai 2009) - Nazis auf die Pelle rücken

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fight.back Nr.4 - <strong>2009</strong><br />

Von Antifas für Antifas<br />

Wer <strong>die</strong> aktuelle fight.back querliest wird bemerken, dass <strong>die</strong> NPD <strong>die</strong> wesentlichste<br />

Rolle für <strong>die</strong> organisierte extreme Rechte einnimmt. Viele der<br />

durch <strong>die</strong> Kameradschaftsverbote von 2005 betroffenen Neonazis haben<br />

Positionen in der Jugendorganisation der NPD, den Jungen Nationaldemokraten<br />

(JN), eingenommen, halfen im Wahlkampf mit und sind bei allen<br />

Aktionen dabei. Unsere Prognose ist, dass auch <strong>die</strong> jetzt durch das Verbot<br />

der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) „frei werdenen“ KaderInnen<br />

sich in und um <strong>die</strong> NPD gruppieren werden. Es gibt derzeit in Berlin und<br />

Umgebung keine nennenswerte Struktur, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ses Potential langjährig<br />

organisierter Neonazis <strong>auf</strong>fangen könnte. Der Märkische Heimatschutz<br />

(MHS) sowie seine Berliner Sektion haben ihre Arbeit Ende 2006 eingestellt,<br />

um einem Verbot zuvorzukommen. Auch <strong>die</strong> Querfrontgruppe<br />

Kampfbund Deutsche Sozialisten (KDS) hat sich im Juli 2008 bundesweit<br />

<strong>auf</strong>gelöst. Eine Regionalgruppe in Berlin wird <strong>auf</strong>rechterhalten, da<br />

sie angeblich „wesentliche B<strong>rücken</strong>funktion zwischen den einzelnen<br />

Gruppen und Organisationen wahrnimmt“. Dass <strong>die</strong> frisch gegründete<br />

Kameradschaft Frontbann 24 um <strong>die</strong> ehemalige NPD-Kreisvorsitzende<br />

Gesine Hennrich mehr als nur ein letztes Aufbegehren gegen <strong>die</strong> teilweise<br />

erstarkte NPD ist, ist nicht zu erwarten.<br />

Die NPD-Berlin hat es durch ihre Sitze in den Bezirksverordnetenversammlungen<br />

(BVV) von Lichtenberg, Treptow und Neukölln teilweise<br />

geschafft in <strong>die</strong> Schlagzeilen zu geraten und sich in der Kommunalpolitik<br />

zu positionieren. Die Marzahner Abgeordneten waren inaktiv. Öffentliche<br />

Veranstaltungen in Rathäusern und das Abhalten des Bundesparteitags<br />

<strong>2009</strong> in Berlin sind Zeichen dafür, dass der Berliner Landesverband<br />

gewisse Aktivitäten entfalten kann, <strong>die</strong>se aber in Ausmaß und Anzahl<br />

weit hinter dem propagierten Anspruch liegen. Die Aufkündigung des<br />

„Deutschlandpaktes“ im Juni <strong>2009</strong> hat auch gezeigt, dass <strong>die</strong> NPD das<br />

entsprechende Selbstvertrauen hat, sich nicht mehr mit der Deutschen<br />

Volksunion (DVU) über Wahlbezirke austauschen zu müssen. Dennoch:<br />

Der NPD-Berlin steht vor allem sich selbst im Wege. Zu persönlich wurden<br />

<strong>die</strong> Streitigkeiten der wenigen unter Erfolgsdruck leidenden KaderInnen in<br />

der Öffentlichkeit ausgetragen. Zu stark sind <strong>die</strong> personellen Einschnitte<br />

durch den kollektiven Austritt einzelner Kreisverbände.<br />

Der Artikel „Neonazistische Parallelwelten“ beschreibt eine Szene, <strong>die</strong><br />

zu selten Ziel antifaschistischer Arbeit ist. Zu wirr und abgedreht wirken<br />

<strong>die</strong> Reichsbürger, UFOlogInnen und VerschwörungstheoretikerInnen.<br />

Ihre politische Außenwirkung darf man getrost als minimal bezeichnen.<br />

Mitunter verlassen sie jedoch ihre Parallelwelt und mischen im politischen<br />

Geschehen in Berlin mit vergleichsweise hoher publizistischer Kraft mit.<br />

Tatsächlich verfügen sie als Herrschaften gehobenen Alters über einige<br />

Ressourcen, eigene Publikationen und Räumlichkeiten. Die Übergänge<br />

zur NPD sind fließend. Es gibt bestimmte gemeinsame Themenfelder, wie<br />

z.B. „Stasi-Unrecht“, DDR-Arbeiter<strong>auf</strong>stand 17. Juni 1953 und Holocaustleugnung,<br />

<strong>die</strong> sie mit den in <strong>die</strong>sem Heft vorgestellten, ebenfalls<br />

„diskursorientierten“ Neonazis in Burschenschaften bzw. deren Publikationskartellen<br />

teilen.<br />

Bei den Mischszenen wie Rockern, Hooligans und Rechtsrock hat sich<br />

in den vergangen Jahren wenig getan. Konzerte wurden abgehalten, es<br />

fanden Durchsuchungen v.a. wegen organisierter Kriminalität statt und<br />

Geschäfte mit rechtem Lifestyle wurden gemacht. Insgesamt hat ihre<br />

Relevanz für <strong>die</strong> organisierte Neonaziszene abgenommen, während sie für<br />

eventorientierte rechts-offene Jugendliche zugenommen hat. Die Mischszenen<br />

sind weiterhin erster Anknüpfungspunkt an <strong>die</strong> Neonaziszene. Die<br />

lose organisierte und anpolitisierte Jungneonaziklientel ist dafür offen auch<br />

aktionistisch zu werden. Hier treffen sie sich mit denen, <strong>die</strong> den Absprung<br />

von verbotener Kameradschaft zur NPD nicht geschafft haben und sich in<br />

Kleingruppen mit starker Fluktuation an Aktionen anderer beteiligen. Trotz<br />

der Unverbindlichkeit entfalten <strong>die</strong>se etlichen Mini-Grüppchen beachtliche<br />

nächtliche Aktivitäten wie Sprühereien, und Plakatieren gegen jüdische<br />

Bauwerke, Gedenkstätten, linke Einrichtungen, Schulen, Imbisse bis hin zu<br />

einem Brandanschlag im Frühjahr 2008 <strong>auf</strong> Wohnhäuser in Rudow.<br />

Ohne feste Struktur, eigene politische Inhalte und Schulung fällt der<br />

Rückzug aus der Szene leichter, der immer öfter als Mittel genutzt wird<br />

staatlicher Repression zu entgehen. Tatsächlich ist auch über <strong>die</strong> von<br />

ihnen genutzten Community-Netzwerke im Web <strong>die</strong> Entpolitisierung der<br />

„Autonomen Nationalisten“ oder auch „Freien Kräfte“ spürbar. Zwar<br />

haben sich durch Chat, Jappy und vereinfachte Webseitentechnik Mobilisierungsmöglichkeiten<br />

eröffnet, doch den Organisierungsgrad haben sie<br />

nicht erhöht. Nur wenige Kader wie Sebastian Schmidtke und Björn Wild<br />

sind noch in der Lage, unabhängig von der NPD öffentlichkeitswirksame<br />

Aktionen vorzubereiten und AktivistInnen zu mobilisieren. Entsprechend<br />

wenig Spontandemonstrationen und Mini-Aufmärsche des Kameradschaftsspektrums<br />

musste Berlin in den vergangenen Jahren ertragen.<br />

Die Lichtenberger Neonazis, <strong>die</strong> sich zwischenzeitlich eine „Homezone“<br />

in der Weitlingstraße <strong>auf</strong>gebaut hatten, haben an Bisskraft verloren.<br />

Aktueller Bezugspunkt für organisierte Neonazis scheint mit immer neuen<br />

Aufenthaltsorten der Treptower Ortsteil Schöneweide zu sein.<br />

Staatliche Repression gegen Neonazis hat in den letzten Jahren zugenommen.<br />

Spektakuläre Prozesse in Potsdam und nach dem Überfall am<br />

Rande einer Demo gegen den Moscheebau in Pankow ließen <strong>die</strong> Szene<br />

<strong>auf</strong>horchen. Doch <strong>die</strong> staatliche Antwort Knast hat zu einem Erstarken<br />

der Szene hinter Mauern geführt, auch sind offensivere Prozesstaktiken<br />

durch Neonazianwälte vor Gericht zu verzeichnen.<br />

Neu ist, dass Frauen und Mädchen in der Neonaziszene bei weitem keine<br />

untergeordnete Rolle mehr spielen und sich derzeit sowohl durch rein<br />

weibliche als auch in gemischtgeschlechtlichen Zusammenhängen zu<br />

behaupten wissen. Dass <strong>die</strong>s inhaltlich in keinem Widerspruch mehr zum<br />

völkisch-nationalistischen Weltbild der Neonazis steht, beweisen der Ring<br />

Nationaler Frauen (RNF) und <strong>die</strong> Gemeinschaft Deutscher Frauen (GDF).<br />

Entsprechend der Bestrebungen der NPD über das Vehikel RNF, mehr<br />

Frauen in parlamentarische Posten zu bekommen, ließen <strong>die</strong> NPDlerinnen<br />

Tönhardt und Hähnel zuletzt ihre Kandidatur für <strong>die</strong> Bundestagswahlen<br />

<strong>2009</strong> verlauten.<br />

Antifa ist Pflicht<br />

Der Schwur von Buchenwald bleibt auch 64 Jahre nach der Befreiung<br />

vom Nationalsozialismus aktuell: „Die Vernichtung des <strong>Nazis</strong>mus mit<br />

seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des<br />

Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ In Anlehnung an <strong>die</strong> kommunistischen<br />

Mitglieder der Lagergemeinschaft des Konzentrationslagers<br />

Buchenwald muss konstatirt werden, dass <strong>die</strong> „Wurzeln“ noch lange nicht<br />

abgeschnitten sind. Doch <strong>die</strong> ewigen MahnerInnen für Frieden und antifaschistisches<br />

Engagement, <strong>die</strong> Überlebenden der KZs, <strong>die</strong> Wehrmachtsdeserteure<br />

und Kriegs<strong>die</strong>nstverweigerer stehen nicht mehr lange für öffentliche<br />

Debatten zur Verfügung und mussten sich zu oft der Realpolitik und<br />

Me<strong>die</strong>nkompetenz anderer beugen.<br />

Weiterhin nähren ein chauvinistischer deutscher Nationalismus, ein<br />

autoritärer Überwachungs- und Polizeistaat, eine rassistische Asyl- und<br />

Einwanderungspolitik, eine antidemokratische Wirtschafts- und Politikelite,<br />

ein diffuses Geschichtsbild vom Nationalsozialismus in den Klassenzimmern<br />

und in der Gedenkstättenpolitik sowie <strong>die</strong> Kriegseinsätze der<br />

Bundeswehr extrem rechte Weltanschauungen in der Gesellschaft.<br />

Gewalttätige Aktionen der Neonazis sorgen zwar für öffentliche Debatten,<br />

l<strong>auf</strong>en allerdings zu oft ins Leere. Statt der Mitte der Gesellschaft<br />

intolerante, autoritäre, gewaltförmige, geschichtsvergessene und<br />

nationalistische Tendenzen zu attestieren, werden sozialpädagogische<br />

Erklärungsmuster geliefert und mit zumeist guter Absicht in kurzfristige<br />

Prestige-Programme gegossen.<br />

Neonazi-Kameradschaften, NPD, Burschenschaften, rechter Lifestyle,<br />

Vertriebenenverbände, Standortnationalismus, MilitaristInnen und DDR<br />

vs. NS-Vergleiche („der zwei Diktaturen <strong>auf</strong> deutschem Boden“) sind Ausdruck<br />

einer Gesellschaft, <strong>die</strong> es größtenteils verpasst hat sich zu demokratisieren,<br />

zu entnazifizieren und zu pazifizieren. Einer Gesellschaft, <strong>die</strong><br />

es versäumt hat konsequente Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen<br />

und ein Geschichtsbild zu pflegen, dass weder einen Schlussstrich ziehen<br />

will, noch einen mystifizierenden TäterInnenkult um Hitler und andere NS-<br />

ProtagonistInnen betreibt.<br />

Dagegen können wir immer wieder anschreiben, doch Politik findet für<br />

basisdemokratische Bewegungen wie <strong>die</strong> Antifa vor allem <strong>auf</strong> der Straße<br />

statt. Also macht was draus, organisiert euch, bildet euch und bildet<br />

Banden. Nur gemeinsam sind wir stark!<br />

E d i t o r i a l 3

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