Fight Back 04 (Mai 2009) - Nazis auf die Pelle rücken
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Prozesse gegen<br />
Berliner Neonazis<br />
Seit der letzten fight.back stand ein nicht unbeträchtlicher Teil der aktiven Neonaziszene vor Gericht.<br />
Vorwürfe waren in erster Linie Gewalttaten, dicht gefolgt von typischen Neonazidelikten (Volksverhetzung,<br />
Verwenden von Zeichen verbotener Organisationen, Verstoß gegen das Versammlungsrecht). Die Angeklagten<br />
verfolgten dabei unterschiedlichste Strategien, <strong>die</strong> je nach Grad der Szeneeinbindung und der<br />
Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung variierten. Die Zahl der Verteidiger, <strong>die</strong> Neonazis in Berlin vertreten,<br />
ist dabei überschaubar gering. Im Folgenden sollen kurz <strong>die</strong> Strategien, Akteure und zwei bespielhafte<br />
Prozesse dargestellt werden.<br />
Der IPAHB-Angriff<br />
Am 11. Juli 2007 griff eine Gruppe von 15 Neonazis <strong>auf</strong> dem Rückweg<br />
von der Demonstration der Interessengemeinschaft Pankow Heinersdorfer<br />
Bürger (IPAHB) (siehe dazu den Artikel zu Heinersdorf) mehrere<br />
Jugendliche an. Die sechs Jugendlichen wurden in der Nähe des S-Bhf<br />
Pankow umstellt, geschlagen und getreten. Zwei Zivilbeamte trennten<br />
schließlich <strong>die</strong> Neonazis von den Angegriffenen. Die 15 Festgenommenen<br />
waren ein illustrer Überblick über <strong>die</strong> Neonazis, <strong>die</strong> regelmäßig<br />
an den rassistischen Manifestationen in Heinersdorf teilnahmen. Die<br />
drei Lichtenberger Neonazis Björn Wild, Phillip Bornemann und David<br />
Jäckel sowie der Pankower Thomas Zeise wurden nach der Festnahme<br />
in Untersuchungshaft untergebracht. Erst nach einem Monat konnten<br />
sie das Gefängnis wieder verlassen. Eine endgültige Entscheidung ihrer<br />
Prozesse steht noch aus. Zeise war von den Zivilbeamten als Haupttäter<br />
identifiziert worden. Wild, der schon vor dem Angriff von der anwesenden<br />
Polizei identifiziert worden war, übernahm auch nach der Verhaftung eine<br />
führende Rolle. Im Befehlston ordnete er im Gefangenentransport an,<br />
keine Aussagen gegenüber der Polizei zu machen.<br />
Die weiteren Festgenommen kamen zwar unverzüglich wieder <strong>auf</strong> freien<br />
Fuß, wurden allerdings in einem viel beachteten Prozess angeklagt. Im Erwachsenenprozess<br />
saßen <strong>die</strong> Pankower NPDler Diego Pfeiffer (vertreten<br />
durch Wolfram Nahrath) und Daniel Steinbrecher, der Köpenicker Marco<br />
Kühnauer, <strong>die</strong> beiden Marzahner Kai Milde und Robert Winkler (beide<br />
eher dem Fußballspektrum zuzuordnen, jedoch <strong>auf</strong> so gut wie jedem<br />
Berliner Neonazi-Aufmarsch) und der Treptower René Theobald <strong>auf</strong> der<br />
Anklagebank. Der wohnungs- und arbeitslose Theobald wurde aus dem<br />
Gefängnis ins Gericht gebracht. Ihm widmete <strong>die</strong> Lichtenberger Szene<br />
eine Plakatkampagne („Freiheit für alle nationalen Gefangenen!“). Seine<br />
Freundin, <strong>die</strong> Neonazi-Aktivistin Anja Hahn, begleitete <strong>die</strong> Prozesse. In<br />
erster Instanz wurden alle zu Haftstrafen verurteilt. Einzig <strong>die</strong> Strafe von<br />
Theobald wurde nicht <strong>auf</strong> Bewährung ausgesetzt.<br />
In einem Prozess, zu dem alle jugendlichen und heranwachsenden<br />
Angreifer zusammengefasst wurden, waren David Gudra aus Lichtenberg,<br />
Domenik von der Preuß (Friedrichshain), Tobias Kühnauer (der Sohn<br />
von Marco Kühnauer), Wilhelm „Willy“ Seidler und Patrick Fehre (beide<br />
aus Pankow) angeklagt. Die Prozesse wurden nicht nur von der Presse<br />
interessiert beobachtet, auch Lichtenberger und Pankower Neonazis,<br />
allen voran Andy Fischer und Alexander Basil, saßen mit im Zuschauerraum<br />
und fertigten vor dem Gericht Fotos von ZeugInnen und ProzessbeobachterInnen<br />
an. Noch vor dem ersten Prozesstag wurden mehrere der<br />
angegriffenen Jugendlichen im Umfeld ihrer Wohnungen in Pankow <strong>auf</strong><br />
„Anti-Antifa“-Aufklebern bedroht. Die Angeklagten verfolgten unterschiedlichste<br />
Verteidigungsstrategien. Die weniger eingebundenen Neonazis,<br />
wie u.a. Winkler und Kühnauer, versuchten ihre Rolle beim Angriff kleinzureden<br />
und belasteten so andere. Neonazikader wie Björn Wild und Daniel<br />
Steinbrecher verweigerten jegliche Aussage. Da mehrere der Angeklagten<br />
in Revision gegangen sind, stehen bis heute noch einige der Urteile aus.<br />
28 P r o z e s s e<br />
fight.back Nr.4 - <strong>2009</strong><br />
Der Fall Piehl/Zehlecke<br />
Im November 2006 gerieten <strong>die</strong> NeonaziaktivistInnen Sebastian Zehlecke<br />
und Stefanie Piehl am S-Bhf Lichtenberg in eine Auseinandersetzung mit<br />
Vermummten, bei der beide leicht verletzt wurden. Schon im Krankenhaus<br />
trafen sie sich mit anderen Lichtenberger Neonazis und verabredeten, wen<br />
sie für den Angriff beschuldigen würden. Kurze Zeit später legten sie der<br />
Polizei Fotos aus einer Anti-Antifa-Kartei vor, <strong>die</strong> den Antifaschisten Matti<br />
zeigten. Obwohl es keine weiteren Beweise gab, wurde Matti <strong>die</strong> folgenden<br />
Wochen observiert und sein Telefon überwacht. Als dadurch weder etwas<br />
Belastendes zu Tage kam, noch Mittäter ausfindig gemacht werden konnten,<br />
wurde Matti schließlich verhaftet und verbrachte 101 Tage in Untersuchungshaft.<br />
Erst vor Gericht räumten <strong>die</strong> beiden Neonazis ein, dass sie sich<br />
nicht 100-prozentig sicher seien, <strong>die</strong> Täter waren schließlich vermummt,<br />
und da auch <strong>die</strong> Zeugen den Tatvorgang der von Piehl und Zehlecke<br />
<strong>auf</strong>getischt wurde, widerlegten, wurde Matti Ende 2007 freigesprochen. Die<br />
Kritik traf im Folgenden das Vorgehen der Polizei, vor allem der politischen,<br />
<strong>die</strong> sich ohne weitere Prüfung zum Handlanger der organisierten Neonazi-<br />
Szene gemacht hatte. Ob <strong>die</strong> Neonazis in Zukunft <strong>die</strong> Strategie, wahllos<br />
AntifaschistInnen zu beschuldigen, um über Prozessakten Einsichten in <strong>die</strong><br />
linke Szene zu bekommen, weiterführen können, hängt vor allem davon ab,<br />
wieviel Spielraum Polizei und Justiz den Neonazis zugestehen.<br />
Thomas Zeise<br />
Willy Seidler<br />
l. Kevin Lewandowski und r. Domenik von der Preuß<br />
Robert Winkler Kai Milde