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Belarus- - Internationales Bildungs

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K 46699, Nr. 42<br />

IBB<br />

<strong>Internationales</strong><br />

<strong>Bildungs</strong>- und<br />

Begegnungswerk<br />

LIebe LeserINNeN uNd Leser,<br />

es gibt Momente, da muss keine<br />

Redaktion diskutieren, was das<br />

Titelthema ist. Durch diese Ausgabe<br />

der <strong>Belarus</strong>-Perspektiven<br />

zieht sich wie ein roter Faden die<br />

Frage, wie die Chancen auf einen<br />

Dialog zwischen der EU und <strong>Belarus</strong><br />

stehen. Eine Frage, die durch<br />

geopolitische Ereignisse wie den<br />

Georgien-Konflikt und die neue<br />

Eiszeit zwischen Moskau und<br />

Washington einiges an Komplexität<br />

hinzugewonnen hat. Wir<br />

beginnen deshalb unsere Ausgabe<br />

mit einer Analyse der Situation,<br />

die den Titel „Hebt den Eisernen<br />

Vorhang auf!” trägt.<br />

Die belarussische Führung wird<br />

sich für diesen Dialog entscheiden,<br />

meint der <strong>Belarus</strong>-Experte Leonid<br />

Barsjuk in seinem Kommentar „PR<br />

und Außenpolitik” - doch zu welchem<br />

Preis? Hier vermischt sich<br />

die außenpolitische Richtungsentscheidung<br />

mit innenpolitischen<br />

Gegebenheiten, meint Barsjuk auf<br />

S. 4.<br />

Eine andere Entscheidung trieb<br />

monatelang die belarussischen<br />

Medien um: Wer baut es, das<br />

neue Atomkraftwerk? Drei Firmen<br />

waren im Rennen, nun hat die<br />

Ausschreibung selber das Zeitliche<br />

gesegnet. Warum, erklärt unsere<br />

Autorin Marina Rachlej auf S. 7.<br />

Die belarussischen Parlamentswahlen<br />

waren eigentlich zum<br />

Herbst 2008<br />

<strong>Belarus</strong>-<br />

Perspektiven<br />

„Lackmustest” der Beziehungen<br />

zum Westen erklärt worden. Anfang<br />

Oktober war es soweit. Das<br />

Ergebnis ließ unseren Autoren<br />

Pauljuk Bykowskij relativ kalt.<br />

Spannender fand er die nationalen<br />

und internationalen Reaktionen,<br />

die zeigen, dass sich in und um<br />

<strong>Belarus</strong> etwas tut. Lesen Sie „Die<br />

Tür bleibt offen” auf S. 10.<br />

Die Parlamentswahlen mögen ruhig<br />

verlaufen sein. Als drei Monate<br />

zuvor jedoch eine Bombe in Minsk<br />

explodiert war, rieb sich ganz<br />

<strong>Belarus</strong> ungläubig die Augen.<br />

Waren Ruhe und Stabilität nun<br />

vorbei? Nach den ersten hitzigen<br />

Reaktionen und Verhaftungen<br />

legte sich der Pulverdampf. Eine<br />

Analyse der Ereignisse, Versionen<br />

und Verschwörungstheorien bietet<br />

Walerij Dorochin auf S. 12.<br />

Für diese Ausgabe haben wir<br />

außerdem das wichtigste belarussische<br />

Rockfestival „Basowischtscha”<br />

und das Kulturfestival<br />

„GOOD-BY 2” besucht, das zeigt,<br />

wie lebendig belarussische Kulturprojekte<br />

sein können. Außerdem<br />

berichten wir in der Rubrik NGOs<br />

von mehreren Projekten und<br />

Veranstaltungen, die Austausch<br />

und Versöhnung möglich machen<br />

und stellen das erste Buch über<br />

den Architekten und Träger des<br />

Bundesverdienstkreuzes Leonid<br />

Lewin vor.<br />

Ihre Redaktion<br />

In dieser Ausgabe Seite<br />

Außenpolitik<br />

„Hebt den Eisernen Vorhang auf!” 2<br />

Neues Fernsehen 3<br />

PR und Außenpolitik 4<br />

„Nicht sehr optimistisch” 5<br />

Russischer Raketenschild 6<br />

Rom für Dialog 7<br />

Innenpolitik<br />

Und der Gewinner ist... 7<br />

Waffe im Anschlag 8<br />

Neue Gesichter 9<br />

Die Tür bleibt offen 10<br />

Explosion mit Folgen 12<br />

Wirtschaft<br />

Gasgeruch in der Luft 16<br />

<strong>Belarus</strong> goes Recycling 17<br />

Minsk-City in den Wolken 18<br />

Wird BeST wirklich besser? 19<br />

Benzinpreise in die Höhe 19<br />

NGOs & Gesellschaft<br />

Journalisten in Deutschland 20<br />

„Brücken” zur Erinnerung 21<br />

3. Minsker Sommerschule 22<br />

Johannes Raus rote Kreuze 22<br />

Partnerschaftsprogramm Ukraine 23<br />

Kultur & Wissenschaft<br />

Gute Laune trotz Visaknappheit 24<br />

GOOD-BY 2 wirbelt durch Berlin 25<br />

Ernte gut, alles gut? 26<br />

Publikationen<br />

„Akzeptierte Diktatur?“ 26<br />

Denkmäler gegen den Krieg 27<br />

Chronologie 14<br />

Impressum 16<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Nr. 42


Außenpolitik<br />

„Hebt den Eisernen Vorhang auf!”<br />

(Ms) die beziehungen zwischen belarus und dem Westen scheinen so entspannt wie seit zwölf Jahren<br />

nicht mehr. Kommen die Parlamentswahlen oder der Georgien-Konflikt dazwischen?<br />

Ende August setzte Alexander Lukaschenko<br />

seine Unterschrift unter<br />

ein Papier, das einen Durchbruch<br />

in den belarussisch-europäischen<br />

Beziehungen einläuten könnte:<br />

Die Begnadigung des Ex-Präsidentschaftskandidaten<br />

und Lukaschenko-Intimfeinds<br />

Alexander<br />

Kosulin, 52. Nur einige Tage darauf<br />

folgten die letzten politischen<br />

Gefangenen, Sergej Parsjukewitsch<br />

und Andrej Kim. Damit hatte Lukaschenko<br />

eine der wichtigsten<br />

Bedingungen von USA und EU<br />

für eine schrittweise diplomatische<br />

Annäherung erfüllt. In Europa<br />

äußerten daraufhin Diplomaten<br />

verhaltenen Optimismus über<br />

die gemeinsamen Beziehungen.<br />

Der deutsche Außenminister<br />

Frank-Walter Steinmeier sprach<br />

von einem „wichtigen Schritt in<br />

Richtung rechtsstaatlicher Verhältnisse”,<br />

EU-Kommissarin Benita<br />

Ferrero-Waldner von einem „Zeichen<br />

der Hoffnung”. Bei ihrem<br />

Treffen Mitte September in Paris<br />

stellten die EU-Minister <strong>Belarus</strong><br />

sogar eine Aufhebung der Sanktionen<br />

in Aussicht, sollte die OSZE<br />

die Parlamentswahlen als gut<br />

bewerten und <strong>Belarus</strong> auf eine Anerkennung<br />

der abtrünnnigen georgischen<br />

Regionen Abchasien und<br />

Süd-Ossetien verzichten. Selbst die<br />

in Demokratiefragen sonst sehr<br />

kategorischen USA schickten ihren<br />

Sonderbeauftragten David Merkel<br />

nach Minsk, der eine Aufhebung<br />

der Wirtschaftssanktionen verkündete<br />

und eine Wiederaufnahme<br />

der diplomatischen Beziehung in<br />

Aussicht stellte. Merkel verband<br />

jedoch, wie seine europäischen<br />

Kollegen, eine weitere Verbesserung<br />

der Beziehungen mit dem<br />

Verlauf der Parlamentswahlen.<br />

Kurz darauf erschien auch zum<br />

ersten Mal seit langer Zeit wieder<br />

ein polnischer Außenminister<br />

in Minsk. Radoslaw Sikorski<br />

versprach eine Aufhebung der<br />

EU-Sanktionen „in den nächsten<br />

Wochen” und freute sich bereits<br />

für die polnische Wirtschaft auf<br />

„neue Perspektiven der Erschließung<br />

des belarussischen Marktes”.<br />

Lob von allen Seiten, Wohlwollen,<br />

diplomatische Annäherung – mit<br />

einem Wort: Mitte September<br />

herrschten optimale Bedingungen<br />

für den lange erwarteten Dialog<br />

zwischen <strong>Belarus</strong> und dem<br />

Westen. Sikorski machte zudem<br />

klar, dass der Slogan des „Lackmustests”<br />

allenfalls symbolische<br />

Bedeutung habe: „Natürlich sind<br />

die Wahlen wichtig”, meinte der<br />

polnische Chefdiplomat, „aber wir<br />

sind Realisten und erwarten nicht,<br />

dass die Wahlen allen Kriterien<br />

entsprechen werden.”<br />

Dann kamen die Parlamentswahlen,<br />

und alles kam tatsächlich<br />

so, wie von Sikorski vorhergesagt.<br />

Einige Beobachter waren zwar<br />

fest davon ausgegangen, dass es<br />

wenigstens eine Handvoll Oppositioneller<br />

ins Parlament schaffen<br />

würde. Das wäre, da war man sich<br />

weitgehend einig, das entscheidende<br />

Zeichen der Staatsmacht<br />

an den Westen gewesen: Seht her,<br />

wir sind guten Willens, jetzt gebt<br />

uns eine faire Chance. Gleichzeitig<br />

hätte die Staatsmacht mit drei, vier<br />

oppositionellen Kandidaten wohl<br />

kaum einen realen Machtverlust<br />

riskiert. Doch es kam anders:<br />

Am Tag nach der Wahl hatte es<br />

kein einziger Oppositioneller ins<br />

neue belarussische Parlament<br />

geschafft.<br />

OSZE und Menschenrechtler lobten<br />

dennoch verhalten, dass die<br />

Wahlen ohne staatliche Repressionen<br />

oder Propaganda abgelaufen<br />

seien. Auch die Leiterin der OSZE-<br />

Kurzzeit-Wahlbeobachter, Anne-<br />

Marie Lizin, erklärte, es habe „einige<br />

Verbesserungen” gegeben, wies<br />

jedoch darauf hin, dass die Wahlen<br />

insgesamt nach OSZE-Standards<br />

nicht demokratisch gewesen seien.<br />

Die Stimmenauszählung sei „in<br />

mehr als 50 Prozent der Fälle<br />

schlecht oder nicht zufriedenstellend”<br />

verlaufen, so Lizin vor<br />

Journalisten. Vorsichtig fügte Lizin<br />

am Tag danach im Gespräch mit<br />

Alexander Lukaschenko jedoch<br />

hinzu, dass Europa „Türen für den<br />

Dialog offen lassen” werde.<br />

Lukaschenko indes erwiderte<br />

der Diplomatin, dass die <strong>Belarus</strong>sen<br />

„eine Aufhebung aller<br />

Sanktionen erwarten”. „Hebt den<br />

Eisernen Vorhang auf”, forderte<br />

Lukaschenko und bezeichnete die<br />

Visabeschränkungen für <strong>Belarus</strong>sen<br />

im Vergleich zu Russen und<br />

Ukrainern als „Erniedrigung”.<br />

Eine realistische Prognose zur<br />

Anerkennung der Wahlen durch<br />

den Westen scheint aufgrund der<br />

vorsichtigen Äußerungen von Diplomaten<br />

wie Lizin oder Ferrero-<br />

Waldner schwierig. Zwischen den<br />

Zeilen kann man jedoch lesen, dass<br />

der Westen den Dialog keinesfalls<br />

aufs Spiel setzen will, auch wenn<br />

man sich mit der Anerkennung der<br />

Wahlen eventuell schwer tun wird.<br />

Jonathan Moore, Chargé d‘Affaires<br />

der USA in <strong>Belarus</strong>, wurde etwas<br />

deutlicher: Man werde, so Moore,<br />

den Dialog fortsetzen, auch wenn<br />

sich die Hoffnungen in Bezug auf<br />

die Wahlen nicht erfüllt hätten.<br />

Auch Javier Solana zeigte Gesprächsbereitschaft<br />

und lud für<br />

den 13. Oktober Außenminister<br />

Martynow nach Luxemburg zum<br />

Treffen seiner europäischen Kollegen<br />

ein. Die Zeichen stehen also<br />

weiter auf Dialog. Zum wirklichen<br />

Lackmustest wird wohl eher die<br />

Anerkennung der georgischen<br />

Teilrepubliken werden – und<br />

damit die Frage, wieviel Moskau<br />

Minsk dafür zahlen will. Alle<br />

blicken deshalb gespannt auf die<br />

nächsten anderthalb Monate.<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42


Neues Fernsehen<br />

Im Juli hatte Agnieszka Romaszewska<br />

es geschafft. Die Belsat-Direktorin<br />

vom polnischen<br />

Staatsfernsehen erreichte endlich<br />

den heißersehnten Durchburch in<br />

den Verhandlungen mit den Sirius-Betreibern<br />

und konnte damit<br />

Kritiker aus <strong>Belarus</strong>, Polen und<br />

Westeuropa in ihre Schranken<br />

weisen. Vorher war Belsat nur<br />

über Astra zu erreichen gewesen,<br />

den lediglich sechs Prozent<br />

der belarussischen Besitzer von<br />

Satellitenantennen nutzen. Nun<br />

können bis zu 1,2 Millionen <strong>Belarus</strong>sen<br />

Belsat sehen oder zwölf<br />

Prozent der Gesamtbevölkerung.<br />

Um das neue Publikum an sich<br />

zu binden, wagt Belsat eine Reihe<br />

von neuen Programmformaten.<br />

Die Parlamentswahlen im Herbst<br />

motivierten die Programmmacher<br />

zusätzlich, neue Wege zu gehen.<br />

Einmal in der Woche ging vor<br />

den Wahlen „Eine Tasse Kaffee<br />

mit dem Kandidaten” auf Sendung,<br />

wo sich Politiker vorstellen<br />

und von ihrer Wahlkampagne<br />

erzählen konnten. Daneben bekam<br />

auch der Nachrichtenblock<br />

„Objektiv” einen neuen Anstrich<br />

und revolutionierte dabei den<br />

belarussischen Fernsehmarkt als<br />

erste Nachrichtensendung, die live<br />

ausgestrahlt wird. Mit 15 Minuten<br />

haben die Macher von „Objektiv”<br />

seit Juli nun auch doppelt soviel<br />

Zeit wie bisher und füllen sie mit<br />

Qualität: Experten kommentieren<br />

im Studio oder live per Telefon,<br />

Korrespondenten werden vor<br />

Ort zugeschaltet. Dabei konnten<br />

die Journalisten von Belsat ihren<br />

Zuschauern das bieten, was seriöse<br />

Wahlberichterstattung leisten<br />

muss: Sie zeigten die Kandidaten,<br />

schauten der Staatsmacht auf die<br />

Finger, verfolgten die Reaktionen<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42<br />

des Westens oder befragten Bürger<br />

auf der Straße.<br />

Neu ist auch der Sendeplan. Bis<br />

zum Sommer hatte Belsat im „Euronews”-Format<br />

gesendet, also<br />

sein relativ kurzes Programm in<br />

drei Blöcken am Tag wiederholt.<br />

Nun sendet Belsat durchgängig<br />

sechs Stunden, ohne Wiederholung.<br />

Grundlage für diese Neuerung<br />

ist die Zusammenarbeit<br />

mit der Deutschen Welle, deren<br />

Sendung „Europa Aktuell” Belsat<br />

auf <strong>Belarus</strong>sisch ausstrahlt. Hinzu<br />

gesellen sich weitere internationale<br />

Kooperationen, wie die litauisch<br />

finanzierte Talkshow „Forum”<br />

und die mit dem US-finanzierten<br />

Radio Free Europe / Radio<br />

Liberty produzierte „Woche mit<br />

Außenpolitik<br />

belsat, der erste unabhängige belarussische satellitenkanal, ist seit Juli auch über den satelliten sirius zu<br />

empfangen – und damit für 1,2 Millionen belarussen. um das neue Publikum an sich zu binden, schickt<br />

der sender neue Programmformate ins rennen. die Perspektiven sind vielversprechend, schreibt Wasilij<br />

Lepesch, Journalist bei belsat.<br />

Belsat-Direktorin<br />

Agnieszka Romaszewska<br />

will<br />

mit ihrem Kanal<br />

den staatlichen<br />

Medien „ernsthaft<br />

Konkurrenz<br />

machen”.<br />

naviny.by<br />

Radio Liberty”, so dass der Sender<br />

immer mehr zum internationalen<br />

Gemeinschaftsprojekt wird.<br />

Gleichzeitig bietet Belsat Kurse<br />

für Journalisten an, die die Regierungen<br />

von Großbritannien und<br />

Irland finanzieren, und bewirbt<br />

sich unter anderem für Projektmittel<br />

der Europäischen Union. Auch<br />

technisch will der Sender seine<br />

Vorreiterrolle ausbauen und in Zukunft<br />

sein gesamtes Programm als<br />

Live-Stream im Internet anbieten.<br />

So gelingt es Belsat, seinen Zuschauern<br />

eine inhaltlich hochwertige<br />

und technisch anspruchsvolle<br />

Alternative zu den belarussischen<br />

Staatsmedien zu bieten.<br />

www.belsat.eu


Außenpolitik<br />

PR und Außenpolitik<br />

Als Timothy Bell, seines Zeichens<br />

englischer PR-Agent für hochgestellte<br />

Politiker – er vertrat schon<br />

Größen wie Margaret Thatcher<br />

– vor einem halben Jahr seine<br />

Dienste Alexander Lukaschenko<br />

anbot, mag er kaum zu träumen<br />

gewagt haben, wie schnell die<br />

Beziehungen zwischen seinem<br />

Arbeitgeber und dem Westen<br />

sich verbessern würden. Vielleicht<br />

hat er es aber auch gespürt, denn<br />

Politik hat heutzutage mehr mit<br />

PR zu tun, als viele glauben. Bells<br />

selbstgestecktes Ziel, <strong>Belarus</strong> und<br />

der Welt einen „Lukaschismus mit<br />

menschlichem Antlitz” zu präsentieren,<br />

erfüllt er auf jeden Fall mit<br />

Bravour. Die Taktik ist denkbar<br />

einfach: Ohne das politische und<br />

wirtschaftliche System wirklich zu<br />

verändern, sollen Zugeständnisse<br />

an den Westen gemacht werden,<br />

die politischen Goodwill zeigen.<br />

Lukaschenko scheint der mögliche<br />

Durchbruch in den Beziehungen<br />

tatsächlich so wichtig zu sein, dass<br />

er nicht zu unterschätzende innen-<br />

und außenpolitische Risiken<br />

eingeht.<br />

uNeheLIcher Aber<br />

GeLIebter sOhN<br />

Zunächst einmal jedoch begann<br />

unter Bell eine wohldosierte innenpolitische<br />

Imagekampagne,<br />

zu deren Kern der außereheliche<br />

Sohn des Präsidenten erkoren<br />

wurde. Hatte die Öffentlichkeit<br />

vier Jahre lang schlichtweg nichts<br />

von der Existenz des kleinen Nikolaj<br />

gewusst, so tauchten in den<br />

letzten sechs Monaten mit notorischer<br />

Regelmäßigkeit offizielle<br />

GAstKOMMeNtAr<br />

Innerhalb eines Monats haben die beziehungen zwischen Minsk und dem Westen einen qualitativen<br />

sprung gemacht, der sich sehen lassen kann: brüssel und Washington waren hoch erfreut über die freilassung<br />

Alexander Kosulins und planen nun, sanktionen aufzuheben. doch will Alexander Lukaschenko<br />

wirklich mehr demokratie zulassen oder hat der Westen seine forderungen im Zuge der russland-Krise<br />

zurückgeschraubt? Wir baten den <strong>Belarus</strong>-Experten Leonid Barsjuk aus Berlin um eine Analyse.<br />

Pressebilder und Fernsehreportagen<br />

auf, auf denen Lukaschenko<br />

den kleinen Jungen dabei hatte.<br />

Mal schippte Lukaschenko mit<br />

seinem Sohn Teer am nationalen<br />

Arbeitstag, mal besuchte Nikolaj<br />

den Papa bei dessen Lieblingssport,<br />

dem Eishockey. Auf einmal<br />

war Lukaschenko der fürsorgliche<br />

Vater, ein echter Mann, der sein<br />

uneheliches Kind nicht im Stich<br />

lässt. Eine Win-Win-PR-Aktion<br />

ohne größeres Risiko, denn die<br />

staatlichen Informationsquellen<br />

ließen die Öffentlichkeit weiterhin<br />

über die Familienverhältnisse des<br />

Präsidenten im Dunkeln.<br />

GefährLIcher Aber<br />

beGNAdIGter GeGNer<br />

Um sein ramponiertes Image im<br />

Westen aufzupolieren, musste der<br />

Präsident indes mehr bieten und<br />

entschloss sich zu einem Schritt,<br />

der bereits die Grenzen der PR<br />

verlässt und in die raue Welt der<br />

Realpolitik führt: Lukaschenko<br />

entließ nacheinander alle drei politischen<br />

Gefangenen des Landes,<br />

zunächst Ex-Präsidentschaftskandidat<br />

und Intimfeind Alexander<br />

Kosulin, dann den Unternehmer<br />

Sergej Parsjukewitsch und zuletzt<br />

den jugendlichen Oppositionellen<br />

Andrej Kim. Ein mutiger Schritt,<br />

denn vor allem die Entlassung<br />

Kosulins birgt für Lukaschenko<br />

ernstzunehmende Risiken. Da<br />

wäre zunächst die Tatsache, dass<br />

mit Kosulin ein Konkurrent auf<br />

das politische Spielfeld zurückkehrt,<br />

der sich durch seinen Gefängnisaufenthalt<br />

einen Ruf als<br />

ehrlicher und standhafter Politiker<br />

erworben hat. Außerdem riskiert<br />

Lukaschenko, vor dem Westen als<br />

„Umfaller” dazustehen, den man<br />

mit politischem Druck längerfristig<br />

in die Knie zwingen kann. Und,<br />

last not least, standen auch nach<br />

der Freilassung noch die zwölf<br />

Forderungen der EU im Raum,<br />

die im Prinzip eine schrittweise<br />

Demontage all der staatlichen<br />

Exekutivmacht vorsahen, die Lukaschenko<br />

in den vergangenen 14<br />

Jahren mühsam aufgebaut hatte,<br />

ohne dass die EU Finanzmittel à la<br />

Moskau angeboten hätte oder dem<br />

Präsidenten persönliche Unversehrtheit<br />

garantieren würde. Das<br />

wäre der hochexplosive Kontext<br />

von Lukaschenkos Entscheidung<br />

gewesen, wenn nicht der georgische<br />

Präsident Saakaschwili<br />

am 8. August den Befehl gegeben<br />

hätte, die abtrünnige Provinz Süd-<br />

Ossetien anzugreifen.<br />

schWeIGeN GeGeNüber<br />

GeOrGIeN<br />

Auf den georgischen Angriff folgte<br />

ein russischer Gegenangriff, und<br />

auf den russischen Angriff eine diplomatische<br />

Schlacht zwischen Ost<br />

und West, wie man sie seit dem<br />

Kalten Krieg nicht mehr erlebt<br />

hatte. Plötzlich bekam jeder noch<br />

so kleine außenpolitische Schritt<br />

im Zusammenhang des Konflikts<br />

eine Bedeutung, wie sie nur in<br />

Zeiten diplomatischer Vielvölkerschlachten<br />

möglich ist. Alexander<br />

Lukaschenko spürte dies instinktiv<br />

und tat etwas, was der Westen ihm<br />

sehr hoch anrechnete: er schwieg.<br />

Sicher, nachdem Moskau empört<br />

Stellungnahme von seinem Ver-<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42


ündeten verlangte, beruhigte<br />

Lukaschenko seinen Kollegen<br />

Medwedjew in Sotschi: „Richtig,<br />

weise und schön” habe Russland<br />

gehandelt, sagte der Staatschef<br />

und traf sich obendrein noch<br />

mit den beiden selbsternannten<br />

Präsidenten von Abchasien und<br />

Süd-Ossetien. Dennoch verzichtete<br />

Lukaschenko wohlweislich darauf,<br />

die Republiken anzuerkennen<br />

– und hatte sich auffällig viel Zeit<br />

mit einem Kommentar gelassen.<br />

Zu viel Zeit für einen Vasallen,<br />

und genug, um dem Westen zu<br />

signalisieren: Eigentlich wäre ich<br />

gerne neutral, aber dafür müsstet<br />

ihr mir entgegenkommen... in<br />

Brüssel und Washington wusste<br />

man diese feinen diplomatischen<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42<br />

Zeichen sehr wohl zu deuten:<br />

Der Umgangston wurde sofort<br />

freundlicher, und man schickte<br />

hochgestellte Diplomaten wie den<br />

US-Amerikaner David Merkel zu<br />

Verhandlungen nach Minsk, ja, es<br />

wurden sogar erste Wirtschaftssanktionen<br />

aufgehoben. Auch die<br />

EU hat inzwischen tatsächlich die<br />

Aufhebung der Einreiseverbote<br />

umgesetzt.<br />

sOrGeN GeGeNüber<br />

russLANd<br />

Was des einen Freud, ist des anderen<br />

Leid. Dass Moskau das lange<br />

Schweigen aus Minsk als Affront<br />

werten würde, war Lukaschenko<br />

klar. Welche längerfristige Fol-<br />

„Nicht sehr optimistisch”<br />

Außenpolitik<br />

gen das Lavieren haben wird, ist<br />

weniger eindeutig, aber es wäre<br />

durchaus denkbar, dass Moskau<br />

bei der nächsten Gaspreiserhöhung<br />

nicht mehr wie bisher ein<br />

Auge zudrücken wird. Deshalb ist<br />

Lukaschenkos Verhalten nicht nur<br />

PR, sondern eine außenpolitische<br />

Entscheidung, die Risiken birgt,<br />

aber auch Chancen. Lukaschenko<br />

könnte so Spielraum zwischen<br />

Ost und West gewinnen, den er<br />

seit Jahren anstrebt. Die langfristigen<br />

Folgen des Tauwetters in<br />

der belarussischen Außenpolitik<br />

sind also ungewiss. Eins ist jedoch<br />

sicher: Wer einen schnellen Systemwechsel<br />

in <strong>Belarus</strong> erwartet,<br />

wird enttäuscht werden.<br />

(Ms) die Menschenrechtskommission des deutschen bundestags besuchte Anfang Juli belarus, um sich<br />

mit der politischen situation vor den Parlamentswahlen vertraut zu machen.<br />

Die Parlamentarier der Bundestagsfraktionen<br />

trafen sich sowohl<br />

mit Staats- als auch mit Oppositionsvertretern.<br />

Bereits bei ihrem<br />

ersten Treffen hielten die deutschen<br />

Abgeordneten ihre belarussischen<br />

Kollegen auf Distanz:<br />

Der Besuch im Unterhaus bedeute<br />

„keinesfalls eine Anerkennung des<br />

belarussischen Parlaments”. Auch<br />

das Treffen mit dem stellvertretenden<br />

Außenminister Walerij<br />

Woronetzkij und anderen hochgestellten<br />

Staatsvertretern schien<br />

nichts an der kritischen Meinung<br />

der Besucher zu ändern.<br />

stAAtsvertreter<br />

seLbstbeWusst<br />

Indessen ließen die belarussischen<br />

Parlamentarier ihrerseits durchblicken,<br />

dass sie sich nicht gerne<br />

bevormunden lassen. Jurij Kulakowskij,<br />

Vorsitzender der Parlamentskommission<br />

für Menschenrechte,<br />

betonte, die Wahlgesetze in<br />

<strong>Belarus</strong> entsprächen internationaler<br />

Standards.<br />

deutsche AbGeOrdNete<br />

KrItIsch<br />

Das sahen die deutschen Abgeordneten<br />

anders. Delegationsleiter<br />

Holger Haibach (CDU):<br />

„Wir haben keine positiven Veränderungen<br />

feststellen können<br />

und sehen die Situation vor den<br />

Wahlen nicht sehr optimistisch.”<br />

Haibach betonte, trotz aller Kritik<br />

müsse man im Gespräch bleiben.<br />

Zum Zeitpunkt des Besuchs waren<br />

allerdings noch die politischen Gefangenen<br />

Kosulin, Parsjukewitsch<br />

und Kim im Gefängnis.<br />

OPPOsItIONeLLe<br />

ZurücKhALteNd<br />

Gesprächsversuche sehen die<br />

Vertreter der Oppositionskoalition<br />

„Vereinte Demokratische<br />

Kräfte” (VDK), mit denen sich die<br />

Deutschen ebenfalls trafen, traditionell<br />

kritisch. Anatolij Lebedko<br />

von der VDK machte klar, wo er<br />

und seine Mitstreiter die Grenzen<br />

von Dialogangeboten sehen. „Wir<br />

sagen kategorisch Nein zu einer<br />

Legitimierung des Regimes im<br />

Austausch gegen die Garantie,<br />

dass drei bis fünf Oppositionelle<br />

ins Parlament kommen.” Außerdem<br />

wehre man sich gegen einen<br />

Deal „Wirtschaftsreformen gegen<br />

internationale Anerkennung”.<br />

Von der Staatsmacht, so Lebedko,<br />

forderten die VDK lediglich<br />

fünf minimale Zugeständnisse:<br />

„Oppositionsvertreter in allen<br />

Wahlkommissionen, Registrierung<br />

der VDK-Kandidaten, ein<br />

Moratorium auf die Repressionen<br />

gegen Wahlhelfer und Journalisten,<br />

die Möglichkeit eines fairen<br />

Wahlkampfs sowie die Freilassung<br />

der politischen Gefangenen.” In<br />

einigen Punkten kam die Staatsmacht<br />

ihren Gegnern bei der Wahl<br />

tatsächlich entgegen.


Außenpolitik<br />

Russischer Raketenschild in <strong>Belarus</strong><br />

(Pauljuk Bykowskij, Minsk) Nachdem die USA sich mit Polen und Tschechien auf den Aufbau ihres Raketenabwehrschilds<br />

in Osteuropa geeinigt haben, bereitet russland seine Antwort vor. belarus kommt in<br />

den strategischen Plänen eine schlüsselrolle zu.<br />

Weder Drohungen noch Appelle<br />

des damaligen Präsidenten Wladimir<br />

Putin konnten die USA davon<br />

abhalten, ein Raketenabwehrsystem<br />

in Osteuropa zu installieren,<br />

das Russland als Provokation<br />

empfindet. Der neue Präsident<br />

Medwedjew mag einen gemäßigten<br />

Ton anschlagen, pocht aber<br />

dennoch auf russische Interessen:<br />

„Außerordentlich betrübt” sei<br />

die russische Staatsführung, so<br />

Medwedjew Ende Juli auf dem<br />

G8-Gipfel. Zwar werde man „deshalb<br />

keine Hysterie verbreiten”,<br />

aber Moksau rüste sich zu Gegenmaßnahmen.<br />

Schließlich werde<br />

durch den Raketenschild das<br />

Erstschlagspotenzial Russlands<br />

entscheidend geschwächt, und<br />

Medwedjew machte klar, dass er<br />

das nicht hinnehmen werde. Kurz<br />

darauf stimmte auch Nikolaj Bordjuscha,<br />

Generalsekretär des postsowjetischenVerteidigungsbündnisses<br />

Organisation des Vertrags<br />

für Kollektive Sicherheit (OVKS),<br />

dem russischen Präsidenten zu<br />

und erklärte, die OVKS-Staaten<br />

seien besorgt und würden an den<br />

Westgrenzen des Bündnisses Gegenmaßnahmen<br />

einleiten.<br />

ZuKüNftIGe strAteGIe<br />

Der strategische Leckerbissen in<br />

diesem Poker um das größte Abschreckungspotenzial<br />

ist zweifellos<br />

<strong>Belarus</strong>, da sind sich russische<br />

Militärbeobachter einig. Deshalb<br />

machte Medwedjew auch schnell<br />

Nägel mit Köpfen und einigte sich<br />

mit seinem Kollegen Lukaschenko<br />

am 19. August in Sotschi darauf,<br />

ein gemeinsames Abkommen<br />

für einen Abwehrschild Ende<br />

2008 zu unterzeichnen, auf der<br />

Sitzung des Höchsten Rats des<br />

gemeinsamen Unionsstaates. Der<br />

russische Botschafter in <strong>Belarus</strong>,<br />

Alexander Surikow, fügte hinzu,<br />

dass es nicht um die Stationierung<br />

von Kernwaffen ginge. Dies sei<br />

auch nach internationalem Recht<br />

gar nicht möglich, unterstrich<br />

Surikow, weil <strong>Belarus</strong> 1994 das<br />

Lissaboner Zusatzprotokoll unterschrieben<br />

habe, in dem sich einige<br />

Nachfolgestaaten der Sowjetunion<br />

zum Verzicht auf Kernwaffenstationierung<br />

verpflichten. Hochmoderne<br />

Raketensysteme vom<br />

Typ „Iskander” und strategische<br />

Bomberstaffeln fielen allerdings<br />

nicht unter das Verbot.<br />

verZöGerte uMsetZuNG<br />

Eigentlich sollte es das Abkommen<br />

über den gemeinsamen Raketenschild<br />

schon 2001 geben.<br />

Aus unerfindlichen Gründen<br />

zog sich jedoch die bürokratische<br />

Prozedur jahrelang hin. Der belarussische<br />

Verteidigungsminister<br />

Leonid Malzew findet, dass das<br />

nicht Schuld seines Landes sei,<br />

man habe bereits damals vor sieben<br />

Jahren alle nötigen Papiere<br />

nach Moskau geschickt, aber sage<br />

und schreibe fünf Jahre auf eine<br />

Antwort gewartet. Dennoch ist<br />

Malzew heute guter Hoffnung. Er<br />

sehe „keinerlei Probleme” für die<br />

Unterzeichnung des Abkommens,<br />

bekräftigte der Minister.<br />

GeGeNWärtIGe PrAxIs<br />

Sowohl Botschafter Surikow als<br />

auch Minister Malzew sind sich<br />

einig, dass es das gemeinsame<br />

Luftabwehrsystem eigentlich<br />

schon längst gibt. „Wir kontrollieren<br />

den Luftraum zwischen<br />

Kaliningrad und Smolensk, und<br />

alle Informationen gehen sofort an<br />

unsere Abwehrstationen”, erkärte<br />

Malzew die Zusammenarbeit.<br />

Eine Kooperation mit Perspektive,<br />

findet der Präsident der russischen<br />

Akademie für Geopolitische Probleme,<br />

Leonid Iwaschow. <strong>Belarus</strong>,<br />

so der Generaloberst im Ruhestand,<br />

könnte im Notfall einfach<br />

seine Unterschrift unter dem Lissabon-Protokoll<br />

revidieren und<br />

zur nötigen Abschreckung auch<br />

Kernwaffen auf seinem Territorium<br />

stationieren.<br />

KeINe KerNWAffeN<br />

Das will heute jedoch niemand, beteuern<br />

alle Beteiligten, allen voran<br />

Präsident Lukaschenko. Anfang<br />

September machte Lukaschenko<br />

seinen Standpunkt auf einer Pressekonferenz<br />

für russische Journalisten<br />

klar: „Ich habe hier nicht die<br />

Position eines Falken. Der Westen<br />

braucht keine Angst zu haben, um<br />

Kernwaffen geht es hier nicht.”<br />

Dennoch, betonte der Präsident,<br />

stehe <strong>Belarus</strong> zu seinem Nachbarn<br />

und Verbündeten: „Wenn hier ein<br />

Brand ausbricht und es gegen Russland<br />

geht, dann werden wir für<br />

unsere gemeinsamen Interessen<br />

mit der Waffe kämpfen”, so das<br />

Staatsoberhaupt.<br />

KeINe hOchrüstuNG<br />

Dass auch der belarussischen<br />

Führung ein wenig mulmig bei<br />

dem Säbelrasseln wird, zeigte<br />

Verteidigungsminister Malzew,<br />

der Ende August beim Treffen mit<br />

OVKS-Kollegen etwas völlig Branchenunübliches<br />

zu Protokoll gab:<br />

„Im Hochrüsten, im Aufpumpen<br />

von Kriegsmuskeln — darin liegt<br />

die größte Gefahr”, erklärte der<br />

General mit Blick auf den amerikanischen<br />

Raketenschild. Selten ist<br />

wohl ein Generaloberst mit solch<br />

radikalpazifistischen Äußerungen<br />

zitiert worden.<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42


Rom für Dialog<br />

(Ms) ende Juni besuchte Kardinalstaatssekretär tarcisio bertone Minsk und traf sich mit Präsident Lukaschenko.<br />

bertone, der höchste beamte des vatikansstaats, lobte die gute Atmosphäre der Gespräche und<br />

bedankte sich bei Lukaschenko für dessen einladung an Papst benedikt xvI. Nun wollen beide seiten<br />

ein Konkordat vorbereiten.<br />

Bertone war zum ersten Mal in<br />

Minsk, machte aber gleich klar,<br />

dass er mit den besten Absichten<br />

gekommen war. Er bekräftigte,<br />

dass der Papst „dem Präsidenten<br />

und allen Bürgern von <strong>Belarus</strong><br />

seine Hochachtung zeigt”. Lukaschenko<br />

seinerseits nutzte die<br />

Gelegenheit, um Papst Benedikt<br />

XVI. nach Minsk einzuladen.<br />

GeGeNseItIGe<br />

uNterstütZuNG<br />

Dass es zwischen der belarussischen<br />

römisch-katholischen Kirche<br />

und dem Staat Unstimmigkeiten<br />

gibt, ist kein Geheimnis. Unter<br />

anderem weist <strong>Belarus</strong> mit notorischer<br />

Regelmäßigkeit polnische<br />

Geistliche aus, die sich öffentliche<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42<br />

politische Kritik erlauben. Dies<br />

trübte jedoch nicht die Stimmung<br />

bei dem Treffen. „Sehr gute persönliche<br />

Beziehungen” habe er zu<br />

der Leitung der römisch-katholischen<br />

Kirche, meinte Lukaschenko<br />

und betonte deren fruchtbare<br />

Arbeit „im Bereich traditionell<br />

christlicher Werte: Familie, Moral,<br />

Nächstenliebe”. Bertone seinerseits<br />

unterstützte den Präsidenten<br />

bei seinem politischen Kurs. Als<br />

„gutes Gesetz, dass die Rechte<br />

der traditionell belarussischen<br />

Religionen schützt” bezeichnete<br />

der Kardinalssekretär das belarussische<br />

Religionsgesetz, das es<br />

neuen Religionsgemeinschaften<br />

schwer macht, sich in <strong>Belarus</strong> zu<br />

etablieren. Zudem kritisierte Bertone<br />

westliche Sanktionen gegen<br />

Und der Gewinner ist...<br />

Bereits als <strong>Belarus</strong> vor etwa einem<br />

Jahr den Bauauftrag öffentlich<br />

ausgeschrieben hatte, war das<br />

Echo mehr als bescheiden gewesen.<br />

Lediglich drei Firmen hatten<br />

sich gemeldet: Die russische „Rusatom“,<br />

die französisch-deutsche<br />

„Arewa“-Gruppe sowie die chinesische<br />

„Guangdong Nuclear<br />

Power Group“.<br />

„AreWA“...<br />

Minsk beteuerte besonderes Interesse<br />

an dem europäischen<br />

Angebot, ließ jedoch in den Folgemonaten<br />

ständig Kritik an Arewa<br />

laut werden. Die Firma, hieß es<br />

aus Regierungskreisen, hinke bei<br />

ihrem finnischen AKW-Projekt<br />

stolze zwei Jahre hinter den Bauplänen<br />

her. Außerdem murrten<br />

die belarussischen Beamten, dass<br />

Frankreich und Deutschland selber<br />

seit langem keinen Reaktor<br />

mehr in ihrem Land gebaut hätten,<br />

die Franzosen nicht einmal<br />

im Ausland. Last not least hat<br />

ein Arewa-AKW einen durchaus<br />

unangenehmen radioaktiven Beigeschmack.<br />

Denn den Atommüll<br />

würde Arewa zwar aufarbeiten,<br />

dann aber zur Endlagerung zurück<br />

nach <strong>Belarus</strong> bringen. Ganz anders<br />

die Russen.<br />

...Oder „rusAtOM“<br />

Der Energieriese Rusatom ist<br />

nicht nur bereit, den radioaktiven<br />

Außenpolitik<br />

<strong>Belarus</strong>. Sanktionen seien grundsätzlich<br />

„nicht hinnehmbar”, da<br />

unter ihnen das Volk leide.<br />

NEUES KoNKoRdAT?<br />

Bei den Gesprächen ging es in<br />

erster Linie um den Bau von neuen<br />

Kirchen und die Bereitstellung<br />

von Bauland für die neue Residenz<br />

des katholischen Erzbischofs. Außerdem<br />

besprachen beide Seiten<br />

ein mögliches Konkordat, wie es<br />

bisher nur mit der orthodoxen<br />

Kirche existiert. Deren Oberhaupt,<br />

Metropolit Filaret, traf<br />

sich ebenfalls mit Bertone. Auch<br />

über dieses Gespräch zeigte sich<br />

Bertone zufrieden und lobte die<br />

Zusammenarbeit beider Kirchen<br />

in <strong>Belarus</strong>.<br />

(Marina Rachlej, Minsk) Wer soll das belarussische AKW bauen? Anfangs hatte Minsk noch drei Wettbewerber<br />

ausgemacht, doch der staat scheint sich längst entschieden zu haben. Wer die besten bedingungen<br />

bietet, ist längst kein Geheimnis mehr.<br />

Abfall auf russischem Territorium<br />

zu lagern. Rusatom würde auch<br />

belarussische Experten zu Sonderpreisen<br />

ausbilden und einen<br />

Kredit für die Anschaffung von<br />

Technik gewähren. Traumhafte<br />

Bedingungen, zu denen bisher<br />

weder Chinesen noch Franzosen<br />

und Deutsche bereit waren, obwohl<br />

Minsk darauf pochte. Man<br />

werde, so Michail Mjasnikowitsch,<br />

Vorsitzender des Präsidiums der<br />

Akademie der Wissenschaften,<br />

„genau darauf achten“, ob die<br />

Baufirma einem bei der Finanzierung<br />

entgegenkomme. Außerdem<br />

wünscht sich <strong>Belarus</strong> zwei Reaktoren<br />

à einer Million Megawatt.<br />

Einen Wunsch, den Awera nicht<br />

erfüllen kann, denn die Firma hat


Innenpolitik<br />

sich auf 1,6-Millionen-Megawatt-<br />

Reaktoren spezialisiert.<br />

KeIN POLItIscher drucK<br />

Dabei hatte Präsident Lukaschenko<br />

persönlich dafür gesorgt, dass<br />

die Spekulationen wild ins Kraut<br />

geschossen waren. Lukaschenko<br />

hatte mehrfach erklärt, er werde<br />

sich nicht unter politischen Druck<br />

setzen lassen – weder von den<br />

Russen, die angeblich mit einem<br />

Abbruch der Beziehungen gedroht<br />

hatten, sollten nicht sie den<br />

Zuschlag erhalten, noch von den<br />

Europäern, die angeblich eine<br />

Demokratisierung des Landes zur<br />

Bedingung gemacht hatten.<br />

hIer KeIN INteresse...<br />

Dass die westeuropäischen Geschäftsleute<br />

tatsächlich politi-<br />

Waffe im Anschlag<br />

Gleich mehrere Absätze in dem<br />

neuen Gesetz riefen Journalistenvertreter<br />

auf den Plan. Das Gesetz<br />

sei „tödlich für die Entwicklung<br />

des unabhängigen Journalismus<br />

in <strong>Belarus</strong>”, erklärten die Juristen<br />

Jurij Toporascha und Michail<br />

Postuchow von der unabhängigen<br />

Assoziation <strong>Belarus</strong>sischer Journalisten.<br />

Besonders sauer stießen<br />

ihnen drei Punkte in dem neuen<br />

Gesetz auf: Erstens müssen sich<br />

alle Medien ab Inkrafttreten des<br />

Gesetzes im Februar 2009 neu registrieren<br />

lassen – eine aufwändige<br />

Prozedur, die nicht selten mit der<br />

Schließung unliebsamer Medien<br />

einher geht. Zweitens sind ausländische<br />

Journalisten nun bei Strafe<br />

verpflichtet, sich akkreditieren zu<br />

lassen, und die Staatsmacht hat<br />

sich selbst neue Gründe geliefert,<br />

um deren Einfluss auszuschließen<br />

sche Forderungen gestellt haben,<br />

mag getrost bezweifelt werden.<br />

Vermutlich scheitert die Awera-<br />

Variante schlichtweg an beiderseitigem<br />

Desinteresse, schließlich<br />

haben weder Minsk noch Awera<br />

konkrete Verhandlungen über<br />

ein mögliches Bauprojekt geführt.<br />

Eigentlich sieht eine öffentliche<br />

Ausschreibung anders aus. Für<br />

eine solche, gab der staatliche<br />

Wissenschaftler Mjasnikowitsch<br />

zu, habe <strong>Belarus</strong> „auch überhaupt<br />

keine Zeit gehabt“<br />

...dOrt KeINe<br />

ALterNAtIve<br />

Der russische Botschafter in Minsk,<br />

Alexander Surikow, hatte indes<br />

versucht, die erhitzten Gemüter<br />

in seinem Heimatland zu beruhigen:<br />

Es gäbe, so Surikow, keinen<br />

Grund zur Besorgnis für die rus-<br />

(Marina rachlej, Minsk) Gerade mal eine Woche Zeit brauchten die belarussischen Parlamentarier, um<br />

im Juni das neue Gesetz über die Massenmedien zu verabschieden. Während Journalisten neue repressionen<br />

fürchten – vor allem gegen Internetportale – raten einige experten zur Geduld. Alles werde davon<br />

abhängen, wie sich die beziehungen zum Westen entwickelten.<br />

- zum Beispiel dürfen nicht mehr<br />

als 30 Prozent einer Zeitung einem<br />

Ausländer gehören. Die dritte und<br />

wichtigste Neuerung ist jedoch,<br />

dass sich nun Internetportale als<br />

Massenmedien registrieren lassen<br />

müssen. Das „Bynet”, so die Kritiker,<br />

werde so staatlicher Kontrolle<br />

unterstellt.<br />

LANGsAM uNd schNeLL<br />

Dabei hatten sich die Beamten des<br />

Informationsministeriums redlich<br />

Mühe gegeben. Sieben Jahre, seit<br />

2001, hatten sie an dem Gesetz geschuftet,<br />

leider unter fast völligem<br />

Ausschluss der Öffentlichkeit. Die<br />

erfuhr von dem Inhalt des neuen<br />

Gesetzes eher zufällig kurz vor<br />

dessen Blitzbesprechung im Parlament<br />

aus der Presse. Nachdem<br />

die Parlamentarier das Gesetz<br />

sischen Geschäftsleute, da bisher<br />

alles auf ein russisches Bauprojekt<br />

hindeute.<br />

fATALER fEhLER?<br />

Das nahm Surikow auch Alexander<br />

Wojtowitsch ab, der ehemalige<br />

Chef der Akademie der Wissenschaften,<br />

heute ein überzeugter<br />

Oppositioneller. Wojtowitsch hält<br />

einen Bauauftrag an Russland jedoch<br />

für einen fatalen Fehler, sei<br />

doch die ursprüngliche Motivation<br />

der <strong>Belarus</strong>sen gewesen, ihre Energieversorgung<br />

zu entrussifizieren.<br />

„Offenbar“, so der oppositionelle<br />

Wissenschaftler, „hat unser Staat<br />

keine Wahl, weil es einfach nicht<br />

genug interessierte Firmen gibt.<br />

Dabei ist klar, dass Russland<br />

keine Chance verstreichen lassen<br />

wird, <strong>Belarus</strong> noch enger an sich<br />

zu binden.“<br />

im Schnellverfahren abgesegnet<br />

hatten, setzte der Präsident<br />

schnurstracks seine Unterschrift<br />

darunter. Die Forderungen der<br />

Opposition nach Neuverhandlung<br />

einzelner Absätze verhallten<br />

ungehört.<br />

hArMLOs Oder<br />

GEfähRLich?<br />

Indes beruhigten Staatsvertreter<br />

die aufgebrachte Öffentlichkeit.<br />

So behauptete die stellvertretende<br />

Informationsministerin Lilija<br />

Ananitsch, es müssten sich nur<br />

Internetmedien neu registrieren<br />

lassen, nicht etwa alle Internetressourcen<br />

– obwohl das Gesetz<br />

dies vorschreibt. Auch Wsewolod<br />

Jantschewkij, Präsidentenberater<br />

für Ideologie, erklärte, das belarussische<br />

Internet „war, ist und<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42


leibt frei. Es kann überhaupt<br />

gar keine Rede von einem Kampf<br />

mit Andersdenkenden sein”. Der<br />

Politologe Viktor Martinowitsch<br />

ist da anderer Meinung. Ziel des<br />

Gesetzes sei von Anfang an eine<br />

stärkere Kontrolle über das Internet<br />

gewesen. Allerdings, so Martinowitsch,<br />

werde alles von der Umsetzung<br />

des Gesetzes abhängen.<br />

Und die wiederum hänge direkt<br />

davon ab, ob die belarussisch-russischen<br />

Beziehungen durch teures<br />

Neue Gesichter<br />

Neuer Chef des Sicherheitsrats ist<br />

der vormalige KGB-Vorsitzende<br />

Jurij Schadobin, die Präsidialadministration<br />

leitet nun Wladimir<br />

Makej, ehemaliger Berater des<br />

Präsidenten. Lukaschenko indes<br />

machte den Ex-Chef Schejman<br />

direkt für die ergebnislosen Ermittlungen<br />

nach dem Attentat<br />

verantwortlich: „Sie haben nichts<br />

unternommen! Ich denke nicht,<br />

dass Sie nach dem Vorfall weiterhin<br />

diesen Posten innehaben<br />

sollten. In erster Linie sind Sie<br />

schuld! Sie und der Chef der Präsidialadministraion.<br />

Er ist für die<br />

politische Seite verantwortlich, Sie<br />

für die Sicherheit.“<br />

vOrGeschObeNe<br />

beGrüNduNG<br />

Eine präsidiale Logik, der nicht alle<br />

politischen Beoachter folgen konnten.<br />

Insbesondere die Entlassung<br />

von Gennadij Newyglas wegen politischen<br />

Versagens mutet seltsam<br />

an, denn das politische Renommee<br />

der Staatsmacht hat kaum gelitten.<br />

Es mag im blühenden <strong>Belarus</strong> ein<br />

kleines Unkrautpflänzchen aufgetaucht<br />

sein – aber es alleine wird<br />

kaum den Weg in die glückliche<br />

Zukunft zuwuchern. Schejman<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42<br />

Gas und eine eventuelle Moskauer<br />

Kreditabsage angespannt würden.<br />

Dann nämlich, so Martinowitsch,<br />

könne die Staatsführung stärker<br />

an einer Annäherung zur EU<br />

interessiert sein und sich mit<br />

Repressionen gegen die Medien<br />

zurückhalten.<br />

„tschechOWs GesetZ“<br />

Sein Kollege Alexander Kalskowskij<br />

bemühte sogar den russischen<br />

hingegen war schließlich auch<br />

für die Sicherheit verantwortlich,<br />

als 1999 bei einer Massenpanik 53<br />

Menschen in Minsk starben und<br />

der damalige Generalstaatsanwalt<br />

Oleg Boschelko erklärte, dass „die<br />

Mitarbeiter des Innenministeriums<br />

bestimmte Fehler gemacht” hatten.<br />

Niemandem wäre damals in den<br />

Sinn gekommen, Viktor Schejman<br />

zu entlassen. Überhaupt, meint der<br />

unabhängige Politologe Walerij<br />

Karbalewitsch, habe Schejmans<br />

Entlassung schon lange angestanden.<br />

„Kein Wunder, das Lukaschenko<br />

den Moment nutzte“, so<br />

Karbalewitsch.<br />

Schejman verliert ganz offensichtlich<br />

an Boden im Machtapparat.<br />

Vielleicht reiste er zu oft nach<br />

Venezuela, zu Verhandlungen<br />

Innenpolitik<br />

Klassiker Anton Tschechow um<br />

eine Metapher: Es handele sich bei<br />

dem Gesetz bildlich gesprochen<br />

um jene Waffe, von der schon der<br />

große Dramatiker sagte: „Wenn<br />

sie im ersten Akt auf der Szene<br />

hängt, dann wird sie im vierten<br />

unbedingt abgefeuert.” Die Staatsmacht<br />

wolle sich also zumindest<br />

die Möglichkeit offen halten, diese<br />

Waffe eines Gesetzes auch abzufeuern,<br />

so Kalskowksij.<br />

(Alexander dautin, Minsk) Alexander Lukaschenko hat nach dem bombenattentat am unabhängigkeitstag<br />

zwei der mächtigsten Männer des Landes ihrer Posten enthoben: viktor schejman, Generalsekrätär des<br />

Nationalen Sicherheitsrats, und Gennadij Newyglas, chef der Präsidialadministration. Es sieht allerdings<br />

so aus, als habe Lukaschenko dabei andere dinge im Kopf gehabt als die öffentliche sicherheit.<br />

Impressum:<br />

redaktionsadresse:<br />

IBB gGmbH, <strong>Belarus</strong>-Perspektiven,<br />

Bornstr. 66, 44145 Dortmund,<br />

� 0231-952096-0, Fax: 0231-521233,<br />

E-Mail: info@ibb-d.de,<br />

Website: www.ibb-d.de<br />

herausgeber:<br />

Peter Junge-Wentrup, <strong>Internationales</strong><br />

<strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk gGmbH<br />

Dortmund<br />

mit Lukaschenkos Busenfreund<br />

Chavez, und nahm so an wichtigen<br />

Personalentscheidungen nicht teil.<br />

Zuerst wurden Boris Tarletzkij<br />

und Viktor Prus entlassen, „seine“<br />

stellvertretenden Generalstaatsanwälte.<br />

Dann wurden weitere<br />

Nahestehende des 50-jährigen<br />

Schejman gegangen.<br />

vIKtOr vs. vIKtOr<br />

Beobachter machten eine Tendenz<br />

aus: Schejmans Leute wurden, wie<br />

nun auch er selber, durch Sympathisanten<br />

seines schärfsten Gegners<br />

innerhalb des Machtapparats<br />

ersetzt, der nun triumphiert. Er<br />

heißt ebenfalls Viktor und hat<br />

einen einflussreichen Gönner,<br />

seinen Vater. Der ist Präsident der<br />

Republik <strong>Belarus</strong>.<br />

redaktion:<br />

Martin Schön, Berlin,<br />

Dr. Edith Spielhagen, Berlin,<br />

Nadine Lashuk, IBB Minsk,<br />

Kai-Uwe Dosch, Hamm<br />

druck:<br />

Montania Druck, Dortmund<br />

Gekennzeichnete Artikel entsprechen<br />

nicht unbedingt der Meinung der Redaktion.<br />

Leserbriefe an <strong>Belarus</strong>Perspektiven@<br />

gmail.com Einzelpreis: 4,00 Euro, Jahresabonnement<br />

incl. Versand: 15,00 Euro.


Innenpolitik<br />

Die Tür bleibt offen<br />

(Pauljuk Bykowskij, Minsk/MS) die EU hatte die belarussischen Parlamentswahlen zum „Lackmustest<br />

der demokratisierung” erklärt, so dass alle beobachter am 28. september gespannt nach Minsk blickten.<br />

die Wahlen verliefen unspektakulär. Interessant waren die reaktionen.<br />

Bereits vor der Wahl war klar,<br />

dass das neugewählte Parlament<br />

wegweisende Entscheidungen<br />

in Bezug auf die belarussische<br />

Außenpolitik fällen wird, denn<br />

Präsident Lukaschenko höchstpersönlich<br />

hatte dem Unterhaus die<br />

delikate Aufgabe übertragen, Ende<br />

November über die Anerkennung<br />

der abtrünnigen georgischen Teilrepubliken<br />

Süd-Ossetien und Abchasien<br />

zu entscheiden. Dadurch<br />

stand weniger die Wahl selbst als<br />

die Folgen ihrer Anerkennung im<br />

politischen Fokus. Lukaschenko<br />

hatte klar gemacht, dass „wir jeden<br />

Kontakt mit dem Westen abbrechen<br />

werden, sollte er die Wahlen<br />

nicht anerkennen”. <strong>Belarus</strong> könnte<br />

sich in diesem Fall dem bewährten<br />

Partner Russland zuwenden, die<br />

Souveränität der georgischen<br />

Teilrepubliken anerkennen und<br />

dafür wahrscheinlich mit billigen<br />

Energieträgern und Krediten belohnt<br />

werden.<br />

russLANd uNGeduLdIG<br />

Doch das undankbare an Politik<br />

ist, dass Prognosen und Planspiele<br />

sich oft als falsch herausstellen. Bevor<br />

einer der beiden Spieler seine<br />

Karten nicht auf den Tisch legt, ist<br />

unklar, wer den Topf bekommt.<br />

Deshalb zögert sowohl Minsk<br />

seine Entscheidung zu Georgien<br />

heraus also auch Europa seine<br />

Entscheidung zu den Wahlen.<br />

Russland wartet indes ungeduldig<br />

auf die Anerkennung seiner<br />

Vasallenstaaten in Georgien und<br />

hat schon mal den Besuch von<br />

Ministerpräsident Putin für den<br />

6. Oktober angekündigt. Beobachter<br />

erwarten heiße Diskussionen<br />

darüber, welchen Preis Russland<br />

bereit ist, für diplomatische Schüt-<br />

zenhilfe im Georgien-Konflikt zu<br />

zahlen.<br />

beLArus ZöGerLIch<br />

Alexander Lukaschenko indes hält<br />

sich unbeirrbar an das belarussische<br />

Sprichwort «Ein schlaues<br />

Kalb trinkt bei zwei Müttern» und<br />

spielt Ost und West gegeneinander<br />

aus, um den Preis für seine<br />

politische Loalität nach oben zu<br />

treiben. Bisher hat der Präsident<br />

deshalb weder Sergej Bagapsch<br />

und Eduard Kokoity abgesagt, den<br />

selbsternannten Präsidenten von<br />

Abchasien und Süd-Ossetien, die<br />

ihn um Anerkennung gebeten haben;<br />

noch erteilte er Javier Solana<br />

eine Absage, der den Staatschef am<br />

25. September aus New York von<br />

der UNO-Generalversammlung<br />

anrief, um sich nach der „Entwicklung<br />

der innenpolitischen Situation<br />

in <strong>Belarus</strong>” zu erkundigen und<br />

zu unterstreichen, wie wichtig es<br />

sei, „eine neue Seite in den Beziehungen<br />

zwischen <strong>Belarus</strong> und<br />

der EU aufzuschlagen”. Wenn<br />

man ignoriert, dass die EU das<br />

belarussische Parlament seit 1996<br />

nicht anerkannt hat, ihre diplomatischen<br />

Beziehungen zu <strong>Belarus</strong><br />

nur unterhalb der Ministerebene<br />

aufrecht erhält und Einreiseverbote<br />

gegen praktisch alle hochgestellten<br />

belarussischen Beamten<br />

ausgesprochen hat, könnte man<br />

Solanas Anruf als reine Routineangelegenheit<br />

bezeichnen.<br />

eu freuNdLIch<br />

Es folgte ein noch bedeutsamerer<br />

Schritt – die diplomatische Eiszeit<br />

wurde praktisch aufgehoben, als<br />

der polnische Außenminister Radoslaw<br />

Sikorski, ganz offensichtlich<br />

von der EU bevöllmächtigt,<br />

am 12. September nach Minsk<br />

kam. Sikorski erklärte freimütig,<br />

die Aufhebung der Sanktionen stehe<br />

kurz bevor, und selbst die zuvor<br />

zum Lackmustest hochstilisierten<br />

Wahlen könnten, sollten sie nicht<br />

den OSZE-Kriterien entsprechen,<br />

den Dialog nicht aufhalten.<br />

Tatsächlich bemühte sich die<br />

belarussische Staatsmacht, bei den<br />

Wahlen auf Europa zuzugehen.<br />

Abgesehen von der Freilassung<br />

der letzten politischen Gefangenen<br />

des Landes hielt sich der Staatsapparat<br />

bei den Wahlen definitiv<br />

zurück: Keine antioppositionelle<br />

Agitation in den Medien, keine<br />

massenweisen Zulassungsverbote<br />

für oppositionelle Kandidaten. Lidija<br />

Jermoschina, Chefin der Zentralen<br />

Wahlkommission, erklärte<br />

den Journalisten, warum: „Diese<br />

Wahlen sind dazu da, um Stereotypen<br />

einzureißen.” Kein Wunder,<br />

dass Präsident Lukaschenko eine<br />

Belohnung aus dem Westen erwartete<br />

und bei Nichtanerkennung<br />

mit einem Abbruch der Gespräche<br />

drohte.<br />

OPPOsItION chANceNLOs<br />

Tatsächlich verliefen die Wahlen<br />

dermaßen unspektakulär, dass der<br />

Kolumnist Viktor Martinowitsch<br />

sie ironisch als «transparent bis<br />

zur Durchsichtigkeit» bezeichnete.<br />

Es gab weder hitzige Debatten<br />

um Sachfragen, noch spannende<br />

Kopf-an-Kopf-Rennen, denn kein<br />

einziger Kandidat musste in die<br />

Stichwahl gehen, was ein historisches<br />

Novum in <strong>Belarus</strong> ist. Das<br />

mag auch am Mangel an Alternativen<br />

gelegen haben, denn in<br />

vielen Wahlkreisen gab es außer<br />

den staatlich favorisierten Politikern<br />

keine Kandidaten für das<br />

10 <strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42


Wahlkommissionschefin<br />

Lidija<br />

Jermoschina studiert<br />

ihre Unterlagen.<br />

Den Journalisten<br />

verkündete<br />

sie auf Nachfrage:<br />

„Absolut korrekt,<br />

kein einziger<br />

Vertreter der<br />

Opposition hat<br />

es ins Parlament<br />

geschafft.“<br />

Pauljuk<br />

Bykowskij<br />

Deputatenmandat. Doch selbst<br />

jene 70 Vertreter der oppositionellen<br />

„Vereinten Demokratischen<br />

Kräfte”, die zur Wahl angetreten<br />

waren, blieben chancenlos – zum<br />

ersten Mal in seiner Geschichte<br />

ist das Parlament nun völlig ohne<br />

kritische Stimme, sogar die von<br />

Lukaschenko stets als „konstruktive<br />

Oppositionelle” gelobte Olga<br />

Abramowa kam nur auf 24 Prozent<br />

der Stimmen in ihrem Wahlkreis.<br />

OsZe GeMässIGt<br />

Die Stimmenauszählung, bemängelte<br />

indes die OSZE, sei keineswegs<br />

transparent gewesen, denn<br />

allein in 35 Prozent der Fälle sei<br />

es den Beobachtern untersagt gewesen,<br />

die Stimmenauszählung<br />

zu beobachten, ja in knapp 50 Prozent<br />

der Fälle sei die Auszählung<br />

„schlecht” oder „sehr schlecht”<br />

durchgeführt worden. Kein Wunder,<br />

dass die OSZE-Beobachtermission<br />

erklärte, die Wahlen<br />

hätten nicht den Standards der<br />

Organisation entsprochen. Aller-<br />

dings hob Anne-Marie Lizin, Ko-<br />

Leiterin der Mission, in ihrem Abschlussbericht<br />

die Verbesserungen<br />

zu den Vorjahren hervor und lud<br />

zu weiteren Gesprächen ein: „Wir<br />

lassen weiterhin eine Tür für den<br />

Dialog offen”, erklärte Lizin.<br />

eNde OffeN<br />

Auf offene Ohren stieß dieser<br />

ungewohnt sanfte Ton bei der<br />

staatlichen Wahlleiterin Lidija<br />

Jermoschina, die sogleich betonte,<br />

dass der Dialog zwischen<br />

beiden Seiten weiterhin Perspektiven<br />

habe. Ihr pflichtete Andrej<br />

Papow bei, Pressesekretär des<br />

belarussischen Außenministeriums.<br />

Papow wies darauf hin, dass<br />

Brüssel die Anstrengungen der<br />

Staatsmacht sehr wohl erkannt<br />

habe. Sie seien lediglich nicht hoch<br />

genug bewertet worden, setzte der<br />

Sprecher nach.<br />

Versöhnliche Töne stimmte auch<br />

der deutsche Botschafter in Minsk,<br />

Gebhardt Weiss, an. Seiner Mei-<br />

Innenpolitik<br />

nung nach waren die Wahlen<br />

deshalb nicht wie vom Westen<br />

gewünscht verlaufen, weil „das,<br />

was von oben gewollt wurde,<br />

nicht vollständig und konsequent<br />

umgesetzt wurde”. Mit anderen<br />

Worten: Weiss ging davon aus,<br />

dass die Staatsführung sehr wohl<br />

demokratische Wahlen angestrebt<br />

hätte, der Machtapparat vor Ort<br />

jedoch anders vorgegangen sei.<br />

Zum Ärger einiger Oppositioneller<br />

und Regimekritiker, die<br />

finden, der Westen verschließe die<br />

Augen vor Wahlfälschungen, stehen<br />

die Zeichen also nach wie vor<br />

auf Dialog. Spannend bleibt die<br />

Frage, welcher Spieler sich zuerst<br />

in die Karten schauen lässt. Wird<br />

die EU zuerst ihr Verdikt über<br />

die belarussischen Wahlen fällen<br />

oder <strong>Belarus</strong> seines über die Souveränität<br />

von Süd-Ossetien und<br />

Abchasien? Russen und Europäer<br />

werden beide Geld und Einfluss in<br />

die Waagschale werfen, um <strong>Belarus</strong><br />

auf ihre Seite zu ziehen.<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42 11


Innenpolitik<br />

Explosion mit Folgen<br />

(Walerij dorochin, Minsk) Mit etwa einem Kilo schrauben und Metallbolzen war die bombe gefüllt, die in<br />

der Nacht zum 4. Juli bei den feierlichkeiten zum unabhängigkeitstag im Zentrum von Minsk explodierte.<br />

sie riss belarus aus dem traum, nur Nachbarländer würden von terroranschlägen heimgesucht, während<br />

im eigenen Land ruhe und Ordnung herrsche. schon bald machten erste theorien die runde, wer hinter<br />

dem Anschlag stecken könnte, und in der staatlichen chefetage rollten Köpfe. Was war geschehen?<br />

Obwohl die Bombe direkt in der<br />

feierfreudigen Menschenmenge<br />

hochgegangen war, wurde nach<br />

offiziellen Angaben von den 55<br />

Betroffenen niemand schwer verletzt.<br />

Trotz der großen Anzahl an<br />

Verletzten beließ es die Polizei<br />

bei einer Absperrung des Explosionsorts,<br />

und die Feierlichkeiten<br />

gingen weiter. Innenminister<br />

Naumow räumte später ein, dass<br />

seine Mitarbeiter bereits anderthalb<br />

Stunden vor der Explosion<br />

eine erste Bombe gefunden und<br />

entschärft hätten.<br />

Bereits eine halbe Stunde nach der<br />

Explosion war Präsident Lukaschenko<br />

persönlich vor Ort und<br />

gab Ärzten und Polizisten Anweisungen,<br />

ohne dabei den Eindruck<br />

zu machen, er fürchte um sein Leben.<br />

Dabei hatte sich Lukaschenko<br />

nach eigenen Angaben direkt auf<br />

der gegenüberliegenden Straßenseite<br />

befunden.<br />

POLItIsch MOtIvIertes<br />

ATTENTAT?<br />

Trotz des Schadens und des medialen<br />

Aufsehens erklärte die<br />

Polizei bald darauf, man ermittle<br />

nicht wegen eines terroristischen<br />

Anschlags sondern wegen Rowdytums.<br />

Anatolij Kuleschow, Chef<br />

der Minsker Polizei, vermutete,<br />

die Bombe hätten „jene gelegt,<br />

die unzufrieden mit dem schönen<br />

Unabhängigkeitstag waren”.<br />

Offenbar eine Anspielung, denn<br />

traditionell kritisiert die Opposition<br />

den Unabhängigkeitstag als zu<br />

sowjetisch und historisch falsch.<br />

Auch Alexander Lukaschenko<br />

nannte die Explosion später „politisch”.<br />

Wohl deshalb nahm die<br />

Polizei bereits am nächsten Tag<br />

die ersten Oppositionellen fest und<br />

befragte sie zu dem Attentat.<br />

uNGeWöhNLIche<br />

befrAGuNGeN...<br />

Während den Befragten nahe<br />

gelegt wurde, Speichelproben zu<br />

hinterlassen, beobachteten die<br />

Minsker verdutzt, dass auf den<br />

Straßen ihrer Stadt Polizisten,<br />

vom Streifenbeamten bis zum<br />

Unteroffizier, wahllos Fußgänger<br />

danach befragten, ob sie etwas<br />

mit der Explosion zu tun gehabt<br />

hätten. Die Situation wurde immer<br />

skuriler, als Kadetten der<br />

Akademie des Innenministeriums<br />

von Haus zu Haus gingen und<br />

Bewohner befragten, ob sie bereits<br />

an Kampfeinsätzen teilgenommen<br />

oder sich in Zonen lokaler Konflikte<br />

aufgehalten hätten. Eine<br />

seltsame Ermittlungsmethode, die<br />

die Ordnungskräfte relativ bald<br />

einstellten.<br />

...uNd KLAssIsche<br />

erMIttLuNGeN<br />

Auf einmal erklärte die Polizei,<br />

sie habe auch gar nicht, wie zuerst<br />

angekündigt, alle zwei Millionen<br />

Minsker befragen wollen, setzte<br />

die bemitleidenswerten Oppositionellen<br />

wieder auf freien Fuß und<br />

begann, auf klassische Art und<br />

Weise zu ermitteln: Sie befragte<br />

Augenzeugen und untersuchte die<br />

Materialien, aus denen die Bombe<br />

gebaut worden war. Man arbeite<br />

auf Hochtouren, versicherte die<br />

Minsker Polizeiverwaltung.<br />

Nennenswerte Ergebnisse förderte<br />

die hochtourige Untersuchung<br />

allerdings nicht zu Tage. Deshalb<br />

machten erste Gerüchte die Runde,<br />

die Staatsmacht habe selber die<br />

Explosion inszeniert. Tatsächlich<br />

warfen einige Fakten Fragen auf,<br />

darunter die Tatsache, dass der<br />

Präsident erstaunlich schnell vor<br />

Ort war und erstaunlich ruhig<br />

blieb – der Anschlag hätte ja auch<br />

ihm gegolten haben können.<br />

Außerdem mutete seltsam an,<br />

dass die Polizei die Feierlichkeiten<br />

weder nach dem Fund der ersten<br />

Bombe, noch nach der Explosion<br />

der zweiten Bombe abbrach. Besonders<br />

schwer wog in den Augen<br />

der Verschwörungstheoretiker<br />

jedoch ein Zitat von Alexander<br />

Lukaschenko, der nur eine Woche<br />

vor dem Unglück in einem Zeitungsinterview<br />

gewarnt hatte, die<br />

Opposition könne „Pogrome und<br />

Explosionen” organisieren.<br />

verschWöruNG vON<br />

ObeN...<br />

Die Verschwörungstheorien<br />

trieben wilde Blüten. Dennoch<br />

scheint die Version eines staatlich<br />

inszenierten Attentats wenig<br />

glaubwürdig. Welche Vorteile<br />

hätte Lukaschenko davon? Um<br />

die schwächelnde belarussische<br />

Opposition in ihre Schranken zu<br />

weisen, braucht das Staatsoberhaupt<br />

keine Bombe hochgehen zu<br />

lassen. Außerdem machten sich<br />

die staatlichen Medien nicht, wie<br />

so oft, über die Opposition her<br />

– das Fernsehen sendete weder<br />

die berüchtigten Reportagen über<br />

ausländische Spione, noch über bewaffnete<br />

Kämpfer, die in Litauen<br />

und Polen ausgebildet würden.<br />

1 <strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42


...Oder bedrOhuNG vON<br />

OsteN<br />

Deshalb bevorzugten viele Beobachter<br />

bald einer zweite Version<br />

des Geschehens. Demnach kam<br />

die Bedrohung nicht von oben,<br />

sondern von Osten, genauer gesagt<br />

aus Russland. Dass die Beziehungen<br />

zwischen Lukaschenko<br />

und der russischen Staatsführung<br />

keinesfalls harmonisch verlaufen,<br />

ist kein Geheimnis. Der Kreml stellt<br />

seit Jahren immer höhere Forderungen<br />

und bietet seinem kleinen<br />

Bruder immer weniger dafür an.<br />

Deshalb flirtet Lukaschenko inzwischen<br />

offen mit dem Westen, ja er<br />

heuerte sogar den politischen PR-<br />

Berater Lord Timothy Bell an, der<br />

schon Margaret Thatcher beriet.<br />

Den wohlwollenden Worten von<br />

der Dialogbereitschaft ließ Lukaschenko<br />

bald Taten folgen. Zuerst<br />

ließ er die letzten drei politischen<br />

Gefangenen frei, dann verweigerte<br />

er Moskau eine Anerkennung der<br />

abtrünnigen georgischen Regionen<br />

Süd-Ossetien und Abchasien.<br />

Gut möglich, dass die aggressiven<br />

russischen Eliten diesen Schritt<br />

als Hochverrat werteten und sich<br />

dazu entschlossen, Lukaschenko<br />

eine Lektion zu erteilen nach<br />

dem Motto: Schau her, wenn wir<br />

wollen, können wir dein Land ins<br />

Chaos stürzen. Die Gelegenheit<br />

dafür war nahezu perfekt: Zunächst<br />

ein repräsentativer Anlass,<br />

der Unabhängigkeitstag, bei dem<br />

aller Augen auf die Staatsführung<br />

und ihre Ordnungskräfte gerichtet<br />

sind; dann die kompromitierenden<br />

Aussagen von Lukaschenko im<br />

Interview, aus denen man ihm<br />

im Nachhinein ein Fettnäpfchen<br />

machen konnte.<br />

Innenpolitik<br />

überrAscheNde<br />

AusWIrKuNGeN<br />

Wer auch immer hinter dem Attentat<br />

steht, er hat zumindest Staub<br />

in den staatlichen Chefetagen<br />

aufgewirbelt. Denn Lukaschenko<br />

entließ aufgrund des Attentats<br />

sowohl den Chef seiner Präsidialverwaltung,<br />

Genadij Newyglas,<br />

als auch den Kopf des Nationalen<br />

Sicherheitsrats, seinen alten Weggefährten<br />

Viktor Schejman (siehe<br />

Artikel auf Seite 9). Die neuen<br />

starken Männer heißen nun Jurij<br />

Schadobin, Ex-KGB-Chef, und<br />

Wladimir Makej, vormals Berater<br />

des Präsidenten. Beide gelten als<br />

pro-westlich, so dass das Bombendrama,<br />

so sarkastisch das klingen<br />

mag, vermutlich positive Folgen<br />

für die Beziehungen zur EU haben<br />

wird.<br />

Sanitäter verarzten einen Verletzten nach der Bombenexplosion. photo.bymedia.net<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42 1


Chronologie<br />

Chronologie von 14. Juli bis 5. Oktober 2008<br />

14.-20. Juli<br />

Alexander Lukaschenko ernennt<br />

Wladimir Makej zum neuen Chef<br />

der Präsidialverwaltung, Ex-KGB-<br />

Chef Jurij Schadobin wird neuer<br />

Vorsitzender des Sicherheitsrats.<br />

Nach Informationen der zentralen<br />

Wahlkommission sind 38 Vertreter<br />

oppositioneller Parteien in<br />

regionalen Wahlkommissionen<br />

vertreten. Das ist etwa ein Drittel<br />

aller Parteienvertreter.<br />

Die Oppositionsbewegung für<br />

die Freiheit von Alexander Milinkewitsch<br />

klagt erfolglos vor dem<br />

Verfassungsgericht gegen die Ablehnung<br />

ihrer Registrierung.<br />

Das belarussische Statistikministerium<br />

erklärt, dass die Preise seit<br />

Jahresbeginnn um etwa sieben<br />

Prozent angestiegen seien.<br />

Die Polizei lässt die letzten Oppositionellen<br />

frei, die im Zusammenhang<br />

mit der Bombenexplosion am<br />

Tag der Unabhängigkeit vorläufig<br />

festgenommen worden waren.<br />

21.-27. Juli<br />

Die Zeitung Sudan Tribune behauptet,<br />

<strong>Belarus</strong> habe zwölf MiG-<br />

29-Jäger an den Sudan verkauft.<br />

Das belarussische Außenministerium<br />

schweigt dazu.<br />

Die oppositionelle Jugendorganisation<br />

Junge Front wird die bevorstehenden<br />

Parlamentswahlen boykottieren,<br />

erklärt ihr Vorsitzender<br />

Dmitrij Daschkewitsch.<br />

In Minsk treffen sich der venezuelanische<br />

Präsident Hugo Chavez<br />

und Alexander Lukaschenko; sie<br />

unterzeichnen zwei Verträge zur<br />

Ölförderung.<br />

Die litauische Botschaft in Minsk<br />

wird von Unbekannten mit Slogans<br />

der rechtsradikalen Russischen<br />

Nationalen Einheit beschmiert.<br />

„Gazprom” bestätigt, die belarussische<br />

„Beltransgas” habe keine<br />

Schulden mehr für Lieferungen.<br />

METRO, IKEA und andere ausländische<br />

Konzerne führen Verhandlungen<br />

mit dem belarussischen<br />

Handelsministerium über die Eröffnung<br />

von Filialen in <strong>Belarus</strong>.<br />

28. Juli - 3. August<br />

In Minsk treffen die ersten internationalen<br />

Beobachter der Parlamentswahlen<br />

ein. Sie gehören der<br />

GUS-Mission an.<br />

In Teheran findet das Treffen der<br />

Blockfreien statt. <strong>Belarus</strong> setzte<br />

sich für den Kampf gegen Menschenhandel<br />

und den Zugang zu<br />

alternativer Energietechnik ein.<br />

US-Präsidentschaftskandidat Mc-<br />

Cain spricht sich für Wirtschaftssanktionen<br />

gegen <strong>Belarus</strong> aus.<br />

Die <strong>Belarus</strong>sische Sozialdemokratische<br />

Partei wählt überraschend<br />

Anatolij Lewkowitsch statt Ex-<br />

Präsidentschaftskandidat Kosulin<br />

zum Vorsitzenden.<br />

4.-10. August<br />

Alexander Lukaschenko unterschreibt<br />

das neue Gesetz über die<br />

Massenmedien, das unter anderem<br />

Internetressourcen registrierungspflichtig<br />

macht.<br />

Ivars Godmanis, Premier von Lettland,<br />

erklärt, er habe sich Anfang<br />

Juli - gegen die Praxis der EU - mit<br />

seinem belarussischen Kollegen<br />

Sergej Sidorskij getroffen.<br />

Die USA werden in nächster Zeit<br />

die abberufene Botschafterin Karen<br />

Stuart nicht ersetzen, erlärt ihr<br />

Chargé d‘Affaires Jonathan Moore<br />

in Minsk.<br />

Alexander Lukaschenko fliegt<br />

nach Peking zur Eröffnung der<br />

Olympischen Spiele und trifft dort<br />

auch Staatspräsident Hu Jintao.<br />

Das belarussische Außenministerium<br />

erklärt seine „tiefe Besorgnis”<br />

aufgrund des georgischen Angriffs<br />

auf Süd-Ossetien.<br />

11.-17. August<br />

Hans-Jochen Schmidt, Chef des<br />

OSZE-Büros in <strong>Belarus</strong>, besucht<br />

Alexander Kosulin in der Haft.<br />

Der indische Botschafter in <strong>Belarus</strong>,<br />

Rajendra Kumar Tyagi, erklärt, das<br />

Handelsvolumen zwischen beiden<br />

Ländern wachse schnell auf bald<br />

400 Millionen US-Dollar.<br />

Laut belarussischem Statistikministerium<br />

ist das BIP im ersten<br />

Halbjahr um 10,3 Prozent im Vergleich<br />

zum Vorjahr gestiegen.<br />

Der deutsche Botschafter Gebhardt<br />

Weiss besucht unangekündigt die<br />

Präsidialverwaltung.<br />

In Moskau trifft sich Premier Sergej<br />

Sidorskij mit seinem russischen<br />

Kollegen Wladimir Putin.<br />

Präsident Lukaschenko begnadigt<br />

Ex-Präsidentschaftskandidat Alexander<br />

Kosulin, der vom Westen<br />

als politischer Gefangener Nr. 1<br />

gehandelt wurde.<br />

18.-24. August<br />

Alexander Lukaschenko und<br />

Dmitrij Medwedjew treffen sich in<br />

Sotschi und einigen sich auf eine<br />

gemeinsame Raketenabwehr.<br />

Die beiden letzten inoffiziellen politischen<br />

Gefangenen Andrej Kim<br />

und Sergej Parsjukewitsch werden<br />

vorzeitig entlassen.<br />

Alexander Lukaschenko trifft sich<br />

in Sotschi mit den Präsidenten von<br />

Süd-Ossetieten und Abchasien. Er<br />

erklärt, Russland habe sich in dem<br />

Konflikt richtig verhalten.<br />

Der Europarat, die EU-Kommissarin<br />

Ferrero-Waldner sowie der<br />

deutsche Außenminister Steinmeier<br />

begrüßen die Entlassung<br />

politischer Gefangener.<br />

Die Oppositionskoalition Vereinte<br />

Demokratische Kräfte erklärt, sie<br />

werde die Wahlergebnisse wegen<br />

unzureichender Wahlbeobachtung<br />

nicht anerkennen.<br />

25.-31. August<br />

Laut Wirtschaftsministerium hat<br />

1 <strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42


sich das Handelsvolumen mit<br />

GUS-Ländern im ersten Halbjahr<br />

2008 um über 62 Prozent auf etwa<br />

21 Milliarden US-Dollar erhöht.<br />

Alexander Michalewitsch von der<br />

Akademie der Wissenschaften<br />

fordert eine bessere Information<br />

der Bevölkerung über den bevorstehenden<br />

Bau des belarussischen<br />

Atomkraftwerks.<br />

Robert Wood vom US-Außenministerium<br />

erklärt, die USA würden<br />

ihre Sanktionen gegen <strong>Belarus</strong><br />

aufheben, wenn Minsk politische<br />

Reformen einleiten würde.<br />

Alexander Lukaschenko besetzt<br />

mehrere hochgestellte Posten im<br />

Nationalen Sicherheitsrat, Grenzkontrollkomitee<br />

und Außenministerium<br />

neu.<br />

Die oppositionelle <strong>Belarus</strong>sische<br />

Volksfront will ihre Kandidaten<br />

kurz vor den Parlamentswahlen<br />

zurückziehen, da diese nicht frei<br />

und fair stattfänden.<br />

1.-7. september<br />

Alexander Lukaschenko genehmigt<br />

Verhandlungen für ein Investitionsabkommen<br />

mit Aserbaidschan,<br />

als Basis für Verhandlungen eines<br />

Regierungsabkommens.<br />

Gediminas Kirkilas, Premier von<br />

Litauen, bespricht mit seinem<br />

belarussischen Kollegen Sergej<br />

Sidorski die Visakosten und die<br />

Zusammenarbeit beim Bau von<br />

Atomkraftwerken.<br />

Laut GUS-Statistikministerium ist<br />

das belarussische Industrie-BIP<br />

im ersten Halbjahr 2008 um 13,1<br />

Prozent gestiegen – auf den dritten<br />

Rang in der Gemeinschaft.<br />

Anatolij Lebedko, Vorsitzender der<br />

Vereinten Bürgerpartei, erklärt im<br />

Staatsradio, es werde keine „ehrliche<br />

Stimmenauszählung” bei den<br />

Parlamentswahlen geben.<br />

Die USA heben Sanktionen gegen<br />

zwei belarussische Firmen auf.<br />

In Moskau einigen sich die Mitglieder<br />

der Organisation des Vertrags<br />

über Kollektive Sicherheit<br />

nicht auf eine Anerkennung von<br />

Südossetien und Abchasien.<br />

Die Staats- und Regierungschefs<br />

der EU beschließen in Avignon,<br />

<strong>Belarus</strong> diplomatisch entgegenzukommen<br />

aufgrund der Entlassung<br />

politischer Gefangener.<br />

8.-14. september<br />

Alexander Lukaschenko erklärt,<br />

dass erst das neue belarussische<br />

Parlament über die Anerkennung<br />

von Abchasien und Süd-Ossetien<br />

entscheiden werde.<br />

Der Warenaustausch zwischen<br />

<strong>Belarus</strong> und Russland wird in<br />

diesem Jahr bei über 30 Milliarden<br />

Dollar liegen, verkündet Präsident<br />

Lukaschenko.<br />

Innenminister Wladimir Naumow<br />

trifft sich mit dem Leiter der<br />

OSZE-Wahlbeobachter, Geert Ahrens,<br />

der das Treffen als „freundschaftlich”<br />

beschreibt.<br />

Die südafrikanische Außenministerin<br />

Dlamini-Zuma trifft sich<br />

in Minsk mit ihrem Kollegen<br />

Martynow, der Südafrika und<br />

<strong>Belarus</strong> als strategische Partner<br />

bezeichnet.<br />

Der Oberste Gerichtshof gibt 2<br />

von 17 Beschwerden von nicht<br />

zugelassenen Kandidaten zu den<br />

Parlamentswahlen statt.<br />

Der polnische Außenminister Radoslav<br />

Sikorski spricht in Minsk<br />

mit seinem Kollegen Sergej Martynow<br />

unter anderem über den<br />

Dialog zwischen EU und <strong>Belarus</strong>.<br />

Die Oppositionskoalition Vereinte<br />

Demokratische Kräfte legt sich<br />

darauf fest, an den Parlamentswahlen<br />

teilzunehmen.<br />

15.-21. september<br />

Der Pressessprecher des Außenministeriums<br />

erklärt, <strong>Belarus</strong> erwarte<br />

von der EU „keine Erklärungen,<br />

sondern konkrete Handlungen”<br />

für eine Annäherung.<br />

Die Weltbank stellt in ihrem „Doing-Business”-Report<br />

eine Verbesserung<br />

der Bedingungen für<br />

die Wirtschaft in <strong>Belarus</strong> fest. Das<br />

Chronologie<br />

Land nimmt nun den 80. Platz<br />

unter 181 Ländern ein.<br />

Ex-Präsidentschaftskandidat Milinkewitsch<br />

erklärt in Berlin den<br />

Dialog von Europa und <strong>Belarus</strong> für<br />

„lebensnotwendig” und trifft auch<br />

Kanzlerin Angela Merkel.<br />

Alexander Lukaschenko erklärt,<br />

<strong>Belarus</strong> werde jede Gespräche<br />

mit dem Westen abbrechen, wenn<br />

dieser die Parlamentswahlen nicht<br />

anerkennt.<br />

22.-28. september<br />

Das Europaparlament hat den Oppositionellen<br />

Alexander Kosulin<br />

zu einem von drei Kandidaten für<br />

den Sacharow-Preis für Menschenrechte<br />

nominiert.<br />

EU-Generalsekretär Javier Solana<br />

telefoniert mit Alexander<br />

Lukaschenko über eine mögliche<br />

Annäherung zwischen EU und<br />

<strong>Belarus</strong>.<br />

Der Warenaustausch zwischen der<br />

EU und <strong>Belarus</strong> sei in den letzten<br />

acht Jahren um das 15-fache gestiegen,<br />

erklärt Außenministeriums-<br />

Sprecher Popow.<br />

Die Präsidenten der abtrünnigen<br />

georgischen Republiken Abchasien<br />

und Süd-Ossetien bitten<br />

Alexander Lukaschenko um Anerkennung<br />

ihrer Souveränität.<br />

Bertrand de Crombrugghe, belgischer<br />

Botschafter für Russland<br />

und <strong>Belarus</strong>, erklärt, er sei für<br />

die Abschaffung der Sanktionen<br />

gegen Minsk.<br />

In <strong>Belarus</strong> finden Parlamentswahlen<br />

statt.<br />

29. september – 5. Oktober<br />

In Minsk fordern 300 Oppositionelle<br />

eine Wiederholung der<br />

Parlamentswahlen.<br />

OSZE und USA erklären, die<br />

Wahlen hätten nicht internationalen<br />

Standards entsprochen.<br />

Russland kritisiert dies.<br />

Das belarussische Budget weist<br />

in den ersten acht Monaten des<br />

Jahres einen Überschuss von 1,1<br />

Milliarden Euro auf.<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42 1


Wirtschaft<br />

Gasgeruch in der Luft<br />

(sergej Glagolew, Minsk) In den nächsten Jahren wird das Gasproblem wohl weiterhin ein dauerbrenner<br />

bleiben in der russisch-belarussischen Großküche, die von Moskau und Minsk gemeinsam bewirtschaftet<br />

wird. dabei hatte man sich eigentlich auf einen Gaspreis geeinigt – doch nun kehren beide seiten wieder<br />

zu den traditionellen tarifstreitigkeiten zurück. der Grund dafür ist klar: die belarussische seite möchte<br />

weniger für Gas bezahlen, Gazprom will das verhindern. Wer wird Sieger im duell der Preiskämpfer?<br />

Die jetzigen Komplikationen in<br />

der Gasfrage kamen bereits im<br />

Sommer auf. Es stellte sich heraus,<br />

dass Minsk weiterhin den Preis<br />

des Vorquartals von 119 Dollar<br />

für 1000 Kubikmeter zahlte und<br />

nicht die vorher vereinbarten 128<br />

Dollar. Begründung: Man wolle<br />

erst den Preis für Gastransit über<br />

eigenes Territorium aushandeln,<br />

so der stellvertretende belarussische<br />

Energieminister Eduard<br />

Towpenez. Damit begann Minsk<br />

offiziell die durch Gazprom früher<br />

angekündigte Kennmarke von 128<br />

Dollar zu ignorieren. Ohne Erfolg:<br />

Der Gaspreis wurde dennoch auf<br />

128 Dollar festgesetzt.<br />

Nun kam jedoch ein neues Problem<br />

auf. Die russische Seite warf<br />

<strong>Belarus</strong> vor, Vermögen von „Beltransgas“<br />

an den belarussischen<br />

Staatsfond abgeführt zu haben<br />

– obwohl das Aktienkontrollpaket<br />

bald Gazprom gehören soll. Die<br />

Russen fürchteten, ihre Verhandlungspartner<br />

räumten vor dem<br />

Verkauf noch schnell den Firmentresor<br />

leer. Nervosität breitete sich<br />

aus. Am 6. August erklärte der<br />

russischer Botschafter in <strong>Belarus</strong>,<br />

Alexander Surikow, dass Beltransgas<br />

2006 nur 0,25 Prozent an das<br />

Budget gezahlt habe, 2007 seien<br />

es schon 8,1 Prozent und 2008<br />

gar 19 Prozent gewesen. Surikow<br />

erklärte jedoch der Öffentlichkeit,<br />

beide Seiten hätten sich geeinigt,<br />

und in der zweiten Hälfte 2008<br />

würden die Zuführungen wieder<br />

auf 8,1% gesenkt. Allerdings hat<br />

die russische Seite bereits weiteren<br />

Gesprächsbedarf angemeldet.<br />

Später teilte Surikov mit, dass man<br />

im September-Oktober zur Frage<br />

des belarussischen Gaspreises zu-<br />

rückkehren wolle. Nach Auskunft<br />

des Botschafters ist es unabdingbar,<br />

den <strong>Belarus</strong>sen „eine größere<br />

Zusatzzahlung für neun Monate<br />

zu berechnen, da die Preise für<br />

Erdölprodukte gestiegen sind.“<br />

Ob es zu einer „Ermäßigung der<br />

Gaspreise“ kommen wird, konnte<br />

Surikow nicht sagen. Er stellte<br />

jedoch fest, dass eine Änderung<br />

des vereinbarten Satzes vom<br />

31.12.2006 nicht nötig sei. Minsk<br />

gibt die Hoffnung jedoch nicht auf<br />

und strebt ein Zusatzabkommen<br />

zum bestehenden Vertrag an, das<br />

niedrige Preise enthält.<br />

Währenddessen wies der stellvertretende<br />

Direktor von „Beltransgas“,<br />

Dmitrij Annjuk, Anfang<br />

September Spekulationen weit von<br />

sich, dass sein Unternehmen seine<br />

Schulden bei Gazprom nicht zahle.<br />

Annjuk zufolge wird sich der Gaspreis<br />

bis Ende dieses Jahres nicht<br />

mehr ändern, und das Problem mit<br />

den Abführungen von „Belatransgas“<br />

in den Haushalt des Energieministeriums<br />

sei für 2008 geklärt.<br />

Also alles eitel Sonnenschein?<br />

Wohl kaum. Nach Aussage des<br />

russischen Botschafters in <strong>Belarus</strong><br />

Surikow könnten die Gaspreise<br />

für belarussische Verbraucher<br />

im nächsten Jahr durchaus die<br />

200-Dollarmarke überschreiten.<br />

<strong>Belarus</strong> rechnet da anders. Man<br />

werde, so der stellvertretende Finanzminister<br />

Wladimir Amarin,<br />

das belarussische Budget 2009 in<br />

der Annahme berechnen, dass russisches<br />

Gas in Zukunft 140 Dollar<br />

für 1000 Kubikmeter kosten wird.<br />

In diesem Fall würde der Gaspreis<br />

für <strong>Belarus</strong> um nur 12 Dollar steigen,<br />

ein sehr optimistisches Szenario.<br />

Amarin räumte denn auch ein,<br />

die belarussische Regierung werde<br />

notfalls Mittel und Wege finden,<br />

um eine Verteuerung über den im<br />

Budget veranschlagten Grenzwert<br />

zu kompensieren. „Das Budget<br />

müsste überarbeitet werden. Dafür<br />

gibt es bestimmte Haushaltsverfahren.<br />

So oder so sind wir auf ein<br />

Anstieg der Preise vorbereitet“,<br />

meinte Amarin.<br />

Aber bis wohin steigt der Preis<br />

nun? Exakte Prognosen sind praktisch<br />

unmöglich, denn das Geschacher<br />

um den Gaspreis wird<br />

wohl ewig weitergehen, weil er<br />

letztlich nicht vom Markt, sondern<br />

von den Politikern in Moskau und<br />

Minsk gemacht wird. Ein Beispiel:<br />

Experten vermuten, dass, sollte<br />

<strong>Belarus</strong> die Unabhängigkeit von<br />

Südossetien und Abchasien anerkennen,<br />

der Gaspreis sich fast auf<br />

dem diesjährigen Niveau halten<br />

wird. Das bedeutet aber auch, dass<br />

<strong>Belarus</strong> weiter am Tropf günstiger<br />

russischer Energielieferungen<br />

hängen wird. Der Moskauer Gashahn<br />

bliebe weiterhin ein starkes<br />

Druckmittel. Viele Wirtschaftswissenschaftler<br />

sprechen bereits<br />

jetzt von sehr hohen Gebühren<br />

für Energieressourcen in <strong>Belarus</strong>.<br />

Ihr Anstieg um das Doppelte<br />

könnte die Wirtschaft schmerzlich<br />

treffen.<br />

Bisher stehen die Zeichen allerdings<br />

nicht auf Sturm, meint der<br />

freie Wirtschaftswissenschaftler<br />

Iwan Antaschkewitsch. Moskau,<br />

meint er, sei derzeit nicht daran<br />

interessiert, seine Partner mit ökonomischen<br />

Methoden an sich zu<br />

knebeln. Eine weitere Gaspreiserhöhung<br />

stehe Minsk also vorerst<br />

wohl nicht ins Haus.<br />

1 <strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42


<strong>Belarus</strong> goes Recycling<br />

In der Sowjetunion war bekanntlich<br />

alles besser, auch das Umweltbewusstsein.<br />

In den 70er und 80er<br />

Jahren konnte man auf Minsker<br />

Straßen regelmäßig kommunistische<br />

Pioniere sehen, die von Haus<br />

zu Haus gingen, um Altpapier<br />

und Altmetall einzusammeln. Die<br />

kostbaren Wertstoffe wanderten<br />

danach in sowjetische Recyclinganlagen.<br />

Doch, oweh, die goldenen<br />

Zeiten sind vorbei. Heute<br />

ist Wiederverarbeitung teuer, der<br />

Glaspfand verschwindend gering.<br />

Also wirft jeder <strong>Belarus</strong>se seinen<br />

Müll, egal ob Plastik, Papier, Bio<br />

oder Glas, in eine der verrosteten<br />

eisernen Mülltonnen, die vor jedem<br />

Hochhaus stehen.<br />

Dass sich jedoch aus Dreck Gold<br />

machen lässt, wussten nicht nur<br />

die alten Römer. Seit der Einführung<br />

der Mülltrennung in Westeuropa<br />

weiß es die halbe Welt.<br />

Deshalb wagten sich belarussische<br />

Beamte zum ersten Mal vor sieben<br />

Jahren an das Thema Recycling<br />

und werden seither nicht müde, es<br />

regelmäßig auf die wirtschaftspolitische<br />

Tagesordnung zu setzen.<br />

Man sucht nach ausländischen<br />

Investitionen und tauscht sich mit<br />

anderen Ländern aus – in erster Linie<br />

natürlich mit Trennweltmeister<br />

Deutschland – und für NGOs und<br />

Ministerien finden reihenweise<br />

Seminare und Konferenzen statt.<br />

Den Worten folgten Taten: 2006<br />

tauchten in belarussischen Städten<br />

die ersten Trenncontainer auf, für<br />

Papier, Glas, Plastik und Dosen. In<br />

den Haushöfen blieb es bisher bei<br />

Plastiktonnen, doch 2008 begannen<br />

die Minsker Abfallbetriebe damit,<br />

auch in den Höfen der Vorstädte<br />

Mülltrennung anzubieten, bisher<br />

allerdings nur in der Hauptstadt.<br />

Umgerechnet knapp neun Millionen<br />

Euro pumpt <strong>Belarus</strong> 2008 in<br />

die Sammlung und Verarbeitung<br />

von Abfällen. Das Geld liegt in<br />

einem speziellen Haushaltsfonds<br />

und wird vor allem für Pilotprojekte<br />

im Recyclingbereich verwendet.<br />

Mit anderen Worten: Es wird<br />

analysiert, geplant und Geld investiert,<br />

wie es sich gehört – nur in zu<br />

geringen Mengen. Mülltrennung<br />

ist teuer. Es fehlt an Müllautos,<br />

Sortierförderbändern und Recyclingfabriken.<br />

In den Regionen hapert<br />

es vor allem an der Sortierung.<br />

Weil es ihnen an Technik und Geld<br />

fehlt, können die Abfallbetriebe<br />

selbst die bisherigen staatlichen<br />

Vorgaben nicht erfüllen.<br />

Dennoch hat der belarussische<br />

Staat erkannt, dass Abfall das<br />

Business der Zukunft ist, und setzt<br />

sich ehrgeizige Ziele: Der Prozentsatz<br />

an wiederverwertetem Abfall<br />

soll bis 2010 von unter 18 auf 25<br />

Prozent steigen, bis 2015 fordert<br />

der Staat sogar 40 Prozent. In den<br />

größeren belarussischen Städten<br />

ist der Bau von insgesamt 15 neuen<br />

Wiederaufarbeitungsanlagen geplant,<br />

fast alles multinationale Projekte<br />

mit deutscher, tschechischer,<br />

schwedischer, südkoreanischer<br />

und japanischer Beteiligung. In<br />

Brest sollen so Geräte der deutschen<br />

Firma Linden zum Einsatz<br />

kommen.<br />

Mit privaten Investitionen<br />

und<br />

Krediten will<br />

der Staat außerdem<br />

große Abgabestellen<br />

für<br />

Plastikflaschen<br />

a n S t a d t z u -<br />

fahrten schaffen<br />

sowie Sammel-<br />

und Sortierstationenaufbauen.<br />

Es gäbe<br />

s c h l i c h t w e g<br />

Wirtschaft<br />

(Marina rachlej, Minsk) Müll trennen, Müll sammeln – bisher sind das für den belarussischen bürger<br />

fremdworte. der Staat steuert dennoch zielstrebig ein westeuropäisches Recyclingsystem an. Kommt der<br />

belarussische „Grüne Punkt”?<br />

keine Alternative zur getrennten<br />

Müllsammlung, meint der stellvertretende<br />

Direktor der staatlichen<br />

Recyclingagentur „Belresursy”,<br />

Walerij Chodyko. Allerdings gibt<br />

Chodyko zu, dass „sich <strong>Belarus</strong><br />

erst am Anfang der Übergangsperiode<br />

zur Mülltrennung befindet”<br />

und mahnt an, dass Baupläne für<br />

Recyclingfabriken alleine kein Problemlösung<br />

seien. „Wir brauchen<br />

wirtschaftliche Anreize für Investoren,<br />

auch für ausländische. Und<br />

für unsere Firmen, damit sie ihre<br />

Produkte aus wiederverwertbaren<br />

Materialien herstellen”. Beispielsweise,<br />

so der Experte, könne man<br />

für solche Betriebe die Steuern<br />

senken oder günstige Kredite vergeben.<br />

Aber auch die Bevölkerung,<br />

findet Chodyko, brauche Anreize,<br />

damit sie zur Mülltrennung erzogen<br />

werde. Eine Belohnung<br />

von etwa 50 Eurocent sollten die<br />

Bürger pro Abfallladung für ihre<br />

Trennbemühungen bekommen.<br />

„Die Müllfrage”, unterstreicht<br />

Chodyko „ist für uns und unsere<br />

Kinder nicht nur eine Frage<br />

der Lebensqualität. Wir wollen<br />

schließlich auch in einem sauberen<br />

Land leben.” Mit solchen Slogans<br />

versucht das Umweltministerium<br />

die <strong>Belarus</strong>sen seit einiger Zeit<br />

auch in Fernseh- und Radiospots<br />

vom Recycling zu überzeugen.<br />

Polnische Touristin nutzt Mülltrennung an den Braslawer Seen.<br />

Martin Schön<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42 1


Wirtschaft<br />

Minsk-City in den Wolken<br />

(sergej Glagolew, Minsk) Noch kreisen vor den toren von Minsk abends Airliner über den rollbahnen<br />

und setzen zur Landung an. die Anwohner haben sich schon längst an das dröhnen der turbinen gewöhnt<br />

und keiner glaubt hier so recht daran, dass schon bald ruhe einkehren soll. denn der flughafen Minsk-1<br />

soll dem Stadtbezirk Minsk-city weichen, einem investitions-Großprojekt, dass selbst in Russland seinesgleichen<br />

sucht.<br />

Auf dem Territorium des heutigen<br />

Flughafens und des Flugzeugwerks<br />

sollen auf einer Fläche von<br />

über 300 Hektar Wohnviertel für<br />

knapp 40.000 Einwohner und ein<br />

Hochhauskomplex mit Büro-,<br />

Handels- und Gastronomieflächen<br />

entstehen. Glanzstück des Bezirks<br />

wird ein Hochhaus mit bis zu 80<br />

Stockwerken. Weiterhin sollen<br />

ausländische Botschaften und<br />

Konsulate, ein Gemeindezentrum,<br />

Restaurants, Einkaufs- und Unterhaltungszentren<br />

in Minsk-City ihren<br />

Platz haben. Das Minsker Flugzeugwerk<br />

wird indes zusammen<br />

mit seinem großen Bruder, dem<br />

Flughafen, hinter den Minsker Autobahnring<br />

umziehen müssen. Die<br />

dadurch frei werdenden 300 Hektar<br />

Land bilden die Grundlage für<br />

das Großprojekt „Minsk-City“.<br />

Zu teuer uNd Zu<br />

LANGSAM?<br />

Stolze 30 Milliarden Dollar an Investitionen<br />

hatte der Hauptinvestor,<br />

die russische ITERA-Holding,<br />

zunächst veranschlagt. Allein die<br />

Ausarbeitung des Projekts sollte<br />

200 Millionen Dollar kosten.<br />

ITERA ist oberster Bauherr des<br />

Gesamtprojekts, für die Planung<br />

wurden aber auch einige kleinere<br />

Investoren heran gezogen. Selbst<br />

für ein derartiges Megaprojekt<br />

sind 30 Milliarden Dollar immer<br />

noch eine gigantische Summe – in<br />

Moskau wurden für ein ähnliches<br />

Bauvorhaben gerade einmal 10<br />

Milliarden Dollar eingeplant.<br />

Allerdings kursierten nach einer<br />

Besprechung bei Präsident Lukaschenko<br />

im Herbst bereits andere<br />

Summen. In einer Meldung<br />

des präsidialen Pressedienstes<br />

schrumpften die geplanten 30<br />

Milliarden Dollar auf 7 Milliarden<br />

zusammen, ohne dass das Projekt<br />

abgespeckt worden wäre. Der Arbeitsumfang<br />

blieb also der gleiche,<br />

der Bau ging dem Präsidenten aber<br />

wie gewöhnlich zu langsam. „Man<br />

muss viel schneller bauen, zwölf<br />

Jahre sind unstatthafter Luxus“,<br />

hob der Staatschef hervor. Ihm zur<br />

Folge hat sich im vergangenen Jahr<br />

„außer Gesprächen nichts getan“.<br />

„Worüber soll man da noch reden,<br />

wenn wir auf 300 Hektar bis 2020<br />

bauen, vielleicht sogar länger?<br />

Wenn das so weiter geht, werde<br />

ich ausländische Experten einladen,<br />

den Bau zu übernehmen“,<br />

stellte Lukaschenko klar.<br />

eIGeNer GeWINN<br />

Dem Minsker Bürgermeister<br />

Michail Pawlow zufolge sind<br />

die nun veranschlagten sieben<br />

Milliarden Dollar „ein realistisch<br />

berechnetes Projekt“. Gleichzeitig<br />

lässt es sich die Stadtverwaltung<br />

nicht nehmen, selber vom Investitionskuchen<br />

zu profitieren: Das<br />

Handelszentrum in Minsk-City<br />

soll durch ein Gemeinschaftsunternehmen<br />

der Minsker Stadtregierung<br />

und ITERA errichtet<br />

werden.<br />

Bemerkenswert ist, dass die Projektkosten<br />

in diesem Jahr noch<br />

weiter sanken. Der erste stellvertretende<br />

Bürgermeister Moskaus<br />

und Vorsitzende des Aufsichtsrats<br />

des Projekts, Wladimir Pesin, erklärte,<br />

die Bausumme solle „ungefähr<br />

fünf Milliarden US-Dollar<br />

betragen.“ Das heißt, dass von<br />

dem provisorisch bekanntgegebenen<br />

Investitionsvolumen nur<br />

ein Sechstel übrig geblieben ist.<br />

So stellen sich die Bauherren Minsk-City<br />

vor. www.naviny.by<br />

Wie es zu einem solchen Schwund<br />

kommen konnte, ist unklar.<br />

PLAN uNd reALItät<br />

Gleichzeitig bleibt keineswegs<br />

ausgeschlossen, dass im Laufe der<br />

Bauarbeiten zusätzliche Finanzspritzen<br />

nötig werden. Der Hauptteil<br />

der Bauarbeiten ist erst für 2010<br />

geplant. Bis zu Beginn des Jahres<br />

soll das Minsker Flugzeugwerk<br />

hinter den Minsker Autobahnring,<br />

also außerhalb der Stadt, umziehen,<br />

zusammen mit dem Flughafen.<br />

Der Umzug fällt mit 170 Millionen<br />

Dollar relativ bescheiden aus<br />

und soll bereits in diesem Herbst<br />

beginnen. Ob der Plan eingehalten<br />

werden kann, mag jedoch getrost<br />

bezweifelt werden, denn bisher ist<br />

noch keine Schraube des Werkes<br />

entfernt worden, und über Minsk-<br />

City ziehen noch immer Flugzeuge<br />

ihre Kreise und warten auf die<br />

Landeerlaubnis.<br />

1 <strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42


Wird BeST wirklich besser?<br />

Bis vor kurzem war BeST noch<br />

ein Unikum auf dem osteuropäischen<br />

Mobilfunktmarkt gewesen,<br />

der einzige Anbieter, der zu 100<br />

Prozent in Staatshand war. Seit<br />

neuestem legt nun nicht mehr der<br />

Staat die Klingeltöne der etwa<br />

180.000 Abonnenten fest, sondern<br />

Turkcell. Dafür musste der<br />

türkische Mobilfunkriese einiges<br />

auf den Tisch legen. Neben dem<br />

Kaufpreis von etwa 600 Millionen<br />

Dollar muss Turkcell 500 Millionen<br />

investieren, um, wie es im<br />

Vertrag heißt, BeST „zu einem<br />

konkurrenzfähigen Anbieter auf<br />

dem belarussischen Markt zu<br />

machen.“ Mehmet Dschiliw, Generaldirektor<br />

von Turkcell, war<br />

denn auch frohen Mutes nach<br />

dem Großeinkauf: „Wir sind nach<br />

<strong>Belarus</strong> gekommen, um zu investieren<br />

und glauben, dass das Land<br />

ein hohes Entwicklungspotenzial<br />

hat, sowohl wirtschaftlich als auch<br />

technisch. Deshalb wollen wir aus<br />

BeST einen der weltweit besten<br />

Mobilfunkanbieter machen.“ Be-<br />

eindruckende Pläne. Doch wird<br />

Dschiliw sie auch umsetzen können?<br />

Die Experten waren sich nach<br />

dem Deal zumindest einig, dass<br />

er für die belarussische Seite ein<br />

großartiges Geschäft ist. Denn<br />

im Prinzip handelt es sich um<br />

den Verkauf einer Sendelizenz,<br />

die die Staatsfirma BeST vor vier<br />

Jahren für lächerlich geringe 100<br />

Euro beim eigenen Ministerium<br />

erstand. Bisher konnte sich BeST<br />

auch nicht wirklich auf dem hart<br />

umkämpften belarussischen Mobilfunkmarkt<br />

durchsetzen und<br />

nimmt mit seinen mageren 2,5<br />

Prozent Marktanteil den dritten<br />

Platz unter vier Anbietern ein,<br />

weit abgeschlagen hinter den Millionen<br />

Kunden der Marktführer<br />

MTS und Velcom. Dennoch hat<br />

sich BeST in der Nische der unteren<br />

Einkommensschichten mit<br />

Billigangeboten eingenistet. Ob<br />

die Wachstumsperspektive hier<br />

allerdings groß ist, darf bezweifelt<br />

Benzinpreise schnellen in die Höhe<br />

Wirtschaft<br />

(sergej Glagoljew, Minsk) der staatliche Mobilfunkanbieter best wechselt den besitzer. für stolze 1,1<br />

Milliarden dollar an Kaufpreis und Invesititionsgarantien erstand die türkische turkcell die angeschlagene<br />

firma. Sicher ein guter deal für den Staat – aber auch für den investor?<br />

(Andrej Alexandrowitsch, Minsk) Gleich dreimal hob der staat zwischen Juni und Juli die Preise für benzin<br />

und diesel an. offizielle Begründung: die gestiegenen Weltmarktpreise für Öl und die Profitabilität des<br />

binnengeschäfts des staatskonzerns belneftechim. experten sehen noch einen weiteren Grund.<br />

Innerhalb von anderthalb Monaten<br />

schnellte der Dieselpreis an belarussischen<br />

Tankstellen von umgerechnet<br />

50 auf 68 Eurocent nach<br />

oben, der Liter Benzin von 64 auf<br />

75 Eurocent. Folge für die Verbraucher<br />

war eine allgemeine Preissteigerung.<br />

Die Mitschuldigen ließ das<br />

kalt. Aus der Konzernzentrale von<br />

Belneftechim hieß es, alleine der<br />

Dieselverkauf sei im letzten Jahr<br />

wegen zu niedriger Preise um 45<br />

Prozent angestiegen. Es habe sich<br />

für belarussische Händler eben gerechnet,<br />

belarussische Kraftstoffe<br />

im großen Stil auf- und im europäischen<br />

Ausland weiterzuverkaufen.<br />

Selbstverständlich wollte man<br />

bei Belneftechim nicht dabei zusehen,<br />

wie Zwischenhändler satte<br />

Gewinne einstreichen und machte<br />

sich deshalb für eine Erhöhung der<br />

Binnenmarktpreise stark.<br />

Beobachter meinen unterdessen,<br />

dass der offiziell vorgeschobene<br />

Weltmarktpreis kaum schuld an<br />

der Preisexplosion sei. Denn in<br />

<strong>Belarus</strong> legt nach wie vor der Staat<br />

die Preise fest, nicht der Markt, so<br />

werden, zumal BeST im ersten<br />

Halbjahr 2008 lediglich 5000 Neukunden<br />

hinzugewinnen konnte.<br />

Dabei hat das Staatskind durchaus<br />

die technischen Voraussetzungen<br />

für Dschiliws Wachstumsträume:<br />

Der Anbieter deckt 30 Prozent<br />

des Territoriums ab, in dem fast<br />

70 Prozent der Bevölkerung leben.<br />

Dennoch lief das Geschäft<br />

in den letzten Jahren offenbar so<br />

schlecht, dass einige Sendemasten<br />

vom Stromnetz genommen<br />

werden mussten, weil BeST seine<br />

Rechnungen nicht gezahlt hatte.<br />

Außerdem berichtete die Presse<br />

über viele unzufriedene Kunden,<br />

die BeST wieder verlassen hätten.<br />

Beobachter hatten bisher vor allem<br />

die unflexible und schwerfällige<br />

Unternehmensführung und<br />

ihren staatlichen Großaktionär<br />

für die Misserfolge verantwortlich<br />

gemacht. Der neue Eigentümer<br />

und ein neues Management<br />

könnten BeST also durchaus neuen<br />

Schwung verleihen und den Markt<br />

beleben.<br />

dass vermutlich banales staatliches<br />

Profitstreben hinter der Preiserhöhung<br />

stehe. Dabei hätten die Preise<br />

noch viel stärker ansteigen können,<br />

meinen Wirtschaftsexperten,<br />

und vermuten, dass die staatliche<br />

„Zurückhaltung“ mit der Ernte zusammenhängt.<br />

Eine Verteuerung<br />

von Kraftstoffen hätte die ohnehin<br />

mageren landwirtschaftlichen Gewinne<br />

wohl weiter geschmälert.<br />

Die Verbraucher dürfen sich also<br />

im Herbst auf eine erneute Verteuerung<br />

von Diesel und Benzin<br />

einstellen.<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42 1


NGOs & Gesellschaft<br />

<strong>Belarus</strong>sische Journalisten in Deutschland<br />

(ES / NL) Ende Juni kam eine Gruppe junger belarussischer Journalisten für eine Woche nach Berlin, um<br />

im rahmen einer Ibb-bildungsreise mit eigenen Augen zu sehen, wie Zuwanderung und Integration in<br />

deutschland funktionieren.<br />

Organisator der einwöchigen <strong>Bildungs</strong>reise<br />

war die IBB Johannes<br />

Rau in Minsk, das Auswärtige<br />

Amt finanzierte den Besuch der<br />

Journalisten. Die Europäische Union<br />

hatte 2008 zum Europäischen<br />

Jahr des interkulturellen Dialogs<br />

erklärt, in dem Toleranz und<br />

Akzeptanz anderer Kulturen in<br />

besonderer Weise im Mittelpunkt<br />

der Aufmerksamkeit stehen sollen.<br />

Vor diesem Hintergrund war es<br />

das Ziel des IBB - Projektes, belarussische<br />

Journalisten ausfürlich<br />

darüber zu informieren und anzuregen,<br />

am Beispiel Deutschlands<br />

Zuwanderung und Integration<br />

auch in den eigenen Medien zu<br />

thematisieren.<br />

Nach einem Vorbereitungstreffen<br />

im Mai in der IBB Johannes Rau<br />

in Minsk bestiegen die aus allen<br />

Regionen von <strong>Belarus</strong> kommenden<br />

Print-, Online- und Radiojournalisten<br />

am 21. Juni den Zug<br />

in Richtung Berlin.<br />

In den belarussischen Medien spielen<br />

Zuwanderung und Integration als<br />

Themen kaum eine Rolle. Um so<br />

neugieriger blickten die Journalisten<br />

ihrem ersten Treffen mit<br />

Günter Piening entgegen, dem<br />

Beauftragten des Berliner Senats<br />

für Integration und Migration.<br />

Piening führte den Journalisten<br />

sehr anschaulich die Herausforderungen<br />

Berlins als multikulturelle<br />

Stadt vor Augen, in der mehr als<br />

25 Prozent der Bevölkerung einen<br />

Migrationshintergrund hat. Die<br />

Journalisten interessierten sich zudem<br />

besonders für Programme der<br />

Stadt Berlin für deutschstämmige<br />

Aussiedler und jüdische Bürger<br />

aus der ehemaligen Sowjetunion.<br />

Weitere Gespräche im Auswärtigen<br />

Amt zum Thema “Migrationspolitik<br />

in der EU” und im Innenmi-<br />

nisterium zum Thema “Ausländer-<br />

und Asylpolitik in Deutschland”<br />

ergänzten die Einführung zur<br />

Situation in Berlin. Danach konnten<br />

die belarussischen Journalisten<br />

den Integrationsbeauftragten von<br />

Brandenburg sowie Vertreter<br />

der Staatskanzlei Potsdam über<br />

Migrationsprobleme befragen.<br />

Brandenburg, das mit <strong>Belarus</strong> seit<br />

vielen Jahren partnerschaftlich<br />

verbunden ist, hat besondere Erfahrungen<br />

mit der Zuwanderung<br />

aus Osteuropa.<br />

Zuwanderung und Integration<br />

– das sind Themen, die vor allem<br />

Menschen betreffen, die nach<br />

Deutschland kommen. Deshalb<br />

war es den Organisatoren besonders<br />

wichtig, ihren belarussischen<br />

Gästen Migranten, deren Institutionen<br />

und Lebenssituationen<br />

vorzustellen. Dazu gehörte die<br />

Erfahrung des multikulturellen<br />

Berlins in Kreuzberg mit seinen alternativen<br />

Lebensformen und vielfältigen<br />

Projekten. Beeindruckend<br />

war für die Journalisten auch der<br />

Besuch der KITA “Schneckenhaus”<br />

in Reinickendorf, die von<br />

mehr als 50 Prozent Kindern mit<br />

Migrationshintergrund besucht<br />

wird. Der engagierten Vorstellung<br />

des Hauses durch die Leitung<br />

konnte sich keiner entziehen: Was<br />

hier für den interkulturellen Dialog<br />

und die gegenseitige Toleranz<br />

getan wird, fand die Bewunderung<br />

aller Reiseteilnehmer.<br />

Oft fragten sich die Journalisten,<br />

wie Ausländer in Deutschland<br />

aufgenommen werden, wie ihr<br />

weiterer Lebensweg aussieht.<br />

Mögliche Antworten zeigte die<br />

Zentrale Aufnahmestelle des<br />

Landes Berlin für Aussiedler in<br />

Marienfelde, die ein eindrucksvolles<br />

Bild von der Geschichte der<br />

Aussiedler und ihrer Aufnahme in<br />

Deutschland sowie ihres Alltags<br />

nach dem Eintreffen in der neuen<br />

Heimat zeigte. Besonders interessant<br />

war für die belarussischen<br />

Journalisten das Schicksal der<br />

Russlanddeutschen.<br />

Die Begegnungen im Stadtbezirk<br />

Marzahn galten dem Alltag der<br />

Russlanddeutschen bzw. der russischsprachigen<br />

Auswanderer.<br />

Hier besuchte die Gruppe verschiedene<br />

Projekte und konnte<br />

zahlreiche Gespräche mit Aussiedlern<br />

führen. Ein geradezu<br />

sinnliches Beispiel gelebter Integration<br />

war der Besuch des interkulturellen<br />

Gartens Marzahn, wo<br />

Menschen verschiedener Nationen<br />

lernen, gemeinschaftlich miteinander<br />

umzugehen.<br />

Bei Treffen mit deutschen und<br />

ausländischen Kollegen, der Visite<br />

in der Berliner Journalistenschule<br />

sowie auf einer Bundespressekonferenz<br />

konnten die Teilnehmer<br />

ihre Fachkenntnisse erweitern.<br />

Nach dem intensiven Tagesprogramm<br />

konnten die Gäste Abends<br />

bei einem Besuch des Friedrichstadtpalastes<br />

die Vorzüge der<br />

pulsierenden Kulturhauptstadt<br />

Deutschlands genießen.<br />

Nach ihrer Rückkehr veröffentlichten<br />

die Journalisten Beiträge<br />

und Artikelserien, die von ergreifenden<br />

Reportagen über die<br />

Schicksale von Einwanderern in<br />

Deutschland bis zu Informationen<br />

über das deutsche Pressesystem<br />

reichten. Themen aus dem eigenen<br />

Land, wie z.B. der Umgang<br />

mit Migranten, verknüpften die<br />

kreativen Köpfe ihrer Redaktionen<br />

auf interessante Weise mit den in<br />

Deutschland vorgefundenen Erfahrungen<br />

und Beispielen.<br />

0 <strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42


Gäste bauen „Brücken” zur Erinnerung<br />

NGOs & Gesellschaft<br />

(Mechthild vom büchel, dortmund) „es kommt darauf an, aus unseren herzen einen Ort der erinnerung<br />

zu machen“, sagte Michael Mertes, staatssekretär für europa und Medien in der NrW-staatskanzlei<br />

auf dem Ibb-studientag ende August. rund 150 teilnehmer aus beiden Ländern waren im dortmunder<br />

reinoldinum zusammengekommen, um getreu dem tagungsmotto „brücken einer gemeinsamen erinnerungskultur“<br />

zwischen deutschland und belarus zu bauen.<br />

Solide Pfeiler für Völker versöhnende<br />

Brücken hat das gastgebende<br />

IBB schon aufgestellt, wie<br />

IBB-Geschäftsführer Peter Junge-<br />

Wentrup in seiner Eröffnungsansprache<br />

betonte: Mit der Arbeit<br />

der Geschichtswerkstatt Minsk,<br />

dem dortigen Projekt „Altern<br />

in Würde“ und vielen Kontakten<br />

zu Zeitzeugen in <strong>Belarus</strong>. 24<br />

von ihnen, der älteste 93 Jahre<br />

alt, waren aus <strong>Belarus</strong> und den<br />

USA zum Studientag angereist.<br />

Die Tagungsteilnehmer blickten<br />

eher nach vorn als zurück. „Wie<br />

werden wir in Zukunft die Erinnerung<br />

an die Gräuel des Zweiten<br />

Weltkrieges wach halten können,<br />

um zu verhindern, dass sich so<br />

etwas wiederholt“, formulierte<br />

Junge-Wentrup die zentrale Frage,<br />

die Zeitzeugen aus <strong>Belarus</strong>,<br />

Politiker aus beiden Ländern und<br />

geschichtsinteressierte Vertreter<br />

von Nichtregierungsorganisationen<br />

diskutierten.<br />

„Jeder Quadratmeter in <strong>Belarus</strong> ist<br />

mit Blut getränkt“, verdeutlichte<br />

Mahnmal-Architekt Leonid Lewin<br />

die schrecklichen Kriegserlebnisse<br />

seines Landes. Rund 2,2 Millionen<br />

Menschen waren in Folge des<br />

deutschen Überfalls 1941 getötet<br />

worden, ein Viertel der Bevölkerung<br />

des neuen EU-Nachbarlandes.<br />

Lewins Verdienste würdigt<br />

das IBB aktuell mit dem Buch<br />

„Architektur als Gratwanderung“<br />

von Dr. Astrid Sahm, Leiterin der<br />

IBB Minsk. Ihr Vortrag und eine<br />

Foto-Ausstellung rückten Lewins<br />

Werk auch auf dem Studientag in<br />

den Mittelpunkt. „Meine Werke<br />

sind zum ersten Mal auf deutschem<br />

Boden“, sagte der 72jährige<br />

sichtlich bewegt. Nie wieder Krieg,<br />

lautet Lewins klare Botschaft. „Der<br />

Krieg hat mir die Mutter genommen<br />

als ich vier Jahre alt war, die<br />

Wärme, die Kindheit. Warum soll<br />

ich schweigen?“<br />

„Das Geheimnis der Versöhnung<br />

heißt Erinnerung“, zitierte IBB-<br />

Vorstand Professor Manfred Zabel<br />

ein Leitmotiv des IBB. Dem Krieg<br />

im Kaukasus sei ein „Krieg der<br />

Erinnerungen“ vorausgegangen,<br />

sagte Zabel in seinem Schlusswort.<br />

Der Umgang mit der Geschichte<br />

sei folglich politisch brisant für<br />

die Friedenssicherung. Zabel appellierte<br />

deshalb an alle Verantwortlichen<br />

in Ost und West, weiter<br />

nach Wegen der Verständigung<br />

zu suchen.<br />

Zum Umgang des Staates und<br />

des Einzelnen mit der Geschichte<br />

stellte Staatssekretär Michael<br />

Mertes in seiner Rede zehn Thesen<br />

vor. Der Staat müsse einen<br />

Frei- und Schutzraum für die<br />

Erinnerungsarbeit verschiedener<br />

gesellschaftlicher Gruppen schaffen.<br />

Und er müsse tolerieren, dass<br />

es widersprüchliche Bewertungen<br />

geschichtlicher Ereignisse gebe.<br />

Der Weg zu einer gemeinsamen<br />

europäischen Erinnerungskultur<br />

sei deshalb weit. Der Gefahr des<br />

kollektiven Gedächtnisverlustes<br />

müsse eine wehrhafte Demokratie<br />

jedoch entschieden entgegentreten.<br />

Eine Aufrechnung von Verbrechen<br />

sei nicht zulässig, unterstrich auch<br />

Werner Jostmeier, Vorsitzender<br />

des Hauptausschusses im Landtag<br />

von Nordrhein-Westfalen: Veranstaltungen<br />

wie der IBB-Studientag<br />

zeigten, dass mit geringem<br />

finanziellen Aufwand ein großer<br />

Beitrag zur Völkerverständigung<br />

geleistet werden kann mit der<br />

klaren Botschaft „Wehret den<br />

Anfängen“.<br />

Petra Rentrop vom Zentrum für<br />

Antisemitismusforschung an der<br />

TU Berlin berichtete über den<br />

aktuellen Stand der Forschung,<br />

während ihr belarussischer Kollege<br />

Dr. Kusma Kosak die Arbeit<br />

der Geschichtswerkstatt in Minsk<br />

vorstellte. Marina Batschilo präsentierte<br />

das Projekt „Altern in<br />

Würde“ in Minsk und Hinrich<br />

H. Rüßmeyer berichtete über die<br />

Spurensuche in den Regionen.<br />

Einige Zeitzeugen hatten in den<br />

Tagen vor dem Studientag Schulen<br />

in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen<br />

besucht und nicht nur<br />

gute Erfahrungen gemacht: „Die<br />

Schüler wussten sehr wenig über<br />

das Ghetto in Minsk“, beklagte<br />

Leonid Rubinstein, 81. Trotz ihres<br />

hohen Alters wollen die Zeitzeugen<br />

gern ihre Erfahrungen weitergeben.<br />

„Wir leben noch, fragt uns“,<br />

gab Professor Zabel die Botschaft<br />

der betagten Gäste aus <strong>Belarus</strong><br />

weiter.<br />

„Wir werden eine gemeinsame<br />

Erinnerungskultur erreichen“,<br />

zeigte sich Viktor Marachnin,<br />

Abgeordneter des belarussischen<br />

Nationalparlaments, am Ende der<br />

Tagung zuversichtlich. Schließlich<br />

gebe es nicht nur die Erinnerung<br />

an die Verbrechen während des<br />

Krieges. Die Hilfe des deutschen<br />

Volkes nach der Tschernobyl-<br />

Katastrophe für die Menschen<br />

in <strong>Belarus</strong> sei unvergessen. „Wir<br />

haben uns die Hand gereicht und<br />

wir ziehen gemeinsam an einem<br />

Strang.“<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42 1


NGOs & Gesellschaft<br />

3. Minsker Sommerschule<br />

„eurOPA der reGIONeN“ 12.-16.8.2008 IN MINsK uNd brest<br />

(tobias Knubben, Minsk) Zum dritten Mal in folge trafen sich Jugendliche aus belarus und anderen<br />

Ländern europas in Minsk und brest zur sommerschule und entwickelten gemeinsam Konzepte für ein<br />

europa der regionen.<br />

Veranstalter der einwöchigen<br />

Sommerschule war das Institut<br />

für Deutschlandstudien am Center<br />

for International Studies, das<br />

Internetportal Club Newline, die<br />

Internationale <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungsstätte<br />

„Johannes Rau“<br />

Minsk und – erstmalig in diesem<br />

Jahr – das Europa-Institut Klaus<br />

Mehnert in Kaliningrad. In der<br />

vorlesungsfreien Sommerzeit wollen<br />

die Veranstalter alljährlich ein<br />

Europa bezogenes Thema aufgreifen,<br />

mit dem sich die jungen Teilnehmer<br />

offen und kritisch anhand<br />

verschiedener (theoretischer) Ansätze<br />

auseinandersetzen sollen.<br />

Ziel ist es, den Jugendlichen Europa<br />

und die europäischen Integrationsprozesse<br />

verständlicher<br />

zu machen und näher zu bringen.<br />

Zu diesem Zweck wurden im Jahre<br />

2006 der „Dialog europäischer<br />

Kulturen“ und im letzten Jahr die<br />

„Migration und Integration in Europa“<br />

als Themen behandelt.<br />

In diesem Jahr hatte die Sommerschule<br />

„Europa der Regionen“ im<br />

Vergleich zu ihren beiden Vorgängerinnen<br />

ein größeres Format. Die<br />

finanzielle Förderung übernahm<br />

zu einem wesentlichen Teil das<br />

Kontaktprogramm <strong>Belarus</strong> der Robert<br />

Bosch Stiftung. Zum anderen<br />

nahmen diesmal auch Studenten<br />

aus Deutschland, Österreich,<br />

Polen, Russland und <strong>Belarus</strong> teil,<br />

unter ihnen einige Studenten des<br />

Europa-Instituts Klaus Mehnert<br />

an der Technischen Universität in<br />

Kaliningrad. Somit gelang es in<br />

diesem Jahr zum ersten Mal, eine<br />

Sommerschule mit internationaler<br />

Beteiligung auszurichten. Die<br />

Arbeitssprachen waren Deutsch<br />

und Russisch, so dass mit Konsekutiv-<br />

und Simultanübersetzung<br />

gearbeitet werden musste.<br />

Johannes Raus rote Kreuze<br />

Zum fachlichen Input der Sommerschule<br />

trugen zahlreiche Vorträge<br />

und Seminare von Experten aus<br />

dem In- und Ausland bei, unter ihnen<br />

der Leiter des Minsker OSZE-<br />

Büros Hans-Jochen Schmidt, Janis<br />

Aizsalnieks von der Vertretung<br />

der Europäischen Kommission in<br />

<strong>Belarus</strong> oder Dr. Emil Popov von<br />

der Universität Aachen.<br />

Ein weiterer Höhepunkt der Sommerschule<br />

war ein zweitägiger<br />

Ausflug nach Brest, der den 35<br />

Teilnehmern das Thema dieser<br />

Sommerschule an einem realen<br />

Modell veranschaulichte: An der<br />

Stadt Brest, das als eine historische<br />

Kreuzung Europas bezeichnet und<br />

mit seiner grenzüberschreitenden<br />

Kooperation mit Polen als Vorbild<br />

oder Vorläufer für eine europäische<br />

Region gelten kann.<br />

(Mechthild vom büchel, dortmund) Was bedeuteten Johannes raus rote Kreuze auf vielen briefen und<br />

inwiefern waren diese kleinen Zeichen charakteristisch für seinen Politikstil? Rüdiger frohn, ein enger<br />

Mitarbeiter raus, berichtete ende september in der Ibb Minsk vom Politikverständnis des realpolitikers<br />

und visionärs Johannes rau.<br />

Nach einer Einführung durch<br />

IBB-Vorstand Professor Manfred<br />

Zabel lauschten rund 150 meist<br />

junge Menschen – darunter viele<br />

Studenten – den lebhaften Schilderungen<br />

in der Reihe der Johannes-<br />

Rau-Gespräche.<br />

Frohn erzählte im Plauderton, wie<br />

er Rau aus nächster Nähe erlebt<br />

hatte: Gewundert habe er sich<br />

zum Beispiel anfangs über viele<br />

„Rotkreuze“ auf Briefen an den<br />

damaligen Ministerpräsidenten<br />

des Landes Nordrhein-Westfalen.<br />

Sie bedeuteten, dass Rau persönlich<br />

antworten wollte. In vielen<br />

Fällen habe er auch Randnotizen<br />

gemacht: „Ob der Kultusminister<br />

das weiß?“ oder „Da hülfe<br />

ich gern!“ „Ich hatte bis dahin<br />

gedacht, die wesentliche Beschäftigung<br />

sei Strategie und Taktik<br />

von Machterhalt und das Planen<br />

von Programmen und Profilen“,<br />

gestand der heute 58-jährige Jurist<br />

freimütig in Minsk. „Jetzt lernte<br />

ich, dass Johannes Rau Hilferufe<br />

und Protestbriefe wichtiger nahm<br />

als manche theoretische Debatte.“<br />

Beim notwendigen Ringen um<br />

Mehrheiten habe Rau Verständnis<br />

und Geduld aufgebracht und auch<br />

Skeptiker mitgenommen „auf dem<br />

steinigen Weg zu gesellschaftlichen<br />

Veränderungen“. Akzente<br />

seines politischen Wirkens habe<br />

Rau auf den Umgang mit der eigenen<br />

deutschen Geschichte und auf<br />

die Beziehungen zu Israel gelegt.<br />

Unermüdlich habe er für Toleranz<br />

geworben - die er aber nicht mit<br />

Beliebigkeit verwechselt wissen<br />

wollte. „Den eigenen Glauben<br />

bezeugen, andere Überzeugungen<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42


espektieren, für friedvollen Umgang<br />

der Religionen und Kulturen<br />

werben, das war ihm ein wichtiges<br />

Anliegen in einer Zeit, in der viel<br />

von heiligem Krieg und Kampf<br />

der Kulturen die Rede war“,<br />

berichtete der ehemalige Verwaltungsrichter<br />

Frohn, von 1985 bis<br />

Partnerschaftsprogramm Ukraine<br />

(PJW/Olga Rensch, Dortmund)<br />

In beeindruckender Weise hatten<br />

vor der Sommerpause Initiativen<br />

und Politiker aus der Ukraine<br />

und Deutschland die Idee eines<br />

Partnerschaftsprogramms Ukraine<br />

unterstützt. Auch die Vorsitzenden<br />

der ukrainisch-deutschen<br />

Parlamentariergruppe, Herr Konovaljuk<br />

und Herr Serbin, stellten<br />

sich hinter das Programm: „Mit<br />

den Projekten ist ein Know-how-<br />

Transfer verbunden, den wir brauchen<br />

und befürworten.“<br />

ZusPruch vON vIeLeN<br />

seIteN<br />

Auch Abgeordnete aus vier Parteien<br />

des Deutschen Bundestags<br />

befürworten das Partnerschaftsprogramm<br />

Ukraine. Harald<br />

Leibrecht, MdB, schreibt z. B.: „Ich<br />

begrüße das Engagement nachdrücklich;<br />

es unterstützt nicht nur<br />

den Aufbau zivilgesellschaftlicher<br />

Strukturen in der Ukraine, sondern<br />

es leistet jeweils konkrete Beiträge<br />

zur Völkerverständigung und<br />

zu einem Abbau noch bestehendender<br />

Trennlinien in Europa.“<br />

Wir hatten jedoch nur eine Chance<br />

einer finanziellen Förderung<br />

aus Mitteln des BMZ, wenn die<br />

ukrainische Seite das Programm<br />

in den bilateralen Verhandlungen<br />

auf Regierungsebene fordern und<br />

mit Priorität versehen würde.<br />

Das Programm wurde in den<br />

Regierungsgesprächen erwähnt,<br />

jedoch nicht als prioritär eingestuft.<br />

Für das Partnerschaftspro-<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42<br />

2004 zunächst Mitarbeiter der Düsseldorfer<br />

Staatskanzlei, später des<br />

Bundespräsidialamtes in Berlin.<br />

Die Besucher hatten sich zuvor in<br />

Arbeitsgruppen intensiv mit Raus<br />

Wirken für Völkerverständigung<br />

und Versöhnung und die Erhal-<br />

gramm Ukraine werden deshalb<br />

2009 keine Mittel zur Verfügung<br />

stehen. Rückblickend müssen wir<br />

uns eingestehen, dass unser Netzwerk<br />

der deutsch–ukrainischen<br />

Initiativen noch nicht stark genug<br />

ist, um Regierungsvereinbarungen<br />

beeinflussen zu können.<br />

Wie geht es nun weiter?<br />

eINLAduNG Zur<br />

KONfereNZ<br />

• Partnerschaftskonferenz „Projekte<br />

gemeinsam entwickeln“<br />

vom 23. bis 26. April 2009 in<br />

Geseke. Zu dieser Partnerschaftskonferenz<br />

laden wir sowohl die<br />

deutsch-belarussischen wie auch<br />

die deutsch-ukrainischen Initiativen<br />

ein. Die Ziele sind dabei,<br />

unsere Netzwerke zu stärken,<br />

Projekte in einem „Open Space“ zu<br />

entwickeln, sich über heute schon<br />

bestehende Fördermöglichkeiten<br />

auszutauschen und Vorstellungen<br />

davon zu entwickeln, wie sich die<br />

Erwachsenenbildung, die soziale<br />

Arbeit, erneuerbare Energien<br />

und Energieeinsparkonzepte in<br />

unseren Ländern zukünftig entwickeln<br />

können. Wir möchten auch<br />

mit Politikern darüber reden, was<br />

sie zur Unterstützung unserer<br />

Arbeit tun können.<br />

• Vernetzung und Dialoge mit<br />

Behörden in Regionen. Bei unserer<br />

Reise durch fünf Regionen<br />

– Odessa, Donezk, Charkow, Kiew<br />

und Lemberg – haben wir festgestellt,<br />

mit welchem Engagement<br />

NGOs & Gesellschaft<br />

tung der Umwelt beschäftigt, so<br />

dass sie im Anschluss engagiert<br />

über die Konzepte diskutieren<br />

konnten.<br />

Das IBB Dortmund und die IBB „Johannes<br />

Rau“ in Minsk veranstalten seit 2007 zweimal<br />

jährlich Johannes-Rau-Gespräche.<br />

zivilgesellschaftliche Initiativen<br />

vor Ort tätig sind. Mit geringen finanziellen<br />

Mitteln wird eine engagierte<br />

und oftmals professionelle<br />

Projektarbeit voran gebracht. Wir<br />

möchten 2009 die Vernetzung von<br />

NGOs in einigen Regionen fördern<br />

und gemeinsam versuchen,<br />

finanzielle Förderungen von den<br />

jeweiligen Kommunen oder auch<br />

Betrieben zu erhalten.<br />

• Dialogforum Ost-West-Initiativen<br />

Viele ukrainische Initiativen<br />

haben uns angesprochen, dass sie<br />

gerne eine Partnerschaft mit einer<br />

deutschen Initiative eingehen würden.<br />

Ab 2009 werden wir ein Internetportal<br />

Ost-West-Initiativen.de<br />

aufbauen, das über die Vorstellung<br />

der jeweils eigenen Arbeit hinaus<br />

Dialogforen anbieten wird.<br />

Heute ist offen, ob wir 2009 erneut<br />

Politiker in der Ukraine und<br />

Deutschland ansprechen können,<br />

sich für ein Partnerschaftsprogramm<br />

Ukraine einzusetzen. Wir<br />

wissen nicht, ob eine erneute Initiative<br />

Erfolg haben wird. Während<br />

unserer Partnerschaftskonferenz<br />

wird Zeit bleiben, diese Frage zu<br />

beraten und zu gemeinsamen Absprachen<br />

zu kommen.<br />

Das Programm und die Einladungen<br />

zur Partnerschaftskonferenz werden im<br />

Dezember 2008 versendet. Die Gäste aus<br />

<strong>Belarus</strong> und der Ukraine werden am 19.<br />

April anreisen und vom 20. bis 23. April<br />

ein Programm vor Ort mit ihrem deutschen<br />

Partner durchführen.<br />

Kontakt: IBB Dortmund (siehe Impressum)


Kultur & Wissenschaft<br />

Gute Laune trotz Visaknappheit<br />

(Alinka Wadzitschka, Grodek) basowischtscha ist das alternative Musikfestival für junge belarussen – gewesen?<br />

Beim diesjährigen fest herrschte wie immer ausgelassene Stimmung, obwohl die organisatoren<br />

und die schengenzone einiges dagegen getan hatten.<br />

Seit nunmehr 19 Jahren strömen<br />

jeden Sommer tausende junger<br />

<strong>Belarus</strong>sen in das kleine polnische<br />

Dorf Grodek direkt hinter der<br />

belarussischen Grenze, um bei<br />

ihrem Rock-Open-Air-Festival<br />

dabei zu sein: Basowischtscha.<br />

Dort treten nicht nur die Granden<br />

des belarussischen Musikbusiness<br />

auf, sondern es gibt auch<br />

einen Bandwettbewerb, dessen<br />

Hauptgewinn in der Aufnahme<br />

eines Albums und der Produktion<br />

eines Videoclips besteht. Für<br />

junge belarussische Combos also<br />

eine echte Chance, ins Showbiz<br />

einzusteigen. Das besondere am<br />

legendären Rockfestival ist die<br />

Stimmung, der Geruch von Freiheit<br />

und Abenteuer: Einige Tage<br />

leben die jungen Musikfans in<br />

Zelten, tanzen, trinken Bier, treffen<br />

alte und neue Freunde, verbrüdern<br />

sich miteinander und essen abends<br />

vor ihren Zelten das polnische<br />

Nationalgericht Bigos.<br />

Dieses Jahr war die Party jedoch<br />

merklich zusammengeschrumpft.<br />

Nur einige hundert feierfreudige<br />

Jugendliche hatten den Weg hinter<br />

die Grenze gefunden. Einiges<br />

mag an der schwachen Organisationsleistung<br />

der <strong>Belarus</strong>sischen<br />

Studentenvereinigung in Polen<br />

gelegen haben, aber das größte<br />

Auch von äußeren Zwängen ließen sich die jungen Musikfans<br />

ihre Stimmung nicht vermiesen. Alinka Wadzitschka<br />

Problem waren die Visa. Denn<br />

seitdem Polen der Schengenzone<br />

beigetreten ist, kosten Visa für<br />

<strong>Belarus</strong>sen nicht nur überirdische<br />

60 Euro, sondern werden auch oft<br />

genug einfach abgelehnt. Weshalb<br />

allein aus Minsk von 700 Festivalbesuchern<br />

nur 150 in Grodek<br />

ankamen. Traurig war, dass an<br />

den strengen Visaauflagen auch<br />

mehrere Bands scheiterten, darunter<br />

die viegerühmten Headliner<br />

des Festivals, „Znich” und „Zet”.<br />

Von neun angekündigten kamen<br />

deshalb nur sechs Gruppen zum<br />

Bandwettbewerb. Bei sechs Preisen<br />

blieb dies überschaubar.<br />

Es begannen die Grandseigneurs<br />

des belarussischen Rock, „Krama”,<br />

die das Pech hatten, tagsüber vor<br />

noch recht spärlichem und obendrein<br />

ermüdetem Publikum zu<br />

spielen. Es folgte die sympathische<br />

Rockband „Rachis”, die allerdings<br />

musikalisch unter Festivalniveau<br />

blieb. Der Bann brach erst, als die<br />

Band „Zatoschka” auf der Bühne<br />

erschien, deren Hit „Hockey”<br />

über den Lieblingssport des Präsidenten<br />

selbst die trübesten Tassen<br />

zum Tanzen brachte. Sieger wurde<br />

die Band „Tlusta Lusta” aus Grodno,<br />

den zweiten Platz eroberten<br />

sich die Publikumslieblinge von<br />

„Spital”. Zum ersten Mal seit<br />

vielen Jahren<br />

waren N.R.M.,<br />

die Chartbreaker<br />

der belar<br />

u s s i s c h e n<br />

Rockszene, gar<br />

nicht erst eingeladen<br />

worden.<br />

O b w o h l d i e<br />

j u n g e n F a n s<br />

sich ihren Spaß<br />

nicht verderben<br />

ließen und im<br />

Laufe des Fes-<br />

tivals die Stimmung merklich<br />

anstieg, gab es bald die ersten<br />

Skandale. Aus unerfindlichen<br />

Gründen hatten die Organisatoren<br />

ihre Vorjahressieger „Fljaus<br />

i Kljain” nicht eingeladen, obwohl<br />

diese mit ihrem Psycho-Rock und<br />

ihrer genialen Showeinlage das<br />

Publikum begeistert hatten. Ohne<br />

Kommentar der Festivalleitung<br />

blieb auch die Tatsache, dass<br />

„Fljaus i Kljain” ihr versprochenes<br />

Album nicht aufnehmen durften.<br />

Unzufriedenheit machte sich zudem<br />

unter einigen jugendlichen<br />

Zuschauern breit, als klar wurde,<br />

dass das Hissen der weiß-rot-weißen<br />

Oppositionsflagge auf dem<br />

Festival verboten war. Die polnische<br />

Security riss den Musikfans<br />

ihre politisch prekären Flaggen<br />

einfach aus den Händen, ohne ihr<br />

Verhalten zu begründen.<br />

Zumindest medial war Basowischtscha<br />

dieses Jahr gut versorgt,<br />

denn der regimekritische<br />

Satellitenkanal Belsat übertrug<br />

das Konzert live. Gerne nahmen<br />

die Konzertbesucher auch die<br />

praktischen Werbegeschenke des<br />

Kanals entgegen und konnten sich<br />

am Tag danach in den Belsat-Regencapes<br />

zumindest einigermaßen<br />

vor den Wassermassen schützen,<br />

die auf sie niederprasselten.<br />

Nächstes Jahr feiert Basowischtscha<br />

sein 20-Jähriges. Bleibt zu<br />

hoffen, dass das Festival musikalisch<br />

wieder zulegt und nicht zu<br />

einer Insiderveranstaltung wird,<br />

auf der, wie in diesem Jahr, einige<br />

Bands ihr Ticket offenbar vor allem<br />

guten Beziehungen zu den Organisatoren<br />

zu verdanken hatten,<br />

während andere an den harten<br />

Visabedingungen der Schengenzone<br />

scheiterten. Auf dass Basowischtscha<br />

wieder zu dem Ort der<br />

Kreativität und Freiheit wird, der<br />

er immer war.<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42


GOOD-BY 2 wirbelt durch Berlin<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42<br />

Kultur & Wissenschaft<br />

(Alinka Wadzitschka, berlin) ende Juli kam das belarussisch-deutsche Kulturfestival „GOOd-bY” zum<br />

zweiten Mal nach berlin. die Organisatoren vom verein „future in common” brachten alle zusammen, die<br />

sich für belarussische Kunst interessieren und hatten sich dabei ein anspruchsvolles thema ausgesucht:<br />

„Künstler, freiheit, Ideologie” ist eine frage, mit der sich Kunstschaffende und -liebhaber in belarus tagtäglich<br />

auseinander setzen müsen.<br />

Gleichzeitig unterstrich Maryja<br />

Nestserawa von Future in Common,<br />

dass GOOD-BY 2 als Plattform<br />

gedacht sei, auf der nicht<br />

nur <strong>Belarus</strong>sen und Deutsche<br />

zusammenkämen, sondern auch<br />

„ein Dialog zwischen Künstlern<br />

und Staat” möglich würde.<br />

Ob am Eröffnungstag wirklich<br />

Staatsvertreter im Saal waren,<br />

bleibt ungewiss. Sicher dagegen<br />

ist, dass das Festival einen fulminanten<br />

Einstand mit der belarussischen<br />

Band „Serebrjanaja<br />

Swadba” und der Berliner Combo<br />

„Skazka Orchestra” im Kulturzentrum<br />

„Haus der Sinne” feierte.<br />

Skazka Orchestra rissen mit ihren<br />

spaßig-metaphysischen Texten<br />

das Publikum mit, während die<br />

Frontfrau von Serebrjanaja Swadba<br />

auf der Bühne eine Performance<br />

hinlegte, die selbst die kulturverwöhnte<br />

Berliner Jugend begeisterte:<br />

Zu einer Mischung aus Chanson<br />

und Funk wirbelte Swetlana<br />

Ben kleine und große Reisekoffer<br />

durch die Gegend und stellte mit<br />

Handpuppen Szenen aus ihren<br />

ironisch-avangardistischen Texten<br />

nach. Serebrjanaja Swadba<br />

machten ihrer Selbstbeschreibung<br />

„Freak Cabaret” alle Ehre.<br />

An den zwei folgenden Tagen<br />

konnten die Besucher des Festivals<br />

zwei Ausstellungen bewundern:<br />

Die Fotoausstellung „Generation<br />

To Go”, sowie eine Ausstellung<br />

von über 30 modernen belarussischen<br />

Künstlern mit dem anspruchsvollen<br />

Titel „GOOD-BY<br />

2 Für Fortgeschrittene”, die tatsächlich<br />

mit originellen Werken<br />

überraschen konnte.<br />

Doch damit nicht genug. Die Organisatoren<br />

hatten neben Musik<br />

und bildender Kunst auch eine<br />

Theatergruppe aus Minsk eingeladen.<br />

Die Laienschauspieltruppe<br />

des Jugendtheaters „Klasse A” ließ<br />

vor den faszinierten Zuschauern<br />

all das wiederauferleben, was eine<br />

glückliche sowjetische Kindheit<br />

ausmachte – unter anderem sowjetische<br />

Paraden, Kriegsspiele und<br />

Schulträume... „Klasse A” wirkte<br />

so offen und authentisch, dass einige<br />

Zuschauer gerne die Augen<br />

vor der mittelmäßigen schauspielerischen<br />

Leistung verschlossen.<br />

Zum Grande Finale, der Abschlussdiskussion<br />

mit dem Thema<br />

„Künstler, Freiheit, Ideologie”<br />

hatte Future in Common in das<br />

Haus der Demokratie und Menschenrechte<br />

geladen. Hier gelang<br />

es den Organisatoren bei ihrem<br />

letzten Event endlich, Menschen<br />

außerhalb des Kreises von Festivalteilnehmern,<br />

freiwilligen<br />

Helfern und einigen versprengten<br />

Berliner <strong>Belarus</strong>sen zu erreichen.<br />

Zusätzlich zu ihrem lebendigen<br />

Titel bekam die Diskussion Feuer<br />

durch einen kleinen Skandal bei<br />

der Eröffnung, als ein junger Mann<br />

anarchistischen Aussehens sich<br />

über die russischsprachige Ausrichtung<br />

des Festivals ausließ, Organisatoren<br />

und Teilnehmern den<br />

Mittelfinger zeigte und demonstrativ<br />

den Veranstaltungsort verließ.<br />

Dadurch nahm die Diskussion<br />

einen unerwarteten Gang entlang<br />

verhärteter belarussischer Sprachfronten<br />

und uferte immer mehr<br />

aus, nicht zuletzt aufgrund der<br />

Redefreudigkeit der Teilnehmer,<br />

zum Beispiel des belarussischen<br />

Bildhauers Igor Kaschkurewitsch.<br />

Auf dem monologaffinen Podium<br />

fiel der deutsche Kulturhistoriker<br />

Felix Ackermann positiv auf, der<br />

Parallelen zwischen der DDR und<br />

<strong>Belarus</strong> aufzeigte und so frische,<br />

kreative Thesen in alte Diskussionsfelder<br />

streute.<br />

Nicht umsonst hatte In Common<br />

eine kleine belarussische Straßenbahn<br />

als graphisches Symbol des<br />

Festivals gewählt, denn GOOD-BY<br />

2 führte seinen Weg erst nach Freiburg<br />

und dann nach <strong>Belarus</strong> fort,<br />

wo das Festival mehrere Tage in<br />

Witebsk und Minsk stattfand. Eine<br />

beeindruckende organisatorische<br />

Leistung und ein wertvoller Beitrag<br />

für den Austausch zwischen<br />

belarussischen und deutschen<br />

Kulturschaffenden, Kreativen und<br />

ihrem Publikum, ein Aspekt in der<br />

deutsch-belarussischen Arbeit, der<br />

leider viel zu oft zu kurz kommt.<br />

Schade war, dass ein so vielfältiges<br />

und buntes Festivalprogramm<br />

letztlich nur im kleinen Kreis der<br />

Teilnehmer und einiger weniger<br />

Interessierter stattfand. Es zeigte<br />

sich dabei wieder einmal, dass<br />

es in Deutschland schwer ist, für<br />

<strong>Belarus</strong>-Veranstaltungen, die<br />

nicht politisch aufgeladen sind,<br />

ein größeres Publikum zu begeistern.<br />

Ein wenig verwirrt haben<br />

mag auch den einen oder anderen<br />

Gast, dass das Thema „Künstler.<br />

Freiheit. Ideologie” im Festivalprogramm<br />

eigentlich kaum eine<br />

Rolle spielte und lediglich in der<br />

Abschlussdiskussion kurz angeschnitten<br />

wurde. Dafür zeigten<br />

die Organisatoren, dass moderne<br />

belarussische Kultur Tiefgang hat,<br />

begeistern kann und manchmal<br />

einfach nur Spaß macht. Das ist bei<br />

dem politisch gefärbten Image des<br />

Landes schon sehr viel.<br />

http://goodby2.futureincommon.com/


Kultur & Wissenschaft<br />

Ernte gut, alles gut?<br />

(Alexander dautin, Minsk) die belarussische Landwirtschaft hat eine historische rekordernte eingefahren.<br />

doch reicht das aus, um den Agrarsektor von seinen immensen Schulden zu befreien?<br />

Wirtschaftsexperten hatten im<br />

Vorhinein hohe Erträge prognostiziert,<br />

rechneten aber kaum mit<br />

den unglaublichen 9,3 Millionen<br />

Tonnen Getreide, die am Ende eingefahren<br />

wurden. Wie der stellvertretende<br />

Landwirtschaftsminister<br />

Wasilij Pawlowskij erklärte, sei<br />

das die „größte Ernte in <strong>Belarus</strong><br />

seit Beginn der Aufzeichnungen<br />

1940.“ Offenbar hatte die monatelange<br />

Agitation in staatlichen<br />

Massenmedien Wirkung gezeigt,<br />

bei der täglich Berichte von der<br />

„Erntefront“ über die Schirme<br />

flimmerten.<br />

Keine Zauberei sei der Erfolg,<br />

behauptete auch Minister Pawlowskij.<br />

Man habe nur die Früchte<br />

jahrelanger Investitionen in<br />

moderne Technologie geerntet.<br />

Diesem Umstand – und dem guten<br />

Wetter – sei es zu verdanken, dass<br />

man nunmehr von einer verlustfrei<br />

arbeitenden belarussischen<br />

Landwirtschaft sprechen könne.<br />

Allerdings, gab Pawlowskij zu,<br />

seien die sensationellen 9 Millionen<br />

Tonnen fast schon zu viel des<br />

Guten, da die Anlagen zur Weiterverarbeitung<br />

für solche Mengen<br />

nicht ausgelegt seien. Jetzt müssten<br />

zusätzlich Lager und Garagen<br />

als Getreidespeicher her halten.<br />

Dennoch werde „nicht ein Gramm<br />

Getreide verloren gehen“.<br />

„Verlustfrei” ist ein starkes Wort,<br />

finden unabhängige Sachverständige<br />

wie der Ökonom Alexander<br />

Zalesskij. Er beschied zwar der<br />

„Akzeptierte Diktatur?“<br />

Diktatur oder autoritäres System,<br />

das ist eine Frage, die sich in Bezug<br />

auf <strong>Belarus</strong> immer wieder stellt.<br />

Zur Klärung dieser Fragestellung<br />

untersucht der Autor historisch<br />

und politologisch den Ablauf des<br />

Transformationsprozesses für<br />

die Etablierung eines autoritären<br />

Systems, den Aufstieg und die<br />

Konsolidierung der Herrschaft<br />

Lukaschenkos sowie die Elemente<br />

seiner autoritären Herrschaft. Einen<br />

besonderen Schwerpunkt bildet<br />

die Präsidentschaftswahl von<br />

2006 im Kontext der ukrainischen<br />

Revolution.<br />

<strong>Belarus</strong> ist gekennzeichnet durch<br />

ein autoritäres Herrschaftssystem<br />

mit zunehmend totalitärem<br />

Charakter. Zu diesem Ergebnis<br />

kommt Manuel Leppert in seiner<br />

163 Seiten umfassenden Publikation.<br />

Dafür liefert er vielfältige<br />

Erklärungen, unter anderem die<br />

historisch bedingte schwache<br />

Zivilgesellschaft, die Demokratieunerfahrenheit<br />

der Eliten sowie<br />

die wenig ausgeprägte nationale<br />

Identität. Mit den Ergebnissen<br />

von Meinungsumfragen aus verschiedenen<br />

Zeiträumen belegt er<br />

nicht nur die stabile Akzeptanz der<br />

Politik Lukaschenkos bei einem<br />

großen Teil der Wählerschaft, sondern<br />

analysiert auch die politische<br />

Kultur der Bevölkerung.<br />

Abgesehen von dem besprochenen<br />

Verhältnis zu Russland spielen<br />

äußere Faktoren bei der Analyse<br />

jedoch kaum eine Rolle. Schade<br />

– es wäre auch interessant gewesen<br />

zu erfahren, wie sich z. B.<br />

die Reisefreiheit der <strong>Belarus</strong>sen,<br />

der Empfang ausländischer TV-<br />

Programme via Satellit sowie die<br />

zügige Entwicklung des Online-<br />

Agrarwirtschaft einen Technologiesprung<br />

nach vorn, allerdings,<br />

fand Zalesskij, stünden dem die<br />

tief defizitären „Agrarstädte“ gegenüber,<br />

die der Liberale als Milliardengrab<br />

betrachtet. Im Rahmen<br />

eines Staatsprogramms flossen<br />

bereits mehrere Milliarden Dollar<br />

in die «Agrarstädte», um das Land<br />

strukturell aufzuwerten. Zalesskij<br />

sieht auch einige andere Probleme,<br />

vor allem „...die Schulden der<br />

Kolchosen! Man bräuchte drei solcher<br />

Ernten, um die Schulden zu<br />

begleichen. Und selbst dann bliebe<br />

kein Cent für Investitionen übrig.“<br />

Von einer einzigen guten Ernte,<br />

so Zalesskij, werde die belarussische<br />

Landwirtschaft also weder<br />

konkurrenzfähig noch finanziell<br />

unabhängig.<br />

(es) Manuel Leppert untersucht in seinem buch, inwieweit die herrschaft Lukaschenkos in belarus auf<br />

Akzeptanz in der bevölkerung trifft und wie sich die Gesellschaft seit seinem Machtantritt verändert hat.<br />

Journalismus auf die politische<br />

Kultur des Landes auswirken.<br />

Der Verdienst der Publikation<br />

besteht darin, deutlich herauszuarbeiten,<br />

dass es sich bei <strong>Belarus</strong><br />

um keine Diktatur handelt, und<br />

wie der Rückhalt des autoritären<br />

Herrschers in der Gesellschaft zu<br />

erklären ist. Ob der Titel „Akzeptierte<br />

Diktatur?“ dafür hilfreich<br />

ist? Der potenzielle Leser wird<br />

möglicherweise zunächst in die<br />

Irre geführt; Diktatur ja, aber nur<br />

mit der Frage, ob akzeptiert oder<br />

nicht. Dieses Buch sei besonders<br />

jenen Journalisten ans Herz gelegt,<br />

die in ihren Beiträgen über <strong>Belarus</strong><br />

schnell den Begriff der Diktatur<br />

zur Hand haben.<br />

Manuel Leppert, Akzeptierte Diktatur?<br />

Lukasenkos Herrschaft über Weißrussland.<br />

Tectum Verlag Marburg, 2008, 163<br />

S., 24,90 €, ISBN 978-3-8288-9571-3<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42


Denkmäler gegen den Krieg<br />

<strong>Belarus</strong>-Perspektiven Herbst 2008 Nr. 42<br />

abzählen“, resümiert Lewin im<br />

Interview mit Autorin Dr. Astrid<br />

Sahm, Leiterin der IBB „Johannes<br />

Rau“ in Minsk. „Ich möchte, dass<br />

der Besucher die Tragödie durchlebt,<br />

an deren Ort er gekommen<br />

ist. Wenn er die Gedenkstätte<br />

verlässt und vergisst, was er dort<br />

gesehen hat, dann habe ich mein<br />

Ziel verfehlt.“<br />

Mit dem Blick eines in <strong>Belarus</strong><br />

lebenden Künstlers hält Lewin die<br />

Erinnerung an die Opfer wach:<br />

Es seien hier nur einige seiner 20<br />

Orte der mahnenden Erinnerung<br />

genannt: Das Denkmal für die<br />

ermordeten Juden an der Minsker<br />

Jama (Grube) zeigt die Opfer als<br />

Bronzefiguren, die als gesichtslose<br />

Schatten eine Treppe hinabsteigen.<br />

Die Gedenkstätte in Gorodeja zur<br />

Erinnerung an die ermordeten<br />

jüdischen Einwohner des Dorfes<br />

bezieht Landschaft und Menschen<br />

stark ein: Zur stilisierten Häuserruine<br />

auf dem Hügel führt eine<br />

Felsbrocken-Kaskade, die von<br />

überlebenden Dorfbewohnern<br />

zur Erinnerung an jedes einzelne<br />

Opfer dorthin geschafft wurde.<br />

Aktuell arbeitet er an Gedenkstätten<br />

für die Opfer des Holocaust in<br />

Mosyr und Witebsk.<br />

Ein Krieg – so lautet Lewins Bot-<br />

Publikationen<br />

(Mechthild vom büchel, dortmund) das Internationale bildungs- und begegnungswerk (Ibb) dortmund<br />

präsentierte ende August das erste deutschsprachige buch über Leonid Lewin, den jüdischen bildhauer<br />

und Pionier der Aussöhnung mit deutschland.<br />

Als Architekt hat er preisgekrönte<br />

Gedenkstätten in <strong>Belarus</strong> geschaffen,<br />

als Mensch hat er „Brücken<br />

der Versöhnung“ nach Dortmund<br />

und Deutschland gebaut: Das Leben<br />

und Werk von Leonid Lewin,<br />

72, Träger des Leninpreises der<br />

Sowjetunion und des Bundesverdienstkreuzes<br />

der Bundesrepublik<br />

Deutschland, öffnet sich nun erstmals<br />

für deutschsprachige Leser.<br />

„Architektur als Gratwanderung<br />

– Leonid Lewin – ein Werk als<br />

Brücke von Gedächtnis und Gegenwart“<br />

heißt das Buch über<br />

Lewin, das passend zum internationalen<br />

Studientag „Brücken einer<br />

gemeinsamen Erinnerungskultur“<br />

am Samstag, 30. August 2008, in<br />

Dortmund vorgestellt wurde und<br />

ab sofort beim IBB bestellt werden<br />

kann.<br />

Im kritischen Kontrast zum sowjetischen<br />

Realismus und zur viele<br />

Jahre verordneten Glorifizierung<br />

des Zweiten Weltkriegs in <strong>Belarus</strong><br />

als dem „Großen Vaterländischen<br />

Krieg“ hat Lewin seit den 60er<br />

Jahren Orte der Erinnerung geschaffen,<br />

die mit einfachen Mitteln<br />

die Tragödie des Krieges und des<br />

Holocaust erfahrbar machen. Für<br />

die 1969 eröffnete Gedenkstätte<br />

Chatyn erhielt er 1970 den Leninpreis.<br />

„Ein gutes, modernes Denkmal<br />

sollte Information, Ausdruck und<br />

Sinn vermitteln“, beschreibt Lewin<br />

den eigenen hohen Anspruch.<br />

In den Ländern der ehemaligen<br />

Sowjetunion seien viele Kriegsdenkmäler<br />

aufgestellt worden, die<br />

mit gigantischen Ausmaßen Besucher<br />

beeindrucken wollen und dabei<br />

bedrohlich wirken. „Aber diejenigen,<br />

die als Kunstwerke gelten<br />

können, die einen berühren und<br />

zum Nachdenken bringen, lassen<br />

sich buchstäblich an einer Hand<br />

Vor Schautafeln<br />

seiner Werke<br />

präsentiert der<br />

belarussische Humanist,<br />

Künstler<br />

und Architekt<br />

Leonid Lewin das<br />

neue Buch.<br />

Mechthild vom<br />

Büchel<br />

schaft – kann nicht unter dem<br />

Blickwinkel von Sieg oder Niederlage<br />

betrachtet werden. Krieg ist<br />

eine menschliche Tragödie. „Das<br />

Wesentliche einer gemeinsamen<br />

Erinnerungskultur liegt aus meiner<br />

Sicht darin, dass es ein übereinstimmendes<br />

Verständnis für<br />

den Krieg als Tragödie gibt“, sagt<br />

Lewin. „Ich stehe für eine Kunst,<br />

die gegen den Krieg agitiert.“<br />

Lewin ist in <strong>Belarus</strong> Vorsitzender<br />

des Verbandes der jüdischen Gemeinden.<br />

Seit 1995 ist er Mitglied<br />

des Kuratoriums der Internationalen<br />

<strong>Bildungs</strong>- und Begegnungsstätte<br />

„Johannes Rau“ in Minsk. Für<br />

sein herausragendes Engagement<br />

in der Versöhnungsarbeit zwischen<br />

Deutschland und <strong>Belarus</strong><br />

erhielt er im April 2008 das Bundesverdienstkreuz<br />

der Bundesrepublik<br />

Deutschland. Botschafter<br />

Dr. Gebhardt Weiss würdigte Lewin<br />

als Vertreter einer Generation,<br />

die die eindringliche Erinnerung<br />

an die deutschen Verbrechen im<br />

Zweiten Weltkrieg mit dem Willen<br />

zur verantwortungsvollen Gestaltung<br />

einer gemeinsamen Zukunft<br />

in Europa verbindet.<br />

Das 66 Seiten umfassende Buch kann ab<br />

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im europäischen Kontext<br />

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