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Handbuch der Schienentechnik

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Köstermann ⋅ Meißner ⋅ Sladek<br />

<strong>Handbuch</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Schienentechnik</strong><br />

Werkstoffe,<br />

Herstellung und Bearbeitung,<br />

Qualitätssicherung


Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in <strong>der</strong> Deutschen Nationalbibliografie;<br />

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über htttp://dnb.ddb.de abrufbar.<br />

Herausgeber (H), Kapitelverantwortlicher (KV) und Autor (A)<br />

Dipl.-Ing. Thomas Boldt, Schweißtechnische Lehr- und Versuchsanstalt SLV Hannover KV 2, KV 6, A 2, A 6<br />

Dipl.-Ing. Heinz Deckart, GTS Gesellschaft für Gleistechnik Süd mbH, Regensburg KV 3, KV 5, A 3, A 5<br />

Dipl.-Ing. Dirk Dennig, ThyssenKrupp GfT Gleistechnik, Essen A 1<br />

Dr.-Ing. Robert Gehrmann, Elektro-Thermit GmbH & Co. KG, Halle an <strong>der</strong> Saale A 2<br />

Dr.-Ing. Dieter Hartleben, Schweerbau GmbH & Co. KG, Stadthagen A 4<br />

Siegfried Hausen, LOG Logistikgesellschaft Gleisbau mbH, Hannover A 1<br />

Dr.-Ing. Thomas Hempe, DB Netz AG, Frankfurt am Main KV 4, A 4<br />

Dipl.-Ing. Jochen Kabisch, DB Netz AG, Berlin A 4<br />

Prof. Dr.-Ing. Heinrich Köstermann, Langenhagen H, A 2<br />

Prof. Dr.-Ing. Gerd Kuscher, Schweißtechnische Lehr- und Versuchsanstalt SLV Hannover KV 1, A 1<br />

Dipl.-Ing. Klaus Meißner, Leipzig H, KV 2, KV 3, A 2, A 3<br />

Dipl.-Ing. Lothar Mu<strong>der</strong>s, TSTG Schienen Technik GmbH & Co. KG, Duisburg A 1<br />

Dipl.-Ing. Thomas Pache, GTS Gesellschaft für Gleistechnik Süd mbH, Regensburg A 3, A 5<br />

Dipl.-Ing. Dr. mont. Peter Pointner, Voestalpine Schienen GmbH, Leoben/Österreich A 1<br />

Dipl.-Ing. Robert Schniegler, H. A. Schlatter AG, Schlieren/Schweiz A 2<br />

Dipl.-Ing. Dr. techn. Wolfgang Schöch, Speno International SA, Genf/Schweiz A 4<br />

Dipl.-Ing. Herbert Sladek, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln H<br />

Dipl.-Ing. Fred Son<strong>der</strong>mann, DGZfP, Wittenberge A 3<br />

Dipl.-Kfm. Marcel Taubert, Stahlberg Roensch GmbH & Co. KG, Hittfeld A 4<br />

Fachbuchreihe Schweißtechnik<br />

Band 152<br />

ISBN 978-3-87155-218-2<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

© DVS Media GmbH, Düsseldorf ⋅ 2008<br />

Herstellung: Service-Druck Kleinherne GmbH & Co. KG, Neuss


Vorwort<br />

Trotz <strong>der</strong> Abnahme des Schienenverkehrs in den vergangenen Jahrzehnten durch zunehmende<br />

Motorisierung <strong>der</strong> Bevölkerung und großflächige Verlagerung des Verkehrs auf die Straße sind<br />

auch heute noch umfangreiche Gleisanlagen und damit beachtliche Mengen von Schienen verlegt:<br />

– Die Schienennetze <strong>der</strong> Eisenbahnen <strong>der</strong> Mitgliedstaaten <strong>der</strong> Europäischen Union (EU) haben<br />

insgesamt eine Streckenlänge von etwa 220 000 km.<br />

– In Deutschland umfasst das Schienennetz des größten Bahnbetreibers, <strong>der</strong> Deutschen Bahn AG,<br />

eine Streckenlänge von etwa 34 000 km (63 000 km Gleise) und die Netze <strong>der</strong> Nichtbundeseigenen<br />

Eisenbahnen und <strong>der</strong> kommunalen Verkehrsunternehmen des ÖPNV (Straßenbahnen,<br />

Stadtbahnen, U-Bahnen) kommen in <strong>der</strong> Summe auf eine Streckenlänge von etwa 17 000 km.<br />

Ein Wie<strong>der</strong>aufschwung des Schienenverkehrs ist sogar zu verzeichnen, <strong>der</strong> im Rahmen <strong>der</strong> sich<br />

verschärfenden Umweltprobleme sicherlich weiter zunehmen dürfte.<br />

Wurden die Schienen früher ausschließlich durch Laschenstöße miteinan<strong>der</strong> verbunden, so erfolgt<br />

dies heute in Deutschland nur noch in wenigen Son<strong>der</strong>fällen. Im Regelfall werden die Schienen<br />

durch das Schweißen miteinan<strong>der</strong> verbunden. Die Gründe dafür sind höhere Wirtschaftlichkeit,<br />

erheblich besserer Fahrkomfort und stark vermin<strong>der</strong>te Geräuschentwicklung beim Befahren.<br />

Ziel <strong>der</strong> Eisenbahngesellschaften ist sowohl die Instandhaltung <strong>der</strong> vorhandenen Strecken als auch<br />

ihr Ausbau für den<br />

– Personenverkehr auf Hochgeschwindigkeitsstrecken mit Geschwindigkeiten bis 350 km/h und<br />

– Güterverkehr auf hochbelastbaren Strecken mit Achslasten von 22,5 t.<br />

Die Möglichkeiten dazu eröffnet u. a. das durchgehend geschweißte Gleis mit langen Schienen mit<br />

einer Walzlänge bis zu 120 m.<br />

Auch an den Fahrweg <strong>der</strong> Bahnen des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs und des Eisenbahn-<br />

Regionalverkehrs sowie <strong>der</strong> Hafen-, Anschluss-, Werks- und Industrie-Bahnen werden hohe<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen gestellt.<br />

Die <strong>Schienentechnik</strong> mit den Schwerpunkten<br />

– Werkstoffe und Formen,<br />

– Schweißen,<br />

– Prüfen, Messen und Bewerten,<br />

– Bearbeiten,<br />

– Spannungsausgleich und Herstellen Lückenloser Gleise und Weichen sowie<br />

– Qualitätssicherung<br />

ist zentrales Thema in <strong>der</strong> Eisenbahn-Infrastruktur. Die Bearbeitung und Kontrolle <strong>der</strong> Schienen<br />

mit Erkennen <strong>der</strong> äußeren und inneren Fehler zur Gewährleistung einer sicheren Spurführung <strong>der</strong><br />

Fahrzeuge und zur Verschleiß- und Lärmmin<strong>der</strong>ung stehen bei allen Bahnen an vor<strong>der</strong>ster Stelle.<br />

In den letzten Jahrzehnten waren teilweise bedeutende Neu- und Weiterentwicklungen zu<br />

verzeichnen, z. B. die Wärmebehandlung von Schienen zur Kopfhärtung, die Verwendung von<br />

Schienen mit höherer Stahlgüte o<strong>der</strong> die Einführung neuer Schweißverfahren. Hierüber wurde<br />

jeweils geson<strong>der</strong>t im Schrifttum o<strong>der</strong> in Vorträgen berichtet. Eine zusammenfassende Darstellung<br />

des heutigen Stands <strong>der</strong> <strong>Schienentechnik</strong> ist aber seit längerem überfällig.


Diese Erkenntnis war für die Herausgeber <strong>der</strong> Auslöser, ein erfahrenes Team von Autoren aus<br />

Industrie, Anwendung, Ausbildung und Prüfung <strong>der</strong> <strong>Schienentechnik</strong> zusammenzustellen, um diese<br />

Lücke zu schließen. Dabei wurde beson<strong>der</strong>er Wert auf Vollständigkeit und ausführliche<br />

Darstellung <strong>der</strong> Grundlagen gelegt. Das Ergebnis dieser Gemeinschaftsarbeit wird mit diesem<br />

<strong>Handbuch</strong> vorgelegt und soll allen in <strong>der</strong> <strong>Schienentechnik</strong> Tätigen sowohl beim Einstieg als auch<br />

als Nachschlagewerk nützlich sein.<br />

Der Dank gilt allen am <strong>Handbuch</strong> Beteiligten, insbeson<strong>der</strong>e den Autoren und den Firmen, die<br />

dieses Vorhaben wohlwollend unterstützt haben.<br />

Langenhagen, Leipzig und Köln, im Oktober 2008<br />

Heinrich Köstermann, Klaus Meißner und Herbert Sladek


Geleitwort<br />

Die DB Netz AG als Betreiber und Instandhalter des größten Strecken- und Schienennetzes in<br />

Europa steht gegenwärtig vor großen Herausfor<strong>der</strong>ungen. Die Eisenbahn erlebt <strong>der</strong>zeit eine<br />

Renaissance. Immer mehr Menschen und Güter werden auf <strong>der</strong> Schiene beför<strong>der</strong>t und das<br />

Transitland Deutschland steht vor <strong>der</strong> Frage, wie es die Verkehre <strong>der</strong> Zukunft organisieren und<br />

sicherstellen will.<br />

Die bedarfsgerechte Vorhaltung <strong>der</strong> Eisenbahninfrastruktur und die Optimierung des Verbundsystems<br />

Rad – Schiene sind Voraussetzung für die Bewältigung <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ungen, die<br />

angesichts <strong>der</strong> prognostizierten Verkehrszuwächse auf uns zukommen. Die Schiene als das<br />

tragende Element des Eisenbahnfahrwegs soll eine hohe Biegesteifigkeit und eine hohe Festigkeit<br />

für die permanent wechselnden Lastspiele aufweisen. Gleichzeitig for<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Eisenbahnbetrieb<br />

von <strong>der</strong> Schienenfahrfläche in ihrer Eigenschaft als Fahrbahn eine hohe Ebenheit und eine große<br />

Profiltreue. Im deutschen Schienennetz werden <strong>der</strong> Infrastruktur Zuggeschwindigkeiten von<br />

300 km/h und Achslasten bis 25 t abverlangt. Die Schiene stellt in <strong>der</strong> Beschaffung und <strong>der</strong><br />

Instandhaltung einen dominierenden Kostenfaktor dar. In ihrer Funktion, die Fahrzeuge zu tragen<br />

und zu führen, ist die Qualität <strong>der</strong> Schiene von ausschlaggeben<strong>der</strong> Bedeutung für die Sicherheit des<br />

Bahnbetriebs.<br />

Der Betreiber und Instandhalter <strong>der</strong> Infrastruktur muss in dem Spannungsfeld minimierter<br />

Lebenszykluskosten bei Sicherstellung <strong>der</strong> hohen Qualitätsanfor<strong>der</strong>ungen die Optimierung <strong>der</strong><br />

Liegedauer vorantreiben, um eine wirtschaftliche und regelwerkskonforme Vorhaltung <strong>der</strong><br />

Infrastruktur sicherzustellen. Bei <strong>der</strong> DB Netz AG werden dazu verschiedene Ansätze verfolgt. In<br />

<strong>der</strong> Zustandsüberwachung werden zunehmend automatische Mess- und Prüfverfahren eingesetzt.<br />

Zur Inspektion <strong>der</strong> Gleisanlagen werden mo<strong>der</strong>nste Verfahren <strong>der</strong> zerstörungsfreien Prüfung als ein<br />

wichtiger Bestandteil des Regelwerks eingesetzt. Gleichzeitig sind wir auf <strong>der</strong> Suche nach<br />

Hochtechnologie-Werkstoffen und legen im Rahmen <strong>der</strong> präventiven Instandhaltung einen großen<br />

Wert auf die Schienenpflege und -instandsetzung.<br />

Neben allen technischen Faktoren, die die herausragende Bedeutung <strong>der</strong> Schiene für die spurgebundenen<br />

Verkehrssysteme charakterisieren, kommt dem Faktor Mensch die ausschlaggebende<br />

Rolle zu. Daher ist die Vermittlung von Wissen und <strong>der</strong> Austausch von Erfahrungen und<br />

Kenntnissen für die Technik- und Prozessverantwortlichen beson<strong>der</strong>s wichtig.<br />

Ich begrüße daher ausdrücklich die Herausgabe dieses <strong>Handbuch</strong>es in <strong>der</strong> Erwartung, dass damit<br />

den Fach- und Führungskräften aller Ebenen ein umfassendes Kompendium für ihre tägliche Arbeit<br />

an die Hand gegeben wird.<br />

Frankfurt am Main, im Oktober 2008<br />

Oliver Kraft<br />

Vorstand Produktion <strong>der</strong> DB Netz AG


Geleitwort<br />

Die Schiene ist aufgrund ihrer Funktion als Trag- und Führungselement das Bauteil des Oberbaus,<br />

an das höchste Sicherheitsanfor<strong>der</strong>ungen zu stellen sind.<br />

Für eine sichere Führung des Radsatzes müssen Schienenkopf- und Radprofil, in Verbindung mit<br />

<strong>der</strong> Spurweite und Schienenneigung, auf einan<strong>der</strong> abgestimmt sein und engen Toleranzen<br />

unterliegen, um ein hartes Anlaufen des Rades am Schienenkopf zu vermeiden und einen instabilen<br />

Radsatzlauf <strong>der</strong> Fahrzeuge mit <strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong> Entgleisung zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Als Träger hat die Schiene die Aufgabe, die statischen und dynamischen Lasten <strong>der</strong> Fahrzeuge auf<br />

mehrere Schwellen zu verteilen, die dann über das Schotterbett – o<strong>der</strong> gebundene Tragschichten<br />

bei <strong>der</strong> Festen Fahrbahn – in den Untergrund abgeleitet werden. Voraussetzung ist die Ausbildung<br />

einer Biegewelle <strong>der</strong> Schiene, die nur über eine entsprechende Elastizität <strong>der</strong> Schienenauflager, des<br />

Schotters und des Untergrundes aktiviert werden kann. Dabei muss die erzeugte Biegespannung<br />

dauerhaft von <strong>der</strong> Schiene ertragen werden, damit es nicht zu einem Schienenbruch insbeson<strong>der</strong>e<br />

im Winter bei tiefen Temperaturen kommt. Infolge <strong>der</strong> Entwicklung eines geeigneten Bemessungsverfahrens,<br />

immer besserer Schienenqualitäten seit den 50er Jahren des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts und<br />

Schienenprüfungen mit dem Ultraschallverfahren sind solche Schienenbrüche selten geworden.<br />

Ganz ausgeschlossen werden können sie jedoch nicht. Das Oberbausystem ist aber so ausgelegt,<br />

dass auch bei einem Schienenbruch kein sicherheitsgefährden<strong>der</strong> Zustand eintritt, wenn eine<br />

spannungshaltende Schienenbefestigung eingesetzt wird, um die Bruchlücke klein zu halten, und<br />

<strong>der</strong> Schienenbruch schnellstmöglich gesichert und saniert wird.<br />

Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite haben sich in den letzten Jahren an<strong>der</strong>e Schienenschäden, nämlich Oberflächenschäden<br />

wie die „Head Checks“, erheblich vermehrt. Hauptsächliche Ursachen sind<br />

einerseits <strong>der</strong> bei den heutigen hohen Stahlfestigkeiten fast fehlende Verschleiß – von engen Bögen<br />

abgesehen –, wodurch Aufhärtungen und Anrisse an <strong>der</strong> Oberfläche <strong>der</strong> Schiene nicht mehr<br />

abgetragen werden, an<strong>der</strong>erseits die an <strong>der</strong> Schlupfgrenze fahrenden mo<strong>der</strong>nen Triebfahrzeuge,<br />

<strong>der</strong>en Rä<strong>der</strong> hohe Schubbeanspruchungen in die Schiene einleiten. Dem Problem <strong>der</strong><br />

„Head Checks“ kann <strong>der</strong>zeit wirksam nur durch Schienenschleifen o<strong>der</strong> -fräsen begegnet werden.<br />

In bestimmten Fällen hat auch <strong>der</strong> Einsatz von kopfgehärteten Schienen Verbesserungen gebracht.<br />

Erfolgt das Schleifen jedoch zu spät und haben sich die „Head Checks“ schon von Fahrkantenanrissen<br />

zu Querrissen im Schienenkopf weiter entwickelt, besteht die Gefahr eines plötzlichen,<br />

vom Schienenkopf ausgehenden Bruches. Die Erfahrung zeigt, dass dabei aufgrund <strong>der</strong> vielen, eng<br />

nebeneinan<strong>der</strong> liegenden „Head Check“-Risse auch ganze Schienenstücke ausbrechen können.<br />

Durch die Einführung des neuen Wirbelstrom-Prüfgeräts können „Head Checks“ mit kritischen<br />

Risstiefen detektiert werden. Abgesehen von <strong>der</strong> Sicherheitsgefährdung ist auch <strong>der</strong> wirtschaftliche<br />

Schaden zu beachten, wenn die Schienen aufgrund des nicht o<strong>der</strong> zu spät erfolgten Schleifens, in<br />

bestimmten Fällen bereits nach wenigen Jahren Liegedauer, ausgetauscht werden müssen.<br />

Gerade unter diesen Sicherheitsaspekten ist eine umfassende Darstellung des aktuellen Wissens<br />

über die <strong>Schienentechnik</strong> von Bedeutung, die mit diesem <strong>Handbuch</strong> erreicht werden soll. Sowohl<br />

angehende als auch erfahrene Oberbauer haben somit die Möglichkeit, ihre Kenntnisse über die<br />

Schiene zu erweitern und zu vertiefen, um zur Sicherheit des Fahrweges beizutragen.<br />

Bonn, im Oktober 2008<br />

Dipl.-Ing. Armin Keppel<br />

Präsident des Eisenbahn-Bundesamtes


1 Schienen<br />

1.1 Allgemeines<br />

1.1.1 Entwicklung und Überblick<br />

Die Schiene als tragendes Element im Rad-Schiene-System geht auf eine weit mehr als 150-<br />

jährige Tradition zurück. Die Entwicklung <strong>der</strong> Schienen war durch ihre Nutzung bestimmt; zur<br />

Aufnahme <strong>der</strong> Last und zur Führung des rollenden Materials mussten die Schienen so gestaltet<br />

sein, dass sie diesen Beanspruchungen wi<strong>der</strong>stehen konnten. Die Form <strong>der</strong> Schiene ähnelte<br />

zunächst einem Träger. Im Rahmen dieser Anfor<strong>der</strong>ung hat die Schiene aber im Laufe ihrer<br />

Entwicklung einige signifikante Formän<strong>der</strong>ungen durchgemacht. Von <strong>der</strong> einfachen Blockschiene<br />

bis hin zum gewichts- und gestaltoptimierten Vignol-Profil merkt man das Bestreben, einen<br />

optimalen Kompromiss zwischen Herstellbarkeit und Funktionalität zu finden, Bild 1-1.<br />

Bild 1-1. Entwicklung <strong>der</strong> Schienenprofile.<br />

Mit <strong>der</strong> Entwicklung des Schienenprofils einhergehend musste auch <strong>der</strong> Schienenwerkstoff selbst<br />

den steigenden Belastungen angepasst werden. Beobachtet man die Festigkeitssteigerungen <strong>der</strong><br />

Schienen von Beginn an, so erkennt man, dass die wachsenden Anfor<strong>der</strong>ungen nur durch die<br />

Entwicklung verbesserter Herstellmethoden des Schienenstahles selbst möglich wurden. Jedem<br />

Festigkeitssprung ging eine signifikante Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> metallurgischen Prozesse voran, Bild 1-2.<br />

Ein weiterer Parameter, <strong>der</strong> sich über die Jahre geän<strong>der</strong>t hat, ist die zum Einbau zur Verfügung<br />

stehende Schienenlänge. Von anfangs etwa 1,2 m langen Stücken existieren heute bis zu 120 m<br />

lange gewalzte Schienen. Hinsichtlich <strong>der</strong> Verlegung und Verbindung <strong>der</strong> Schienen zeigte sich mit<br />

den wachsenden For<strong>der</strong>ungen nach Lebensdauer und Komfort, dass in vielen Fällen mit dem<br />

Stoßlückengleis nicht das Optimum gefunden worden war. Die Entwicklung des Lückenlosen<br />

Gleises war eine unabdingbare Vorbedingung für einen möglichst gleichmäßigen Fahrzeuglauf.<br />

Damit sind aber auch die zentralen Themen für die Anwendung <strong>der</strong> <strong>Schienentechnik</strong> genannt:<br />

Schweißeignung des Schienenwerkstoffs und die Schweißtechnik selbst.<br />

1


Bild 1-2. Zusammenhang<br />

zwischen neuen<br />

Herstellmethoden und<br />

<strong>der</strong> Schienenfestigkeit.<br />

Die Anfor<strong>der</strong>ungen an den Schienenwerkstoff sind heutzutage bestimmt von <strong>der</strong> Schiene als<br />

sicherheitsrelevantem Fertigprodukt. Es muss vom Hersteller ein Produkt geliefert werden, das<br />

Jahre und Jahrzehnte den Beanspruchungen standhält, die dem Außenstehenden kaum bewusst<br />

sind. Der Herstellungsprozess, die Verarbeitung, die Verlegung, das Verschweißen, die Instandhaltung,<br />

all das sind hochwertige technologische Prozesse. Was wir heute produzieren und<br />

installieren, nutzen auch die nächsten Generationen. Das unterscheidet dieses Fachgebiet<br />

wesentlich von schnelllebigen Systemen. Gerade deshalb müssen aber auch Än<strong>der</strong>ungen und<br />

Anpassungen mit <strong>der</strong> größtmöglichen Gewissenhaftigkeit erfolgen, ohne aber trotzdem die<br />

Möglichkeit und den Elan für Weiterentwicklungen zu dämpfen.<br />

1.1.2 Schiene als Teil des Systems Bahn<br />

Die Schiene stellt im „System Bahn“ eine wichtige Komponente dar. Es gibt einige Möglichkeiten,<br />

sich diesem System zu nähern.<br />

Die Lastverhältnisse sind vergleichbar einer „Sanduhr“, Bild 1-3. Die Beanspruchungen und<br />

Drücke zwischen den einzelnen Komponenten des Systems können enorm unterschiedliche<br />

Beträge annehmen. Ihre größten Beträge erreichen diese Kräfte sicherlich im Rad-Schiene-<br />

Kontaktbereich. Berechnungen ergeben Beanspruchungen weit jenseits des elastischen<br />

Verformungsvermögens des Schienen- und des Radwerkstoffs und führen damit zu Schädigungen<br />

in Form von Verschleiß und/o<strong>der</strong> Rollkontaktermüdung. Geht man gedanklich von <strong>der</strong> Schiene<br />

nach unten, werden diese spezifischen Flächenpressungen immer kleiner. Die Last wird zuerst<br />

über den Schienenfuß auf die Zwischenlagen weitergeleitet. Die Spannungen reduzieren sich von<br />

2


weit über 1000 N/mm² im Kontaktbereich auf 100 N/mm² unter den Schienen. Im Falle des<br />

Schotteroberbaus werden über die Schwellen die Kräfte auf das Schotterbett geleitet, wo<br />

(theoretisch) Flächenpressungen in <strong>der</strong> Größenordnung von 50 N/mm² vorliegen. In <strong>der</strong><br />

Tragschicht letztendlich liegt die Flächenpressung bei 5 N/mm². Der Zusatz „theoretisch“ für die<br />

Belastungen unter <strong>der</strong> Schwelle ist notwendig, da eine Rechnung für „Druck = Kraft/Fläche“<br />

gerade in diesem Fall nicht so leicht zu führen ist. Die Auflagefläche entspricht hier keinesfalls <strong>der</strong><br />

Gesamtunterfläche <strong>der</strong> Schwelle; die Schwelle liegt sogar nur auf sehr wenigen Schotterflächen<br />

auf und es entstehen hohe Pressungen, die die Lebensdauer des Schotterbettes entscheidend<br />

verkürzen können. Diesem Problem trägt man u. a. mit <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> „besohlten Schwelle“<br />

Rechnung.<br />

Bild 1-3. Die Flächenpressungen<br />

im System<br />

Bahn.<br />

Die Kräfte auf die Kontaktfläche werden wie<strong>der</strong>um von den Fahrzeugen eingeleitet, wobei sich<br />

hier die Flächenpressungen von <strong>der</strong> Kontaktfläche weg verkleinern: Achslager und Konstruktionselemente<br />

im Drehgestell sind jene Teile, die das Gewicht des Wagenkörpers weiterzuleiten haben.<br />

Die Auslegung und das Prinzip dieser Teile haben einen bedeutenden Einfluss auf die in das Gleis<br />

geleiteten Kräfte. Damit sind nicht Fehlwartungen gemeint, zum Beispiel schwergängige Drehbewegung<br />

des Drehgestells, son<strong>der</strong>n die Konstruktionsprinzipien an sich. Es ist gesicherte<br />

Erkenntnis, dass „fahrwegfreundliche“ Achskonstruktionen die Kräfte auf das Gleis vermin<strong>der</strong>n<br />

können; langfristige Einsparungen bezüglich Erhaltung und Lebensdauer des Fahrweges wären<br />

sicher.<br />

Für eine wissenschaftliche Annäherung an den Begriff „System Bahn“ kann man eine Längenbzw.<br />

Größenskala verwenden, wie sie in Bild 1-4 gezeigt wird. Die Fahrwegseite beginnt mit den<br />

Größenordnungen <strong>der</strong> Schiene und erreicht über Weichenkonstruktionen und die Fahrweg-<br />

3


trassierung Dimensionen des nationalen und globalen Streckennetzes. Die Fahrzeugseite beginnt<br />

mit den Rä<strong>der</strong>n, Drehgestellen und Wagenkonstruktionen und erstreckt sich bis hin zur<br />

international zu bewegenden Fahrzeugflotte. Diese beiden Systeme treffen sich genau im höchstbeanspruchten<br />

Rad-Schiene-Kontakt und sind Ausgangspunkt für die meisten Verschlechterungsmechanismen<br />

im Gleis. Um die Vorgänge in diesem Bereich und die Wechselwirkungen besser<br />

verstehen zu können, muss man im System Bahn Untersuchungsmethoden wählen, die bis in die<br />

atomare Struktur gehen. Untersuchungen <strong>der</strong><br />

– Gefügestrukturen,<br />

– mechanischen Eigenschaften,<br />

– Schädigungen,<br />

– stark verformten Bereiche <strong>der</strong> Kontaktfläche,<br />

– Rollkontaktermüdung<br />

und die Zuordnung dieser Strukturen erfor<strong>der</strong>n eine breite Palette <strong>der</strong> Untersuchungsmethodik.<br />

Bild 1-4. Begriff „System Bahn“ als Größenskala.<br />

Bei <strong>der</strong> Analyse in Bild 1-4 fällt <strong>der</strong> Treffpunkt des Teiles „Fahrzeug“ und des Teiles „Fahrweg“<br />

des Systems Bahn gerade im Rad-Schiene-Kontakt auf, dessen Untersuchung nach wie vor eine<br />

große Herausfor<strong>der</strong>ung für viele Wissenschaftsbereiche darstellt. Dazu gehören Mechanik, Werkstoffwissenschaften,<br />

Physik und Umwandlungskinetik.<br />

1.1.3 Aufgaben <strong>der</strong> Schiene<br />

1.1.3.1 Schiene als Träger und Fahrbahn<br />

Eine <strong>der</strong> Hauptaufgaben <strong>der</strong> Schienen ist es, die vertikalen Lasten des rollenden Betriebes<br />

aufzunehmen. Das bedingt spezielle Anfor<strong>der</strong>ungen an die geometrische Gestalt. Dabei muss man<br />

bedenken, dass eine statische Sichtweise die Anfor<strong>der</strong>ungen in einem zu geringen Ausmaß<br />

beschreibt. Im Rad-Schiene-Kontakt kommt es zu Beanspruchungen auch im höherfrequenten<br />

4


Bereich, die bestimmend sind für auftretende Maximalkräfte. Dabei sind nicht nur die<br />

Schädigungen des Werkstoffes, son<strong>der</strong>n auch die Auswirkungen im Hinblick auf Schallemissionen<br />

zu bedenken.<br />

Die Anfor<strong>der</strong>ungen an Schiene und Schienenfahrweg sind abgestimmt auf diese Beanspruchungen<br />

in einem weiten Längenwellen- bzw. Frequenzspektrum.<br />

Die Rauheit <strong>der</strong> Schienenfahrfläche im µm-Bereich bestimmt die Schalleigenschaften. Von <strong>der</strong><br />

DB AG wurde das schalloptimierende Schleifen eingeführt, das die Oberfläche von schallerhöhenden<br />

Rauheiten befreit.<br />

Im Bereich von mm und cm ist man bestrebt, die Riffeln und Schlupfwellen ebenfalls durch<br />

Schleifen zu entfernen, an<strong>der</strong>nfalls kommt es zusätzlich zu einer erheblich verstärkten Schallemission<br />

und zu Beschädigungen am gesamten Oberbau. In diesen Bereich fallen auch die<br />

Wärmeeinflusszonen an Schweißungen. Bei zuviel eingebrachter Wärme kommt es zu Festigkeitseinbrüchen<br />

beidseitig <strong>der</strong> Schweißung und zu Dellenbildung.<br />

An die Schienengeradheit und -ebenheit werden hohe Anfor<strong>der</strong>ungen gestellt. So wird z. B. auf<br />

einer Messlänge von 3 m eine maximale Taltiefe von 0,3 mm gefor<strong>der</strong>t. Wenn man diese<br />

Anfor<strong>der</strong>ung in ein Bild umsetzt, entspricht das <strong>der</strong> Höhe eines Stuhls in einer Entfernung von<br />

5 km. Auch die Anfor<strong>der</strong>ungen an das Schweißen sind hoch. Vor allem beim Hochgeschwindigkeitsverkehr<br />

wird im Schweißbereich vielfach schon die Ebenheit <strong>der</strong> gewalzten Schiene<br />

gefor<strong>der</strong>t.<br />

Letztendlich ist auch die Konstruktion des Oberbaus gefor<strong>der</strong>t. Nicht nur, dass die elastischen<br />

Elemente für die Einsenkung <strong>der</strong> Schienen beim Überfahren des rollenden Materials so<br />

dimensioniert sind, dass diese etwa 1 bis 2 mm beträgt, auch die langwelligen Gleislageverän<strong>der</strong>ungen<br />

in Folge des Betriebes beeinflussen die Bewegung <strong>der</strong> Fahrzeuge. Diesbezügliche<br />

Fehllagen können zu einem gefährlichen Aufschaukeln <strong>der</strong> Fahrzeugbewegungen führen.<br />

1.1.3.2 Schiene als führendes Element<br />

Eine weitere wichtige Aufgabe <strong>der</strong> Schiene ist die Spurführung und die Aufnahme von<br />

Seitenkräften. Im geraden Gleis wird durch die spezielle Profilgestaltung von Rad und Schiene<br />

und eine nach innen gerichtete Schienenneigung eine periodische Bewegung <strong>der</strong> Fahrzeuge, <strong>der</strong><br />

Sinuslauf, erzwungen. Durch eine möglichst exakte Bauausführung des Systems soll <strong>der</strong> Sinuslauf<br />

nicht gestört werden. Je<strong>der</strong> seitliche Anlauf <strong>der</strong> Rä<strong>der</strong> verursacht unnötig erhöhte Kräfte.<br />

In Gleisbögen ist <strong>der</strong> Fahrzeuglauf an<strong>der</strong>en Kriterien unterworfen, es kommt zum Anlauf <strong>der</strong><br />

Rä<strong>der</strong> und damit zu erhöhter Wechselwirkung. Es gibt Maßnahmen, diese Kräfte in Grenzen zu<br />

halten, einige davon seien hier genannt. Grundsätzlich werden die bogenäußeren Schienen in <strong>der</strong><br />

Kurve überhöht eingebaut, wobei die Auslegung auf den Radius und die Verkehrsverhältnisse<br />

(Personen-, Güter- o<strong>der</strong> Mischverkehr) abgestimmt wird. In Bögen mit nicht zu kleinen Radien<br />

besteht die Möglichkeit, durch asymmetrisches Schleifen ein Rollen <strong>der</strong> Rä<strong>der</strong> durch die Kurve zu<br />

erzwingen [1-1]. Das ist bei kleinen Radien nicht mehr möglich. Hier kommt es darauf an, die<br />

Kontaktfläche zwischen Rad und Schiene möglichst groß zu machen, gleichzeitig aber die<br />

tangentialen Kontaktkräfte, die auf Grund <strong>der</strong> Rollradiendifferenzen im Kontaktbereich unvermeidlicherweise<br />

entstehen, nicht zu groß werden zu lassen. Kompromisse in <strong>der</strong> Profilgestaltung<br />

sind gefragt, ein noch wichtigeres Element in diesem Beanspruchungsbereich ist die Reduzierung<br />

des Reibkoeffizienten durch Schienen- o<strong>der</strong> Radschmierung. Neuere Entwicklungen in diesem<br />

Bereich sind „Friction Modifiers“, die den Reibwert gegenüber trockenem Verschleiß nennenswert<br />

5


verringern, jedoch durch Einstellung eines definierten Reibbeiwertes von 0,30 bis 0,35 mögliche<br />

Probleme durch zu starke Schmierung vermeiden [1-2].<br />

1.1.3.3 Schiene als Leiter von Signal- und Fahrströmen<br />

Eine weitere Aufgabe <strong>der</strong> Schienen ist die Weiterleitung von Signal- und Fahrströmen. Diese<br />

Aufgabe wird durch die Eigenschaften des Schienenwerkstoffs begünstigt. Stahl ist ein guter<br />

elektrischer Leiter, so wird diese Aufgabe in <strong>der</strong> Regel problemlos erledigt. Wenige Bahnen<br />

spezifizieren die Leitfähigkeit, wenn ja, dann findet man Vorschriften eher im Nahverkehrsbereich.<br />

Stromschienen genießen einen Son<strong>der</strong>status. Da sie nur zur Stromleitung genutzt werden und<br />

keine tragende Aufgabe zu erfüllen haben, sind sie in ihrer chemischen Zusammensetzung mit<br />

Schienenstahl nicht zu vergleichen. Die Stromschienen enthalten praktisch keine Legierungselemente,<br />

auch Kohlenstoff nur im Hun<strong>der</strong>tstel-Bereich. Stromschienen werden in diesem<br />

<strong>Handbuch</strong> nicht weiter behandelt.<br />

1.2 Schienenstahl<br />

1.2.1 Stahlherstellung<br />

Für in Europa hergestellte Schienen stehen ausschließlich Oxygenstahlwerke mit Konverterfassungsvermögen<br />

bis 240 t zur Verfügung. Das Roheisen wird hinsichtlich eines niedrigen<br />

Schwefelgehaltes gezielt eingesetzt (Hinweis: niedrige S-Gehalte verbessern aufgrund des höheren<br />

Reinheitsgrades des Stahls die mechanisch-technologischen Eigenschaften). Bei dem angewendeten<br />

Sauerstoffaufblasverfahren wird rechnergesteuert von oben reiner Sauerstoff auf das<br />

Schmelzbad geblasen und von unten werden inerte (reaktionsträge) Gase zugeführt. Vor dem<br />

Abstich werden gezielt Legierungselemente (u. a. Mangan, Chrom) zugegeben. Durch nachfolgende<br />

Pfannen- o<strong>der</strong> sekundärmetallurgische Behandlung wird erreicht:<br />

– Verbesserung des oxidischen Reinheitsgrades,<br />

– Minimierung des Wasserstoffgehaltes und<br />

– gleichmäßige chemische Zusammensetzung.<br />

Die mo<strong>der</strong>nen Methoden <strong>der</strong> Sekundärmetallurgie haben dazu beigetragen, den für Schienen<br />

geeigneten hochwertigen Stahl zu erzeugen. Dieser wird grundsätzlich über Stranggussanlagen<br />

vergossen.<br />

1.2.2 Beson<strong>der</strong>heiten des Schienenstahls<br />

Bei den im Oberbau eingesetzten Schienenwerkstoffen handelt es sich um un- bzw. niedriglegierte<br />

Stähle. Durch Ausnutzen von Herstellungs- bzw. Verarbeitungsmechanismen werden zusätzliche<br />

Festigkeitssteigerungen erreicht.<br />

Von den im Oberbau verwendeten Stählen für Schienen, Weichen, Schwellen und Verbindungsbzw.<br />

Befestigungselemente kommt dem Schienenstahl die größte technische Bedeutung zu.<br />

6


Deshalb nimmt er nachfolgend den Vorrang ein, zumal er auch im Wesentlichen alle Güten <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Oberbau-Stahlteile wi<strong>der</strong>spiegelt.<br />

Definition Stahl: Wird bei <strong>der</strong> Herstellung durch metallurgische Maßnahmen erreicht, dass <strong>der</strong><br />

Gehalt an Kohlenstoff (C) auf weniger als 2,06 % reduziert wurde und nicht<br />

mehr als Graphit ausscheidet, d. h. gelöst bzw. in gebundener Form vorliegt,<br />

spricht man von Stahl. Bei schweißgeeigneten Stählen, die ohne Vorwärmung<br />

geschweißt werden können, liegt <strong>der</strong> C-Gehalt mit maximal 0,24 % wesentlich<br />

darunter.<br />

Stahl besitzt einen kristallinen Aufbau, im Mikroschliff ist das Gefüge zu erkennen, Bild 1-5. Die<br />

Einstellung <strong>der</strong> gefor<strong>der</strong>ten Eigenschaften kann auf verschiedene Weise erfolgen. Einerseits<br />

werden sie durch die chemische Zusammensetzung beeinflusst, an<strong>der</strong>erseits erlangen Herstellungstechnologien<br />

durch eine gezielte Walztechnologie eine immer größere Bedeutung.<br />

a) b) c)<br />

Bild 1-5. Gefüge in Abhängigkeit von C- und Cr-Gehalten;<br />

a) Stahl mit einem C-Gehalt von etwa 0,20 %, normalisiert geglüht, ferritisch-perlitisches Gefüge;<br />

b) Stahl mit einem C-Gehalt von etwa 0,70 %, Schienenstahl R260, perlitisches Gefüge mit Korngrenzenferrit;<br />

c) Stahl mit einem C-Gehalt von etwa 0,70 % und einem Cr-Gehalt von etwa 1 %, Schienenstahl R320Cr,<br />

Vergütungsgefüge.<br />

Der Schienenstahl muss sehr hohe dynamische Belastungen in Verbindung mit starken Verformungs-<br />

und Kaltverfestigungen aufnehmen, die durch die einwirkenden Kräfte zwischen Rad<br />

und Schiene (Radlasten) sowie Spurführungs-, Beschleunigungs- und Bremskräfte entstehen.<br />

Daraus ergeben sich bestimmte zu for<strong>der</strong>nde mechanisch-technologische Eigenschaften wie:<br />

– Zugfestigkeit (R m ) bzw. Streckgrenze (R eH bzw. R p0 , 2 ) in N/mm² (MPa),<br />

– Dauerfestigkeit,<br />

– Verformungsvermögen wie Bruchdehnung (A) in %; z. T. Kerbschlagwerte (K v ) in J (Joule) in<br />

Abhängigkeit von <strong>der</strong> Prüftemperatur,<br />

– Härtewerte nach Brinell (HB) bzw. Vickers (HV).<br />

Der Werkstoff muss weiterhin<br />

– verschleißfest und<br />

– frei von Spannungsrissen sein (einen hohen Reinheitsgrad haben) sowie<br />

– eine ausreichende Schweißeignung aufweisen.<br />

1.2.3 Beeinflussung <strong>der</strong> Eigenschaften <strong>der</strong> Schienenstähle<br />

Schienenstähle werden heute nach <strong>der</strong> Härte nach Brinell (HB) eingeteilt, Bild 1-6, früher<br />

nach <strong>der</strong> Zugfestigkeit. Die verwendeten Regelgüten nach DIN EN 13674-1:2003 bzw.<br />

UIC-Merkblatt 860V und Son<strong>der</strong>güten liegen in einem Zugfestigkeitsbereich von etwa 600 bis<br />

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1300 N/mm² (MPa). Von Bedeutung ist dabei auch <strong>der</strong> durch die Streckgrenze gekennzeichnete<br />

Elastizitätsanteil, ausgedrückt durch das Streckgrenzenverhältnis, das heißt das Verhältnis <strong>der</strong><br />

Streckgrenze R eH bzw. R p0,2 zur Zugfestigkeit R m . Je kleiner <strong>der</strong> Wert, desto größer sind die Verformungsreserven.<br />

Bild 1-6. Zusammenhang zwischen Festigkeit und Zähigkeit <strong>der</strong> Norm-Schienenstähle.<br />

1.2.3.1 Einstellen <strong>der</strong> Festigkeit über die chemische Zusammensetzung<br />

Die Steigerung <strong>der</strong> Festigkeit von Schienenstählen erfolgt im Wesentlichen über 3 Elemente, und<br />

zwar Kohlenstoff (C), Mangan (Mn) und z. T. Chrom (Cr). Zusätzliche Kombinationen mit<br />

feinkörnenden Mikrolegierungselementen wie Titan (Ti), Niob (Nb) und Vanadin (V) sind<br />

möglich. Dabei können die erstgenannten Elemente nicht in beliebig großer Menge eingesetzt<br />

werden, weil dies die Schweißeignung <strong>der</strong> Schienen beeinträchtigen würde.<br />

Die Steigerung <strong>der</strong> Festigkeit über den C-Gehalt (in Abhängigkeit vom Mn-Gehalt) ergibt ein<br />

ferritisch-perlitisches Gefüge, wobei mit steigendem C-Gehalt <strong>der</strong> Perlitanteil zunimmt, Bil<strong>der</strong><br />

1-5a und 1-5b, und die Schweißeignung abnimmt. Mn steigert die Festigkeit über eine Mischkristallverfestigung.<br />

Hierdurch sind Zugfestigkeiten von bis zu 900 N/mm² erreichbar, darüber<br />

hinausgehende Festigkeiten werden durch eine Cr-Zugabe erreicht, die dann zu einer Vergütung<br />

des Werkstoffes führt, Bild 1-5c. Beim Legierungsprozess wird <strong>der</strong> Schienenstahl so hoch legiert,<br />

dass sich nach einer Luftabkühlung auf dem Kühlbett die gewünschte Festigkeit einstellt.<br />

1.2.3.2 Festigkeitssteigerung durch eine gezielt eingestellte Walztechnologie<br />

Seit vielen Jahren werden Festigkeiten nicht nur über den Zusatz chemischer Elemente erreicht<br />

(die immer die Schweißeignung beeinflussen), son<strong>der</strong>n auch über die gezielte Einstellung<br />

des Gefüges mit einer kontrollierten Temperatur-Zeit-Führung beim Walzen. Die dadurch entstehenden<br />

diffusionsgesteuerten Umwandlungen (sogenannte Inline-Verfahren) ergeben ein<br />

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feinperlitisches Gefüge bzw. durch eine beschleunigte Abkühlung bis hin zum Umklappvorgang<br />

bei <strong>der</strong> Austenit-Ferrit-Gefügeumwandlung ein Zwischenstufengefüge, auch Bainit genannt. So<br />

ergeben sich Zugfestigkeiten (R m ) bis zu 1400 N/mm².<br />

Tabelle 1-1. Chemische Zusammensetzung <strong>der</strong> Schienenstähle.<br />

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