Infothek Waldkinder - Interview mit Sibille Winistörfer - Lehrer entdecken das Klassenzimmer „Wald“ immer mehr – Lehrzeit der besonderen unkonventionellen Art
http://www.infothek-waldkinder.org - Lehrer entdecken das Klassenzimmer „Wald“ immer mehr – Lehrzeit der besonderen unkonventionellen Art - Meine Vorstellung von Lernen wurde revolutioniert - Herausforderungen im Wald lassen eher ängstliche und zurückhaltende Kinder zu starken Persönlichkeiten heranreifen - Rückhalt und Unterstützung für Lehrpersonen aus dem Umfeld Schule ist wichtig
http://www.infothek-waldkinder.org - Lehrer entdecken das Klassenzimmer „Wald“ immer mehr – Lehrzeit der besonderen unkonventionellen Art
- Meine Vorstellung von Lernen wurde revolutioniert
- Herausforderungen im Wald lassen eher ängstliche und zurückhaltende Kinder zu starken Persönlichkeiten heranreifen
- Rückhalt und Unterstützung für Lehrpersonen aus dem Umfeld Schule ist wichtig
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Natur-Profi Waldbrief September 2015<br />
Waldbrief <strong>–</strong> <strong>Interview</strong><br />
<strong>Lehrer</strong> <strong>entdecken</strong> <strong>das</strong> <strong>Klassenz<strong>immer</strong></strong> <strong>„Wald“</strong> <strong>immer</strong> <strong>mehr</strong> <strong>–</strong><br />
<strong>Lehrzeit</strong> <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en <strong>unkonventionellen</strong> <strong>Art</strong><br />
Meine Vorstellung von Lernen wurde revolutioniert<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen im Wald lassen eher ängstliche und zurückhaltende Kin<strong>der</strong><br />
zu starken Persönlichkeiten heranreifen<br />
Rückhalt und Unterstützung für Lehrpersonen aus dem Umfeld Schule ist<br />
wichtig<br />
<strong>Infothek</strong>-<strong>Waldkin<strong>der</strong></strong>: Liebe <strong>Sibille</strong>, <strong>mit</strong> dir als erfahrene<br />
Waldlehrerin wechsele ich jetzt ganz spontan den Raum. Eben<br />
noch im <strong>Klassenz<strong>immer</strong></strong> <strong>mit</strong> den vier Wänden und jetzt <strong>mit</strong>ten<br />
im Wald. Was ist beson<strong>der</strong>s an<strong>der</strong>s?<br />
<strong>Sibille</strong>: Alles ist an<strong>der</strong>s. Auch <strong>der</strong> Begriff Zeit. Da gibt es keine<br />
45 minütigen Lektionen. Der Wald will ganzheitlich erlebt<br />
werden. In einer Schullektion kann ich zu einem Lerninhalt ein<br />
Arbeitsblatt lösen. Im Wald will alles erlebt werden, <strong>das</strong> dauert<br />
länger. Doch die emotionale Verbundenheit festigt einen<br />
Lerninhalt dauerhaft und nebenbei werden Sozial- und<br />
Selbstkompetenzen intensiv geför<strong>der</strong>t. Das Ver<strong>mit</strong>teln von<br />
Wissen ist also stark eingebettet in ein Erleben, Erfahren,<br />
Erspielen. Darunter verstehe ich Kind gerechtes Lernen.<br />
<strong>Infothek</strong>-<strong>Waldkin<strong>der</strong></strong>: Du weisst wovon du sprichst. 14 Jahre<br />
hast du als Primarlehrerin gearbeitet und 3 Jahre als<br />
Basisstufenlehrkraft bei naturspielwald an <strong>der</strong> Waldschule Baden. Wie positiv hast du deine Zeit als<br />
<strong>Lehrer</strong>in im Wald erlebt?<br />
<strong>Sibille</strong>: Die Zeit an <strong>der</strong> Waldschule Baden hat meine Vorstellung von Lernen revolutioniert. Ich durfte<br />
erfahren, <strong>das</strong>s in den Kin<strong>der</strong>n vieles von selbst reift. Sie haben eine natürliche Neugierde inne und<br />
besitzen den Willen etwas zu können, <strong>das</strong> sie bei an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>n entdeckt haben. Als Lehrperson darf<br />
ich die Kin<strong>der</strong> in ihrem Prozess begleiten. Anstelle <strong>der</strong> Kontrolle<br />
habe ich gelernt zu vertrauen. Vertrauen, <strong>das</strong>s die Kin<strong>der</strong> im<br />
selbsttätigen Tun enorm viel lernen. Dieses Denken funktioniert<br />
nur dann, wenn die Wissensver<strong>mit</strong>tlung etwas in den Hintergrund<br />
rückt und <strong>der</strong> ganzheitliche Lernprozess beurteilt wird.<br />
Hier hat meiner Meinung nach die Volksschule grosses Potenzial<br />
sich in diese Richtung zu entwickeln. Für mich persönlich ist es <strong>der</strong><br />
Weg zu starken glücklichen Kin<strong>der</strong>n.<br />
Ich bin unendlich dankbar für <strong>das</strong> was ich an <strong>der</strong> Waldschule<br />
erfahren durfte.<br />
Natur-Profi September 2015/Jahrgang 6<br />
In Zusammenarbeit <strong>mit</strong>: www.dusse-verusse.ch & Partner<br />
www.infothek-waldkin<strong>der</strong>.org
<strong>Infothek</strong>-<strong>Waldkin<strong>der</strong></strong>: In <strong>der</strong> Natur<br />
sind an<strong>der</strong>e Fähigkeiten und<br />
Fertigkeiten als im <strong>Klassenz<strong>immer</strong></strong><br />
gefragt. Welchen Unterschied kann es<br />
für Schüler machen, die zurückhaltend<br />
sind o<strong>der</strong> solchen die eher im<br />
Unterricht auffallend sind?<br />
<strong>Sibille</strong>: Im Wald können die Kin<strong>der</strong><br />
ihren Bewegungsdrang ausleben. Dies<br />
ermöglicht ihnen konzentrierte<br />
Arbeitsphasen auch im <strong>Klassenz<strong>immer</strong></strong>.<br />
Der Wald för<strong>der</strong>t Sozial-<br />
Selbstkompetenzen in hohem Mass.<br />
Durch die Witterungsverhältnisse lernen die Kin<strong>der</strong> für sich selber zu sorgen und was will man im Wald<br />
alleine? Überall braucht man Hilfe, beim Tragen von grossen Ästen, beim Bauen, Handschuhe anziehen<br />
etc. Diese Herausfor<strong>der</strong>ungen lassen auch eher ängstliche und zurückhaltende Kin<strong>der</strong> zu starken<br />
Persönlichkeiten heranreifen.<br />
<strong>Infothek</strong>-<strong>Waldkin<strong>der</strong></strong>: Das heisst, die<br />
<strong>Lehrer</strong> können auf <strong>das</strong> <strong>Klassenz<strong>immer</strong></strong><br />
Wald gar nicht <strong>mehr</strong> verzichten. Du<br />
gibst Weiterbildungen für<br />
Lehrpersonen. Kannst du beobachten,<br />
<strong>das</strong>s <strong>immer</strong> <strong>mehr</strong> Pädagogen sich <strong>mit</strong><br />
ihrem Lehrplan in die Natur hinaus<br />
locken lassen und sich neues zutrauen?<br />
<strong>Sibille</strong>: Ja, <strong>das</strong> wär wünschenswert und<br />
auch die grosse Vision natur-punkts.<br />
Doch es dauert wohl noch eine Weile,<br />
bis die Volksschule so weit ist. Dort wo<br />
<strong>der</strong> Rückhalt und die Unterstützung <strong>der</strong> Lehrpersonen, durch <strong>das</strong> Umfeld <strong>der</strong> Schule, genügend gross<br />
ist, trauen sich ver<strong>mehr</strong>t Lehrpersonen regelmässige Waldtage durchzuführen. Der Kin<strong>der</strong>garten ist<br />
hier in einer Pionierrolle. Sehr viele Kin<strong>der</strong>gärten führen bereits regelmässige Naturkontakte durch.<br />
Ich hoffe diese Welle schwappt ver<strong>mehr</strong>t auch auf die Primarschule über.<br />
<strong>Infothek</strong>-<strong>Waldkin<strong>der</strong></strong>: Kannst du ein konkretes Thema aus <strong>der</strong> 3./4. Klasse nennen, <strong>das</strong>s im Wald<br />
einfacher zu verstehen ist, als im<br />
<strong>Klassenz<strong>immer</strong></strong>?<br />
<strong>Sibille</strong>: Es gäbe zahlreiche Themen,<br />
die sich in <strong>der</strong> Natur durchführen<br />
lassen. Doch mir wäre viel lieber,<br />
wenn ein Waldmorgen o<strong>der</strong> -<br />
nach<strong>mit</strong>tag dazu benützt würde, die<br />
Kin<strong>der</strong> im selbsttätigen Tun zu<br />
unterstützen. Das wäre keineswegs<br />
verlorene Zeit, es würde ein<br />
Ausgleich zum kopflastigen Lernen<br />
im <strong>Klassenz<strong>immer</strong></strong> bedeuten.<br />
Natur-Profi Waldbrief September 2015 /Jahrgang 6<br />
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<strong>Infothek</strong>-<strong>Waldkin<strong>der</strong></strong>: Sicher hast du schon von<br />
Lehrpersonen den Satz gehört, „Der Lehrplan ist<br />
viel zu dicht, da kann ich nicht auch noch Zeit im<br />
Wald verbringen.“ Was antwortest du ihnen?<br />
<strong>Sibille</strong>: Lei<strong>der</strong> ist dies noch <strong>immer</strong> <strong>der</strong> häufigste<br />
Satz, den ich zu hören kriege. Und ich kann die<br />
Lehrpersonen auch verstehen. Sie sind sehr hohen<br />
Erwartungen auch seitens <strong>der</strong> Eltern ausgesetzt. Da<br />
braucht es enorme Überzeugungskraft und<br />
Durchsetzungsvermögen. Es setzt voraus, <strong>das</strong>s die<br />
Lehrperson dem Gesetz des Selbsttätigen Lernens<br />
vertraut. Literatur von Entwicklungspsychologen wie<br />
z.B. Remo Largo, Gerald Hüther ist in dieser<br />
Hinsicht für die Lehrpersonen eine wertvolle<br />
Unterstützung.<br />
<strong>Infothek</strong>-<strong>Waldkin<strong>der</strong></strong>: Vielen Dank, da<strong>mit</strong> hast du uns neue Einblicke aus <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Naturpädagogik<br />
geschenkt.<br />
Fragen stellte Nadja Hillgruber<br />
Fotos <strong>Sibille</strong> <strong>Winistörfer</strong><br />
Kontaktdaten<br />
sibille@natur-punkt.ch<br />
Telefon: 078 876 47 27<br />
Natur-Profi Waldbrief September 2015 /Jahrgang 6<br />
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