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VOM WERT DES WOHNENS - LWB

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Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft mbH<br />

Prager Straße 21, 04103 Leipzig<br />

Telefon: 0341 - 99 20<br />

www.lwb.de<br />

FORUM ZWEI | Mai 2006 Vom Wert des Wohnens<br />

FORUM ZWEI | Mai 2006<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong><br />

<strong>WOHNENS</strong>


FORUM ist eine zweimal im Jahr erscheinende<br />

Publikation der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft<br />

mbH (> www.lwb.de), die sich an einen<br />

ausgewählten, interessierten Leserkreis wendet.<br />

Thematisiert werden wohnungswirtschaftliche Entwicklungen<br />

und Trends, die sich im Spannungsfeld<br />

städtebaulicher Veränderungen und urbaner<br />

Lebenswelt spiegeln.<br />

FORUM ist kein Fachmagazin, sondern will den<br />

Blick dafür schärfen, dass die heutige Attraktivität<br />

der Städte maßgeblich den Leistungen der Immobilien-<br />

und Wohnungswirtschaft zu verdanken ist.<br />

Am Beispiel Leipzigs lässt sich gerade dies<br />

eindrucksvoll belegen.<br />

FORUM ZWEI | Mai 2006<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong><br />

<strong>WOHNENS</strong>


<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

Zwei Drittel der Menschen<br />

in Deutschland<br />

leben in Städten. Aber<br />

diese Mehrheit und ihre<br />

Repräsentanten in den<br />

kommunalen Selbstverwaltungsorganenfinden<br />

sich nur ungenügend<br />

in der deutschen<br />

Politik wieder. Noch<br />

immer machen Bund und Länder vieles unter<br />

sich aus, noch immer warten die Städte auf eine<br />

Gemeindefinanzreform, immer mehr Lasten werden<br />

nach unten auf die Kommunen abgewälzt.<br />

Eine der schwerwiegendsten Folgen ist die mangelhafte<br />

Finanzausstattung der Städte, sind<br />

leere Kassen, hohe Schuldenberge und manchmal<br />

auch die Zwangsverwaltung. Um aus dieser<br />

Misere herauszukommen, gehen die Städte verschiedene<br />

Wege: Bürokratie- und Personalabbau,<br />

Ausbau kommunaler Unternehmen, aber<br />

auch der Verkauf städtischen Eigentums. Eine<br />

rege, mitunter auch aufgeheizte Diskussion<br />

dreht sich um die Kernfrage, ob Unternehmen<br />

der Daseinsvorsorge wie Wasserwerke, Stadtwerke<br />

oder kommunale Wohnungsunternehmen<br />

2<br />

verkauft werden sollen. Es gibt viele Argumente<br />

dafür. Noch mehr – wie wir meinen – allerdings<br />

dagegen.<br />

Genau hier wollen wir mit FORUM ZWEI ansetzen.<br />

Wir widmen uns dem Wert des Wohnens<br />

und fragen, welche Aufgaben kommunale Wohnungsunternehmen<br />

für ihre Eigentümer erbringen<br />

und woher kommunales Wohneigentum in<br />

Leipzig kommt. Wir illustrieren, warum sich<br />

Immobilienerwerb angesichts gefährdeter Rentenkassen<br />

und historisch niedriger Bauzinsen<br />

lohnt und trotzdem für viele Menschen nur ein<br />

Traum bleibt. Am anschaulichsten ist immer das<br />

Konkrete, lesen Sie deshalb in dieser Ausgabe<br />

auch über Menschen, die kommunalen Wohnraum<br />

brauchen und froh sind, dass sie sich nicht<br />

in einem vollkommen privatisierten Wohnungsmarkt<br />

versorgen müssen.<br />

Anregende Unterhaltung wünscht<br />

Peter Stubbe<br />

Geschäftsführer der <strong>LWB</strong><br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

INHALT<br />

Seiten 4 bis 9<br />

Städte sind kein „Geschäft“<br />

Interview mit Dr.-Ing. Irene Wiese-von Ofen<br />

über die Benachteiligung der Städte in<br />

Deutschland und warum Kommunen keine<br />

Wirtschaftsunternehmen sind<br />

Seiten 10 bis 17<br />

Wohnen im Renditeobjekt<br />

DIE ZEIT-Autor Roland Kirbach über<br />

Privatisierungen in der Wohnungswirtschaft<br />

und ihre Auswirkungen<br />

Seiten 18 bis 21<br />

Weltweiter Trend<br />

Auch in vielen anderen Ländern werden seit<br />

den 90er-Jahren Wohnungen in großem Stil<br />

privatisiert<br />

Seiten 22 bis 25<br />

Eigene vier Wände – (k)ein Traum für jeden<br />

Warum Eigentumsbildung derzeit so<br />

attraktiv wie nie ist und trotzdem für<br />

viele unerschwinglich bleibt<br />

Seiten 26 bis 31<br />

Kommunaler Wohnungsbau mit Tradition<br />

Warum Leipzig über einen großen Bestand an<br />

kommunalem Wohnraum verfügt<br />

Seiten 32 bis 40<br />

Wohnwerte<br />

Fünf Beispiele, warum Menschen auf<br />

kommunalen Wohnraum angewiesen sind<br />

3


Die deutschen Städte verzeichnen tiefe Löcher<br />

in ihren Haushaltskassen. Neben Sparprogrammen<br />

– meistens zu Lasten der sozial<br />

Schwachen – diskutieren viele Kommunalpolitiker<br />

den Verkauf stadteigener Unternehmen.<br />

Interessenten gibt es genug – Stromkonzerne<br />

schielen auf Stadtwerke, Investmentfonds auf<br />

Wohnungsgesellschaften. Da wird mächtig<br />

gezockt – und die Städte suchen nach neuen,<br />

innovativen Lösungen.<br />

4<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

STÄDTE SIND<br />

KEIN „GESCHÄFT“<br />

Gespräch mit Dr.-Ing. Irene Wiese-von Ofen,<br />

Architektin, Beigeordnete der Stadt Essen<br />

a. D., Vorsitzende des Verbandsrates des<br />

Deutschen Verbandes für Wohnungswesen,<br />

Städtebau und Raumordnung e. V. und ehemalige<br />

Präsidentin der International Federation<br />

for Housing and Planning.<br />

Verbände wie der Deutsche Städtetag<br />

beklagen, dass die Städte in Deutschland<br />

rechtlich, politisch und finanziell<br />

links liegen gelassen werden, obwohl in<br />

ihnen zwei Drittel der Bevölkerung leben.<br />

Die Vorwürfe sind sicherlich nicht ganz unberechtigt.<br />

In Deutschland haben die Städte in der<br />

allgemeinen Wahrnehmung nicht die Bedeutung,<br />

die ihnen zusteht. Wir sind insoweit immer noch<br />

keine wirklich städtische Gesellschaft – allein<br />

der Vergleich mit Italien oder Frankreich zeigt,<br />

dass dort die Städte viel mehr im Bewusstsein<br />

von Politik und Gesellschaft sind, mehr in<br />

Entscheidungsfindungen einbezogen werden,<br />

selbstbewusster sind. Vielleicht hat das etwas<br />

damit zu tun, dass die deutsche Romantik vor<br />

zwei Jahrhunderten eine Geringschätzung von<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

Stadt erzeugte, die bis heute nachwirkt. Hinzu<br />

kam die Stadtflucht infolge der hohen Verdichtung<br />

durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert<br />

und dann vor allem die Zunahme des<br />

starken Verkehrs im 20. Jahrhundert.<br />

Unter umgekehrten Vorzeichen erleben wir nunmehr<br />

wegen des massiven Bevölkerungsrückgangs<br />

– beginnend in Ostdeutschland – erneut<br />

eine Abwendung von der Stadt, selbst wenn die<br />

Suburbanisierungstendenzen zurück zu gehen<br />

scheinen. In anderen europäischen Ländern ist<br />

Raumplanungspolitik stärker auf Städte ausgerichtet,<br />

in Deutschland hingegen genießen die<br />

Städte kein Primat. Dabei sind auch in Deutschland<br />

die Städte nach wie vor der Motor der wirtschaftlichen<br />

und kulturellen Entwicklung.<br />

5


SOZIALES ENGAGEMENT<br />

Viele Kommunen sind von der Schrumpfung<br />

der Bevölkerung betroffen, nahezu alle Städte<br />

haben große Haushaltsprobleme. Sollten sich<br />

Kommunen da nicht aus bestimmten Feldern<br />

der Daseinsvorsorge zurückziehen?<br />

Zunächst einmal muss man sich über den Begriff<br />

Daseinsvorsorge im Klaren sein. Unter diesem<br />

Banner läuft heute einfach zu viel. Die Frage ist,<br />

was tatsächlich die Aufgabe der Städte ist. Die<br />

Sorge für die Hilfsbedürftigen oder die Infrastruktur<br />

gehören zweifellos dazu. Auch die städtische<br />

Fürsorge für die medizinische Grundversorgung<br />

oder die Einhaltung gesetzlicher, beispielsweise<br />

hygienischer Vorschriften. Das heißt<br />

aber nicht, dass eine Kommune unbedingt ein<br />

städtisches Krankenhaus betreiben muss. Es<br />

> UNTERSTÜTZUNG FÜR SENIOREN<br />

Die <strong>LWB</strong> verfügt über vielfältige Wohnungen für<br />

ältere Menschen. Zu deren Unterstützung im Alltag<br />

und im Pflegefall kooperiert sie mit Trägern der<br />

Freien Wohlfahrtspflege, Vereinen und privaten Pflegedienstleistern.<br />

Angebote reichen von Beratung<br />

direkt durch das <strong>LWB</strong>-Sozialmanagement über die<br />

Vermittlung von Angeboten im vorpflegerischen<br />

Bereich, Beratungs- und Besuchsdienste bis hin zu<br />

Wohnungsanpassungsberatung, wenn die Senioren<br />

mit zunehmenden Beeinträchtigungen zu kämpfen<br />

haben. Zudem führt die <strong>LWB</strong> bedarfsgerechte Sanierungen<br />

für ältere Menschen durch.<br />

6<br />

geht also nicht um den Rückzug aus der<br />

Daseinsvorsorge, sondern um die saubere Definition,<br />

da es durchaus Bereiche gibt, die heute<br />

als Leistung von der Stadt erwartet werden, die<br />

aber eigentlich nicht zur Daseinsvorsorge gehören.<br />

Kernbereiche wie die Trinkwasserversorgung<br />

und die Abwasserentsorgung sind aber<br />

Aufgaben, die in die Obhut der Stadt gehören.<br />

Ein weiteres Beispiel sind bestimmte, in der Verantwortung<br />

der Verwaltung liegende Aufgaben.<br />

Überall, wo die Stadt von den Bürgern etwas<br />

erwartet, diese es aber nicht unbedingt gern tun,<br />

müssen ordnungspolitische Eingriffe hoheitlich<br />

möglich sein. Nehmen wir den Anschlusszwang<br />

bei Abwasseranlagen oder Straßenausbaubeiträge.<br />

Private können alles besser – fast schon<br />

ein Grundsatz mit religiösem Anstrich.<br />

Aber stimmt das auch?<br />

Nein. Private Unternehmen mit ähnlich großen<br />

Strukturen wie Behörden funktionieren nach<br />

ähnlichen Prinzipien und sind auch nicht a priori<br />

besser. Es ist ein gepflegtes Vorurteil, dass<br />

Städte weder über wirtschaftlich denkende Spitzen<br />

noch über flexibel handelnde Entscheider<br />

verfügen und Private wirtschaftlicher, schneller<br />

und effizienter in Entscheidungsabläufen sind.<br />

Große Unternehmen der Wirtschaft zeigen die<br />

gleiche Schwerfälligkeit großer Apparate. Was<br />

man in den Zeitungen bei wirtschaftlichen<br />

Schieflagen großer Firmen über verpasste<br />

Marktchancen liest, spricht keineswegs dafür,<br />

dass private Hände flinker handelten als öffentliche.<br />

Es ist nicht die Frage, wer was besser kann, sondern<br />

die nach dem jeweiligen Verantwortungsbereich.<br />

Beispiel Bauleitplanung: Es ist die städtische<br />

Aufgabe, in einem demokratischen Prozess<br />

die Voraussetzungen für Genehmigungsverfahren<br />

zu schaffen, verschiedene Interessen<br />

gegeneinander abzuwägen und dann per Ratsbeschluss<br />

den Rahmen zu bestimmen, innerhalb<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

7


HILFE FÜR MIGRANTEN<br />

Seit vielen Jahren verzeichnet die <strong>LWB</strong> einen Zuzug von ausländischen<br />

Bürgern, deren Integration in den Mietshäusern<br />

überwiegend reibungslos verläuft. Dabei wird im Vorfeld<br />

ausgelotet, dass Konflikte zwischen angestammten Bewohnern<br />

und den neuen Mietern durch kulturelle Unterschiede<br />

und Mentalitäten gar nicht erst aufkommen. So besteht<br />

eine enge Kooperation mit dem Verein „InJumi e.V.“ im<br />

Stadtteil Volkmarsdorf, dessen Mitarbeiter Migranten zu<br />

Themen des Wohnens und des gemeinschaftlichen<br />

Zusammenlebens bis zur Vermittlung bei<br />

8<br />

Nachbarschaftskonflikten beraten. Dafür stellt die<br />

<strong>LWB</strong> kostenlos Räumlichkeiten zur Verfügung.<br />

SOZIALES ENGAGEMENT<br />

dessen ein Bauvorhaben genehmigt werden<br />

kann. Dann hat der Private wiederum die Chance,<br />

in diesem Rahmen nach seinem Ermessen und<br />

Vermögen zu handeln. Dann muss es auch dem<br />

Investor überlassen bleiben, ob er und wie er<br />

sein Vorhaben gestaltet. Insofern ist die öffentliche<br />

Hand für die Rahmenbedingungen verantwortlich,<br />

die Gestaltungsfreiheit, die aber auch<br />

eine Gestaltungsverantwortung einschließt, liegt<br />

bei den Privaten.<br />

Zweite moderne These: Städte sollten wie<br />

Wirtschaftsunternehmen geführt werden, dann<br />

wird alles gut.<br />

Das geht gar nicht. Städte sollen wirtschaftlich<br />

denken und nicht Geld verplempern. Aber sie<br />

können nicht wie Wirtschaftsunternehmen handeln.<br />

Die entscheidende Aufgabe der Städte ist<br />

es, den sozialen Zusammenhalt zu bewahren. Sie<br />

haben viele Aufgaben, wie zum Beispiel im<br />

Bereich der Obdachlosenfürsorge, Krisenhilfe für<br />

Drogenabhängige, Einsatz von Streetworkern für<br />

arbeitslose Jugendliche, Konsensbündnisse für<br />

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Unqualifizierter,<br />

Betreuungsangebote für allein erziehende<br />

Mütter, Netzwerke zur Versorgung Alter und chronisch<br />

Kranker. Wie will man das finanziell bewerten,<br />

geschweige denn in Gewinn- und Verlustrechnungen<br />

bringen? Städte sind eben kein<br />

„Geschäft“. Sie werden nie unter Rentabilitätsgesichtspunkten<br />

als erfolgreich oder weniger<br />

erfolgreich zu beurteilen sein, denn sie sind Orte<br />

des nur bedingt planbaren Lebens, Sammelbecken<br />

von Starken wie Schwachen, Edlen wie<br />

Strolchen. Jenseits aller wirtschaftlichen Abwägungsprozesse<br />

sind und bleiben sie Orte sozialen<br />

Lebens.<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

Gibt es aus Ihrer Sicht Chancen, jenseits der<br />

groß angelegten Privatisierung von Daseinsvorsorge<br />

die städtischen Haushalte zu sanieren?<br />

Städte sind am nächsten an den Bürgern dran.<br />

Deshalb muss – Stichwort Finanzausgleich – die<br />

Finanzausstattung durch Bund und Länder<br />

anders und besser organisiert werden. Und man<br />

muss auch über andere Wege nachdenken. Vielleicht<br />

müssen Umlagen anders finanziert werden.<br />

Direkte kommunale Steuern sind auf den<br />

ersten Blick ein interessantes Instrument, weil<br />

dann die Leute viel unmittelbarer sähen, was mit<br />

ihrem Geld passiert. Nachteil ist, dass dann die<br />

Ungleichheit zwischen den Städten wahrscheinlich<br />

zunehmen würde. Ein Königsweg wurde da<br />

noch nicht entdeckt.<br />

Bleiben die Städte spätestens im<br />

Brüsseler EU-Gerangel auf der Strecke?<br />

Da sehe ich nicht so viel Ungemach. Aus Brüssel<br />

kommt eine ganze Reihe guter Initiativen. Zum<br />

Beispiel haben die Urban-Projekte und das daraus<br />

entstandene Urban-Netzwerk viel zur Stadtbzw.<br />

Quartiersentwicklung in Deutschland beigetragen.<br />

Stichpunkt Wohnungsbau und -bewirtschaftung.<br />

Welche Rolle fällt da in Zukunft den<br />

Städten zu?<br />

In erster Linie geht es um eine partnerschaftliche<br />

Aufgabe. Städte und Wohnungswirtschaft<br />

müssen stärker aufeinander zugehen. Das war<br />

über Jahrzehnte eine verlässliche Ehe, erst als<br />

sich beide in den 70er- und 80er-Jahren konsolidiert<br />

hatten, driftete da einiges auseinander.<br />

Aber nun ist wieder eine viel engere Zusammenarbeit<br />

gefragt – schon allein angesichts der<br />

Schrumpfungsprozesse. Hier sind beide Seiten<br />

mehr denn je aufeinander angewiesen.<br />

9


Internationale Investmentfirmen sind auf großer Einkaufstour.<br />

Bereits 800.000 vormals kommunale, landeseigene oder ehemalige<br />

Firmen-Wohnungen sind von den meist angloamerikanischen Unternehmen<br />

gekauft worden – bis zu drei Millionen Wohnungen sollen<br />

es noch werden. Soweit die Fakten. Ob es richtig ist, dass deutsche<br />

Kommunen eigene Wohnimmobilien in großem Stil verkaufen, darüber<br />

wird spätestens seit dem Komplettverkauf der Dresdner Woba<br />

vehement diskutiert. Eine Bestandsaufnahme.<br />

WOHNEN IM<br />

RENDITEOBJEKT<br />

Von Roland Kirbach, stellvertretender<br />

Ressortleiter, Redaktion Dossier, DIE ZEIT<br />

Noch sieht man den Häusern von außen<br />

nichts an – weder den schmucken<br />

Sechsfamilienhäusern im Bauhausstil<br />

in Berlin-Zehlendorf noch dem 16-stöckigen<br />

Wohnsilo in Kiels Robert-Koch-Straße<br />

noch dem Ensemble von acht Wohnblöcken im<br />

Münchner Vorort Laim. Sie sehen intakt aus wie<br />

ehedem, und doch ist nichts mehr, wie es war.<br />

Die verschiedenen Quartiere gehörten über Jahrzehnte<br />

gemeinnützigen oder kommunalen Wohnungsgesellschaften.<br />

Vorwiegend Rentner, einfache<br />

Arbeiter und kleine Angestellte bewohnen<br />

sie. Bisher lebten sie hier sicher und gemütlich,<br />

die Mieten waren günstig und die Vermieter<br />

meist kulant. Nun wurden die Wohnungen an<br />

vorwiegend angloamerikanische Finanzinvestoren<br />

verkauft. So sind die Berliner Wohnungen im<br />

Bauhausstil – als Sozialwohnungen 1924 von der<br />

gemeinnützigen Gehag errichtet – nun Eigentum<br />

der Investmentgesellschaft Oaktree Capital<br />

Management in Los Angeles.<br />

Andere gingen in den Besitz von Gesellschaften<br />

über, die Fortress, Apellas, Blackstone oder Cerberus<br />

heißen. Fast immer werden ganze Gesellschaften<br />

verkauft, sie behalten ihre traditionsreichen<br />

Namen bei, so dass die Mieter zunächst<br />

oft nichts vom Verkauf ihrer Wohnungen erfahren.<br />

Sie wundern sich allenfalls über einen<br />

neuen rüden Ton, der mit einem Mal Einzug hält,<br />

oder über plötzliche Mieterhöhungen. Mit der<br />

Gemütlichkeit ist es jedenfalls vorbei.<br />

„Wir haben die qualitativ besten<br />

Mietwohnungen der Welt“<br />

Privates Beteiligungskapital (Private Equity) von<br />

einer Billion Dollar haben die Fondsgesellschaften<br />

nach Expertenschätzungen bei Pensionskassen,<br />

Versicherungen und vermögenden Privatleuten<br />

eingesammelt; nun suchen sie weltweit<br />

nach Möglichkeiten, das Geld zu mehren –<br />

und werden bei deutschen Wohnungsgesellschaften<br />

fündig. Sehr zum Leidwesen etwa des<br />

Deutschen Mieterbunds (DMB), der beklagt,<br />

dass sich die Jagd nach schnellen, hohen Rendi-<br />

ten nicht mit der auf Langfristigkeit angelegten<br />

Investition in Wohnen vertrage. Vom Prinzip der<br />

„Bestandsbewirtschaftung“, das heißt, dass<br />

Gewinne vorwiegend in den Erhalt der Gebäude<br />

reinvestiert werden, wollten die neuen Vermieter<br />

in der Regel nichts wissen, sagt Ulrich<br />

Ropertz vom DMB. Doch bis sich die Vernachlässigungen<br />

auswirkten, wenn etwa Balkone<br />

wegen Baufälligkeit gesperrt werden müssen,<br />

seien die Investoren längst weitergezogen, so<br />

Ropertz. Auf fünf bis sieben Jahre ist das Investment<br />

höchstens angelegt – dann verkaufen die<br />

Fonds die Wohnungen meist wieder, weil die<br />

Anleger ihre Gewinne kassieren wollen.<br />

„Wir haben den qualitativ besten Mietwohnungsbestand<br />

der Welt“, erklärt Lutz Freitag,<br />

Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs-<br />

und Immobilienunternehmen, den Run<br />

auf deutsche Wohnungsgesellschaften. „Die frühere<br />

Wohnungsgemeinnützigkeit und der erfolgreiche<br />

soziale Wohnungsbau der Nachkriegszeit<br />

haben Schätze geschaffen, die jetzt gehoben<br />

werden.“<br />

Die gegenwärtig niedrigen Zinsen machen die<br />

Geschäfte zusätzlich lukrativ. Einen Großteil<br />

ihrer Milliarden-Deals finanzieren die Investoren<br />

billig auf Pump. Oft stammen nur zehn Prozent<br />

des Kaufpreises aus ihren eigenen Schatullen,<br />

den Rest besorgen sie sich bei Banken – zu Zinssätzen<br />

von nur vier Prozent. Da genügen bereits<br />

marktübliche Mieten, um über die Zeit der Investition<br />

eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent<br />

pro Jahr zu erzielen.<br />

Um das Ziel zu erreichen, wird der Verkauf möglichst<br />

vieler Wohnungen an die Mieter forciert –<br />

mit hohem Gewinn. Die Mieter zahlen bis zum<br />

Doppelten dessen pro Quadratmeter, was die<br />

Investoren beim Erwerb eines ganzen Wohnungspakets<br />

entrichten mussten. Ferner werden<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006 <strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

10 11


die Mieten bis zur Grenze des Zulässigen erhöht;<br />

es wird Personal entlassen, und es wird die<br />

geballte Einkaufsmacht eines Großunternehmens<br />

genutzt, etwa bei Renovierungen. Lieferanten<br />

werden, was die Preise angeht, unter<br />

Druck gesetzt.<br />

Dresden verkaufte seinen kompletten<br />

kommunalen Wohnungsbestand<br />

Rund 800.000 Mietwohnungen haben die internationalen<br />

Fonds in den vergangenen fünf Jahren<br />

in Deutschland bereits zusammengekauft.<br />

Dabei soll es nicht bleiben. Auf die 3,3 Millionen<br />

Wohnungen, die Kommunen und Länder derzeit<br />

noch halten, haben sie es abgesehen. Und so<br />

manche Stadt kann der Versuchung nicht widerstehen,<br />

auf diese Weise ihre desolate Haushaltslage<br />

zu verbessern, und trennt sich von<br />

ihren Wohnungsbeständen. Den größten<br />

Brocken hat bislang das hochverschuldete Berlin<br />

mit 66.000 Wohnungen verkauft. Allerdings<br />

sind dort noch immer 300.000 Wohnungen im<br />

Besitz des Landes.<br />

Bundesweites Aufsehen erregte jüngst der Verkauf<br />

der Dresdner Wohnungsbaugesellschaft<br />

Woba mit 48.000 Wohnungen, 1.300 Gewerbeeinheiten<br />

und 492 Mitarbeitern an den amerikanischen<br />

Investor Fortress. Es ist das erste Mal in<br />

Deutschland, dass eine Großstadt ihren kompletten<br />

Wohnungsbestand verkaufte, immerhin<br />

17 Prozent des städtischen Wohnungsmarkts.<br />

Fortress zahlte dafür 1,7 Milliarden Euro. Zieht<br />

man die aufgelaufenen Woba-Schulden von gut<br />

700 Millionen Euro ab, bleibt der Stadt ein<br />

Gewinn von 982 Millionen Euro. Das sind 240<br />

Millionen mehr, als sie braucht, um ihre gesamten<br />

Schulden zu tilgen. „Wir gewinnen die<br />

SOZIALES ENGAGEMENT<br />

12<br />

Hoheit über unseren Haushalt zurück“, sagte<br />

Dresdens Oberbürgermeister Ingolf Roßberg<br />

(FDP). Künftig entfallen 70 Millionen Euro an<br />

Schuldentilgung pro Jahr, die nun stattdessen<br />

für Soziales, Kulturelles oder für Infrastrukturmaßnahmen<br />

ausgegeben werden können.<br />

Die Verschuldung der Kommunen hat<br />

strukturelle Ursachen<br />

Dresden hat einen guten Zeitpunkt für den Verkauf<br />

erwischt. Der Markt läuft bereits heiß, die<br />

Investoren treiben in Bietergefechten die Preise<br />

hoch. Immer öfter bedienen sich die Finanzgesellschaften<br />

daher der Vermittlerdienste ausgeschiedener<br />

Politiker. So ist Sozialdemokrat Florian<br />

Gerster, ehemals Chef der Bundesagentur<br />

für Arbeit, in die Dienste von Fortress getreten,<br />

der Fondsgesellschaft, die in Dresden das Rennen<br />

machte. Für den Berliner Investor Apellas,<br />

hinter dem unter anderem der amerikanische<br />

Spekulant George Soros steht, verwendet sich<br />

der ehemalige Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />

Friedrich Merz.<br />

Dass sich die Kommunen nun von ihren Schätzen<br />

trennen, beurteilt Professor Hartmut Häußermann,<br />

Stadt- und Regionalsoziologe an der<br />

Berliner Humboldt-Universität, eher kritisch.<br />

Schließlich habe die Verschuldung der Kommunen<br />

strukturelle Ursachen: „Sie liegen in den zu<br />

geringen Einnahmen aus den Steuern, die ihnen<br />

Bund und Länder zuteilen und die zur Finanzierung<br />

ihrer gesetzlichen Verpflichtungen nicht<br />

ausreichen“, so Häußermann. Der einmalige<br />

Erlös aus Wohnungsverkäufen bringe daher<br />

„lediglich in einem Haushaltsjahr eine Entlastung,<br />

langfristig bewirkt das nur wenig“.<br />

Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude,<br />

> RAT BEI ZAHLUNGSPROBLEMEN<br />

Besonders einkommensschwache Haushalte neigen bei Geldknappheit<br />

zur teilweisen oder vollständigen Einstellung der<br />

Mietzahlungen. Dieses Verhalten kann am Ende zu Obdachlosigkeit<br />

führen. Dem versucht die <strong>LWB</strong> bereits frühzeitig zu<br />

begegnen. Dazu gehören die vorbeugende Aufklärung in der<br />

Mieterzeitung wie auch das persönliche Gespräch beim<br />

Bekanntwerden von Mietschulden. In Kooperation mit städtischen<br />

Ämtern und freien Trägern wird versucht, die selbstständige<br />

Lebensführung und die Zahlungsfähigkeit der Betroffenen<br />

wiederherzustellen und Zwangsräumungen zu vermeiden. So<br />

gelingt es sehr oft, drohende Obdachlosigkeit abzuwenden.<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

zugleich Präsident des Deutschen Städtetags,<br />

warnt allerdings davor, die Falschen an den Pranger<br />

zu stellen: „Der eigentliche Skandal ist nicht<br />

die Verzweiflungstat einzelner Kommunen, sondern<br />

die mangelnde Finanzausstattung der Kommunen,<br />

die solche Notverkäufe erzwingt.“<br />

Obwohl München mit 2.500 Euro pro Einwohner<br />

wesentlich höher verschuldet ist als Dresden mit<br />

1.500 Euro pro Kopf, lehnt es Sozialdemokrat<br />

Ude jedoch ab, die beiden städtischen Wohnungsgesellschaften<br />

mit 50.000 Wohnungen zu<br />

verkaufen. Ebenso das CDU-regierte Hamburg,<br />

der Stadtstaat ist sogar mit 11.365 Euro je Einwohner<br />

verschuldet. Stadtentwicklungssenator<br />

Michael Freytag wiederholte erst jüngst, die zwei<br />

kommunalen Wohnungsgesellschaften würden<br />

auf keinen Fall veräußert. Die Hansestadt wolle<br />

„die langfristige Steuerungsfähigkeit der Wohnungspolitik”<br />

in der Hand behalten.<br />

Die „soziale Entmischung“ in<br />

Deutschland nimmt zu<br />

Vielen Stadtkämmerern wäre es die liebste<br />

Lösung, einen Teil der eigenen Wohnungsbestände<br />

zu verkaufen, um etwas Liquidität zurückzugewinnen,<br />

ohne gleich die kommunale Wohnungsgesellschaft<br />

im Ganzen loszuschlagen und<br />

damit sämtlichen Einfluss auf die lokale Wohnungspolitik<br />

zu verlieren. Doch da machen die<br />

Investoren nicht mit. Dem Bundesverband deut-<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

scher Wohnungs- und Immobilienunternehmen<br />

sind keine solchen Teilverkäufe bekannt. Als<br />

Minderheitsgesellschafter einer kommunalen<br />

Wohnungsgesellschaft Rücksicht auf örtliche<br />

soziale Belange zu nehmen, läuft den Renditezielen<br />

der Fonds zuwider. „Ein Unternehmen<br />

macht keine Sozialarbeit, das ist auch gar nicht<br />

seine Aufgabe“, sagt Ulrich Weber offen, der<br />

Geschäftsführer des Investors Apellas.<br />

Mit der Privatisierung kommunaler Wohnungsgesellschaften<br />

wird ein Jahrhundertwerk aufgegeben.<br />

Der öffentlich geförderte Wohnungsbau<br />

ist eine Errungenschaft der Weimarer Republik –<br />

13


14<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

„Der eigentliche Skandal<br />

ist nicht die Verzweiflungstat<br />

einzelner Kommunen,<br />

sondern die mangelnde<br />

Finanzausstattung der<br />

Kommunen, die solche<br />

Notverkäufe erzwingt.“<br />

Christian Ude, Oberbürgermeister von München<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

15


eingeführt mit der politischen Absicht, „die<br />

extreme soziale Segregation, die durch den<br />

freien Wohnungsmarkt in den Städten entstanden<br />

war, abzubauen, also die proletarischen<br />

Wohnviertel zu beseitigen“, sagt Regionalsoziologe<br />

Häußermann. „Arme Leute sollten nicht<br />

auch schlecht wohnen.“<br />

Inzwischen nehme die „soziale Entmischung“ in<br />

Deutschland wieder zu, hat Rolf-Peter Löhr, stellvertretender<br />

Leiter des Deutschen Instituts für<br />

Urbanistik in Berlin, beobachtet: Wer es sich<br />

leisten kann, zieht aus Problemstadtteilen weg.<br />

Zurück bleiben Arme, Alte, Arbeitslose. Und es<br />

ziehen Menschen nach, die sich ihre bisherige<br />

Wohnung in einer besseren Gegend nicht mehr<br />

leisten können.<br />

Stadtentwicklung wird mit privaten<br />

Investoren schwieriger<br />

Ein jahrzehntelang gültiger Konsens werde jetzt<br />

aufgekündigt, beklagt der Präsident des Mieterschutzbundes,<br />

Franz-Georg Rips: der Konsens,<br />

dass „eine Wohnung nicht nur Wirtschaftsgut,<br />

sondern auch Sozialgut ist“. Die alten Eigentümer,<br />

egal, ob öffentliche oder private, hätten<br />

sich stets ihrer sozialen Verantwortung gestellt.<br />

„Vor allem Käufer aus den USA sehen das<br />

anders“, sagt Rips. Daran änderten auch jene<br />

Sozialchartas wenig, die beim Verkauf großer<br />

Wohnungspakete meist mit vereinbart werden<br />

und mit denen die neuen Eigentümer ihr soziales<br />

Engagement betonen möchten. Nur in einem<br />

einzigen Fall, beim Verkauf der 80.000 Wohnungen<br />

der Wohnungsgesellschaft Gagfah der<br />

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte an<br />

Fortress, sagt Rips, gingen die Vereinbarungen<br />

über das bestehende Mietrecht hinaus, etwa mit<br />

einem zehnjährigen Kündigungsschutz für alle<br />

Mieter.<br />

Zum sozialen Problem kommt das der Stadtentwicklung.<br />

Stadtplaner fürchten einen sinkenden<br />

Einfluss der Kommune auf die Entwicklung der<br />

Stadt, insbesondere wenn – wie vor allem in Ostdeutschland<br />

– wegen sinkender Einwohnerzahlen<br />

Wohnblocks abgerissen werden müssen. Der<br />

geordnete Rückbau ist bisher auch deswegen<br />

möglich gewesen, weil die Städte Einfluss auf<br />

ihre Wohnungsgesellschaften nehmen konnten.<br />

Wie aber wollen sie private Investoren dazu<br />

bewegen, Leerstände abzureißen?<br />

16<br />

In Dresden gehören Fortress zudem nun mehrere<br />

zentrumsnahe Brachflächen. Auf sie habe die<br />

Stadt ebenfalls keinen Zugriff mehr, bemängeln<br />

Kritiker des Verkaufs. Allerdings hat sich Dresden<br />

vertraglich so genannte Belegungsrechte für<br />

8.000 Wohnungen beim neuen Eigentümer gesichert,<br />

Wohnungen für Bedürftige, die auf dem<br />

freien Wohnungsmarkt scheitern und für deren<br />

Unterbringung dann die Kommunen zu sorgen<br />

haben.<br />

Diese Klientel wird noch wachsen, und dann<br />

werden die Kommunen froh sein, über eigene<br />

Gesellschaften zu verfügen, die diese armen<br />

Leute mit Wohnraum versorgen. Und mit der sie<br />

den Stadtumbau aufgrund demographischer<br />

Verwerfungen planen können. So argumentiert<br />

der Bundesverband deutscher Wohnungs- und<br />

Immobilienunternehmen und hat dafür den<br />

Begriff der „Stadtrendite“ kreiert. Sie schlage<br />

sich nicht unbedingt in klingender Münze nieder<br />

wie die betriebswirtschaftliche Rendite, ihr Fehlen<br />

könne eine Kommune jedoch teuer zu stehen<br />

kommen.<br />

> UNTERSTÜTZUNG JUGENDLICHER<br />

Für sozial benachteiligte Jugendliche hat die <strong>LWB</strong><br />

verschiedene Unterstützungsangebote initiiert und<br />

mit Partnern aufgelegt. So bekommen ehemals<br />

obdachlose Jugendliche sowie junge Leute aus zerrütteten<br />

Elternhäusern im Projekt „Krähenhütte“ die<br />

Chance, unsanierte Wohnungen auszubauen und zu<br />

niedrigen Mieten zu bewohnen. Einige der Erstbewohner<br />

wohnen später zufrieden und problemlos in<br />

eigenen Wohnungen außerhalb des Sozialprojekts.<br />

Zudem besteht seit einigen Jahren zwischen der <strong>LWB</strong><br />

und einem Beschäftigungsprojekt für gestrandete<br />

Jugendliche von der Diakonie Leipzig eine Vereinbarung,<br />

in deren Ergebnis sinnstiftende Arbeiten bei<br />

der <strong>LWB</strong> wie Reinigungs- und Grünpflegearbeiten in<br />

Verbindung mit einem geringfügigen Taschengeld<br />

realisiert werden.<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

SOZIALES ENGAGEMENT<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

17


WELTWEITER TREND: PRIVATISIERUNG<br />

KONTRA PREIS<strong>WERT</strong>EM WOHNUNGSBAU<br />

Seit dem Jahr 2001 wurden in Deutschland<br />

rund 800.000 kommunale Mietwohnungen<br />

allein an angloamerikanische<br />

Investment Groups verkauft. Die Privatisierung<br />

von kommunalen Wohnungsbeständen ist<br />

jedoch kein deutsches Phänomen, sondern ein<br />

Trend, der weltweit zu beobachten ist.<br />

Während in Deutschland die kommunalen Wohnungsunternehmen<br />

grundsätzlich gewinnorientiert<br />

wirtschaften, ist insbesondere in osteuropäischen<br />

Ländern kommunaler Wohnraum<br />

häufig ein Verlustgeschäft für Städte, da die<br />

Mieteinnahmen den Instandhaltungs- und Verwaltungsaufwand<br />

nicht decken. Mit einem Verkauf<br />

können die Kommunen deshalb zwei Fliegen<br />

mit einer Klappe schlagen: Sie entledigen<br />

sich eines großen Schuldenverursachers und<br />

bessern mit dem Erlös die gebeutelte Stadtkasse<br />

auf. Die Privatisierung von kommunalen<br />

Wohnungen wird inzwischen weltweit als Mittel<br />

18<br />

Privatisierung staatlichen oder kommunalen<br />

Wohnraums ist keine deutsche Besonderheit. Weltweit<br />

werden Wohnungen privatisiert, weltweit<br />

wachsen aber auch die Probleme, sozial Benachteiligte<br />

mit preiswertem Wohnraum zu versorgen.<br />

Dazu ein Überblick auf den nächsten Seiten.<br />

zur Schuldeneindämmung gesehen und in manchen<br />

Fällen sogar staatlich verordnet.<br />

USA: Mehr Privatisierung,<br />

weniger Sozialwohnungsbau<br />

Beispiel Dänemark: Im Jahr 1997 legte die dänische<br />

Regierung der Stadt Kopenhagen nahe,<br />

20.000 kommunale Wohnungen zu verkaufen,<br />

um die Schieflage der Stadtkasse auszugleichen.<br />

Ähnliches Szenario in Fernost. 2001 hat die<br />

japanische Regierung damit begonnen, 750.000<br />

öffentliche Mietwohnungen zu privatisieren. In<br />

den USA wurden seit 1996 mehr als 300.000<br />

öffentliche, vom Staat subventionierte Wohnungen<br />

in hochpreisige Mietwohnungen umgewandelt.<br />

Problematisch dabei ist, dass es keine<br />

Sozialwohnungsbau-Programme gibt, die die<br />

Verknappung von erschwinglichen Wohnungen<br />

ausgleichen.<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

Pulsierendes, urbanes Leben – Städte wollen attraktiver werden.<br />

Nicht selten wird diese Entwicklung zu einer Gefahr für die weniger<br />

Wohlhabenden, weil sie ihren preiswerten Wohnraum verlieren.<br />

19


Privatisierungswelle in Osteuropa<br />

In Ungarn, Bulgarien, Rumänien, der Slowakei<br />

sowie den baltischen Republiken ist die Privatisierung<br />

von kommunalen Wohnungsbeständen<br />

seit den frühen 90er-Jahren rapide vorangeschritten.<br />

In Lettlands Hauptstadt Riga waren<br />

1999 rund 44 Prozent des öffentlichen Wohnungsbestands<br />

privatisiert. Experten rechnen<br />

aktuell mit einer Privatisierungsrate von über 80<br />

Prozent. Zu Beginn der Privatisierungsphase<br />

1991 lag der Anteil von privatem Wohneigentum<br />

in Riga lediglich bei 5,8 Prozent. Gleiches Tempo<br />

legte die Russische Föderation vor. Hier waren<br />

1995 bereits 35,9 Prozent aller kommunalen<br />

Wohnungen privatisiert. Besonders begehrt ist<br />

Wohnraum in Großstädten wie Moskau oder<br />

St. Petersburg.<br />

Politik bestimmt Anteil öffentlichen<br />

Wohnraums<br />

In tschechischen Städten ist die Privatisierungsquote<br />

völlig gegensätzlich. In Usti nad Labem<br />

waren 2003 mehr als 80 Prozent des kommunalen<br />

Wohnungsbestands privatisiert, während in<br />

Prag zirka die Hälfte aller städtischen Wohnungen<br />

in Privathand wechselten. In Brno wurden<br />

bis 2003 hingegen nur 19 Prozent der öffentlichen<br />

Wohnungen privatisiert. Das Beispiel der<br />

Tschechischen Republik ist exemplarisch für die<br />

Situation der kommunalen Wohnungsbestände<br />

weltweit: Die Anteile öffentlichen Wohnraums<br />

hängen stark von der jeweiligen Kommunal- bzw.<br />

Landespolitik ab. Außerdem beeinflussen Faktoren<br />

wie Sozialstruktur, Verschuldung einer Stadt,<br />

Management von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften<br />

und Gesetzgebung die Entwicklung<br />

des öffentlichen Wohnungsmarkts.<br />

20<br />

Internationale Mieterallianz warnt<br />

vor sozialen Folgen<br />

Die Internationale Mieterallianz (IUT) warnt vor<br />

der weiteren Privatisierung von kommunalen<br />

und staatlichen sowie von Sozialwohnungen.<br />

Denn in den meisten Fällen zögen die Verkäufe<br />

Mietsteigerungen nach sich und verknappten so<br />

den Markt für erschwingliche Wohnungen. Vor<br />

allem sozial Schwache und Geringverdiener würden<br />

unter dieser Entwicklung leiden. Je größer<br />

der Anteil von kommunalen Wohnungen am<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

Gesamtwohnungsbestand einer Gemeinde ist,<br />

umso höher ist seine dämpfende Wirkung auf<br />

das Mietniveau. Kritiker bezweifeln zudem die<br />

Nachhaltigkeit von Wohnungsverkäufen. Durch<br />

effektiveres Management und geänderte Satzungen<br />

könnten auch defizitäre kommunale Wohnungsunternehmen<br />

schwarze Zahlen schreiben.<br />

Gelegentlich greifen Staaten auch im Interesse<br />

der sozial Schwächeren ein: Um vor sozialen<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

> TAGESMÜTTER-PROJEKT<br />

Die <strong>LWB</strong> kümmert sich auch um junge Familien und<br />

ihre ganz eigenen Probleme. So bekommen Tagesmütter,<br />

die Kinder in einer <strong>LWB</strong>-Wohnung betreuen,<br />

für ein Jahr eine Mietvergünstigung als Starthilfe.<br />

Zudem verfügt die <strong>LWB</strong> über ein eigenes Vermietungsprogramm<br />

für Eltern mit dem Motto „Alles frei,<br />

Baby". Die <strong>LWB</strong> trägt in bestimmten Wohnungen im<br />

ersten Mietjahr sämtliche Kosten für das Kinderzimmer<br />

(Miete, Strom, Heizung und Wasser) und unterstützt<br />

auf diese Weise junge Familien. Alternativ<br />

können sich junge Eltern aber auch für ein „Pampers-Abo"<br />

entscheiden: Der Nachwuchs bekommt<br />

dann zwei Jahre lang zwei Windelpackungen im<br />

Monat.<br />

Notständen zu schützen und gleichzeitig den<br />

Ausverkauf kommunaler Wohnungen auszuschließen,<br />

hat die französische Regierung im<br />

Jahr 2000 mit dem so genannten „Gayssot-<br />

Gesetz“ größere Städte dazu verpflichtet, mindestens<br />

20 Prozent ihres Wohnungsbestandes<br />

als Sozialwohnungen vorzuhalten und bereitzustellen.<br />

21<br />

SOZIALES ENGAGEMENT


Auch nach dem Wegfall der Eigenheimzulage locken<br />

Kreditinstitute und Bausparkassen mit den unschlagbar<br />

niedrigen Bauzinsen und der größer werdenden Versorgungslücke<br />

im Alter. Fast scheint es, als ob sich eine<br />

breite Masse der Bevölkerung Wohneigentum so ohne<br />

weiteres anschaffen kann. Allerdings sprechen die Fakten<br />

– besonders im Osten der Republik – eine andere<br />

Sprache. Die Bildung von Wohneigentum bleibt eine<br />

wünschenswerte, aber für die Mehrheit der Menschen<br />

unerreichbare Alternative.<br />

22<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

DIE EIGENEN VIER WÄNDE –<br />

(K)EIN TRAUM FÜR JEDEN<br />

Sinkende gesetzliche Altersrente, Bauzinsen<br />

auf historischem Tiefstand, gute<br />

Erbanlage – die Argumente für einen<br />

Immobilienerwerb sind selten so treffend<br />

und richtig wie in diesen Zeiten. Und jeder,<br />

der sich auf diese Art und Weise mehr Sicherheit<br />

für das Alter schaffen kann, ist gut beraten, dies<br />

auch ernsthaft zu überdenken. Aber kann sich<br />

jeder eine Wohnung, eine Haushälfte oder ein<br />

Einfamilienhaus leisten? Natürlich nicht. Insofern<br />

muss dem größeren Teil der Bevölkerung –<br />

gerade in den ostdeutschen Ländern – auch<br />

weiterhin ein ausreichendes und qualitativ gutes<br />

Angebot an mietbarem Wohnraum zur Verfügung<br />

gestellt werden.<br />

Dies betrifft nicht nur Menschen, die von Hartz-<br />

IV leben müssen, arbeitslos sind, nur einen Verdiener<br />

in der Familie haben, mit niedrigen Renten<br />

auskommen müssen oder als Studenten<br />

sowieso jeden Cent drei Mal umdrehen müssen.<br />

Auch für Arbeitnehmer mit einem relativ niedrigen<br />

Einkommen bleiben die eigenen vier Wände<br />

ein unerfüllbarer Traum. Gerade die 50-bis 65-<br />

Jährigen sind zudem überdurchschnittlich mit<br />

Einkommensproblemen konfrontiert, da sie viel<br />

schwerer Arbeit finden und in der Regel kein<br />

Kapital aufbauen konnten, mit dem sie sich eine<br />

Wohnung leisten könnten. Bei einer konstant<br />

hohen Arbeitslosenquote von rund 20 Prozent,<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

zirka 80.000 Hartz-IV-Betroffenen und einem insgesamt<br />

noch immer relativ schwachen und problematischen<br />

regionalen Arbeitsmarkt ist nicht<br />

absehbar, dass sich die soziale Situation für diesen<br />

großen Bevölkerungskreis schlagartig bessert<br />

und hier neue Immobilien-Käuferschichten<br />

heranwachsen.<br />

Auch die Immobilienfinanzierung selbst baut vor<br />

vielen Menschen eine zu hohe Hürde auf. „Die<br />

Zeiten, in denen sich Banken und Sparkassen<br />

beim Kauf einer Immobilie mit einem Bruchteil<br />

an Eigenkapital zufrieden gaben, sind vorbei“,<br />

erklärt Tino Grund, Leiter Fürst Fugger Vermögensmanagement<br />

Leipzig. „Abgesehen von<br />

hohen Einkommen und vielleicht Beamtenbezügen<br />

sind 20 Prozent Eigenkapital und mehr<br />

heute eine Voraussetzung für einen Immobilienkauf.“<br />

Schwerer wird es in den nächsten Jahren<br />

auch für Selbstständige<br />

und Freiberufler,<br />

da sich die Ausgangsbedingungen<br />

für Kreditgeschäfte<br />

mit „Basel II“ für<br />

diese Gruppen verschlechtern<br />

werden.<br />

Tino Grund, Leiter<br />

Fürst Fugger Vermögensmanagement<br />

Leipzig<br />

23


24<br />

Für eine Eigentumswohnung mit einer Größe von<br />

80 Quadratmetern müssen in Leipzig in mittlerer<br />

Lage mindestens 80.000 Euro bezahlt werden.<br />

Hinzu kommen noch Nebenkosten wie Notargebühren,<br />

Grunderwerbssteuer, gegebenenfalls Kaution<br />

und ähnliches. Von insgesamt rund 90.000<br />

Euro müssen also 18.000 Euro per Bausparvertrag<br />

oder bar als Eigenkapital aufgebracht werden.<br />

Abgesehen von der niedrigeren Kaufkraft im Osten<br />

(die Kaufkraft-Kennziffer in Leipzig liegt bei 84,4<br />

Prozent des Bundesdurchschnitts) sind die ersparten<br />

Rücklagen im Osten bei weitem nicht so hoch<br />

wie in den alten Ländern. Zudem ist es durch den<br />

Wegfall der Eigenheimzulage nicht einfacher<br />

geworden, eine Immobilie zu finanzieren.<br />

„Darlehenszahlungen und Tilgung sollten 30 Prozent<br />

des verfügbaren Einkommens nicht übersteigen“,<br />

warnt Finanzfachmann Grund jeden Interessenten,<br />

der sich Wohneigentum anschaffen will.<br />

30 Prozent des Einkommens – das gilt übrigens<br />

auch für die Miete samt Nebenkosten. Bei letzterem<br />

kann man freilich durch Umzug den finanziellen<br />

Druck mindern. Wohneigentümer haben es in<br />

der Regel wesentlich schwerer, Lösungen mit ihrer<br />

finanzierenden Bank zu finden.<br />

Es gibt weitere, erschwerende Faktoren für den<br />

bedenkenlosen Eigentumserwerb. Leipzig kämpft<br />

auf absehbare Zeit mit hohen Leerständen – wer<br />

sich eine Eigentumswohnung anschafft, muss<br />

damit rechnen, dass er sie nur sehr schwer wieder<br />

los wird, wenn er zum Beispiel wegen eines<br />

Arbeitsplatzwechsels in eine andere Stadt umziehen<br />

muss. Dies gilt besonders für junge Leute und<br />

Familien, deren Erwerbsbiographie in Zukunft<br />

mehr Mobilität denn je verlangen wird. Was wird<br />

aber dann mit der Eigentumswohnung? Auch der<br />

Erwerb beispielsweise einer Plattenbauwohnung<br />

durch Senioren will genau durchdacht sein. Wer<br />

einmal kauft und sich dann vielleicht nach dem<br />

Verlust des Partners gern eine kleinere Wohnung<br />

nehmen möchte, hat Probleme, die eigenen vier<br />

Wände weiter zu verkaufen.<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

25


Die erste Blüte des kommunalen<br />

Wohnungsbaus führte in Leipzig zu<br />

einem enormen Zuwachs an Wohnungen<br />

für Arbeiter- und Angestelltenfamilien,<br />

endete aber jäh unter den finanziellen<br />

Zwängen der Weltwirtschaftskrise.<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

KOMMUNALER<br />

WOHNUNGSBAU<br />

IN LEIPZIG<br />

MIT TRADITION<br />

Von Dr. Thomas Nabert,<br />

Pro Leipzig e. V.<br />

Seit es in der Geschichte Städte gibt,<br />

seitdem gibt es in ihnen auch soziale<br />

Sicherungssysteme für Arme, Kranke,<br />

Alte oder Heranwachsende. Sie sind<br />

feste Bestandteile städtischer Kultur und haben<br />

sich bis heute u. a. in Form städtischer Krankenhäuser,<br />

Schulen, Bäder, Versorgungsanstalten<br />

oder Wohnungen gehalten. Der in den 20er-<br />

Jahren einsetzende kommunale Wohnungsbau<br />

hatte dabei über Jahrzehnte nicht nur eine soziale<br />

Funktion, sondern auch eine städtebauliche.<br />

Bis zu Beginn der 20er-Jahre gab es dafür<br />

jedoch keinen Bedarf. Leipzig galt um 1880 als<br />

eine Stadt der Mieter und des großbürgerlichen<br />

Wohnens. Der Wohnungsbau lag in festen Händen<br />

privater Unternehmen wie der 1872 gegründeten<br />

Leipziger Immobiliengesellschaft oder der<br />

von Karl Heine 1888 gegründeten Westend-Baugesellschaft.<br />

Nur jede fünfte gebaute Wohnung<br />

war vor 1914 eine Kleinwohnung.<br />

In Städten wie Berlin, Breslau oder Magdeburg<br />

lag der Anteil dieser Wohnungen zur gleichen<br />

Zeit bei etwa 80 Prozent. Dem zunehmenden<br />

Bedarf an günstigem Wohnraum versuchten<br />

zunächst einzelne wohlhabende Bürger der<br />

Stadt, allen voran der Verleger Herrmann Julius<br />

Meyer, zu beheben. Reichsgesetze schufen 1889<br />

außerdem die Grundlage für einen Aufschwung<br />

der Baugenossenschaften.<br />

26 27


28<br />

Die Nibelungensiedlung im<br />

Leipziger Süden – erbaut<br />

1929 bis 1931 – war die<br />

größte städtische Wohnanlage<br />

dieser Zeit.<br />

Erste kommunale Wohnungen in den<br />

Zwanzigerjahren<br />

Im Ersten Weltkrieg kam der Wohnungsbau dann<br />

zum Erliegen. 1919 fehlten schon 13.000 Wohnungen,<br />

zehn Jahre darauf mehr als das Doppelte.<br />

Privates Bauen hatte bedingt durch wirtschaftliche<br />

Verunsicherung und die gesetzlich<br />

geregelte Zwangsbewirtschaftung des Wohnraums<br />

jeglichen Anreiz verloren. Das war die<br />

Geburtsstunde des kommunalen Wohnungsbaus.<br />

Begünstigend wirkten in Leipzig dabei<br />

zwei Umstände: die Stadt hatte mit James Bühring<br />

und Hubert Ritter zwei herausragende<br />

Stadtbaudirektoren und dazu reichlich kommunalen<br />

Grundbesitz. Gebaut wurden kleinere,<br />

modern ausgestattete Wohnungen in offenen,<br />

teilweise durchgrünten Anlagen wie der Rundling<br />

in Lößnig oder der Lützner Plan in Neu-Lindenau.<br />

Diese erste Blüte des kommunalen Wohnungsbaus<br />

führte in Leipzig zu einem enormen<br />

Zuwachs an Wohnungen für Arbeiter- und Angestelltenfamilien,<br />

endete aber jäh unter den finanziellen<br />

Zwängen der Weltwirtschaftskrise. Die<br />

vom Dritten Reich finanzierten „Volkswohnungen“<br />

konnten dagegen kaum Akzente auf dem<br />

Wohnungsmarkt oder im Stadtbild setzen.<br />

Schweres Erbe des Zweiten Weltkriegs<br />

Der Zweite Weltkrieg war auch für den Wohnungsbestand<br />

Leipzigs verheerend: 38.000 Wohnungen<br />

wurden völlig zerstört und weitere<br />

52.000 beschädigt. Neben den ab 1954 gebildeten<br />

Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften war<br />

die Stadt nun Träger des „volkseigenen“ Wohnungsneubaus.<br />

Bis Ende der 60er-Jahre ver-<br />

suchte die Kommune die dringende Schaffung<br />

von Wohnraum und den systematischen Wiederaufbau<br />

des zerstörten Leipzigs als Einheit zu<br />

gestalten. Im Rahmen der von der Partei- und<br />

Staatsführung der DDR verkündeten Wohnungsbauprogramme<br />

ab 1971 war dies dann kaum<br />

noch möglich. Stadt und Arbeiterwohnungsgenossenschaften<br />

wurden ohnehin zu bloßen Kontingentempfängern<br />

und Verwaltern der in staatlicher<br />

Regie gebauten Wohnungen. Ende der<br />

80er-Jahre gab es trotz Massenwohnungsbaus<br />

zirka 70.000 Wohnungssuchende in Leipzig.<br />

Rettung der Gründerzeit-Substanz<br />

Gestützt auf einen breiten politischen Konsens<br />

wurde nach 1990 das Hauptaugenmerk auf die<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

Rettung der das Stadtbild prägenden gründerzeitlichen<br />

Bausubstanz gerichtet. Bis zum Jahr<br />

2005 konnten etwa 80 Prozent des Altbaubestands<br />

saniert und damit vor dem Verfall geret-<br />

SOZIALES ENGAGEMENT<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

tet werden. Einen nicht geringen Anteil an dieser<br />

Leistung hatte das sich neu etablierende kommunale<br />

Wohnungswesen der Stadt mit ihrer Leipziger<br />

Wohnungs- und Baugesellschaft.<br />

> MEDIATION IM WOHNGEBIET<br />

Wo immer Streitereien und Diskrepanzen zwischen Mietern<br />

auftauchen, bemüht sich die <strong>LWB</strong> offensiv um Mediation<br />

und Schlichtung. Durch Hausbesuche und Gespräche werden<br />

bei Streitigkeiten um übertriebene Ordnungs- und<br />

Ruhebedürfnisse oder verschiedene menschliche Verhaltensweisen<br />

Lösungen gesucht. In schwierigen Fällen organisiert<br />

die <strong>LWB</strong> Mediationstermine zwischen den Streitparteien.<br />

Dadurch werden soziale Kompetenzen wie Kommunikation<br />

und Verantwortung der Mieter gestärkt, Gleichgültigkeit<br />

und selbst Vandalismus vorgebeugt.<br />

29


Der Poetenhof<br />

in Gohlis<br />

DIE NEUAUSRICHTUNG DER KOMMUNALEN<br />

WOHNUNGSWIRTSCHAFT NACH 1990<br />

Das Jahr 1990 markiert gewissermaßen eine<br />

Zäsur für die kommunale Wohnungswirtschaft.<br />

Mit der Wiedervereinigung und dem In-Kraft-Treten<br />

des Einigungsvertrages übernahm die Stadt<br />

Leipzig das ehemals volkseigene Wohnungsvermögen<br />

und gründete im Dezember 1990 die<br />

Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft mbH<br />

(<strong>LWB</strong>) als 100-prozentige Tochter. Im Gesellschaftervertrag<br />

wurde festgeschrieben, dass die<br />

<strong>LWB</strong> eine „sichere und sozial verantwortbare<br />

Wohnungsversorgung der breiten Schichten der<br />

Bevölkerung“ zu gewährleisten habe. Eine Aufgabe,<br />

die an die soziale Tradition des kommunalen<br />

Wohnungsbaus anknüpft.<br />

Vor allem markiert die Gründung der <strong>LWB</strong> aber<br />

einen wohnungswirtschaftlichen Neuanfang. Die<br />

staatlich gelenkte, planwirtschaftliche Wohnungspolitik<br />

der DDR hatte neben den Großwohnsiedlungen<br />

an den Stadträndern einen<br />

maroden und vernachlässigten Altbaubestand<br />

hinterlassen. In Leipzig waren 1990 von 90.000<br />

Altbauwohnungen zwei Drittel dringendst sanierungsbedürftig,<br />

25.000 Wohnungen standen<br />

leer. Die vordringlichste Aufgabe war daher in<br />

den 90er-Jahren die Rettung des Bestandes vor<br />

weiterem Verfall und die Schaffung von ausreichend<br />

Wohnraum. Für die <strong>LWB</strong> stand folglich<br />

nicht der Neubau im Vordergrund, sondern die<br />

Bestandserhaltung. Rund 1,5 Milliarden Euro<br />

investierte das kommunale Wohnungsunternehmen<br />

bis heute in Sanierungen und Moderni-<br />

30<br />

sierungen, in Zahlen sind dies rund 23.000<br />

sanierte Wohnungen, von denen mehr als zwei<br />

Drittel denkmalgeschützt sind. Ähnlich hoch ist<br />

die Investitionssumme, die mittelbar durch<br />

Grundstücks- und Immobilienverkäufe an Bauträger<br />

und Investoren generiert wurde.<br />

Heute sind gerade die liebevoll sanierten Wohnanlagen<br />

aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

in vielen Stadtteilen wieder das Aushängeschild<br />

des kommunalen Wohnungsbaus der<br />

Stadt. Darauf sollte immer dann hingewiesen<br />

werden, wenn Abbrüche im Rahmen des Stadtumbaus<br />

kritisiert werden – in kaum einer anderen<br />

ostdeutschen Großstadt ist in den letzten<br />

Jahren mehr in den Denkmalschutz investiert<br />

worden als in Leipzig.<br />

Was die kommunale Wohnungswirtschaft nach<br />

1990 zu leisten hatte, um aus den staatlichen<br />

Wohnungsverwaltungen moderne und dienstleistungsorientierte<br />

Unternehmen zu machen,<br />

ist freilich kaum dokumentiert. Neben der<br />

Bestandserhaltung ging es auch um die massenhafte<br />

Klärung vermögensrechtlicher Ansprüche<br />

von Alteigentümern, die Vereinheitlichung<br />

des Mietrechts und die Anpassung an das Vergleichsmietensystem<br />

der alten Bundesländer<br />

oder um den Aufbau funktionierender Verwaltungen.<br />

Anfang der 90er-Jahre existierte noch<br />

kein funktionierender Wohnungsmarkt. Die <strong>LWB</strong><br />

verwaltete über die Hälfte der insgesamt<br />

258.000 Leipziger Wohnungen und dominierte<br />

damit den Markt. Heute sind es etwa 53.600<br />

Wohnungen.<br />

Allein die Veränderung im Wohnungsbestand ist<br />

Ausdruck einer Neuorientierung der kommunalen<br />

Wohnungswirtschaft, und sie zeigt im<br />

Grunde zweierlei. Erstens macht sie deutlich,<br />

dass der unternehmerische Schwerpunkt – im<br />

Gegensatz zur Zeit vor 1990 – nicht mehr auf<br />

dem Wohnungsneubau lag, sondern auf der<br />

Sanierung, Modernisierung und mit dem Stadtumbau<br />

auf einer städtebaulichen Erneuerung,<br />

die der Stadt wie dem Leipziger Wohnungsmarkt<br />

insgesamt zugute kam. Priorität hatte die Erhaltung<br />

der vorhandenen Bausubstanz.<br />

Und zweitens ermöglichte erst die veränderte<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

Bestandsgröße einen stärkeren Dienstleistungscharakter.<br />

Da die <strong>LWB</strong> heute nicht mehr die flächendeckende<br />

Versorgung der Leipziger mit<br />

Wohnraum gewährleisten muss, kann sie sich<br />

stärker auf ihre eigentliche Aufgabe und mithin<br />

auf die soziale Dimension des Wohnens besinnen.<br />

Einige Beispiele sind in dieser Ausgabe von<br />

FORUM dokumentiert. Der wohnungspolitische<br />

Einfluss auf den Markt ist mit 12 Prozent Anteil<br />

jedenfalls geringer als oft angenommen.<br />

Es ist unstrittig, dass die kommunale Wohnungswirtschaft<br />

auch künftig unterschiedlichste<br />

SOZIALES ENGAGEMENT<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

Aufgaben in den Städten wahrnehmen muss.<br />

Der noch immer hohe Leerstand in Ostdeutschland,<br />

ein nach wie vor großer Sanierungs- und<br />

Erhaltungsbedarf von historischer Bausubstanz,<br />

die Strukturschwäche vieler Regionen und die<br />

unmittelbaren sozialen (und finanziellen) Folgen<br />

für die regionalen Wohnungsmärkte wie die prognostizierte<br />

demographische Entwicklung haben<br />

unmittelbare Auswirkungen auf die Wohnungswirtschaft.<br />

Gerade hier wird die kommunale<br />

Wohnungswirtschaft künftig ihre Leistungsfähigkeit<br />

beweisen können.<br />

> GEMEINNÜTZIGE ARBEITSSTUNDEN<br />

In Absprache mit dem Jugendamt wurde die<br />

Möglichkeit geschaffen, dass straffällig<br />

gewordene Jugendliche ihre gemeinnützigen<br />

Arbeitsstunden bei der <strong>LWB</strong> ableisten.<br />

Schwerpunkt der Arbeit sind Reinigung und<br />

Pflege öffentlicher Flächen und die Beseitigung<br />

von Graffiti-Schmierereien. Der Einsatz<br />

der Jugendlichen erfolgt überwiegend problemlos.<br />

Teilweise erwirkt die gemeinnützige<br />

Arbeit eine positive Verhaltensänderung bei<br />

den jungen Leuten.<br />

31<br />

Von der <strong>LWB</strong><br />

sanierte Altbauten<br />

in der<br />

Riebeckstraße<br />

im Stadtteil<br />

Reudnitz.


Städte haben eine Fürsorgepflicht für ihre Einwohner. Wenngleich<br />

sie nicht allen alles bieten können, sind sie aber verpflichtet,<br />

ihren Bürgern gerade auch in schwierigen Lebenssituationen<br />

nach Kräften zu helfen. Auch mit preiswertem und<br />

gutem Wohnraum. Die <strong>LWB</strong> als kommunales Unternehmen<br />

stellt sich dieser Verantwortung. Fünf Beispiele, die zeigen,<br />

dass es jenseits von Rentabilität oder Gewinnmargen auch<br />

eine soziale Dimension des Wohnens gibt. Von Sibylle Kölmel<br />

32<br />

Gitta Jung mit ihrem vierjährigen<br />

Sohn Armin<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

Überall gibt es hier Perlen. Lose liegen<br />

sie auf dem Wohnzimmertisch vorm<br />

Fenster. In kleine Gläser gefüllt stehen<br />

sie im Regal. Fertig aufgezogene Perlenketten<br />

hängen an der Wand. Kleine, große,<br />

transparente. Dicke, schmale, runde und eckige.<br />

Vor allem aber sind diese Perlen eines: Bunt. So<br />

bunt wie eigentlich alles hier, in der Wohnung<br />

von Gitta Jung. Auf den Wohnzimmerboden hat<br />

sie einen roten Teppich gelegt. Der Flurschrank<br />

besitzt verschiedenfarbige Griffe, in ihrem<br />

Schlafzimmer hängen gelb-orange Vorhänge.<br />

„Farben sind mir sehr wichtig. Ich kann es nicht<br />

leiden, wenn alles gleich aussieht. Ich mag Buntes<br />

total gern“, erzählt die 27-jährige allein<br />

erziehende Mutter. Ende 2004, nach der Trennung<br />

von ihrem damaligen Freund, ist sie mit<br />

dem vierjährigen Armin hierher in die Rosenowstraße<br />

gezogen. In eine Sozialwohnung.<br />

Herrn Lein von der <strong>LWB</strong> hat sie in guter Erinnerung.<br />

„Der war schon sehr zuvorkommend. Trotz<br />

meiner hohen Ansprüche. Ich wollte unbedingt<br />

eine Badewanne. Außerdem sollte das Bad ein<br />

Fenster haben. Und einen Balkon hab ich mir<br />

auch gewünscht“, erzählt die gelernte Sportund<br />

Fitnesskauffrau. Sie lacht.<br />

Es gab sie tatsächlich, die Wohnung für Gitta<br />

und Armin Jung. Alle damals ersehnten Dinge<br />

sind in der Drei-Raum-Wohnung vorhanden. Für<br />

knapp 60 Quadratmeter bezahlt die junge Mutter<br />

hier 460 Euro Warmmiete. Ideal sei auch der<br />

großzügige und vor allem umzäunte Innenhof.<br />

„Da kann ich Armin allein spielen lassen, ohne<br />

mir Sorgen um ihn machen zu müssen. Da passiert<br />

ihm nichts."<br />

Zur Zeit bekommt die gebürtige Leipzigerin<br />

Hartz-IV. Und arbeitet als Kellnerin im Café<br />

Puschkin in der Karl-Liebknecht-Straße. „Ich<br />

finde in dem Beruf, den ich gelernt habe, einfach<br />

keine Arbeit. Das ist leider momentan ziemlich<br />

aussichtslos.“<br />

Für die Zeit, in der Gitta Jung kellnert, hat sie ein<br />

straff organisiertes Betreuungsprogramm für<br />

ihren Sohn ausgeklügelt. Neben der Oma kümmern<br />

sich auch die Nachbarn im Haus hin und<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

WOHN<strong>WERT</strong>E<br />

SCHNARCHENDE<br />

NACHBARN UND<br />

BUNTE PERLEN<br />

Die allein stehende Gitta Jung und ihr<br />

vierjähriger Armin freuen sich über echte<br />

Nachbarschaftshilfe<br />

wieder um den Vierjährigen. Wenn Gitta Jung<br />

mal später heimkommt. Voll des Lobes für die<br />

Hausgemeinschaft ist sie: „Der Umgang untereinander<br />

ist hier einfach klasse. Die sind alle<br />

sehr nett. Wir helfen uns immer gegenseitig.“<br />

Wenn es warm ist, unterhalten sich die Hausbewohner<br />

von Balkon zu Balkon. Quer über den<br />

begrünten Hof. Sehr nett sei das. Und jetzt, wo<br />

es Frühling wird, wolle man auch mal zusammen<br />

grillen. „Blöd ist, dass hier so wenig andere Kinder<br />

in Armins Alter wohnen. Das vermisse ich<br />

schon. Und ihm fehlen Freunde zum Spielen<br />

natürlich auch.“ Auch Mütter, denen es ähnlich<br />

geht wie ihr, wünsche sie sich für ihre Wohnumgebung.<br />

Schon mehrfach hat Gitta Jung mit dem<br />

Gedanken gespielt, eine Wohngemeinschaft für<br />

allein erziehende Mütter zu gründen. „Den Plan<br />

hab ich dann aber doch leider wieder verworfen.<br />

Das war mir irgendwie zu riskant. Man weiß ja<br />

nie, wer da so kommt. Ob man sich versteht.“<br />

Vielleicht sei sie aber auch nur einfach nicht<br />

mutig genug gewesen.<br />

In ihre jetzige Wohnung kommt sie immer gerne.<br />

Auch, wenn die Fußböden ein wenig uneben<br />

sind und dadurch manches Möbelstück ein bisschen<br />

schräg und wackelig steht. Die Küche und<br />

das Bad ein wenig eng sind.<br />

Immer, wenn etwas in der Wohnung nicht funktioniere<br />

oder kaputtgegangen sei, helfe die<br />

<strong>LWB</strong>, die einen Kiosk an der Ecke Rosenow-/<br />

Essener Straße hat, sehr zügig. „Die sind echt<br />

sehr unproblematisch. Man muss dann halt nur<br />

auch etwas sagen.“<br />

Dass es in dem 1998 voll sanierten Haus eher<br />

hellhörig ist, stört die junge Frau überhaupt<br />

nicht. Im Gegenteil. „Auch wenn es absurd<br />

klingt: Das ziemlich laute Schnarchen meiner<br />

Nachbarin beruhigt mich. Gerade dann, wenn<br />

ich aus der Kneipe komme. Ihr ist das total peinlich.<br />

Aber ich schlafe vom Zuhören oft ein.“<br />

33


BLOSS NICHT WEG AUS GRÜNAU<br />

Stephanie und Peter Korus fanden trotz Hartz-IV ihre passende Wohnung<br />

Ein bisschen riecht es hier noch nach frischer<br />

Farbe. Und auch die neue blaue<br />

Küche und der leere Balkon verraten,<br />

dass die Mieter dieser Wohnung noch<br />

nicht allzu lange hier leben. „Seit einem Monat<br />

sind wir jetzt erst in der Gärtnerstraße“, erzählt<br />

Peter Korus, 55. Davor wohnten er und seine Frau<br />

Stephanie lange Jahre in einem der Hochhäuser<br />

in der Neuen-Leipziger-Straße 18, im so genannten<br />

WK 7. Dort haben die beiden ihren Sohn<br />

bekommen und großgezogen. Haben Feste mit<br />

den Nachbarn gefeiert, den Trubel mit den vielen<br />

anderen Familien genossen, Freunde im gleichen<br />

Haus gehabt. „In so einem 11-Geschosser ist<br />

Stephanie und Peter Korus in ihrer Wohnung in Leipzig-Grünau.<br />

34<br />

immer was los. Bei den vielen Menschen. Einen<br />

Fernseher brauchte man da nicht. Wir haben uns<br />

dort sehr wohl gefühlt. Logisch, wenn man so<br />

lange da lebt“, erzählt Stephanie Korus und<br />

lächelt. Ein bisschen wehmütig klingt es.<br />

Einzige, kaum erwähnenswerte Nachteile dort<br />

seien gewesen, dass es manchmal ein wenig hellhörig<br />

war. Und dass die Fenster nicht richtig<br />

schlossen. „Es zog eigentlich immer. Wir mussten<br />

ständig heizen. Neue Fenster, die hätt' ich schon<br />

gern mal gehabt“, fährt die Leipzigerin fort.<br />

Ende 2005 steht fest, dass das Hochhaus abgerissen<br />

werden wird. Nach der Wende sind zahlreiche<br />

Mieter ausgezogen. Zu viele Wohnungen<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

stehen jetzt leer. Vor allem die großen, in denen<br />

vorher Familien gewohnt haben. Den Eheleuten<br />

Korus stehen der Abschied aus der vertrauten<br />

Umgebung und ein Umzug bevor. „Die <strong>LWB</strong> hat<br />

dann verschiedene freie Wohnungen aus ihrem<br />

Bestand rausgesucht und uns vorgeschlagen.<br />

Sie waren sehr bemüht und hilfsbereit. Der<br />

Umzug sowie alle zusätzlich anfallenden Kosten,<br />

wie beispielsweise der Nachsendeantrag oder<br />

die Telefonummeldung, wurden komplett bezahlt.“<br />

In der Gärtnerstraße, im Wohnkomplex 1 (WK 1),<br />

wohnt das Paar jetzt in einer Drei-Raum-Wohnung<br />

mit Balkon. Für 61 Quadratmeter bezahlen<br />

Stephanie und Peter Korus 389 Euro Warmmiete.<br />

Ein Wohnzimmer haben sie und ein Schlafzimmer.<br />

Und ein Enkelzimmer. „Als wir hierher<br />

umgezogen sind, war es für die zwei Enkel das<br />

Wichtigste, dass wir das Bettsofa aus der alten<br />

Wohnung mitnehmen. Damit Valentin und Maximilian<br />

immer herkommen und hier übernachten<br />

können“, schmunzelt Stephanie Korus.<br />

Zeit für die Enkel haben die Korus' momentan<br />

sehr viel, beide Eheleute sind arbeitslos. Peter<br />

Korus ist gelernter Mechaniker, ließ sich später<br />

zum Baumaschinenführer umschulen, absolvierte<br />

dann einige Praktika. Ohne Erfolg. Immer<br />

wieder wurden die Bewerbungen des gebürtigen<br />

Leipzigers abgelehnt. Heute bekommt er<br />

Hartz-IV. „Du kriegst den Tag schon irgendwie<br />

rum“, sagt er. Bitter sei das alles trotzdem und<br />

für ihn nicht nachvollziehbar. Mit gerade mal<br />

Mitte 50 auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr<br />

gebraucht zu werden, schon jetzt zum alten<br />

Eisen zu gehören. Da könne man schon mutlos<br />

werden. Seine Frau, 52 und gelernte Datentypistin,<br />

stimmt ihm kopfnickend zu. Stephanie Korus<br />

war zwischendurch immer mal wieder befristet<br />

beschäftigt, eine längere Anstellung ergibt sich<br />

schon seit einiger Zeit nicht mehr.<br />

Unterkriegen lassen die beiden sich trotzdem<br />

nicht, versuchen es zumindest. Sie gucken<br />

immer wieder nach Stellen, bewerben sich,<br />

hören sich um. Neben den Unternehmungen mit<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

> LEBENS<strong>WERT</strong>ES WOHNUMFELD<br />

Das Verantwortungsgefühl der <strong>LWB</strong> endet nicht an<br />

der Haustür. In den letzten Jahren hat Leipzigs Wohnungsunternehmen<br />

enorm in die Aufwertung des<br />

Wohnumfeldes investiert. Spielplätze, Rasenflächen,<br />

Oasen der Erholung – ein intaktes Drumherum fördert<br />

das soziale Leben im Kiez und trägt zum Wohlfühlen<br />

der Bewohner bei.<br />

den Enkeln sorgen sie für die pflegebedürftige<br />

Mutter von Stephanie Korus. Und gewöhnen<br />

sich an die neue Umgebung. Sitzen am Tisch in<br />

der neuen blauen Küche und gucken aus dem<br />

Fenster. Schauen, was da draußen so alles passiert.<br />

Wer wer ist, wer wo wohnt, wer wen kennt.<br />

„Es ist alles viel ruhiger hier, keine Frage. Hier in<br />

der Gegend gibt es weniger Familien mit kleinen<br />

Kindern. Anfangs war es fast wie auf dem Friedhof,<br />

so still. Man hört im Haus sehr wenige<br />

Geräusche. Mittlerweile haben wir uns daran<br />

gewöhnt und finden es angenehm“, erzählt Stephanie<br />

Korus. Manchmal nerve das Sirenengeheul<br />

der Krankenwagen, die auf der Antonienstraße<br />

nahe ihrer Haustür entlang fahren. Vermutlich<br />

aber werden wohl die Blätter der noch<br />

unbegrünten Sträucher und Bäume da bald<br />

einen Teil der Geräusche abfangen.<br />

Viel sauberer sei es hier in der Gegend. „Und im<br />

Haus machten alle bislang einen sehr netten<br />

Eindruck. Schön ist außerdem, dass die Schwester<br />

von meinem Mann gleich um die Ecke<br />

wohnt“, meint Stephanie Korus. Momentan geht<br />

das Paar viel spazieren. Oder unternimmt Radtouren,<br />

zum Kulkwitzer See beispielsweise. „Ich<br />

wohne seit 23 Jahren in Grünau und kenne die<br />

Gegend wie meine Westentasche“, sagt Peter<br />

Korus und lächelt. Hier einmal ganz wegzuziehen,<br />

da sind sie sich einig, sei unvorstellbar für<br />

beide.<br />

35<br />

SOZIALES ENGAGEMENT


DIE WOHLFÜHLWOHNUNG<br />

UND EIN ÄRGERNIS<br />

Sitta und Dieter Rückert konnten sich mithilfe vieler<br />

ihre Traumwohnung behindertengerecht ausbauen<br />

Kennen gelernt und verliebt ineinander<br />

haben sich Sitta und Dieter Rückert<br />

während eines Kuraufenthaltes. Beide<br />

waren jung an spinaler Kinderlähmung<br />

erkrankt. Schon früh stand fest, dass sie ihr<br />

Leben zu großen Teilen im Rollstuhl verbringen<br />

müssen.<br />

Das Paar, sie stammt aus Quedlinburg, er aus der<br />

Lausitz, entschloss sich, in einer größeren Stadt<br />

nach einer behindertengerechten Wohnung zu<br />

suchen. „Das war damals noch viel schwieriger<br />

als heute. Wohnmöglichkeiten für Rollstuhlfahrer<br />

gab es in kleinen Städten so gut wie gar nicht“,<br />

erzählt die 61-jährige Sitta Rückert.<br />

36<br />

Die Rückerts zogen nach Leipzig. Zuerst wohnten<br />

sie in der Arndtstraße im Erdgeschoss. Da<br />

waren beide noch beweglicher, kamen teilweise<br />

ohne Rollstuhl zurecht. Und Nachbarn und<br />

Arbeitskollegen halfen, die Kohlen aus dem Keller<br />

in die Wohnung zu tragen.<br />

Dann zog das Paar in eine ihren Bedürfnissen<br />

entsprechende Wohnung in die Telemannstraße<br />

und blieb dort für zehn Jahre. Schon immer<br />

wichtig war für beide die Nähe zum Stadtzentrum<br />

und zum Arbeitsplatz. Denn gearbeitet<br />

haben Sitta und Dieter Rückert immer, bis zur<br />

Pensionierung. Sie als Sekretärin und er als<br />

Elektromechaniker.<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

Sitta und Dieter Rückert<br />

freuen sich über die Nähe<br />

ihrer <strong>LWB</strong>-Wohnung<br />

zur Leipziger Innenstadt.<br />

Zunehmend auf den Rollstuhl angewiesen, litten<br />

die beiden unter der fehlenden Auffahrtsrampe<br />

in der Telemannstraße. 1980 bot die <strong>LWB</strong> deshalb<br />

dem Paar eine Erdgeschoss-Wohnung in<br />

der Karl-Tauchnitz-Straße 17 an. Die beiden zogen<br />

um, waren aber bald mit dem neuen Domizil<br />

nicht sonderlich zufrieden: „Da unten haben<br />

wir uns nicht sehr wohl gefühlt. Mit dem Parkplatz<br />

direkt vor unseren Augen. Wir konnten<br />

auch die Fenster nicht geöffnet lassen, weil die<br />

Räume zu ebener Erde lagen“, erzählt Sitta Rückert,<br />

und Dieter Rückert nickt zustimmend. Als<br />

in der 10. Etage eine Wohnung frei wird, weil die<br />

Mieter in den Westen ausreisen, steigt das Paar<br />

auf. Zehn Jahre wohnen die Rückerts da oben.<br />

Über den Dächern von Leipzig, mit schöner Aussicht<br />

und mit dem geliebten Clarapark zu ihren<br />

Füßen. Das hohe Stockwerk sei für die Rollstuhlfahrer<br />

nie ein Hindernis gewesen. „Wenn<br />

der Fahrstuhl kaputt ist, dann ist er kaputt. Egal,<br />

ob wir in der ersten, fünften oder zehnten Etage<br />

wohnen“, sagt Dieter Rückert und lacht.<br />

Dann geht es dem heute 67-Jährigen gesundheitlich<br />

schlechter. Die Wohnung ist nicht ausreichend<br />

rollstuhlgerecht, der Türrahmen vom<br />

Bad zu eng. Das Ehepaar geht erneut auf Wohnungssuche.<br />

Guckt vieles an, nichts passt so<br />

richtig. Eine Wohnung im Mückenschlösschen<br />

ist zu groß und zu teuer. Der behindertengerechten<br />

Musterwohnung der <strong>LWB</strong> in der Volksgartenstraße<br />

fehlte die Badewanne.<br />

Die Rückerts verhandeln mit der <strong>LWB</strong>, eine Wohnung<br />

in ihrem Hochhaus in der Karl-Tauchnitz-<br />

Straße ihren Bedürfnissen gerecht umzubauen.<br />

Mit Fördermitteln der Stadt Leipzig, Pflegekasseund<br />

<strong>LWB</strong>-Geldern sowie einem privaten<br />

Zuschuss des Ehepaares gestalten Architekten<br />

und Handwerker eine Drei-Raum-Wohnung in<br />

der zweiten Etage um. Küche und Teile vom<br />

Wohnzimmer werden verändert, ein größeres<br />

Bad mit breiter, zweiflügeliger Schiebetür eingebaut.<br />

„Man hatte hier immer ein Ohr für uns<br />

und ist sehr auf unsere Wünsche eingegangen.<br />

Wir haben auch viel zusammen überlegt und<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

geplant“, fasst Sitta Rückert den Umbau zusammen.<br />

Im Sommer 2000 zieht das Paar dann in<br />

die veränderten Räumlichkeiten. Seitdem<br />

bezahlen sie für knapp 65 Quadratmeter 467<br />

Euro warm und fühlen sich sehr wohl. Auch, weil<br />

sie hier mittlerweile alle kennen. Das mache vieles<br />

leichter. „Wir sind eine gute Hausgemeinschaft<br />

und helfen uns gegenseitig. Hier wohnen<br />

ja auch noch andere Rollstuhlfahrer. Freiwillig<br />

zieht hier keiner aus“, sagt Sitta Rückert<br />

lächelnd.<br />

Eine Sache gibt es dann aber doch noch, über<br />

die sich die Quedlinburgerin ärgert. Es sind die<br />

Brandschutzvorschriften im Haus. Da spricht sie<br />

plötzlich schneller. Verliert ein bisschen ihre<br />

Ruhe. Fährt mit dem Rollstuhl zum Küchenschrank<br />

und holt die Mahnung des Vermieters.<br />

Dass sie die Bilder und den kleinen Teppich aus<br />

dem Hausflur räumen musste, damit könne sie<br />

sich gerade noch so arrangieren. Aber dass der<br />

Rollstuhl, mit dem sie außerhalb der Wohnung<br />

fährt, auch noch weg soll, das sei übertrieben.<br />

„Er stand schon immer hier. Er passt einfach<br />

nicht in die Wohnung. Und in den Keller können<br />

wir ihn nicht stellen. Da ist er zu weit weg. Das<br />

betrifft auch die anderen Rollstuhlfahrer hier. So<br />

etwas wäre für uns fast ein Grund, hier auszuziehen“,<br />

empört sie sich. Jede kleinste Veränderung<br />

in der räumlichen Umgebung oder im<br />

durchorganisierten Tagesablauf fordert von beiden<br />

Rollstuhlfahrern ein großes Umgewöhnen,<br />

ruft Unruhe hervor, kann zur Bedrohung werden.<br />

Neben der eigens für sie umgebauten Wohnung<br />

ist es auch die Lage, die die Rückerts so genießen.<br />

„Wir wohnen hier ideal. Man gelangt gut zu<br />

Treffen des Behindertenverbandes und zu kulturellen<br />

Veranstaltungen. Die Innenstadt ist in<br />

der Nähe. Wir können auch mal ohne Fahrdienst<br />

raus, in den Park zum Beispiel.“<br />

Denn das Spazierenfahren, draußen, an der frischen<br />

Luft, umgeben von Natur, das sei ihr Ein<br />

und Alles.<br />

37


Übers Internet haben sich Anne Geißler,<br />

Anja Rößler und Norman Staude<br />

gesucht und gefunden. Eines der mittlerweile<br />

zahlreichen virtuellen Schwarzen<br />

Bretter für Wohnungssuche hat die Mitbewohner<br />

zusammengeführt. „Anja war mir sofort<br />

sympathisch. Und ich ihr eben auch. Mittlerweile<br />

sind wir dicke Freundinnen“, erzählt die<br />

19-jährige Anne, die im 4. Semester an der Leipziger<br />

Uni Grundschullehramt studiert. Die beiden<br />

Studentinnen wohnen seit Oktober 2005<br />

zusammen, vor kurzem ist noch Norman eingezogen.<br />

In das Zimmer seines etwas schwierigen<br />

Vorgängers.<br />

Nicht sonderlich gute Erfahrungen habe man mit<br />

dem gemacht, erzählt Anne. Unzuverlässig sei<br />

er gewesen. Die zwei jungen Frauen trennen<br />

sich von ihm. „Fazit für uns war, dass man nicht<br />

mit jedem, der auf den ersten Blick nett scheint,<br />

Norman, Anja und Anna fühlen<br />

sich wohl in ihrer Dreier-<br />

WG in einer <strong>LWB</strong>-Wohnung.<br />

DIE DREILÄNDER-WG<br />

Anne, Anja und Norman haben in ihrer Studenten-WG sogar Laminat selbst verlegt<br />

38<br />

gut zusammenleben kann“, meint die 18-jährige<br />

Anja, die hier im 2. Semester Soziologie studiert.<br />

Trotz dieses prägenden Erlebnisses nehmen<br />

die beiden wieder einen Mitbewohner bei<br />

sich auf. „Das hat mich echt beeindruckt, wie<br />

selbstverständlich und optimistisch Anne und<br />

Anja mich hier haben einziehen lassen.“ Sagt<br />

Norman Staude, der vor kurzem nach Leipzig<br />

kam, um ein Studium zum Toningenieur zu<br />

beginnen. Der 26-Jährige war sich anfangs nicht<br />

ganz sicher, ob das WG-Leben so seine Sache<br />

ist. Jetzt aber gefalle es ihm gut. Auch, dass er<br />

in der Wohnung nun immer Leute um sich herumhabe.<br />

Der Mitbewohnerwechsel und letzte Spuren der<br />

vollzogenen Renovierungsarbeiten sind noch<br />

erkennbar. Kartons stehen rum, Telefonkabel liegen<br />

auf dem Flur, und Normans Zimmer ist noch<br />

alles andere als eingerichtet.<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

Dennoch ist es gemütlich hier. Die Küche mit der<br />

roten Wand und dem großen Tisch, der Balkon,<br />

der Holzboden im Flur, die alten Türen und die<br />

in warmen Farben gehaltenen Zimmer von Anne<br />

und Anja haben etwas Einladendes.<br />

Die Drei-Raum-Wohnung war teilsaniert. Bis auf<br />

das Bad haben sie fast alles selbst renoviert.<br />

„Das war total reizvoll und hat großen Spaß<br />

gemacht. Ich mache handwerkliche Dinge sehr<br />

gerne und kann das auch ganz gut. Das habe<br />

ich von meinem Papa“, erzählt Anne und<br />

lächelt. Auch das Laminat in ihrem Zimmer hat<br />

sie selbst verlegt. „Dadurch, dass die Studenten<br />

in den Wohnungen selbst gestalten können,<br />

kommt ja immer auch was sehr Individuelles in<br />

die Wohneinheiten“, meint Norman. „Gut nur,<br />

dass das Bad schon gemacht war. Fliesen verlegen<br />

ist nämlich nicht so mein Ding“, lacht er.<br />

Die Dreiländer-WG – Anne stammt aus Leipzig,<br />

Anja aus Gangloffsömmern in Thüringen und<br />

Norman ist Magdeburger – kommt nach der Uni<br />

immer gern hierher. Im Haus gibt es noch zwei<br />

weitere Wohngemeinschaften, leider habe man<br />

aber keinen Kontakt miteinander. „Aber das<br />

könnte man eigentlich auch bald mal ändern“,<br />

so Anne.<br />

Nervig sei, dass die Mauern so dünn sind. Man<br />

die Nachbarn oft höre. „Besonders vor den Prüfungen<br />

könnten die Wände hier ruhig dicker<br />

sein. Manchmal haben die Leute in der Wohnung<br />

über uns den Fernseher sehr laut an“,<br />

meint Anne. Da könne sie sich nur schwer dran<br />

gewöhnen.<br />

Und dann finden sie noch, dass die <strong>LWB</strong> nicht<br />

so ganz WG-orientiert sei. Wegen der Mietverträge,<br />

wo einer für den anderen einspringen<br />

muss. Lieber hätten die drei Studenten einzelne<br />

Verträge. „Das war gerade bei dem letzten Mitbewohner<br />

schwierig. Als er damals eine Mahnung<br />

bekam, waren wir automatisch alle betroffen“,<br />

erzählt Anne.<br />

Studentenfreundlich aber sei, dass die Kaution<br />

so gering ist. Und sie anfangs einen kompletten<br />

Monat mietfrei wohnen konnten.<br />

„Auch am Telefon sind die immer total nett. Hier<br />

ist ja auch ein ServiceKiosk gleich um die Ecke.<br />

Anfangs hatten wir Probleme im Bad, es lief<br />

immer nur heißes Wasser. Herr Wolke kam<br />

sofort und hat uns geholfen. Auch, als an der<br />

Tür eine Schwelle angebracht werden musste.“<br />

Das hätte sie schon beeindruckt, wie schnell<br />

und zuverlässig das immer erledigt wurde.<br />

<strong>VOM</strong> <strong>WERT</strong> <strong>DES</strong> <strong>WOHNENS</strong><br />

DER EINZIGE<br />

MANN IM HAUS<br />

VOLLER FRAUEN<br />

Gerd Kowalka entging nur knapp einer<br />

Zwangsräumung und konnte auf die Hilfe des<br />

<strong>LWB</strong>-Sozialmanagements bauen<br />

Die schwarze Katze streckt sich, macht<br />

einen Buckel, springt vom Stuhl.<br />

Durchs Zimmer schleichend, verfolgt<br />

sie wachsam, was geschieht.<br />

„Meine Nachbarin hat auch eine Katze. Die beiden<br />

Tiere sind oft zusammen. Sogar die Katzen<br />

haben hier ein soziales Umfeld“, erzählt Gerd<br />

Kowalka und lacht leise.<br />

Auf die gute Gemeinschaft im Haus und die netten<br />

Bewohner kommt der 46-Jährige immer wieder<br />

zu sprechen. Untereinander helfe man sich<br />

oft. Unternehme auch viel gemeinsam. „Heute<br />

zum Beispiel, da gabs ’ne Kaffeerunde, hier bei<br />

mir. ,Meine Kaffeetanten‘ sag ich zu denen<br />

immer.“ Dass er derzeit der einzige Mann im<br />

Haus ist, störe ihn überhaupt nicht.<br />

Viel Rot gibt es in Gerd Kowalkas Wohnzimmer.<br />

Rote Sessel, ein rotes Bettsofa, rötlich gemusterte<br />

Vorhänge, rote Teebecher, eine teilweise<br />

rot gestrichene Schrankwand.<br />

Draußen fährt ein Auto vorbei. Im Haus schlägt<br />

eine Tür. Dielen ächzen, leises Stimmengewirr<br />

ertönt.<br />

Ja, hellhörig sei es hier schon. Das sei aber egal.<br />

Auch das Klavier- und Spinettspiel der Mieterin<br />

in der Wohnung über ihm störe ihn nicht. Weil<br />

Gerd Kowalka ja selbst so gern Musik macht.<br />

„Da habe ich echt kein Recht dazu, anderen zu<br />

sagen, dass sie leise sein sollen“, grinst er.<br />

An der Wand hängen drei Gitarren, auf dem<br />

Tisch steht ein kleines Mischpult. „Musik ist<br />

meine Leidenschaft. Ich komponiere auch“,<br />

erzählt er, der gleich in zwei Leipziger Bands<br />

39


spielt. „Immerhin“ und „Speak on“ heißen die<br />

und auftreten tun sie auch, ziemlich oft sogar.<br />

Plötzlich springt der schlanke Mann von seinem<br />

Sessel auf, läuft zum Regal und kommt mit einem<br />

Foto zurück. „Im letzten Sommer haben wir Mieter<br />

hier sogar ein Hofkonzert veranstaltet.“<br />

Seit 1998 lebt Gerd Kowalka in der Hellerstraße<br />

in einer Ein-Raum-Wohnung im Erdgeschoss.<br />

1995 war der gebürtige Berliner nach Leipzig<br />

gegangen. Seine Mutter lebte schon länger in<br />

der sächsischen Großstadt, wollte ursprünglich<br />

einmal ein Studium hier beginnen. Er selbst, der<br />

Werkzeugmacher gelernt hatte und nach der<br />

Wende längere Zeit ohne Arbeit war, konnte in<br />

Leipzig bald als Elektriker Geld verdienen.<br />

„Anfangs bin ich noch viel zwischen Berlin und<br />

Leipzig hin und her gependelt. Eine sehr unruhige<br />

Zeit war das. Dann hab ich mit meiner Mutter<br />

zusammen in einer Wohnung in der Georg-<br />

Schwarz-Straße gelebt. Später sind wir hier in<br />

dieses Haus gezogen. Muttern hat in der gegenüberliegenden<br />

Wohnung gewohnt.“ Die räumliche<br />

Trennung sei gut gewesen, für zwei so<br />

starke Charaktere.<br />

1999 stirbt die Mutter an Krebs. Hinzu kommt<br />

Gerd Kowalkas desolate berufliche Situation.<br />

Seit dem Todesjahr der Mutter ist er durchgängig<br />

ohne Arbeit. Er verschuldet sich. Muss sein<br />

Auto verkaufen. Hat keine Krankenversicherung<br />

mehr. Kann irgendwann die Miete nicht mehr<br />

bezahlen und erhält eine Räumungsklage. Vier<br />

Tage Zeit bleiben ihm, die Wohnung zu räumen.<br />

Da ist er zu nichts mehr in der Lage. Bricht<br />

zusammen.<br />

Da sind es die Hausbewohner, die helfen. Ihm<br />

Halt geben. „Meine Nachbarin hat mich da rausgeholt.<br />

Sie ist mit mir zum Sozialen Dienst<br />

gegangen. Ich konnte einfach nicht mehr. Es<br />

40<br />

ging gar nichts mehr“, erzählt er. „Auch Frau<br />

Trinks vom Sozialmanagement der <strong>LWB</strong> hat mir<br />

damals wahnsinnig geholfen. Der bin ich so<br />

dankbar. Sie hat sich dafür eingesetzt, dass ich<br />

hier wohnen bleiben konnte.“<br />

Langsam geht es Gerd Kowalka besser. Er<br />

bekommt wieder festen Boden unter den Füßen.<br />

Arbeitslos ist er weiterhin.<br />

Von sich selbst sagt er, dass er sehr viele Neigungen<br />

und eigentlich immer zu tun habe.<br />

Malen würde er auch gerne mehr, aber es fehle<br />

ihm einfach die Zeit.<br />

Im Keller und in der Küche hat er sich kleine<br />

Arbeitsplätze aufgebaut. „Dort habe ich mein<br />

ganzes Werkzeug. Ich bin handwerklich sehr versiert.<br />

Was Langeweile ist, weiß ich nicht“<br />

Da raschelt es an der Wand zur angrenzenden<br />

Wohnung. Ein Geheimzeichen, das nur er und<br />

die Nachbarin kennen. „Ich kann grad nicht.<br />

Später!“ ruft Kowalka.<br />

Nach einer Zeit erzählt er dann noch, dass ihn<br />

im Sommer die Wespen an den Mülltonnen stören<br />

würden. Und der Schimmel in manchen Teilen<br />

des Kellers. „Allerdings hab ich mit Abstand<br />

den besten Kellerraum erwischt. Brauch ich aber<br />

auch, wegen meinem Werkzeug.“<br />

Gerd Kowalka bezahlt für seine 45 Quadratmeter<br />

momentan 369 Euro warm. Ab 2008 soll die<br />

Miete steigen. Das macht ihm und anderen<br />

Hausbewohnern schon jetzt große Sorgen. „Für<br />

mich ist es unvorstellbar, hier irgendwann wegzuziehen.<br />

Auch, weil ich mich hier so anerkannt<br />

fühle. Ich habe in dieser Wohnung zum ersten<br />

Mal in meinem Leben das Gefühl, angekommen<br />

zu sein“, sagt Gerd Kowalka mit fester Stimme<br />

und ernstem Blick. Das glaubt man ihm sofort.<br />

FORUM ZWEI | MAI 2006<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber:<br />

Leipziger Wohnungs- und<br />

Baugesellschaft mbH (<strong>LWB</strong>)<br />

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />

Prager Straße 21, 04103 Leipzig<br />

Telefon: 0341 – 9 92 42 01<br />

E-Mail: presse@lwb.de<br />

Internet: www.lwb.de<br />

Idee, Konzept, Koordination:<br />

Gregor Hoffmann, Andreas Nowotny (<strong>LWB</strong>)<br />

Texte:<br />

idea Kommunikation<br />

Gregor Hoffmann (<strong>LWB</strong>)<br />

Sibylle Kölmel<br />

Roland Kirbach<br />

Dr. Thomas Nabert<br />

Grafik & Produktion:<br />

idea Kommunikation<br />

Fotos:<br />

Klaus Sonntag, <strong>LWB</strong>, Photocase, Peter Hadasch,<br />

Punctum/Peter Franke, Archiv Pro Leipzig e. V.<br />

© <strong>LWB</strong> 2006

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