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Wohnzeit - LWB

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Die am 3. Mai 1913 eröffnete Internationale<br />

Baufach-Ausstellung (Bild links<br />

oben) präsentierte modernes Bauen<br />

nur „auf Zeit“: Die meisten Gebäude<br />

wurden nach Ende der Schau wieder<br />

abgebrochen. Erhalten blieben nur<br />

Eine heilende Quelle wurde zum Bauprogramm<br />

Leipziger Straßennamen erzählen Geschichte (n).<br />

Zu den Sagen des Leipziger Kreises gehört<br />

die Erzählung über eine junge Pilgerin namens<br />

Maria, die anno 1441 in die Messestadt<br />

gekommen sein soll, um den im Johannishospital<br />

am Aussatz leidenden Kranken<br />

Heilung zu verheißen. Gemeinsam mit den<br />

Siechen sei sie in östlicher Richtung aus<br />

der Stadt gezogen, und als sie dort auf die<br />

Knie sank, wäre ganz unerwartet ein reiner<br />

Quell aus der Erde gebrochen. Das heilkräftige<br />

Wasser dieses „Marienbrunns“<br />

verhalf denn<br />

auch den Todgeweihten<br />

zur Heilung.<br />

Obwohl spätere Gutachten<br />

dagegen sprachen, hielt<br />

sich unter der Bevölkerung<br />

hartnäckig der Glaube um<br />

die Heilkraft dieser Quelle<br />

auf Thonberger Flur. Der<br />

Leipziger Rat indes sah<br />

die Sache prosaischer und<br />

nutze das Wunderwasser<br />

im Jahr 1501 für den Bau<br />

der ersten Wasserleitung<br />

in die Stadt. Als freilich<br />

Noch läuft das wundertätige<br />

Wasser, aber später<br />

versiegte der Quell: Der<br />

Marienborn Ende des<br />

19. Jahrhunderts.<br />

Marienbrunnenstraße<br />

Ende des 19. Jahrhunderts<br />

diverse Baumaßnahmen<br />

die hydrologische Situation<br />

des Thonberger Geländes<br />

gründlich verändert<br />

hatten, versiegte der<br />

Quell.<br />

die spätere Halle 16 auf dem Gelände<br />

der Technischen Messe – die so genannte<br />

„Betonhalle“ und die Häuser<br />

der Gartenvorstadt Marienbrunn.<br />

Bild rechts oben: Blick in die Marienbrunner<br />

Siedlung „Am Bogen“.<br />

Bild rechts unten: Plan des Baugeländes<br />

der Gartenstadt zwischen<br />

den späteren Straßenzügen „An der<br />

Tabaksmühle“ und „Triftweg“.<br />

Der Name „Marienbrunn“ lebte in Gestalt<br />

einer gleichnamigen Gartenvorstadt weiter,<br />

und für ihre Initiatoren und Förderer bildete<br />

diese Bezeichnung durchaus eine Art Programm:<br />

Als Aussatz und Pestbeule betrachtete<br />

man Bodenspekulation, Wohnungselend<br />

und das wirre Geschachtel hässlicher<br />

Mietskasernen, die der Kapitalismus des 19.<br />

Jahrhunderts hervorgebracht hatte. Zurück<br />

zur Natur, zu gesunden, menschenwürdigen<br />

Wohnbedingungen - so die Forderungen<br />

weitsichtiger Reformer, die sich in der „Deutschen<br />

Gartenstadtgesellschaft“ vereint hatten.<br />

Seit 1910 warb die Vereinigung auch in<br />

Leipzig für ihre Ideen.<br />

Ein besonderer Umstand sollte ihre Pläne<br />

unerwartet beschleunigen: Für das Jahr<br />

1913 war in Leipzig auf dem Areal des späteren<br />

Messegeländes die „Internationale<br />

Baufach-Ausstellung“ geplant, die unter<br />

anderem mustergültige Kleinwohnungen<br />

und Kleinhäuser vorstellen sollte. Hier fand<br />

man also Bundesgenossen, denn es wäre ja<br />

unrentabel gewesen, Modelle allein für die<br />

Dauer dieser Demonstration zu errichten,<br />

um sie anschließend wieder abzureißen.<br />

Dann lieber „richtige“ Häuser als Kernstück<br />

einer neuen Siedlung.<br />

Am 3. November 1911 wurde die „Gartenvorstadt<br />

Leipzig-Marienbrunn GmbH“ mit<br />

einem Kapital von 35.000 Mark gegründet.<br />

Das vorgesehene, fächerförmige Baugelände<br />

lag zwischen heutigem Triftweg und der<br />

Straße „An der Tabaksmühle“. Im August<br />

1912 erfolgte der erste Spatenstich, und im<br />

Frühjahr des Folgejahres waren die meisten<br />

Musterwohnungen fertiggestellt. Am 27.<br />

März 1913 zogen die ersten Siedler in die<br />

neuen Häuser. Die sozialdemokratische<br />

Fraktion der Stadtverordneten hatte durchgedrückt,<br />

dass 75 Prozent aller Wohnungen<br />

eine Jahresmiete von höchstens 450 Mark<br />

aufweisen durften.<br />

Nachdem jedoch die IBA Ende Oktober 1913<br />

ihre Pforten geschlossen hatte, begann für<br />

die 439 Neusiedler der Ernst des Alltagslebens.<br />

„Leipziger Stadtteil“ hörte sich gewiss<br />

gut an, aber die Siedlung lag damals praktisch<br />

auf freiem Felde, und Leipzig war nicht<br />

mehr als eine Silhouette am Horizont, die<br />

zu erreichen längere Fußmärsche über zerweichte<br />

Wege und Sturzäcker nötig machte:<br />

Zur Arbeit, zu den Polizeibehörden nach<br />

Connewitz, zur Lebensmittelkartenstelle<br />

nach Stötteritz.<br />

Über 20 Jahre lang führten die Marienbrunner<br />

ein durchaus aktives Eigenleben, gründeten<br />

Chöre, Orchester, Vereine sowie einen<br />

Tanzkreis und gaben sogar eine eigene<br />

Zeitung heraus. Dringender Wunsch an die<br />

Behörden immer wieder: Eine feste Verbindungsstraße.<br />

Neue „Siedlungspioniere“<br />

folgten nach 1922. Die dann seit Juli 1931 zur<br />

Märchenwiese rollende Straßenbahn schuf<br />

schließlich den wirklichen Anschluss an die<br />

Großstadt. s hanS-Joachim hoffmann<br />

wohnzeit 1 / 2007

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