06.12.2012 Aufrufe

und „mden” in chilenischen ewässern (1925–1927)

und „mden” in chilenischen ewässern (1925–1927)

und „mden” in chilenischen ewässern (1925–1927)

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die Aufzeichnungen des Johann Wentzel, Bäckermeister <strong>in</strong> Rechnitz<br />

tersten Bevölkerungsschichten. Hier wurden auch ihre politischen Vorstellungen<br />

im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Rousseau’schen Gesellschaftsphilosophie geprägt. Die Hauspostille<br />

Ugróczys machte sie mit Jean Jaques Rousseaus Gesellschaftsphilosophie<br />

des „Contract Social” von 1762 vertraut. Unmissverständlich kl<strong>in</strong>gt die Stimme<br />

Rousseaus <strong>in</strong> der Predigt zum 23. Sonntag nach Tr<strong>in</strong>itatis durch: „Obrigkeiten<br />

müssen se<strong>in</strong>, das begreift auch der geme<strong>in</strong>ste Menschenverstand ohne Mühe, <strong>und</strong><br />

wenn er es nicht begreift, würde die Erfahrung es lehren. Alle<strong>in</strong>, auf e<strong>in</strong>er Insel,<br />

wollen wir doch nicht leben. Können denn e<strong>in</strong>zelne Menschen, e<strong>in</strong>zelne Familien,<br />

sich alles verschaffen, was zur Erhaltung <strong>und</strong> Annehmlichkeit des Lebens gehört?<br />

Ne<strong>in</strong>, das wollen wir nicht. Nun, so müssen sich Menschen <strong>in</strong> größere <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>ere<br />

Gesellschaften vere<strong>in</strong>igen, um sich zu schützen, ihr Leben zu sichern <strong>und</strong><br />

ihren Besitz zu erhalten. Und wenn doch alle Menschen gut wären, so müsste<br />

es doch jemand geben, der das Ganze ordnet <strong>und</strong> leitet. […] Aber die Menschen<br />

s<strong>in</strong>d nicht alle gut, <strong>und</strong> auch die Besseren s<strong>in</strong>d nicht fehlerfrei. Es muß also der<br />

Bosheit e<strong>in</strong> Damm gesetzt werden, daß sie die Unschuld nicht unterdrückt. Wer<br />

soll den Dieb bestrafen <strong>und</strong> den Mörder vertilgen, wenn niemand da ist, dem<br />

die Gesellschaft gehorcht? Und da die Gesellschaften zu tausendmal Tausenden<br />

angewachsen s<strong>in</strong>d, so müssen die höchsten Obrigkeiten e<strong>in</strong>en Theil ihrer Gewalt<br />

anderen anvertrauen, denen wir ebenfalls Gehorsam schuldig s<strong>in</strong>d. ” 8<br />

Derart politisch vorgebildet, begab sich der junge Handwerksbursche, der <strong>in</strong><br />

Rechnitz das Bäckerhandwerk erlernt hatte, auf die Wanderschaft quer durch<br />

Europa. In Budapest am Deutschen Theater wird er Statist. „Das Theater hat<br />

mich Denken gelehrt!“ wird er später <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Lebenser<strong>in</strong>nerungen schreiben.<br />

Er bereiste als Handwerksbursche Wien, Graz, Klagenfurt, Salzburg, Triest <strong>und</strong><br />

Tapolca. 1844 übernahm er e<strong>in</strong>e freiwerdende Bäckerei <strong>in</strong> Rechnitz, heiratete <strong>und</strong><br />

hatte 2 K<strong>in</strong>der. Se<strong>in</strong> Leben war wechselvoll, e<strong>in</strong>es se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>der starb, er g<strong>in</strong>g<br />

zweimal <strong>in</strong> Konkurs <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Bäckerei musste nach e<strong>in</strong>em großen Brand neu<br />

aufgebaut werden. Außerdem betätigte er sich als We<strong>in</strong>händler, Wirt, Kaufmann,<br />

Mehlhändler, Furier für die Militärverwaltung. Neben all diesen Tätigkeiten aber<br />

schrieb er, <strong>und</strong> zwar Gedichte. Das Konvolut se<strong>in</strong>er Aufzeichnungen be<strong>in</strong>haltet<br />

über 120 Gedichte zu den verschiedensten Themen, die oft aus aktuellen Anlässen<br />

verfasst <strong>und</strong> wohl auch öffentlich rezitiert wurden. Solch e<strong>in</strong> Ereignis war zum<br />

Beispiel die Theateraufführung zur Gründung e<strong>in</strong>er Feuerwehr <strong>in</strong> Rechnitz 1881 9<br />

oder die Visitation der evangelischen Pfarre Rechnitz durch den lutherischen<br />

Bischof im Jahre 1880. Johann Wentzel schrieb damals die Begrüßungsansprache<br />

für den hohen Gast <strong>und</strong> e<strong>in</strong> zweites, eher reflexives Gedicht.<br />

8 WENTZEL (Ms.), 65–66.<br />

9 Ebd. 63–64.<br />

�<br />

311<br />

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!