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plötzlich stoppte. Durch die dünne Plane konnte Ulli hören, wie eine energische<br />
Stimme sagte: "Ihr Wagen ist beschlagnahmt. Bitte steigen Sie aus.". Man<br />
hörte, wie vorne die Tür geöffnet wurde. Die Plane des Verdecks öffnete sich<br />
einen Spalt und ein kräftiger junger Mann in Uniform mit einem großen gefährlich<br />
aussehenden Gewehr schaute zu ihnen herein.<br />
"Wer sind Sie? Wo wollen sie hin?" fragte der Soldat. Ulli gewann zuerst die<br />
Fassung wieder und stammelte: "Wir sind Studenten und wollen aufs Land<br />
fliehen." "Ok, dann können Sie mitkommen. Wir fahren ins Flüchtlingslager<br />
auf der Theresienwiese. Bleiben Sie sitzen." "Wir haben aber all unser Geld<br />
bezahlt, um hier mitzufahren." sprang einer der anderen Studenten auf. "Dann<br />
holen sie es sich wieder, wenn sie können. In zwei Minuten fahren wir ab."<br />
antwortete der Soldat.<br />
Der Student sprang vom Laster und ging nach vorne. Doch da war kein<br />
LKW-Besitzer mehr, nur noch Soldaten. Der Fahrer hatte sich wohl mit ihrem<br />
Geld ganz schnell aus dem Staub gemacht. Von Franz fehlte auch jede Spur.<br />
Frustriert gesellte sich der Student wieder zu den anderen. Jetzt waren sie alle<br />
mittellos. Ulli hielt seinen Rucksack fest. Wenigstens den hatte er noch.<br />
Sie fuhren langsam eine schiere Ewigkeit durch die Stadt. Immer wieder<br />
hielten sie an und einer der Soldaten schickte weitere Reisende zu ihnen auf die<br />
Säcke. Es wurde immer enger in dem kleinen Laster. Als Ulli glaubte, kaum<br />
noch atmen zu können, blieben sie endlich stehen und der Soldat forderte sie<br />
zum Aussteigen auf.<br />
Auf der Wiesn war er noch nicht sehr oft gewesen, aber trotzdem ließ ihn der<br />
Anblick der verwandelten Theresienwiese schaudern. Die Brauereien und<br />
Schausteller waren wohl gerade mitten beim Aufbau gewesen, als die Katastrophe<br />
hereinbrach. Die üblichen großen Bierzelte standen auch schon dort, wo sie<br />
hingehören, aber dort, wo sonst die Fahrgeschäfte waren, wurden mehrere normalgroße<br />
Bierzelte aufgebaut. Überall wimmelte es vor lauter Geschäftigkeit<br />
auf der einen Seite, vorwiegend von uniformierten Menschen betrieben und<br />
langen Schlangen von wartenden Menschen, auf der anderen Seite. Von der<br />
sonst üblichen Fröhlichkeit auf der Wiesn war nichts zu spüren. Es fühlte sich<br />
irgendwie grotesk an.<br />
Einer der Soldaten schickte sie zu einer sehr langen Schlange, um sich registrieren<br />
zu lassen. In dieser Schlange verbrachte Ulli die nächsten Stunden. Jetzt<br />
war er ein Flüchtling in einem Flüchtlingslager. So schnell konnte es gehen.<br />
Vor allem war es mühsam, immer seinen Rucksack mitzuschleppen und zentimeterweise<br />
die Schlange entlang zu bewegen. Die Stunden vergingen und Ulli<br />
unterhielt sich ein bisschen mit seinen Mitwartenden. Tiefschürfende Erkenn-<br />
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