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Ehefrau die Spannung löste. Plötzlich waren alle sehr damit beschäftigt, die<br />
Frau zu trösten und dem Toten nochmal die Schulter zu drücken. Ich ging ans<br />
Kopfende des Mannes, schloss ihm die starrenden Augen und zog ihm die<br />
Decke über den Kopf. Dann schaute ich, ob einer der Anwesenden die Initiative<br />
übernehmen würde. Der Mann, der versprochen hatte, sich um die verwaiste<br />
Familie zu kümmern, schien diese Aufgabe übernehmen zu wollen, was mich<br />
sehr erleichterte.<br />
Nun konnte ich mich dem anderen Verletzten widmen. Ich ging hinüber zur<br />
anderen Gruppe und nickte traurig, als ich gefragt wurde, ob der Schwerverletzte<br />
gestorben sei. Den am Arm verletzten Mann forderte ich auf, vorsichtig<br />
in ein Haus zu gehen, in dem er sich hinlegen konnte, denn im Sitzen wollte ich<br />
ihm die Nähaktion nicht zumuten. Zwei Dorfbewohner halfen ihm auf, aber er<br />
schien relativ gut in der Lage, aufrecht zu stehen, daher war es letztlich nur<br />
einer, der ihn am unverletzten Arm ergriff und ins Dorf begleitete.<br />
Wir gingen zum zweiten Haus hinter dem Dorfeingang, das anscheinend dem<br />
Helfer gehörte, denn dieser hatte einen Schlüssel, um die Tür zu öffnen. Dem<br />
Verletzten wurde ein breites Sofa angeboten, was er dankend annahm. Ich<br />
entfernte den Verband und sah mir die Wunde genau an. Sie war zwar fast zehn<br />
Zentimeter lang und klaffte auseinander, aber sie sah sauber aus, was mich sehr<br />
erleichterte. Beim Abnehmen des Verbandes merkte ich, dass meine Hände<br />
immer noch zitterten. Hoffentlich würden sie sich wieder beruhigen, bis ich mit<br />
der Arbeit anfangen musste. Aus meiner Tasche holte ich eine Flasche Schnaps,<br />
Desinfektionsmittel, sterile Handschuhe und mein eingeschweißtes Nähwerkzeug.<br />
Den Schnaps hatte ich zwar vorwiegend als Desinfektionsmittel<br />
eingelagert, für Zeiten, in denen es keine medizinischen Desinfektionsmittel<br />
mehr gab, aber als Ersatz für eine örtliche Betäubung würde er bestimmt auch<br />
dienen. Der Verletzte nahm mein Angebot gerne an und stürzte die zwei Gläschen<br />
Schnaps zügig hinunter.<br />
Das Vernähen von großen Wunden hatte ich zwar mal an einem Spanferkel<br />
geübt, aber noch nie an einem lebenden Menschen. Daher war ich ziemlich<br />
aufgeregt. Ein Teil von mir war aber von den Ereignissen so durcheinandergewirbelt,<br />
dass es mir wie ein Film erschien, in dem es ganz normal war, dass ich<br />
jetzt eine Wunde vernähen würde.<br />
Also zog ich mir die sterilen Handschuhe an, desinfizierte die Wunde und ergriff<br />
die Nadel. Beim ersten Stich zuckte der Verletzte zusammen, aber es<br />
funktionierte, denn der Knoten schien zu halten. Bei den nächsten Stichen<br />
wusste ich schon eher, wie groß der Widerstand der Haut war, was mir half, die<br />
Stärke der Stiche besser einzuschätzen. Nach zehn Stichen war die Wunde<br />
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