Lebenslust Gottingen - Ausgabe Herbst 2015

66 ZU GUTER LETZT lebenslust:gö
Der alltägliche Wahnsinn ‒ schöne heile Welt?
Der Sommer bringt es an den Tag . . .
Rudi Assauer, auch bekannt als „Stumpen-Rudi“,
der einst starke Mann auf
Schalke, hat einmal gesagt: „Wenn der
Schnee geschmolzen ist, wird man sehen,
wo die Scheiße liegt.“ Harte Worte, fürwahr;
und doch bergen sie einen allzu wahren
Kern: Es gibt einfach Umstände oder Zeiten,
zu denen bestimmte Dinge oder Menschen
ihren wahren Kern entblößen.
Das beste Beispiel hierfür ist die Sommerzeit,
wird diese doch gerade von intellektuell
unauffälligeren Mitmenschen nur allzu
gern dazu genutzt, einer breiteren Öffentlichkeit
zu präsentieren, dass das Maß an
Geschmacklosigkeiten nach oben hin nahezu
grenzenlose Möglichkeiten in sich
birgt. Dabei scheint der immanente
Wunsch, das ästhetische
Empfinden der
Mitmenschen mit Augenkrebs
verursachenden
Eigenkreationen zu
beleidigen, stringent
zum Körpergewicht unweigerlich
anzusteigen.
Gibt sich ein mit strahlend
weißen Spargelbeinen
ausgestatteter
normalgewichtiger
Schnurrbartträger noch
mit dem Prototyp der
modischen Ausfallerscheinung
– der Dreiviertelhose
– zufrieden,
wird dies von etwas
schwergewichtigeren
Zeitgenossen meist
nicht mehr als ausreichend empfunden. An
deren Beinen entblößt die große Schwester
der Dreiviertelhose ihr ebenso charakteristisches
ist wie abstoßendes Gesicht: Die Leggings,
Tights oder liebevoll umschreibend
auch Wurstpellenhosen genannten Beinkleider
machen rein optisch gesehen Lust
auf weniger, vor allen Dingen dann, wenn
sie umso mehr zu bedecken haben. Im Inneren
wabert und wogt eine schwelgende
Masse, eingerahmt durch das nach unten
hin abschließende Bündchen, welches sich
tief in das schlaffe Fleisch einschneidet und
hämisch auf und ab wippende Fettwülste
präsentiert.
Kombiniert wird ein solches „Outfit“ gerne
mit einem bauchfreien Oberteil, welches
Mühe hat, den ausladenden Brüsten der
meist weiblichen Mannequins Einhalt zu
gebieten. Zum Bauch hin scheint dieses
Kleidungsstück den ungleichen Kampf bereits
aufgegeben zu haben, denn hier präsentieren
sich stellenweise beeindruckende
Fettmassen, die, gleichsam gnädig, teilweise
den gesamten Genitalbereich schürzenartig
bedecken.
Uns als ob dieses Schauspiel nicht schon in
Schwarz-Weiß deutlich genug der Evolution
ihr eigenes Versagen vor Augen führen
würde, dürfen bunte Farbklekse natürlich
nicht fehlen. Angefangen bei den mindestens
2 bis 3-farbig präsentierten Haaren
über grell bunt und
mit irrewitzigen Motiven
ausgestatteten
Finger- und Fußnägel
creszendiert dieses
verstörend bunte
Potpourri in der bizarren
Farb- und
Formgebung unterschiedlichster
Tätowierbilder,
die, gern
auch als „Arschgeweih“
getragen, derartige
Luxuskörper
abrunden.
Wenn in den Wintermonaten
noch die
Gnade der kalten
Temperatur das Heer
der Geschmacklosen zwang, das breit gefächerte
Arsenal derartiger Widerlichkeiten
wärmend zu bedecken, hilft dieser Schutzreflex
der Natur im Sommer nicht mehr
weiter.
Mit den wärmenden Hüllen fallen auch die
letzten Skrupel und so wird gewissenlos
präsentiert, was nicht zur Präsentation
gedacht ist.
Man kann nur hoffen, dass die allgemeine
Klimaerwärmung nicht zur Ausdehnung
dieses Phänomens beitragen wird. Und
auch hier gilt: Die Hoffnung stirbt zuletzt. ■
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