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Lebenslust Gottingen - Ausgabe Herbst 2015

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lebenslust:gö LESEN 53<br />

HANNI MÜNZER<br />

Honigtot<br />

Dr. Ruth Cornelie Hildebrandt, Jahrgang<br />

65, war und ist im höchsten<br />

Maße literaturbegeistert, außerdem hat<br />

sie die „Autorensucht“, das heißt, dass<br />

sie die Begegnung mit schreibenden<br />

Men schen liebt. Nach ihrem Studium in<br />

Göttingen, Toulouse und Bonn (Germa -<br />

nistik und Kunstgeschichte) promovierte<br />

sie über bürgerliche Frauen -<br />

schicksale in der deutschen Literatur<br />

des letzten Jahrhunderts. Seit 2004 ist<br />

Frau Dr. Hildebrandt im Bereich der<br />

Kinder- und Jugendliteratur tätig und<br />

lässt als Organisatorin der „Schülerlesetage<br />

Göt tingen“ Literatur lebendig<br />

werden. In ihrer Freizeit ist sie Gärtnerin<br />

aus Lei denschaft, kocht, richtet gerne<br />

ein und ist dem Familienhund Anton<br />

ein aufopferungsvolles Frauchen.<br />

Die 18jährige Deborah ist voller Hass.<br />

Ihr Hass ist so stark, dass er ihr die<br />

Kraft gibt, Vergewaltigung und<br />

Flucht zu überstehen, nur um ihren Peiniger<br />

eines Tages zur Strecke bringen zu können.<br />

Ihr Teufel in Gestalt von Albrecht Brunnmann<br />

ist gut zu erkennen, denn er trägt den<br />

schwarzen Totenkopf von Hitlers Todesschwadron<br />

am Uniformkragen. Doch tritt er<br />

charmant und ritterlich auf und gibt vor,<br />

Deborahs Mutter ebenso beschützen zu<br />

wollen wie Deborahs behinderten kleinen<br />

Bruder. Damit verschafft er sich Zugang zu<br />

ihrer Familie und kann nun sein zerstörerisches<br />

Netz spinnen. Während die Mutter<br />

den Pakt mit dem Teufel bewusst und sehenden<br />

Auges in dem Glauben eingeht, so<br />

ihre Kinder schützen zu können, verfällt ihm<br />

Deborah mit der sinnlichen Naivität einer<br />

Heranwachsenden.<br />

Skrupellos lässt Brunnmann Deborahs Vater,<br />

einen jüdischen Arzt, verschwinden und<br />

umbringen, Deborah und ihren Bruder<br />

Wolfgang entführen, einsperren und foltern<br />

und vereitelt so die Flucht der Familie aus<br />

Nazideutschland. Unter Vorspiegelung fal-<br />

scher Tatsachen heiratet er dann Deborahs<br />

Mutter, die eine schöne und berühmte Sängerin<br />

ist, um schließlich seine Stieftochter<br />

Deborah zu verführen und sogar zu<br />

schwängern.<br />

Grauen, Angst und Willkür<br />

Dieses Familienschicksal wird von der Autorin<br />

geschickt in den Kontext einer Zeit gestellt,<br />

die von Grauen, Angst und Willkür<br />

geprägt ist wie kaum eine andere: Es ist das<br />

Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen<br />

– Handlungsbeginn ist der Hitlerputsch<br />

in München 1923 – bis zum Kriegsende.<br />

„Mehr und mehr geriet die Arche Noah (ein<br />

Bild für Deborahs Familie) in den gefährlichen<br />

Sog der Gezeiten und trieb in den aufgewühlten<br />

Tiefen der Sorgen dahin.“<br />

Judenvervolgung und Widerstand<br />

Was zu Beginn noch wie eine harmlose Familiengeschichte<br />

beginnt, entwickelt sich<br />

rasch zu einem packenden Drama mit<br />

wechselnden Hauptfiguren. Hierdurch erlebt<br />

der Leser spannungsvolle Handlungsverläufe<br />

und überraschende Wendungen.<br />

Hanni Münzer verwendet hierfür neben<br />

fiktiven Schauplätzen reale Orte dieser Zeit<br />

und kombiniert erdachte Personen mit historischen<br />

belegten Größen des NS-Regimes.<br />

Somit ermöglicht sie auch historisch<br />

weniger vertrauten Lesern einen ganz eigenen<br />

Zugang in die Zeit des „dritten Reiches“<br />

und thematisiert Aspekte wie Judenverfolgung,<br />

Widerstand und Euthanasie in<br />

einer Weise, dass sie in ganz neuem Licht<br />

erscheinen.<br />

Auf der Suche nach der Wahrheit<br />

Eingebettet ist das Geschehen in eine Rahmenhandlung,<br />

die im Amerika unserer Gegenwart<br />

spielt. Es ist die Enkelin Deborahs,<br />

Felicity, die sich auf die Suche nach der<br />

Wahrheit macht, um den Schlüssel zu ihrer<br />

Kindheit ohne mütterliche Liebe und ihrer<br />

eigenen Rastlosigkeit zu finden. Deutlich<br />

wird gezeigt, dass Hass ein schweres Erbe<br />

ist, dessen Macht sich nur brechen lässt im<br />

Erkennen der Gründe, durch die er entstanden<br />

ist.<br />

„Honigtod“ ist ein ergreifender Appell an<br />

das Recht der Kinder auf ein Leben in Wahrheit<br />

und Liebe in einer Welt ohne Krieg und<br />

menschenfeindlichen Ideologien und somit<br />

ein Buch von immer gültiger Aktualität. ■

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