Welt im Wandel: Energiewende zur Nachhaltigkeit - WBGU
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58 3 Technologien und nachhaltige Potenziale<br />
Beurteilung der Kl<strong>im</strong>awirkung von Wasserkraftwerken<br />
müssten für jeden Einzelfall die langfristigen<br />
Treibhausgasbilanzen vor und nach der Überflutung<br />
miteinander verrechnet und dabei auch die Sekundäreffekte<br />
berücksichtigt werden (z. B. durch<br />
Umsiedlung ausgelöste Rodung, veränderte Kohlenstoffflüsse<br />
oberhalb und unterhalb des Damms;<br />
WCD, 2000). Das Erstellen von vollständigen Kl<strong>im</strong>abilanzen<br />
von Wasserkraftprojekten bleibt eine wichtige<br />
Forschungsaufgabe für die Zukunft.<br />
Technologierisiken<br />
Staudämme können brechen, was durch plötzliches<br />
Freiwerden großer Wassermassen zu vielen Opfern<br />
und schweren Schäden führen kann. Die bisher<br />
schwerste Staudammkatastrophe ereignete sich während<br />
eines Taifuns <strong>im</strong> August 1975 in Henan, China.<br />
62 Staudämme wurden zerstört, allein durch den<br />
Bruch des Banqiao-Damms wurden 500 Mio. m 3<br />
Wasser freigesetzt, Dörfer und kleine Städte ausgelöscht.<br />
Mehr als 200.000 Menschen verloren ihr<br />
Leben (McCully, 1996). 2,2% aller vor 1950 gebauten<br />
Dämme haben versagt, während bei den später<br />
gebauten Dämmen dieser Anteil mit unter 0,5%<br />
deutlich niedriger liegt (WCD, 2000). Da bei der Planung<br />
von Dämmen meist vom bisherigen langjährigen<br />
Mittel der kl<strong>im</strong>atischen und hydrologischen Verhältnisse<br />
ausgegangen wurde, kann der globale Kl<strong>im</strong>awandel<br />
durch veränderte extreme Niederschlagsereignisse<br />
zusätzliche Sicherheitsrisiken mit sich<br />
bringen. Weitere Risiken liegen <strong>im</strong> vorsätzlichen<br />
Zerstören von Staudämmen bei militärischen Konflikten<br />
oder durch Terrorismus.<br />
Wirkungen auf die menschliche Gesundheit<br />
Durch den Stausee und angeschlossene Bewässerungsprojekte<br />
werden große Flächen mit stehendem<br />
Wasser bedeckt. Dies führt in den Tropen zu einem<br />
erhöhten Risiko für an Wasser gebundene Infektionskrankheiten<br />
(Nash, 1993). Nach dem Bau tropischer<br />
Staudämme treten häufig erheblich erhöhte<br />
Infektionsraten von Bilharziose auf, z. B. stiegen<br />
be<strong>im</strong> Akosombo-Damm in Ghana die Raten bei Kindern<br />
von unter 10% auf 90% (1966–69; McCully,<br />
1996). Malaria, Enzephalitis, Rift-Valley-Fieber, Filariosen,<br />
Vergiftungen durch Toxine aus giftigen Blaualgen<br />
und durch aus dem überfluteten Boden gelöstem<br />
Quecksilber sind weitere Beispiele für lebensbedrohliche<br />
direkte Gesundheitsfolgen (WCD, 2000;<br />
McCully, 1996). Es müssen aber auch die indirekten<br />
Konsequenzen durch die schlechtere Wasserqualität<br />
des stehenden Gewässers (Diarrhö) und Mangelernährung<br />
als Folge der Zerstörung gesellschaftlicher<br />
Lebenszusammenhänge, durch die Überflutung<br />
fruchtbarer Böden und die Umsiedlung der<br />
lokalen Bevölkerung bei der Bewertung berücksich-<br />
tigt werden (Lerer und Scudder, 1999). Im günstigen<br />
Fall können Stauseen die Wasserversorgung verbessern<br />
sowie Bewässerungslandwirtschaft und Fischerei<br />
ermöglichen, was sich positiv auf die Ernährungssicherheit<br />
auswirkt.<br />
Soziale und gesellschaftliche Folgen<br />
Wasserkraft liefert etwa 19% des weltweiten Stromangebots<br />
und ist somit derzeit die bei weitem größte<br />
erneuerbare Energiequelle für die Stromproduktion.<br />
In 24 Ländern trägt sie mit mehr als 90% <strong>zur</strong> Stromversorgung<br />
bei. Be<strong>im</strong> Bau der meisten großen Wasserkraftwerke<br />
gab es zwar Kosten- und Zeitüberschreitungen,<br />
aber die geplanten elektrischen Leistungen<br />
und die ökonomische Profitabilität wurden in<br />
der Regel erreicht (WCD, 2000).<br />
Großstaudämme bringen aber auch Verlierer hervor,<br />
vor allem die unter Zwang und teils erheblicher<br />
Verletzung der Menschenrechte umgesiedelte<br />
Bevölkerung. Im 20. Jahrhundert waren davon 30–80<br />
Mio. Menschen betroffen und das 21. Jahrhundert<br />
beginnt ähnlich: der Drei-Schluchten-Damm in<br />
China wird mehr als 1,1 Mio. Menschen vertreiben,<br />
der Pa-Mong-Damm (Laos und Thailand) 500.000<br />
Menschen (WCD, 2000; UNDP et al., 2000). Häufig<br />
haben die betroffenen Bevölkerungsgruppen weder<br />
adäquate Kompensation für die erlittenen Vermögenseinbußen<br />
noch geeignete landwirtschaftliche<br />
Ersatzflächen erhalten, erst Recht nicht, wenn sie<br />
weit entfernt flussabwärts siedeln. Nicht monetär zu<br />
erfassen ist der Verlust an kulturellen und religiösen<br />
Werten sowie an sozialem Zusammenhalt und gesellschaftlicher<br />
Identität. Dies trifft besonders die indigenen<br />
Gemeinschaften, deren Kultur und Lebensstil<br />
in der Tradition verwurzelt und sehr eng mit dem<br />
Standort und seinen natürlichen Ökosystemen verknüpft<br />
ist (McCully, 1996). Die Analyse von Fallstudien<br />
belegt, dass Partizipation der betroffenen Menschen<br />
bei bisherigen Staudammprojekten kaum eine<br />
Rolle spielte, Entschädigungszahlungen meist un<strong>zur</strong>eichend<br />
waren und die angesprochenen sozialen<br />
Effekte in den Planungen der Dammkonstrukteure<br />
regelmäßig unberücksichtigt blieben (WCD, 2000).<br />
<strong>Nachhaltigkeit</strong> von Wasserkraft<br />
Zwangsumsiedlung, mangelnde Partizipation, ungerechte<br />
Verteilung der ökonomischen Vorteile und<br />
negative ökologische Konsequenzen der Dammbauten<br />
schaffen gesellschaftliches Konfliktpotenzial<br />
(Bächler et al., 1996).Als Reaktion nahm in den letzten<br />
Jahrzehnten der politische Widerstand gegen<br />
Staudämme zu (UNDP et al., 2000), was nicht ohne<br />
Einfluss auf Kreditgeber und internationale Institutionen<br />
blieb. Es setzte langsam ein Umdenken und<br />
schließlich ein offener Diskussionsprozess ein. Zum<br />
Beispiel überprüfte die <strong>Welt</strong>bank, die einen erheb-