Welt im Wandel: Energiewende zur Nachhaltigkeit - WBGU
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132 4 Nachhaltige Transformation der Energiesysteme<br />
4.3.2.7<br />
Gesundheitsfolgen der Energienutzung<br />
Der Sozialpakt formuliert Gesundheit als fundamentales<br />
Menschenrecht (Art. 12), aber ebenso das<br />
Recht auf einen angemessenen Lebensstandard<br />
(Art. 11) und meint damit auch den Zugang zu Energie,<br />
z. B. um zu kochen und zu heizen (Leitplanke<br />
Zugang zu moderner Energie). In vielen Ländern<br />
und Regionen der Erde ergibt sich daraus ein Spannungsverhältnis,<br />
weil keine „saubere“ oder der Nutzungsform<br />
angepasste Energie <strong>zur</strong> Verfügung steht.<br />
Die dort eingesetzten Energieträger können die<br />
menschliche Gesundheit erheblich belasten. Insgesamt<br />
werden ca. 25–33% der Gesundheitsbelastung<br />
auf Umweltrisikofaktoren <strong>zur</strong>ückgeführt (Smith et<br />
al., 1999), aber es ist schwierig, zwischen der Gewinnung<br />
und dem Einsatz von Energie auf der einen<br />
Seite und Gesundheitsschäden auf der anderen Seite<br />
eindeutige Kausalketten zu bilden. Neben den<br />
grundsätzlichen Risiken, die be<strong>im</strong> Umgang mit Energie<br />
nicht zu vermeiden sind, sind es vor allem zwei<br />
Bereiche, deren Gesundheitsfolgen nachgewiesen<br />
sind und die dem Beirat für die Definition von Leitplanken<br />
global relevant scheinen:<br />
1. Die lokale Luftverschmutzung in Städten und in<br />
Innenräumen wird weltweit als einer der wichtigsten<br />
Risikofaktoren für Gesundheitsschäden und<br />
Mortalität genannt (vor allem bei Atemwegserkrankungen;<br />
Michaud et al., 2001;WHO, 2002b).<br />
Verursacher sind Emissionen aus der Verfeuerung<br />
fossiler Brennstoffe oder von Biomasse (Kap.<br />
3.2.1, 3.2.4). Die Technik der Verbrennung (vom<br />
Drei-Steine-Herd bis zum modernen emissionsarmen<br />
Kraftwerk) ist dabei ganz entscheidend für<br />
das Ausmaß der Gesundheitsfolgen.<br />
2. Radioaktive Strahlung ist gesundheitsschädlich,<br />
so dass die Nutzung der Kernenergie (von der<br />
Extraktion des Uran bis <strong>zur</strong> Wiederaufbereitung<br />
und Endlagerung) <strong>im</strong>mer mit Gesundheitsrisiken<br />
verbunden ist (Kap. 3.2.2).<br />
Zur Formulierung von Gesundheitsleitplanken <strong>im</strong><br />
Sinn tolerierbarer Grenzen der Gesundheitsbelastung<br />
(Morbidität) als Folge von Energiegewinnung<br />
und -nutzung können DALYs (Disability Adjusted<br />
Life Years) herangezogen werden. DALYs sind ein<br />
in verringerter Lebenszeit ausgedrücktes Maß für<br />
die Gesundheitsbelastung. Sie setzen sich zusammen<br />
aus Lebensjahren, die mit Gesundheitseinschränkungen<br />
oder Krankheit gelebt werden müssen und<br />
den Lebensjahren, die durch vorzeitigen Tod verloren<br />
gehen (Murray und López, 1996). Dieser Indikator<br />
wird allerdings wegen der Gewichtung des Alters<br />
und best<strong>im</strong>mter Krankheiten kritisiert, weil dadurch<br />
best<strong>im</strong>mte Gesundheitsfolgen über- bzw. unterbewertet<br />
werden können (z. B. UNDP, 2002b). Den-<br />
noch sind DALYs <strong>im</strong> Moment das beste <strong>zur</strong> Verfügung<br />
stehende Maß für standardisierte und vergleichbare<br />
Aussagen. Die WHO hat <strong>im</strong> World Health<br />
Report 2002 bereits begonnen, konkrete Risikofaktoren<br />
best<strong>im</strong>mten Gesundheitsfolgen und -belastungen<br />
zuzuordnen und den verursachten Anteil in<br />
Form von DALYs zu quantifizieren, so auch für Luftverschmutzung<br />
in Städten und Rauch in Innenräumen<br />
(WHO, 2002b).<br />
Definition der Leitplanke<br />
Bei Verfeuerung fossiler Brennstoffe und von Biomasse<br />
entsteht Luftverschmutzung durch Gase und<br />
Partikel, die erhebliche gesundheitliche Risiken für<br />
die exponierte Bevölkerung birgt (Abb. 4.3-3).<br />
Städtische Luftverschmutzung verursacht vor<br />
allem in den rasch wachsenden Megastädten in Entwicklungs-<br />
und Transformationsländern erhebliche<br />
Gesundheitsbelastungen, an deren Folgen jährlich<br />
0,8 Mio. Menschen sterben (Kap. 3.2.1.3). Nahezu die<br />
Hälfte der weltweit 7,9 Mio. DALYs, die der städtischen<br />
Luftverschmutzung zu<strong>zur</strong>echnen sind, belasten<br />
die Bevölkerung in der westlichen Pazifikregion<br />
und in Südostasien (insbesondere China).<br />
Rauch in Innenräumen durch Verfeuerung fester<br />
Brennstoffe in Haushalten (vor allem von Biomasse)<br />
ist eine noch größere Gefährdung, die jährlich ca. 2<br />
Mio. Menschen vor allem in Entwicklungsländern<br />
das Leben kostet (Kap. 3.2.4.2; UNDP, 2002a). Von<br />
den durch Innenraumluftverschmutzung verursachten<br />
DALYs sind jeweils ca. ein Drittel Afrika und<br />
Südostasien zuzuordnen. In Indien ist die Krankheitsbelastung<br />
durch Verschmutzung der Innenraumluft<br />
sogar größer als durch Rauchen oder Malaria<br />
(Kasten 3.2-1).<br />
Bereits heute werden für städtische Luftverschmutzung<br />
und Verschmutzung der Innenraumluft<br />
in großen Teilen der <strong>Welt</strong> Werte unter 0,5% Anteil an<br />
den regionalen DALYs erreicht (Abb. 4.3-3). Der<br />
Beirat schlägt daher als Leitplanke vor, dass der<br />
Anteil der regionalen DALYs, welcher durch beide<br />
Risikofaktoren verursacht wird, für alle WHO-<br />
Regionen und -Subregionen auf unter 0,5% gesenkt<br />
werden soll.<br />
Dazu ist der Ausstieg aus den gesundheitsschädigenden<br />
Formen der traditionellen Biomassenutzung<br />
und die Entwicklung und Umsetzung entsprechender<br />
Alternativen notwendig, was eine große Herausforderung<br />
darstellt (Bereitstellung sauberer Brennstoffe,<br />
verbesserte Verbrennungs- und Belüftungstechnik;<br />
Kasten 2.4-1; Kap. 5.2.3.2). Zur Einhaltung<br />
der Leitplanke kann man Grenzwerte für Luftschadstoffe<br />
festlegen. Die WHO evaluiert seit den 1950er<br />
Jahren die gesundheitlichen Folgen der Emission von<br />
Luftschadstoffen, hat 1987 die „Air Quality Guidelines<br />
for Europe“ formuliert und später auf die globale