Welt im Wandel: Energiewende zur Nachhaltigkeit - WBGU
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Begründung der Leitplanke<br />
Die Ermittlung eines Mindestbedarfs an Energie pro<br />
Kopf ist mit erheblichen Problemen normativer wie<br />
methodisch-technischer Art behaftet. U. a. müssen<br />
kl<strong>im</strong>atisch-geographische Aspekte ebenso berücksichtigt<br />
werden wie kulturelle, demographische und<br />
sozioökonomische Faktoren. Ferner müssen bei der<br />
Überführung der Energiedienstleistungen in die<br />
benötigen Energiemengen Annahmen über die eingesetzten<br />
Technologien getroffen werden. Daher gibt<br />
es in der Literatur kaum differenzierte Angaben<br />
über solch einen Mindestbedarf.<br />
Trotz dieser Probleme erscheint die Ableitung<br />
vertretbar (Tab. 4.3-3), da dieser Mindestbedarf nicht<br />
als Ziel definiert wird, sondern als absolutes Min<strong>im</strong>um,<br />
dessen Verfehlung als nicht nachhaltig eingestuft<br />
werden muss. In Tabelle 4.3-3 werden effiziente<br />
Technologien vorausgesetzt, die dem momentanen<br />
Stand der Technik entsprechen.<br />
Bedarf an elektrischer Energie<br />
Der individuelle Mindestbedarf an elektrischer<br />
Energie <strong>zur</strong> Sicherstellung einer Grundversorgung<br />
für Beleuchtung, Kühlung von Lebensmitteln und<br />
Kommunikation liegt demnach bei ca. 60 kWh pro<br />
Kopf und Jahr für den Fall eines 5-Personen-Haushalts.<br />
Für 2-Personen-Haushalte, deren Zahl auch in<br />
Entwicklungsländern zun<strong>im</strong>mt, müsste unter der<br />
Annahme eines etwas niedrigeren Haushaltsbedarfs,<br />
wie z. B. ein kleinerer Kühlschrank, ca. 100 kWh pro<br />
Kopf und Jahr angesetzt werden.<br />
Die Studie der G8 Renewable Energy Task Force<br />
(2001) ist eine der wenigen, die den Grundbedarf an<br />
elektrischer Energie quantitativ aufgeschlüsselt hat.<br />
Sie kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Eine chinesische<br />
Untersuchung unterscheidet zwischen niedrigem,<br />
mittlerem und hohem Grundbedarf eines 4-<br />
Personen-Haushalts und setzt den Bedarf für China<br />
auf umgerechnet 37, 94 bzw. 668 kWh pro Kopf und<br />
Jahr fest (Chen et al., 2002). Anders als in Tabelle<br />
4.3-3 ist allerdings Kühlung <strong>im</strong> niedrigen und mittleren<br />
Grundbedarf nicht enthalten, und zum hohen<br />
Grundbedarf wird eine Waschmaschine und eine<br />
Tiefkühltruhe gerechnet.<br />
Der World Energy Council (WEC) schätzt den<br />
momentanen Elektrizitätsverbrauch der Menschen<br />
in Entwicklungsländern, die Zugang zu elektrischem<br />
Strom haben, auf durchschnittlich 1.300 kWh pro<br />
Kopf und Jahr. Im Fünftel mit dem niedrigsten Einkommen<br />
und Stromzugang liegt der Durchschnitt<br />
bei 340 kWh pro Kopf und Jahr (WEC, 2000). Würden<br />
die eingesetzten Technologien durch effizientere<br />
ersetzt, könnte dieser Stromverbrauch sogar mehr<br />
als den Mindestbedarf decken.<br />
Leitplanken für die Transformation der Energiesysteme 4.3<br />
Energiebedarf zum Kochen und Heizen<br />
Der Energiebedarf zum Kochen und Heizen ist<br />
getrennt von den anderen Energiedienstleistungen<br />
zu betrachten, da hierfür keine Elektrizität eingesetzt<br />
werden muss. In den Entwicklungsländern werden<br />
rund 0,15 EJ aus Biomasse zum Kochen verwendet<br />
(IEA, 2001b; G8 Renewable Energy Task Force,<br />
2001). In Tabelle 4.3-3 wird angenommen, dass zum<br />
Grundbedarf des Menschen durchschnittlich 1,5<br />
gekochte Mahlzeiten pro Tag zählen (Grupp et al.,<br />
2002). Bei Einsatz sehr effizienter Gaskocher ergibt<br />
sich ein Energiebedarf von 700–750 Wh pro gekochter<br />
Mahlzeit und somit ein Bedarf von rund 400 kWh<br />
pro Kopf und Jahr.<br />
Der <strong>WBGU</strong> hat das Heizen von Räumen bei der<br />
Ermittlung des individuellen Grundbedarfs in<br />
Tabelle 4.3-3 nicht aufgenommen. Dafür sprechen<br />
vor allem zwei Gründe: Zum einen hängt die Notwendigkeit<br />
zum Heizen und die Menge der hierfür<br />
verwendeten Energie von den jeweiligen kl<strong>im</strong>atischen<br />
und baulichen Bedingungen ab, die inter- und<br />
intranational so stark divergieren, dass eine Aussage<br />
über einen durchschnittlichen Heizbedarf nicht sinnvoll<br />
ist. Zum anderen ist in einem Großteil der Länder<br />
mit niedriger Elektrifizierungsrate und hohem<br />
Anteil traditioneller Biomassenutzung das Heizen<br />
von Wohnräumen kaum notwendig. Im Einzelfall<br />
kann der Energiebedarf für das Heizen jedoch sehr<br />
hoch sein. Zum Beispiel werden für das Beheizen<br />
eines Raums mit 20 m 2 selbst in einem Niedrigenergiehaus<br />
in Deutschland rund 800 kWh pro Jahr benötigt.<br />
Energiebedarf für Transport<br />
Es besteht ein Mindestbedarf an Mobilität, weil<br />
Schulen, medizinische Einrichtungen und Märkte für<br />
jedermann unter zumutbaren Bedingungen erreichbar<br />
sein müssen. Dieser Mindestbedarf variiert vermutlich<br />
noch stärker als in den zuvor behandelten<br />
Bereichen, weil z. B. Infrastruktur und Entfernungen<br />
sehr unterschiedlich sind. Die Umrechnung des<br />
Grundbedarfs an Transportdienstleistungen in Energieeinheiten<br />
ist kaum möglich, da pauschale Annahmen<br />
über das Transportmittel (Kfz, Fähre, Fahrrad,<br />
Tier usw.) nicht getroffen werden können. Daher ist<br />
Energie für Mobilitätserfordernisse in Tabelle 4.3-3<br />
nicht enthalten. Gleichwohl sollte eine „weiche“, d.h.<br />
rein qualitative Mobilitätsleitplanke mitgedacht werden.<br />
Abbau der Disparitäten in der<br />
Energieversorgung<br />
Die Unterschiede in der Deckung des Mindestenergiebedarfs<br />
pro Kopf können sowohl zwischen den<br />
Ländern als auch zwischen den Bevölkerungsgruppen<br />
innerhalb eines Landes sehr groß sein. Die Dis-<br />
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