•ZKN 06-12.indd - Zahnärztekammer Niedersachsen
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Dr. Susanne<br />
von Garrel<br />
FOTO: PRIVAT<br />
Pädagogischer<br />
Systemwechsel<br />
Ein Umdenken<br />
in der Pädagogik<br />
der<br />
Ganztagsschule<br />
beschäftigt jetzt<br />
auch das Max-<br />
Planck-Institut in<br />
Berlin. Deren emeritierter<br />
Direktor,<br />
Professor Wolfgang Edelstein, meint,<br />
man müsse wegkommen von der Fixierung<br />
auf den Unterricht und das Lernen<br />
mehr in den Blick nehmen, um das<br />
weltweit einmalige Phänomen zu<br />
durchbrechen, dass die Hauptschule<br />
als Restschule ein niedriges Bildungsniveau<br />
immer weiter reproduziert. Die<br />
auch von ihm bemühten »Unterschichtenkinder«<br />
könnten sich den Lernrhythmus<br />
der Mittelschichtenkinder<br />
nicht aneignen. Sie verfügten nicht<br />
über die Ausdauer, über sozial interaktive<br />
Aktionsmuster und den Habitus<br />
des Belohnungsaufschubes. In ihrer<br />
anregungsarmen Umwelt gebe es kein<br />
Lernen durch Neugier und Imitation,<br />
auch kein Erlernen eines sprachlichen<br />
Ausdrucks. Armut bedeute auch soziale<br />
Armut und zeitige in der Schule Bildungsarmut.<br />
Hier versteht sich der Begriff von<br />
»Schicht« im Sinne von Abgeschlossenheit<br />
durch mangelnde Chancen für<br />
Kinder aus bildungsfernen Milieus.<br />
Diesen Armutszyklus wollen Edelstein<br />
und viele andere durchbrechen. Beginnen<br />
müsse das mit einer neuen Lehrerethik,<br />
die sich dieser Problematik stellt<br />
und durch Unterricht und Empathie<br />
das chancengerechte Lernen für sozial<br />
benachteiligte Kinder und Jugendliche<br />
avisiert. Zeit ist dabei die Hauptressource<br />
zur Integration und Förderung<br />
dieser Kinder. Die Ganztagsschule wird<br />
deshalb als alternativlos bewertet. Die<br />
Stunden zwischen 13 und 17 Uhr seien<br />
die Zeit, in der der Kampf um diese Kinder<br />
gewonnen oder verloren wird. Es<br />
sei die Zeit, um sie aus ihrem »Unterwasserstart«<br />
ans Licht zu holen. Es sei<br />
die Zeit, in der der Kampf gegen Medien-<br />
und soziale Verwahrlosung gewon-<br />
nen werden kann, in der die Schüler an<br />
Sport, Musik, Interessen, die deutsche<br />
Sprache, die Gemeinschaft und soziale<br />
Verantwortung herangeführt werden<br />
können.<br />
Damit Lehrer dieser Bildung und<br />
Förderung dienen können, brauchen<br />
sie mehr und andere Fortbildung. In<br />
Westdeutschland lebt jedes siebente<br />
Kind, im Osten jedes siebente Kind bis<br />
13 Jahre von Sozialhilfe. Das Problem ist<br />
damit so groß, dass die Lehrer es nicht<br />
wegschieben dürfen mit Hinweis auf<br />
all das, womit die Schule sonst überrollt<br />
wird. Der 45-Minuten-Takt der<br />
Schulstunden gehört zumindest partiell<br />
aufgehoben; Projektunterricht und<br />
Gruppenarbeit, wo auch schwächere<br />
Schüler Lernerfolge haben können, gehören<br />
ebenso dazu wie fächerübergreifender<br />
Epochenunterricht und die Einbeziehung<br />
außerschulischer Lernorte,<br />
damit die benachteiligten Kinder z. B.<br />
ein Konzert, ein Theaterstück, also eine<br />
für sie ferne, andere Welt, erleben dürfen.<br />
Auch Sport, Bewegung außerhalb<br />
von Leistungsaspekten sowie gesunde<br />
Ernährung gehören mit dazu: 20 Prozent<br />
der Kinder sind zu dick und bewegen<br />
sich zu wenig – darunter sind überproportional<br />
viele arme Kinder. Edelstein<br />
ist überzeugt: Die Gesellschaft<br />
kann sich den Erziehungsdefiziten vieler<br />
sozial schwacher Eltern nur mit einer<br />
entwicklungspädagogisch reformierten<br />
Ganztagsschule stellen, die<br />
verpflichtend ist und arme Kinder auch<br />
dann nicht ausschließt, wenn das Essensgeld<br />
nicht gezahlt wird. vG<br />
rundblick, 31.10.20<strong>06</strong><br />
Verfassungsrichter stärken<br />
Datenschutz für Versicherte<br />
Eine Versicherung darf von ihren<br />
Kunden nicht verlangen, dass sie<br />
Ärzte, Behörden und Arbeitgeber<br />
pauschal von der Schweigepflicht entbinden.<br />
Das hat das Bundesverfassungsgericht<br />
in Karlsruhe entschieden<br />
und damit den Datenschutz von Versicherten<br />
gestärkt (Az.: 1 BvR 2027/02).<br />
In dem konkreten Fall hat das Bundesverfassungsgericht<br />
einer Frau Recht<br />
dies & das<br />
gegeben, die sich bei einem Antrag auf<br />
Berufsunfähigkeitsrente weigerte, Ärzte<br />
und Krankenhäuser von der Schweigepflicht<br />
zu entbinden. Stattdessen<br />
bot sie der Versicherung an, Einzelermächtigungen<br />
für jedes Auskunftsersuchen<br />
zu erteilen. Das Versicherungsunternehmen<br />
akzeptierte das aber<br />
nicht und weigerte sich zu zahlen. Daraufhin<br />
klagte die Frau, wurde jedoch<br />
von den Fachgerichten abgewiesen.<br />
Doch ihre Klage vor dem Bundesverfassungsgericht<br />
hatte Erfolg: Nach der<br />
Entscheidung der Karlsruher Richter<br />
muss ein Versicherter die Möglichkeit<br />
haben, die Weiterleitung von Daten<br />
noch kontrollieren zu können. Eine<br />
pauschale Entbindungspflicht – wie<br />
von der Versicherung gefordert – verletze<br />
das informelle Selbstbestimmungsrecht.<br />
Zudem kritisierten die Verfassungsrichter<br />
bei Vertragsabschluss ein erheblichesVerhandlungsungleichgewicht<br />
zwischen der Versicherten und<br />
dem Unternehmen, da die Versicherung<br />
den Vertragsinhalt faktisch einseitig<br />
bestimmen könne. Schließlich sei<br />
nahezu jeder darauf angewiesen, gegen<br />
Berufsunfähigkeit vorzusorgen,<br />
um im Notfall seinen Lebensstandard<br />
zu sichern. Dabei könne der Kunde zwar<br />
die Produkte verschiedener Versicherer<br />
im Hinblick auf die Vertragsbedingungen<br />
vergleichen – ein Wettbewerb über<br />
die datenschutzrechtlichen Konditionen<br />
im Versicherungsfall sei aber nicht<br />
erkennbar. www.facharzt.de, 10.11.20<strong>06</strong><br />
Zollbehörden entdecken<br />
immer mehr gefälschte<br />
Medikamente<br />
Die stetig steigende Zahl gefälschter<br />
Arzneimittel stellt nach Auffassung<br />
der Europäischen Kommission<br />
eine zunehmende Bedrohung<br />
für die EU-Bürger dar. Im vergangenen<br />
Jahr wurden von den EU-Zollbehörden<br />
eine erheblich breitere Palette an Medikamentenplagiaten<br />
sichergestellt<br />
als in den Jahren zuvor, geht aus der am<br />
Freitag in Brüssel veröffentlichten Zollstatistik<br />
her. Gefälscht würden vor al-<br />
12 | 20<strong>06</strong> · ZKN MITTEILUNGEN · 761