Wissenschaft
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<strong>Wissenschaft</strong><br />
Methoden liegen uns nun Daten zur<br />
Fortbewegung von Hunden in bisher<br />
nicht gekannter Genauigkeit vor“, so<br />
Fischer.<br />
Wie lückenhaft und in wesentlichen<br />
Aspekten rundweg falsch das Wissen<br />
über den Bewegungsapparat der Hunde<br />
bis dato war, zeigen zahlreiche Skelett -<br />
darstellungen und -präparate von Hun -<br />
den, wie sie in vielen Lehrbüchern und<br />
Museen bis heute zu sehen sind: Diese<br />
positionieren Hüft- und Schultergelenk<br />
der Tiere auf gleicher Höhe. „Dies setzt<br />
aber voraus, dass sich diese beiden<br />
Gelenke entsprechen und die Dreh -<br />
punkte bei der Bewegung sind – ein Irr -<br />
tum, wie wir jetzt anhand unserer Ana -<br />
ly sen nachweisen können“, macht Prof.<br />
Fischer deutlich. Demnach haben sich<br />
im Laufe der Evolution aus den – zu -<br />
nächst aus je zwei Segmenten bestehenden<br />
– Beinen Gliedmaßen mit je<br />
drei Segmenten entwickelt. „So kommt<br />
bei den Vorderbeinen das Schulterblatt<br />
als körpernahes Segment hinzu. Wäh -<br />
rend bei den Hinterbeinen der Mittel -<br />
fuß umgebaut wurde“, so Evolu tions -<br />
biologe Fischer. Das hat zur Folge, dass<br />
sich nun nicht mehr Oberschenkel und<br />
Oberarm bzw. Unterschenkel und Un -<br />
ter arm in ihrer Bewegung entsprechen,<br />
sondern Schulterblatt und Ober schen -<br />
kel, Oberarm und Unterschenkel und<br />
Unterarm und Mittelfuß. Der Drehpunkt<br />
der Vorderbeine ist das Schulterblatt,<br />
das nur über die Muskulatur mit dem<br />
Skelett verbunden ist. Das eigentliche<br />
Schultergelenk bleibt bei der Fortbewe -<br />
gung der Hunde dagegen nahezu un -<br />
be weglich.<br />
„Diese Erkenntnisse werden die akademische<br />
Lehre verändern“, ist Prof.<br />
Fischer überzeugt. Dafür legen die Zoo -<br />
logen mit ihren Studienergebnissen<br />
nun umfangreiches Anschauungs ma -<br />
terial vor: Anhand der hochaufgelösten<br />
34<br />
der absolut-hund report • 3 / 2011<br />
Röntgen- und Positionsdaten haben die<br />
Forscher die Bewegungsabläufe in<br />
Video sequenzen animiert. So lassen<br />
sich nicht nur die Skelette von Hunden<br />
in Bewegung von allen Seiten betrachten.<br />
Auch die dazugehörende Musku -<br />
latur und ihr Aktivitätsmuster lassen<br />
sich je nach Gangart und Bewegungs -<br />
phase detailiert studieren. „Im Unter -<br />
schied zu bisherigen Animationen basieren<br />
unsere Videosequenzen auf exakten<br />
Messwerten. Damit setzen wir neue<br />
Maßstäbe“, ist sich Fischer sicher.<br />
Eine weitere überraschende Er -<br />
kenntnis liefert die Jenaer Studie zur<br />
Hundefortbewegung hinsichtlich der<br />
Proportionen der Vorderbeine der<br />
unter suchten Hunderassen. Diese erwiesen<br />
sich bei allen Rassen als nahezu<br />
identisch. „Zwar ist klar, dass etwa der<br />
Oberarm eines Schnauzers kürzer ist als<br />
der einer Dogge“, so Fischer. Bezogen<br />
auf die Gesamtlänge des Vorderbeines<br />
betrage dessen Länge aber immer<br />
exakt 27 Prozent. Die relative Länge des<br />
Schulterblattes variiere dagegen zwischen<br />
24 und 34 Prozent. „Bei kurzbeinigen<br />
Hunden ist das Schulterblatt relativ<br />
lang, bei Windhunden relativ kurz.<br />
Aber der Oberarm bleibt immer gleich<br />
lang.“<br />
Dem „Röntgenblick“ verdanken die<br />
Zoologen außerdem die Entdeckung,<br />
dass sich Schulterblatt und Unterarm<br />
bzw. Oberschenkel und Mittelfuß parallel<br />
– wie gekoppelt – bewegen. „Steht<br />
etwa der Unterarm vertikal, dann tut<br />
das auch das Schulterblatt“, erläutert<br />
der Jenaer <strong>Wissenschaft</strong>ler. Dieses Prin -<br />
zip eines „Pantographenbeines“ sei in<br />
seinem Bewegungsablauf hochgradig<br />
von der Länge des dazwischenliegenden<br />
Segmentes abhängig. „Und das ist<br />
der Oberarm, der bei allen Hunden<br />
exakt gleich lang ist.“ Daraus lasse sich<br />
schlussfolgern, dass alle Hunde, egal ob<br />
Chihuahua im Schritt. Die Bewegungen<br />
von 327 Hunden aus 32 Rassen wurden<br />
mit einer Hochgeschwindigkeits-Rönt -<br />
genvideoanlage aufgezeichnet.<br />
Foto: Fischer, aus „Hunde in Bewegung“<br />
zwei oder 80 Kilogramm schwer, sehr<br />
ähnlich laufen.<br />
Ihr umfangreiches Daten- und Bild -<br />
material haben die Jenaer Zoologen in<br />
einer reich illustrierten Publikation<br />
zusam mengefasst. Der soeben erschienene<br />
Band „Hunde in Bewegung“, von<br />
dem es auch eine englischsprachige<br />
Ausgabe („Dogs in Motion“) gibt, richtet<br />
sich nicht nur an ein Fachpublikum.<br />
„Wir wollen damit ausdrücklich alle<br />
Hun de halter und -liebhaber erreichen“,<br />
betont Prof. Fischer. Für das Buch wurden<br />
in enger Kooperation mit zwei Illus -<br />
tratoren über 100 Abbildungen neu<br />
erstellt und eine eigene Bildsprache<br />
gefunden. Dem Band liegt eine DVD mit<br />
umfangreichem Videomaterial bei, das<br />
Hochgeschwindigkeitsvideos ausgewählter<br />
Rassehunde, Röntgenfilme und<br />
viele Animationen beinhaltet.<br />
Bibliographische Angaben:<br />
Martin S. Fischer, Karin E. Lilje: „Hunde in<br />
Bewe gung“, VDH Service GmbH und Franckh-<br />
Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart,<br />
2011, 208 Seiten, Preis: 49,95 Euro, ISBN 978-3-<br />
440-13075-9<br />
Kontakt: Prof. Dr. Martin S. Fischer<br />
Institut für Spezielle Zoologie und<br />
Evolutionsbiologie mit Phyletischem Museum<br />
der Friedrich-Schiller-Universität Jena<br />
E-Mail: martin.fischer[at]uni-jena.de<br />
Weitere Informationen: www.uni-jena.de<br />
Autor: Dr. Ute Schönfelder, Stabsstelle<br />
Kommunikation/Pressestelle<br />
Friedrich-Schiller-Universität Jena