Hochhaus - protocol magazine
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PROTOCOL<br />
UNIVERSITÄT DER KÜNSTE BERLIN<br />
STUDIENGANG ARCHITEKTUR<br />
<strong>Hochhaus</strong><br />
3
Der Name PROTOCOL lässt sich in einem doppelten Sinne verstehen.<br />
Ein Protokoll kann zum einen Dokument dessen sein, was geschehen<br />
ist – zum anderen können Protokolle, wie in der Diplomatie und in der<br />
Informatik, die Voraussetzungen für etwas schaffen, das erst noch geschehen<br />
soll. Auf internationalem Parkett ebenso wie in Rechnernetzwerken liefern<br />
Protokolle einen Rahmen für Kommunikation und Austausch, ein System<br />
von Konventionen, das Begegnungen und Verbindungen ermöglicht.<br />
So verstanden soll PROTOCOL als Zeitschrift des Studiengangs Architektur<br />
der UdK Berlin zweierlei leisten: die Aktivitäten eines Jahres oder eines<br />
Semesters aufzeichnen, Entwurfsprojekte, Vorträge, Seminare, Wettbewerbe<br />
und anderes mehr dokumentieren, aber darüber hinaus auch: eine gemeinsame<br />
Plattform schaffen, auf der diese verschiedenen Aktivitäten in einen<br />
Dialog eintreten. Dazu ist eine Auswahl nötig, denn jede Auswahl bietet<br />
Stoff für Diskussionen. Unsere Auswahl ist in dieser wie in der nächsten<br />
Ausgabe jeweils durch einen inhaltlichen Schwerpunkt motiviert. So werden<br />
Gemeinsamkeiten und Unterschiede sichtbar, so erhält verstreut Produziertes<br />
einen Fokus.<br />
Das Thema „<strong>Hochhaus</strong>“, dem diese Ausgabe gewidmet ist, hat sich dabei<br />
richtiggehend aufgedrängt, gab es doch im vergangenen Jahr eine ganze<br />
Reihe von Projekten und Veranstaltungen, die sich mit Hochhäusern beschäftigt<br />
haben. Diese Häufung kam ohne Absprache zustande – das <strong>Hochhaus</strong><br />
scheint ein Thema von geradezu selbstverständlicher Aktualität zu<br />
sein. Als Auftakt zu dieser Ausgabe fand am Rundgang 2008 eine Podiumsdiskussion<br />
statt, die unter anderem die städtebaulichen, konstruktiven und<br />
symbolischen Aspekte dieses Typus beleuchtete – Themen, die in Beiträgen<br />
dieses Heftes wieder auftauchen. Sowohl die technischen wie die wirtschaftlichen<br />
Rahmenbedingungen, auch das wurde dabei deutlich, schränken<br />
das <strong>Hochhaus</strong> stärker als andere Bautypen ein. Hier räumliche Qualitäten<br />
zu entwickeln, insbesondere solche, die die Öffentlichkeit erreichen, stellt<br />
daher besondere Herausforderungen an den Entwurf. Wie unterschiedlich<br />
man damit umgehen kann, lässt sich an den Projekten ablesen, die wir<br />
in diesem Heft zeigen. Nicht alle beschäftigen sich mit <strong>Hochhaus</strong>bau im<br />
engeren Sinne, aber alle stellen sich den spezifischen Ansprüchen extremer<br />
Dimensionen.<br />
Die Fragen, die mit dem Thema „<strong>Hochhaus</strong>“ verbunden sind, werden<br />
wir nicht hinreichend beantworten können – aber sie zu stellen und einen<br />
gemeinsamen Austausch darüber innerhalb des Studiengangs und über ihn<br />
hinaus zu ermöglichen, das möchten wir erreichen.<br />
Die PROTOCOL-Redaktion<br />
3
<strong>Hochhaus</strong><br />
6<br />
14<br />
Die Aktualität des <strong>Hochhaus</strong>es<br />
Eine Diskussion<br />
Overpowered<br />
Politics and Aesthetics of TV Towers<br />
18 Schwindelnde Höhen<br />
Notizen zum <strong>Hochhaus</strong>film<br />
22 City West<br />
Currywurst und KaDeWe<br />
26 Mehr als eine City<br />
Warum die City West keine<br />
Hochhäuser mehr braucht<br />
30 Konstruktive Aspekte von Hochhäusern<br />
40 Performing Miljacka<br />
Sarajevo, Bosnien und Herzegowina<br />
44 Wohnturm am Nordhafen<br />
48 Wohnscheibe<br />
52 Jagen 110<br />
Rückzugsort Teufelsberg<br />
56 Vertikaler Kiez<br />
Bettina Götz,<br />
Susanne Hauser,<br />
Adolf Krischanitz,<br />
Benedict Tonon,<br />
Günther Zamp Kelp<br />
Friedrich von Borries,<br />
Matthias Böttger,<br />
Anne Horny,<br />
Nic Rauch<br />
Roland Meyer<br />
Leonard Streich<br />
Sebastian José Zell<br />
Holger Alpermann,<br />
Christoph Gengnagel<br />
Tassilo Lochocki,<br />
Diana Šarić<br />
Björn Werner<br />
Christoph Höhne<br />
Marie Bartels,<br />
Philip Heckhausen<br />
Nikolaus von Lüttichau,<br />
Jan Thoelen,<br />
Jana Weidemüller<br />
62 Max-Taut-Preis 2008<br />
Christine Edmaier<br />
64 RAK<br />
Revue-Theater am Kottbusser Tor<br />
Sebastian Lippock<br />
68 Der Diskurs zwischen „Tsangter“ und „Madang“ Byoung Gil Jung<br />
72 Genau so – nur ganz anders<br />
Katharina Bardens,<br />
Frank Schönert<br />
74 15 minutes with Ryue Nishizawa<br />
76 Kommunikationprozesse in Lehre und Entwurf Florian Riegler<br />
78 Lehren oder in Beziehung treten<br />
Enrique Sobejano<br />
80 Zur Frage nach dem Sinn des Raums<br />
Eine Abschiedsrede für Ingeborg Kuhler<br />
Benedict Tonon<br />
84 Rundgang 08 – Architektur<br />
Martin Behrens,<br />
Christoph Höhne,<br />
Masen Khattab<br />
4 PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> 5
Die Aktualität des <strong>Hochhaus</strong>es<br />
Eine Diskussion<br />
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Soiree am Rundgang 08 präsentierte PROTOCOL ein Podiumsgespräch<br />
zum Thema <strong>Hochhaus</strong>. Professorinnen und Professoren des Studiengangs Architektur an der<br />
UdK Berlin diskutierten einen Abend lang untereinander und mit dem Publikum über ökonomische, ökologische,<br />
soziale und symbolische Aspekte dieses Bautyps. Am Podium saßen Bettina Götz, Professorin für<br />
Entwerfen und Baukonstruktion, Adolf Krischanitz, Professor für Stadterneuerung und Entwerfen, Benedict<br />
Tonon, Professor für Grundlagen der Baukonstruktion und Entwerfen, und Günter Zamp Kelp, Professor<br />
für Gebäudeplanung, Raumgestaltung und Vermittlungstechnik. Die Veranstaltung wurde moderiert von<br />
Susanne Hauser, Professorin für Kunst- und Kulturgeschichte. Wir dokumentieren die Diskussion hier in<br />
leicht gekürzter Fassung.<br />
Hauser: Meine Damen und Herren, guten Abend.<br />
Wir werden heute Abend über Hochhäuser sprechen<br />
– Anlass ist die große Häufung von Entwurfsprojekten<br />
zu diesem Thema in diesem Semester. Warum ist es<br />
eigentlich gerade heute so wichtig, sich mit Hochhäusern<br />
auseinanderzusetzen?<br />
Götz: Ich glaube, dass das eigentlich wichtige Thema<br />
nicht Hochhäuser sind, sondern dass es um Verdichtung<br />
geht. Das <strong>Hochhaus</strong> ist eine Typologie, die vor allem<br />
an solchen Punkten der Stadt gebaut wird, wo es eine<br />
gute Anbindung und eine ausgebaute Infrastruktur gibt<br />
und wo es darum geht, nachzuverdichten. Hochhäuser<br />
verbindet man zudem damit, dass sie an der Spitze der<br />
Entwicklung stehen, dass hier die besten und neuesten<br />
Konstruktionen und Materialien angewandt werden. Für<br />
den Architekten ist das <strong>Hochhaus</strong> außerdem interessant,<br />
weil es schon durch seine schiere Größe nach außen wirkt.<br />
Die Vertikalität, die Erschließung, der Innenraum – all<br />
das ist beim <strong>Hochhaus</strong> interessant, weil man da immer an<br />
Extremen arbeitet.<br />
Zamp Kelp: Ich möchte mich gerne auf ein Statement<br />
beziehen, das ich 1986 geschrieben habe: Architektur<br />
wird nicht mehr die Aufgabe haben, Macht zu<br />
demonstrieren. Diese Aufgabe übernehmen die Medien<br />
des projizierten Raumes. Angesichts des raschen Wandels<br />
verfällt auch der architektonischen Anspruch auf Absolutheit.<br />
Ich glaube, das gilt besonders für das <strong>Hochhaus</strong>.<br />
Man kann sich natürlich fragen, was der Wettlauf um das<br />
höchste Haus, der zurzeit im nahen und fernen Osten<br />
statt findet, bedeutet. Für mich ist das ein Zeichen von<br />
Spätkapitalismus, der Gott sei Dank nicht bei uns abgehandelt<br />
wird. Trotzdem ist es natürlich interessant, solche<br />
Volumen herzustellen. Dabei entsteht das Problem, dass<br />
man mit herkömmlichen Baustoffen nicht unbeschränkt<br />
in die Höhe bauen kann. Das eigene Gewicht wird zu<br />
groß und Fundamente sind nur begrenzt belastbar. So ist<br />
zu erwarten, dass das Bauen in Rekordhöhen auch dazu<br />
führen wird, neue Baustoffe zu erzeugen, um diese Höhen<br />
zu erreichen. Was einen neuen Impuls für die Forschung<br />
ergibt.<br />
Krischanitz: Ich sehe drei Gründe für die Beschäftigung<br />
mit dem <strong>Hochhaus</strong>. Der erste ist das Thema der<br />
Nachverdichtung, um die unkontrollierte Ausbreitung<br />
unserer Städte zu verhindern. Der zweite Grund sind<br />
die ökonomischen und vor allem ökologischen Aspekte.<br />
Es gibt so etwas wie eine Ökologie der großen Masse.<br />
Zwar wird das Passivhaus immer im Zusammenhang mit<br />
dem Einfamilienhaus diskutiert, aber gerade das Einfamilienhaus<br />
eignet sich sehr schlecht als Passivhaus. Das<br />
<strong>Hochhaus</strong> dagegen ist dafür sehr gut geeignet, durch seine<br />
Masse, seine Höhe, seine Be- und Entlüftungstechnik.<br />
Dazu kommen neue Möglichkeiten wie die Vakuum-<br />
Dämmung, die aus der Kühlschrank-Technik kommt, auch<br />
immer bessere Verbundgläser. Das <strong>Hochhaus</strong> ist damit<br />
ökologisch und ökonomisch heute viel interessanter als<br />
etwa in den 60er Jahren. Der dritte Grund, das ist der formale<br />
oder symbolische Aspekt: sozusagen das Ornament<br />
der Masse, wo durch die übereinander gestapelten Stockwerke<br />
so etwas wie eine Form-Verdichtung in der Höhe<br />
stattfindet. Gerade diesen Aspekt könnte man natürlich<br />
auch zur Kritik des <strong>Hochhaus</strong>es anführen, indem man<br />
sagt, das ist eine Form, die extrem zentripetal funktioniert,<br />
also auf sich selbst bezogen ist und sich in die Höhe entwickelt.<br />
Diese ganze Turm-Symbolik hat natürlich auch<br />
etwas sehr Männliches, Phallisches. Aber man kann sich<br />
auch andere Hochhäuser vorstellen, die diese vordergründige<br />
Symbolik nicht in Anspruch nehmen, sondern den<br />
Prinzipien wie Addition, Stapelung oder Absicherung in<br />
der Höhe über eine horizontale Gliederung folgen.<br />
Tonon: Ich bin mit meiner Studentengruppe in diesem<br />
Frühjahr nach Chicago gefahren, zur Geburtsstätte<br />
des Präriehauses und des <strong>Hochhaus</strong>es. Der von mir vorgeschlagene<br />
Auseinandersetzungsschwerpunkt thematisierte<br />
den Sinn der Form. Wahrnehmung und Wahrnehmungshorizont<br />
waren Stichworte dieser Auseinandersetzung,<br />
die wir aus dem Seminar des vorangegangenen Wintersemester<br />
mitgebracht hatten. Frank Lloyd Wright macht<br />
mit dem Präriehaus vor etwa 100 Jahren den Versuch,<br />
dem bürgerlichen Dasein aus einem Naturbezug heraus<br />
eine organische Form zu geben. Aus der emporgehobenen<br />
Position, man könnte sagen, von der erhabenen Warte der<br />
Bel Étage des „Robie“-Hauses – zwischen Stadt und Land<br />
– erhält das Verhältnis von innerem Horizont des bürgerlichen<br />
Lebens und äußerem Horizont der menschlichen<br />
Natur eine neue Reichweite der Selbsterfahrung. Unter<br />
nicht mehr handwerklichen, sondern technischen Bedingungen<br />
bildet Mies van der Rohe dieses Verhältnis später<br />
um. Mit dem Emporheben der Wohnebenen der Lake<br />
Shore Drive Appartements wird das Verhältnis zwischen<br />
bürgerlichem Leben und menschlicher Natur auseinander<br />
gezogen, bleibt aber aufeinander bezogen. Die Relation<br />
von Innenhorizont und Außenhorizont kommt in eine<br />
Schwebe zwischen fern und nah. Erst in der historischen<br />
Folge werdensie getrennt und ensteht das Problem der<br />
Selbstvergegenwärtigung und Selbstdarstellung.<br />
Hauser: Das Thema der Symbolik und der Selbstdarstellung,<br />
das bereits angesprochen wurde, würde ich<br />
jetzt gerne vertiefen: Welche Symbolik hat ein <strong>Hochhaus</strong>?<br />
Haben Hochhäuser prinzipiell immer dieselbe Symbolik,<br />
welche Symbolik sollten sie haben?<br />
Zamp Kelp: Es gibt, würde ich sagen, zwei Arten. Die<br />
einen wechseln ihre Kleider wie ein Chamäleon. Das sind<br />
jene Hochhäuser, die mediale Projektionen tragen. Die<br />
anderen sind jene, die sich selbst darstellen und auf diese<br />
Weise Identität erzeugen. Wobei mir das, was die internationale<br />
Architektenschaft da zurzeit weltweit produziert,<br />
in seiner formalen Ambition, sehr gleichförmig erscheint<br />
und möglicherweise im Hinblick auf Identitätsbildung<br />
kontraproduktive Wirkung haben kann.<br />
Götz: Wenn man die Silhouetten von Städten mit<br />
Hochhäusern anschaut, dann ergibt sich so etwas wie<br />
eine Mega-Ordnung. Das macht Hochhäuser natürlich<br />
interessant, dass man mit ihnen landmarks schafft, so wie<br />
es früher die Dome waren, und damit eine ganz andere<br />
Wirkung in die Weite hat. Dass viele Hochhäuser heute<br />
sehr gleichförmig und uninteressant ausschauen, liegt vor<br />
allem an ihrer Monofunktionalität. Es gibt zurzeit aber<br />
auch Projekte, wo man beginnt, in der Vertikalen ganz unterschiedliche<br />
Nutzungen zu stapeln. Da kann man dann<br />
auch ganz anders mit dem Innenraum arbeiten. Viele<br />
herkömmliche Hochhäuser bestehen einfach aus übereinander<br />
gestapelten Geschossebenen. Da müsste man<br />
schon drauf schreiben, dass man in einem <strong>Hochhaus</strong> ist<br />
– weil die Vertikalität überhaupt nicht thematisiert wird,<br />
solange man nicht hinaussieht. Es ist immer eine Frage der<br />
Erschließung. Das war auch ein Ergebnis unseres <strong>Hochhaus</strong>seminars<br />
von diesem Jahr, wo wir unterschiedlichste<br />
<strong>Hochhaus</strong>neubauten untersucht haben. Sehr oft liegt die<br />
Erschließung im Kern des <strong>Hochhaus</strong>es. Man steigt also<br />
6 PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> 7
aus dem Lift aus und hat überhaupt keinen Bezug zum<br />
Außenraum, was ja eigentlich eine Katastrophe ist. Denn<br />
genau das ist doch das Thema des <strong>Hochhaus</strong>es: die Übersicht.<br />
Noch dazu ist es auch die einzige Gebäudetypologie,<br />
die mir einfällt, die man nicht erschreitet. Niemand würde<br />
in einem <strong>Hochhaus</strong> zu Fuß gehen, sondern man fährt<br />
immer mit dem Aufzug.<br />
Krischanitz: Ich möchte auf das zurückkommen, was<br />
Tonon angedeutet hat – dass in Chicago die Hochhäuser<br />
so dicht stehen, dass der Überblick und Ausblick nicht<br />
mehr gegeben ist, sondern immer von anderen Hochhäusern<br />
verstellt ist. So sind viele Höhen der Höhe Tod. Diese<br />
fast kubistische Anmutung, dass man immer Ausschnitte<br />
von anderen Hochhäusern sieht und dazwischen vielleicht<br />
zufällig irgendwann mal durch, ist zwar auch eine interessante<br />
Ästhetik, die in mehreren Phasen der Entwicklung<br />
des <strong>Hochhaus</strong>es immer wieder zelebriert wurde. Aber was<br />
sich natürlich jeder irgendwie wünscht, ist der Turm, der<br />
rundherum freien Blick hat. Eine Gruppe von Hochhäusern<br />
zu bauen, die sich dadurch auch wieder relativieren<br />
und plötzlich eine räumliche Konstellation bilden, ist<br />
interessant, wie das gestalterisch bewusste Umgehen mit<br />
Häusern von unterschiedlicher Höhe, die miteinander ein<br />
Ensemble bilden.<br />
Hauser: Ich würde gern auf die Frage nach dem Symbolischen<br />
zurückkommen.<br />
Tonon: Es genügt, zu Mies van der Rohe zurück zu<br />
gehen, sich das Federal Office in Chicago anzusehen oder<br />
den Lakeshore Drive – dort ist es das Ziel der Architektur,<br />
zu einer Selbstverständlichkeit von Material und Form<br />
zu kommen. Das Selbstverständnis dieser Architektur<br />
besteht darin, die Stofflichkeit in der Formumsetzung zur<br />
Sprache zu bringen und sagen zu können: Darin geben wir<br />
uns unsere Form. Das ist bis Ende der 60er Jahre das Ziel<br />
der Architektur gewesen, und es war kein Ziel, das außerhalb<br />
der Erreichbarkeit schien. Deswegen sind auch die<br />
Hochhäuser von Mies noch in einem Gleichgewicht zwischen<br />
Selbstgegenwart und Selbstdarstellung, das symbolisch<br />
wahrgenommen werden kann. Es zeigt sich nur, dass<br />
diese Selbstbezugnahme nicht zu einem allgemeingültigen<br />
Selbstverständnis führt und dass die Moderne-Kritik da<br />
anfängt, wo die Vision einer Selbstverständlichkeit von<br />
Sinn und Form verloren geht. An dieser Stelle tauchen<br />
zwei Formen der Nötigungen auf: die eine ist die existenzielle<br />
Nötigung, die wir seit den 90er Jahren spüren,<br />
dass sich die Institutionen ebenso wie die Personen um zu<br />
überleben selbst darstellen müssen; die andere Form der<br />
Nötigung besteht darin, dass jedes Ding, das gebaut wird,<br />
soll es ins Reich der Architektur gehören, einen Eigensinn<br />
vorweisen muss, eben weil es nicht mehr in einem<br />
selbstverständlichen gesellschaftlichen Zusammenhang<br />
aufgehoben ist. Seine Binnenrelationen entscheiden über<br />
die Reichweite seines Sinns inmitten eines geschichtlichen<br />
Verhältnisses von Kultur und Natur.<br />
Hauser: Ich möchte auf den Aspekt von Ökologie<br />
und Verdichtung zurückkommen, der schon angesprochen<br />
wurde. Stimmt das denn überhaupt, dass Hochhäuser<br />
ökologisch so wertvoll sind, stimmt es, dass sie die beste<br />
Möglichkeit der Verdichtung in der Stadt sind? Sind sie<br />
mit ihren technischen und energetischen Ansprüchen<br />
tatsächlich die Form, die wir brauchen? Gibt es nicht<br />
noch viele ungelöste Probleme in Bezug auf tatsächliche<br />
Nachhaltigkeit?<br />
Götz: Ich glaube, Hochhäuser sind eine und keine<br />
schlechte Möglichkeit, die Zentren unserer Städte zu<br />
verdichten. Es gibt sehr viele neue und moderne Gebäudetechniken,<br />
um Hochhäuser auch wirklich nachhaltig<br />
und ökologisch bauen zu können. Ich habe von einer<br />
Studie über Manhattan gelesen, wo sich herausstellte,<br />
dass Manhattan im Vergleich zu seinen Vorstädten sehr<br />
viel weniger Energie verbraucht. Insbesondere weil die<br />
Leute, die da wohnen, dort auch zur Arbeit gehen. Auch<br />
solche Faktoren muss man mit ins Kalkül ziehen.<br />
Publikum 1: Das überrascht mich jetzt aber. Es zeichnen<br />
sich doch gerade moderne Großstädte mit hoch verdichteten<br />
Zentren dadurch aus, dass man draußen wohnt<br />
und drinnen arbeitet. Es war ja gerade die Verdichtung<br />
im Zentrum, die Citybildung, die dazu geführt hat, dass<br />
in der Innenstadt nur noch Verwaltungshochhäuser und<br />
eben keine Wohnbauten mehr stehen, und eben dadurch<br />
wurde unglaublich viel Verkehr erzeugt.<br />
Götz: Ich war zunächst auch überrascht. Aber gerade<br />
von Manhattan weiß ich, dass die Leute da sehr wohl<br />
wohnen und arbeiten, im Gegensatz zu vielen europäischen<br />
Städten. Wir wissen schon lange, dass die Autos<br />
aus den Städten raus müssen – da ist es viel vernünftiger<br />
und effektiver, die Städte zu verdichten und den Verkehr<br />
draußen zu halten.<br />
Zamp Kelp: Aber das Problem wird sich ja wahrscheinlich<br />
von selbst lösen, weil die Spritkosten steigende<br />
Tendenzen haben und die Leute aufhören werden dauernd<br />
hin und her zu fahren. Ob die Pendlerpauschale noch<br />
einmal kommt oder nicht ist völlig egal, das Leben wird<br />
sich künftig wieder mehr auf die Stadt konzentrieren.<br />
Krischanitz: Wir haben vorhin vom Stofflichen<br />
gesprochen. Das Stoffliche muss überwunden werden, um<br />
zu einem Sinn zu kommen. So besteht ein <strong>Hochhaus</strong> aus<br />
vielen einzelnen materiellen Elementen. Aus der Entfernung<br />
geht diese Stofflichkeit zurück zu Gunsten des<br />
Sinns, wie etwa bei der Schrift. Ein einzelner Buchstabe<br />
mit seinen Serifen und Balken kann monumental wirken,<br />
aber wenn ich ein Wort lese, einen Satz oder ein ganzes<br />
Buch, dann verschwindet dieser monumentale Buchstabe<br />
zu Gunsten des Sinns, den das Buch mir gibt. Irgendwann<br />
sieht man den einzelnen Buchstaben nicht mehr; und so<br />
ähnlich ist es für mich auch beim <strong>Hochhaus</strong>. Die Distanz<br />
ermöglicht es, das Stoffliche zu überwinden und, wie es<br />
in der Semperschen Theorie heißt, zur Form zu kommen.<br />
Das lässt sich mit der Kunst vergleichen: Die Kunst<br />
besteht aus einfachen, vielleicht sogar billigen und banalen<br />
Materialien, aber die Kunst kann es so weit treiben, dass<br />
sie Formen generiert, die ihre an sich banale Materialität<br />
überwinden. So stellt das Kunstwerk plötzlich für die<br />
Gesellschaft einen bestimmten Wert dar.<br />
Zamp Kelp: Wenn wir von der Entstofflichung<br />
reden und von der Höhe, ist das vielleicht eine Sicht, die<br />
sehr stark von ästhetischen Überlegungen geprägt ist.<br />
Bedenkt man, dass zur Zeit mehrere 800 m hohe Häuser<br />
gebaut werden und gleichzeitig in Sao Paulo die reichen<br />
Mitglieder der Gesellschaft nur noch mit Hubschraubern<br />
von einem <strong>Hochhaus</strong> zum anderen fliegen, weil sie in den<br />
Strassen der Stadt gar nicht mehr umhergehen können,<br />
ohne sofort überfallen zu werden, dann ist das ein Hinweis<br />
dafür, dass Höhe das soziale Klima verändert. Es stellt<br />
sich also nicht nur aus tragwerksmäßiger Sicht die Frage:<br />
wie hoch kann, soll oder muss ein Haus sein, sondern<br />
auch: wie nehme ich Höhe wahr und welche positiven<br />
oder negativen funktionalen Aspekte ergeben sich in<br />
gesellschaftlicher Hinsicht daraus?<br />
Hauser: Wir haben jetzt eine sehr reiche Auswahl an<br />
Argumenten und Sichtweisen gehört, zur Relevanz und<br />
zum Symbolfaktor von Hochhäusern, auch zu ökologischen<br />
und sozialen Aspekten. Ich möchte jetzt gerne das<br />
Publikum um Fragen und Kommentare bitten.<br />
Publikum 1: Ein typisches Problem von Hochhäusern<br />
ist für mich, dass sie nur wenig Anschluss an den<br />
8 PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> 9
Schwindelnde Höhen<br />
Notizen zum <strong>Hochhaus</strong>film<br />
Roland Meyer<br />
Der <strong>Hochhaus</strong>film ist kaum so etwas wie ein eigenes<br />
Filmgenre. Und doch ist die Geschichte des Kinos nicht<br />
nur voll von berühmten <strong>Hochhaus</strong>szenen – von den spektakulären<br />
Stunts in atemberaubender Höhe bei Stummfilmkomikern<br />
wie Harold Lloyd über King Kongs letztes<br />
Aufbäumen auf der Spitze des Empire State Buildings<br />
bis zu Spiderman, der durch digitale Straßenschluchten<br />
wirbelt –, sondern es lässt sich auch leicht quer durch die<br />
Filmgeschichte eine Reihe von Filmen finden, bei denen<br />
Hochhäuser nicht bloß Schauplatz und Kulisse bilden,<br />
sondern im Zentrum des Geschehens stehen. Eine kleine,<br />
etwas willkürliche, aber durchaus ergiebige Auswahl dieser<br />
Filme soll im Folgenden besprochen werden: Eisensteins<br />
Glass House-Projekt, The Fountainhead, Towering Inferno,<br />
Die Hard. Eine kurze, ergänzungsbedürftige – und Hollywood-lastige<br />
– Liste, zweifellos. Aber in der Zusammenschau<br />
offenbaren schon diese dreieinhalb Filme einiges<br />
über das seltsame Verhältnis, das das Kino zur Architektur<br />
unterhält.<br />
<strong>Hochhaus</strong> und Kino – beide sind sie Produkte des<br />
ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts, der modernen<br />
Großstadt, des technischen Erfindungsgeistes des<br />
Fin-de-Siècle und der beginnenden Massengesellschaft.<br />
Ihre Beziehung geht aber tiefer: Es handelt sich bei<br />
beiden –Walter Benjamin hat auf diese Verwandtschaft<br />
hingewiesen – um Massenmedien, um Techniken des<br />
Spektakels, die visuelle Sensationen für die kollektive<br />
Rezeption produzieren, und sie stehen insofern in einer<br />
gewissen Konkurrenz zueinander. <strong>Hochhaus</strong> und Kino<br />
sind Wahrnehmungsmaschinen, die den Blick von seinen<br />
anthropologischen Begrenzungen lösen. Der Blick aus<br />
dem Wolkenkratzer, Michel de Certeau hat ihn in einer<br />
berühmten Stelle der Kunst des Handelns beschrieben,<br />
ist kein menschlicher, vielmehr ein göttlicher Blick:<br />
distanziert, abstrakt, dem Alltag enthoben. Die schiere<br />
Höhe verändert die Sichtweise – mit den Hochhäusern<br />
der 20er Jahre werden stürzende Perspektiven auch in<br />
Roland Meyer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der UdK Berlin,<br />
Studiengang Architektur, Fachbereich Kunst- und Kulturgeschichte,<br />
und Mitglied der PROTOCOL-Redaktion. Die Illustrationen stammen<br />
von Peter Behrbohm, ebenfalls Mitglied der Redaktion.<br />
der Fotografie der Avantgarde zur Signatur eines Blicks,<br />
der sich von der Horizontalen, vom „Bauchnabel“, wie es<br />
heißt, befreit hat. In den Kinoexperimenten von Dziga<br />
Vertov und anderen wird diese Loslösung des Blicks vom<br />
Körper, wird die Feier des Maschinenauges auf die Spitze<br />
getrieben. <strong>Hochhaus</strong> und Kino dienen so gleichermaßen<br />
einer Einübung des „Neuen Sehens“.<br />
Die Versuchsanordnung: Glass House<br />
Kaum je wird dies so deutlich wie im vielleicht künstlerisch<br />
ambitioniertesten <strong>Hochhaus</strong>film – der allerdings<br />
nie gedreht worden ist. Als Antwort ebenso auf Fritz<br />
Langs Metropolis wie auf die Glasarchitektur-Entwürfe<br />
von Bruno Taut und Mies van der Rohe arbeitete Sergei<br />
Eisenstein in den späten 20er Jahren an einem Glass<br />
House benannten Projekt: der Geschichte eines <strong>Hochhaus</strong>es,<br />
in dem nicht bloß die Fassade, sondern ebenso<br />
alle Wände, Decken und Böden aus Glas sein sollten.<br />
Die Konsequenzen dieser totalen Transparenz spielt<br />
Eisenstein in den erhaltenen Entwürfen und Notizen<br />
in allen Varianten durch. Zunächst ist er fasziniert von<br />
den formalen Möglichkeiten eines solchen Settings, den<br />
spektakulären Perspektiven und visuellen Effekten. Wie<br />
in einer Versuchsreihe denkt Eisenstein sukzessive über<br />
die Wirkungen von Feuer, Rauch und Wasser hinter und<br />
auf Glas nach. Schließlich sind es aber doch die sozialen<br />
Implikationen, die das Leben in ständiger wechselseitiger<br />
Sichtbarkeit für die Bewohner dieses <strong>Hochhaus</strong>es hätte,<br />
die ihn mehr interessieren. Bei Eisenstein ist das <strong>Hochhaus</strong><br />
ein gesellschaftlicher Mikrokosmos, und die sozialen<br />
Differenzen, die hier ohne Rückzugsraum aufeinander<br />
prallen, werden zum Motor des plots. Am Ende sollte<br />
die spektakuläre Zerstörung des <strong>Hochhaus</strong>es stehen,<br />
und zumindest in dieser Hinsicht kann Eisensteins Film<br />
durchaus als Blaupause späterer <strong>Hochhaus</strong>filme gelesen<br />
werden. Denn <strong>Hochhaus</strong>filme leben von der visuellen<br />
Faszination ihres architektonischen Schauplatzes, aber<br />
häufig auch vom Spektakel der Zerstörung, wie es so nur<br />
das Kino inszenieren kann. <strong>Hochhaus</strong>filme sind daher fast<br />
immer auch Anti-<strong>Hochhaus</strong>filme.<br />
Zeichen der Integrität: The Fountainhead<br />
Eine bemerkenswerte Ausnahme von dieser Regel ist<br />
The Fountainhead von 1948. Nach dem Bestseller-Roman<br />
der russischstämmigen Radikalkapitalistin Ayn Rand<br />
drehte King Vidor hier zudem einen der wenigen Hollywoodfilme,<br />
der einen Architekten zum Helden seiner Geschichte<br />
macht. Der von Gary Cooper gespielte Howard<br />
Roark ist ein Unbeirrbarer, einer, der nur seinem eigenen<br />
Gesetz, seiner Idee und Vision folgt. Dafür bricht er mit<br />
Tradition und Geschichte, er nimmt weder Rücksicht auf<br />
die Öffentlichkeit, noch beugt er sich den Institutionen<br />
(gleich in der ersten Szene wird er der Architekturhochschule<br />
verwiesen). In einem Schlüsselsatz wird klar, dass<br />
in The Fountainhead Architektur (und das <strong>Hochhaus</strong> im<br />
Besonderen) als Chiffre für ein Menschenbild steht: „A<br />
building has integrity just like a man. And just as seldom.“<br />
Hochhäuser sind in diesem Film nicht Häuser für die<br />
Masse, vielmehr Solitäre gegen den Massengeschmack:<br />
einsame, kompromisslose Zeichen wahrer Größe. Ornamentloser<br />
Modernismus erscheint dabei als materialisierte<br />
Idee – und die Ideen als Produkt singulärer und unbeirrbarer<br />
Geister. Während die Schwachen sich dem vulgären<br />
Geschmack der Masse anpassen und daran zugrunde gehen,<br />
wie Roarks minderbegabter, aber zunächst erfolgreicherer<br />
Studienkollege, halten die Starken an ihren Ideen<br />
fest und verzichten auf jegliches historistisches Beiwerk.<br />
Im Finale des Films wird Roark vor Gericht gestellt, weil<br />
er auf eigene Faust einen Wohnkomplex gesprengt hat,<br />
den er zwar entworfen hatte, der jedoch von kleingeistigen<br />
und anpasserischen Kollegen mit Balkonen und Wandfriesen<br />
verpfuscht und entstellt wurde. Er hält ein fast<br />
sechsminütiges grandios-wirres Plädoyer, ein pathetisches<br />
Loblied auf das Individuum, seine Schöpferkraft und<br />
18 PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> 19
Integrität, das Gary Cooper angeblich selbst nicht verstanden<br />
haben soll, wird entgegen aller Plausibilität freigesprochen<br />
und darf am Ende dann, trotz aller Anfeindungen,<br />
den höchsten Wolkenkratzer der Welt bauen. Es wird eine<br />
Art Selbstporträt: Die letzte Einstellung zeigt ihn an der<br />
Spitze des kurz vor der Vollendung stehenden Baus – der<br />
Architekt als Solitär, der alle anderen überragt.<br />
Die moralische Fabel: Towering Inferno<br />
Auch in Towering Inferno gibt es einen Architekten<br />
als Protagonisten – doch muss sich Paul Newman<br />
die Starrolle mit dem von Steve McQueen gespielten<br />
Feuerwehrchef teilen, und zwar buchstäblich: McQueen<br />
bestand darauf, dass er und Newman exakt die gleiche<br />
Zahl von Dialogzeilen bekämen. Nicht, dass die Dialoge<br />
wirklich das Bemerkenswerte an diesem Katastrophenfilm<br />
von 1974 wären. Zudem ist der Architekt hier bestenfalls<br />
ein tragischer Held – zwar hat auch er gerade das höchste<br />
Gebäude der Welt entworfen, doch wurde beim Bau aus<br />
Kostengründen geschlampt, wurden minderwertige Kabel<br />
verlegt und Sicherheitsvorkehrungen missachtet. Als<br />
nun bei der Einweihungsfeier Stockwerk um Stockwerk<br />
in hellem Lichterglanz erstrahlt, kommt es zu Überlastungen<br />
des Stromnetzes. Während im 135. Stockwerk<br />
eine glamouröse Party stattfindet, bricht im 81. Stock<br />
ein Feuer aus. Wie stets im Katastrophenfilm ist es das<br />
Zusammenspiel menschlicher Hybris und unberechenbarer<br />
Elementargewalten, das die Katastrophe auslöst. Nicht<br />
nur das Feuer, auch die stürmischen Winde werden den<br />
im Turm Gefangenen zum Verhängnis. Ein Rettungsversuch<br />
aus der Luft scheitert, der Helikopter zerschellt am<br />
Dach. Das Finale des Films schließlich wird eingeleitet<br />
von der Sprengung der riesigen Wassertanks im obersten<br />
Stockwerk. Bevor jedoch die stürzenden Wasserfluten<br />
das Feuer schließlich löschen können, reißen sie noch ein<br />
paar der Nebenfiguren in den Tod. Feuer, Rauch, Wasser,<br />
Wind – in und am <strong>Hochhaus</strong>, das hier bezeichnenderweise<br />
Glass Tower heißt, prallen die Elemente aufeinander.<br />
Benjamin hatte von der modernistischen Glasarchitektur<br />
gesagt, auf ihr würden keine Spuren mehr zurückbleiben –<br />
<strong>Hochhaus</strong>filme treten immer wieder, manchmal brachial,<br />
den Gegenbeweis an. Am Ende des Flammenden Infernos<br />
(so der deutsche Titel) lässt sich dann der Feuerwehrchef<br />
vom Architekten das Versprechen geben, seine Expertise<br />
in Zukunft von Anfang an zu berücksichtigen, um<br />
noch schlimmere Katastrophen zu verhindern. Trotz des<br />
heldenhaften Mutes, den er im Verlauf des Films beweist<br />
– der Architekt als heroisches Künstlerindividuum hat<br />
hier bereits ausgedient. Am Ende des Films stehen die<br />
hochmoralische Einsicht in die eigene Begrenztheit und<br />
Fehlbarkeit sowie das Bekenntnis zum Teamwork.<br />
Der Körper des <strong>Hochhaus</strong>es: Die Hard<br />
Was in Towering Inferno noch im Stile von Hollywoods<br />
später Glanzzeit mit einem guten Dutzend Stars und jeder<br />
Menge Neben- und Parallelhandlungen episch ausgebreitet<br />
wird, das findet sich rund 15 Jahre später in dem vielleicht<br />
„reinsten“ <strong>Hochhaus</strong>film, Die Hard / Stirb langsam<br />
von 1989, zur knappen Formel des postklassischen Blockbusterkinos<br />
konzentriert und verdichtet: das von Terroristen<br />
besetzte <strong>Hochhaus</strong> als tödliche Falle. Ausnahmsweise<br />
ist es hier einmal nicht das höchste Gebäude der Welt,<br />
sondern ein Bau von verhältnismäßig durchschnittlicher<br />
Größe. 40 Stories Of Sheer Adventure! heißt es auf dem<br />
Plakat, und selbst das ist noch eine Übertreibung, sind es<br />
in Wahrheit doch bloß 34 Stockwerke, die das Nakatomi<br />
Plaza, der Schauplatz des Films, aufweist – ausnahmsweise<br />
kein bloßer visual effect, sondern ein wirklicher Bau: Die<br />
Außenaufnahmen zeigen das Fox Plaza, das erst kurz<br />
vor Produktionsbeginn fertig gestellte Headquarter der<br />
Produktionsfirma.<br />
Die ersten Plakatentwürfe sollten nichts anderes zeigen<br />
als dieses Bauwerk – Bruce Willis, der Star des Films,<br />
schien damals noch nicht zugkräftig genug. Erst mit<br />
dem überragenden Erfolg rückt er mit auf das Plakat:<br />
ein Doppelportrait nun, gewissermaßen, der Held und<br />
der Turm – wo die rechte Hälfte von Willis Gesicht im<br />
Dunkel verschwindet, da ragt die Fassade aus Stahl und<br />
Glas in die Höhe. Der ganze Film, so könnte man sagen,<br />
beruht auf dieser Parallelisierung von Heldenkörper und<br />
<strong>Hochhaus</strong>konstruktion. Die Hard ist das Protokoll einer<br />
langsamen, scheinbar unaufhaltsamen, aber dann doch<br />
rechtzeitig noch aufgehaltenen Zerrüttung und Zerstörung<br />
von Fleisch und Baukörper gleichermaßen, ein<br />
Traktat über die Verletzung durch Architektur und von<br />
Architektur. Zunächst ist es noch Willis weißes Unterhemd,<br />
das zum Schauplatz sich anhäufender Spuren wird:<br />
erst blutig befleckt, dann rußgeschwärzt. Gegen Ende<br />
des Films gleicht sein ganzer Körper einem verwüsteten<br />
Schlachtfeld: vielfach verletzt, humpelnd, blutend, schwitzend<br />
und durchnässt verkörpert Willis hier eben jenen<br />
Heldentypus, der durch Die Hard zum neuen Standard<br />
des Actionkinos werden sollte: kein apparategestählter<br />
Muskelmann, kein Terminator, der selbst bereits Maschine<br />
geworden ist, vielmehr einer, der durch Zufall in einem<br />
riesenhaften Apparat gefangen worden ist und nun um<br />
sein Leben kämpfen muss. Die Serie der Verletzungen, die<br />
er dabei zu erleiden hat, findet ihre Entsprechung in der<br />
Serie der Attacken, die das <strong>Hochhaus</strong> in Mitleidenschaft<br />
ziehen: Schusswechsel und Explosionen, die zunächst nur<br />
die Glasfassade durchlöchern, um dann schließlich ganze<br />
Stockwerke zu zerstören.<br />
In warmen Braun- und Ockertönen erscheinen dabei<br />
die repräsentativen Büro und Empfangsräume der Nakatomi<br />
Corporation, eingerichtet in einer eklektischen 80er-<br />
Jahre Mischung aus Japonismus und Frank Lloyd Wright.<br />
Kalte Blau- und Grautöne dagegen beherrschen die<br />
Versorgungsschächte und Treppenhäuser ebenso wie die<br />
leeren, unausgebauten Stockwerke, in den sich der Großteil<br />
der Actionszenen abspielt. Neonröhren, unverputzte<br />
Wände, Blech und Stahl, Röhren und Kabel führen eine<br />
Welt im Schatten der mit Holz und Naturstein ausgekleideten<br />
Bürolandschaften der Chefetage vor. Das <strong>Hochhaus</strong><br />
ist in Die Hard eine Miniaturwelt, die nicht nur ein Oben<br />
und Unten, sondern auch ein Davor und Dahinter kennt:<br />
die Kulissen, in denen das Management residiert, und die<br />
Hinterbühne der technischen Infrastruktur. In beiden<br />
finden sich Elemente einer zweiten, artifiziellen Natur:<br />
ein künstlicher Wasserfall, dessen dekoratives Plätschern<br />
später von der Sintflut der Sprinkleranlage abgelöst<br />
werden wird, ebenso wie Fahrstuhl- und Luftschächte, die<br />
wie Schluchten und Höhlen das Gebäude durchziehen –<br />
zugleich Verstecke und Todesfallen.<br />
„Praktische Architekturkritik“ betreibe John Mc-<br />
Clane in diesem Film, hat der Filmkritiker Claudius<br />
Seidl geschrieben. Die Glätte postmoderner Oberflächen<br />
wird buchstäblich aufgesprengt, dem imaginären<br />
Glanz spiegelnder Glassfassaden das Reale schwitzender<br />
und blutender Haut entgegengesetzt, die zeichenhafte<br />
Corporate Architecture unter einer Welle von Explosionen,<br />
Maschinengewehrfeuer und zersplitterndem Glas<br />
begraben. Splitter und Blut bedingen und entsprechen<br />
dabei einander zugleich: Glas, das als Fenster auch Schutz<br />
bieten sollte, erweist sich in seiner fragmentierten Form<br />
als Gefahr für die Unversehrtheit der Körper – und ist<br />
zugleich die sichtbare Spur der zunehmenden Versehrung<br />
der Architektur und ihrer Oberfläche, der Fassade. Das<br />
<strong>Hochhaus</strong> ist ein Körper, ein symbolischer und realer<br />
zugleich: zeichenhafter Ausdruck einer Körperschaft oder<br />
Corporation, ihres Reichtums und ihres Machtanspruchs,<br />
und verletzliches System aus Fassade und Struktur, Haut<br />
und Knochen.<br />
Postskriptum<br />
Der Architekturtheoretiker Mark Wigley hat, im Rückblick<br />
auf den 11. September, die eigenartige Dialektik<br />
von Schutz und Gefahr, von Dauer und Vergänglichkeit<br />
beschrieben, die unseren Bezug zur Architektur prägt. Wir<br />
betrachten, so Wigley, Gebäude als stabile Zeugen unseres<br />
flüchtigen Lebens: Sie sollen unsere Körper überdauern,<br />
ja sie sollen selbst als stabile Ersatz- und Idealkörper<br />
fungieren, als Verkörperungen unseres individuellen und<br />
kollektiven Selbst, unserer Kultur, dessen, was uns an<br />
unserem Leben bewahrenswert erscheint, noch über den<br />
Tod hinaus. Architektur hätte demnach eine doppelte<br />
Funktion des Schützens und Bewahrens: als reale Behausung<br />
und als symbolische Repräsentation. Eben darum sei<br />
so skandalös, ja „inakzeptabel“, gerade durch ein Gebäude<br />
verletzt zu werden; im Zusammenbruch und Einsturz, im<br />
„Tod durch Architektur“ fände eine unerträgliche Umkehrung<br />
statt: Was als Einspruch gegen den Tod, gegen die<br />
Zeit und gegen das Vergessen errichtet wurde, wendet sich<br />
gegen uns und verkehrt sich ins Gegenteil. <strong>Hochhaus</strong>filme<br />
spielen mit all diesen Momenten und treiben sie auf die<br />
Spitze: Architektur als Schutzraum und Festung, die zum<br />
Gefängnis und zur Todesfalle werden kann, Architektur<br />
auch als Denkmal und symbolischer Ersatzkörper, der<br />
die Vergänglichkeit der lebenden Körper überdauern soll<br />
und sich doch letztlich als genauso verletzlich erweist.<br />
Wenn zu Beginn von einem Konkurrenzverhältnis der<br />
beiden Seh-Maschinen Kino und Architektur die Rede<br />
war, so muss diese These nun präzisiert werden: Es ist eine<br />
asymmetrische Konkurrenz, denn Kino bleibt letztlich<br />
immer bloßer Schein, Architektur wird hingegen gebaute<br />
Wirklichkeit. Das Kino kann das Leben bloß abbilden<br />
und imaginär verdoppeln, die Architektur jedoch greift<br />
in Lebenswirklichkeit ein. Wenn also <strong>Hochhaus</strong>filme die<br />
Sicht des Kinos auf Architektur überhaupt ausbuchstabieren,<br />
dann führen die hier vorgestellten Filme verschiedene<br />
Wege vor, wie das Kino mit dieser vermeintlichen Schwäche<br />
umzugehen versucht hat. Der Film kann die Architektur<br />
seinerseits als Illusion von Sicherheit, als bloßen<br />
Schein der Macht und zerbrechliche Fassade entlarven,<br />
indem er sie mit dem „Realen“ konfrontiert und kontrastiert:<br />
den elementaren Kräften der Natur und gefährdeten<br />
und versehrten Körpern im Ausnahmezustand – dies tun<br />
Towering Inferno und Die Hard. Und das Kino kann, wie<br />
es The Fountainhead tut, die Architektur als einzig wahre,<br />
weil in der Wirklichkeit verankerte Kunst feiern, als Ausdruck<br />
eines Lebens ohne Falschheit und Täuschung, eines<br />
Lebens, das ganz bei sich ist – eine Option, die jedoch nur<br />
selten ergriffen wurde, sicher nicht ohne Grund.<br />
20 PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> 21
Wohnen am Nordhafen<br />
Björn Werner<br />
Diese Arbeit entstand im Rahmen des Entwurfsprojekts<br />
„Mustersiedlung-Siedlungsmuster“ im Sommersemester<br />
2008 und wurde von Prof. Adolf Krischanitz, WM Uta Graff<br />
und WM Anke Hafner betreut. Aufgabe war es, ein Passivhochhaus<br />
am Nordhafen in Berlin-Mitte zu entwickeln.<br />
Ein monolithischer Turm erhebt sich als Abschluss<br />
und Zäsur des städtischen Raumes in Richtung<br />
Nordhafenbecken.<br />
Ein Solitär mit schlichtem kubischen Volumen, der in<br />
Anmutung und Material die Struktur des Ortes weiterschreibt.<br />
Zwei Kanten werden durch die übrige Bebauung<br />
des Grundstücks vorgegeben und betont. Die Weiterführung<br />
der Scharnhorststraße als Versuch, die Urbanität der<br />
Invalidenstraße bis ans Nordhafenbecken heranzuziehen.<br />
Und die Uferpromenade als Kante zum Wasser, als steinerner<br />
Rhythmus. Zwischen den Gebäuden spannt sich ein<br />
Grünraum auf, ein intimes, aber dennoch offenes Grün<br />
für das sonntägliche Frühstück auf der Wiese vor dem<br />
eigenen Haus.<br />
44 PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong>
Jagen 110<br />
Rückzugsort Teufelsberg<br />
Marie Bartels und Philip Heckhausen<br />
Diese Diplomarbeit entstand im Sommersemester 2008<br />
und wurde von Prof. Adolf Krischanitz, Prof. Benedict<br />
Tonon und WM Uta Graff betreut.<br />
Wie würdet ihr die Typologie eures Gebäudes<br />
beschreiben?<br />
Unser Eingriff sieht einen 570 m langen Riegel vor,<br />
welcher im Berg eingeschüttet zu sein scheint. Der Riegel<br />
differenziert sich in Reaktion auf die erzeugte Schnittlinie<br />
mit der Topographie und die verschiedenen Nutzungen in<br />
einzelne Abschnitte und Abstufungen aus.<br />
Ein Weg, der von der „Teufelsseechaussee“ abzweigt,<br />
führt direkt ins Innere des Gebäudes. Man fährt mit<br />
dem Auto in das Fahrgeschoss, wo sich sämtliche Hotel-<br />
3. LP_5000_Spuren (2) 1:5000<br />
Vorfahrten befinden sowie die gesamte Infrastruktur wie<br />
Ver- und Entsorgung, Lager- und Kühlräume, zentrales<br />
Heizkraftwerk und Wäscherei etc.<br />
Die Passerelle, das öffentliche Obergeschoss, verbindet<br />
die beiden Bergkuppen und führt an den öffentlichen<br />
Bereichen der verschiedenen Nutzungen vorbei. Von dort<br />
aus gelangt man in die darunter liegenden Wohngeschosse<br />
oder auch in die Tagungs- und Seminarräume.<br />
In welchem Verhältnis steht euer Gebäude zu Berlin<br />
und seinen Bewohnern?<br />
In Berlin ist so eine landschaftliche Erhebung von<br />
äußerster Exklusivität. Aufgrund seiner Künstlichkeit<br />
handelt es sich hier um eine „Eindruckseinheit“, ein<br />
hervorgehobenes „Stück“ Natur. Wer diesen Ort aufsucht,<br />
taucht in eine fremde Sphäre ein und lässt die Stadt hinter<br />
sich. Unser Entwurf ist ein Refugium am Horizont. Das<br />
Gebäude extrudiert die Bergspitze mit dem weiten Rundblick<br />
in der Horizontalen und macht sie zum öffentlichen<br />
Raum. Unser Gebäude soll Begegnungsstätte sein, eine<br />
Stätte der Klausur und der Reflexion.<br />
Für wie viele ist in eurem Gebäude Platz und wie stellt<br />
ihr euch die Nutzung vor?<br />
Das Programm gliedert sich in verschiedene Nutzungen,<br />
welche das temporäre Wohnen, den temporären<br />
Rückzug ermöglichen. Die Anlage unterteilt sich in ein<br />
Bundesgästehaus, ein Stipendiatenhaus, eine Jugendherberge,<br />
ein Hotel, ein Appartementhaus und ein Kulturhaus.<br />
Ganz verschiedene gesellschaftliche Gruppen<br />
treffen hier aufeinander und durchmischen sich. Der<br />
Besucher oder Ausflügler flaniert über die Passerelle an<br />
den Empfangsbereichen, Lobbies, Cafés und Restaurants<br />
der verschiedenen Häuser vorbei. Die Promenade bietet<br />
panoramische Aussicht auf die Stadt und die Havel.<br />
Jede Nutzung präsentiert sich hier individuell. Die<br />
Jugendherberge beispielsweise ist mit einem Internetcafé<br />
und einer Sonnenterrasse auf der Passerelle vertreten, das<br />
Hotel mit zwei gehobenen Restaurants. Die Gäste aller<br />
Häuser können zu Abendveranstaltungen in das Kulturhaus<br />
am Nord-Ost-Ende der Anlage spazieren.<br />
In dem Ensemble finden etwa 2500 Personen Platz. Davon<br />
sind ca. 1300 Gäste, die wohnen und tagen. Der Veranstaltungssaal<br />
im Kulturhaus fasst weitere 300 Personen.<br />
Hinzu kommen ca. 750 Plätze in Cafés und Restaurants<br />
auf der Passerelle.<br />
Euer Entwurf ist ein starker Eingriff in die Landschaft<br />
am Teufelberg. Wie legitimiert ihr diese große Geste?<br />
Über 20 Jahre lang wurden hier täglich 80 Lastwagenladungen<br />
Kulturschrott aufgehäuft. Ein kaum zu übertreffender<br />
Eingriff, extrem artifiziell. Also machen zunächst<br />
PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> 53
Vertikaler Kiez<br />
Nikolaus von Lüttichau, Jan Thoelen<br />
und Jana Weidemüller<br />
Diese Arbeit entstand im Sommersemester<br />
2008 im Rahmen der Übung „Babel ≥ 400m“<br />
und wurde von Prof. Günter Zamp Kelp und<br />
WM Julia Lienemeyer betreut.<br />
Mit dem Bau einer suburbanen Siedlung auf dem Gelände<br />
des Flughafens Tempelhof, wie sie aktuelle Planungen<br />
vorschlagen, gewinnt die Stadt nichts. Ein potenziell<br />
identitätsstiftender Ort würde privatisiert und dadurch<br />
gelähmt werden. Denn Stadt lebt von der sozialen und<br />
kulturellen Durchmischung, welche in suburbanen Strukturen<br />
oft zu kurz kommt. Sollte man also nicht versuchen,<br />
an diesem Ort etwas Städtisches zu schaffen?<br />
Eines der wichtigsten Phänomene Berlins sind die<br />
Kieze, welche durch ihre Verschiedenartigkeit die Stadt<br />
facettieren, da jeder Kiez seine eigene Identität besitzt.<br />
Warum also nicht die Möglichkeit nutzen, an einem<br />
sehr zentralen Ort Berlins noch einen Kiez entstehen<br />
zu lassen, um die Vielfalt der Berliner Stadtstruktur zu<br />
erweitern?<br />
Das Problem daran ist bloß, dass ein Kiez, weil er ständig<br />
Veränderungen vollzieht, nicht planbar ist und selbst<br />
der Versuch in Sterilität enden würde.<br />
Ein Kiez besteht aus gewachsenen sozialen Strukturen<br />
in einer vorgefundenen Struktur von Gebäuden. Es bedarf<br />
einer Aneignung durch die Bewohner, und deshalb ist<br />
dieses Projekt nicht mit der Fertigstellung des Bauwerks<br />
vollendet, welches sich den jeweiligen Nutzungen entsprechend<br />
konstant anpassen und verändern muss, um nicht<br />
zu erstarren. Ohne eine Beteiligung der Bewohner am<br />
Entstehungsprozess der Kiezstruktur ist das Projekt nicht<br />
denkbar.<br />
Das Ganze ist ein Experiment und kein Masterplan.<br />
Vorgegeben wird eine Struktur, die von einem Kubus<br />
von 20 m x 20 m x 20 m ausgeht. Dieser wird gereiht<br />
und gestapelt zu einer vertikalen Stadt mit Plätzen,<br />
Straßen und einem System von mehrstöckigen Aufzügen,<br />
welches analog zum Nahverkehr der horizontalen Stadt<br />
mit Fahrplänen etc. funktioniert. Die in der Struktur<br />
außen liegenden Kuben beinhalten eine Mischung aus<br />
Wohnen und Gewerbe (ähnlich dem typischen Berliner<br />
Mietshaus), die innen liegenden Kultur- und Verwaltungseinrichtungen<br />
sowie Großgewerbe. Jeder Hauskubus ist<br />
anders und wird von verschiedenen Architekten geplant.<br />
Auf vielen rampenartigen Laufbändern kann man den<br />
Kiez, auch ohne in einen Aufzug zu steigen, in seiner<br />
ganzen Höhe durchschweifen. Die Wetterfassade schafft<br />
ein Zwischenklima im öffentlichen Bereich außerhalb der<br />
Hauskuben. Geschaffen wird eine ordnende, aber wandelbare<br />
Infrastruktur.<br />
Die Konzentration des Kiezes auf einen Punkt des Flugfeldes<br />
lässt Raum für temporäre Strukturen und nicht-privatisierte<br />
Freiflächen für den modernen Stadtmenschen,<br />
welcher sich, da er von vielen Orten, die er sich angeeignet<br />
hatte, vertrieben wird, in letzter Zeit immer öfter die<br />
Frage stellt: „Wem gehört die Stadt?“ Stadt braucht Orte,<br />
die sich aneignen lassen, ebenso wie sie die Interessen der<br />
Wirtschaft berücksichtigen muss, jedoch sollte das eine<br />
nicht auf Kosten des anderen verwirklicht werden. Ein<br />
56 PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> 57
RAK<br />
Revue - Theater am Kottbusser Tor<br />
Sebastian Lippok<br />
Diese Diplomarbeit entstand im Wintersemester 2007/08 und wurde von<br />
Prof. Wiel Arets, Prof. Adolf Krischanitz und Martin Ostermann betreut.<br />
Sie wurde mit dem Max-Taut-Preis 2008 ausgezeichnet.<br />
In Berlin gibt es viel. Viel Kultur, viel Unterhaltung, viel<br />
Nachtleben. Was fehlt, ist die Synthese daraus – schillernd,<br />
wild, grenzenlos.<br />
RAK stellt den Kern einer solchen, derzeit kaum existenten<br />
Form der Unterhaltungskultur in Berlin dar, am ehesten<br />
vergleichbar mit dem faszinierenden Treiben um die<br />
Friedrichstraße in den 20er Jahren. Ein Revue-Theater als<br />
Keimzelle von Vergnügen und sinnlichem Erleben, ein Experimentierfeld<br />
für neue Formen der Bühneninszenierung.<br />
Das sich über die Grenzen des Gebäudes hinaus mit<br />
seinem Umfeld vermischt, sich so mit der Stadt verwebt,<br />
so dass es noch einige Straßenzüge weiter spürbar ist. The<br />
show starts on the sidewalk.<br />
Denkbar ist dies nur an einem exotischen, oft schon<br />
verloren geglaubten, so desaströsen wie anziehenden Ort:<br />
Berlin-Kreuzberg, Kottbusser Tor. In der Gesetzlosigkeit<br />
dieses Verkehrsknotenpunkts zieht das RAK Menschen<br />
aller Art in seinen Bann und entlässt sie nach Ende der<br />
Vorstellung als berauschte Menge über die Bühne hinaus<br />
wieder in die Lokale der umliegenden Straßen.<br />
Das Gebäude thront über der U-Bahn-Trasse und öffnet<br />
sich auf dem Höhepunkt der Show durch eine große Fensterfront<br />
zur Stadt. Konstruktiv zitiert das Revue-Theater<br />
am Kottbusser Tor die Nummernfolge des Genres und<br />
stapelt hoch, indem drei Baukörper übereinander gesetzt<br />
werden. Das Foyer im parallelweltlichen Untergrund bildet<br />
dabei die frei zugängliche Basis, im großen Saal in der Mitte<br />
vermischt sich die Wirklichkeit mit der Künstlichkeit, die<br />
schließlich oben im Bühnenturm erschaffen wird.<br />
64 PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong> PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong><br />
65<br />
4 20 40m<br />
+9<br />
+6<br />
+5
Zur Frage nach<br />
dem Sinn des Raums<br />
Eine Abschiedsrede<br />
für Ingeborg Kuhler<br />
Benedict Tonon<br />
80 PROTOCOL N° 03 – <strong>Hochhaus</strong>
PROTOCOL<br />
UNIVERSITÄT DER KÜNSTE BERLIN<br />
STUDIENGANG ARCHITEKTUR<br />
N° 03 <strong>Hochhaus</strong><br />
www.<strong>protocol</strong>-<strong>magazine</strong>.de<br />
Hardenbergstraße 33, 10623 Berlin<br />
<strong>protocol</strong>@udk-berlin.de<br />
Redaktion<br />
Peter Behrbohm Jakob Cevc Christa Kamleithner Danny Kwee<br />
Roland Meyer Nils Rostek Sara Serôdio<br />
Umschlaggestaltung und Illustration<br />
Peter Behrbohm<br />
Layout und Gestaltung<br />
Jakob Cevc Roland Meyer Nils Rostek<br />
Foto S. 2: Nils Rostek<br />
Mit herzlichem Dank an<br />
Wilfried Beuster Susanne Hauser Karin Hernandez-Gomez Françoise Grenadine<br />
Heidi Langner Claudia Metz Romina Streffing Leonard Streich<br />
und alle, die wir vergessen haben.<br />
Druck<br />
Merkur Druck GmbH & Co. KG, Detmold<br />
Mit freundlicher Unterstützung von<br />
Universität<br />
der Künste<br />
Berlin<br />
Fachschaftsrat Fakultät<br />
Architektur UdK Berlin<br />
Gestaltung<br />
ISSN 1865-5912<br />
ISBN 978-3-89462-167-4<br />
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detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />
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