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Alter - Kuratorium Deutsche Altershilfe

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Gesundheit und Pflege<br />

50<br />

Die betroffenen Menschen definieren diesen<br />

Zustand der „Bettlägerigkeit“ übrigens anders.<br />

Und diese Definition ist das zentrale Konzept<br />

meiner Arbeit. Es handelt sich hierbei um eine<br />

allmähliche Ortsfixierung: „Ich bin wie festgenagelt“,<br />

sagten die Befragten. Für die Menschen<br />

ist nicht entscheidend, ob sie im Bett<br />

liegen oder an einem anderen Ort fixiert sind.<br />

Sie brauchen aber auf jeden Fall Hilfe, um<br />

diesen Ort zu verlassen. Wenn sie beispielsweise<br />

im Altenheim gesagt bekommen, dass<br />

keiner bettlägerig sei, dann kann es aber sein,<br />

dass einige Bewohner am Sessel oder am Sitzstuhl<br />

„fixiert“ sind in dem Sinne, dass sie von<br />

dort alleine nicht wegkönnen. Und leider gibt<br />

es davon ganz viele Fälle.<br />

<strong>Alter</strong> ist nicht der entscheidende<br />

Punkt, ob ein Mensch bettlägerig<br />

wird<br />

Pro<strong>Alter</strong>: Worin liegen Ihrer Meinung nach<br />

die entscheidenden Ursachen für die Bettlägerigkeit?<br />

Abt-Zegelin: Eine wichtige Erkenntnis<br />

meiner Untersuchungen ist, dass es sich dabei<br />

um einen schleichenden Prozess handelt und<br />

dass es ein Bündel verschiedener und miteinander<br />

verketteter Einflussfaktoren und Ursachen<br />

für Bettlägerigkeit gibt. Dazu habe ich 32<br />

Personen in Altenheimen und zu Hause sehr<br />

ausführlich befragt. Ich habe bei allen die<br />

Entwicklung nachgezeichnet und festgestellt,<br />

dass es da immer wieder die gleichen wiederkehrenden<br />

Muster gibt. Die Ursachen liegen<br />

gar nicht so sehr im Krankheitsbereich. Ich<br />

habe bettlägerige Menschen mit ganz unterschiedlichen<br />

Diagnosen untersucht. Auch das<br />

<strong>Alter</strong> ist nicht der entscheidende Punkt, ob ein<br />

Mensch bettlägerig wird oder nicht. Am<br />

Anfang meiner Forschung habe ich gedacht,<br />

dass Bettlägerigkeit mit dem <strong>Alter</strong> zusammenhängt.<br />

Aber ich habe ganz aktive 95-Jährige<br />

getroffen, die dagegen ankämpfen, und ich<br />

habe 65-Jährige gesehen, die ganz passiv liegen<br />

geblieben sind.<br />

Ein entscheidender Teil der Ursachen liegt<br />

also in dem bettlägerigen Menschen selbst. Ein<br />

großes Problem ist hierbei die Rücksichtnahme.<br />

Das heißt, wenn der Mensch sich selbst<br />

als lästig empfindet und wenn er erlebt, dass<br />

das Personal knapp ist und dass noch andere<br />

Pro<strong>Alter</strong> 2/03 <strong>Kuratorium</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Alter</strong>shilfe<br />

deren Hilfe brauchen, dann wollen die Hilfsbedürftigen<br />

keine „Zumutung“ sein und sagen:<br />

„Ach, heute muss ich nicht aufstehen.“ Die<br />

Betroffenen nehmen sich zurück und wollen<br />

liegen bleiben oder nur ganz kurz vor das Bett<br />

gestellt werden, was aber nicht ausreicht,<br />

damit sich der Kreislauf umstellen kann. Auch<br />

jemanden einmal am Tag 15 Minuten aus dem<br />

Bett zu nehmen, ist noch nicht genug. Die<br />

Menschen müssen wie in der Normalität ganz<br />

viel Zeit außerhalb des Bettes verbringen, mit<br />

den Beinen nach unten. Das ist aber aus strukturellen<br />

und personellen Gründen in der häuslichen<br />

und stationären Pflege nicht machbar.<br />

Durch die Zeitkorridore schaffen das die beruflich<br />

Pflegenden in der häuslichen Pflege gar<br />

nicht, die pflegenden Angehörigen sind oft<br />

selbst gebrechlich und überfordert. Die Betroffenen<br />

nehmen also Rücksicht, und die Pflegenden<br />

denken, die wollen nicht aufstehen.<br />

In diesem Zusammenhang spielt auch die<br />

Individualität der Betroffenen eine wichtige<br />

Rolle. Es ist entscheidend, ob der- oder diejenige<br />

noch Ziele hat, ob er sein Dasein als sinnvoll<br />

erlebt und wie die ganze Situation gedeutet<br />

wird. Auch soziale Bindungen sind sehr wichtig.<br />

Wenn jemand sich sehr gut aufgehoben<br />

fühlt oder wenn er familiär eingebunden ist,<br />

dann fühlen sich die Menschen noch zu was<br />

nütze, und da ist es wahrscheinlicher, dass die<br />

Betroffenen wieder „auf die Beine kommen“<br />

wollen.<br />

Schon nach kurzer Zeit<br />

Liegepathologie<br />

Pro<strong>Alter</strong>: Worin besteht denn die Gefahr,<br />

wenn Menschen zu lange an einem Ort fixiert<br />

sind?<br />

Abt-Zegelin: Wenn jemand mehrere<br />

Tage liegen bleibt, gibt es schon nach kurzer<br />

Zeit eine Liegepathologie. Das sind organische<br />

Veränderungen, die eine Kreislaufumstellung,<br />

Schwindelanfälle, Übelkeit, Angst, Zittern und<br />

Muskelschwäche zur Folge haben können.<br />

Wenn man Menschen ruhig stellt und sie auf<br />

einen Ort fixiert, dann kommt es auch zu<br />

kognitiven Einbußen. Viele Menschen können<br />

sich nicht mehr konzentrieren. Ihnen wird alles<br />

zu viel. Am Ende meiner Doktorarbeit gebe ich<br />

viele Beispiele dafür, dass durch die Ortsfixierung<br />

auch das Zeitgefühl verloren geht. Da

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