Alter - Kuratorium Deutsche Altershilfe
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Gesundheit und Pflege 48 Neueste Forschungsarbeit belegt: „Bettlägerigkeit ist kein unumkehrbares Schicksal“ Das ProAlter-Experteninterview Dass „alte und kranke Menschen für längere Zeit ins Bett gehören“, ist für die Pflegewissenschaftlerin Angelika Abt-Zegelin eine Überlieferung aus dem 19. Jahrhundert. Seit rund vier Jahren beschäftigt sich die Doktorandin aus Witten-Herdecke mit dem Thema Bettlägerigkeit und ist unter anderem zu der Erkenntnis gekommen, dass dieser Zustand für viele Menschen auch einen sozialen Tod bedeutet. In ihrer Forschungsarbeit hat sie 32 Fälle von Bettlägerigkeit in der häuslichen und stationären Pflege untersucht. Die Arbeit wird in Kürze eingereicht und im Verlauf dieses Jahres beim Hans-Huber-Verlag als Buch erscheinen. Für die Leserschaft von ProAlter hat die renommierte Pflegewissenschaftlerin schon einmal vorab einen Einblick in ihre Forschungsarbeit gegeben. ProAlter: Wie kamen Sie auf das Thema Ihrer Doktorarbeit? Abt-Zegelin: Ich habe festgestellt, dass der Begriff „Bettlägerigkeit“ überhaupt nicht gefüllt ist und von vielen Menschen ganz unterschiedlich gebraucht wird. Ich war richtig erschrocken, dass dieser Begriff nicht richtig definiert ist, aber sehr häufig in der Pflege benutzt wird. Da ich mich sehr mit Pflege und Sprache beschäftige, hat mich dieses begriffliche Vakuum herausgefordert und sozusagen meinen Forschergeist geweckt. In den Pflegebüchern zum Beispiel gibt es Bettlägerigkeit nicht als Stichwort, obwohl es eigentlich in aller Munde ist. Bei meiner weltweiten Literaturrecherche musste ich feststellen, dass es über die Ursachen und Formen von Bettlägerigkeit keine wissenschaftlichen Untersuchungen gibt. Das fand ich natürlich sehr spannend, und bei meiner Forschungsarbeit kam ich mir manchmal vor wie ein „Kommissar“ in einem Krimi, der irgendwas Neues entdeckt oder aufdeckt. Ich hatte aber auch beruflich und privat viel mit Bettlägerigkeit zu tun, und das ist ein weiterer Grund, warum mir dieses Thema so interessant erschien. ProAlter: Was sind die wesentlichen Merk- ProAlter 2/03 Kuratorium Deutsche Altershilfe Angelika Abt-Zegelin. Foto: privat male für diesen Zustand? Und lässt sich Bettlägerigkeit danach eindeutig definieren? Abt-Zegelin: Zunächst muss man den Begriff Bettlägerigkeit abgrenzen von dem Begriff Bettruhe. Bettruhe ist eine befristete und häufig vom Arzt angeordnete Therapie und Schonung. Das ist etwas anderes als „Bettlägerigkeit“. Ich habe eine vorläufige beschreibende Definition in meiner Forschungsarbeit vorgenommen, und mir ist es wichtig, dass dieser Begriff in der Pflege jetzt differenzierter gehandhabt wird:
Bettlägerigkeit ist auf jeden Fall ein längerfristiger Daseinszustand, bei dem sich der Mensch die überwiegende Zeit des Tages und in der Nacht liegend aufhält. Es ist egal, ob man übrigens im Bett liegt oder auf dem Sofa, ob man halb sitzt oder aufrecht liegt. Entscheidend ist, dass die Beine oben sind. Viele Bettlägerige liegen gar nicht im Bett Viele Bettlägerige liegen gar nicht im Bett, sondern zum Beispiel auf dem Sofa oder anderen bettähnlichen Liegemöbeln. Das wesentliche Element der Definition ist, dass sich die Betroffenen die überwiegende Zeit des Tages liegend aufhalten, egal auf welchem Möbel. Man muss nun verschiedene Formen von Bettlägerigkeit unterscheiden. Ich habe in der Doktorarbeit drei unterschiedliche Schweregrade beschrieben. In der strikten Form von Bettlägerigkeit steht der Mensch überhaupt nicht mehr auf. Dann liegt er 24 Stunden. Bei einer leichten Ausprägung von Bettlägerigkeit ist es so, dass sich der Mensch vier bis fünf Stunden in einem Rollstuhl oder Sessel außerhalb des Bettes aufhalten kann. Dazwischen gibt es eine mittlere Ausprägung von Bettlägerigkeit. Die Menschen liegen die überwiegende Zeit des Tages, auch wenn sie das Bett für einige Handlungen verlassen können (zum Beispiel zur Toilette gehen). Man kann auch noch unterscheiden, ob jemand die Hilfe von einer oder zwei Personen braucht, ob er das alleine machen kann oder dabei auf Hilfsmittel angewiesen ist. ProAlter: Ist Bettlägerigkeit bei alten Menschen ein „Massenphänomen“? Abt-Zegelin: Das ist ein Tabuthema und eine Grauzone, je nachdem wie man „Bettlägerigkeit“ definiert. Man kann zum Beispiel sagen, dass im Grunde jeder Mensch, bevor er stirbt, irgendwann auch bettlägerig ist. Insoweit kommt es wahrscheinlich recht häufig vor. Ich persönlich glaube, dass das ein häufiger Zustand ist. Wenn sie zum Beispiel im Altenheim nach bettlägerigen Bewohnern fragen, wird zumeist behauptet, dass es keine gäbe. Denn die Pflegenden denken, dass sobald sie einen Bewohner kurzfristig (zum Beispiel zweimal am Tag für eine halbe Stunde) „raussetzen“, dieser dann nicht mehr dauerhaft liegt, obwohl er eigentlich nur disloziert wird und sich gar nicht selbst bewegt. Im Sinne der aktivierenden Pflege darf aber keiner dauerhaft liegen. Deshalb werden immer vordergründig alle Betroffenen aus dem Bett in einen Stuhl gesetzt. Es ist aber nur eine Frage der Definition, ob dieser Zustand etwas anderes ist als Bettlägerigkeit. Foto: Werner Krüper Gesundheit und Pflege Kuratorium Deutsche Altershilfe ProAlter 2/03 49
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Gesundheit und Pflege<br />
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Neueste Forschungsarbeit belegt:<br />
„Bettlägerigkeit ist kein unumkehrbares<br />
Schicksal“<br />
Das Pro<strong>Alter</strong>-Experteninterview<br />
Dass „alte und kranke Menschen für längere Zeit ins Bett gehören“, ist für die Pflegewissenschaftlerin<br />
Angelika Abt-Zegelin eine Überlieferung aus dem 19. Jahrhundert. Seit rund vier<br />
Jahren beschäftigt sich die Doktorandin aus Witten-Herdecke mit dem Thema Bettlägerigkeit<br />
und ist unter anderem zu der Erkenntnis gekommen, dass dieser Zustand für viele Menschen<br />
auch einen sozialen Tod bedeutet. In ihrer Forschungsarbeit hat sie 32 Fälle von Bettlägerigkeit<br />
in der häuslichen und stationären Pflege untersucht. Die Arbeit wird in Kürze eingereicht und<br />
im Verlauf dieses Jahres beim Hans-Huber-Verlag als Buch erscheinen. Für die Leserschaft von<br />
Pro<strong>Alter</strong> hat die renommierte Pflegewissenschaftlerin schon einmal vorab einen Einblick in<br />
ihre Forschungsarbeit gegeben.<br />
Pro<strong>Alter</strong>: Wie kamen Sie auf das Thema<br />
Ihrer Doktorarbeit?<br />
Abt-Zegelin: Ich habe festgestellt, dass<br />
der Begriff „Bettlägerigkeit“ überhaupt nicht<br />
gefüllt ist und von vielen Menschen ganz unterschiedlich<br />
gebraucht wird. Ich war richtig<br />
erschrocken, dass dieser Begriff nicht richtig<br />
definiert ist, aber sehr häufig in der Pflege<br />
benutzt wird. Da ich mich sehr mit Pflege und<br />
Sprache beschäftige, hat mich dieses begriffliche<br />
Vakuum herausgefordert und sozusagen<br />
meinen Forschergeist geweckt. In den Pflegebüchern<br />
zum Beispiel gibt es Bettlägerigkeit nicht<br />
als Stichwort, obwohl es eigentlich in aller<br />
Munde ist. Bei meiner weltweiten Literaturrecherche<br />
musste ich feststellen, dass es über die<br />
Ursachen und Formen von Bettlägerigkeit<br />
keine wissenschaftlichen Untersuchungen gibt.<br />
Das fand ich natürlich sehr spannend, und bei<br />
meiner Forschungsarbeit kam ich mir manchmal<br />
vor wie ein „Kommissar“ in einem Krimi,<br />
der irgendwas Neues entdeckt oder aufdeckt.<br />
Ich hatte aber auch beruflich und privat<br />
viel mit Bettlägerigkeit zu tun, und das ist ein<br />
weiterer Grund, warum mir dieses Thema so<br />
interessant erschien.<br />
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Pro<strong>Alter</strong> 2/03 <strong>Kuratorium</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Alter</strong>shilfe<br />
Angelika<br />
Abt-Zegelin.<br />
Foto: privat<br />
male für diesen Zustand? Und lässt sich Bettlägerigkeit<br />
danach eindeutig definieren?<br />
Abt-Zegelin: Zunächst muss man den<br />
Begriff Bettlägerigkeit abgrenzen von dem<br />
Begriff Bettruhe. Bettruhe ist eine befristete<br />
und häufig vom Arzt angeordnete Therapie<br />
und Schonung. Das ist etwas anderes als „Bettlägerigkeit“.<br />
Ich habe eine vorläufige beschreibende<br />
Definition in meiner Forschungsarbeit<br />
vorgenommen, und mir ist es wichtig, dass<br />
dieser Begriff in der Pflege jetzt differenzierter<br />
gehandhabt wird: