Alter - Kuratorium Deutsche Altershilfe

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05.12.2012 Aufrufe

Thema 10 Die Rothenfußer Wohngemeinschaft: Ein kleines Stück Glück für Menschen mit Demenz in München Als ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Konzepte von „Wohngemeinschaften mit Betreuung“ sein können, steht die Rothenfußer Wohngemeinschaft in München. Sie weist nicht nur eine Besonderheit in der Art der Finanzierung auf, sondern auch ihre Ausrichtung auf Menschen mit fortgeschrittener Demenz zeigt, dass diese Form des Wohnens auch Menschen mit sehr starker gesundheitlicher Beeinträchtigung eine neue Heimat bieten kann. Harald Raabe hat die Wohngemeinschaft besucht. An einer verkehrsreichen Straße im Münchener Stadtteil Giesing steht ein ehemaliges, renoviertes Offiziersgebäude der US-Army. Dort in der vierten Etage werde ich erwartet von der Rothenfußer Wohngemeinschaft. Es ist 15 Uhr, als ich die Klingel in der Chiemgaustraße 28 suche. An der Wohnungstür öffnet mir Ulrike Reder, die Geschäftsführerin von „Carpe Diem“, einem „Eingetragenen Verein zur Förderung der häuslichen Betreuung und Pflege für Demenzkranke, seelisch Kranke, Hirnverletzte und Sterbende“ in München, dessen Mitarbeiter die Bewohnerinnen dieser Wohngruppe pflegen und betreuen. Aus dem Flur dringt Gitarrenmusik, zu der ein Mann singt, vermischt mit Lachen und dem dünnen, etwas schräg klingenden Gesang älterer Frauen. Frau Reder flüstert mir zu, dass man gerade beim täglichen Kaffeetrinken sei und heute ein älterer Musikclown, der sich einmal in der Woche mit einem Zitherspieler abwechselte, die alten Damen vor allem mit süddeutscher und Wiener Musik unterhalte. Wir gehen über einen etwas steril wirkenden Flur in eine geräumige Wohnküche. Die Fenster stehen offen, und über eine Loggia strahlt die Sonne in den Raum. Auf den Tischen stehen Ostersträuße, und an den Wän- ProAlter 2/03 Kuratorium Deutsche Altershilfe den und Fenstern hängen Osterdekorationen. Sechs Bewohnerinnen sitzen um den großen Küchentisch. Unser leises Eintreten wird kaum wahrgenommen. Wir setzen uns still auf die Sofas einer bunten Sitzecke und beobachten die Kaffeetafel. Verteilt zwischen den Bewohnerinnen sitzen die Teamleiterin, eine ehrenamtliche Seit Oktober 2000 ist die Rothenfußer Wohngemeinschaft übergangsweise in einem ehemaligen Offiziersgebäude der US-Army untergebracht. Foto: Harald Raabe Helferin, die Tochter einer Bewohnerin, ein Zivildienstleistender sowie eine Praktikantin. Wer nicht auf den vor der Tafel stehenden Musikclown achtet, spricht mit der Person an seiner Seite. Plötzlich steht eine Dame, die

offensichtlich erbost ist, auf und will die Runde verlassen, doch schnell kümmert sich die Praktikantin um sie. „Eine typische kleine Eifersuchtsszene am Rande“, erklärt mir Ulrike Reder. „Da die Bewohnerin keine direkte Bezugsperson zur Seite hat, wurde sie wohl eifersüchtig.“ Nach einem Witz, der die alten Frauen zum Lachen bringt, schlägt der Musikclown vor, auch noch mal was echt Bayerisches zu singen: „In München steht ein Hofbräuhaus: Eins, zwei, g’suffa“, tönt es danach aus fast allen Kehlen, bis auf eine Ausnahme. Frau Neck dreht sich angenervt ihrer Tochter Hannelore Huhn zu, die sie heute besucht und die mir später aus der Sicht einer Angehörigen über das Zusammenleben in der Gruppe berichten will. „Die bayerischen Lieder sind eine echte Zumutung für die „Westpreußin“ Frau Neck“, kommentiert Ulrike Reder die kleine Szene. Gegen 16 Uhr ist der nächste missmutige Kommentar in der Runde zu hören: „Jetzt loangt’s aber“, und Frau Reder weiß: „Nach etwa einer Stunde Musik und Unterhaltung ist die Grenze der Konzentrationsfähigkeit bei den meisten Damen erreicht. Das ist auch der Zeitpunkt, bei dem wir in der Regel wieder die Kaffeetafel auflösen, die als tagesstrukturierende Maßnahme dazu dient, alle Bewohner aus ihren Zimmern zu locken und die sozialen Kontakte untereinander zu fördern. Nach dem Abschiedslied „Guten Abend, gut Nacht“ gehen die Frauen nahtlos ihren individuellen Bedürfnissen nach. Eine Dame fällt erschöpft in den Sessel der Sitzgruppe, einige bleiben am Küchentisch sitzen. Eine andere Dame zieht sich sofort in ihr Zimmer zurück, und die ehrenamtliche Helferin geht mit „ihrer“ Betreuungsperson spazieren. Und ich ziehe mich mit Ulrike Reder (34) und Hannelore Huhn (60) in das Gästezimmer der Rothenfußer Wohngemeinschaft zum Gespräch zurück. Münchener Wohnverhältnisse Auf meine Frage, wie denn die Geschichte der Rothenfußer Wohngemeinschaft aussehe, berichten die beiden Frauen zunächst über einen Umstand, für den München über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist und der auch für diese Wohngruppe eine große Hürde darstellte: „Wir haben hier mit einem unglaub- lichen Wohnraummangel zu kämpfen. Die Konkurrenz um den heiß begehrten Wohnraum führt dazu, dass vor allem behinderte Menschen benachteiligt, ja sogar weggemobbt werden. Die Bauträger und Vermieter in München sitzen auf einem sehr hohen Ross“, beklagt Ulrike Reder. Sie hat zwei Jahre lang eine geeignete Wohnung für die jetzige Wohngemeinschaft gesucht. Nun sei man – allerdings nur vorläufig – in diesem Haus untergekommen. Die Wohnung sei eigentlich für Körperbehinderte gedacht gewesen. Deshalb seien auch die Flure so breit und der Boden sehe durch den rollstuhlgerechten Bodenbelag so ungemütlich aus. Allerdings sehe durch die individuelle Möblierung und den vielen Krimskrams die ganze 240 Quadrameter große Wohnung mittlerweile schon viel wohnlicher aus. „Es ist verständlich, dass die Angehörigen von körperbehinderten Menschen den Wohnraum, den wir ihnen jetzt wegnehmen, natürlich selbst wieder haben wollen“, so Ulrike Reder. Deshalb suchte man auch nach einer endgültigen Bleibe für die Wohngemeinschaft. „In etwa einem Jahr ziehen wir in unsere neue Wohnung, die gerade in einem anderen Stadtteil Münchens gebaut wird“, freuen sich die beiden Frauen. Dort hoffe man, dass sich alle Bewohnerinnen ebenso gut eingewöhnen werden, wie dies in der Chiemgaustraße 28 geschehen sei. „Frau Neck ist weg“ – eine leidvolle Geschichte mit Happy End Eine der sieben Bewohnerinnen ist eben die „Westpreußin“ Eva Neck. Die 82-Jährige hat eine typische Leidensgeschichte hinter sich, wie sie viele Familien erlebt haben, in denen ein Angehöriger an einer Demenz erkrankt ist. Nur, durch den knappen Wohnraum für Menschen mit Demenz in München hat die Geschichte von Frau Neck eine besondere und „unnötige“ Dramatik erfahren wie mir ihre Tochter erzählt: „Zunächst lebte meine Mutter noch lange recht gut allein in ihrer Wohnung, die nur fünf Kilometer entfernt von meiner lag. Doch weil ich berufstätig bin, sah ich mich schon bald gezwungen, sie nachmittags in Alzheimergruppen oder zur Tagespflege nach Neuperlach zu bringen“, erinnert sich die Tochter Hannelore Huhn. Meine Mutter wurde aber immer unruhiger und aggressiver. Ihr Bewe- Thema Kuratorium Deutsche Altershilfe ProAlter 2/03 11

Thema<br />

10<br />

Die Rothenfußer Wohngemeinschaft:<br />

Ein kleines Stück Glück<br />

für Menschen mit Demenz in München<br />

Als ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Konzepte von „Wohngemeinschaften mit Betreuung“<br />

sein können, steht die Rothenfußer Wohngemeinschaft in München. Sie weist nicht nur eine<br />

Besonderheit in der Art der Finanzierung auf, sondern auch ihre Ausrichtung auf Menschen<br />

mit fortgeschrittener Demenz zeigt, dass diese Form des Wohnens auch Menschen mit sehr starker<br />

gesundheitlicher Beeinträchtigung eine neue Heimat bieten kann. Harald Raabe hat die<br />

Wohngemeinschaft besucht.<br />

An einer verkehrsreichen Straße im Münchener<br />

Stadtteil Giesing steht ein ehemaliges, renoviertes<br />

Offiziersgebäude der US-Army. Dort in der<br />

vierten Etage werde ich erwartet von der<br />

Rothenfußer Wohngemeinschaft. Es ist 15 Uhr,<br />

als ich die Klingel in der Chiemgaustraße 28<br />

suche. An der Wohnungstür öffnet mir Ulrike<br />

Reder, die Geschäftsführerin<br />

von „Carpe Diem“, einem<br />

„Eingetragenen Verein zur<br />

Förderung der häuslichen<br />

Betreuung und Pflege für<br />

Demenzkranke, seelisch<br />

Kranke, Hirnverletzte und<br />

Sterbende“ in München, dessen<br />

Mitarbeiter die Bewohnerinnen<br />

dieser Wohngruppe<br />

pflegen und betreuen. Aus dem<br />

Flur dringt Gitarrenmusik, zu<br />

der ein Mann singt, vermischt<br />

mit Lachen und dem dünnen,<br />

etwas schräg klingenden<br />

Gesang älterer Frauen. Frau<br />

Reder flüstert mir zu, dass man<br />

gerade beim täglichen Kaffeetrinken<br />

sei und heute ein älterer Musikclown,<br />

der sich einmal in der Woche mit einem Zitherspieler<br />

abwechselte, die alten Damen vor allem<br />

mit süddeutscher und Wiener Musik unterhalte.<br />

Wir gehen über einen etwas steril wirkenden<br />

Flur in eine geräumige Wohnküche. Die<br />

Fenster stehen offen, und über eine Loggia<br />

strahlt die Sonne in den Raum. Auf den<br />

Tischen stehen Ostersträuße, und an den Wän-<br />

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den und Fenstern hängen Osterdekorationen.<br />

Sechs Bewohnerinnen sitzen um den großen<br />

Küchentisch. Unser leises Eintreten wird kaum<br />

wahrgenommen. Wir setzen uns still auf die<br />

Sofas einer bunten Sitzecke und beobachten die<br />

Kaffeetafel. Verteilt zwischen den Bewohnerinnen<br />

sitzen die Teamleiterin, eine ehrenamtliche<br />

Seit Oktober 2000 ist die Rothenfußer Wohngemeinschaft<br />

übergangsweise in einem ehemaligen Offiziersgebäude<br />

der US-Army untergebracht. Foto: Harald Raabe<br />

Helferin, die Tochter einer Bewohnerin, ein<br />

Zivildienstleistender sowie eine Praktikantin.<br />

Wer nicht auf den vor der Tafel stehenden<br />

Musikclown achtet, spricht mit der Person an<br />

seiner Seite. Plötzlich steht eine Dame, die

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