E&W Mai 2005 - GEW
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zwungenes Event. Natürlich ist es nicht<br />
verkehrt, Gedenkstätten zu besuchen.<br />
Aber ich halte es für falsch, dies in der<br />
Absicht zu tun, Rechtsradikale „bekehren“<br />
zu wollen.<br />
E &W: Sind Lehrer argumentativ zu wenig<br />
gerüstet, um sich mit den ideologischen Weltbildern<br />
der Rechten auseinander zu setzen?<br />
Leggewie: Viele Lehrer neigen dazu,<br />
beim Auftritt eines Rechtsradikalen in<br />
ihrer Klasse nur mit Empörung und<br />
Abscheu, also moralisch zu reagieren.<br />
Sie kennen die Argumentationsmuster<br />
der Rechten nicht gut genug und sind<br />
deshalb nicht in der Lage, sie spontan zu<br />
widerlegen. Zur inhaltlichen Auseinandersetzung<br />
gehört allerdings auch, gewisse<br />
Themen nicht mehr zu tabuisieren.<br />
Also: auch nicht die deutschen Opfer<br />
bei der Vertreibung oder die Massenvergewaltigung<br />
im Zuge des Einrückens<br />
der Roten Armee zu verschweigen, weil<br />
man dann Beifall von der falschen Seite<br />
bekommen könnte.<br />
E &W: Was vermissen Sie in den Schulen?<br />
Leggewie: Was in den meisten Bildungseinrichtungen<br />
eher fehlt, ist eine<br />
politische Bildung und Pädagogik, die<br />
jungen Menschen Chancen und Wege<br />
aufzeigt, wie sie an und in diesem demokratischen<br />
System partizipieren, Widerspruch<br />
anmelden und auch Protest<br />
artikulieren können.<br />
Die Vergangenheit der heutigen Jugend<br />
ist nicht der Nationalsozialismus. Ihre<br />
Vergangenheit ist die der Bundesrepublik<br />
vor 1989. Und das ist ein ausgesprochen<br />
erfolgreiches politisches System<br />
gewesen, was aber, wie wir aus vielen<br />
Umfragen wissen, auf Jugendliche<br />
nachlassenden Eindruck macht. Hierin<br />
und nicht im Erstarken einer rechtsextremen<br />
Bewegung sehe ich eine ernsthafte<br />
Krise der Demokratie und des demokratischen<br />
Bewusstseins.<br />
E &W: Was läuft verkehrt?<br />
Leggewie: Für manche jungen Leute ist<br />
das politische System der Bundesrepublik<br />
ein Fremdkörper. Sie bringen ihm<br />
kein Vertrauen entgegen und haben<br />
nicht das Gefühl, dass sie eingreifen<br />
können, um gesellschaftliche Verhältnisse,<br />
die ihnen nicht passen, zu verändern.<br />
Und dieses Gefühl reicht bis in die<br />
Kreise von Politikstudierenden hinein.<br />
Das ist der Skandal und zugleich die<br />
Herausforderung an die Pädagogik,<br />
ganz ungeachtet dessen, ob wir acht<br />
Prozent Neonazis im sächsischen Parlament<br />
oder sonstwo haben. Wenn Lehrer<br />
präventiv eine Rechtsorientierung junger<br />
Leute verhindern wollen, müssen sie<br />
zunächst einmal verhindern, dass wir<br />
eine Demokratie ohne Demokraten<br />
werden. Interview: Helga Haas-Rietschel<br />
8. MAI