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E&W Mai 2005 - GEW

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wie<br />

mokraten<br />

dem Zusammenbruch der alten faschistisch<br />

autoritären Staatsordnung sofort<br />

ein neues autoritäres System aufgebaut.<br />

Im Grunde war es eine gesellschaftliche<br />

Ordnung, die den Autoritarismus, den<br />

Massenkonformismus, das Spitzeltum<br />

und Denunziantentum unter anderen<br />

politischen Vorzeichen fortgeführt hat.<br />

E &W: Nicht nur autoritäre Denkmuster<br />

leben in den Köpfen der Deutschen fort …<br />

Leggewie: Empirische Forschungen<br />

weisen die Tradierungen des Opferressentiments<br />

bei allen Deutschen nach.<br />

Diese sind von den Großeltern auf die<br />

Eltern und von ihnen auf die Enkel<br />

und Urenkel übertragen worden. Solche<br />

Ressentiments werden in der Propaganda<br />

der NPD aufgegriffen und bedient.<br />

E &W: Sind diese Ressentiments die Grundlage<br />

für einen wieder auflebenden Geschichtsrevisionismus?<br />

Leggewie: Jenseits der offiziellen Memorial-<br />

und Erinnerungskultur existiert<br />

in der Gesellschaft als Unterstrom ein revisionistischer<br />

Diskurs, der die Deutschen<br />

als Kriegsopfer darstellt. Eine solche<br />

Betrachtungsweise kann sich rasch<br />

in eine emotionale Abwehrhaltung gegen<br />

die teilweise unglückliche Praxis<br />

der Erinnerungskultur umwandeln. Der<br />

Geschichtsrevisionismus, zu dem Teile<br />

Foto: dpa<br />

der Bevölkerung neigen, ist sicherlich<br />

eines der stärksten Mobilisierungsmomente<br />

für die Rechten. Das haben wir<br />

im sächsischen Landtag mit der mittlerweile<br />

berühmt-berüchtigten Wortschöpfung<br />

„Bomben-Holocaust“ erlebt,<br />

die durch die mediale Verbreitung ins<br />

öffentliche Bewusstsein gerückt worden<br />

ist.<br />

E &W: Die Partei der ewig Gestrigen greift<br />

nicht nur in die Mottenkiste des Geschichtsrevisionismus,<br />

sie tritt zugleich aggressiver<br />

und systemfeindlicher als früher auf.<br />

Leggewie: Man darf nicht vergessen,<br />

dass die NPD heute eine der stärksten<br />

globalisierungskritischen Bewegungen<br />

in Deutschland ist: Antimoderne, antikapitalistische,<br />

antiamerikanische Strömungen,<br />

die die deutsche Rechte insbesondere<br />

in ihren radikalen Auswüchsen<br />

immer gekennzeichnet haben, geben<br />

der neuen Rechten einen sozialrevolutionären<br />

Anstrich.<br />

E &W: Welche braune Suppe verbirgt sich<br />

hinter der Globalisierungskritik der Rechten?<br />

Leggewie: Die Globalisierungskritik der<br />

Rechten vermengt, genauso wie die Islamisten<br />

übrigens, Antizionismus mit Antiamerikanismus.<br />

Und Rechtspopulisten<br />

suggerieren: Wir sagen Dinge, die<br />

sonst niemand zu sagen wagt – mit solchen<br />

Parolen sind Jörg Haider und Jean<br />

Marie Le Pen erfolgreich geworden – und<br />

unterstellen, es bestehe eine Art Allianz<br />

zwischen dem „Weltjudentum“ und der<br />

etablierten politischen Klasse. Sie verhindere,<br />

dass die Politik Israels kritisiert<br />

werde und sei Grundlage für die Entschädigungspolitik<br />

Deutschlands und<br />

Europas gegenüber Holocaust-Opfern.<br />

Dieser ideologische Mix aus Globalisierungsängsten<br />

mit Geschichtsrevisionismus<br />

und „Politikverdrossenheit“ ist in<br />

der Tat eine brisante Mischung, die in<br />

Zeiten wirtschaftlicher Verunsicherung<br />

und politischer Destabilisierung noch<br />

Schwerwiegenderes bewirken könnte als<br />

den Einzug der NPD in den sächsischen<br />

Landtag.<br />

E&W: Ökonomische Verunsicherung, Angst<br />

vor Verlust des Arbeitsplatzes, verbunden<br />

mit den von Ihnen erwähnten Ressentiments,<br />

schafft das alles zusammen ein nicht unerhebliches<br />

antidemokratisches Potenzial quer<br />

durch die Gesellschaft?<br />

Leggewie: In Kreisen des Managements,<br />

der Selbstständigen oder des Beamtenund<br />

Angestelltentums – und hier reden<br />

wir über die Gruppen, die in der Weimarer<br />

Republik stark antidemokratisch eingestellt<br />

waren – besitzt der Rechtsextremismus<br />

kaum Einfluss. Sicherlich haben<br />

wir ein rechtsradikales, rassistisches<br />

und antisemitisches Potenzial von etwa<br />

20 Prozent, vor allem in abstiegsbedrohten<br />

sozialen Schichten, aber nicht in der<br />

gesellschaftlichen Mitte. Oder dort nur<br />

insofern, als inzwischen auch hier Abstiegsängste<br />

eine größere Rolle spielen<br />

als noch vor zehn Jahren.<br />

E &W: Verharmlosen Sie nicht zu sehr?<br />

Leggewie: Was ist an einem solchen<br />

„Bodensatz“ harmlos? Das rechtsradikale<br />

Potenzial ist auch einer Krisenwirkung<br />

der deutschen Vereinigung zu verdanken,<br />

da es nicht zu einer echten politischen<br />

Integration Ost- und Westdeutschlands<br />

gekommen ist. Die NPD<br />

nutzt dieses Versäumnis aus. Zum anderen<br />

haben wir es bei rechten Sympathisanten<br />

mit so genannten Globalisierungsverlierern<br />

zu tun, deren ethnonationalistische<br />

Ressentiments von der<br />

NPD entsprechend bedient werden.<br />

E &W: Und die Politik schaut zu?<br />

Leggewie: Die demokratischen Parteien<br />

kontern zumindest nicht und lassen<br />

sich zum Teil auch vorführen. Ein Beispiel<br />

ist die ungeschickte Reaktion der<br />

Parlamentarier im sächsischen Landtag<br />

auf den so genannten „Bomben-Holocaust“.<br />

Parlamentarier übrigens – und<br />

darin sehe ich Heuchelei –, die sich zwar<br />

kollektiv über die NPD aufregen, von<br />

denen einige aber, als es um die Wahl<br />

nicht unbedeutender Posten ging – vom<br />

Ministerpräsidenten bis zum Integrationsbeauftragten<br />

–, selbst NPD-Vertreter<br />

gewählt haben!<br />

E &W: Von dieser Heuchelei profitiert die<br />

NPD . . .<br />

Leggewie: Als dann ein junger Amateurhistoriker<br />

aus dem Westen das Wort<br />

vom „Bomben-Holocaust“ fallen ließ,<br />

verließen sie empört den Saal, statt dass<br />

einer von ihnen aufgestanden wäre und<br />

eine zündende Gegenrede gehalten hätte.<br />

Solche Reaktionen aber machen die<br />

NPD erst recht stark.<br />

Dass man einen Rechtsradikalen nicht<br />

in offener Auseinandersetzung stellt<br />

und möglichen Sympathisanten signalisiert,<br />

„die reden Unsinn!“, das ist in<br />

meinen Augen das größte Versagen von<br />

Politik und Medien.<br />

E &W: Versagen auch die Lehrer?<br />

Leggewie: Den Ausdruck „versagen“<br />

möchte ich nicht verwenden, aber wir<br />

erleben gelegentlich eine falsch verstandene<br />

Pädagogik, die auf den Nationalsozialismus<br />

und das Auftreten der NPD<br />

nur mit einer Schock- und Schuldtherapie<br />

reagiert. Pädagogen sollten sich darüber<br />

im Klaren sein, dass jeder Sympathisant<br />

der Rechten, mit dem sie eine<br />

KZ-Gedenkstätte besuchen, sich danach<br />

in seinem Weltbild eher bestärkt<br />

fühlen wird, denn er hält alles für eine<br />

Inszenierung und erlebt es als aufge-<br />

Fotos: Alex Kraus<br />

8. MAI<br />

In bestimmten<br />

ostdeutschen<br />

Milieus ist nach<br />

der Wende ein politisch-kulturelles<br />

Vakuum entstanden,<br />

in dem sich<br />

die NPD und ihr<br />

nahestehende<br />

Bewegungen<br />

ausbreiten.<br />

❞ Für manche<br />

jungen<br />

Leute ist<br />

das System<br />

der Bundesrepublik<br />

ein<br />

Fremdkörper.<br />

Sie haben<br />

nicht das<br />

Gefühl, dass<br />

sie eingreifen<br />

können. Das<br />

ist der Skandal<br />

und zugleich<br />

die<br />

Herausforderung<br />

an<br />

die Pädagogik.<br />

❝<br />

E&W 5/<strong>2005</strong> 25

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