E&W Mai 2005 - GEW
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8. MAI<br />
Claus Leggewie<br />
war von 1995 bis<br />
1997 der erste Inhaber<br />
des Max-<br />
Weber-Lehrstuhls<br />
der New York University.<br />
Mit Hans<br />
Meyer hat er das<br />
Buch „Verbot der<br />
NPD oder mit<br />
Rechtsradikalen<br />
leben?“, edition<br />
suhrkamp 2003,<br />
veröffentlicht.<br />
❞ Empirische<br />
Forschungen<br />
weisen die<br />
Tradierungen<br />
des Opferressentiments<br />
bei allen<br />
Deutschen<br />
nach. Solche<br />
Ressentimentswerden<br />
von der<br />
NPD aufgegriffen<br />
und<br />
bedient.❝<br />
24<br />
Foto: dpa<br />
E&W 5/<strong>2005</strong><br />
Über ein mögliches NPD-Verbot,<br />
rechtsextremen Bodensatz und antidemokratisches<br />
Potenzial in der Gesellschaft,<br />
über Opferressentiments und<br />
Geschichtsrevisionismus, die auch<br />
nach 1945 in Teilen der Bevölkerung<br />
fortleben, sprach E&W mit dem Politikwissenschaftler<br />
und Direktor des<br />
Zentrums für Medien und Interaktivität<br />
an der Justus-Liebig-Universität<br />
Gießen Prof. Claus Leggewie. Mit<br />
Blick auf die junge Generation kritisiert<br />
Leggewie an den Bildungseinrichtungen,<br />
dass es hier an einer politischen<br />
Bildung und Pädagogik fehle,<br />
die jungen Menschen Chancen und<br />
Wege aufzeigt, wie sie an und in diesem<br />
demokratischen System partizipieren<br />
können.<br />
E &W: Nachdem das NPD-Verbotsverfahren<br />
2002 in Karlsruhe kläglich durch das<br />
V-Mann-Debakel gescheitert ist, hat Bundesinnenminister<br />
Otto Schily (SPD) nach<br />
den Vorfällen im Dresdener Landtag und<br />
wohl auch aus Sorge um die voraussichtlichen<br />
NPD-Aufmärsche zum 8. <strong>Mai</strong> einen<br />
neuen Vorstoß angekündigt. Ist dieser ernst<br />
gemeint?<br />
Claus Leggewie: Wohl nicht. Denn die<br />
Verhältnisse haben sich, was die V-Leute-Problematik<br />
betrifft, nicht wesentlich<br />
verändert. Es ist zu vermuten, dass<br />
mögliches Belastungsmaterial weiterhin<br />
aus derartigen Quellen stammen<br />
könnte. Ein Verbot ist genenell ein mit<br />
Vorsicht zu genießendes Rechtsmittel;<br />
man sollte nur darüber diskutieren,<br />
wenn eine echte Gefahr für die Demokratie<br />
besteht. Die Verbotsgegner haben<br />
darauf hingewiesen, dass ein Verbot<br />
gegen eine Partei oder politische Organisation<br />
akzeptabel ist, wenn sie effektive<br />
Gesetzesverstöße begeht oder zu solchen<br />
aufruft.<br />
E &W: Die NPD verfolgt zweifelsohne verfassungswidrige<br />
Ziele …<br />
Leggewie: Das ist überhaupt keine Frage.<br />
Das wird in den Veröffentlichungen<br />
der NPD bis hin zur Publikumszeitschrift<br />
„Deutsche Stimme“ deutlich.<br />
Nur: Es ist schwierig, solche verfassungswidrigen<br />
Ziele auch justiziabel zu<br />
machen. Die NPD verfolgt eine ethnonationalistische<br />
Säuberungspolitik mit<br />
den Mitteln des parlamentarischen Systems,<br />
aber letztlich in der Absicht, dieses<br />
durch eine autoritäre, exklusiv ausgerichtete<br />
Ordnung zu ersetzen. Das ist<br />
aber noch keine ausreichende Grundlage,<br />
um mit einem Verbot zu operieren.<br />
Demokratie ohne De<br />
E&W-Interview mit dem Gießener Politikwissenschaftler Claus Legge<br />
E &W: Die Verbreitung braunen Gedankenguts<br />
in bestimmten Milieus ist ein größeres<br />
Problem als die NPD?<br />
Leggewie: Vor allem in ostdeutschen<br />
Milieus ist nach der Wende tatsächlich<br />
ein politisches und vor allen Dingen<br />
auch politisch kulturelles Vakuum entstanden,<br />
in dem sich Kräfte der NPD<br />
und mit ihr verbundene außerparlamentarische<br />
Bewegungen ausbreiten. Es<br />
gelingt ihnen, weil kein politisches Gegengewicht<br />
vorhanden ist. Weder von<br />
den lokalen Parteien, die ja ohnehin<br />
massiv an Vertrauen, vor allem in Ostdeutschland,<br />
verloren haben, noch von<br />
Bildungs- und Jugendhilfeeinrichtungen<br />
geht in Gebieten der ehemaligen<br />
DDR, wo Massenarbeitslosigkeit und<br />
Devianz existieren, eine politische Orientierung<br />
aus. In solchen Regionen ist<br />
die NPD auf einen für sie fruchtbaren<br />
Bodensatz von massenhaften Ressentiments<br />
gestoßen. Und – sie wird dabei<br />
von niemandem gehindert, niemand<br />
macht ihr das Terrain streitig.<br />
E &W: Man hat im Kampf gegen Rechts immer<br />
zuerst bestimmte Jugendmilieus im Auge<br />
– zu Recht?<br />
Leggewie: Man fixiert sich meines Erachtens<br />
zu sehr auf Jugendliche. Sicher<br />
sind junge Männer zwischen 16 und 25<br />
für Rechtsaußen anfälliger als andere.<br />
Aber ich bin der Auffassung, dass die<br />
jungen Leute häufig nur die Ressentiments<br />
ihrer Eltern widerspiegeln und<br />
diese mit einem rebellischen, provokanten<br />
Gestus der Jugendsubkultur aufladen.<br />
Doch wir haben es hier kaum mit<br />
einer neuen APO zu tun. Denn die rechte<br />
soziale Bewegung strebt von ihren<br />
Zielen her eher eine konformistische autoritäre<br />
Gesellschaftsordnung an.<br />
E &W: Profitieren die Rechten davon, dass<br />
im Bewusstsein der Deutschen – und da ist<br />
jetzt die ältere Generation gemeint – eine<br />
Kontinuität gewisser Denk- und Verhaltensmuster<br />
aus der Zeit des Nationalsozialismus<br />
auch nach 1945 weiter besteht?<br />
Leggewie: Speziell in Ostdeutschland<br />
hat sich über Jahrzehnte hinweg eine autoritäre<br />
politische und kulturelle Ordnung<br />
erhalten. Auch war die Art und<br />
Weise, wie sich die DDR mit der NS-<br />
Vergangenheit beschäftigt hat, problematisch,<br />
weil sich die DDR-Gesellschaft<br />
gewissermaßen kollektiv auf die<br />
Seite der Sieger gestellt hat. Dadurch<br />
haben die Ostdeutschen vermieden,<br />
sich mit ihrer nationalsozialistischen<br />
Vergangenheit auseinander zu setzen<br />
und diese selbstkritisch zu reflektieren.<br />
Zum anderen wurde in der DDR nach