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E&W Mai 2005 - GEW

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KOMMENTAR<br />

Die Herausforderungen selbstbewusst annehmen<br />

Gesellschaftlicher Aufbruch für bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bildung<br />

Ulrich Thöne,<br />

neuer <strong>GEW</strong>-Vorsitzender<br />

2<br />

Foto: Christian von Polentz<br />

E&W 5/<strong>2005</strong><br />

Seit den Äußerungen des<br />

SPD-Parteivorsitzenden<br />

Franz Müntefering über die<br />

schädlichen Auswirkungen<br />

einer entfesselten Marktwirtschaft<br />

reißt die Kritik an unsozialen<br />

Zuständen nicht<br />

mehr ab. Was vorher zwar<br />

von vielen wahrgenommen,<br />

aber nur von wenigen ausgesprochen<br />

wurde, wird thematisiert.<br />

1,5 Millionen Kinder und<br />

Jugendliche unter 15 Jahren<br />

sind in Deutschland von Armut<br />

betroffen! Weit über 15<br />

Prozent aller Kinder wachsen<br />

in Armut auf! Gegenüber<br />

1998 ist das ein Anstieg<br />

von über 30 Prozent! Dabei<br />

hatte die rot-grüne Bundesregierung<br />

bei ihrem Amtsantritt<br />

versprochen, besonders<br />

die Armut von Kindern zu<br />

bekämpfen!<br />

Eine Umkehr der staatlichen<br />

Wirtschafts-, Sozial- und vor<br />

allem Finanzpolitik ist dringend<br />

notwendig. Wir brauchen<br />

keine Senkung des<br />

Spitzensteuersatzes, sondern<br />

endlich eine Umverteilung<br />

des vorhandenen Reichtums<br />

von oben nach unten! Wir<br />

brauchen einen Staat, der in<br />

der Lage ist, tatsächlich auch<br />

mehr für eine bessere Bildung<br />

für alle auszugeben!<br />

Wir sollten nicht zulassen,<br />

dass die aktuelle Debatte im<br />

Sande verläuft. Es geht hier<br />

nicht darum, wer Recht hat.<br />

Für uns geht es ganz konkret<br />

um die Frage, welche Pflichten<br />

der Staat zu erfüllen hat,<br />

um ein sozial gerechtes und<br />

zukunftsfähiges Bildungssystem<br />

für alle sicherzustellen.<br />

Wir sind die Fachleute für<br />

Bildung. Von uns wird zu<br />

Recht erwartet, dass wir den<br />

Mut aufbringen und uns engagieren<br />

für den notwendigen<br />

Um- und Ausbau unserer<br />

Bildungseinrichtungen.<br />

Aber an uns liegt es auch, eine<br />

dringend notwendige<br />

Verbesserung der Arbeits-<br />

und Lebensbedingungen für<br />

die Pädagoginnen und<br />

Pädagogen einzufordern.<br />

Wir müssen raus aus der Defensive.<br />

Nicht wir Pädagoginnen<br />

und Pädagogen<br />

klammern uns an veraltete,<br />

falsche Strukturen im Bildungssystem.<br />

Es liegt nicht<br />

an uns, dass seit vielen Jahren<br />

zu wenig Mittel bereitgestellt<br />

werden und sich die<br />

Schere zwischen Anspruch<br />

und Wirklichkeit ständig<br />

weiter öffnet. Bei aller lobenswerten<br />

Bereitschaft zur<br />

Selbstkritik gehören wir<br />

nicht auf die Anklagebank,<br />

wenn von den PISA-Ergebnissen<br />

die Rede ist. Da müssen<br />

andere Platz nehmen.<br />

Es war nun wirklich nicht<br />

unser Wille, z. B. die Fördermittel<br />

für Kinder nicht<br />

deutscher Herkunftssprache<br />

zu kürzen, statt auszuweiten.<br />

Thulas Nxesi, der Präsident<br />

der Bildungsinternationale,<br />

hat uns ein schönes Bild für<br />

die große Aufgabe mit auf<br />

den Weg gegeben. Wie soll<br />

man einen großen Elefanten<br />

essen? Ja klar, am besten<br />

Stück für Stück! Auch für<br />

uns geht es darum, Schritt<br />

für Schritt die Wirklichkeit<br />

verändern zu wollen. Dabei<br />

können wir uns stützen auf<br />

die hohe Wertschätzung, die<br />

der Bildung entgegengebracht<br />

wird.<br />

Es geht um ganz konkret benennbare<br />

Ziele. Wir wollen<br />

die für viele Kindertagesstätten<br />

mittlerweile entwickelten<br />

Bildungspläne umsetzen.<br />

Das geht aber nicht ohne<br />

zusätzliche Zeiten für die<br />

Vor- und Nachbereitung sowie<br />

für Fortbildung und kollegiale<br />

Absprachen.<br />

Selbstverständlich brauchen<br />

wir dringend mehr Ganztagsschulen.<br />

Aber dazu müssen<br />

nicht nur die räumlichen<br />

Voraussetzungen geschaffen<br />

werden. Notwendig ist ein<br />

pädagogisches Konzept für<br />

den ganzen Tag und das ist<br />

weit mehr als Unterricht<br />

und Mittagessen. Hier wird<br />

mehr Personal gebraucht,<br />

Personal, das besser aus- und<br />

fortgebildet ist und die bisherigen<br />

Barrieren zwischen<br />

den Professionen überwindet.<br />

Denn schließlich wollen<br />

wir alle Kinder, ob benachteiligt<br />

oder hochbegabt, individuell<br />

fordern und fördern!<br />

Das geht nicht zum<br />

Nulltarif.<br />

Alle Jugendlichen brauchen<br />

einen qualifizierten Ausbildungs-<br />

oder Studienplatz.<br />

Wenn die Wirtschaft ihren<br />

Teil trotz aller Versprechungen<br />

nicht dazu beiträgt,<br />

müssen die schulischen Angebote<br />

samt einer Ausbildungsförderung<br />

ausgeweitet<br />

werden. Das Studium darf<br />

kein Privileg von Kindern<br />

aus begüterten Elternhäusern<br />

sein. Studiengebühren<br />

und wachsende Privatisierung<br />

sind der falsche Weg,<br />

um die Gesellschaft für die<br />

Zukunft zu rüsten.<br />

Und schließlich brauchen<br />

wir ein Weiterbildungssystem,<br />

das alle befähigt, mit<br />

der Weiterentwicklung in<br />

Wirtschaft und Gesellschaft<br />

Schritt halten zu können.<br />

Wir Pädagoginnen und<br />

Pädagogen können beschreiben,<br />

wie ein sozial gerechtes<br />

und zukunftsfähiges Bildungssystem<br />

aussehen<br />

könnte. Wir können aufzählen,<br />

mit welchen Maßnahmen<br />

ein gesellschaftlich<br />

gewünschter Erfolg erreicht<br />

werden kann. Sicher, das<br />

nähme auch uns noch einmal<br />

ganz anders in die<br />

Pflicht, aber schließlich ist<br />

unsere Arbeitskraft das einzig<br />

wirkliche Pfund, das wir<br />

einbringen können.<br />

Wir fordern mehr Personal,<br />

die Aufhebung der Zwangsteilzeit<br />

im Osten und die<br />

Senkung der Pflichtstunden<br />

sowie Klassen- und Gruppenfrequenzen.<br />

Wir fordern nachdrücklich,<br />

die Bezahlung der Dozentinnen<br />

und Dozenten in der<br />

Weiterbildung endlich spürbar<br />

zu erhöhen. Das alles<br />

kostet Geld.<br />

Aber diese Gesellschaft wird<br />

ständig reicher, nur fließt der<br />

Reichtum in immer weniger<br />

Taschen und wird so zu einer<br />

Bremse weiteren Wachstums.<br />

Seit 1990 sind die Einkommen<br />

aus Unternehmertätigkeit<br />

und Vermögen in<br />

Deutschland um rund 40<br />

Prozent gestiegen. Trotzdem<br />

wurden gerade sie mehrfach<br />

und nachhaltig steuerlich<br />

entlastet. Das Arbeitnehmereinkommen<br />

dagegen ist seit<br />

1990 um ein Prozent gesunken!<br />

Das ist der Kern der Debatte.<br />

Wir wollen einen Staat,<br />

der über ausreichend Steuereinnahmen<br />

verfügt, um eine<br />

gute Bildung für alle auch<br />

bezahlen zu können. Deswegen<br />

verlangen wir z. B.<br />

die Wiedereinführung der<br />

Vermögenssteuer, die Erhöhung<br />

der Erbschaftssteuer<br />

und ein umfangreiches Programm<br />

zur Steuergerechtigkeit.<br />

Wir wollen, dass jährlich<br />

mindestens 25 Milliarden<br />

Euro mehr für Bildung<br />

ausgegeben werden!<br />

Wir wollen Lösungen, wir<br />

wollen Ergebnisse. Wir werden<br />

kämpfen, aber auch den<br />

Mut haben, auf unserem<br />

Weg Kompromisse einzugehen.<br />

Viele Hindernisse stehen<br />

uns im Weg und manchmal<br />

ist es klüger, rückwärts<br />

zu gehen, um eine Sperre gezielt<br />

umgehen zu können.<br />

Aber wir werden uns nicht<br />

abfinden mit den Klagen.<br />

Wir wollen die Verbesserung<br />

und einen gesellschaftlichen<br />

Aufbruch für bessere Arbeitsbedingungen<br />

und eine<br />

bessere Bildung für alle –<br />

von Anfang an und ein Leben<br />

lang!<br />

Ulrich Thöne<br />

<strong>GEW</strong>-Vorsitzender

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