7-9/2011 - Leporello
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„Musik ist nämlich<br />
zunächst ’ Nichts‘! “<br />
<strong>Leporello</strong> im Gespräch mit dem Würzburger Musikwissenschaftler Dr. Hansjörg Ewert<br />
Kaum ist es Sommer, treibt die<br />
Musik allüberall üppige Blüten.<br />
Festivals und Festspiele, Open<br />
AirKonzerte und Events. Die<br />
Menschen zahlen gern viel dafür,<br />
in Musik schwelgen zu dürfen.<br />
Wobei das mit dem „schwelgen“<br />
so eine Sache sei, meint der Musikwissenschaftler<br />
Dr. Hansjörg<br />
Ewert vom Institut für Musikforschung<br />
der Universität Würzburg.<br />
Denn das durchaus merkwürdige<br />
Wort „schwelgen“ sei ja recht doppeldeutig:<br />
Es drücke einen völlig<br />
passiven Zustand des Genießens<br />
aus und sei dennoch ein aktives<br />
Verb. Womit man unversehens bei<br />
der nicht einfachen Frage ist, was<br />
es mit dem Hören und Genießen<br />
von Musik eigentlich auf sich hat.<br />
Was geschieht da, und warum<br />
tut man es überhaupt? Was spricht<br />
die Musik vor allem an, den Kopf<br />
oder das Gefühl? Nun, das Gefühl,<br />
möchte man meinen. Denn Musik<br />
drückt doch Gefühle<br />
aus, oder? Musik ist so<br />
etwas wie die Stenographie<br />
von Gefühlen,<br />
vielleicht auch Chiffre<br />
für Gefühle?<br />
Der Musikwissenschaftler<br />
wiegt bei solchen Sätzen<br />
den Kopf und dringt auf Klärung<br />
der Begriffe. Stenographie hält er<br />
für falsch, denn da gehe es um Abkürzung,<br />
und Musik breite je eher<br />
aus, als dass sie abkürze. Und das<br />
mit den Gefühlen, nun ja.<br />
Dr. Ewert wirft den Begriff<br />
„Stimmung“ in den Raum. Ein<br />
Wort, das zum einen direkt mit<br />
Musik zu tun hat, beispielsweise<br />
werden Instrumente „gestimmt“.<br />
Zum anderen drücke Musik für<br />
viele Menschen in erster Linie<br />
so etwas wie Stimmung aus. Allerdings<br />
unbestimmt, vieldeutig<br />
nicht so klar wie das eindeutige<br />
Wort. „Menschen suchen in der<br />
Musik nichts Genaues“, meint<br />
Hansjörg Ewert, „sondern etwas<br />
Diffuses.“ Und unterliegen dabei<br />
einem produktiven Mißverständnis:<br />
„Musik ist nämlich zunächst<br />
‚nichts'“. Was heißt, Musik bekommt<br />
ihre Bedeutung, ihre Stimmung<br />
erst durch nachträgliche Interpretation.<br />
Durch das, was Hö<br />
„Menschen<br />
suchen in der<br />
Musik etwas<br />
Diffuses“.<br />
rer darin angeblich hören. Oder<br />
durch das, was Komponisten<br />
„machen“, um eine Wirkung zu erzielen.<br />
Wenn also Richard Strauss<br />
„Eine Alpensymphonie“ schreibt,<br />
dann will er mit dieser Musik Bilder<br />
und Stimmungen erzeugen.<br />
Allerdings: Die Musik selbst besteht<br />
nur aus Tönen, und die sind<br />
keineswegs schon Berge! Die Suggestion<br />
des strahlenden Sonnenaufgangs<br />
im Gebirge beispielsweise<br />
könnte mit einem anderen<br />
Etikett genauso das klingende Bild<br />
eines siegreichen Helden sein.<br />
Wir hören in der Musik also das,<br />
was wir hören wollen und sollen.<br />
Und genauso ist es mit den Gefühlen<br />
und Stimmungen, die Musik<br />
vorgeblich in uns auslöst. Wir sind<br />
dabei allerdings in höchstem Maße<br />
kulturell geprägt. Denn wenn<br />
„wir“ eine bestimmte Harmonik<br />
als „traurig“ empfinden, dann<br />
nur, weil wir es so gelernt und ver<br />
innerlicht haben. Für<br />
Menschen eines völlig<br />
anderen Kulturkreises<br />
müssen „unsere“ traurigen<br />
Töne längst nicht<br />
traurig sein umgekehrt<br />
sind wir kaum imstande,<br />
in japanischer oder indischer<br />
Musik tatsächlich Gefühlszustände<br />
herauszuhören.<br />
Muss man also doch den Kopf<br />
mit einschalten beim Musikhören?<br />
Ist es mit dem Schwelgen<br />
allein nicht getan? Nun ja, man<br />
„muss“ es wohl nicht. Denn die<br />
Musik ist (wenigstens oft) da doch<br />
die geduldigste der Künste. Literatur,<br />
Malerei, bildende Kunst<br />
eröffnen sich einem kaum ohne<br />
Wissen und intellektuelle Anstrengung.<br />
Für die Musik gelte,<br />
meint Dr. Hansjörg Ewert, was<br />
Mozart einst an seinen Vater geschrieben<br />
hat: Sie solle Kenner<br />
und Liebhaber gleichermaßen zufriedenstellen.<br />
Was heißt: Etwas<br />
von Musik zu verstehen, vertieft<br />
sicher den Genuss. Aber wer nur<br />
genießt, kommt auch auf seine<br />
Kosten. Womit wir wieder bei den<br />
Festivals und Events mit den gesalzenen<br />
Preisen wären.<br />
Lothar Reichel<br />
Foto: siMone hAinz, Pixelio.de<br />
musik<br />
Diskurs<br />
<strong>Leporello</strong> l 27