DPMA - Erfinderaktivitäten 2006/2007
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RNA-Interferenz – Stummschalten von Genen<br />
Dr. Thomas J. Reitinger, Abt. 1.44<br />
Die Entdeckung der RNA-Interferenz durch die amerikanischen Nobelpreisträger für Physiologie oder<br />
Medizin Prof. Craig Mello und Prof. Andrew Fire eröffnen neue, revolutionierende Möglichkeiten in der<br />
biomedizinischen Forschung durch schnellere Entschlüsselung der Funktion einzelner, spezieller Gene<br />
im Organismus. Damit ist man der Aufklärung der Ursachen und damit der Verhinderung von Krankheiten<br />
durch Entwicklung neuer Medikamente ein großes Stück nähergekommen.<br />
1. Einleitung<br />
In den vergangenen Jahren sind immense Anstrengungen<br />
unternommen worden, bei einer Vielzahl von Spezies<br />
deren gesamtes Erbgut (Genom), welches als<br />
Desoxyribonukleinsäure (DNA), bzw. bei einigen Viren als<br />
Ribonukleinsäure (RNA) vorliegt, zu analysieren. Auch das<br />
menschliche Genom wurde im Rahmen des<br />
internationalen Humangenomprojekts [1] [2] [3] vollständig<br />
sequenziert. Das Chromosom 1 wurde als Letztes der 23<br />
menschlichen Chromosomenpaare in den Jahren<br />
2005/<strong>2006</strong> mit einer Genauigkeit von 99,99 Prozent<br />
entschlüsselt [4]. Die gefundenen Gensequenzen lassen<br />
jedoch keine Rückschlüsse für das Verständnis der<br />
biochemischen, biologischen bzw. pharmakologischen<br />
Zusammmenhänge im Organismus zu. Dazu bedarf es<br />
weiterer Informationen, insbesondere die Funktion der<br />
Genprodukte betreffend. Als Genprodukte sind<br />
weitestgehend Proteine zu verstehen, welche vom Genom<br />
einer Spezies codiert werden (functional genomics).<br />
Die Technologie der RNA-Interferenz macht es nun<br />
möglich, die Analyse der Funktion dieser Proteine, welche<br />
für die Diversität der Organismen verantwortlich sind,<br />
wesentlich schneller und einfacher durchzuführen, als es<br />
mit bisherigen Methoden möglich war.<br />
Das Prinzip der RNA-Interferenz beruht darauf, dass<br />
doppelsträngige RNA sequenzspezifisch die<br />
Genexpression (bzw. die Biosynthese von RNAs und<br />
Proteinen aus genetischen Informationen) in Zellen<br />
und/oder in ganzen Organismen dadurch blockiert, dass<br />
Messenger-RNA (mRNA) in einem komplexen<br />
Mechanismus zerhäckselt bzw. zerschnitten wird.<br />
2. Grundlagen<br />
Die Umwandlung genetischer Information in Proteine<br />
erfolgt in einem strikt geregelten Prozess, da die Vielzahl<br />
der Genprodukte (hauptsächlich Proteine) niemals<br />
ubiquitär und kontinuierlich im Organismus benötigt wird.<br />
Die Gen verschlüsselnde doppelsträngige<br />
Desoxyribonukleinsäure (dsDNA) wird zunächst in<br />
einsträngige Ribonukleinsäure (ssRNA) transkribiert.<br />
Dieser Vorgang läuft bei Eukaryoten und Prokaryoten<br />
prinzipiell gleich. Das primäre RNA-Transkript unterliegt<br />
anschließend verschiedenen Entwicklungsstufen wie<br />
beispielsweise das Herausschneiden von nichtcodierenden<br />
Introns (Splicing). Am Ende der Transkription<br />
wird die dann entstandene „reife“ Boten-RNA (messenger-<br />
RNA, kurz mRNA) in die korrespondierenden Proteine<br />
übersetzt (translatiert), welche dann, je nach Funktion, in<br />
verschiedenen Kompartimenten der Zelle als metabolische<br />
Enzyme, Rezeptoren, Transport- und Speichermoleküle,<br />
molekulare Motoren, Gerüstsubstanzen, Regulatoren,<br />
Reservestoffe, Hormone etc. dienen und dort reifen, um<br />
ihre physiologischen Funktionen zu erreichen [5].<br />
Im Hinblick auf die komplexen Transformationen und<br />
Entwicklungsstufen bei der Biosynthese von Proteinen aus<br />
genetischen Informationen werden seit langem intensiv<br />
Verfahren zur deren Funktionscharakterisierung erforscht<br />
und entwickelt. Die bisherigen Methoden waren meistens<br />
sehr arbeits- und kostenintensiv.<br />
Bewährte Verfahren zur Aufklärung der Funktion von<br />
Proteinen waren bisher so genannte<br />
Ausschaltexperimente (knock-out experiments). Hierbei<br />
wird der Phänotyp von Zell- und Gewebekulturen oder von<br />
ganzen Organismen, welche nicht in der Lage sind, ein<br />
<strong>Erfinderaktivitäten</strong> <strong>2006</strong>/<strong>2007</strong> 43