Guben in der Zeit des Nationalsozialismus 1936-1940
Guben in der Zeit des Nationalsozialismus 1936-1940
Guben in der Zeit des Nationalsozialismus 1936-1940
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E<strong>in</strong>e Dokumentation<br />
<strong>Guben</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>des</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong><br />
<strong>1936</strong>-<strong>1940</strong><br />
ACOL Gesellschaft für Arbeitsför<strong>der</strong>ung mbH Cottbus
Inhaltsverzeichnis<br />
2<br />
Seite<br />
Vorwort .................................................................................................................. 3 -4<br />
Aufgaben und Rolle <strong>der</strong> NSDAP <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> .......................................................... 5 - 28<br />
<strong>Guben</strong>er Jugend im Dritten Reich .....................................................................42 – 51<br />
Nationalsozialistische Wirtschafts- und Kulturpolitik <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>...........................52 – 66<br />
Nationalsozialistische Kulturpolitik <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> .....................................................67 – 74<br />
Nationalsozialistische Kulturpolitik <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> – Sport.........................................75 – 82<br />
Das Judentum ................................................................................................. 83 - 107<br />
Judenverfolgung ............................................................................................ 108 - 132<br />
Völkermord/Arbeitslager/Konzentrationslager ...............................................133 – 141<br />
Wi<strong>der</strong>stand gegen den <strong>Nationalsozialismus</strong> ..................................................142 – 150<br />
<strong>Zeit</strong>zeugenberichte ........................................................................................151 – 215<br />
Beg<strong>in</strong>n <strong>des</strong> Zweiten Weltkrieges ...................................................................216 – 232<br />
Abkürzungsverzeichnis..................................................................................233 – 234<br />
Quellenübersicht ...........................................................................................235 – 236<br />
Die Projektgruppe verabschiedet sich .....................................................................237
Vorwort<br />
In unermüdlicher, mühseliger Kle<strong>in</strong>arbeit sammelten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit schon <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er<br />
Heimatbund e. V., <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong>vere<strong>in</strong> e. V., das Stadtarchiv und die<br />
Bibliothek sowie kirchliche Verbände Material zu diesem Thema.<br />
Die MitarbeiterInnen haben im Rahmen e<strong>in</strong>es Projektes, das vom 1. Juli 2004 bis<br />
31. Dezember 2004 dauerte, Fakten aus <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>des</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong> im Raum <strong>Guben</strong> für<br />
den <strong>Zeit</strong>raum von <strong>1936</strong> bis <strong>1940</strong> zusammengetragen. In <strong>der</strong> Kürze <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> war es lei<strong>der</strong> nicht<br />
möglich, noch tiefgründiger <strong>in</strong> dieses Thema e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen. Mit dieser Dokumentation wird an<br />
e<strong>in</strong>e Ausarbeitung von Jugendlichen angeschlossen, die diese für den <strong>Zeit</strong>raum von 1932 bis<br />
1935 erstellten.<br />
Dabei wurde von folgenden Bed<strong>in</strong>gungen ausgegangen:<br />
Alle Unterlagen über die NSDAP <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> s<strong>in</strong>d verschollen, konnten also nicht herangezogen<br />
werden. Dies führte dazu, dass für diese Dokumentation nur mittelbare Quellen genutzt<br />
werden konnten. Gesicherte und authentische Angaben zu ihrer Organisation und<br />
Mitgliedschaft konnten <strong>des</strong>halb nur begrenzt gemacht werden. Auf Anfrage teilte das Archiv<br />
<strong>der</strong> Stadtverwaltung <strong>Guben</strong> mit, dass im Ausgang <strong>des</strong> Zweiten Weltkrieges <strong>in</strong> Folge <strong>der</strong><br />
Zerstörung <strong>der</strong> Stadt sämtliches Archivmaterial vernichtet worden sei und ke<strong>in</strong>erlei<br />
Orig<strong>in</strong>alquellen angeboten werden können.<br />
Als hauptsächliche Quelle wurde die <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung von <strong>1936</strong> bis <strong>1940</strong> herangezogen, die<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadtbibliothek <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> als Mikrofilm vorliegt und die an e<strong>in</strong>em Lesegerät gesichtet<br />
werden konnte. Dabei haben sich die MitarbeiterInnen auf selbst ausgewählte Artikel und<br />
Beiträge beschränkt.<br />
Auf e<strong>in</strong>e Bewertung <strong>der</strong> aufgenommenen Passagen wurde von vornhere<strong>in</strong> verzichtet, weil<br />
auch diese Tageszeitung nach <strong>der</strong> Machtübernahme durch die Faschisten <strong>der</strong> umfassenden<br />
Gleichschaltung unterlag. Dadurch war die Auswahl <strong>der</strong> Artikel e<strong>in</strong>erseits und die<br />
Durchdr<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Informationen an<strong>der</strong>erseits so stark propagandistisch bee<strong>in</strong>flusst, dass e<strong>in</strong><br />
vielseitig geprägtes Bild über diese <strong>Zeit</strong> unmöglich aus dieser Quelle alle<strong>in</strong> abgeleitet werden<br />
kann. Durch Gespräche mit <strong>Zeit</strong>zeugen wurde, e<strong>in</strong>e Vielfalt vom Tagesgeschehen sowie<br />
Denk- und Verhaltensweisen erfasst und dagegengesetzt. Aber auch hier muss berücksichtigt<br />
werden, dass die Aussagen viele Jahre nach den Ereignissen vor e<strong>in</strong>em späteren<br />
Erfahrungshorizont aufgeschrieben worden s<strong>in</strong>d.<br />
An<strong>der</strong>e Parteien und politische Strömungen kamen <strong>in</strong> dieser Tageszeitung nicht mehr zu<br />
Wort. Die <strong>in</strong> die Illegalität gedrängten Organisationen und Parteien hatten ke<strong>in</strong>e öffentlichen<br />
Publikationsmöglichkeiten mehr, welche hätten als Quellen herangezogen werden können.<br />
Alle Texte aus den oben genannten Quellen wurden orig<strong>in</strong>algetreu und <strong>in</strong> <strong>der</strong> zu dieser <strong>Zeit</strong><br />
geltenden Rechtschreibung übernommen. Die <strong>Zeit</strong>zeugenberichte und an<strong>der</strong>e Beiträge wurden<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> heute gültigen neuen Rechtschreibung verfasst. E<strong>in</strong> Abkürzungsverzeichnis (siehe<br />
Anhang) soll zur besseren Verständlichkeit dienen.<br />
Die MitarbeiterInnen haben mit <strong>Zeit</strong>zeugen Gespräche geführt. Durch die Befragungen<br />
wurde versucht, die Chronik verständlicher zu machen. Das ist auch <strong>in</strong> vielerlei H<strong>in</strong>sicht<br />
gelungen. Stärker jedoch s<strong>in</strong>d den <strong>Zeit</strong>zeugen ihre Erlebnisse und Er<strong>in</strong>nerungen aus <strong>der</strong><br />
Kriegs- und Nachkriegszeit im Gedächtnis geblieben.<br />
3
Das Ziel ist es, Interesse zu wecken und sich tiefgründiger mit <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Geschichte <strong>in</strong><br />
dieser <strong>Zeit</strong> zu befassen.<br />
Die Me<strong>in</strong>ungen und Ansichten müssen nicht immer mit denen <strong>der</strong> Verfasser dieser Chronik<br />
übere<strong>in</strong>stimmen.<br />
Unser geme<strong>in</strong>sames Fazit daraus ist es, dass sich mit nazistischem Gedankengut kritisch<br />
ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gesetzt wird und es sich nicht weiter ausbreiten kann. Es soll zum<br />
Nachdenken anregen, welches Leid dieser Wahns<strong>in</strong>n angerichtet hat.<br />
Die MitarbeiterInnen <strong>des</strong> Projektes bedanken sich ganz herzlich bei den <strong>Zeit</strong>zeugen für ihre<br />
Unterstützung und Bereitschaft, aus ihrem Leben zu berichten.<br />
Herrn Ansorge, Herrn Becker, Herrn Göll<strong>in</strong>g, Herrn Grünitz, Herrn Henschel, Herrn Hübner,<br />
Frau Jöhnke, Frau Kochann, Frau Köhler, Herrn und Frau Nerlich, Herrn Otto, Frau<br />
Prengemann, Frau Rothe, Herrn Schmidt, Herrn Schulz, Herrn Stengler, Frau Wie<strong>der</strong>, Herrn<br />
W<strong>in</strong>kler und Frau Müller (lei<strong>der</strong> verstorben).<br />
Beson<strong>der</strong>er Dank gilt den nachfolgend genannten Personen und Vere<strong>in</strong>en, welche uns<br />
Material zur Verfügung stellten.<br />
Herrn Arlt, Herrn Augustyniak, Herrn Gunia, Herrn Klostermann, Herrn Micksch,<br />
Herrn Möhr<strong>in</strong>g, Herrn Pagel, Herrn Pilz und Herrn Pfarrer Schulz. Außerdem möchten wir<br />
uns bei den Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Stadtbibliothek, bei Frau Richter vom Stadtarchiv<br />
und beim <strong>Guben</strong>er Heimatbund e. V. bedanken.<br />
Die MitarbeiterInnen <strong>der</strong> Projektgruppe von ACOL<br />
Frau Jutta Bernhard<br />
Herr Lutz Re<strong>in</strong>hardt<br />
Frau Mart<strong>in</strong>a Stäpke<br />
4
Aufgabe und Rolle <strong>der</strong> NSDAP <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
E<strong>in</strong>e geschichtliche Betrachtung aus <strong>der</strong> Sicht e<strong>in</strong>es <strong>Guben</strong>ers!<br />
(Bericht vom <strong>Guben</strong>er Bürger Eberhard Wittchen)<br />
Zur bitteren Realität <strong>des</strong> Untergangs unserer Baumblüten-, Handels- und Industriestadt <strong>Guben</strong><br />
im Jahre 1945 e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> Nachkriegsepoche gehört die Kenntnis sowie das Wissen um<br />
die Ereignisse, die sich langfristig abzeichneten.<br />
Wie überall im deutschen Lande, waren auch die <strong>Guben</strong>er Bürger 1933 bei <strong>der</strong><br />
Machtübernahme durch die Nazi-Partei (NSDAP) mehrheitlich <strong>in</strong> zufriedener Erwartung und<br />
Hoffnung, dass die angekündigte Beseitigung von Arbeitslosigkeit, Krim<strong>in</strong>alität und<br />
Schlendrian e<strong>in</strong> beschauliches und gesichertes Leben br<strong>in</strong>gen wird.<br />
Mit großem Propagandaaufwand wurden die sozialen und wirtschaftlichen Erfolge <strong>des</strong><br />
Regimes (vom K<strong>in</strong><strong>der</strong>geld, KDF-E<strong>in</strong>richtungen bis Volkswagen für je<strong>der</strong>mann) den<br />
Menschen suggeriert, und schon beschleicht die une<strong>in</strong>geschränkte Macht und Verkündigung<br />
<strong>des</strong> Ermächtigungsgesetzes (24. März 1933) und an<strong>der</strong>er Verordnungen mit Deutlichkeit.<br />
5
Der folgende Aufbau <strong>der</strong> Rüstungs<strong>in</strong>dustrie und Militärbauten <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> werden zwischen<br />
1935 und 1938 sichtbar durch solche Objekte wie<br />
• Rhe<strong>in</strong>metall-Borsigwerk, Schlagsdorfer Weg<br />
• Kasernenbauten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Moltkestraße (vormals Nordstraße) als Moltke-Kaserne<br />
• Kasernenbauten <strong>in</strong> <strong>der</strong> General-Ludendorff-Straße (vormals Grünberger Straße <strong>in</strong><br />
Mückenberg) als Mückenberg I, Mückenberg II, Mückenberg III<br />
• Ausbau <strong>des</strong> <strong>Guben</strong>er Flugplatzes <strong>in</strong> <strong>der</strong> Chöne/Seitwanner Chaussee zum<br />
militärischen Ausbildungsflughafen.<br />
Die Macht <strong>des</strong> „Führers“ und se<strong>in</strong>er Reichsführung mit <strong>der</strong> SS und SA, <strong>der</strong> „Gestapo“, <strong>der</strong><br />
Partei-Betriebsgruppen und –Ortsgruppen, <strong>der</strong> Jugendorganisationen wie HJ und BDM sowie<br />
allen voran dem Propagandam<strong>in</strong>isterium bewirken e<strong>in</strong>e umfassende E<strong>in</strong>schüchterung und<br />
Ergebenheit.<br />
Die Repressalien und Verwahrungen An<strong>der</strong>sdenken<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> KPD und SPD sowie<br />
an<strong>der</strong>sartiger Opposition wollen die Bürger lieber nicht zur Kenntnis nehmen, ja sie<br />
verdrängten es geradezu.<br />
So kam es, dass 1938 die Tschechei (Böhmen und Mähren) und Österreich militärisch, zwar<br />
noch ohne Blutvergießen, besetzt wurden.<br />
Der geschürte Hass gegen die jüdischen Mitbürger erlebte 1938 auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> mit <strong>der</strong><br />
sogenannten Kristallnacht e<strong>in</strong>en schlimmen Höhepunkt. Am 9. November wurde von<br />
<strong>in</strong>szenierten Banden die Synagoge im Kastaniengraben an <strong>der</strong> Lubst <strong>in</strong> Brand gesteckt. Viele<br />
jüdischen Bürger wurden ru<strong>in</strong>iert, vertrieben o<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong> „KZ“ verschleppt, dort gequält o<strong>der</strong><br />
getötet. Diese Menschenverachtung <strong>der</strong> Machthaber an den jüdischen Mitbürgern wurde von<br />
<strong>der</strong> übrigen Bevölkerung nicht verstanden, vielmehr hatte man Angst, sich gegen diese<br />
Willkür zu äußern, so ergab sich schließlich die Masse <strong>der</strong> Menschen <strong>der</strong> Nazi-Propaganda.<br />
Das Drama von Flucht und Vertreibung begann eigentlich zu dieser <strong>Zeit</strong>, als unsere<br />
Heimatstadt, sich im tiefsten Frieden wähnend, die 700-Jahr-Feier h<strong>in</strong>ter sich gebracht hatte.<br />
Der Kriegsausbruch 1939 und <strong>der</strong> Beg<strong>in</strong>n <strong>des</strong> Zweiten Weltkrieges waren somit die logische<br />
Folge.<br />
Aufgaben und Rolle <strong>der</strong> NSDAP<br />
6<br />
Quelle: „Perle <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lausitz II“, Lutz Materne<br />
Mit <strong>der</strong> Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begann<br />
<strong>in</strong> Deutschland die offene faschistische Diktatur.<br />
Mit Hitler und se<strong>in</strong>er Partei sollte außenpolitisch e<strong>in</strong> Kurs zur Err<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen<br />
Vormachtstellung <strong>des</strong> deutschen Imperialismus verwirklicht und Ziele erreicht werden, die<br />
sich <strong>der</strong> deutsche Imperialismus bereits im I. Weltkrieg gestellt hatte und bis dah<strong>in</strong> nicht<br />
verwirklichen konnte - z.B.:- die Vernichtung <strong>der</strong> Sowjetunion<br />
- Ausrottung <strong>des</strong> Marxismus mit Stumpf und Stiel<br />
Ihre H<strong>in</strong>termänner waren Angehörige <strong>der</strong> deutschen Großbourgeoisie, die seit Jahren<br />
zum durchgreifenden Schutz ihrer Profit<strong>in</strong>teressen auf die Errichtung <strong>der</strong> offenen<br />
terroristischen Diktatur h<strong>in</strong>gearbeitet hatten.<br />
Quelle: Namenlose Helden – gab es nicht Teil 1
Zu Adolf Hitler:<br />
Adolf Hitler, deutscher Reichskanzler und Führer <strong>des</strong> 3. Reiches, geb. 1889, gest. 1945<br />
(Selbstmord). Ab 1921 Leiter <strong>der</strong> Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP); nach<br />
misslungenem Münchener Putsch 1923 Festungshaft; 1924 Neuaufbau <strong>der</strong> NSDAP; 30.1.1933<br />
Ernennung zum Reichskanzler durch H<strong>in</strong>denburg; 1934 nach H<strong>in</strong>denburgs Tod auch<br />
Reichspräsident; ab 1935 Oberbefehlshaber <strong>der</strong> deutschen Wehrmacht. Mit dem Überfall auf<br />
Polen führte Hitler Deutschland 1939 <strong>in</strong> die Katastrophe <strong>des</strong> 2. Weltkrieges; 1941<br />
Oberbefehlshaber <strong>des</strong> deutschen Heeres; 20.7.1944 gescheitertes Attentat auf Hitler; beharrliches<br />
Weiterführen <strong>des</strong> Krieges bis zum unvermeidlichen Zusammenbruch 1945. Als selbst ernannter<br />
Führer <strong>des</strong> deutschen Volkes <strong>in</strong>stallierte Hitler e<strong>in</strong> totalitäres System, das Dritte o<strong>der</strong> auch<br />
Tausendjährige Reich (1933 – 1945). In dieser <strong>Zeit</strong> systematische Vernichtung von 6 Millionen<br />
Juden <strong>in</strong> Konzentrationslagern sowie expansionistische Großmachtpolitik, die zu den Gräueln <strong>des</strong><br />
2. Weltkrieges führte.<br />
7<br />
Quelle: NEUES UNIVERSALLEXIKON IN FARBE<br />
-Son<strong>der</strong>ausgabe 2002 Trautwe<strong>in</strong> Lexikon-<br />
Edition Genehmigte Son<strong>der</strong>ausgabe Compact<br />
Verlag München<br />
Der Machtantritt <strong>des</strong> Faschismus ist die Ablösung e<strong>in</strong>er Staatsform <strong>der</strong> Bourgeoisie,<br />
<strong>der</strong> bürgerlichen Demokratie durch e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e, durch die offene terroristische Diktatur.<br />
Die reaktionärste Art <strong>des</strong> Faschismus ist <strong>der</strong> Faschismus deutschen Schlages. Er hat die Dreistigkeit,<br />
sich <strong>Nationalsozialismus</strong> zu nennen, obwohl er nichts mit Sozialismus geme<strong>in</strong> hat.<br />
Hitlerfaschismus – dass ist nicht bloß Nationalismus, das ist bestialischer<br />
Chauv<strong>in</strong>ismus.<br />
Faschismus – das ist die Organisation <strong>der</strong> terroristischen blutigen Nie<strong>der</strong>haltung <strong>der</strong> Arbeiterklasse<br />
und <strong>der</strong> revolutionären Bauernschaft und <strong>der</strong> Intellektuellen. Er übt <strong>in</strong> brutaler<br />
Form e<strong>in</strong>en tierischen Haß gegen die an<strong>der</strong>en Völker aus.<br />
Der Naziterror wird zur Staatsgewalt<br />
-Auszug-<br />
Quelle: Die Rote Fahne vom 29. Jan. 1933<br />
Teil 1 – Seite 24/2 Heimatmuseum<br />
...Die faschistische Ideologie, <strong>der</strong>en Hauptbestandteil <strong>der</strong> extremste Antikommunismus<br />
war, wurde durch die barbarische Rassenlehre, die Theorie vom „mangelnden<br />
Lebensraum“ und durch wilden Chauv<strong>in</strong>ismus verkörpert. Sie bildete den Gipfelpunkt<br />
<strong>der</strong> reaktionären, unwissenschaftlichen, antihumanen „Theorien“, die im Interesse <strong>der</strong><br />
herrschenden Ausbeuterklassen <strong>in</strong> Deutschland seit dem Beg<strong>in</strong>n <strong>des</strong> Nie<strong>der</strong>ganges <strong>des</strong><br />
deutschen Kapitalismus hervorgebracht worden waren. Die faschistische Ideologie<br />
diente dazu, breite Massen dem faschistischen Regime unterzuordnen und zum<br />
Raubkrieg und zur bestialischen Vernichtung an<strong>der</strong>er Völker reif zumachen. Der<br />
Hitlerfaschismus war die Fortsetzung und Steigerung <strong>der</strong> reaktionären, volksfe<strong>in</strong>dlichen<br />
L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> deutschen Politik und verkörperte alle ver<strong>der</strong>blichen Traditionen <strong>der</strong>
deutschen Geschichte. Die faschistische Diktatur zeigte, daß zwischen den<br />
ant<strong>in</strong>ationalen Ausbeutungs- und Macht<strong>in</strong>teressen <strong>der</strong> herrschenden monopolkapitalistischen<br />
Kreise und den Lebens<strong>in</strong>teressen <strong>des</strong> deutschen Volkes e<strong>in</strong><br />
unüberbrückbarer Wi<strong>der</strong>spruch bestand...<br />
Satirisches Gedicht über die Entstehung<br />
<strong>des</strong> Hakenkreuzes als Symbol <strong>der</strong> Nazis<br />
(Verfasser: unbekannter <strong>Guben</strong>er Arbeiter)<br />
„Die Nazis behaupten, das Hakenkreuz,<br />
es stammt von den alten Germanen,<br />
nun tragen sie’s stolz <strong>in</strong> den Fahnen,<br />
am Ärmel und an <strong>der</strong> Teutonenbrust,<br />
die Nazijungfer trägts mit voller Lust<br />
verborgen an ihrem Höschen.<br />
‚Für beson<strong>der</strong>e Nazispäßchen‘<br />
Doch mit den Germanen, das ist e<strong>in</strong>e Mär,<br />
denn das Hakenkreuz stammt ganz woan<strong>der</strong>s her,<br />
man kannte es schon <strong>in</strong> alten <strong>Zeit</strong>en,<br />
<strong>in</strong> England auf den R<strong>in</strong>dviehweiden.<br />
Dort hatte es freilich e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Zweck,<br />
wenn nämlich das R<strong>in</strong>dvieh <strong>in</strong> Massen verreckt<br />
an Maul- und Klauenseuchen,<br />
dann diente es als Erkennungszeichen.<br />
Man malte es den maulverseuchten Viechern<br />
direkt mang die Hörner über den Riechern.<br />
Da ist das Hakenkreuz hergekommen<br />
und die Nazis habens mit Recht übernommen.“<br />
8<br />
Quelle: Auf Straßen und Fabriken,<br />
Autor: Horst Reschke, Seite: 162<br />
Quelle: „Auf Straßen und <strong>in</strong> Fabriken“<br />
Autor: Horst Reschke, Seite 130, 1965
NSDAP, Glie<strong>der</strong>ungen und angeschlossene Verbände<br />
Reichs-, Staats- und Städtische Behörden<br />
Organisationen, öffentliche E<strong>in</strong>richtungen, Vere<strong>in</strong>e<br />
Nach dem Stande vom 15. August 1939<br />
-Auszug-<br />
A. NSDAP und Glie<strong>der</strong>ungen<br />
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei<br />
Kreisleitung <strong>der</strong> NSDAP <strong>Guben</strong> Stadt und Land: <strong>Guben</strong>, Uferstr. 9<br />
Kreisleiter: Mart<strong>in</strong> Koch<br />
Ortsgruppe <strong>Guben</strong>-Pf<strong>in</strong>gstberg: <strong>Guben</strong>, Triftstraße 30<br />
Ortsgruppenleiter: Mart<strong>in</strong> Schober<br />
Ortsgruppe <strong>Guben</strong>-Crossener Berg, <strong>Guben</strong>, Crossener Str. 26<br />
Ortsgruppenleiter: Ernst Pilgrim<br />
Ortsgruppe <strong>Guben</strong>-Wer<strong>der</strong>, <strong>Guben</strong>, Lubststr. 10<br />
Ortsgruppenleiter: Emil Koschack<br />
Ortsgruppe <strong>Guben</strong>-Altstadt: <strong>Guben</strong>, Neustadt 42<br />
Ortsgruppenleiter: Max Schulz<br />
Ortsgruppe <strong>Guben</strong>-Mitte: <strong>Guben</strong>, Adolf-Hitler-Str. 36<br />
Ortsgruppenleiter: Georg Naschke<br />
Ortsgruppe <strong>Guben</strong>-West: <strong>Guben</strong>, Adolf-Hitler-Str. 36<br />
Ortsgruppenleiter: Kurt Alb<strong>in</strong>us<br />
NS-Frauenschaft<br />
NS-Frauenschaft <strong>Guben</strong>-Stadt: <strong>Guben</strong>, Alte Poststraße 41c<br />
Kreisfrauenschaftsleiter<strong>in</strong>: Elsa Richter<br />
NS-Frauenschaft <strong>Guben</strong>-Land, Fürstenberg/O<strong>der</strong>, Schützenstr. 13<br />
Kreisfrauenschaftsleiter<strong>in</strong>: Ida Eckert<br />
9
Amt für Volkswohlfahrt<br />
Kreisamtsleitung: <strong>Guben</strong>, Kurmärk.Str. 35<br />
Amt für Beamte<br />
Kreiswaltung: <strong>Guben</strong>, Lange Str. 15 Kreisamtsleiter: Alfred Klug<br />
Amt für Presse<br />
Kreisamtsleiter: Dr. Ernst Kaempfe<br />
Amt für Propaganda<br />
Kreisamtsleiter: Walter Bernst<br />
Amt für Technik<br />
Kreiswaltung: <strong>Guben</strong>, Egelneißedamm 6<br />
Kreisamtsleiter: Wilhelm Jaeschke<br />
Amt für Volksgesundheit<br />
Kreiswaltung: <strong>Guben</strong>, Kastaniengraben 13<br />
Kreisamtsleiter: Dr. Eggert Stahnke<br />
Kreisrechtsamt<br />
Kreisamtsleiter: Dr. Gerhard Schubert<br />
Stellvertreter: R.-A. Dr. Günter Kloß<br />
Amt für Kriegsopfer<br />
NSKOV<br />
Kreisamtsleitung: <strong>Guben</strong>, Markt 38<br />
Kreisamtsleiter: Karl-Friedrich Emmert<br />
Amt für Agrarpolitik<br />
Kreisamtsleiter: K. W. Ebert<br />
Amt für Rassen- und Bevölkerungspolitik<br />
Stellv. Kreisamtsleiter: W. Oels,<br />
Kreiswirtschaftsberater<br />
Stellv. Kreisamtsleiter:<br />
10
Rudolf Ißmer<br />
Amt für Kommunalpolitik<br />
Kreisamtsleiter: Wilhelm Wonde<br />
Amt für Erzieher Amt für Schulung<br />
Kreisamtsleitung: <strong>Guben</strong>, Uferstr. 9 Kreisamtsleiter: Theodor Meyer<br />
Kreisamtsleiter: Hugo Schulz<br />
SA <strong>der</strong> NSDAP NSKK<br />
Brigade 122: NSKK Motorstandarte 12<br />
Führer: Oberführer Hermann Megow NSKK-Sturmhauptführer Hepke<br />
Standarte 451Führer <strong>der</strong> Standarte: NSKK-Motorsturm 13/M 122: <strong>Guben</strong><br />
Führer: Standartenführer Alfred Glöckner Führer <strong>des</strong> Sturmes: NSKK-Obersturm-<br />
Sturmbann I/451: führer Reiche<br />
Führer: Sturmbannführer Walter Müller<br />
Sturmbann III/451<br />
Führer: Sturmbannführer Otto Schmidt<br />
SA-Reiterstandarte 122:<br />
Führer: Standartenführer Walter Adler<br />
SS NS-Fliegerkorps<br />
SS-Sturmbann II/27 <strong>Guben</strong> Sturm 9/23:<br />
Führer <strong>des</strong> Sturmbannes: z. Zt. noch Führer <strong>des</strong> Sturmes:<br />
unbesetzt Hauptsturmführer Richard<br />
SS-Sturm 5/27 <strong>Guben</strong> Pfennig<br />
Führer <strong>des</strong> Sturmes:<br />
SS-Oberscharführer Redweik<br />
HJ<br />
Bann 12 (<strong>Guben</strong>-Crossen) Bund Deutscher Mädel,<br />
Führer: Bannführer Gerd Wollermann Untergau 12<br />
(<strong>Guben</strong>-Crossen)<br />
Führer<strong>in</strong>: Untergauführer<strong>in</strong> Gerda<br />
Hahl<br />
Jungbann 12 (<strong>Guben</strong>-Crossen) Jungmädelbund Untergau 12<br />
Mit <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>der</strong> Geschäfte <strong>des</strong> (<strong>Guben</strong>-Crossen)<br />
Jungbannes beauftragt: Oberfähnle<strong>in</strong>führer Bruno Führer<strong>in</strong>: JM-Untergauführer<strong>in</strong><br />
Grießbach Gudrun Schmidt<br />
11
Die Deutsche Arbeitsfront<br />
Kreisverwaltung <strong>Guben</strong> Ehrenamtliche Kreisfach-<br />
Abteilungswalter<br />
Kreisobmann: Bernhard Schmidt Nahrung und<br />
Genuß:<br />
Hauptarbeitsgebiet I Walter Domdey<br />
Textil: Willi Krüger<br />
(Geschäftsführung): Ernst Gerlach Bekleidung und Le<strong>der</strong>:<br />
Hauptarbeitsgebiet II (Soziale Franz Kollarsch<br />
Selbstverantwortung und Bau: Karl Mothes<br />
-Gestaltung): Ernst Fritz<br />
Organisation: Hartmann<br />
Schulung: Franz Kollarsch<br />
Werkschar: Otto Wulf<br />
Reichstagswahl am 29.3.<strong>1936</strong><br />
12<br />
Quelle: Manfred<br />
Augustyniak<br />
Je<strong>der</strong> Stimmberechtigte sollte bis spätestens 13 Uhr gewählt haben.<br />
Ab 13 Uhr wird bereits bei den säumigen Wählern <strong>der</strong> Schleppdienst e<strong>in</strong>setzen.<br />
Kranke und gebrechliche Personen, die den Weg von ihrer Wohnung zum Wahllokal<br />
nicht gehen können, müssen dies dem zuständigen Blockleiter mitteilen, zwecks<br />
Veranlassung zum Transport.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 29. März <strong>1936</strong>
Reichsbauernführer!<br />
Bauern, Landwirte, Landarbeiter und Gärtner, Männer und Frauen<br />
die Kreisbauernschaft <strong>Guben</strong> grüßen Sie<br />
durch mich <strong>in</strong> stolzer Freude darüber, daß Sie den<br />
Wahlkampf für Adolf Hitler <strong>in</strong> unserem <strong>Guben</strong> beg<strong>in</strong>nen.<br />
Wir geloben Ihnen weiterh<strong>in</strong> treue Gefolgschaft im<br />
Kampf um die Nahrungsfreiheit<br />
<strong>des</strong> deutschen Volkes.<br />
Zernidow, Kreisbauernführer<br />
Heil Hitler!<br />
13<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 18. März <strong>1936</strong><br />
Aufruf an die deutsche Textilarbeiterschaft!<br />
Ob Mann o<strong>der</strong> Frau, ob an <strong>der</strong> surrenden Sp<strong>in</strong>del stehend o<strong>der</strong><br />
am laufenden Webstuhl arbeitend,<br />
ob strickend o<strong>der</strong> wirkend,<br />
ob vorbereitend o<strong>der</strong> veredelnd und ausrichtend,<br />
hört am 27.03.<strong>1936</strong>, nachmittags 16 Uhr,<br />
ihren Führer Adolf Hitler <strong>in</strong> Treue<br />
restlos und geschlossen beim Geme<strong>in</strong>schaftsempfang.<br />
Hilma Stock<br />
Ltr. d. Betriebsgeme<strong>in</strong>schaft „Textil“<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 27. März <strong>1936</strong><br />
„Deutschlands Dank: Die Stimme für den Führer!“<br />
„Führer wir folgen dir!“
Wahlergebnis Reichstagswahl<br />
45 431 102 Wahlberechtigte = 99 %<br />
für den Führer: 44 411 911<br />
gegen den Führer<br />
und ungültig: 543 026<br />
Das s<strong>in</strong>d 99 % aller Stimmen für den Führer.<br />
14<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung <strong>1936</strong><br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 30. März <strong>1936</strong><br />
Die Verherrlichung <strong>des</strong> „Führers“ Adolf Hitlers und Deutschlands<br />
Der 9. November <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
E<strong>in</strong>drucksvolle Feierstunde im Kaisergarten<br />
-Auszug-<br />
Wie überall im Reiche versammelten sich auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> die Partei, die Politischen Leiter, SS, SA<br />
und viele Volksgenossen zu e<strong>in</strong>er schlichten und würdigen Feier, für die Blutzeugen <strong>der</strong><br />
Bewegung.<br />
„Als am 9. November 1918 dann <strong>der</strong> dunkle Tag tiefster Schmach e<strong>in</strong> vierjähriges R<strong>in</strong>gen um<br />
Deutschlands Ehre und Freiheit zu Ende g<strong>in</strong>g, war e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>st mächtiges Reich zerschlagen und<br />
ehrlos und wehrlos. E<strong>in</strong> Volk, <strong>des</strong>sen Armee die größten Schlachten geschlagen hatten und e<strong>in</strong>er<br />
Welt wi<strong>der</strong>stand.<br />
E<strong>in</strong> Volk, das um e<strong>in</strong>er Hand voll Juden und Deserteure kapitulierte.“ (Oberbürgermeister und<br />
Kreisleiter Schmiedicke)<br />
In den Stunden <strong>der</strong> größten Not stand e<strong>in</strong> Mann auf <strong>in</strong> Deutschland, <strong>der</strong> das Leid und die Not <strong>des</strong><br />
Krieges vier Jahre an <strong>der</strong> Front erlebt hatte, e<strong>in</strong> Mann ohne Rang und Namen, <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Tiefe<br />
<strong>des</strong> Volkes kam, <strong>der</strong> <strong>in</strong> sich den Glauben an das Volk trug und <strong>der</strong> dazu berufen war,<br />
Deutschlands Retter zu se<strong>in</strong>, Adolf Hitler.<br />
Er war es, <strong>der</strong> die Fahne empor zum Siege riß und zur Freiheit. Es waren die Besten, die zu ihm<br />
kamen, sie gehörten ihm ganz. Wer auf se<strong>in</strong>e Fahne schwörte, hatte nichts als diese Fahne, die<br />
heute die Fahne Deutschlands ist.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 10. Nov. <strong>1936</strong>
Die Würde <strong>der</strong> Arbeit<br />
Der neue Geme<strong>in</strong>schaftsraum bei C. G. Wilke<br />
-Auszug-<br />
...Und nun steht dieser neue, große und schöne Raum. Hier soll wahrer<br />
nationalsozialistischer S<strong>in</strong>n walten, denn <strong>Nationalsozialismus</strong> ist Kameradschaft. Der<br />
Redner schloß: Und wenn Sie mich nun fragen, wem verdanken wir all dies Schöne?<br />
Unsere vorbildlichen Gar<strong>der</strong>oben, unseren Geme<strong>in</strong>schaftsraum, unseren Arbeitsfrieden<br />
usw. usw., so kann ich Ihnen nur die e<strong>in</strong>e selbstverständliche Antwort geben:<br />
„E<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> unserem Führer und Volkskanzler Adolf Hitler; denn, wenn er uns nicht<br />
gerettet und e<strong>in</strong>es besseren belehrt hätte, sähe es bestimmt heute ganz an<strong>der</strong>s bei uns aus:<br />
Wir wollen daher auch weiterh<strong>in</strong> auf ihn und se<strong>in</strong>e weise Führung fest vertrauen und ihm<br />
folgen: Wir wollen ihm zu dieser Stunde unseren tief gefühlten Dank bezeugen.“<br />
Mit Sieg Heil auf den Führer, Gesang <strong>des</strong> Deutschlandlie<strong>des</strong> und <strong>des</strong> deutschen<br />
Freiheitslie<strong>des</strong> endete die Ansprache.<br />
15<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 07./08. Nov. <strong>1936</strong><br />
„Der Führer ist das Gewissen <strong>des</strong> deutschen Volkes!“<br />
„Es lebe <strong>der</strong> Führer! – Es lebe das Dritte Reich!“<br />
<strong>Guben</strong>er Feststunden am 1. Mai<br />
Der nationale Feiertag <strong>des</strong> deutschen Volkes<br />
-Auszug-<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung <strong>1936</strong><br />
...Dann spricht Kreisleiter Schmiedicke <strong>in</strong> kurzen Worten über die Bedeutung dieses Tages.<br />
...Früher war <strong>der</strong> 1. Mai e<strong>in</strong> Tag <strong>des</strong> Klassenhasses, die deutschen Menschen marschierten unter<br />
verschiedenen Flaggen.<br />
Heute hat das Volk sich geschlossen zusammengefunden im <strong>Nationalsozialismus</strong>, diese E<strong>in</strong>igkeit<br />
wird es halten und verteidigen.<br />
Gegen alles, was kommen mag. Wir s<strong>in</strong>d nicht mehr Parteien, wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> ganzes Volk. Es gibt<br />
nur die e<strong>in</strong>e Idee und Deutschland und e<strong>in</strong>en Willen, dem sich alles unterzuordnen hat. ...<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 03. Mai 1937
Ablenkungsmanöver <strong>der</strong> Nazis durch Gesang von antikommunistischen<br />
und antijüdischen Lie<strong>der</strong>n<br />
Kurmark marschiert<br />
(Geme<strong>in</strong>schaftsgesang <strong>der</strong> Leistungsschau am Sonnabend,<br />
dem 20. Juni – 16 Uhr im Stadion zu Potsdam)<br />
Achtung! Weltgefahr!<br />
-Auszug-<br />
Wir s<strong>in</strong>d das Heer vom Hakenkreuz,<br />
hebt hoch die roten Fahnen!<br />
Der deutschen Arbeit wollen wir den Weg<br />
zur Freiheit bahnen!<br />
Wir schließen ke<strong>in</strong>en Bru<strong>der</strong>pakt<br />
mit Juden und mit Welschen,<br />
weil sie den Freiheitsbrief<br />
<strong>des</strong> deutschen Volkes fälschen.<br />
Wir schließen ke<strong>in</strong>en Bru<strong>der</strong>pakt<br />
mit unseren Tyrannen<br />
und mögen sie uns hun<strong>der</strong>tmal<br />
<strong>in</strong>s tiefste Elend bannen.<br />
Wir schließen ke<strong>in</strong>en Bru<strong>der</strong>pakt<br />
mit bangen feigen Wichten,<br />
es gilt die größte Nie<strong>der</strong>tracht<br />
Europas zu vernichten.<br />
Wir s<strong>in</strong>d das Heer vom Hakenkreuz,<br />
hebt hoch die roten Fahnen!<br />
Der deutschen Arbeit wollen wir<br />
den Weg zur Freiheit bahnen!<br />
16<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 10. Juli <strong>1936</strong><br />
...wer die bolschewistische Gefahr wirklich erkannt hat, muß sie bekämpfen.<br />
Deutschland hat sie erkannt und <strong>in</strong> Deutschland f<strong>in</strong>det sie ihren stärksten Gegner.<br />
Die Regisseure <strong>der</strong> Weltrevolution wissen, wenn sie irgendwo erkannt worden s<strong>in</strong>d, so ist das <strong>in</strong><br />
Deutschland. Deshalb hassen sie uns mit e<strong>in</strong>em grimmigen Haß, <strong>des</strong>halb versuchen sie Tag für<br />
Tag die Welt gegen Deutschland zu hetzen und die Aufmerksamkeit von ihren Mör<strong>der</strong>- und<br />
Räuberbanden abzulenken.
...die verantwortlichen Männer <strong>des</strong> nationalsozialistischen Deutschlands werden den<br />
Bolschewismus als das aufzeichnen, was er ist: E<strong>in</strong>e Weltgefahr!<br />
Wer sich mit ihm verb<strong>in</strong>det, kommt um. Die abendländische Kultur, die ihm e<strong>in</strong>e Chance gibt,<br />
wird ausgerottet se<strong>in</strong>. W.Sp.<strong>Guben</strong><br />
17<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 11. Sept. <strong>1936</strong><br />
Das Bekenntnis <strong>der</strong> Stadt zur E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung und „Heimholung <strong>in</strong>s Reich“<br />
Freudenkundgebung <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
Fackelzüge durch die Straßen <strong>der</strong> Stadt – alle <strong>Guben</strong>er s<strong>in</strong>d aufgerufen<br />
In den Straßen <strong>Guben</strong>s wehen die Fahnen als Ausdruck <strong>der</strong> Freude. Das deutsche Österreich<br />
hat heimgefunden. Wir wollen diesem stolzen Bewußtse<strong>in</strong> auch <strong>in</strong> unserer Stadt Ausdruck<br />
verleihen. Heute Abend treten die Formationen an und werden im Fackelsche<strong>in</strong> nach dem<br />
Marktplatz marschieren. Die Bevölkerung wird aufgerufen, sich <strong>der</strong> Kundgebung auf dem<br />
Marktplatz, wo <strong>der</strong> Kreisleiter um 21 Uhr sprechen wird, anzuschließen.<br />
Die Partei und ihre Glie<strong>der</strong>ungen treten wie folgt an:<br />
SA, um 20 Uhr am Horst-Wessel-Heim,<br />
HJ und Jungvolk um die gleiche <strong>Zeit</strong> auf dem Hamdorffplatz,<br />
alle Parteigenossen mit und ohne Uniform treten 20 Uhr am Partei-Heim an.<br />
Um die gleiche <strong>Zeit</strong> versammeln sich vor dem Parteiheim NSKK, SS, NSFK.<br />
Die Werkscharen treten wie vere<strong>in</strong>bart um 19 Uhr am Kastaniengraben an.<br />
Im Landkreise f<strong>in</strong>den die Kundgebungen morgen im Anschluß an die Heldengedenkfeier statt.<br />
<strong>Guben</strong>er bekundet durch Eure geschlossene Teilnahme Eure Freude über das befreite<br />
Österreich!<br />
Jubel <strong>in</strong> unserer Stadt<br />
Fackelzug / Großer Zapfenstreich <strong>der</strong> Wehrmacht<br />
-Auszug-<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 12./13. März 1938<br />
...In <strong>der</strong> ganzen Stadt löste die Proklamation <strong>des</strong> Führers große Freude und Begeisterung aus. Im<br />
Nu glich unsere Stadt e<strong>in</strong>em Flaggenmeer.<br />
Abends fanden sich spontan die Parteimitglie<strong>der</strong> und die Angehörigen <strong>der</strong> Formationen zu e<strong>in</strong>em<br />
Fackelzug e<strong>in</strong>. Unter den Klängen <strong>der</strong> Musikzüge zog <strong>der</strong> imposante Fackelzug zum Markt, auf<br />
dem er Aufstellung nahm. Hier sprach zunächst Gaugeschäftsführer Poddielski über die Vorgänge<br />
<strong>in</strong> Österreich.
Wie wir am 30. Januar 1933 im Deutschen Reich belohnt wurden, so erleben <strong>in</strong> diesen Tagen<br />
unsere Brü<strong>der</strong> <strong>in</strong> Deutsch-Österreich die Erfüllung e<strong>in</strong>es jahrelangen Kampfes um den<br />
<strong>Nationalsozialismus</strong>.<br />
Die Stimme <strong>des</strong> Blutes hat auch hier gesiegt. Deutsch-Österreich hat se<strong>in</strong> Schicksal selbst <strong>in</strong><br />
die Hand genommen und an die Stelle e<strong>in</strong>er demokratisch getarnten Diktatur ist e<strong>in</strong>e<br />
nationalsozialistische Volksregierung getreten, die jetzt die Voraussetzung für e<strong>in</strong> gee<strong>in</strong>tes<br />
Deutschland schafft.<br />
Wir alle glauben an den Führer, treu stehen wir alle zu ihm für se<strong>in</strong> Deutschland, unser<br />
Vaterland...<br />
Unsere 29er kehren zurück<br />
18<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 14. März 1938<br />
Das 3. Bataillon <strong>des</strong> Infanterie-Regiments 29, also unsere <strong>Guben</strong>er Soldaten, bef<strong>in</strong>det<br />
sich auf <strong>der</strong> Rückfahrt nach ihrer Garnison. Sie werden morgen früh, zwischen sieben<br />
und acht Uhr <strong>in</strong> die Stadt e<strong>in</strong>marschieren und zwar wird, wenn es sich irgendwie<br />
ermöglichen läßt, <strong>der</strong> Marsch unter Vorantritt <strong>der</strong> Musik durch die Hauptstraßen<br />
<strong>Guben</strong>s gehen. Wir freuen uns, daß unsere Garnison, wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat angelangt ist<br />
und werden sie herzlich begrüßen. Es erfüllt uns mit Stolz, daß auch unsere <strong>Guben</strong>er<br />
Soldaten teilnehmen durften, an dem großen Erlebnis im Sudetenland.<br />
NS-Schwester L<strong>in</strong>a berichtet<br />
Als Schwester <strong>in</strong> Böhmen und Mähren<br />
-Auszug-<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 18. Okt. 1938<br />
Gleichzeitig mit dem E<strong>in</strong>marsch <strong>der</strong> deutschen Truppen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Böhmen und Mähren<br />
aus dem Gau Mark Brandenburg 35 NS-Schwestern für die Betreuung <strong>der</strong><br />
hilfsbedürftigen Bevölkerung zum E<strong>in</strong>satz gekommen.<br />
Schwester L<strong>in</strong>a, Kreisvertrauenskrankenschwester <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>, die zurzeit <strong>in</strong> Olmütz weilt,<br />
berichtet <strong>in</strong> Folgendem über ihre ersten E<strong>in</strong>drücke.<br />
Es ist so wenig <strong>Zeit</strong>, ke<strong>in</strong> Tisch zum Schreiben. Geschrieben wird auf dem Strohsack, dort ist<br />
manchmal e<strong>in</strong>en Augenblick <strong>Zeit</strong> für persönliche Anliegen. Oft ist es entsetzlich, dieses<br />
grenzenlose Elend zu erleben.<br />
Ob wir nun am Ziel s<strong>in</strong>d, mögen die Götter wissen. Wir kamen heute (Donnerstag früh, 5<br />
Uhr) <strong>in</strong> Breslau an und wurden dort e<strong>in</strong>geteilt und mit 15 Berl<strong>in</strong>er Schwestern nach Troppau<br />
im Sudentengau geschickt. Nachdem wir <strong>in</strong> Troppau e<strong>in</strong>iges über unsere Arbeit erfahren<br />
hatten, wurden wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Autobus verfrachtet, <strong>der</strong> uns zwei Stunden lang durch die<br />
wun<strong>der</strong>schöne w<strong>in</strong>terliche Landschaft über Bären und Sternberg nach Olmütz/Mähren<br />
brachte.
Der deutschen Bevölkerung, die hier <strong>in</strong> Olmütz bei 75.000 E<strong>in</strong>wohnern etwa 1/5 ausmacht,<br />
merkt man die Freude über die Ereignisse <strong>der</strong> letzten Tage, die Freude über ihre endliche<br />
Befreiung beson<strong>der</strong>s deutlich an.<br />
Sie macht sich zumeist bei <strong>der</strong> Essenausgabe auf dem Platz vor <strong>der</strong> Kreisamtsleitung <strong>der</strong> NSV<br />
<strong>in</strong> Olmütz bemerkbar. Stundenlang warten dort die Mütter, um ihren Angehörigen zu Haus e<strong>in</strong><br />
ordentliches warmes Essen br<strong>in</strong>gen zu können. E<strong>in</strong>e Mutter von sechs K<strong>in</strong><strong>der</strong>n sagte mir, wir<br />
können uns gar nicht denken, wie sehr sie alle hier sich nach unserer Hilfe gesehnt hätten, sie<br />
hätten die Schikanen <strong>der</strong> Tschechen nicht mehr lange ertragen können. Aber das Bewußtse<strong>in</strong> auf<br />
unsere Hilfe hätten sie nie verloren, immer hätten sie gewußt, daß wir zu ihnen gehörten und<br />
ihnen helfen würden und nur das Vertrauen zum Reich und zum Führer hätten ihnen die Kraft<br />
gegeben, solange durchzuhalten. Mit Tränen <strong>in</strong> den Augen sagte sie mir das, dann kam sie an die<br />
Reihe zum Essenempfang...<br />
...E<strong>in</strong>e von uns fünf Brandenburger<strong>in</strong>nen mußte auf die Gulaschkanone...<br />
...Wir vier an<strong>der</strong>en bekommen je e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> zwei deutsche Frauen zur Hilfe und gehen <strong>in</strong> die<br />
e<strong>in</strong>zelnen Bezirke, um zunächst die deutschen Familien zu besuchen und uns e<strong>in</strong> Urteil über die<br />
Not <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Familien zu bilden...<br />
...Wirtschaftlich s<strong>in</strong>d die hiesigen Deutschen beson<strong>der</strong>s dadurch sehr <strong>in</strong> Not, daß die Männer<br />
zumeist schon seit Jahren erwerbslos s<strong>in</strong>d und vom tschechischen Staat kaum unterstützt werden...<br />
...Dazu kommt als Erschüttern<strong>des</strong> die seelische Not, <strong>der</strong> dauernde Druck, <strong>in</strong> dem die Deutschen<br />
den Tschechen gegenüber leben mußten. Wie oft konnten sie sich kaum aus den Häusern wagen,<br />
wie oft mußten sie geme<strong>in</strong>e Beschimpfungen und Behandlungen ertragen ohne auch nur an e<strong>in</strong><br />
Wehren denken zu können...<br />
... Unsere wirtschaftliche Hilfe bestand gestern <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptsache <strong>in</strong> Zuweisung von Essensche<strong>in</strong>en,<br />
sonst konnten wir den armen Menschen nur zureden, ihnen Hoffnung machen auf e<strong>in</strong>e<br />
gute Zukunft und ihnen vom Aufbauwerk <strong>des</strong> Führers im Altreich erzählen.<br />
Albert Lehmann jun. wurde nach Berl<strong>in</strong> zwangsversetzt,<br />
weil se<strong>in</strong>e Frau Jüd<strong>in</strong> war<br />
Tuchfabrik Lehmann & Richter<br />
19<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 22. März 1939<br />
Die Tuchfabrik Lehmann & Richter ist von dem Kaufmann Ernst Richter <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>,<br />
dem jüngsten Sohn <strong>des</strong> verstorbenen Mitbegrün<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Firma, mit allen Aktiven und<br />
Passiven und dem Recht zur Fortführung <strong>der</strong> Firmenbezeichnung als Alle<strong>in</strong><strong>in</strong>haber<br />
erworben worden. Der<br />
Geschäftsbetrieb wird unverän<strong>der</strong>t weitergeführt. Die Verän<strong>der</strong>ungen s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Gefolgschaft<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Betriebsappell bekanntgegeben worden.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 26./27. Febr. 1938
Beför<strong>der</strong>t<br />
SA–Standartenführer Schmiedicke<br />
Der Führer und Reichskanzler hat den Parteigenossen Erich Schmiedicke,<br />
Oberbürgermeister <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong> mit Wirkung vom 9. Nov. 1938 zum SA-<br />
Standartenführer beför<strong>der</strong>t und ihn dem Führerkorps <strong>der</strong> Standarte 451 zugeteilt.<br />
Werkfrauengruppen entstanden<br />
<strong>Guben</strong> führt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frauenarbeit<br />
20<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 09. Nov. 1938<br />
Das Frauenamt <strong>der</strong> DAF hat im Jahre 1938 auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kurmark mit dem Aufbau von<br />
Werkfrauengruppen begonnen, die <strong>in</strong> Betrieben mit e<strong>in</strong>er großen Zahl weiblicher<br />
Gefolg-schaftsmitglie<strong>der</strong> den nationalsozialistischen Kern <strong>der</strong> Betriebsgeme<strong>in</strong>schaft für<br />
die Frauen bilden sollen.<br />
In Betrieben <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Textil- und Bekleidungs<strong>in</strong>dustrie entstanden die ersten Werkfrauengruppen.<br />
Die guten Erfahrungen haben das Frauenamt nunmehr veranlaßt, neben den<br />
12 anerkannten Werkfrauengruppen weitere 66 Werkfrauengruppen <strong>in</strong> kurmärkischen<br />
Betrieben aufzubauen.<br />
Während die ersten Werkfrauengruppen <strong>der</strong> Kurmark ausschließlich <strong>in</strong> Betrieben <strong>der</strong> Textilund<br />
Bekleidungs<strong>in</strong>dustrie entstanden, werden jetzt auch die Betriebe <strong>der</strong> chemischen und <strong>der</strong><br />
Eisen und Metall verarbeitenden Industrie zur Bildung <strong>der</strong> Werkfrauengruppen mit<br />
herangezogen. Die unter Leitung von Betriebsfrauenverwalter<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> DAF arbeitenden<br />
Werkfrauengruppen erhalten weltanschauliche und fachliche Schulung.<br />
Sie sollen <strong>der</strong> weiblichen Gefolgschaft Helfer und Berater se<strong>in</strong> und beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong> Freizeitund<br />
Feriengestaltung mitwirken.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 22. Dez. 1938<br />
In e<strong>in</strong>er Kundgebung im großen Kaisergartensaal wird heute abend<br />
Gaugeschäftsführer von Poddielski dem Kreisleiter das Ehrenbuch für<br />
<strong>Guben</strong>-Stadt und –Land überreichen. Alle <strong>Guben</strong>er Partei- und<br />
Volksgenossen s<strong>in</strong>d zu dieser Kundgebung e<strong>in</strong>geladen. Das Ehrenbuch soll e<strong>in</strong><br />
Opferbuch se<strong>in</strong>, für e<strong>in</strong> zusätzliches Opfer offen. Am 4. und 5. Februar liegt<br />
das Ehrenbuch bei Tamm (früher Uhrengeschäft Teßmann), Adolf-Hitler-<br />
Straße, zur E<strong>in</strong>zeichnung <strong>der</strong> Opferspenden aus. Dann geht es durch die<br />
Betriebe und anschließend durch den Landkreis.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 02. Feb. 1939
Bildung <strong>des</strong> Frauenhilfsdienstes<br />
Zahlreiche <strong>Guben</strong>er Mädel haben sich gemeldet<br />
-Auszug-<br />
In <strong>der</strong> Kampfzeit waren es e<strong>in</strong>ige wenige tapfere Frauen, die <strong>Zeit</strong> und Kraft <strong>in</strong> den<br />
Dienst <strong>der</strong> nationalsozialistischen Bewegung stellten. Mit <strong>der</strong> Bewegung wuchsen aber<br />
auch das Werk <strong>der</strong> Frau und ihre Aufgabe. Ihrer Hände Arbeit, ihre frauliche Hilfe, ihr<br />
Rat und ihr Beistand wurde geradezu unentbehrlich. Daher machte es sich die NS-<br />
Frauenschaft zur Pflicht, allen Glie<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Partei hilfreich zur Seite zu stehen.<br />
Wir unterscheiden drei Gebiete, auf denen die deutsche Frauenschaft Hilfsdienst leistet:<br />
Der Hilfsdienst <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zum Deutschen Roten Kreuz, zum Reichsluftschutzbund und<br />
zur NSV. Dazu kommt als ganz neues Aufgabengebiet <strong>der</strong> Frauenhilfsdienst für Wohlfahrtsund<br />
Krankenpflege. Auf allen diesen Gebieten wird von <strong>der</strong> Frau die Bereitschaft zum<br />
mithelfen gefor<strong>der</strong>t. Mit dem Wie<strong>der</strong>aufbau <strong>der</strong> Wehrmacht gew<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> Bereitschaftsdienst<br />
sowie die Ausbildung <strong>des</strong> Schwesternwesens im Deutschen Roten Kreuz an Bedeutung. Im<br />
Dienste <strong>der</strong> Gesundheitspflege bei öffentlichen Notständen und Unglücksfällen im<br />
Sanitätsdienst <strong>des</strong> Luftschutzes s<strong>in</strong>d die weiblichen aktiven Bereitschaften Träger<strong>in</strong>nen <strong>des</strong><br />
Rot-Kreuz-Gedankens. Auf dem Gebiet <strong>des</strong> Luftschutzes s<strong>in</strong>d wir <strong>in</strong>nerhalb unseres<br />
Vaterlan<strong>des</strong> im Ernstfalle ausschließlich auf die Frau angewiesen. Aber auch <strong>in</strong> normalen<br />
<strong>Zeit</strong>en wird die Frau <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausbildung als Laienhelfer<strong>in</strong> o<strong>der</strong> im Selbstschutz durch geübte<br />
Diszipl<strong>in</strong> wi<strong>der</strong>standsfähiger und gegen Gefahren gefestigter.<br />
Wir wissen alle, daß <strong>der</strong> deutschen Frau heute <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sozialarbeit Aufgaben von nie<br />
gekanntem Ausmaß zugewiesen s<strong>in</strong>d. Überall wo es Not tut, leistet die Frau Beistand. So setzt<br />
sie sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> NSV für die Hilfsbedürftigen e<strong>in</strong>, NS-Frauenschaft und Deutsches<br />
Frauenwerk stellen die Kräfte bereit, die von <strong>der</strong> NSV angefor<strong>der</strong>t werden. Im Hilfswerk<br />
„Mutter und K<strong>in</strong>d“, das man als das Kernstück nationalsozialistischer Volkswohlfahrtspflege<br />
bezeichnen kann, arbeiten auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> NS-Frauenschaft...<br />
Die Frauen <strong>des</strong> Hilfsdienstes, NSV-Schwester, NSV-K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärtener<strong>in</strong>, die Frau im Bahnhofsdienst<br />
usw., sie alle gehören <strong>in</strong> die Reihen <strong>der</strong> NS-Frauenschaft, die es als Ehrenpflicht<br />
ansieht, zum Dienst an <strong>der</strong> nationalsozialistischen Volkswohlfahrt bereit zu se<strong>in</strong>.<br />
Über den Frauenhilfsdienst, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e neue E<strong>in</strong>richtung ist, bestehen noch Zweifel und Unklarheiten.<br />
Hier widmet sich das junge Mädel zwei Jahre lang <strong>der</strong> Volksgeme<strong>in</strong>schaft. Diese <strong>Zeit</strong><br />
dient nicht ihrer Berufsausbildung, son<strong>der</strong>n ist freiwilliger Dienst am Vaterland, wie ihn <strong>der</strong><br />
junge Mann <strong>in</strong> <strong>der</strong> aktiven Wehrpflicht ausübt...<br />
Das junge Mädel braucht nichts <strong>in</strong> den Hilfsdienst mitzubr<strong>in</strong>gen als e<strong>in</strong> williges Bereit- und<br />
Aufgeschlossense<strong>in</strong> für die täglichen D<strong>in</strong>ge <strong>des</strong> Lebens...<br />
Es haben sich auch bei uns <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> zahlreiche Mädel zum Frauenhilfsdienst gemeldet, die<br />
sich selbstlos e<strong>in</strong>setzen wollen, weil sie wissen, wie dr<strong>in</strong>gend ihre jungen Kräfte gebraucht<br />
werden...<br />
Alle Hände müssen mithelfen! Das ist <strong>der</strong> S<strong>in</strong>n <strong>des</strong> Hilfsdienstes im Deutschen Frauenwerk<br />
und e<strong>in</strong> Gedanke steht leuchtend darüber: Für Deutschland.<br />
21<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 09. März 1939
Garnisonsstadt rüstet sich wie alle Jahre wie<strong>der</strong> zum<br />
„Tag <strong>der</strong> Wehrmacht“<br />
Wie wir vom Standort <strong>Guben</strong> erfahren, ist e<strong>in</strong>e großzügige Ausgestaltung <strong>des</strong> „Tages <strong>der</strong><br />
Wehrmacht“ am 19. März geplant. Militärische Übungen, Gefechte, Fliegerangriffe,<br />
Ballonrammen, Segelfliegen durch das NSFK, E<strong>in</strong>topfessen, Besichtigungen und vieles mehr s<strong>in</strong>d<br />
vorgesehen. Die Veranstaltungen werden sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kaserne <strong>in</strong> <strong>der</strong> Moltkestraße und auf dem<br />
Flugplatz über den ganzen Tag erstrecken. Geplant ist von <strong>der</strong> Wehrmacht, Programme <strong>in</strong> großer<br />
Menge herzustellen, um sie wahrsche<strong>in</strong>lich mit Flugzeugen abwerfen zu lassen. Daß die<br />
Programme mit Anzeigen versehen werden sollen, dürfte wohl die Geschäftswelt<br />
<strong>in</strong>teressieren. Anzeigen nehmen die Geschäftsstelle <strong>der</strong> „<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung“ bis zum 7. März<br />
entgegen.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 03. März 1939<br />
Und am 20.03.1939 konnte man dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> „<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung“ lesen...<br />
„Tag <strong>der</strong> Wehrmacht“<br />
war e<strong>in</strong> großer Tag für <strong>Guben</strong><br />
Glanzvolle Darbietungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kaserne und<br />
auf dem Flugplatz<br />
Über 15000 Besucher<br />
-Auszug-<br />
Gegen 9 Uhr begann es. Die Triftstraße h<strong>in</strong>ab, die Seitwanner Straße entlang, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Moltkestraße – e<strong>in</strong> ununterbrochenes Fluten <strong>des</strong> großen Menschenstromes, <strong>der</strong> sich nach<br />
<strong>der</strong> Kaserne bewegte. <strong>Guben</strong> besuchte se<strong>in</strong>e Soldaten. Männer und Frauen, Mädchen und<br />
Jüngl<strong>in</strong>ge, Familien im trauten Vere<strong>in</strong>, <strong>in</strong> die zu gastlichem Empfang geöffnete Kaserne, um<br />
e<strong>in</strong>mal, gewissermaßen als „Urlauber“, die Soldaten zu besuchen, und um die Waffen<br />
kennenzulernen, die unsere Soldaten beherrschen, ihre täglichen Geräte und<br />
Ausrüstungsstücke, die Fahrzeuge und Hallen, und nicht zuletzt die Unterkünfte selbst...<br />
Wer gegen ½ 11 Uhr ankam, merkte schon, <strong>der</strong> Besuch übertrifft die kühnsten Erwartungen. So<br />
war es ke<strong>in</strong> Wun<strong>der</strong>, daß mit dem Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Vorführungen <strong>der</strong> große Platz <strong>des</strong> Kasernenfel<strong>des</strong><br />
dicht belagert wurde. Aus den Kant<strong>in</strong>en und Feldküchen zog <strong>der</strong> Duft <strong>der</strong> dampfenden<br />
Köstlichkeiten über den weiten Raum...<br />
Der Höhepunkt <strong>der</strong> Veranstaltung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Moltkestraße war auch gestern zweifellos die<br />
Gefechtsvorführung<br />
Langsam und zäh arbeitete sich e<strong>in</strong>e Infanterie-Abteilung gegen den Fe<strong>in</strong>d vor. Die<br />
Masch<strong>in</strong>engewehre ratterten, schwere E<strong>in</strong>schläge erschütterten die Stellung <strong>des</strong> Gegners. Sprung<br />
auf, marsch, marsch...<br />
22
Waffensammlung<br />
Nachdem wir uns genügend gestärkt hatten, setzten wir unsere Wan<strong>der</strong>ung fort. Der Weg<br />
führte zur Waffenausstellung. E<strong>in</strong>e lange Reihe von mo<strong>der</strong>nen Waffen war hier ausgestellt<br />
und wurde den wißbegierigen Besuchern fachkundig erläutert...<br />
Auf dem Flugplatz<br />
Nun wurde es höchste <strong>Zeit</strong>, um zu den Veranstaltungen auf dem Flugplatz zurecht zu<br />
kommen. So e<strong>in</strong>e „Völkerwan<strong>der</strong>ung“ nach dem Flugplatz hat <strong>Guben</strong> noch nicht gesehen...<br />
Seit dem frühen Morgen flogen Ketten über die Stadt. Fünferschwarm, Luftexerzieren,<br />
Vorfliegen bestimmter Typen, Angriff auf Erdziele wechselten e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ab.<br />
Nach den vorläufigen Feststellungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kaserne und auf dem Flugplatz über 15.000<br />
Besucher gewesen. Über 5.000 E<strong>in</strong>topfessen wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kaserne und über 2.000 auf dem<br />
Flugplatz ausgegeben. Das ist e<strong>in</strong> Erfolg für den das Regiment, die Flugzeugführerschule und das<br />
NSFK <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Bevölkerung danken.<br />
Hitler wurde verherrlicht; man konnte überall lesen<br />
Der Führer zerschlug die Ketten<br />
von Versailles und schenkte uns<br />
Groß-Deutschland<br />
E<strong>in</strong>e starke Wehrmacht<br />
schützt uns<br />
Die freie Nation, Führerstaat und<br />
Volk <strong>in</strong> Waffen ist im Geiste<br />
nationalsozialistischer<br />
Bereitschaft die Bürgschaft für<br />
23<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 20. März 1939
Ehre, Recht und Brot!<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 19./20. April 1939<br />
Ehrentag <strong>der</strong> SA-Standarte<br />
Ganz <strong>Guben</strong> setzt um 18 Uhr die Flaggen – Sportwettkämpfe am Sonntag<br />
-Auszug-<br />
...Die E<strong>in</strong>wohnerschaft kann ihre oft bewiesene Treue zu Führer und Volk, ihre<br />
Verbundenheit mit <strong>der</strong> heimischen SA kaum besser zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen als mit dieser<br />
symbolischen Handlung.<br />
Die „Straße <strong>der</strong> SA“<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> Veranstaltung zum Ehrentage <strong>der</strong> SA ist weiterh<strong>in</strong> die Umbenennung <strong>der</strong><br />
bisherigen Gasstraße <strong>in</strong> „Straße <strong>der</strong> SA“ verbunden.<br />
Durch diese Umbenennung wird mit ke<strong>in</strong>er alten Tradition gebrochen. Mit <strong>der</strong> neuen<br />
Straßenbenennung hat die Stadt, wie die meisten Orte im deutschen Vaterland, auch ihrerseits<br />
<strong>der</strong> SA, <strong>der</strong> immer e<strong>in</strong>satz- und opferbereiten Kampfglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Partei, beson<strong>der</strong>s im<br />
H<strong>in</strong>blick auf das viele von ihren Männern im Kampf um Deutschland vergossene Blut, e<strong>in</strong>e<br />
würdige Ehrung zuteil werden lassen...<br />
„E<strong>in</strong>satz für Volk und Vaterland“<br />
E<strong>in</strong> Betrieb geschlossen zur NSV<br />
24<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 09. Juni 1939<br />
E<strong>in</strong> schönes Beispiel <strong>der</strong> Volksverbundenheit gab die Firma Salefsky & Rabe,<br />
Kaltenborner Straße. Der ganze Betrieb ist jetzt geschlossen <strong>der</strong> NSV beigetreten, um<br />
auch hier ihren E<strong>in</strong>satz für Volk und Vaterland zu bekunden. Dieses Beispiel, das uns<br />
diese Betriebsgeme<strong>in</strong>schaft gab, kann nur wärmstens empfohlen werden.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 15./16. Juli 1939
Pressemitteilungen – Der sich abzeichnende Beg<strong>in</strong>n <strong>des</strong> 2. Weltkrieges<br />
E<strong>in</strong>ig <strong>in</strong> Krieg und Frieden<br />
Der deutsch-italienische Bündnispakt wurde heute Mittag <strong>in</strong> Gegenwart <strong>des</strong><br />
Führers unterzeichnet<br />
*<br />
25<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 22. Mai 1939<br />
Japans Glückwunsch an Deutschland zum deutsch-italienischen<br />
Bündnisvertrag<br />
Friedenswerk im Ostseeraum<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 30. Mai 1939<br />
Unterzeichnung <strong>der</strong> Nichtangriffsverträge mit Estland und Lettland<br />
-Auszug-<br />
Estland und Lettland schließen mit Deutschland Nichtangriffsverträge ab, die ke<strong>in</strong>e<br />
H<strong>in</strong>terhalte und Vorbehalte <strong>in</strong> sich tragen, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> alle<strong>in</strong> die nächstliegenden Interessen<br />
<strong>der</strong> Beteiligten dienen. Die strahlende Kraft, die von <strong>der</strong> konstruktiven, von Erfolg zu Erfolg<br />
schreitenden Friedenspolitik <strong>des</strong> Führers ausgeht, hat sich auch hier wie<strong>der</strong> als<br />
e<strong>in</strong>drucksvoller und stärker erwiesen, als das englische Suchen nach Bun<strong>des</strong>genossen. Wer<br />
noch zu e<strong>in</strong>em freien und gerechtem Urteil fähig ist, hat hier wie<strong>der</strong> die beste Gelegenheit,<br />
klar zu erkennen, wer den europäischen Frieden bedroht und wer ihn verteidigt.<br />
Verträge, die Deutschland schließt, dienen nicht, wie die E<strong>in</strong>kreisungsmanöver, die von<br />
England <strong>in</strong>szeniert werden, <strong>der</strong> Vorbereitung e<strong>in</strong>es Krieges, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Befestigung <strong>des</strong><br />
Friedens. Der Erfolg, den die Politik Adolf Hitlers auch im Ostraum gezeigtigt hat, ist<br />
umfassend und wird se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck auf die Welt nicht verfehlen. Deutschland bietet allen,<br />
die guten Willens s<strong>in</strong>d, dauernden Frieden und volle Freiheit.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 07. Juni 1939
Schlagzeilen <strong>der</strong> „<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung“<br />
Danzig o<strong>der</strong> Krieg<br />
Der polnische Wahns<strong>in</strong>n tobt sich weiter aus<br />
26<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 10. August 1939<br />
Verbrecherische Anstachelung <strong>der</strong> polnischen Begierden<br />
10 Millionen von Deutschland „unterdrückt“. Auch wir Lausitzer s<strong>in</strong>d<br />
unterdrückt.“<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 10. August 1939<br />
Deutschland soll e<strong>in</strong> Trümmerhaufen werden!<br />
So schreien es heute die polnischen Schwer<strong>in</strong>dustriellen <strong>in</strong> die Welt<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 10. August 1939<br />
Danzigs e<strong>in</strong>mütiges Bekenntnis zum Großdeutschen Reich<br />
Kriegsdrohungen schrecken uns nicht!<br />
Die Rede <strong>des</strong> Gauleiters Forster<br />
Polnischer Soldat feuerte auf Danziger Grenzbeamte<br />
Schüsse auf Pressevertreter<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 11. August 1939<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 11. August 1939<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 16. August 1939<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 17. August 1939
Polnischer Panzervorstoß auf Danzig geplant<br />
Schwere Ausschreitungen <strong>in</strong> Dirschem gegen Volksdeutsche<br />
Polen ordnet Gesamtmobilmachung an<br />
Sofortige Beschlagnahme aller Beför<strong>der</strong>ungsmittel<br />
Der Uns<strong>in</strong>n hört jetzt auf<br />
Danzig ist deutsch<br />
Hitler suchte e<strong>in</strong>en Grund<br />
Deutscher zu Tode geprügelt<br />
Das Ergebnis <strong>der</strong> polnischen Verfolgungsaktion <strong>in</strong> Ostoberschlesien<br />
27<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 30. August 1939<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 31. August 1939<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 31. August 1939<br />
Kattowitz, 18.August. Der immer mehr anwachsende Terror <strong>der</strong> Polen gegen die<br />
Volksdeutschen hat zu dem folgenden unglaublichen Vorfall geführt:<br />
Im Gefängnis von Pielar (Ostoberschlesien) ist <strong>der</strong> Deutsche Kaletta, <strong>der</strong> am Montag unter<br />
e<strong>in</strong>em nichtigen Vorwand verhaftet worden war, zu Tode geprügelt worden. Heute ist auch<br />
se<strong>in</strong>e Frau verhaftet worden. Sofort nach dem Abzug <strong>der</strong> Polizei stürmte <strong>der</strong> polnische Mob<br />
Kalettas Wohnung und warf se<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>d zum Fenster h<strong>in</strong>aus.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 18. August 1939
Grausames Martyrium <strong>der</strong> verhafteten Deutschen<br />
-Auszüge-<br />
Kattowitz, 21.August. In den Kreis- und Industriestädten sieht man immer wie<strong>der</strong> Transporte<br />
von verhafteten Deutschen, die wie geme<strong>in</strong>e Verbrecher ane<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gefesselt unter<br />
außergewöhnlich starker polizeilicher Bewachung durch die Straßen gezerrt werden.<br />
....<br />
Wer sich nicht fügt, wird auf das Schlimmste mißhandelt, geschlagen und auf Drahtgeflechte<br />
geworfen, <strong>der</strong>en Spitzen den armen Opfern <strong>in</strong>s Fleisch dr<strong>in</strong>gen…<br />
Deutsche Volksgenossen!<br />
28<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 21. August 1939<br />
In großer und entscheiden<strong>der</strong> Stunde habe ich heute auf Anordnung <strong>des</strong> Führers und<br />
Obersten Befehlshabers <strong>der</strong> Wehrmacht die vollziehende Gewalt im Operationsgebiet<br />
<strong>des</strong> Heeres übernommen und mit ihrer Ausübung die Oberbefehlshaber <strong>der</strong> Armeen<br />
beauftragt.<br />
Die Oberbefehlshaber <strong>der</strong> Armeen s<strong>in</strong>d befugt, für ihr Armeegebiet Rechtsverordnungen und<br />
Vorschriften aller Art zu erlassen und Zuwi<strong>der</strong>handlungen unter Strafe zu stellen.<br />
Alle Behörden und sonstigen Dienststellen verstehen ihre Aufgaben wie bisher. Das gesamte<br />
Wirtschaftsleben läuft weiter.<br />
Deutsche Volksgenossen! Ich erwarte von Euch, daß Ihr <strong>in</strong> gewohnter Diszipl<strong>in</strong> alle<br />
gegebenen Anordnungen befolgt und bereitwillig Mithilfe leistet, wo sie von Euch verlangt<br />
wird. Ihr dient dem Vaterland und dem Führer, h<strong>in</strong>ter dem das deutsche Volk wie immer <strong>in</strong><br />
eigener Geschlossenheit, Opferbereitschaft und Treue steht.<br />
Es lebe <strong>der</strong> Führer!<br />
Der Oberbefehlshaber <strong>des</strong> Heeres von Brauchitsch<br />
Nach Mitteilung <strong>der</strong> zuständigen Militärbehörde gehören Stadt- und Landkreis zum<br />
Operationsgebiet.<br />
<strong>Guben</strong>, den 28.August 1939<br />
Der Oberbürgermeister Der Landrat<br />
Schmiedicke Dr. Kaempfe<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 28. August 1939
Erziehung und Schule<br />
<strong>Guben</strong>er Jugend im Dritten Reich<br />
29
<strong>Guben</strong>er Jugend im Dritten Reich<br />
Erziehung und Schule <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> von <strong>1936</strong> - <strong>1940</strong><br />
Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten brachte tief e<strong>in</strong>schneidende Än<strong>der</strong>ungen<br />
durch die E<strong>in</strong>führung <strong>des</strong> Staatsjugendtages, durch den alle <strong>der</strong> Hitlerjugend angehörenden<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> über zehn Jahren vom Unterricht am Sonnabend befreit wurden. Der planmäßige<br />
Unterricht musste daher auf fünf Wochentage verteilt werden, wobei Kürzungen nötig<br />
wurden. Die nicht von <strong>der</strong> nationalsozialistischen Jugendbewegung erfassten K<strong>in</strong><strong>der</strong> erhalten<br />
am Sonnabend zwei Stunden staatspolitischen Unterricht; die übrige <strong>Zeit</strong> wird für Leibes- und<br />
Geländeübungen, für Werk- und Nadelarbeit verwendet.<br />
Um die Erziehung e<strong>in</strong>heitlich im nationalsozialistischen Geiste zu gestalten, arbeiten<br />
Lehrerschaft und die Jugendwalter aus <strong>der</strong> Elternschaft und <strong>der</strong> Hitlerjugend <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Schulgeme<strong>in</strong>de zusammen. Außer dem planmäßigen Unterricht wird an den <strong>Guben</strong>er<br />
Volksschulen noch erteilt: Haushaltsunterricht für die Mädchen <strong>des</strong> letzten Schuljahres <strong>in</strong> fünf<br />
Schulküchen, Werkunterricht für Knaben an vier Schulen <strong>in</strong> Papp- und Holzarbeit,<br />
Schwimmunterricht für die Knaben und Mädchen <strong>der</strong> 3. Klassen und die Nichtschwimmer <strong>der</strong><br />
2. und 1. Klassen <strong>in</strong> zwei Schwimmanstalten, Gartenbauunterricht an drei Schulen <strong>in</strong> eigenen<br />
Schulgärten und im Städtischen Schulgarten. Spiel und Sport werden durch den<br />
Spielnachmittag und durch die Leibes- und Geländeübungen am Staatsjugendtag gepflegt.<br />
Für die weitere körperliche Erziehung war durch den Turnunterricht, durch sportliche<br />
Übungen während <strong>der</strong> Spielnachmittage und durch Wan<strong>der</strong>ungen Sorge getragen.<br />
Ihren Höhepunkt erreichten diese sportlichen Veranstaltungen bei den Reichsjugendwettkämpfen,<br />
die <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Tag <strong>der</strong> Jugend stattfanden und bei denen durch<br />
Verleihung von Ehrenurkunden und Siegernadeln die besten Leistungen ausgezeichnet<br />
wurden. Zu erwähnen s<strong>in</strong>d hierbei auch die Handballwettspiele, die zwischen den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Volksschulen durchgeführt wurden.<br />
Von kulturellem Wert hat sich die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>er Jugendbühne beim Stadttheater erwiesen;<br />
ihre Aufführungen werden von den Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n gern und rege besucht.<br />
Aus <strong>der</strong> Schulchronik Pestalozzischule <strong>Guben</strong><br />
Die Volksschule V wurde eröffnet am 01. April 1902, nachdem bereits im W<strong>in</strong>terhalbjahr<br />
1901/1902 e<strong>in</strong>ige Klassen <strong>der</strong> Schule III <strong>in</strong> ihr untergebracht worden waren. Die<br />
Eröffnungsfeier, verbunden mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>des</strong> neu gewählten Rektors, fand statt Freitag<br />
den 04. April, vormittags 10 Uhr. Vertreter <strong>der</strong> städtischen Behörden und Körperschaften, <strong>der</strong><br />
Schulaufsichtsbehörde sowie zahlreiche Eltern und Freunde <strong>der</strong> Schule wohnten ihr bei. Die<br />
Schule wurde eröffnet mit 14 Klassen, je 6 ansteigenden Knaben- und Mädchen- sowie 2<br />
gemischten Klassen.<br />
30
Ereignisse aus den Schuljahren<br />
Schuljahr <strong>1936</strong>/1937<br />
-Auszug-<br />
…„Herr Bodsch wurde vom 22.02. bis 13.03. zu e<strong>in</strong>er Landwehrübung e<strong>in</strong>gezogen.<br />
Herr Simon wurde 8 Tage für den Luftschutz <strong>in</strong> Birkenwerda ausgebildet.<br />
Frl. Trosien nahm an e<strong>in</strong>em Schulungslager teil.“…<br />
…„Die Feiern <strong>der</strong> Schule wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> üblichen Weise abgehalten; e<strong>in</strong> sehr gut besuchter<br />
Elternabend beschloss wie<strong>der</strong>um das Schuljahr.<br />
Die Aula erhielt e<strong>in</strong>e Büste <strong>des</strong> Führers.<br />
Der Staatsjugendtag wurde aufgehoben, so dass für das W<strong>in</strong>terhalbjahr für die Oberklassen<br />
e<strong>in</strong> neuer Stundenplan nötig wurde.“…<br />
Schuljahr 1938/1939<br />
-Auszug-<br />
…„Das Schuljahr begann am 20.04.1938 mit <strong>der</strong> Feier <strong>des</strong> Geburtstages <strong>des</strong> Führers, die<br />
Rede hielt Herr Poethke, …<br />
…„Herr Schultka war während <strong>des</strong> Monats November e<strong>in</strong>gezogen.<br />
Herr Bodsch machte vom 15. bis 30. August e<strong>in</strong>e Übung.“…<br />
…„Im Rahmen <strong>des</strong> Vierjahrplanes waren die oberen Jahrgänge tätig:<br />
Ährenlesen am 19. August <strong>in</strong> Sembten und Wilschwitz; Körnerertrag 75 u. 40 Pf Roggen =<br />
115 Pf.<br />
Außerdem wurden Heilkräuter (Ltg. Herr Bodsch) gesammelt und abgeliefert; ferner<br />
Knochen (Behälter im Keller) und Papier, alte Bücher.<br />
Für die Sudetendeutschen war beson<strong>der</strong>s die 1. M. Kl. unter Herrn Janthur tätig. Sie haben<br />
Kleidungsstücke gesammelt und K<strong>in</strong><strong>der</strong> betreut.<br />
Am 24.09.1938 fand das Schulsportfest auf dem Reipoplatz unter <strong>der</strong> Leitung von Herrn<br />
Schultka statt.<br />
Am Tag <strong>der</strong> deutschen Hausmusik am 21.11.38 beteiligte sich <strong>der</strong> Chor <strong>der</strong> Pestalozzischule<br />
unter <strong>der</strong> Leitung von Herrn Richter.<br />
Vom 05. bis 10. Dezember war <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> e<strong>in</strong>e Schulbesuchswoche durch die Hoheitsträger<br />
<strong>der</strong> Partei. Zweck: E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die neue Unterrichtsarbeit; nationalsozialistisches<br />
Gedankengut.<br />
Am 05.12. nahmen am Unterricht teil: Oberbürgermeister Schmiedicke, Kreisleiter Koch,<br />
Landrat Dr. Kaempfe, Kreisschulrat Moll, <strong>der</strong> Direktor <strong>der</strong> Napola von Neuzelle und noch<br />
an<strong>der</strong>e Herren. (Geschichte, Flugphysik, Turnen, Unterricht <strong>in</strong> den 8. Klassen)“<br />
...„Für das Ehrenbuch <strong>des</strong> W<strong>in</strong>terhilfswerkes zahlten die K<strong>in</strong><strong>der</strong> 84,94 RM das Kollegium 43<br />
RM, zusammen 127,94 RM.“…<br />
Schuljahr 1939/<strong>1940</strong><br />
-Auszug-<br />
...„Vor Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Herbstferien wurde die Katholische Schule aufgeteilt; die Pestalozzischule<br />
erhielt dadurch e<strong>in</strong>en Zuwachs von 36 K<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Am 19. August wurden Herr Bodsch u. Herr Griesbach zum Heeresdienst e<strong>in</strong>berufen; am<br />
20. Herr Schultka; alle drei machten den polnischen Feldzug mit.<br />
31
Vom 01. bis 13. September war die Schule geschlossen; sie war Luftschutzrevier und<br />
gleichzeitig Mel<strong>des</strong>telle für Freiwillige.“…<br />
...„Da die Schule dem Selbstschutz untersteht, musste für die Schule e<strong>in</strong> Plan für den<br />
Luftschutz aufgestellt werden. Die meisten Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Kollegiums wurden im Luftschutz<br />
ausgebildet. Auch Jungen und Mädchen <strong>der</strong> 1. Kl. mussten herangezogen werden.<br />
Die Ferien wurden vorverlegt; sie waren vom 01. bis 10. Oktober.“…<br />
...„Die Herbstferien dauerten nur 1 Woche.<br />
Bis Weihnachten regelrechter Betrieb; im neuen Jahr setzte starke, anhaltende Kälte e<strong>in</strong>, so<br />
dass die Schule vom 25.01. bis 16.03. geschlossen wurde.<br />
Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> mussten 2- bis 3-mal wöchentlich für kurze <strong>Zeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule ersche<strong>in</strong>en, um<br />
Aufgaben zu erhalten und Arbeiten abzuliefern.<br />
Alle Bemühungen <strong>der</strong> Stadt, Brennstoff zu beschaffen, scheiterten. Drei Tage vor<br />
Schulschluss – am 18.03.<strong>1940</strong> wurde <strong>der</strong> Unterricht wie<strong>der</strong> aufgenommen.“…<br />
Quelle: 100 Jahre Pestalozzischule <strong>Guben</strong> 1902-2002 <strong>in</strong> Wort und Bild<br />
Aus <strong>der</strong> Geschichte <strong>des</strong> <strong>Guben</strong>er Gymnasiums<br />
-Auszug-<br />
In <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> von 1933 bis 1945 vollzog sich für unsere zwei Schulen (Gymnasium und<br />
Oberrealschule, Red.), die sie ja immer noch waren, e<strong>in</strong>e große Än<strong>der</strong>ung. E<strong>in</strong>e Neuordnung<br />
im Schul- und Bildungswesen verfügte e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>heitlichung <strong>der</strong> Schulformen und auch <strong>der</strong><br />
Lehrpläne für ganz Deutschland. Fortan gab es für die höheren Schulen nur noch zwei<br />
Grundformen:<br />
Hauptform: Oberschule für Jungen bzw. Mädchen<br />
Son<strong>der</strong>form: Gymnasium für Jungen.<br />
Danach erg<strong>in</strong>g im Jahre 1937 von <strong>der</strong> höheren Schulbehörde die Anweisung, dass die beiden<br />
Schulen, Gymnasium und Oberrealschule, aufzuheben und <strong>in</strong> Zukunft als e<strong>in</strong>e Schule<br />
„Oberschule für Jungen“ fortzuführen seien.<br />
Der zweite Weltkrieg brachte Folgen für Schule und Unterricht mit sich. Im ersten<br />
Kriegsw<strong>in</strong>ter 1939/40, <strong>in</strong> den folgenden W<strong>in</strong>tern nicht mehr, musste wegen Kohlemangel für<br />
mehrere Wochen <strong>der</strong> Unterricht ausfallen.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1993, Joachim W<strong>in</strong>kler, Seite 49<br />
Die strukturelle Bildungs- und Erziehungsl<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong><br />
Unterrichts- und Erziehungsanstalten<br />
Städtische Oberschule für Jungen, Neustadt 3<br />
Direktor: Oberstudiendirektor Wolff<br />
Städtische Oberschule für Mädchen (hauswirtschaftliche Form), Grüne Wiese 50<br />
Direktor: Oberstudiendirektor Dr. Geipel<br />
32
Volksschulen: Staatl. Schulrat für <strong>Guben</strong> Stadt: 1939 unbesetzt, Stellvertr. Rektor Eitze<br />
(Pestalozzischule)<br />
• Stadtschule, Schulstraße 21<br />
Rektor: Riemer<br />
• Sandschule, Sand 1a, Kaniger Str. 1<br />
Rektor: Dr. phil. Hirsch<br />
• Klosterschule, Kirchstr. 4<br />
Rektor: Wilhelm<br />
• Osterbergschule, Triftstr. 5<br />
Rektor: Schulz<br />
• Pestalozzischule, Bothmerstr. 12<br />
Rektor: Eitze<br />
• H<strong>in</strong>denburgschule, General von Seedt Str. 1<br />
Rektor: Knabe<br />
• Hilfsschule, Schulstr. 15<br />
Rektor: Dreher<br />
33<br />
Quelle: E<strong>in</strong>wohnerbuch <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong> 1939<br />
Zwei erfolgreiche Bildungsanstalten<br />
Besuch <strong>der</strong> städtischen Oberschulen für Jungen und Mädchen<br />
- Auszug -<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> Schulbesuchswoche im Kreise <strong>Guben</strong>-Stadt und –Land<br />
wurden gestern die Städtische Oberschule für Jungen und die Städtische<br />
Oberschule für Mädchen besucht. Nach kurzer Begrüßung durch<br />
Oberstudiendirektor Wolff gab e<strong>in</strong> Besuch <strong>der</strong> Unterrichtsstunden e<strong>in</strong>en guten<br />
Überblick über den Leistungsstand dieser städtischen Anstalten. Auch hier<br />
bildeten Lehrkräfte und Schüler e<strong>in</strong>e Leistungsgeme<strong>in</strong>schaft, die über den<br />
Durchschnitt h<strong>in</strong>ausragt.<br />
Was sich schon <strong>in</strong> den Volks- und Berufsschulen als erfreulicher Tatbestand<br />
herausstellte, nämlich <strong>der</strong> Wille <strong>der</strong> Schüler zur eigenen Verarbeitung <strong>des</strong> Stoffes, trat<br />
<strong>in</strong> den besichtigten Klassen noch stärker <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung.<br />
Im Anschluß an die Besichtigung <strong>der</strong> Oberschule für Knaben fand auch die Besichtigung <strong>der</strong><br />
Oberschule für Mädchen statt, die durch die Oberstufe <strong>in</strong> hauswirtschaftlicher Form<br />
(dreijährige Frauenschule) für <strong>Guben</strong> noch größere Bedeutung hat.<br />
Die Bildungsaufgabe dieser Frauenschule besteht dar<strong>in</strong>, durch stetige wechselseitige<br />
Durchdr<strong>in</strong>gung von Dienst und E<strong>in</strong>sicht die Mädchen <strong>in</strong> ihrer Gesamthaltung, ihrem Wissen<br />
und Können so zu erziehen, daß sie befähigt werden, das Lebensschicksal ihres Volkes<br />
s<strong>in</strong>nvoll handelnd mitzugestalten und auf dem Schaffensgebiete <strong>der</strong> deutschen Hausfrau und<br />
Mutter vorbildlich zu wirken ...<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 09. Dez. 1938
Lange Hosen unter den Bänken <strong>der</strong> Dorfschulen<br />
-Auszug-<br />
Mit <strong>der</strong> Besichtigung <strong>der</strong> Dorfschulen und ländlichen Berufsschulen fand gestern die<br />
„Schulwoche“ <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>-Stadt und –Land ihren Abschluß. Es wurden absichtlich ke<strong>in</strong>e<br />
„Kab<strong>in</strong>ettstücke“ gezeigt, son<strong>der</strong>n Schulen, die sich nicht durch irgendwelche<br />
Voraussetzungen auszeichnen. – Der gestrige Tag hat aber außer dem noch für die<br />
Schulgeschichte <strong>des</strong> Landkreises <strong>Guben</strong> e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Bedeutung, da die neue Schule <strong>in</strong><br />
Wiesenau gerichtet wurde, die erste Dorfschule mit e<strong>in</strong>er Turnhalle.<br />
Das Schulwesen im Landkreise <strong>Guben</strong> steht hier und dort natürlich auch vor schwierigen<br />
Problemen, die man nicht über das Knie brechen lösen kann. Aber gerade <strong>in</strong> den letzten<br />
Jahren ist viel für die Unterrichtung <strong>der</strong> Dorfjugend geleistet worden. Wir wissen ebenso<br />
genau, daß auf diesem Gebiete <strong>in</strong> unserem Heimatkreise weiter gearbeitet wird und daß noch<br />
manche Wandlung zum Vorteil unserer Landjugend e<strong>in</strong>treten wird.<br />
An <strong>der</strong> gestrigen Reise nahmen Landrat Dr. Kaempfe, Kreisschulrat Moll, Kreisbauernführer<br />
He<strong>in</strong>ze, Vertreter <strong>der</strong> Partei, <strong>der</strong> Glie<strong>der</strong>ungen, <strong>der</strong> Verwaltung und <strong>der</strong> Wirtschaft teil...<br />
Die Suche nach <strong>der</strong> versunkenen <strong>Zeit</strong><br />
-Auszug-<br />
34<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 10./11. Dez. 1938<br />
Das Jahr 1939 brachte e<strong>in</strong>en tiefen E<strong>in</strong>schnitt <strong>in</strong> die Geschichte <strong>des</strong> 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Das<br />
neue Schuljahr begann am 20. April und <strong>der</strong> Verfasser dieses Beitrages kam <strong>in</strong> die damals<br />
8. Klasse (1.Klasse) <strong>der</strong> Pestalozzischule. Es waren die letzten Monate <strong>des</strong> Friedens vor dem<br />
Weltkrieg, <strong>in</strong> <strong>des</strong>sen Folge die Stadt <strong>Guben</strong> schwer zerstört und danach geteilt werden sollte.<br />
Der Verfasser besuchte von 1939 bis 1943 die genannte Schule. Danach bis Januar 1945 die<br />
Oberschule für Jungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neustadt. Bücher und Zeugnisse g<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> den Wirren <strong>des</strong><br />
Frühjahrs 1945 verloren. Geblieben s<strong>in</strong>d Er<strong>in</strong>nerungen an die Schule mit <strong>der</strong> Anschrift<br />
Bothmerstraße 12 an dem damals noch unbebauten Platz. Unsere Lehrer <strong>der</strong> 8. Klasse mit 44<br />
Jungen waren folgende:<br />
<strong>der</strong> graumelierte, hochgewachsene Rektor Franz Eitze, e<strong>in</strong> Frontkämpfer <strong>des</strong> Ersten<br />
Weltkrieges;<br />
<strong>der</strong> gestrenge, teils unberechenbare Otto Richter, nach 1945 zeitweilig Rektor an <strong>der</strong> Schule<br />
und Stadtverordneter <strong>der</strong> Liberaldemokratischen Partei;<br />
Klassenlehrer Herbert Weber;<br />
Gerhard Simon, <strong>der</strong> uns <strong>in</strong> Heimatkunde e<strong>in</strong>führte;<br />
Rechenlehrer Paul Janthur;<br />
Alfred Lüdicke für Naturkunde<br />
und Herrmann Schultka als Turnlehrer.<br />
Am 1. September 1939 zogen auch die E<strong>in</strong>heiten <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Garnison und weitere Männer<br />
<strong>der</strong> Stadt an die polnische Front. Lapidar heißt es dazu <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulchronik: „Herr Bodsch,<br />
Griesbach und Schultka machen den polnischen Feldzug mit.“ Wir Schüler verfolgten das<br />
Geschehen über Bil<strong>der</strong> (bald über die „Deutsche Wochenschau“), <strong>Zeit</strong>schriften („Deutsche<br />
Jugendburg“) o<strong>der</strong> die Heftreihe „Kriegsbücherei <strong>der</strong> deutschen Jugend“.<br />
Sechs Jahre später lautete die letzte E<strong>in</strong>tragung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Chronik durch Rektor Eitze:<br />
„Unterricht bis 21.1.1945, dann wurde die Schule Lazarett.“<br />
Quelle: Lausitzer Rundschau vom 13. April 2002, Gerhard Gunia
Berufsausbildung <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
Städtische Berufsschulen und Berufsfachschulen, Schulstr. 21 (Zimmer 27)<br />
Direktor: Siewert<br />
1. Gewerbliche Klassen für Knaben, Direktorstellvertr.: Okrusch<br />
48 Klassen für Lehrl<strong>in</strong>ge (Elektriker, Masch<strong>in</strong>enbauer, Schlosser, Schmiede,<br />
Wagenbauer, Maurer, Zimmerer, Tischler, Maler, Schrift- und Buchgewerbe,<br />
Bäcker, Fleischer, Kellner, Bekleidungsgewerbe, Friseure, Musiker, Gärtner,<br />
gemischte Berufe, Fabrikarbeiter)<br />
2. Gewerbliche Klassen für Mädchen, Direktor<strong>in</strong>: Neumann<br />
5 Klassen für Lehrl<strong>in</strong>ge (Schnei<strong>der</strong><strong>in</strong>nen, Putzmacher<strong>in</strong>nen, Haararbeiter<strong>in</strong>nen)<br />
13 Klassen für Fabrikarbeiter<strong>in</strong>nen<br />
15 Klassen für Haustöchter, Haushaltslehrl<strong>in</strong>ge und Hausangestellte<br />
3. Städtische Handelslehranstalten, Direktor: Siewert<br />
A) Kaufmännische Berufsschule für Knaben und Mädchen (20 Klassen)<br />
B) Öffentliche Handelsschule; Dauer <strong>des</strong> Lehrgangs: 2 Jahre, 1939 4 Klassen<br />
C) Höhere Handelsschule; Dauer <strong>des</strong> Lehrgangs: 2 Jahre<br />
4. Wahlfreie Kurse für Erwachsene<br />
Privatwirtschaftslehre, Handelstechnik, Fremdsprachen, Mathematik,<br />
Fachzeichnen, Kurzschrift, Masch<strong>in</strong>enschreiben<br />
Stand <strong>des</strong> Berufsschulwesens 1939<br />
35<br />
Quelle: E<strong>in</strong>wohnerbuch <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong> 1939<br />
Es konnte offensichtlich von e<strong>in</strong>er erfreulichen Stabilisierung <strong>der</strong> immer besseren<br />
berufstheoretischen Bildung für zahlreiche Berufe an <strong>der</strong> Städtischen Berufsschule<br />
gesprochen werden. Der Mitte <strong>der</strong> 1930er Jahre e<strong>in</strong>geführte Berufswettbewerb sollte die<br />
lernende Jugend zu weiterem Lerneifer motivieren. Es gab für jede Berufsgruppe jährlich<br />
e<strong>in</strong>en Kreis-, e<strong>in</strong>en Lan<strong>des</strong>- und Reichssieger. Diese Auszeichnung war mit entsprechen<strong>der</strong><br />
beruflicher För<strong>der</strong>ung verbunden.<br />
Gewerbliche Lehrl<strong>in</strong>ge aus dieser <strong>Zeit</strong> berichten, dass <strong>der</strong> Unterricht wöchentlich sechs<br />
Stunden betrug und an e<strong>in</strong>em Nachmittag von 13:00 Uhr bis 19:00 Uhr stattfand.<br />
Lehrwerkstatt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Textil<strong>in</strong>dustrie<br />
1938 gründete die Tuchfabrik F.W. Schmidt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kurmärkischen Straße Nr. 13 bis 16 (heute<br />
Berl<strong>in</strong>er Straße) die erste Lehrwerkstatt <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>. In den Kriegsjahren verr<strong>in</strong>gerte sich<br />
merklich die Zahl <strong>der</strong> männlichen Arbeitskräfte. Die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen wurden härter. So<br />
stand z.B. e<strong>in</strong> Weber o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Weber<strong>in</strong> täglich elf Stunden am Webstuhl, sonnabends<br />
sieben Stunden. Auch die Befähigung <strong>der</strong> Weber zur Bedienung von zwei Webstühlen wurde<br />
angestrebt.
Das war damals noch die Ausnahme <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wollstofffabrikation. In den Kriegsjahren wurden<br />
vorwiegend Militärtuche und Decken produziert. Das Unternehmen F.W. Schmidt als<br />
mittlerer Betrieb mit etwa 300 Beschäftigten konnte offenbar die Lehrwerkstatt nicht mehr<br />
f<strong>in</strong>anzieren.<br />
So kam es Pf<strong>in</strong>gsten 1942 zu e<strong>in</strong>er Neubildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alten Poststraße 50 (dem ehemaligen<br />
Schliefschen Grundstück) mit <strong>der</strong> Beteiligung aller sieben Tuchfabriken:<br />
C. Lehmann‘s Wwe & Sohn, W. Wolf, H. Schemel, F.W. Schmidt, Lehmann & Richter,<br />
F.W. Huschke und Müller & Dörfl<strong>in</strong>g. Als Schriftführer dieser Geme<strong>in</strong>schaftslehrwerkstatt<br />
fungierte <strong>der</strong> letzte Inhaber <strong>der</strong> Firma CeLeWes, <strong>der</strong> heute 90-jährige, <strong>in</strong> Hamburg<br />
wohnende Karl Peter Lehmann-Bärenklau. In e<strong>in</strong>em Protokoll vom 22.04.1942 s<strong>in</strong>d sie<br />
aufgeschlüsselt.<br />
So galt 1942 für alle genannten Betriebe je Beschäftigten als Beitrag für die Lehrausbildung<br />
<strong>der</strong> Satz von jährlich 10,00 RM, ab 1943 nur noch 5,00 RM, wohl e<strong>in</strong> Ergebnis höherer<br />
produktiver Lehrl<strong>in</strong>gsleistungen als erwartet. Die Erziehungsbeihilfe (so wurde das<br />
Lehrl<strong>in</strong>gsentgelt genannt) betrug für die Lehrl<strong>in</strong>ge im 1. Lehrjahr wöchentlich 6,00 RM, im<br />
2. Lehrjahr 8,50 RM und im 3. Lehrjahr 10,50 RM.<br />
Die Ausbildung <strong>in</strong> Lehrwerkstätten ist mit Sicherheit als e<strong>in</strong> Fortschritt <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Berufsausbildung zu werten. Schließlich kann <strong>der</strong> Lehrstoff zum Erwerb <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen<br />
Kenntnisse und Fertigkeiten planmäßiger und systematischer vermittelt werden als das <strong>in</strong><br />
E<strong>in</strong>zelausbildung möglich ist. E<strong>in</strong> ausgewogenes Maß von Übung und Anwendung ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Lehrwerkstatt zweifellos erfolgreicher zu verwirklichen.<br />
Abschluss <strong>der</strong> Lehre<br />
Die Lehrzeit endete zu dieser <strong>Zeit</strong> wie mittlerweile <strong>in</strong> den meisten Berufen im Allgeme<strong>in</strong>en<br />
nach 3 Jahren. Sie schloß mit e<strong>in</strong>er Prüfung <strong>in</strong> Berufspraxis und Berufstheorie ab. Für <strong>Guben</strong><br />
war die Industrie- und Handelskammer <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lausitz Cottbus zuständig. Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Prüfungskommission waren ausgewählte und dafür bestätigte Fachkräfte <strong>der</strong> jeweiligen<br />
Berufsgruppe, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel fünf. E<strong>in</strong> Fachlehrer <strong>der</strong> Berufsschule gehörte dazu. Neben e<strong>in</strong>er<br />
Überprüfung theoretischer Kenntnisse stand nach alter Tradition das Gesellenstück im<br />
Mittelpunkt <strong>der</strong> Bewertung. Der gesetzlich vorgeschriebene Berufsschulbesuch musste erfüllt<br />
se<strong>in</strong> und mit e<strong>in</strong>em Abgangszeugnis belegt werden.<br />
Der Betrieb<br />
Die Fabrik befand sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Straße 13 (vormals <strong>in</strong> Reihenfolge: Bahnhofstraße,<br />
Kubestraße, Kurmärkische Straße, Wilhelm-Pieck-Straße, heute Berl<strong>in</strong>er Straße).<br />
In dem neueren vieretagigen Gebäude waren die Appretur mit Walke und Wäscherei,<br />
Trockenappretur, Rauerei, Schärerei und die zur Weberei gehörende Ausnäherei<br />
untergebracht. Der Mitteltrakt, <strong>in</strong> dem sich das Tuchlager und <strong>der</strong> Versand, die<br />
Geschirrmacherei und im oberen Stockwerk die Lehrwerkstatt und zu ebener Erde die<br />
Tischlerei, Schlosserei sowie an<strong>der</strong>e Werkstatt- und Lagerräume befanden, ist <strong>in</strong>zwischen<br />
abgerissen.<br />
Das kle<strong>in</strong>e Gebäude rechts von <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fahrt war das Pförtnerhäuschen. Dah<strong>in</strong>ter befand sich<br />
e<strong>in</strong> Aufsteller mit Stechuhr. Hier wurde täglich die Anwesenheit je<strong>des</strong> Beschäftigten mit<br />
genauer Uhrzeit registriert.<br />
36
Die weitere, nicht mehr existierende Bebauung h<strong>in</strong>ter dem neueren Gebäude bis zur Egelneiße<br />
umfasste die Sp<strong>in</strong>nerei, Weberei, Färberei und das Heizhaus.<br />
Gerhard Gunia schrieb im „Neiße-Echo“ vom 26.04.1991 auf Seite 17 zu <strong>der</strong> Firma<br />
F.W. Schmidt u. a.:<br />
„Die städtische Chronik weiß zu vermerken, dass hier 1864 <strong>der</strong> Tuchmachermeister He<strong>in</strong>ze<br />
e<strong>in</strong>e Fabrik errichtet hatte, die danach vom Tuchfabrikanten Friedrich-Wilhelm Schmidt<br />
erworben und erweitert wurde.“<br />
Die Firma hatte zu me<strong>in</strong>er <strong>Zeit</strong> vier Chefs, die Brü<strong>der</strong> Paul und Fritz Schmidt sowie die<br />
Söhne von Fritz Schmidt, Wilhelm und Werner Schmidt.<br />
Wilhelm Schmidt war für die Lehrwerkstatt zuständig. Noch vor Kriegsende o<strong>der</strong> bald danach<br />
haben alle diese Schmidt-Familien <strong>Guben</strong> verlassen. Sie haben nach me<strong>in</strong>er Information <strong>in</strong><br />
Kapstadt e<strong>in</strong>e Tuchfabrik errichtet o<strong>der</strong> erworben. Genauere Informationen fehlen.<br />
Sport – fester Bestandteil im Tagesplan<br />
6:00 Uhr bis 6:30 Uhr Frühsport. 12:00 Uhr bis 14:00 Uhr Sport.<br />
Der Frühsport wurde jeden Morgen auf dem gegenüberliegenden Gelände <strong>der</strong> NSV<br />
(Nationalsozialistische Volksfürsorge), heute Volkssolidarität, durchgeführt. Nach dem<br />
Mittagessen traten wir <strong>in</strong> unseren Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsanzügen zum Sport an.<br />
In 2er Reihen marschierten wir neben den Straßenbahnschienen mit e<strong>in</strong>em Liedchen auf den<br />
Lippen (u. a. „Die blauen Dragoner, sie reiten…“) <strong>in</strong> Richtung Dreieck, Egelneißebrücke.<br />
Von hier g<strong>in</strong>g es auf dem Egelneiße- und Neißedamm im Laufschritt zum 1.100 m entfernten<br />
Turnerwäldchen. Neben Gymnastik gab es hier Ballspiele, hauptsächlich wurde „gemauckt“ –<br />
Fußball gespielt. Herr Kümmerle (<strong>der</strong> Ausbil<strong>der</strong>, Red.) kam oft mit dem Fahrrad nach und<br />
„maukte“ mit.<br />
Essen und Esskultur<br />
Das Essen war reichlich und gesund. Eben wegen <strong>der</strong> Gesundheit gab es morgens fast immer<br />
bis zur Pudd<strong>in</strong>gkonsistenz gekochte Haferflocken. Die Klebekraft dieser Masse reichte dazu<br />
aus, dass selbst bei umgestülpten Tellern nichts herausfiel. Jedoch: e<strong>in</strong> Kännchen Milch stand<br />
für diejenigen, die den Brei nicht schlucken konnten, auch auf dem Tisch. Zweimal <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Woche gab es zum Mittag Kochfisch, Kabeljau o<strong>der</strong> Schellfisch. Auch das kannten alle von<br />
ihrem Zuhause nur als Seltenheit. Oft gab es sehr schmackhaften E<strong>in</strong>topf und auch<br />
wohlschmeckende Bratengerichte. Natürlich war zu jedem Mittagessen e<strong>in</strong>er von uns mit<br />
e<strong>in</strong>em Tischspruch an <strong>der</strong> Reihe. Bezüglich Esskultur herrschten strenge Sitten. Wer schlechte<br />
Haltung zeigte, nicht ordnungsgemäß aß o<strong>der</strong> gar quatschte, musste für e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> mehrere<br />
Male das Essen im Stehen e<strong>in</strong>nehmen. Diese Erziehungsmaßnahme ist wohl heute kaum<br />
vorstellbar. Sie wurde auch zur Ahndung an<strong>der</strong>er Vergehen angewendet.<br />
Theoretische Berufsausbildung<br />
Die Städtische Berufsschule befand sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadtschule, <strong>der</strong> ältesten Volkshochschule <strong>in</strong><br />
<strong>Guben</strong>. In diesem Gebäudekomplex zwischen Schulstraße, Stadthof, Crossener Mauer und<br />
Küstergasse hatte auch die Handelsschule ihren Standort.<br />
Unter den 48 Fachklassen für Lehrl<strong>in</strong>ge befanden sich auch mehrere Textilklassen e<strong>in</strong>es<br />
Lehrjahres. Der Unterricht fand wöchentlich e<strong>in</strong>mal von 13:00 Uhr bis 19:00 Uhr<br />
durchgängig <strong>in</strong> allen 3 Lehrjahren statt. Unser Klassen- und zugleich Fachlehrer war<br />
Gewerbeoberlehrer Karl Reißer.<br />
37
Zusammenarbeit mit den Eltern<br />
E<strong>in</strong>e Zusammenarbeit mit den Eltern <strong>in</strong> Form direkter Kontakte gab es nur <strong>in</strong>dividuell und<br />
nach Bedarf. Ständige Verb<strong>in</strong>dung zwischen Elternhaus und Ausbildungsbetrieb bestand<br />
durch die Unterschrift zu allen Wochenberichten auch noch im letzten Monat <strong>der</strong> Lehre.<br />
Diese Art <strong>der</strong> Kontrolle habe ich nicht als lästig empfunden, eher als notwendig.<br />
Quelle: Auszüge aus „Berufsausbildung <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> vor und nach 1945“, Werner Micksch<br />
März 1937<br />
„Jugend zeigt ihr Können“<br />
Was ergab <strong>der</strong> Reichsberufswettkampf für <strong>Guben</strong><br />
-Auszug-<br />
In <strong>Guben</strong> hatten sich rund 2600 Teilnehmer am Reichsberufswettkampf gemeldet und alle<br />
haben sie auch mitgemacht. Mit Ausnahme von rund 5 v. H., die krank waren.<br />
Damit haben wir fast restlos alle Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr, die hier <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> im<br />
Beruf stehen, erfaßt. Bedenken wir, daß die Teilnahme e<strong>in</strong>e freiwillige war; daraus spricht <strong>der</strong><br />
Tatwille <strong>der</strong> Jugend....<br />
Halten wir auch das e<strong>in</strong>e fest, daß die Betriebsführer ihre Betriebe und die Meister ihre<br />
Werkstätten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er echten aufrechten Art und Weise zur Verfügung stellten.<br />
In e<strong>in</strong>igen Wettkampfgruppen haben wir Spitzenleistungen zu verzeichnen.<br />
Trotzdem wird aber noch mancher Meister etwas mehr Wert auf die Ausbildung neuer<br />
Lehrl<strong>in</strong>ge legen müssen und auch die Lehrl<strong>in</strong>ge selbst müssen aus sich heraus noch e<strong>in</strong> weit<br />
größeren E<strong>in</strong>satz zur Leistung mitbr<strong>in</strong>gen; auch die Eltern können hier viel tun, <strong>in</strong>dem sie ihre<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu e<strong>in</strong>em größeren Berufs<strong>in</strong>teresse anhalten...<br />
Reichsarbeitsdienst (RAD)<br />
38<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 01. März 1937<br />
Infolge <strong>der</strong> hohen Arbeitslosigkeit <strong>in</strong> Deutschland führte die Brün<strong>in</strong>g–Regierung mit <strong>der</strong><br />
Notverordnung vom 05.06.1931 e<strong>in</strong>en begrenzten freiwilligen Arbeitsdienst e<strong>in</strong>. F<strong>in</strong>anziert<br />
und geleitet wurde er über die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und<br />
Arbeitslosenversicherung. Die Lager <strong>des</strong> Arbeitsdienstes wurden von „Trägern <strong>des</strong> Dienstes“<br />
(dies waren unterschiedliche Organisationen) geleitet. Sie betreuten die bis zu 25jährigen.<br />
In <strong>Guben</strong> war es zuerst <strong>der</strong> Kolonialvere<strong>in</strong>, dann später <strong>der</strong> „Stahlhelm“, dem das Lager zugeordnet war.<br />
Die NSDAP wurde 1934/35 alle<strong>in</strong>iger Träger <strong>des</strong> RAD. Im RAD sollte die deutsche Jugend<br />
„<strong>in</strong> Geiste <strong>der</strong> nationalsozialistischen Volksgeme<strong>in</strong>schaft und zur wahren Arbeitsauffassung,<br />
vor allem zu gebühren<strong>der</strong> Achtung <strong>der</strong> Handarbeit, erzogen werden.“
Das Hitlerkab<strong>in</strong>ett faßte am 26. Juni 1935 den Beschluß, ab 1. Juli 1935 den RAD <strong>in</strong><br />
Deutschland e<strong>in</strong>zuführen. Denn die Arbeitslosigkeit, auch bei <strong>der</strong> Jugend, war noch spürbar<br />
und besorgniserregend hoch. Das Gesetz legte die sechsmonatige Arbeitsdienstpflicht<br />
zunächst für männliche Jugendliche fest.<br />
E<strong>in</strong> Sprecher <strong>der</strong> NSDAP beteuerte, <strong>der</strong> RAD wird ke<strong>in</strong>e getarnte Wehrmacht,<br />
auch nicht ihre Vorstufe se<strong>in</strong>.<br />
Das <strong>Guben</strong>er RAD-Lager befand sich auf dem ehemaligen Gelände <strong>der</strong> Gaststätte „Volksgarten“ entlang <strong>der</strong> Crossener Straße.<br />
Hier waren 200 Jugendliche untergebracht, die <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> und Umgebung ihre körperlich<br />
schweren Arbeitse<strong>in</strong>sätze durchführten. Wichtigstes Transportmittel war das Fahrrad.<br />
Die jungen Männer wurden e<strong>in</strong>gesetzt bei <strong>der</strong> Trockenlegung <strong>des</strong> Stichl<strong>in</strong>gsgraben bei<br />
Seitwann, <strong>der</strong> Entwässerung <strong>der</strong> Grabkoer Seewiesen, zur Harzgew<strong>in</strong>nung nahe <strong>der</strong> Försterei<br />
Heidekrug und auch zur Bekämpfung von Waldbränden.<br />
Die Ausbildung war sehr militärisch, es gab u. a. Marsch- und Exerzierübungen mit dem<br />
Spaten.<br />
E<strong>in</strong> Beispiel <strong>des</strong> E<strong>in</strong>satzes <strong>des</strong> RAD als billige Arbeitskräfte war se<strong>in</strong>e Mitwirkung beim<br />
Kraftwerksbau im Kreis Sorau („Boberkraftwerk“). Das Kraftwerk an <strong>der</strong> Bober g<strong>in</strong>g <strong>1936</strong><br />
mit <strong>der</strong> ersten Turb<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Betrieb. Jahre später warteten Hitlers Schlachtfel<strong>der</strong> auf die jungen<br />
Männer.<br />
Zwei Jahre später wurde es auch für die Mädchen ernst. Zuerst, 1938, wurde für Mädchen das „Pflichtjahr“ e<strong>in</strong>geführt. Dies galt für ledige<br />
Mädchen bis zu 25 Jahre, die e<strong>in</strong>en Beruf <strong>in</strong> <strong>der</strong> Leicht<strong>in</strong>dustrie o<strong>der</strong> im Büro erlernen wollten. Sie sollten für e<strong>in</strong> Jahr Hausfrauen auf dem<br />
Lande o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt (zumeist mit mehreren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n) unterstützen. Wurden sie direkt zur Landarbeit herangezogen, war die Unterkunft im<br />
HJ-Lager.<br />
Mit Ausbruch <strong>des</strong> Krieges im September 1939 wurde die Arbeitsdienstpflicht für die<br />
weibliche Jugend e<strong>in</strong>geführt. Damit sollte die Stärke <strong>des</strong> RAD für die weibliche Jugend auf<br />
10.000 erhöht werden. Betroffen davon waren 17- bis 25-jährige, die nicht voll berufstätig<br />
waren, <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Ausbildung standen und als mithelfende Familienangehörige <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Landwirtschaft nicht dr<strong>in</strong>gend benötigt wurden.<br />
39<br />
Quelle: Manuskript Gernod Arlt<br />
„Der Arbeitsdienst ist Ehrendienst am deutschen Volke. Alle jungen Deutschen bei<strong>der</strong>lei<br />
Geschlechts, s<strong>in</strong>d verpflichtet, ihrem Volke im Reichsarbeitsdienst zu dienen.<br />
Er soll die deutsche Jugend im Geiste <strong>des</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong> und zur wahren<br />
Arbeitsauffassung erziehen.“<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 08. Juli <strong>1936</strong><br />
E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Arbeitsdienstpflicht von Abiturienten<br />
Abiturienten mit Studienabsicht mit halbjähriger Verpflichtung s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den<br />
Reichsarbeitsdienst e<strong>in</strong>zustellen, sofern sie das 17. Lebensjahr vollendet haben und<br />
arbeitsdiensttauglich s<strong>in</strong>d.<br />
Die Meldung hat persönlich bei <strong>der</strong> Polizeibehörde zu erfolgen zur Ausstellung e<strong>in</strong>es<br />
Freiwilligen-Sche<strong>in</strong>es für den Arbeitsdienst.<br />
Hauswirtschaftliche Arbeitspflicht <strong>des</strong> BDM<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 24. Jan. <strong>1936</strong>
-Auszug-<br />
Um e<strong>in</strong>e generelle hauswirtschaftliche Ertüchtigung zu ermöglichen und um e<strong>in</strong>e<br />
Vorschulung für die sozialen und pflegerischen Berufe zu schaffen, wird es jedem Mitglied<br />
<strong>des</strong> BDM zur Pflicht gemacht, im Alter von 14 bis 21 Jahren hauswirtschaftliche Arbeit zu<br />
leisten.<br />
Auf die hauswirtschaftliche Ertüchtigung wird die Teilnahme am Landjahr und dem<br />
Arbeitsdienst für die weibliche Jugend angerechnet.<br />
Jede berufsmäßige, häusliche o<strong>der</strong> landwirtschaftliche, soziale, pflegerische o<strong>der</strong><br />
erzieherische Tätigkeit befreit ebenfalls von <strong>der</strong> hauswirtschaftlichen Arbeitspflicht.<br />
Mädel im blauen Kleid<br />
40<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung , 07. Jan. 1938<br />
Statt Füllhalter den Harkenstiel / Die Praxis warf alle Vorurteile um<br />
-Auszug-<br />
... Als es hieß, daß <strong>der</strong> Arbeitsdienst für die weibliche Jugend dem Bauern helfen sollte, da<br />
sagten sich die Dorfbewohner, daß dabei nichts Gescheites herauskommen könnte.<br />
Aber dieses Vorurteil brach wie e<strong>in</strong> Kartenhaus zusammen und die Praxis hat das Gegenteil<br />
bewiesen. ...<br />
Dank <strong>der</strong> Unterstützung <strong>des</strong> Kreises <strong>Guben</strong> konnte das Arbeitsdienstlager (bisher männliches)<br />
umgewandelt werden.<br />
Die Arbeitsmädchen, die die Bauern bei <strong>der</strong> Arbeit unterstützen, s<strong>in</strong>d zu wichtigen<br />
Helfer<strong>in</strong>nen geworden und erfüllen so e<strong>in</strong>e Aufgabe, <strong>der</strong>en Bedeutung nicht unterschätzt<br />
werden soll und darf.<br />
E<strong>in</strong> Tag beim Frauen-Arbeitsdienst sieht etwa so aus:<br />
Wecken, Frühsport, Frühstück, Arbeitsdienst beim Bauern, Bettruhe, Freizeit, Zapfenstreich<br />
Der Arbeitsdienst <strong>der</strong> weiblichen Jugend, <strong>des</strong>sen e<strong>in</strong>ziges Lager unseres Kreises sich <strong>in</strong><br />
Amtitz bef<strong>in</strong>det, ist e<strong>in</strong> wichtiger Faktor <strong>in</strong> unserem bäuerlichen, sozialen und<br />
wirtschaftlichen Leben geworden.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 11. Aug. 1937
Besuch <strong>der</strong> Betriebsführer und Meister<br />
Im Lager bei den Jungarbeitern<br />
... Die Worte „Arbeit adelt“ und „Leistung entscheidet“ sollten über allen Jungarbeiterlager<br />
stehen. Sie sollen den Jungen Mut und Freude an ihrer Arbeit geben, damit sie zugleich an<br />
ihrer Arbeit e<strong>in</strong>e Verpflichtung empf<strong>in</strong>den.<br />
„Ihr könnt von Euren Jungs alles verlangen, wenn ihr sie nur richtig anfaßt. Seid ihnen<br />
Kameraden und helft ihnen. Ihr helft euch selbst und Deutschland.“<br />
Von Jugendwalter <strong>des</strong> Gaues Kurmark – Willi Strempel<br />
Landjugend <strong>Guben</strong>:<br />
41<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 13. Juli <strong>1936</strong><br />
Morgen 20 ¼ Uhr Sprechabend <strong>der</strong> Mädel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landwirtschaftlichen Schule.<br />
Vortrag: „Die Erzeugungsschlacht, e<strong>in</strong> Abwehrmittel gegen den Bolschewismus.“<br />
Ersche<strong>in</strong>en aller Mädel <strong>der</strong> Ortsbauernschaft <strong>Guben</strong> ist Pflicht.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 03. Feb. 1937
<strong>Guben</strong>er Jugend im Dritten Reich<br />
Die Hitlerjugend<br />
Aufmarsch auf dem Marktplatz ;<br />
Fotos: Archiv E. Wittchen<br />
42
Hitlerjugend<br />
Die Hitlerjugend <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
von Gernot Arlt – <strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong>vere<strong>in</strong> und<br />
Werner Micksch - <strong>Guben</strong>er Heimatbund<br />
(siehe <strong>Guben</strong>er Heimatbrief 02/2004)<br />
-Auszug-<br />
Entstehung, Grundsätze und Ziele <strong>der</strong> Hitlerjugend im Dritten Reich<br />
Die Hitlerjugend (HJ) war während <strong>des</strong> Dritten Reiches (1933 – 1945) die e<strong>in</strong>zige<br />
Jugendorganisation. Alle bestehenden Jugendorganisationen und –Vere<strong>in</strong>e wurden durch das<br />
Inkrafttreten <strong>des</strong> Ermächtigungsgesetzes 1 vom 23. März 1933 Anfang <strong>der</strong> 30er Jahre aufgelöst<br />
o<strong>der</strong> verboten – es wurde angestrebt, ihre Mitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die HJ zu überführen.<br />
Die HJ war Nachwuchsorganisation <strong>der</strong> NSDAP und wurde von ihr politisch geführt.<br />
Der Weg <strong>des</strong> männlichen Jugendlichen führte von <strong>der</strong> HJ zum Reichsarbeitsdienst und<br />
von ihm zur Wehrmacht.<br />
Die wichtigsten Etappen <strong>der</strong> HJ Geschichte<br />
Ab <strong>1936</strong> erfolgte die Aufnahme <strong>in</strong> das Jungvolk und den Jungmädelr<strong>in</strong>g immer am 20.<br />
April – dem Hitlergeburtstag.<br />
Das „Gesetz über die Hitlerjugend“ wurde am 01.Dezember <strong>1936</strong> verabschiedet. Nunmehr<br />
war die HJ neben Elternhaus und Schule <strong>der</strong> dritte „Erziehungsfaktor“.<br />
1938 wurde das BDM-Werk „Glaube und Schönheit“ geschaffen. Dieses Werk war für die<br />
17- bis 21-jährigen Mädchen bestimmt. Hier sollten sie <strong>in</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften Gymnastik<br />
und Hauswirtschaft mitarbeiten.<br />
1939 erfolgte die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> „Jugenddienstpflicht“. Damit war es für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
Jugendlichen im Alter von 10 bis 18 Jahren Pflicht, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendorganisation Dienst zu tun.<br />
Die Entwicklung <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
In <strong>der</strong> Neißestadt und <strong>in</strong> Crossen wurde <strong>der</strong> „Bann 12“ geschaffen, dem die männlichen<br />
Mitglie<strong>der</strong> angehörten. Für die Mädchen war <strong>der</strong> „Untergau 12“ Crossen-<strong>Guben</strong> zuständig,<br />
<strong>der</strong> dann später <strong>in</strong> den „Bann 12“ e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g.<br />
Die Stadt <strong>Guben</strong> unterstützte <strong>in</strong> den ersten Jahren die bedürftigen HJ-Mitglie<strong>der</strong> beim Kauf<br />
<strong>der</strong> „Dienstkleidung“ (Uniform).<br />
1 Ermächtigungsgesetz: Notstandsregelung <strong>der</strong> Weimarer Republik; erlaubte <strong>der</strong> Regierung<br />
gesetzl. Verordnungen ohne Befragung <strong>des</strong> Parlaments zu erlassen; angewendet 1923<br />
(Inflation) u. beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong> Machtergreifung durch die Nat.-Sozialisten (24.3.1933):<br />
"Gesetz zur Behebung <strong>der</strong> Not von Volk u. Reich" zur Wahrung sche<strong>in</strong>barer Legalität<br />
Quelle: NEUES UNIVERSAL LEXIKON IN FARBE - 2002 Trautwe<strong>in</strong> Lexikon-Edition<br />
Genehmigte Son<strong>der</strong>ausgabe - Compact Verlag München<br />
43
Die Aufnahme und Verpflichtungen <strong>der</strong> 14-jährigen <strong>in</strong> den BDM und <strong>der</strong> Jungen <strong>in</strong> die HJ<br />
erfolgten am 31. März <strong>1940</strong> erstmals im großen Rahmen auf dem Marktplatz. Auch Eltern<br />
waren zu dieser Zeremonie erschienen.<br />
Auch Jugendweihen waren damals üblich. Sie wurden mit nazistischer Ideologie gestaltet im<br />
Schützenhaus durchgeführt.<br />
In Lehrverträgen wie <strong>in</strong> denen <strong>der</strong> Tuchfabrik F.W. Schmidt, war <strong>der</strong> Passus enthalten, daß es<br />
Pflicht <strong>des</strong> Lehrl<strong>in</strong>gs ist, sich aktiv <strong>in</strong> <strong>der</strong> HJ zu betätigen.<br />
Struktur Bann<br />
HJ DJ<br />
JM<br />
Stamm Jungstamm<br />
BDM<br />
Mädelr<strong>in</strong>g Jungmädelr<strong>in</strong>g<br />
Gefolgschaft Fähnle<strong>in</strong> Mädelgruppen Jungmädelgruppe<br />
Schar Jungzug Mädelschar Jungmädelschar<br />
Kameradschaft Jungenschaft Mädelschaft Jungmädelschaft<br />
HJ = Hitlerjugend - Jungen von 14 bis 18 Jahren<br />
DJ = Deutsches Jungvolk – Jungen von 10 bis 18 Jahren<br />
BDM = Bund Deutscher Mädchen – Mädel von 14 bis 21 Jahren<br />
JM = Jungmädelr<strong>in</strong>g<br />
Mädel von 10 bis 14 Jahren<br />
Mädel von 17 bis 21 Jahren konnten im BDM-Werk<br />
„Glaube und Schönheit“ mitarbeiten<br />
Neben <strong>der</strong> „allgeme<strong>in</strong>en“ HJ gab es die Nachrichten-, Motor-, Reiter-, Flieger- und Mar<strong>in</strong>e-<br />
HJ. Die Feuerwehr-HJ wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berufsfeuerwehr Dreikreuzstraße ausgebildet.<br />
Der „Streifendienst“, e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit, die <strong>in</strong> Filmtheatern und Gaststätten die E<strong>in</strong>haltung <strong>des</strong><br />
Jungendschutzgesetzes kontrollierte und den Ordnungsdienst bei Sport- und<br />
Großveranstaltungen versah, besaß hohe Autorität.<br />
Ausbildung<br />
Die militärische Ausbildung <strong>der</strong> Jugendlichen fand auf zwei Wegen statt: zum e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> den angeführten „Speziale<strong>in</strong>heiten“, zum an<strong>der</strong>en <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Ausbildung. Diese be<strong>in</strong>haltete Marsch- und Exerzierübungen, das Erlernen von Marschlie<strong>der</strong>n sowie Gepäckmärsche und<br />
Geländeübungen. Höhepunkte dabei waren die „Kriegsspiele“. Zum Beispiel kämpfte e<strong>in</strong>e Gefolgschaft (ca. 130 Jungen) gegen e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />
um e<strong>in</strong> bestimmtes Ziel <strong>in</strong> den Kaltenborner Bergen...<br />
Die Jugendlichen westlich <strong>der</strong> Bothmerstraße (heute Friedrich-Engels-Straße) absolvierten ihre Marsch- und Exerzierübungen im Wäldchen<br />
nahe dem Wasserwerk. Ihre Fähnle<strong>in</strong> (E<strong>in</strong>heit mit etwa ca. 120 Jungens) hießen Schill, Blücher und Scharnhorst – Namen berühmter<br />
Militärs. Neben dem militärischen Dienst gab es für die HJ-Mitglie<strong>der</strong> regelmäßig die unbeliebten politischen Schulungen. Sie erfolgten nach<br />
Schulungsbriefen <strong>der</strong> NSDAP...<br />
Der BDM hatte mittwochs und sonnabends Dienst. Der Mittwoch blieb dem Sport<br />
vorbehalten. Am Sonnabend war <strong>der</strong> beliebte Heimabend, denn hier wurde gesungen,<br />
gespielt, vorgelesen und Vorträge angehört...<br />
44
Sport, Spiel, Kultur<br />
Der Sport war e<strong>in</strong> bedeuten<strong>der</strong> Bestandteil <strong>in</strong> <strong>der</strong> HJ. Die Jugendlichen sollten „hart wie<br />
Kruppstahl, zäh wie Le<strong>der</strong> und fl<strong>in</strong>k wie die W<strong>in</strong>dhunde“ werden. Die bereits<br />
erwähnten und seit 1935 jährlich durchgeführten Reichssportwettkämpfe standen dabei<br />
im Mittelpunkt.<br />
Bann- und Gebietsausscheide hatten immer viele Teilnehmer und begeisterten Wettkämpfer<br />
wie Zuschauer.<br />
Die Stadt <strong>Guben</strong> unterstützte das sportliche Treiben. Sie weihte während <strong>der</strong> 700-Jahr-Feier<br />
1935 e<strong>in</strong> nach damaligen Gesichtspunkten mo<strong>der</strong>nes Stadion am Nordrand <strong>der</strong> Stadt, an <strong>der</strong><br />
Seitwanner Straße Nähe Flugplatz e<strong>in</strong>.<br />
Anläßlich <strong>der</strong> Olympischen Sommerspiele <strong>1936</strong> <strong>in</strong> Deutschland standen beim HJ-Sportfest <strong>in</strong><br />
<strong>Guben</strong> Leichtathletik und Schwimmen im Vor<strong>der</strong>grund. Im gleichen Jahr führte die<br />
Neißestadt Bann- und Gebietsmeisterschaften durch.<br />
Neben dem Sportleistungsabzeichen <strong>in</strong> Bronze, Silber und Gold gab es das „Leistungsabzeichen <strong>der</strong> HJ“. Hierbei waren neben sportlichen<br />
auch wehrsportliche Leistungen zu absolvieren.<br />
Die Mädchen spielten auf Sportplätzen wie Komet (damals Jahn-Sportplatz), Kiekebusch<br />
(VfL <strong>Guben</strong>) und Spicherer Platz Völkerball, Schlag- und Hand- o<strong>der</strong> Brennball. Im W<strong>in</strong>ter<br />
wurde <strong>in</strong> den Turnhallen <strong>der</strong> Schulen Sport getrieben.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche waren auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>er Sportvere<strong>in</strong>en sehr aktiv.<br />
Kriegsbed<strong>in</strong>gt kam das Sportleben 1944 zum Erliegen.<br />
Die Spielschar<br />
Vor Kriegsbeg<strong>in</strong>n wurde im Bann 12 <strong>Guben</strong> e<strong>in</strong>e Spielschar gegründet. Die Mehrzahl <strong>der</strong><br />
etwa 50 Mädchen und Jungen kam aus dem Lyzeum und dem Gymnasium. Ihr „Dienst“<br />
bestand im E<strong>in</strong>üben von vierstimmigen Chorlie<strong>der</strong>n, Volkstänzen, Sketschen und Schwänken.<br />
Als Instrumentalquartett gehörte e<strong>in</strong> Streichquartett dazu. Übungsstätten waren Aula,<br />
Klassenräume und <strong>der</strong> Schulhof <strong>des</strong> Gymnasiums an <strong>der</strong> Neustadt. Mit Beg<strong>in</strong>n <strong>des</strong> Krieges<br />
wuchs <strong>in</strong> den Augen <strong>der</strong> HJ-Führung die Bedeutung <strong>der</strong> Spielschar als Veranstalter von<br />
„Bunten Abenden“ <strong>in</strong> Lazaretten, Soldatenunterkünften, Umsiedlungslagern und <strong>in</strong><br />
abgelegenen Dörfern....<br />
Kultur<br />
Bereits im September 1933 konstituierte sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neißestadt die „Deutsche Jugendbühne“,<br />
Ortsgruppe <strong>Guben</strong>, im Stadttheater. Sie bestand aus Lehrern, Vertretern <strong>der</strong> HJ und <strong>der</strong><br />
Schülerschaft. K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen sollte sie es ermöglichen, m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens dreimal <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Spielzeit zu billigen E<strong>in</strong>trittspreisen, teilweise auch e<strong>in</strong>trittsfrei, das Stadttheater zu<br />
besuchen.<br />
Monatlich e<strong>in</strong>mal, am Sonntagvormittag, gab es bis Ende 1944 im Passage- und<br />
Centraltheater die Jugendfilm-Vorstellungen für die HJ. Hier wurden überwiegend<br />
propagandistische Filme, wie „Dorf im roten Sturm“, „Stukas“, „Reitet für Deutschland“,<br />
„U-Boote westwärts“, <strong>der</strong> sehr rassistische Film „Jud Süß“, „Morgenrot“, „Hitlerjunge<br />
Quex“, „Die Rothschilds“ und „Ohm Krüger“ gezeigt.<br />
Auf Märschen sangen die Jungen die Lie<strong>der</strong>, die unter an<strong>der</strong>em für diese <strong>Zeit</strong> geschaffen<br />
wurden. So „Unsere Fahne flattert voran“, „Es zittern die morschen Knochen“, o<strong>der</strong> „E<strong>in</strong><br />
45
Volk, e<strong>in</strong> Reich, e<strong>in</strong> Führer“. Es gehörten auch solche, wie „Auf <strong>der</strong> Heide blüht e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es<br />
Blümele<strong>in</strong>“ und an<strong>der</strong>e nicht aus <strong>der</strong> Naziära stammende Lie<strong>der</strong>, wie „Oh du schöner<br />
Westerwald“ und „Schwarzbraun ist die Haselnuß“ dazu.<br />
Die Spielmanns- und Fanfarenzüge <strong>der</strong> HJ und <strong>des</strong> Jungvolkes begeisterten mit ihrer Musik<br />
bei Aufmärschen und an<strong>der</strong>en Anlässen die <strong>Guben</strong>er. Geprobt wurde im „Totila-Heim“.<br />
Am Vorabend <strong>des</strong> 1. Mai führte die Jugendorganisation ihr traditionelles „Mais<strong>in</strong>gen“ <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Guben</strong>er Innenstadt durch, <strong>1940</strong> zum Beispiel auf dem Marktplatz.<br />
Gern nutzten die Jugendlichen Fahrten <strong>in</strong> die Jugendherbergen <strong>der</strong> näheren Umgebung, wie<br />
zu „Mutter Gebke“ nach Schiedlo/O<strong>der</strong>, Neuzelle, Heidekrug, Ögeln, Ossig, Chossewitz,<br />
Peitz und an<strong>der</strong>e.<br />
Weiter weg g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> den Sommerferien <strong>in</strong> Zeltlager o<strong>der</strong> auf Fahrten <strong>in</strong> beliebte Gegenden<br />
Deutschlands.<br />
<strong>1936</strong> fanden zum erstenmal „Jungfacharbeiter-Lager <strong>der</strong> HJ“, auch für Nichtmitglie<strong>der</strong>, statt.<br />
Zwei waren am „Schwanensee“ und e<strong>in</strong>es am „Messower See“/Crossen.<br />
Reichsberufswettkämpfe<br />
Seit 1934 fanden im Reich die Reichsberufs-Wettkämpfe statt. Sie waren e<strong>in</strong> wichtiger<br />
Bestandteil <strong>der</strong> HJ-Arbeit und wurden örtlich auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>, akribisch vorbereitet und<br />
durchgeführt. Unterstützung fanden diese auch bei den Betrieben und dem Handwerk.<br />
In <strong>Guben</strong> nahmen zum Beispiel <strong>1936</strong> 1000 Jungen und 500 Mädchen als künftige Facharbeiter daran teil. Die theoretische Prüfung erfolgte<br />
vorwiegend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Städtischen Berufsschule, die praktische <strong>in</strong> gut vorbereiteten, ausgewählten Betrieben <strong>des</strong> Handwerks und <strong>der</strong> Industrie.<br />
Diese Wettkämpfe wurden als Orts-, Kreis- und Gauwettkämpfe durchgeführt. Die Besten nahmen am Reichsausscheid teil.<br />
Hilfsleistungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimatstadt<br />
Die Jungen und Mädchen machten sich <strong>in</strong> ihrer Heimatstadt, nicht immer freiwillig, nützlich.<br />
Vor allem wurden sie <strong>in</strong> den Kriegsjahren noch dr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> gebraucht. Sie beteiligten sich an<br />
Sammlungen (W<strong>in</strong>terhilfswerk), sammelten Heil- und Gewürzkräuter, Alt- und Rohstoffe.<br />
Regelmäßig waren sie zur Hilfe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landwirtschaft e<strong>in</strong>gesetzt. Jugendliche versahen den<br />
„Bahnhofsdienst“, <strong>in</strong>dem sie als Kofferträger tätig waren o<strong>der</strong> älteren Reisenden beim Ausund<br />
Umsteigen behilflich waren....<br />
Veranstaltungen<br />
Die NSDAP-Kreisleitung beg<strong>in</strong>g „bedeutende Tage“ mit großem Pomp, nutzte diese sehr<br />
öffentlichkeitswirksam. Dazu marschierten vor allem SA und HJ auf.<br />
Aufmärsche fanden hauptsächlich auf dem Flugplatz, im Stadion, auf dem Markt- und<br />
H<strong>in</strong>denburgplatz statt. Anlässe dafür waren die Jahrestage <strong>der</strong> „Machtergreifung <strong>der</strong> NSDAP“<br />
am 30. Januar, <strong>der</strong> 20. April (Hitlergeburtstag), <strong>der</strong> 1. Mai und die Feier zur<br />
Sommersonnenwende sowie auch die Aufnahme <strong>in</strong> den Jungmädelr<strong>in</strong>g, <strong>in</strong> das Jungvolk, <strong>in</strong><br />
den BDM o<strong>der</strong> <strong>in</strong> die HJ und <strong>der</strong> 18-jährigen <strong>in</strong> die NSDAP.<br />
Quellen:<br />
- Arno Klönne, „Jugend im Dritten Reich“, Deutscher<br />
Taschenbuchverlag,<br />
München 1990<br />
- Dr. He<strong>in</strong>z-Dieter Krausch: „<strong>Guben</strong>er Oberschüler als Mar<strong>in</strong>ehelfer im Zweiten<br />
Weltkrieg“, <strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 2000<br />
- div. Jahrgänge <strong>der</strong> „<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung“<br />
46
- Befragung ehem. Angehöriger <strong>der</strong> HJ und <strong>des</strong> BDM<br />
Jetzt stürmt zu hauf<br />
Jetzt stürmt zu hauf!<br />
Im wilden Lauf<br />
rennt an <strong>der</strong> Fe<strong>in</strong>de Festen<br />
Die Trommel lockt-<br />
Der Rabe hockt<br />
schon auf den Mauerresten!<br />
Wer zagt <strong>der</strong> liegt,<br />
wer kämpft <strong>der</strong> siegt<br />
<strong>in</strong> unsrer Fahne Schatten!<br />
Sie ist Fanal, ist Lust und Qual<br />
und Hohnschrei an die Satten!<br />
Und sollt <strong>der</strong> Tod<br />
ums Morgenrot <strong>in</strong> unsre Reihe brechen,<br />
wird neue Schar, wie unsre war,<br />
doch siegen – und uns rächen!<br />
47<br />
Gedicht von Werner Respondel<br />
Die Junge Front<br />
(Son<strong>der</strong>beilage <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung)<br />
24. Jan. <strong>1936</strong><br />
Wir waren beim Führer – zwei <strong>Guben</strong>er Mädels auf dem Obersalzberg berichten<br />
-Auszug-<br />
...lange hatten wir im Regen gestanden, gewartet und gesungen.<br />
Langsam marschieren, stumm grüßend die Menschen am Führer vorbei. Wir – 9 Jungen und 9 Mädels aus <strong>der</strong> Jugendherberge –<br />
marschieren <strong>in</strong> Dreierreihen ganz dicht vor den Italienern, die den Schluß machen. Es s<strong>in</strong>d 35 reichsdeutsche BDM-Mädels aus Italien, die <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> wun<strong>der</strong>schönen Berchtesgadener Jugendherberge e<strong>in</strong> Schulungslager haben – ganz langsam vorbei. Die SS kommandiert.<br />
Es war wun<strong>der</strong>schön. Wie ungeheuer wir uns alle gefreut haben, kann nur <strong>der</strong> verstehen, <strong>der</strong><br />
dabei gewesen ist. Zum Abschluß wurde das Lied gesunden: „E<strong>in</strong> junges Volk steht auf zum<br />
Kampf“. H.N./Im Juli <strong>1936</strong><br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 04. August <strong>1936</strong>
Hitlerjugend beim Feuerwehrdienst <strong>in</strong> Möbiskruge<br />
„Der Führer <strong>der</strong> Freiwilligen Feuerwehr <strong>in</strong> Möbiskruge, Schmiedemeister Harz, rief die<br />
Hitlerjugend auf, sich am Feuerwehrdienst zu beteiligen.<br />
Am Sonntag hatte die Jugendfeuerwehr ihren ersten Dienst. Sie war mit Eifer bei <strong>der</strong> Sache.“<br />
Presse ruft die <strong>Guben</strong>er Jugend auf<br />
Wir tragen die Zukunft<br />
-Auszug-<br />
48<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 23. Jan. <strong>1936</strong><br />
Aufmarsch zum Betriebssportfest – <strong>der</strong> Gauleiter bei se<strong>in</strong>er Jugend<br />
„... Wir wissen, daß es gleichgültig ist, ob wir Bayern, Preußen o<strong>der</strong> Sachsen s<strong>in</strong>d, daß uns<br />
das Reich alles ist.<br />
Wir wissen, unser Leben ist auch nichts, so sehr wir es auch lieben, wenn es für Deutschland<br />
e<strong>in</strong>mal gegeben werden muß. Wir wollen gute Saat se<strong>in</strong>, damit jene, die nach uns kommen,<br />
nicht sagen müssen: „Es ist e<strong>in</strong> Mann gewesen, aber die Jugend war nicht stark genug, ihm zu<br />
folgen“. Wir wollen ke<strong>in</strong>e taube Saat se<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n Frucht tragen.<br />
Wir wollen junge Soldaten se<strong>in</strong>, Soldaten <strong>des</strong> deutschen Volkes <strong>in</strong> Haltung und Charakter.<br />
Soldaten, die heute nichts, morgen den Spaten, dann die Waffen haben werden, Soldaten, die<br />
bereit s<strong>in</strong>d, ihr Leben dem Vaterland zu weihen.<br />
Wir tragen Adolf Hitler <strong>in</strong> unserem Herzen, ihm folgen wir und zu ihm stehen wir unser<br />
Leben lang.“<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 28. Sept. <strong>1936</strong><br />
„Mutter, ich brauche Jungmädelkluft! Ich nehme sie auch <strong>in</strong> acht“<br />
-Auszug-<br />
Mit dem 20. April tritt e<strong>in</strong> ganzer Jahrgang zehnjähriger Jungen und Mädel <strong>in</strong> die<br />
Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> Hitlerjugend e<strong>in</strong>. Der Jahrgang 1927 kommt als erster geschlossen zu <strong>der</strong><br />
Formation, die durch den Willen <strong>des</strong> Führers zur Staatsjugend geworden ist. Man mag e<strong>in</strong><br />
zehnjähriges Mädel e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d nennen, - mit dem E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Jungmädelschaft <strong>des</strong> BDM<br />
beendet es se<strong>in</strong> k<strong>in</strong>dliches für – sich – leben, wird e<strong>in</strong> Glied e<strong>in</strong>er geordneten Geme<strong>in</strong>schaft<br />
und nimmt Pflichten auf sich, die se<strong>in</strong>en Kräften angepaßt s<strong>in</strong>d. Es spricht mit Stolz von
se<strong>in</strong>em „Dienst“, weil es spürt, daß dieses Dienen e<strong>in</strong>e Auszeichnung und e<strong>in</strong>e Verpflichtung<br />
bedeutet.<br />
Großes Zeichen dieser E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung ist das Anlegen <strong>der</strong> Diensttracht, kurz und zünftig<br />
„Kluft“ genannt...<br />
...Die Kluft erzieht zur persönlichen Zucht und Ordnung.<br />
Feierstunde auf dem H<strong>in</strong>denburgplatz<br />
Übernahme von HJ-Angehörigen <strong>in</strong> die SA<br />
-Auszug-<br />
49<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 04. März 1937<br />
Alljährlich sollte bisher e<strong>in</strong>mal die Überführung <strong>der</strong> Angehörigen <strong>der</strong> HJ, soweit sie<br />
das 18. Lebensjahr erreicht haben, <strong>in</strong> die SA stattf<strong>in</strong>den.<br />
Für den Hitlerjungen bedeutet dieser Tag den Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es neuen<br />
Lebensabschnittes, im Dienst <strong>der</strong> Bewegung, tritt er doch nun <strong>in</strong> die Reihen <strong>der</strong> Männer, die<br />
geholfen haben, dem Führer die Macht zu erobern. Er tut das <strong>in</strong> dem Bewußtse<strong>in</strong>, bereit zu<br />
se<strong>in</strong> wie diese, dem Führer nicht nur das Gut, son<strong>der</strong>n auch das Blut zu weihen.<br />
In diesem Jahr f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> diese große Feierstunde <strong>des</strong> Bannes 12 geme<strong>in</strong>sam mit dem<br />
SA Standort <strong>Guben</strong> zur Überführung <strong>der</strong> zur SA abgestellten Hitlerjungen am Sonnabend,<br />
dem 2. Oktober, 20.30 Uhr auf dem H<strong>in</strong>denburgplatz statt...<br />
Seid treue Kamerad<strong>in</strong>nen!<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 21. Sept. 1937<br />
Feierliche Aufnahme <strong>der</strong> BDM- Mädel <strong>in</strong> die NS- Frauenschaft<br />
-Auszug-<br />
Die BDM-Mädel, soweit sie die Bestimmungen erfüllen und nicht durch Führer<strong>in</strong>nenpflichten<br />
gebunden s<strong>in</strong>d, wurden gestern im Schützenhaussaal <strong>in</strong> die Reihen <strong>der</strong> Jugendgruppen <strong>der</strong><br />
NS–Frauenschaft und <strong>des</strong> Deutschen Frauenwerkes aufgenommen.<br />
...Alle Mädel, die <strong>in</strong> die Frauenschaft übergehen, s<strong>in</strong>d sich ihrer Pflichten dem Volke<br />
gegenüber bewußt. Aus den Mädchenpflichten erwachsen Frauenpflichten und späterh<strong>in</strong> die<br />
Pflichten <strong>der</strong> deutschen Mütter.<br />
Der Führer an die Jugend<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 11. Nov. 1937<br />
Adolf Hitler an die Politischen Leiter – Unsere Führung soll gut se<strong>in</strong><br />
-Auszug-<br />
Heute ist <strong>der</strong> Ehrentag <strong>der</strong> deutschen Jugend. Nürnberg steht im Zeichen <strong>der</strong> Jugend <strong>der</strong><br />
Partei, <strong>der</strong> HJ, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptkampfbahn <strong>des</strong> Stadions aufmarschiert ist, um auf diesem mit
<strong>der</strong> Vereidigung <strong>der</strong> 18-jährigen Hitlerjungen, die <strong>in</strong> die Partei aufgenommen werden,<br />
verbundenen Appell vom Führer die Parole für das neue Jahr entgegenzunehmen. Zum<br />
erstenmal s<strong>in</strong>d auch Abordnungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesamtstärke von 9000 Jungen aus den HJ-Gebieten<br />
<strong>der</strong> Ostmark angetreten, und zwar die Gebiete <strong>der</strong> Steiermark, Wien und Nie<strong>der</strong>donau mit je<br />
1800 und die Gebiete Salzburg-Oberdonau, Tirol, Vorarlberg und Südtirol mit je 900<br />
Jungen...<br />
Mit den Worten „Heil me<strong>in</strong>e Jugend!“ grüßt Adolf Hitler die Träger <strong>der</strong> deutschen Zukunft.<br />
„Heil, me<strong>in</strong> Führer!“ braust es 50 000fach zurück.<br />
Nach dem Fanfarenruf und nach dem Chor „Wach auf, Du deutsches Land“ rücken von<br />
beiden Seitentoren <strong>der</strong> Kampfbahn die Fahnen e<strong>in</strong>, die alle getragen werden von den<br />
Teilnehmern <strong>des</strong> Adolf-Hitler-Marsches nach Nürnberg...<br />
Die Worte <strong>des</strong> Führers werden von <strong>der</strong> Jugend <strong>der</strong> Partei immer wie<strong>der</strong> mit stürmischen Heil-<br />
Rufen aufgenommen...<br />
Werner Kuhnt <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
- Auszug -<br />
50<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 10./11. Sept. 1938<br />
Soeben erreichte uns die Nachricht, daß <strong>der</strong> Führer <strong>des</strong> Gebietes Kurmark <strong>der</strong> Hitlerjugend,<br />
Gebietsführer Werner Kuhnt, am Sonnabend, dem 18. Dezember, anläßlich <strong>der</strong> HJ-<br />
Straßensammlung <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> weilt.<br />
In <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> von 16.30 – 19.00 Uhr wird unser Gebietsführer auf dem <strong>Guben</strong>er Marktplatz<br />
sammeln und an die Opferfreudigkeit <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Bevölkerung appellieren. Wir Hitlerjungen<br />
wissen, was es bedeutet, wenn <strong>der</strong> Gebietsführer sich gerade unsere Heimatstadt aussucht, um<br />
e<strong>in</strong>ige Stunden unter se<strong>in</strong>en Jungen zu weilen. An die <strong>Guben</strong>er Bevölkerung richten wir<br />
Hitlerjungen die große Bitte: Zeigt dem Gebietsführer durch Eure Opferbereitschaft, daß die<br />
<strong>Guben</strong>er Bevölkerung mit <strong>der</strong> Hitlerjugend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Front steht...<br />
An die Jungens und Jungmannen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em<br />
Befehlsbereich „Ost“<br />
-Auszug-<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 17./18. Dez. 1938<br />
Deutsche Jungens! Ihr habt das Glück, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> w e l t g e s c h i c h t l i c h e s <strong>Zeit</strong>alter<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren zu se<strong>in</strong>. Ihr wahret und seid im empfänglichsten und begeisterungsfähigsten<br />
Alter Zeuge <strong>der</strong> Tat e<strong>in</strong>es Mannes, <strong>der</strong> Weltgeschichte machte, <strong>in</strong> dem er G r o ßd<br />
e u t s c h l a n d schuf.<br />
Dem Führer fliegen aller Herzen zu! Er ist Euer und unser aller Beispiel und Vorbild!
Deutsche Jungens, laßt dies Beispiel <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ganzen E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichkeit auf Euch wirken,<br />
werdet Tatmenschen, die von <strong>in</strong>nerer Begeisterung, ihr ganzes Können, Wissen und Wollen<br />
Führer und Volk weihen. Stattet damit Führer und Volk Euren Dank ab! ...<br />
Deutsche Jungens und Jungmannen!<br />
Wer das Herz auf dem rechten Fleck hat –<br />
Wer se<strong>in</strong>em Vaterland <strong>in</strong> vor<strong>der</strong>ster Front und entscheidend dienen will –<br />
Wer Deutschlands Grenzen vor jedem frechen Überfall schützen und <strong>der</strong> Heimat die<br />
Segnungen friedlicher Entwicklung erhalten will –<br />
D e r w e r d e F l i e g e r!<br />
Flieger i n d e r b e s t e n L u f t w a f f e <strong>der</strong> Welt!<br />
In <strong>der</strong> Luftwaffe unseres Generalfeldmarschalls Herrmann Göhr<strong>in</strong>g!<br />
Gez. Keßelr<strong>in</strong>g<br />
General <strong>der</strong> Flieger <strong>der</strong> Luftwaffe 1<br />
und Befehlshaber Ost<br />
51<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 03. April 1939
Nationalsozialistische Wirtschafts- und Kulturpolitik <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
Die <strong>Guben</strong>er Wirtschaft<br />
52
<strong>Guben</strong>s wirtschaftliche Situation<br />
Entwicklungshemmende Ereignisse<br />
Mehrfach wurde das allgeme<strong>in</strong> gute Gedeihen unserer Heimatstadt von bösen<br />
Ereignissen unterbrochen. Der Erste Weltkrieg mit se<strong>in</strong>en vielen Opfern und den<br />
folgenden Hunger- o<strong>der</strong> sogenannten Kohlrübenjahren brachte Not und Elend <strong>in</strong> die<br />
Stadt. Große Ängste und auch die Armut löste die Inflation 1923 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
aus. Mit <strong>der</strong> Weltwirtschaftskrise sechs Jahre später, g<strong>in</strong>gen Massenarbeitslosigkeit und<br />
Mittellosigkeit e<strong>in</strong>her.<br />
Aussicht auf e<strong>in</strong>en Arbeitsplatz o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Lehrstelle war kaum vorhanden. Recht ergreifend<br />
beschreibt Hans Fallada <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em 1932 erschienenen Roman „Kle<strong>in</strong>er Mann was nun“ die<br />
Situation <strong>in</strong> dieser <strong>Zeit</strong>. Wie es zur Wie<strong>der</strong>belebung <strong>der</strong> Wirtschaft kam, ist den älteren<br />
Bürgern bekannt. Sie waren <strong>Zeit</strong>zeugen. Er<strong>in</strong>nert sei unter an<strong>der</strong>em an die E<strong>in</strong>führung <strong>des</strong><br />
Reichsarbeitsdienstes 1934 und an die bald folgende zweijährige Wehrpflicht, an den Bau von<br />
Autobahnen und den Westwall, an die Errichtung e<strong>in</strong>er umfangreichen Rüstungs<strong>in</strong>dustrie. In<br />
<strong>Guben</strong> war e<strong>in</strong>e viele Gewerke <strong>in</strong> Bewegung setzende Maßnahme <strong>in</strong> den 1930er Jahren <strong>der</strong><br />
Kasernenbau am Nordrand <strong>der</strong> Stadt und <strong>in</strong> Mückenberg. Damit verbunden waren auch<br />
weitere Arbeit schaffende Unternehmen wie z.B. die Erweiterung <strong>des</strong> Siedlungsbaues. –<br />
So wandelte sich die Arbeitslosigkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en spürbaren Arbeitskräftemangel um. Dieser<br />
nahm <strong>in</strong> den Kriegsjahren auf Grund von E<strong>in</strong>berufungen zur Wehrmacht ständig zu.<br />
Er wurde zum Teil durch den E<strong>in</strong>satz von Zwangsarbeitern abgefangen. So waren z.B. 1944<br />
bei Rhe<strong>in</strong>matall Borsig <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Forster Straße 50% <strong>der</strong> etwa 5.000 Beschäftigten<br />
Zwangsarbeiter.<br />
Quelle: Auszüge aus „Berufsausbildung <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> vor und nach 1945“, Werner Micksch<br />
E<strong>in</strong>ige Zahlen und Fakten aus dem Jahre <strong>1936</strong><br />
„Statistisches Jahrbuch deutscher Geme<strong>in</strong>den“<br />
Auszug aus Veröffentlichungen <strong>des</strong> deutschen Heimattages <strong>1936</strong><br />
♦ <strong>Guben</strong> ist die sechstgrößte Stadt <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z nach: Potsdam, Frankfurt, Brandenburg,<br />
Cottbus und Landsberg.<br />
♦ Das <strong>Guben</strong>er Straßen- und Wegenetz ist rund 75 Kilometer lang.<br />
♦ Mit 11 Eheschließungen auf 1000 E<strong>in</strong>wohner steht unsere Stadt mit an vor<strong>der</strong>ster Stelle <strong>in</strong><br />
dieser Rubrik.<br />
♦ <strong>Guben</strong> liegt von allen Städten <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z im Wohnungsbau an erster Stelle.<br />
♦ Auf 1000 E<strong>in</strong>wohner kamen rund 105 Volksschüler, 9 Gymnasiasten und 5 Lycealschüler<strong>in</strong>nen.<br />
53<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 03. Sept. <strong>1936</strong>
Die wirtschaftliche Lage und ihre Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit<br />
Lagebericht <strong>des</strong> Regierungspräsidenten (vom 2. Februar <strong>1936</strong>) zur Arbeitslosigkeit<br />
<strong>der</strong> Werktätigen im Jahre 1935<br />
Von beson<strong>der</strong>er Bedeutung ist die Tatsache, dass die Zahl <strong>der</strong> Arbeitslosen erheblich<br />
zugenommen hat. Die schlechte Lage <strong>der</strong> Textil-Industrie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lausitz hat beson<strong>der</strong>s<br />
die Entlassung e<strong>in</strong>er beträchtlichen Anzahl von Arbeitern zur Folge gehabt.<br />
Auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> beträgt die Zunahme 800, neben den Kurzarbeitern, die sich von 1.800 auf<br />
3.600 verdoppelt haben. Im Vergleich zu <strong>der</strong>selben <strong>Zeit</strong> gegenüber <strong>des</strong> Vorjahres ist fast<br />
überall e<strong>in</strong>e Zunahme e<strong>in</strong>getreten, und es ist zu befürchten, daß auch noch im Laufe <strong>des</strong><br />
Monats Januar – die Zahlen darüber liegen noch nicht vor – e<strong>in</strong>e weitere, wenn auch nicht<br />
bedeutende Steigerung e<strong>in</strong>getreten ist.<br />
Die Stimmung <strong>in</strong> den Arbeiterkreisen ist wegen <strong>der</strong> ger<strong>in</strong>gen Beschäftigung und<br />
Verdienstmöglichkeiten sehr gedrückt. Es kommt noch h<strong>in</strong>zu, daß gerade die beson<strong>der</strong>s<br />
betroffenen Städte und Gegenden früher Hochburgen <strong>der</strong> KPD und SPD gewesen s<strong>in</strong>d. Es ist<br />
daher an sich zu verstehen, wenn die kommunistischen Drahtzieher unter diesen Umständen<br />
alles versuchen, um die Arbeitslosen gegen den nationalsozialistischen Staat aufzuwiegeln.<br />
Es müssen m.E. auf jeden Fall Mittel und Wege gefunden werden, um den Arbeitslosen<br />
wie<strong>der</strong> Beschäftigung zu verschaffen. Dies ist nicht nur notwendig <strong>in</strong> den Gegenden, wo<br />
Arbeiter wegen <strong>der</strong> schlechten Lage <strong>der</strong> Textil–Industrie arbeitslos geworden s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n<br />
auch <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en Kreisen. Gel<strong>in</strong>gt es nicht, die Arbeitslosigkeit <strong>in</strong> erheblichen Umfange zu<br />
beheben, so wird <strong>der</strong> kommunistischen Propaganda gegenüber den Arbeitern, die bisher nach<br />
wie vor treu zum Führer stehen und die die nationalsozialistische Arbeitsbeschaffungs–<br />
Politik dankbar anerkannt haben, auf die Dauer gesehen, doch nicht ohne Erfolg bleiben.<br />
54<br />
Quelle: Staatsarchiv Potsdam, Pr.<br />
Br. Rep. 2A/Pol Nr.1961,<br />
Bl. 17-19 „Die Rote Fahne“<br />
Antifaschistischer<br />
Wi<strong>der</strong>stand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z<br />
Brandenburg<br />
1933 – 1939 Teil 1<br />
Die Weiterentwicklung <strong>des</strong> Verkehrsnetzes – Grundlage für das Wachstum <strong>der</strong><br />
Wirtschaft auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>.<br />
Es entsteht die:<br />
Reichsautobahn Berl<strong>in</strong> – Dresden<br />
Erleichtert Verkehr <strong>Guben</strong> – Dresden<br />
-Auszug-<br />
…Es ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von großem Interesse zu erörtern, welche Bedeutung
die Reichsautobahn Berl<strong>in</strong> - Dresden für <strong>Guben</strong> haben kann. Bisher fuhren die <strong>Guben</strong>er<br />
Kraftfahrer <strong>Guben</strong> - Cottbus - Spremberg - Hoyerswerda - Königsbrück - Dresden.<br />
Die Strecke führt durch viele Industrieorte und so braucht man, da die Straßen,<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
<strong>in</strong> den Stunden nach Fabrikschluß stark mit Radfahrern befahren werden, rund 2 Stunden.<br />
Wenn die Reichsautobahn e<strong>in</strong>mal fertig ist, wird man von Cottbus den kle<strong>in</strong>en<br />
Weg bis<br />
Lübbenau, wo sich die Cottbus am nächsten gelegene E<strong>in</strong>mündung <strong>in</strong> die<br />
Reichsautobahn<br />
bef<strong>in</strong>det, machen, von dort aber dann auf gera<strong>der</strong> Strecke auf die Autobahn nach Dresden<br />
kommen. Der Umweg von 25 km wird sehr schnell e<strong>in</strong>geholt werden können, zumal wir hier<br />
auch von Cottbus bis Lübbenau Reichsautobahn benutzen können, nämlich die Strecke, die<br />
von Berl<strong>in</strong> nach Breslau führt …<br />
…Das ist also erhebliche <strong>Zeit</strong>e<strong>in</strong>sparung, Erhöhung <strong>der</strong> Sicherheit, Vermeidung von<br />
Ermüdungsersche<strong>in</strong>ungen.<br />
So werden wir also künftig von <strong>Guben</strong> nach Dresden rund 2 Stunden fahren und damit die<br />
schöne Stadt an <strong>der</strong> Elbe erheblich näher se<strong>in</strong>.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 12. März 1937<br />
<strong>Guben</strong>s neue Auto-Verb<strong>in</strong>dung nach Schlesien<br />
-Auszug-<br />
<strong>Guben</strong>: Diese Autobahn nach Schlesien br<strong>in</strong>gt auch viele Vorteile für die Kraftfahrer unserer<br />
Heimatstadt. Es ist die Hauptschlaga<strong>der</strong> <strong>des</strong> Verkehrs nach dieser südöstlichen Prov<strong>in</strong>z und so<br />
wird dieser Grenzgau durch e<strong>in</strong>e Straße Adolf Hitlers erschlossen, wie es bisher wohl noch<br />
ke<strong>in</strong> Verkehrsweg tat.<br />
....<br />
Das heißt also: <strong>Guben</strong> – Breslau im Auto ab Sonntag gute drei Stunden, ohne dabei dem<br />
„Fliegenden Schlesier“ Konkurrenz machen zu wollen.<br />
....<br />
Der Höchststand an e<strong>in</strong>gesetzten Arbeitskräften betrug 7000, über 5 Millionen<br />
Tagewerke wurden bisher geleistet. Die Erdbewegung betrug 11,5 Mill. m³ . An Stahl<br />
verbrachte man über 17000 Tonnen. Ungeheuer groß muten uns auch die Zahlen <strong>in</strong><br />
Bezug auf die Fahrbahnecken an. Zwei Mill. m³ Beton wurden für die Bahndecken<br />
benötigt. Die Ziffern für sonstiges Material, Zement, Kies, Sand, Splitt, Schotter,<br />
Pflasterste<strong>in</strong>e usw. s<strong>in</strong>d immer sechsstellig, berechnet auf Meter-und Tonnene<strong>in</strong>heit.<br />
Lausitzer Tuch- und Hut<strong>in</strong>dustrie gut beschäftigt<br />
-Auszug-<br />
55<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 14. August 1938
An <strong>der</strong> im Großen und Ganzen guten Beschäftigungslage <strong>der</strong> Lausitzer Tuch<strong>in</strong>dustrie hat sich<br />
im Monat Juni nichts geän<strong>der</strong>t. Nach dem Auftragsbestand dürfte auch für die nächsten<br />
Monate mit e<strong>in</strong>er guten Beschäftigung gerechnet werden können.<br />
Der Auftragse<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hut<strong>in</strong>dustrie war <strong>in</strong> Herrenhüten gut, <strong>in</strong> Damenhüten<br />
befriedigend, sowohl <strong>in</strong> Wolle als auch im Haar.<br />
In Wollhüten ist die Nachfrage beson<strong>der</strong>s lebhaft. Die Fabriken dürften zufriedenstellend gut beschäftigt se<strong>in</strong>. Das Exportgeschäft, das<br />
sorgsam weiter gepflegt wird, etwa dem <strong>des</strong> Vorjahres, doch s<strong>in</strong>d nach wie vor die Preise fast aller Artikel unbefriedigend.<br />
56<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 08. Juli 1937<br />
<strong>Guben</strong> entwickelt sich zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> größten und wichtigsten Standorte<br />
<strong>der</strong> Tuch- und Hutfabriken sowie weiterer Zulieferbetriebe. Daraus<br />
resultierend erfolgt die Erweiterung und Erneuerung <strong>des</strong><br />
Straßennetzes.<br />
Es werden 3 Öffnungen<br />
Der Umbau <strong>der</strong> Gasstraßen–Unterführung<br />
-Auszug-<br />
Die Reichsbahn hat mit den Arbeiten für e<strong>in</strong>en Umbau <strong>der</strong> Unterführung begonnen, <strong>der</strong> durch<br />
die wachsende Verkehrsbelastung notwendig wird.<br />
Die Unterführung erfährt e<strong>in</strong>e vollständige Neugestaltung, die auch weitgehende<br />
Verbesserungen für den Straßenverkehr br<strong>in</strong>gt. Anstelle <strong>der</strong> jetzt vorhandenen e<strong>in</strong>en Öffnung<br />
wird e<strong>in</strong>e Brücke mit 3 Öffnungen entstehen.<br />
Die e<strong>in</strong>e Öffnung von 6,80 m lichte Weite dient dem Fahrverkehr, 2 Seitenöffnungen von<br />
je 3m lichte Weite s<strong>in</strong>d für die Fußgänger und Radfahrer vorgesehen (1,70 m breiter<br />
Bürgersteig und 1,30 m breiter Radfahrweg)<br />
Der Umbau wird unter voller Aufrechterhaltung <strong>des</strong> Betriebes auf den beiden Gleisen<br />
Strecke <strong>Guben</strong> – Cottbus und <strong>des</strong> Fahr- und Fußgängerverkehrs <strong>der</strong> Brücke durchgeführt. …<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 31. Juli 1937<br />
E<strong>in</strong>es <strong>der</strong> historischen Wahrzeichen bleibt trotz Erweiterung <strong>des</strong><br />
Straßennetzes erhalten:<br />
Die alte Postsäule<br />
Der Ausbau <strong>der</strong> Straßenzüge am Dreieck, <strong>der</strong> <strong>in</strong> den letzten Monaten den Verkehr<br />
etwas hemmte, geht jetzt dem Ende entgegen. Die Arbeiten am Dreieck s<strong>in</strong>d soweit<br />
fortgeschritten, daß heute, spätestens morgen, <strong>der</strong> Verkehr von <strong>der</strong> Kurmärkischen<br />
Straße und von <strong>der</strong> Gasstraße zum Stadtkern ohne Beschränkung freigegeben ist.<br />
Lediglich am Dreieck wird noch gearbeitet.
Wenn nicht starker Frost o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>es die Arbeiten aufhalten, werden sie <strong>in</strong> den nächsten<br />
Tagen durchgeführt se<strong>in</strong>. Schon ist man dabei, das Dreieck zu planieren.<br />
Um die alte Postsäule ist e<strong>in</strong> Gerüst errichtet, um sie sorgfältig abzubauen.<br />
Wie wir hören, wird anstelle <strong>des</strong> Dreiecks versuchsweise e<strong>in</strong>e Holz<strong>in</strong>sel errichtet, <strong>der</strong>en Lage<br />
praktisch aus dem Verkehrsbedürfnis durch Verschiebung ermittelt werden soll. Es wird sich<br />
dabei zeigen, ob hier e<strong>in</strong>e solche Insel erfor<strong>der</strong>lich ist o<strong>der</strong> nicht. Sollte später hier e<strong>in</strong>e<br />
dauernde Verkehrs<strong>in</strong>sel errichtet werden, wird vielleicht auch die Postsäule hier o<strong>der</strong> vor <strong>der</strong><br />
Grünfläche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Bedürfnisanstalt errichtet werden. Vorläufig wird sie sorgfältig<br />
gelagert werden, bis <strong>der</strong> richtige Platz für sie gefunden ist.<br />
Internationale Anerkennung <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Tuch<strong>in</strong>dustrie<br />
57<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 15. Dez. 1938<br />
<strong>Guben</strong>er Firmen erhalten auf <strong>der</strong> Pariser Weltausstellung höchste Auszeichnung<br />
Grand Prix für die Stoffe von H. Schemel – Ehrenurkunde für die Firma W. Wolf<br />
-Auszug-<br />
Wie gut aber auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> gearbeitet wird, daß ergab sich angesichts <strong>der</strong> Weltausstellung <strong>in</strong><br />
Paris alle<strong>in</strong> schon aus <strong>der</strong> Tatsache, daß bei <strong>der</strong> Kürze <strong>der</strong> E<strong>in</strong>reichungsfrist die <strong>Guben</strong>er<br />
Firmen ke<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>en Ausstellungsstücke herstellen konnten, son<strong>der</strong>n das nach Paris<br />
sandten, was gerade am Lager war.<br />
Die Schemelschen Tuche, vor allem die Mantelstoffe , haben bereits im Vorjahr e<strong>in</strong>e<br />
ähnliche, wenn auch vielleicht <strong>in</strong> ihrer Bedeutung nicht ganz so wichtige Auszeichnung<br />
erfahren, sie haben nämlich auf <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Messe <strong>in</strong> Saloniki ebenfalls den Grand<br />
Prix erhalten.<br />
Durch den wirtschaftlichen Aufschwung ist für <strong>Guben</strong><br />
1938 e<strong>in</strong> Jahr <strong>der</strong> großen Planungen<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 06. Dez. 1937<br />
Weiterer Ausbau unseres Straßennetzes – E<strong>in</strong>e neue Siedlung am Rande <strong>der</strong> Stadt –<br />
Schulbau geplant – Reorganisierung <strong>des</strong> Straßennetzes<br />
Großzügige För<strong>der</strong>ung unserer W<strong>in</strong>zer – Bau e<strong>in</strong>es HJ-Heimes – Schaffung e<strong>in</strong>es neuen<br />
Büchereigebäu<strong>des</strong><br />
- Auszug -
Der Oberbürgermeister <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong> legte gestern den Ratsherren den<br />
Haushaltsplan für das kommende Haushaltsjahr vor. Was die <strong>Guben</strong>er Industrie<br />
anbelangt, so ist es für mich immer e<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit, daß sie bei mir e<strong>in</strong>e<br />
helfende Hand f<strong>in</strong>det.<br />
Ich habe unserer Tuch- und Hut<strong>in</strong>dustrie auch im vergangenem Jahr Schwierigkeiten<br />
aus dem Wege geräumt, wenn es erfor<strong>der</strong>lich war.<br />
Wir haben im Jahre 1937 auch planmäßig weiter siedeln können. Wir haben alle<strong>in</strong><br />
62 Siedlungshäuser gebaut und darüber h<strong>in</strong>aus 20 Volkswohnungen, die demnächst<br />
bezugsfertig s<strong>in</strong>d. Man kann sagen: Hier <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> ist die Wirtschaft, auch im Jahr 1937<br />
aufgeblüht. Wir sehen das bei allen Ersche<strong>in</strong>ungen unseres wirtschaftlichen Lebens<br />
überhaupt,<br />
z.B. hat <strong>der</strong> E<strong>in</strong>lagenbestand <strong>der</strong> Sparkasse seit 1933<br />
um 5,5 Millionen Reichsmark zugenommen;<br />
daß ist bei e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>lagenbestand von 12 bis 13 Millionen RM<br />
e<strong>in</strong> außerordentliches Anwachsen.<br />
Es ist e<strong>in</strong> Zeichen dafür, daß die Wirtschaft angekurbelt ist, daß die gesamte Wirtschaft<br />
gedeiht und daß je<strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelne und die Geme<strong>in</strong>schaft aus <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />
Gesetzgebung und aus <strong>der</strong> nationalsozialistischen Reichs- und Staatsführung Vorteile<br />
gezogen haben. Wir haben seit 1933 e<strong>in</strong>en außerordentlich starken Rückgang an<br />
Arbeitslosen, wir können kaum noch von Arbeitslosen sprechen.<br />
Wir hatten im Jahre 1933 und zwar am 28. Februar,<br />
als <strong>der</strong> Höchststand <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit erreicht war,<br />
<strong>in</strong> <strong>Guben</strong> rund 5000 Arbeitslose und Krisenunterstützte.<br />
Wir hatten am 28. Februar 1938, also fünf Jahre später, an Arbeitslosen nur noch 514...<br />
Geplant ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> Ausbau <strong>der</strong> Kurmärkischen und <strong>der</strong> Adolf-Hitler-Straße.<br />
Me<strong>in</strong>e Herren, diese beiden Straßen s<strong>in</strong>d<br />
die Visitenkarte <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong>...<br />
58<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 01. April 1938<br />
Neben <strong>der</strong> Ankurbelung <strong>der</strong> Wirtschaft werden auch bessere<br />
Wohnbed<strong>in</strong>gungen geschaffen.<br />
Neue Siedlung auf dem F<strong>in</strong>kenhebbel<br />
Auf dem F<strong>in</strong>kenhebbel werden vier Doppelhäuser von <strong>der</strong> Stadt errichtet. Acht Siedler<br />
erhalten je e<strong>in</strong>e Siedlung und Gartenland von etwa 750 m² Größe. Die Wohnungen<br />
bestehen aus e<strong>in</strong>er großen Wohnküche, e<strong>in</strong>em Wirtschaftsraum, zwei Stuben und e<strong>in</strong>em<br />
Keller. Der Boden kann ausgebaut werden. Diese Kle<strong>in</strong>siedlungen gehen ihrer<br />
Fertigstellung entgegen und werden von Eisenbahnbeamten bezogen.<br />
In allen Industriezweigen floriert die Wirtschaft<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 26. Jan. 1938
Außerordentlich günstig<br />
Die wirtschaftliche Lage <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lausitz 1938<br />
Die Industrie- und Handelskammer für die Nie<strong>der</strong>lausitz (Cottbus) veröffentlicht jetzt den<br />
Bericht über die wirtschaftliche Lage im Jahre 1938. Daraus ergibt sich, daß nunmehr auch<br />
die Nie<strong>der</strong>lausitz <strong>in</strong> die Reihe <strong>der</strong>jenigen Gebiete e<strong>in</strong>gerückt ist, <strong>in</strong> denen die Erwerbslosigkeit<br />
ke<strong>in</strong>e praktische Bedeutung mehr hat. Bei e<strong>in</strong>er Anzahl von Fachberufen liegt dagegen e<strong>in</strong>e<br />
erhebliche Nachfrage nach Arbeitskräften vor. Die allgeme<strong>in</strong>e Wirtschaftslage unseres<br />
Bezirks im Berichtsjahr kann als außerordentlich günstig bezeichnet werden, die Umsätze<br />
weisen allgeme<strong>in</strong> Steigerungen auf. E<strong>in</strong>e weitere Konsolidierung <strong>der</strong> Betriebe <strong>in</strong><br />
wirtschaftlicher, technischer und f<strong>in</strong>anzieller H<strong>in</strong>sicht ist zu verzeichnen.<br />
Die Tuch<strong>in</strong>dustrie hat e<strong>in</strong> weiteres Jahr beson<strong>der</strong>s günstiger Beschäftigung abgeschlossen.<br />
Von rund 120 Betrieben wurden etwa 33.000 Gefolgschaftsmitglie<strong>der</strong> beschäftigt. Infolge <strong>des</strong><br />
allgeme<strong>in</strong>en Facharbeitermangels ist e<strong>in</strong>e größere Anzahl von Arbeitskräften <strong>in</strong> an<strong>der</strong>e – z.T.<br />
ihre früheren – Berufe abgewan<strong>der</strong>t. Die Nachfrage stellte sich immer mehr auf Waren<br />
besserer Qualität um. Der Export war im ersten Teil <strong>des</strong> Jahres recht befriedigend, g<strong>in</strong>g dann<br />
trotz aller Bemühungen zurück. Die Beschäftigungslage <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Le<strong>in</strong>en<strong>in</strong>dustrie lag<br />
über <strong>der</strong> <strong>des</strong> Jahres 1937. In etwa 30 Betrieben wurden 4000 Gefolgschaftsmitglie<strong>der</strong><br />
beschäftigt. Die Kurzarbeit wurde beseitigt. In <strong>der</strong> Verarbeitung neuer Rohstoffe (Zellwolle<br />
z.B.) wurden erhebliche Fortschritte gemacht und erhebliche Qualitätsverbesserungen erzielt.<br />
Die weitere Entwicklung ist von <strong>der</strong> Rohstofflage abhängig. Der Rückgang <strong>der</strong><br />
Flachsanbaufläche 1938 muß 1939 durch e<strong>in</strong>e Erhöhung ausgeglichen werden.<br />
In <strong>der</strong> Teppich<strong>in</strong>dustrie hat die Verarbeitung beson<strong>der</strong>er Teppichzellwollen weitere Fortschritte<br />
gemacht. Die Güte <strong>der</strong> Erzeugnisse hat sich weiter gehoben. Schwierigkeiten machte<br />
die E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Fachkräfte.<br />
In allen Zweigen <strong>der</strong> Hut<strong>in</strong>dustrie war das Jahr 1938 außerordentlich gut. Die Rohstoffversorgung<br />
gestaltete sich besser als anfangs angenommen wurde. Im allgeme<strong>in</strong>en wurden die<br />
billigeren Qualitäten nicht mehr <strong>in</strong> dem Umfange wie früher geliefert. Der Auslandsabsatz lag<br />
nur unwesentlich unter dem <strong>des</strong> Jahres 1937.<br />
Der Auftrieb im Wirtschaftsleben wirkte sich auch im erfreulichen Maße im<br />
Braunkohletagebau aus. Insbeson<strong>der</strong>e konnten erhebliche Mehrungen an die Industrie<br />
abgesetzt werden, während <strong>der</strong> Platzhandel gegen das Vorjahr um etwa 40 000 Tonnen<br />
zurückblieb. Dies ist auf die bekannten Versandschwierigkeiten zurückzuführen.<br />
In <strong>der</strong> Holz<strong>in</strong>dustrie waren vielfach die Betriebe nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, die Aufträge rechtzeitig<br />
auszuliefern. Infolge <strong>der</strong> Warenverknappung haben sich die Zahlungsverhältnisse gebessert.<br />
Die Exportlage blieb nach wie vor still.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 06. März 1939<br />
Im Hutbetrieb kam es durch Leichtfertigkeit zu e<strong>in</strong>em<br />
Riesenfeuer bei Ste<strong>in</strong>ke & Co<br />
Der Betrieb <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alten Poststraße vollständig vernichtet –<br />
Großer Schaden auch im neuen Gebäude –<br />
Voller E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> Feuerwehren und aller Formationen<br />
59
- Auszug -<br />
In <strong>der</strong> vergangenen Nacht brach kurz nach 24 Uhr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hutfabrik Ste<strong>in</strong>ke & Co. e<strong>in</strong><br />
gewaltiges Feuer aus, das sich mit rasen<strong>der</strong> Schnelligkeit verbreitete. E<strong>in</strong> riesiger<br />
Funkenregen g<strong>in</strong>g auf die Umgebung <strong>des</strong> brennenden Gebäu<strong>des</strong> nie<strong>der</strong>, <strong>der</strong> auch die<br />
umliegenden Häuser zu gefährden schien.<br />
Immer größer und umfangreicher wurde <strong>der</strong> Brand, bald bildete das alte Fabrikgebäude <strong>der</strong><br />
Firma Ste<strong>in</strong>ke & Co. e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Flammenmeer. Man sah schon sehr schnell, daß hier kaum<br />
noch etwas zu retten war. Es kam jetzt darauf an, vor allem das neue Gebäude <strong>des</strong> Betriebes,<br />
<strong>des</strong>sen erster Stock und zwar die nach <strong>der</strong> Alten Poststraße liegende Front, das ebenfalls vom<br />
Feuer erfaßt war, soweit als möglich zu schützen. Trotzdem fraß sich <strong>der</strong> Brand auch bis zum<br />
zweiten Stockwerk durch und schlug dann auch <strong>in</strong> den im dritten Stockwerk gelegenen<br />
Geme<strong>in</strong>schaftsraum. Hier befand sich, wie bekannt, die Werkausstellung <strong>des</strong> Gaues Kurmark<br />
<strong>der</strong> DAF. Es gelang, die meisten Bil<strong>der</strong> zu retten. Soweit uns bekannt ist, s<strong>in</strong>d nur fünf<br />
Gemälde vernichtet worden. Der Geme<strong>in</strong>schaftsraum selbst hat wenig gelitten. Dagegen s<strong>in</strong>d<br />
im neuen Gebäude die großen Arbeitshallen <strong>des</strong> ersten und zweiten Stockwerkes vollständig<br />
vernichtet.<br />
Bald sah man Männer aller Formationen mit Hand anlegen. SA, SS und vor allem e<strong>in</strong>e<br />
Abteilung <strong>der</strong> Luftwaffe setzten sich tatkräftig e<strong>in</strong>. Von <strong>Guben</strong> aus waren auch die<br />
motorisierten Züge <strong>der</strong> Feuerwehren aus Frankfurt/O<strong>der</strong>; Cottbus, Neuzelle und<br />
Fürstenberg/O<strong>der</strong> benachrichtigt worden, die auf schnellstem Wege nach <strong>Guben</strong> eilten und <strong>in</strong><br />
kürzester Frist e<strong>in</strong>trafen. Gegen ½ 3 Uhr hatte man den E<strong>in</strong>druck, daß die Feuerwehren die<br />
Brandstätte abgegrenzt hatten, daß das neue Kesselhaus gerettet werden konnte und daß auch<br />
das schlimmste für den Neubau verhütet war. Die ungeheure Glut hatte die große Fassade<br />
nach <strong>der</strong> Alten Poststraße zu durchgebogen, e<strong>in</strong> wesentlicher Teil konnte jeden Augenblick<br />
e<strong>in</strong>stürzen. Der E<strong>in</strong>sturz erfolgte dann ½ 4 Uhr früh.<br />
In aller Frühe trat heute <strong>der</strong> gesamte Arbeitsdienst an, um sich an den Aufräumungsarbeiten<br />
zu beteiligen.<br />
Fest steht bisher, daß <strong>der</strong> Brand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Karbonisation ausgekommen ist.<br />
Zur <strong>Zeit</strong> <strong>des</strong> Unglücks beschäftigte die Hutfabrik vorm. Ste<strong>in</strong>ke & Co. rund<br />
600 Gefolgschaftsmitglie<strong>der</strong>.<br />
E<strong>in</strong>en trostlosen Anblick bietet <strong>der</strong> geräumige Saal im ersten Stock. Hier saßen gestern noch<br />
fleißige Angestellte und g<strong>in</strong>gen ihrem Tagewerk nach. Der Brand, <strong>der</strong> <strong>in</strong> diesem Raum<br />
vielleicht durch e<strong>in</strong>e offengelassene eiserne Tür, die nach dem alten Gebäude führte,<br />
aufgekommen ist, hat entsetzliches Werk verrichtet.<br />
Wir wissen, daß im Dritten Reiche die Arbeitskameraden, die nun heute nicht mehr an<br />
ihrer gewohnten Arbeitsstätte stehen können, nicht dem Elend preisgegeben se<strong>in</strong><br />
werden. Wir wissen, daß man unverzüglich mit Rat und Tat für sie den neuen<br />
Arbeitsplatz bereiten wird. Soeben wird durch den Betriebsführer <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er<br />
Hutfabrik bekanntgegeben, daß er <strong>in</strong>nerhalb von drei Tagen sämtliche<br />
Gefolgschaftsmitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Betriebes Ste<strong>in</strong>ke & Co. wie<strong>der</strong> unterbr<strong>in</strong>gt.<br />
Trotz Unglück - es wird weitergearbeitet<br />
60<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 07./08. Mai 1938<br />
Der Schicksalsschlag bei Ste<strong>in</strong>ke & Co, wird überwunden - ke<strong>in</strong> Lohnausfall
-Auszug-<br />
Der Brand hat zwar die ganze Rohfabrikation vernichtet und die Herrenhutfabrikation<br />
zerstört. Aber ke<strong>in</strong>em Gefolgschaftsmitglied wird e<strong>in</strong> Lohnausfall entstehen. Die<br />
Arbeitskameraden und Arbeitskamerad<strong>in</strong>nen aus den an<strong>der</strong>en Abteilungen werden <strong>in</strong> den<br />
Schwesterbetrieben bei Lißner und im Stammhaus untergebracht. So entsteht ke<strong>in</strong>em Arbeiter<br />
und ke<strong>in</strong>er Arbeiter<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Verlust.<br />
Betriebsführer Dr. Lew<strong>in</strong> gab bekannt, daß die Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik alle Kräfte<br />
angespannt habe, um diesen Ausgleich zu schaffen. Wenn die Untersuchungen und<br />
Aufräumungsarbeiten beendet s<strong>in</strong>d, wird neues Leben aus den Ru<strong>in</strong>en blühen, denn die Fabrik<br />
wird auf alle Fälle wie<strong>der</strong> aufgebaut.<br />
Den Wächter verhaftet<br />
Das Nachspiel zum Brande bei Ste<strong>in</strong>ke & Co.<br />
-Auszug-<br />
61<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 11. Mai 1938<br />
Auf Antrag <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft beim Landgericht <strong>Guben</strong> wurde Haftbefehl gegen den<br />
40jährigen Wächter Albert Weber erlassen, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>erzeit Nachtdienst gehabt hatte, als das<br />
verheerende Schadenfeuer auf dem Fabrikgrundstück <strong>der</strong> Firma Ste<strong>in</strong>ke & Co <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> am<br />
5. Mai ausgebrochen war. Ihm wird Betrug, schwere Urkundenfälschung und fahrlässige<br />
Brandstiftung zur Last gelegt.<br />
Die Gerichtsakten s<strong>in</strong>d geschlossen<br />
Der Nachtwächter erhält 1 Jahr 9 Monate Gefängnis –<br />
Alle an<strong>der</strong>en Angeklagten freigesprochen<br />
Das Urteil im <strong>Guben</strong>er Brandprozeß<br />
-Auszug-<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 22. Juni 1938<br />
Als gestern am späten Abend das Urteil im Brandprozeß, <strong>in</strong> <strong>des</strong>sen Mittelpunkt das Feuer bei<br />
Ste<strong>in</strong>ke & Co. stand, gesprochen wurde und als darauf die Staatsanwaltschaft und die Angeklagten<br />
auf weitere Rechtsmittel verzichteten, dürften die Gerichtsakten über e<strong>in</strong>en Prozeß<br />
geschlossen worden se<strong>in</strong>, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> und darüber h<strong>in</strong>aus viel Beachtung fand.<br />
Das Gericht verurteilte den Hauptangeklagten Albert Weber zu e<strong>in</strong>em Jahr und neun<br />
Monaten Gefängnis wegen Betruges und rechnete ihm die schon über achte Monate
dauernde Unter-suchungshaft an. Die an<strong>der</strong>en Angeklagten wurden – wie allgeme<strong>in</strong><br />
erwartet – freigesprochen. Es waren dies <strong>der</strong> stellvertretende Betriebsführer Dr. Wurth,<br />
<strong>der</strong> Abteilungsleiter Helmut Rauh, <strong>der</strong> Walkermeister Hans Kortus und <strong>der</strong><br />
Betriebs<strong>in</strong>genieur Horst Kammal.<br />
Die Kapitalisten als e<strong>in</strong>zige Nutznießer <strong>der</strong><br />
faschistischen Herrschaft<br />
-Auszug-<br />
62<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 17. Jan. 1939<br />
...Im Konkurrenzkampf war die Konzernleitung <strong>der</strong> BGH (Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik,<br />
die Red.) <strong>in</strong> all den Jahren recht rührig. Gegen den wirtschaftlich starken, qualitativ<br />
überlegenen und weltbekannten „Wilkehut“, kam die BGH zwar nicht an, um so<br />
brutaler wurde <strong>der</strong> Kampf gegen die kle<strong>in</strong>eren Hutbetriebe geführt und diese entwe<strong>der</strong><br />
vernichtet o<strong>der</strong> zur Liierung mit dem BGH-Konzern gezwungen. Bis 1937 hatte die<br />
Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik, Aktiengesellschaft, die aus <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Hutfabrik Apelius<br />
Cohn (1859) entstanden war, folgende Unternehmungen geschluckt:<br />
Hutfabrik Berthold Lißner, <strong>Guben</strong> (1889)<br />
Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Haarhutfabrik, GmbH, <strong>Guben</strong> (1907)<br />
Union-Fez-Fabrik, AG, <strong>Guben</strong> (1912)<br />
<strong>Guben</strong>-Rastätter Hutstoffwerke, AG<br />
Masch<strong>in</strong>enfabrik und Eisengießerei GmbH, <strong>Guben</strong> (1919) 208 und<br />
<strong>Guben</strong>er Hutfabrik KG, vorm. Ste<strong>in</strong>ke & Co., <strong>Guben</strong> (1938)...<br />
...Im Zuge <strong>der</strong> sogenannten Arisierung <strong>der</strong> deutschen Wirtschaft hatten sich die<br />
Aktionäre nicht nur am ehemals jüdischen Kapital gesundgestoßen, son<strong>der</strong>n aus Zweifel<br />
am Erfolg <strong>der</strong> abenteuerlichen Kriegspolitik <strong>der</strong> Naziregierung das Konzernkapital <strong>in</strong><br />
das „demokratische“ Ausland verschoben. Mit dem nationalen Bewußtse<strong>in</strong> <strong>des</strong><br />
deutschen Monopolkapitals war es also nicht weit her...<br />
...Der Vorstand <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik, AG, Gustav Wrede an <strong>der</strong> Spitze, schluckte im Jahre 1938 mit se<strong>in</strong>en sechs Mitglie<strong>der</strong>n 186<br />
264,- RM. E<strong>in</strong> Herrenhutzurichter <strong>in</strong> den Konzernbetrieben dagegen g<strong>in</strong>g mit 0,80 RM Stundenlohn nach Hause, das waren im Jahre 1<br />
996,80 RM, also 6,6 Prozent <strong>der</strong> durchschnittlichen Bezüge e<strong>in</strong>es Vorstandsmitglie<strong>des</strong>.<br />
Nur die knochenzerrüttende Akkordarbeit konnte diesen Prozentsatz unbedeutend aufbessern.<br />
An die Aktionäre wurden außerdem 441 000,- RM als Dividende zu 8 Prozent ausgeschüttet,<br />
trotzdem gesetzlich nur e<strong>in</strong>e Dividendeausschüttung zu 6 Prozent zugelassen war...<br />
...Aber jetzt kam <strong>der</strong> größte Gangsterstreich <strong>der</strong> Aktionäre. Will man dem laut Bilanz 1938<br />
ausgezeichneten Re<strong>in</strong>gew<strong>in</strong>n kritiklos Glauben schenken, so wären die Aktionäre <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<br />
<strong>Guben</strong>er Hutfabrik AG arme Leute geworden. Die Bilanz <strong>des</strong> BGH-Konzerns für 1938 wies<br />
e<strong>in</strong>en Rohgew<strong>in</strong>n von 7,58 Millionen RM auf, aber e<strong>in</strong>en Re<strong>in</strong>gew<strong>in</strong>n von nur 0,57 Millionen<br />
RM. Wo die fehlenden 7,01 Millionen RM geblieben s<strong>in</strong>d, kann man leicht begreifen, wenn<br />
man sieht, daß die Bilanz noch gleichzeitig folgende Summen ausweist:<br />
gesetzliche Rücklagen 1 000 000,00 RM<br />
an<strong>der</strong>e Rücklagen 1 308 644,57 RM<br />
Rückstellungen 257 103,28 RM<br />
Verb<strong>in</strong>dlichkeiten 1 537 759,69 RM<br />
208 Zwischenbericht <strong>der</strong> Deutschen Treuhandgesellschaft, vervielfältigtes Masch<strong>in</strong>enmanuskript, Berl<strong>in</strong>, 1937
Diese Summen waren also unter diesen Titeln schon als Gew<strong>in</strong>n verschleiert und als<br />
Ausgaben gebucht. Es fällt auch nicht schwer, zu erraten wer die Nutznießer <strong>der</strong><br />
Rücklagen, etc. waren. S<strong>in</strong>n dieser Rücklagen war <strong>in</strong> letzter Konsequenz die<br />
Verschleierung <strong>der</strong> ständig wachsenden Ausbeutung <strong>der</strong> Arbeiter, um das Märchen von<br />
<strong>der</strong> „Volksgeme<strong>in</strong>schaft“ aufrechterhalten zu können. Die Wiese, auf <strong>der</strong> die BGH-<br />
Aktionäre grasten, war fett geworden. An Gebäuden und Grundstücken, Masch<strong>in</strong>en,<br />
Warenvorräten und Wertpapieren besaß die Aktiengesellschaft jetzt e<strong>in</strong> Kapital von 10<br />
974 306,56 RM und die Aktionäre konnten sich ihre feisten Hände reiben, als <strong>der</strong><br />
Vorstand <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht an die Generalver-sammlung 1939 feststellte:<br />
„Das Geschäftsjahr 1938 war durch e<strong>in</strong>e lebhafte Nachfrage <strong>in</strong> fast allen von uns<br />
erzeugten Artikeln gekennzeichnet und hat e<strong>in</strong>e mengen- und wertmäßige Steigerung<br />
<strong>der</strong> Umsätze erbracht.“ 213<br />
Dieses sprunghafte Ansteigen <strong>der</strong> Profite war <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf die Forcierung <strong>der</strong> Kriegsvor-bereitung <strong>des</strong> deutschen Monopolkapitals und<br />
<strong>der</strong> Naziregierung zurückzuführen, die zwar <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> Schwer<strong>in</strong>dustrie zugute kam, aber auch den Aktionären <strong>der</strong> Leicht<strong>in</strong>dustrie<br />
ihren Anteil zukommen ließ.<br />
Quelle: Auf Straßen und <strong>in</strong> Fabriken, Autor: Horst Reschke, Seiten 158 - 160<br />
Für das W<strong>in</strong>terhilfswerk wurden von <strong>der</strong> kurmärkischen Tuch<strong>in</strong>dustrie<br />
<strong>in</strong>sgesamt<br />
58000 Meter Tuch zur Verfügung gestellt<br />
Wie <strong>der</strong> Gaubeauftragte für das WHW 1938/39 mitteilt, hat die Tuchspende <strong>der</strong><br />
kurmärkischen Tuch<strong>in</strong>dustrie bisher die Höhe von 58000 Meter Tuch erreicht und<br />
damit die Höhe <strong>der</strong> Spenden <strong>des</strong> Vorjahres bereits überschritten. Von diesen 58000<br />
Metern s<strong>in</strong>d 20000 Meter für die Bekleidung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kurmark verarbeitet worden,<br />
während <strong>der</strong> Rest <strong>in</strong> die Gaue Pommern, Koblenz-Trier, Nie<strong>der</strong>donau und Sudetenland<br />
gegangen ist.<br />
Anerkennung für hervorragende Leistungen für<br />
Vorbildliche Betriebe <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
63<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 05. Jan. 1939<br />
Gaudiplome für W. Wolf, He<strong>in</strong>rich L<strong>in</strong>ke und Erich Rohde – Fleischerei Lieske<br />
vorbildlicher Kle<strong>in</strong>betrieb<br />
In <strong>der</strong> Tagung <strong>der</strong> Gauarbeitstagung, die heute Mittag <strong>in</strong> den Henkelwerken <strong>in</strong> Oranienburg<br />
stattfand, wurden 49 brandenburgische Betriebe mit dem Gaudiplom für hervorragende<br />
Leistungen ausgezeichnet. Zu unserer großen Freude s<strong>in</strong>d drei <strong>Guben</strong>er Betriebe dabei und<br />
zwar die Firmen W. Wolf, He<strong>in</strong>rich L<strong>in</strong>ke und die Hausschuhfabrik Erich Rohde; zu vorbildlichen<br />
Kle<strong>in</strong>betrieben wurden erklärt die Fleischerei Lieske <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> und <strong>der</strong><br />
Gärtnereibetrieb Lübcke <strong>in</strong> Fürstenberg (O<strong>der</strong>).<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 29. April/01. Mai 1939<br />
213 Bericht über das 51. Geschäftsjahr, Hausdruckerei <strong>der</strong> BGH, <strong>Guben</strong>, 1939, für die Bilanzangaben 1938 gleiche Quelle.
C.G. Wilke erhielt das Gaudiplom<br />
Der Kriegsleistungskampf beendet<br />
Betriebsappell bei C.G. Wilke<br />
Nachdem bereits im vorigen Jahre vier <strong>Guben</strong>er Betriebe das Gaudiplom für<br />
vorbildliche Leistungen erhalten haben, ist auch <strong>in</strong> diesem Jahre wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> <strong>Guben</strong>er<br />
Betrieb dabei. Es handelt sich wie aus <strong>der</strong> vorstehenden Veröffentlichung zu ersehen ist,<br />
um die Hutfabrik C.G. Wilke.<br />
... die vorbildliche Betriebsgeme<strong>in</strong>schaft, die bei C.G. Wilke herrscht, hat wesentlich zur<br />
Auszeichnung <strong>des</strong> Betriebes beigetragen.<br />
Das Diplom, das <strong>der</strong> Betrieb jetzt erhält, ist um so höher zu bewerten, als die Auszeichnung<br />
mitten im Kriege erfolgt.<br />
Zur Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Metall<strong>in</strong>dustrie<br />
64<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 17. August <strong>1940</strong><br />
Durch die sprunghafte Entwicklung <strong>der</strong> Tuch- und Hut<strong>in</strong>dustrie <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> kam es <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
zweiten Hälfte <strong>des</strong> vorigen Jahrhun<strong>der</strong>ts auch zur Gründung e<strong>in</strong>iger Unternehmen <strong>der</strong><br />
metallverarbeitenden Industrie. Als wesentlichste s<strong>in</strong>d hier zu nennen:<br />
• Die Masch<strong>in</strong>enfabrik von Wilhelm Quade (1847, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Straupitzstraße seit 1870)<br />
• Die Eisengießerei Wilhelm Köhler (1889) <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Straße (heute Bahnhofstraße)<br />
• Die Masch<strong>in</strong>enfabrik Carl He<strong>in</strong>ze (1891) <strong>in</strong> <strong>der</strong> Uferstraße<br />
• Die <strong>Guben</strong>er Zementformen und Masch<strong>in</strong>enfabrik Wolf und Co. (1904) <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Kupferhammerstraße<br />
Neben diesen entwickelten sich noch e<strong>in</strong>ige kle<strong>in</strong>ere Industriebetriebe, z. B. die Firma Bruno<br />
Juckel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wilkestraße, das Königs-Werk <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bothmerstraße sowie die Firma Rennert<br />
und Donath <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bahnhofstraße.<br />
In diesen Betrieben wurden im wesentlichen Masch<strong>in</strong>en und Geräte für die Tuch-, Hut- und<br />
Zementformen<strong>in</strong>dustrie <strong>des</strong> In- und Auslan<strong>des</strong> hergestellt. Als Ausgangsmaterial hierzu<br />
diente <strong>in</strong> hohem Maße <strong>der</strong> <strong>in</strong> den Betrieben „Köhler“ und „Quade“ erschmolzene Grauguss.<br />
Obwohl <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Arbeitskräfte, im Verhältnis zur Tuch- und Hut<strong>in</strong>dustrie, zahlenmäßig<br />
kle<strong>in</strong> war, können gerade die <strong>Guben</strong>er Metallarbeiter auf e<strong>in</strong>e revolutionäre Tradition<br />
zurückblicken.<br />
Der relativ ger<strong>in</strong>ge Machtbesitz <strong>der</strong> Unternehmer <strong>der</strong> Metall<strong>in</strong>dustrie gegenüber den Besitzern<br />
<strong>der</strong> Tuch- und Hutfabriken führte zu immer stärkerer Ausbeutung <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Metallarbeiter<br />
und damit zu verstärkten Klassenause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen.<br />
Hierbei entwickelten sich u. a. so hervorragende Arbeiterfunktionäre wie Otto Thiele und<br />
Gustav Hamann, die beide <strong>in</strong> <strong>der</strong> Eisengießerei Köhler als Former tätig waren.
In <strong>der</strong> so verhängnisvollen <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Naziherrschaft entstand neben den bisher genannten<br />
Unternehmen durch die Errichtung e<strong>in</strong>es Zweigbetriebes <strong>der</strong> Rhe<strong>in</strong>metall-Borsig AG e<strong>in</strong><br />
Großbetrieb <strong>der</strong> Metall<strong>in</strong>dustrie <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>.<br />
Da dieser Betrieb aber ausschließlich für die Waffenproduktion <strong>der</strong> Naziwehrmacht aufgebaut<br />
wurde, wurde er nach <strong>der</strong> Zerschlagung <strong>des</strong> Faschismus im Jahre 1945 demontiert und<br />
zerstört.<br />
E<strong>in</strong> großer Teil <strong>der</strong> übrigen <strong>Guben</strong>er Metallbetriebe wurde ebenfalls <strong>in</strong> die<br />
Rüstungsproduktion <strong>der</strong> Nazis e<strong>in</strong>bezogen, wobei als Arbeitskräfte beson<strong>der</strong>s<br />
Kriegsgefangene und sog. Fremdarbeiter e<strong>in</strong>gesetzt waren.<br />
Der 2. Weltkrieg brachte den <strong>Guben</strong>er Metallarbeitern neben dem Tod vieler fleißiger,<br />
aufrechter Kollegen auch die Zerstörung e<strong>in</strong>es Teils ihrer Produktionsstätten. Aber ungeachtet<br />
<strong>der</strong> entstandenen großen Verluste fanden sich im Mai/Juni 1945 Frauen und Männer<br />
zusammen, die an die Beräumung <strong>der</strong> Trümmer g<strong>in</strong>gen.<br />
Quelle: Auszüge aus dem Bericht „Zur Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Metall<strong>in</strong>dustrie“ von Egon<br />
Böhme<br />
Würdigung fand die Hut<strong>in</strong>dustrie durch<br />
Das Hut- und Hutmachermuseum <strong>in</strong> <strong>der</strong> Industriestadt <strong>Guben</strong><br />
Unter den verschiedenen Industriezweigen <strong>der</strong> im In- und Auslande <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e durch<br />
ihre Hut- und Tuchfabrikation rühmlichst bekannten Stadt <strong>Guben</strong>, nimmt die<br />
Hut<strong>in</strong>dustrie den hervorragendsten Platz e<strong>in</strong>. In <strong>Guben</strong> bef<strong>in</strong>den sich nicht nur die<br />
meisten, son<strong>der</strong>n auch die größten Hutfabrikbetriebe Deutschlands, darunter auch <strong>der</strong><br />
älteste Betrieb überhaupt, die Hutfabrik C.G. Wilke. Von hier aus hat die deutsche<br />
Wollhuterzeugung ihren Ausgang genommen, als es dem Hutmachermeister Carl<br />
Gottlob Wilke <strong>in</strong> den fünfziger Jahren <strong>des</strong> vorigen Jahrhun<strong>der</strong>ts gelang, e<strong>in</strong>en<br />
brauchbaren, auch gegen Nässe wi<strong>der</strong>standsfähigen Wollfilzhut herzustellen. Da Carl<br />
Gottlob Wilke es lange meisterhaft verstand, se<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dung geheim zuhalten, behielt<br />
er und damit Deutschland <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hutfabrikation die Vorhand.<br />
Die von Carl Gottlob Wilke hergestellten Wollhüte, die an Glanz denen aus<br />
Hasenhaaren nichts nachgaben und vor allem auch fest und wi<strong>der</strong>standsfähig gegen<br />
Regen waren, wurden bald <strong>in</strong> Deutschland bekannt. Die Absatzziffern stiegen von Jahr<br />
zu Jahr immer höher an, und <strong>in</strong> den siebziger und achtziger Jahren gewann auch das<br />
Auslandsgeschäft e<strong>in</strong>en großen Umfang, den Namen <strong>Guben</strong>s damit auch außerhalb<br />
unseres Vaterlan<strong>des</strong> <strong>in</strong> ständig steigendem Maße bekanntmachend. Auch auf<br />
Weltausstellungen erschienen von nun an <strong>Guben</strong>er Hüte. War zunächst die Wilkesche<br />
Hutfabrik die alle<strong>in</strong>ige Träger<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Hutfabrikation, so entstanden nun nach<br />
und nach <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt noch an<strong>der</strong>e Hutfabriken, von denen manche wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>gen,<br />
während an<strong>der</strong>e es neben <strong>der</strong> Firma Wilke ebenfalls zu großem Ansehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt<br />
brachten, unter ihnen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik AG., e<strong>in</strong><br />
Riesenunternehmen, das im Deutschen Reich, ja man kann wohl sagen, auf dem ganzen<br />
europäischen Kont<strong>in</strong>ent nicht se<strong>in</strong>esgleichen hat. Auch die erst <strong>in</strong> jüngerer <strong>Zeit</strong><br />
65
entstandene Hutfabrik von Fugmann hat es durch e<strong>in</strong>e neuartige Fabrikationsmethode<br />
verstanden, sich im In- und Ausland e<strong>in</strong>en bedeutenden Ruf zu erwerben.<br />
Die ständig fortschreitende Entwicklung <strong>der</strong> Hut<strong>in</strong>dustrie hatte zur Folge, daß im Laufe <strong>der</strong><br />
Jahre <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> e<strong>in</strong>e Anzahl von Masch<strong>in</strong>enfabriken entstanden, die hochwertige<br />
Spezialmasch<strong>in</strong>en für die Hutfabrikation herstellen, die für die Hut<strong>in</strong>dustrie <strong>der</strong> ganzen Welt<br />
von bedeuten<strong>der</strong> Wichtigkeit s<strong>in</strong>d. Für letzteres zeugt das umfangreiche Exportgeschäft dieser<br />
Firmen.<br />
Aus dieser Darstellung geht hervor, daß die Hut<strong>in</strong>dustrie an <strong>der</strong> Entwicklung <strong>des</strong> ehemals<br />
unbekannten Landstädtchens <strong>Guben</strong> zu e<strong>in</strong>er weltbekannten Industriestadt <strong>in</strong> erheblichem<br />
Umfange beigetragen hat. So ist es denn nur e<strong>in</strong> selbstverständlicher Akt <strong>der</strong> Dankbarkeit<br />
gegenüber <strong>der</strong> alten <strong>Guben</strong>er Hutmacherfamilien, wenn <strong>der</strong> Oberbürgermeister <strong>der</strong> Stadt<br />
<strong>Guben</strong> sich nunmehr entschlossen hat, im Anschluß an das bereits bestehende Stadtmuseum<br />
e<strong>in</strong> Hut- und Hutmachermuseum zu errichten. <strong>Guben</strong> ist <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> deutschen<br />
Hut<strong>in</strong>dustrie nach <strong>der</strong> gegebene Ort für e<strong>in</strong> <strong>der</strong>artiges Museum.<br />
Der Grundstock hierfür ist bereits vorhanden, da die Firma C.G. Wilke schon bei <strong>der</strong><br />
Errichtung <strong>des</strong> Stadtmuseums <strong>in</strong> hochherziger Weise e<strong>in</strong>e Sammlung geschichtlich wertvoller<br />
Hutmodelle gestiftet hat. So wie <strong>der</strong> Oberbürgermeister am 4. Juli 1939 <strong>in</strong> Anwesenheit <strong>der</strong><br />
Beigeordneten <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong> und <strong>der</strong> Vertreter <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Hut<strong>in</strong>dustrie vollzogenen<br />
Gründung <strong>des</strong> Hut- und Hutmachermuseums ausführte, soll dieses Museum <strong>in</strong> zielbewußter<br />
Arbeit ständig vergrößert werden, mit dem Ziel, aus ihm im Laufe <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> e<strong>in</strong>en Zentralpunkt<br />
für die gesamte Hut<strong>in</strong>dustrie unseres Vaterlan<strong>des</strong> entstehen zu lassen. Vor allem soll das<br />
Museum die Entwicklung <strong>des</strong> Hutmachergewerbes und <strong>der</strong> Hut<strong>in</strong>dustrie aus den kle<strong>in</strong>sten<br />
Anfängen heraus veranschaulichen.<br />
Möge das junge Hut- und Hutmachermuseum <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> schon jetzt e<strong>in</strong>e tatkräftige<br />
Unterstützung aller Kreise <strong>der</strong> Hut<strong>in</strong>dustrie unseres Vaterlan<strong>des</strong> f<strong>in</strong>den, damit <strong>der</strong> Gedanke<br />
<strong>der</strong> Schaffung e<strong>in</strong>es Mittelpunktes <strong>der</strong> deutschen Hutfabrikation recht bald verwirklicht<br />
werden kann.<br />
66<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 08./09. Juli 1939
Nationalsozialistische Wirtschafts- und Kulturpolitik <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
Das kulturelle Leben <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
67
E<strong>in</strong> theatergeschichtlicher Rückblick<br />
Mit e<strong>in</strong>er bee<strong>in</strong>druckenden Jubelfeier konnten die begeisterten <strong>Guben</strong>er am 1. Oktober 1874<br />
das vom Berl<strong>in</strong>er Architekten Oskar Titz entworfene Theatergebäude im klassizistischen<br />
Geschmack <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>in</strong> Besitz nehmen.<br />
Unter dem NS-Regime g<strong>in</strong>g die Periode e<strong>in</strong>er humanistischen Theaterkunst <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> zu<br />
Ende.<br />
Nach 1933 leitete und überwachte Goebbels von se<strong>in</strong>em M<strong>in</strong>isterium über die<br />
Reichstheaterkammer das künstlerische Leben <strong>der</strong> Theater. Die faschistische Ideologie wurde<br />
im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Kriegsvorbereitung von <strong>der</strong> Bühne verkündet, so mit Inszenierungen wie<br />
„Brü<strong>der</strong>“, Drama aus <strong>der</strong> „Kampfzeit“ <strong>der</strong> SA, und „Der Reiter“ von He<strong>in</strong>rich Zerkaulen,<br />
1938 <strong>in</strong> Anwesenheit <strong>des</strong> Autors aufgeführt.<br />
Bereits mit dem Nachfolger Rolf Ziegler setzte <strong>der</strong> Verdrängungsprozeß zugunsten <strong>der</strong><br />
nationalistischen, betont „völkischen“ Weltanschauung e<strong>in</strong>. Das im Mai 1933 erlassene<br />
Theatergesetz führte zur Gleichschaltung <strong>der</strong> deutschen Bühnen. Diese dienten dann auch <strong>der</strong><br />
Verbreitung <strong>der</strong> faschistischen Ideologie. Verantwortlich dafür zeichnete <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> vor allem<br />
Fritz Ebers und Hans Fiala. Als beson<strong>der</strong>s willfähiger Erfüllungsgehilfe erwies sich Fiala.<br />
Aus vorgeblich rassischen Gründen verschwanden selbst so erfolgreiche Operettenschöpfer<br />
wie Emmerich Kalmann, Paul Abraham, Oskar Straus, Robert Stolz, Leo Fall, Leon Jessel<br />
(„Schwarzwaldmädel“; als Jude mißhandelt, 1942 verstorben) o<strong>der</strong> Oskar Nedbal (aus<br />
„Polenblut“ 1913 wurde 1942 „Die Erntebraut“). Selbst Franz Lehar, <strong>des</strong>sen Werk „Lustige<br />
Witwe“ Hitlers Liebl<strong>in</strong>gsoperette war, geriet <strong>in</strong>s Zwielicht, da er „nichtarisch“ verheiratet war<br />
und se<strong>in</strong> Librettist Fritz Löhner-Beda im KZ ermordet wurde (Daiber, S. 192). Doch mit<br />
Rücksicht auf das Ausland und auf die <strong>in</strong>nere Stimmung verblieben Stücke <strong>der</strong> klassischen<br />
Literatur weiterh<strong>in</strong> auf den Spielplänen (Goethe, Schiller, Hebbel, Kleist, Hauptmann u.a.).<br />
Erw<strong>in</strong> Piscator sagte dazu: „Der Faschismus greift gierig nach den großen Werten <strong>der</strong><br />
Vergangenheit, um mit ihnen se<strong>in</strong>e Leere auszufüllen“ (Wardetzky, S.83). Mit <strong>der</strong><br />
Inszenierung solcher Stücke wie „Brü<strong>der</strong>“ und „Der Reiter“ von He<strong>in</strong>rich Zerkaulen<br />
h<strong>in</strong>gegen, 1938 im Beise<strong>in</strong> <strong>des</strong> Autors aufgeführt, empfahl man sich bei den Machthabern für<br />
höhere Aufgaben. Fiala erhielt 1941 den Auftrag, <strong>in</strong> Thorn (Torun) e<strong>in</strong> monumentales<br />
deutsches Theater aufzubauen, was durch den Kriegsverlauf nicht mehr gelang.<br />
Mit Curt Asmus-Bach kam e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> profiliertesten Intendanten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte unseres<br />
Theaters nach <strong>Guben</strong>. Aus Schlesien mit Vorerfahrung kommend, führte er die <strong>Guben</strong>er<br />
Kulturstätte unter schwierigsten äußeren Bed<strong>in</strong>gungen „zu e<strong>in</strong>er neuen und, wie sich zeigen<br />
sollte, nicht mehr wie<strong>der</strong>holbaren, letzen Blütezeit“ (Jendreieck, S. 20). Gleichzeitig leitete er<br />
das Kurtheater <strong>in</strong> Bad Warmbrunn. Obwohl auch er Spielplankonzessionen e<strong>in</strong>gehen mußte,<br />
gelang es ihm weitgehend, das Theaterrepertoire vor zeitgenössischer ideologischer<br />
Überfrachtung zu bewahren, was für se<strong>in</strong>e humanistische Grunde<strong>in</strong>stellung und se<strong>in</strong>en Mut<br />
sprach. Ihm verdankte das Publikum wohl die beste <strong>der</strong> <strong>in</strong>zwischen legendären Faust-<br />
Inszenierungen. Durch die Verpflichtung berühmter Mimen von hochkarätigen Berl<strong>in</strong>er<br />
Bühnen erreichte das <strong>Guben</strong>er Theater selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> schweren Kriegszeit überregionale<br />
Ausstrahlung auf hohem künstlerischen Niveau. Namen wie Paul Hartmann, Will Quadflieg,<br />
Horst Caspar, Maria Terno, Lil Dagover und René Deltgen trugen den Namen <strong>des</strong> <strong>Guben</strong>er<br />
Theaters weit über die Stadtgrenzen h<strong>in</strong>aus. Mit <strong>der</strong> Entdeckung von Inge Harbort erwies sich<br />
CAB ebenfalls als fürsorglicher Talenteför<strong>der</strong>er. Se<strong>in</strong>e persönliche Freundschaft zu Gerhart<br />
Hauptmann schlug sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Aufführung e<strong>in</strong>er Reihe se<strong>in</strong>er Stücke nie<strong>der</strong>, was sich als<br />
Wohltat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Zeit</strong> geistiger Verflachung erwies. Die kriegsbed<strong>in</strong>gte Schließung <strong>des</strong><br />
<strong>Guben</strong>er Inseltheaters beendete 1944 lei<strong>der</strong> allzu früh das verdienstvolle Wirken <strong>des</strong><br />
großartigen Schauspielers und Theaterleiters <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1979, Gerhard Gunia, S.61 u. S.64<br />
68
<strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1999, Gerhard Gunia/Dr.Harmut Schatte,<br />
S.84/85<br />
Das Stadttheater – Anziehungspunkt vieler <strong>Guben</strong>er Bürger und ihre Gäste.<br />
Der Weg unseres Stadttheaters<br />
Spielzeit 1933 <strong>in</strong>sgesamt 19.483 Besucher<br />
Spielzeit 1937/38 über 50.000 Besucher<br />
- Auszug -<br />
Das Stadttheater <strong>Guben</strong> hat <strong>in</strong> den sechs Monaten Spielzeit 1937/38 se<strong>in</strong>e Aufgaben <strong>in</strong><br />
geradezu hervorragendem Maße gelöst.<br />
...<br />
Nun könnte die Frage aufgeworfen werden, ob denn <strong>Guben</strong> überhaupt e<strong>in</strong> eigenes Theater<br />
haben soll. Sie wird am besten durch die Tatsache beantwortet, daß sich die Besucherzahl seit<br />
1933 be<strong>in</strong>ahe verdreifacht hat. Bei den 50.000 Besuchern <strong>der</strong> Spielzeit 1937/38 s<strong>in</strong>d 18.504<br />
Besucher e<strong>in</strong>gerechnet, die über „KdF“ <strong>in</strong>s Theater gekommen s<strong>in</strong>d. Die verantwortlichen<br />
Männer von „KdF“ sagen uns, daß das Interesse am Theater <strong>in</strong> zunehmendem Maße steigt.<br />
Fast alle <strong>Guben</strong>er s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den sechs Monaten zweimal im Theater gewesen.<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> musikalischen Aufführungen war es „<strong>der</strong> Vogelhändler“, <strong>der</strong> den <strong>Guben</strong>ern<br />
ganz beson<strong>der</strong>s gefiel. Wir spielten außerdem Lehar´s „Land <strong>des</strong> Lächelns“ und „Pagan<strong>in</strong>i“,<br />
ferner Künneckes „Zauber<strong>in</strong> Lola“ und Erika Arlts schönen „Walzer um Mitternacht“.<br />
Aber auch diese Meldungen gab es über<br />
das kulturelle Leben e<strong>in</strong>er Stadt<br />
69<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 02./03. April 1938<br />
Das <strong>Guben</strong>er Stadttheater befand sich schon seit 1938 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Krise. In e<strong>in</strong>em Schreiben von<br />
Oberbürgermeister Schmiedicke an den Oberpräsidenten hieß es, man sei genötigt, „den<br />
Betrieb e<strong>in</strong>gehen zu lassen“, wenn ke<strong>in</strong>e Beihilfe gewährt würde, denn „im Jahre 1938 muss<br />
die Stadt <strong>Guben</strong> alle<strong>in</strong> 750 000 Mark aufwenden für die neuen Heeresbauten“.<br />
Daraufh<strong>in</strong> ließ Goebbels e<strong>in</strong>en Zuschuß anweisen, während die Stadt das Schloss Bu<strong>der</strong>ose<br />
(heute Budarodz, nördlich Gub<strong>in</strong>) als „Haus <strong>der</strong> Frontdichter“ zur Verfügung stellte.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1995, Seite 14-15
Namhafte Dichter und Schriftsteller besuchten <strong>Guben</strong> – E<strong>in</strong>er von ihnen war Gerhart Hauptmann<br />
Gespräch mit Gerhart Hauptmann<br />
Der Dichter <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
-Auszug-<br />
...Wir berichteten G. Hauptmann über die Pflege se<strong>in</strong>es Schaffens am <strong>Guben</strong>er Stadttheater,<br />
und er er<strong>in</strong>nerte sich, anläßlich <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Aufführung se<strong>in</strong>es Werkes „Vor<br />
Sonnenuntergang“ dem <strong>Guben</strong>er Stadttheater Geleitworte geschrieben zu haben. Er versprach<br />
uns, wenn es nur irgendwie möglich ist, e<strong>in</strong>mal bei e<strong>in</strong>er Aufführung e<strong>in</strong>es se<strong>in</strong>er Werke im<br />
<strong>Guben</strong>er Stadttheater anwesend zu se<strong>in</strong>.<br />
Der Dichter wollte dann von uns wissen, welchen Rang <strong>Guben</strong> kulturell e<strong>in</strong>nimmt. Wir<br />
erzählten ihm von den Beziehungen Goethes zu <strong>Guben</strong>, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e zu Corona Schröter, die<br />
e<strong>in</strong>e Gubner<strong>in</strong> war. G. Hauptmann waren diese D<strong>in</strong>ge neu und er war sehr <strong>in</strong>teressiert. Wir<br />
berichteten ferner über die kulturellen Bemühungen <strong>Guben</strong>s im neuen kulturellen Schaffen,<br />
verwiesen auf unsere Musikwoche und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auf die Errichtung <strong>des</strong> Hauses <strong>der</strong><br />
Frontdichter...<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 05. August 1938<br />
Durch kulturelle Aktivitäten entstanden viele e<strong>in</strong>drucksvolle Erlebnisse bei <strong>der</strong> Bevölkerung – z. B. durch KdF<br />
... und freuten uns <strong>des</strong> Lebens<br />
Die Leistung <strong>des</strong> NSG „Kraft durch Freude“!<br />
<strong>Guben</strong> an <strong>der</strong> Spitze im Gau Kurmark – E<strong>in</strong>e stolze Entwicklung!<br />
-Auszug-<br />
...auf allen Gebieten kann <strong>der</strong> Kreis <strong>Guben</strong> unter Leitung von Kreiswart Pg. Nowack auf e<strong>in</strong>e<br />
stolze Entwicklung im vergangenen Jahre zurückblicken. Die vorliegende Zusammenstellung<br />
gewährt e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>teressanten Überblick und zeigt beson<strong>der</strong>s den großen Fortschritt bei Reisen.<br />
Beliebte Reiseziele waren z.B. Oberbayern, Taunus, Schwarzwald, Bodensee, Allgäu, Eulengebirge,<br />
Erzgebirge, Donautal, Thür<strong>in</strong>gen, Harz, Ostsee, Nordsee, Rhe<strong>in</strong> und Mosel.<br />
Beliebte ausländische Reiseziele: Norwegen und Madeira<br />
Im Vor<strong>der</strong>grund stand auch das <strong>Guben</strong>er Stadttheater. Hier wurden z.B. <strong>in</strong> 6 Spielmonaten<br />
37 Vorstellungen gegeben und dabei 14.515 E<strong>in</strong>trittskarten verkauft.<br />
Gut besucht waren folgende Veranstaltungen: „Die Fle<strong>der</strong>maus“, „Die lustige Witwe“, „Der<br />
Troubadour“, „Der Zarewitsch“ und „Der Page <strong>des</strong> Königs“<br />
70
Die Mitglie<strong>der</strong>zahl <strong>des</strong> Volksbildungswerkes <strong>des</strong> NSG hat e<strong>in</strong>en Mitglie<strong>der</strong>zuwachs um<br />
82 % auf 830 Teilnehmer zu verzeichnen.<br />
E<strong>in</strong>e bedeutende Rolle spielten auch die Unterhaltungsveranstaltungen, mit e<strong>in</strong>er Beteiligung<br />
von 38.170 Zuschauern.<br />
Auch die „Ri-Ra-Rutsch-Abende“ aufgeführt im Schützenhaus, das große Volksfest anläßlich<br />
<strong>der</strong> We<strong>in</strong>werbewoche auf dem H<strong>in</strong>denburgplatz und die Festaufführung anläßlich <strong>des</strong><br />
Besuches von 200 auslandsdeutschen Arbeitskameraden, die als Teilnehmer am Weltkongreß<br />
für Freizeit und Erholung <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> Aufenthalt nahmen, waren beson<strong>der</strong>s gefragt.<br />
Je<strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Betrieb hatte se<strong>in</strong> Betriebsfest, se<strong>in</strong>e Kameradschaftsabende, Sommerfest,<br />
Johannisfest, Herbstvergnügen, Rhe<strong>in</strong>ischen Abend, Weihnachtsfeiern, W<strong>in</strong>tervergnügen<br />
u.v.a.<br />
Beliebt waren auch Betriebsausflüge. Auch Betriebssportfeste fanden beson<strong>der</strong>en Anklang.<br />
Das Wan<strong>der</strong>n im Landkreis mit Fahrrad o<strong>der</strong> zu Fuß war ebenfalls beliebt. Z.B. Gegend um<br />
Crossen, Fürstenberg und Sommerfeld.<br />
<strong>Guben</strong>s „Amateur-Künstler“ nahmen an <strong>der</strong> Großen Deutschen<br />
Rundfunkausstellung teil<br />
Volkes Fleiß - <strong>der</strong> Lausitz Preis<br />
71<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 27. Nov. <strong>1936</strong><br />
Erfolg <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Künstler bei <strong>der</strong> 13. Großen Deutschen Rundfunkausstellung <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
<strong>1936</strong>.<br />
Folgende mitwirkende Künstler aus <strong>Guben</strong> waren dabei:<br />
- Betriebskapelle <strong>der</strong> V. G. Hutfabrik, Abteilung Stammhaus, Ltg. Walter Scholz gefiel mit<br />
dem „Pr<strong>in</strong>z-Wilhelm-Marsch“<br />
- S<strong>in</strong>gegruppe Tuchfabrik Huschke, Ltg. Kurt Primm, Auftritt mit dem „<strong>Guben</strong>er Heimatlied“<br />
- Betriebskapelle C. G. Wilke, Ltg. Eberhard Klemcke, spielte den Marsch „Me<strong>in</strong> <strong>Guben</strong>“<br />
- Zither- und Mundharmonika-Orchester <strong>der</strong> B. E. Hutfabrik AG, Ltg. Willi Rothe, führten<br />
„Am Brunnen vor dem Tore“ und „<strong>Guben</strong>er Turnermarsch“ auf.<br />
- Heimatdichter Erich Arlt rezitierte aus eigener Fe<strong>der</strong> „Wir h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Masch<strong>in</strong>e“<br />
(Werkmannslied) und „Ick liebe Dir“ (heitere Dialektstudie)<br />
Die <strong>Guben</strong>er Kapellen übernahmen auf Wunsch <strong>der</strong> Funkleitung auch e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> darauffolgenden<br />
Sendung „Grenzland – Heimatland“.<br />
<strong>Guben</strong> war auch Rundfunkhörern nicht unbekannt.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 01. Sept. <strong>1936</strong>
Wunschkonzert <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
-Auszug-<br />
Je<strong>der</strong> kennt die Wunschkonzerte <strong>des</strong> Deutschlandsen<strong>der</strong>s und <strong>des</strong> Reichssen<strong>der</strong>s Berl<strong>in</strong>, die<br />
uns immer wie<strong>der</strong> so viel Freude bereiten. Was wir bisher nur über den Reichssen<strong>der</strong> Berl<strong>in</strong><br />
und den Deutschlandsen<strong>der</strong> haben konnten, soll erstmalig <strong>in</strong> diesem Jahre im Kaisergarten<br />
unseren <strong>Guben</strong>ern geboten werden. Im Rahmen <strong>des</strong> diesjährigen WHW veranstaltet das<br />
WHW geme<strong>in</strong>sam mit dem Musikkorps <strong>des</strong> FR 29 unter persönlicher Leitung <strong>des</strong> Stabsmusikmeisters<br />
W<strong>in</strong>kel e<strong>in</strong>en Wunschkonzertabend...<br />
An die <strong>Guben</strong>er ergeht schon jetzt die Bitte, sich die Veranstaltung am 8. Februar<br />
vorzumerken.<br />
Spenden aller Art, Geld- und Sachspenden, werden bis zum 24. Januar freudig <strong>in</strong> Empfang<br />
genommen. Daß auch alle Wünsche erfüllt werden, ist selbstverständlich. Und nun entsteht<br />
die Frage, wer soll alles spenden? Der Aufruf ergeht an alle Geschäftsleute und Betriebsführer,<br />
an die Betriebsgeme<strong>in</strong>schaften, an den Handel, an Formationen und Organisationen,<br />
an Vere<strong>in</strong>e und Gesellschaften, kurzum an jeden e<strong>in</strong>zelnen Volksgenossen. Ob <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaft<br />
gespendet wird o<strong>der</strong> alle<strong>in</strong>, ist gleich, die Hauptsache bleibt die große o<strong>der</strong> auch kle<strong>in</strong>e<br />
Spende, je<strong>der</strong> Beitrag hilft mit, auch dieser Veranstaltung e<strong>in</strong>en großen Erfolg zu sichern...<br />
Gestern Rundfunkaufnahme <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
72<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 09. Januar 1939<br />
Der Reichssen<strong>der</strong> Berl<strong>in</strong> war gestern <strong>in</strong> unserer Stadt und machte mit se<strong>in</strong>em<br />
Aufnahmewagen e<strong>in</strong>en Baumblütenbesuch.<br />
Am Sonntagnachmittag, um 15 Uhr, wird unter dem Motto „Baumblüte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mark“ die<br />
Aufnahme gesendet.<br />
Die Stadt <strong>Guben</strong> präsentierte sich und startete den Aufruf:<br />
Besucht <strong>Guben</strong><br />
Unsere Heimatstadt auf <strong>der</strong> Kurmarkschau<br />
-Auszug-<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 28. April 1939<br />
Auf dem geme<strong>in</strong>samen Stand <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lausitzer Textil<strong>in</strong>dustrie steht <strong>Guben</strong> mit an <strong>der</strong><br />
Spitze im Wettbewerb mit Cottbus und Forst.<br />
E<strong>in</strong> Schaubild zeigt klar wie umfangreich und bedeutungsvoll die <strong>Guben</strong>er Hut-, Tuch- und<br />
sonstige Industrie ist.<br />
... Man sieht den Arbeitsprozeß <strong>der</strong> Fabriken <strong>in</strong> sauberen und hellen Räumen vor sich gehen.
Der W<strong>in</strong>zer stellt die Früchte se<strong>in</strong>es Fleißes zur Schau und Baumblüte, stille W<strong>in</strong>kel und<br />
schöne Plätzchen runden das Bild ab.<br />
Über jede Seite lockt es: „Besucht <strong>Guben</strong>!“<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 07./08. August 1937<br />
Betriebe, die sich durch Ordnung, Sicherheit und Leistungsstärke ausweisen, erhalten als Anerkennung die<br />
Auszeichnung „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“ -<br />
E<strong>in</strong>e Verfügung <strong>des</strong> Führers<br />
„Betrieben, <strong>in</strong> denen <strong>der</strong> Gedanke <strong>der</strong> nationalsozialistischen Betriebsgeme<strong>in</strong>schaft im S<strong>in</strong>ne<br />
<strong>des</strong> Gesetzes zur Ordnung <strong>der</strong> nationalen Arbeit und im Geiste <strong>der</strong> Deutschen Arbeitsfront<br />
vom Führer <strong>des</strong> Betriebes und se<strong>in</strong>er Gefolgschaft auf das vollkommenste verwirklicht<br />
ist, kann die Auszeichnung „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“ verliehen werden.<br />
Die Auszeichnung erfolgt durch mich o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e von mir beauftragte Stelle auf Vorschlag <strong>der</strong><br />
Deutschen Arbeitsfront. Die Verleihung <strong>der</strong> Auszeichnung erfolgt am Nationalfeiertag <strong>des</strong><br />
deutschen Volkes und geschieht durch Aushändigung e<strong>in</strong>er Urkunde an den Führer <strong>des</strong> Betriebes.<br />
E<strong>in</strong> Betrieb ist berechtigt, dem die Auszeichnung verliehen ist, die Flagge <strong>der</strong> Deutschen Arbeitsfront<br />
mit goldenem Rade und goldenen Fransen zu führen.<br />
73<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 01. Sept. <strong>1936</strong><br />
Auf gesellschaftliches Beisammense<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Betrieben wird ebenfalls geachtet<br />
E<strong>in</strong> Betrieb sieht Berl<strong>in</strong><br />
1000 <strong>Guben</strong>er Arbeitskameraden erleben die Reichshauptstadt<br />
- Auszug -<br />
Die größte <strong>Guben</strong>er Tuchfabrik veranstaltete am Sonnabend e<strong>in</strong>en Betriebsausflug nach<br />
Berl<strong>in</strong>. 6.30 Uhr morgens rollte <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>zug aus dem <strong>Guben</strong>er Bahnhof, <strong>der</strong><br />
1000 Arbeitskameraden und -kamerad<strong>in</strong>nen nach <strong>der</strong> Reichshauptstadt brachte...<br />
Bahnhof Charlottenburg 9.30 Uhr – alles aussteigen! Umsteigen <strong>in</strong> die Stadtbahn Richtung<br />
Ausstellungshallen am Kaiserdamm, um <strong>in</strong> zweistündiger Führung durch die Ausstellung<br />
„Gesun<strong>des</strong> Leben – Frohes Schaffen“ se<strong>in</strong> Wissen auf dem Gebiet <strong>der</strong> richtigen, dem<br />
menschlichen Körper dienenden Behandlungsweise zu vertiefen...
Während <strong>des</strong> Aben<strong>des</strong>sens nahm <strong>der</strong> Betriebsführer Rittmeister Lehmann das Wort: Er<br />
betonte, daß Führer und Gefolgschaft zusammengehören und daß er sich aufrichtig darüber<br />
freue, daß er allen diesen Tag bieten konnte, <strong>der</strong> für ihn, ebenso wie für se<strong>in</strong>e<br />
Arbeitskameraden unvergeßlich bleiben werde und den E<strong>in</strong>klang <strong>der</strong> Herzen auf die<br />
werktägliche Arbeit übertragen werde. Nach Dankesworten an KdF für die mustergültige<br />
Organisation schloß <strong>der</strong> Betriebsführer se<strong>in</strong>e Ausführungen mit e<strong>in</strong>em Sieg Heil auf<br />
Großdeutschland und se<strong>in</strong>en Führer...<br />
Und überregional hieß das für unsere Stadt<br />
74<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 07. Nov. 1938<br />
E<strong>in</strong> <strong>Guben</strong>er auf <strong>der</strong> Großen Deutschen Kunstausstellung<br />
<strong>in</strong> München<br />
Wie wir erfahren, ist auf <strong>der</strong> Großen Deutschen Kunstausstellung <strong>in</strong> München<br />
auch e<strong>in</strong> <strong>Guben</strong>er vertreten:<br />
Studienrat Georg Schäfer mit e<strong>in</strong>em<br />
Aquarell „Vorfrühl<strong>in</strong>g“, das e<strong>in</strong> Landschaftsmotiv aus <strong>der</strong> Gegend bei Beesgen künstlerisch<br />
hochwertig gestaltet. Wir gratulieren dem Künstler und s<strong>in</strong>d stolz auf diese Anerkennung<br />
durch e<strong>in</strong>e sehr strenge Jury.<br />
Vielleicht lockt sie den Maler aus se<strong>in</strong>er bisherigen Zurückhaltung gegenüber <strong>der</strong><br />
Öffentlichkeit, und er veranstaltet mal e<strong>in</strong>e Ausstellung se<strong>in</strong>er Werke <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>. Wer <strong>in</strong><br />
München für würdig befunden wurde, darf se<strong>in</strong> Licht nicht unter den Scheffel stellen.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 29. Okt. <strong>1940</strong>
Nationalsozialistische Wirtschafts- und Kulturpolitik <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
Der Sport <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
75
Sport <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
In <strong>der</strong> Stadt an <strong>der</strong> Neiße wurde schon immer gern und erfolgreich Sport betrieben. Zu den<br />
älteren Sportarten, wie Turnen, Boxen, Schießen o<strong>der</strong> Kegeln kamen Fußball (1910) und<br />
Feldhandball (1923) h<strong>in</strong>zu.<br />
Der Fußball wurde, wie an<strong>der</strong>enorts auch, die beliebteste Sportart und zog immer wie<strong>der</strong> viele<br />
Zuschauer an.<br />
In <strong>Guben</strong> gab es die „Bürgerlichen“ Vere<strong>in</strong>e, wie Spielvere<strong>in</strong>igungen, 1. FC Turnermannschaft<br />
und ab 1934 kam <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong> für Leibesübungen (VfL) h<strong>in</strong>zu. Die<br />
Arbeitersportvere<strong>in</strong>e organisierten sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Freien Turnerschaft“ und hießen: M<strong>in</strong>erva,<br />
Komet, Olympia und Persia, wobei M<strong>in</strong>erva mit zu den stärksten Mannschaften <strong>des</strong><br />
Arbeitersports <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lausitz gehörte.<br />
<strong>Guben</strong> war reich an Spielstätten: Kiekebusch, Spicherer Platz, Sportplatz am Damm, Sportplatz<br />
an <strong>der</strong> Ratzdorfer Straße, Sportplatz an <strong>der</strong> Neißestraße und schließlich das 1935<br />
e<strong>in</strong>geweihte Stadion, allesamt im Osten <strong>der</strong> Stadt gelegen. Im westlichen Teil gab es nur die<br />
Sportplätze an <strong>der</strong> Kaltenborner Straße und <strong>der</strong> 1934 e<strong>in</strong>geweihte Platz an <strong>der</strong> Gasstraße, <strong>der</strong><br />
Reipo-Platz (Reichsbahn-Post).<br />
Die <strong>Guben</strong>er Mannschaften spielten nur auf Kreisebene, nach dem Aufstieg spielten die<br />
Besten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bezirksklasse Brandenburg–Ost o<strong>der</strong> Frankfurt–Lausitz.<br />
Auf dem Ausbildungsflugplatz <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> gründete sich später <strong>der</strong> Luftwaffen–Sportvere<strong>in</strong><br />
„Hansa“, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> zu den stärksten <strong>Guben</strong>er Teams gehörte. Er wurde zum Beispiel<br />
<strong>1940</strong>/41 Staffelsieger.<br />
Da die Arbeitersportvere<strong>in</strong>e nach 1933 verboten wurden, hatten ihre Sportler die Möglichkeit,<br />
<strong>in</strong> an<strong>der</strong>en <strong>Guben</strong>er Vere<strong>in</strong>en (wie dem VfL) zu spielen.<br />
Handball wurde nur <strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>en Männerturnvere<strong>in</strong>, Turnermannschaft und dem<br />
Arbeitersportvere<strong>in</strong> „Komet“ und zwar auf dem Rasen gespielt. Auch hier wurde ebenfalls<br />
vorwiegend auf Kreisebene nach Punkten gejagt. Es gab auch e<strong>in</strong>e <strong>Guben</strong>er Stadtauswahlmannschaft.<br />
Im Breiten- wie im Spitzensport waren <strong>Guben</strong>er Turner neben den Forster Sportkameraden<br />
niveaubestimmend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lausitz.<br />
Der ehemalige Turner Otto He<strong>in</strong>ke gründete <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> den 1. <strong>Guben</strong>er Schwimmvere<strong>in</strong> und<br />
Julius Großmann rief für die Radsportfans den Radsportvere<strong>in</strong> „Borussia 94“ <strong>in</strong>s Leben.<br />
Die Stadt an <strong>der</strong> Neiße hatte <strong>in</strong> dieser <strong>Zeit</strong> zwei herausragende Sportler, die weit über die<br />
Lausitz bekannt waren: das war neben se<strong>in</strong>em Vere<strong>in</strong>sgefährten Max Sell<strong>in</strong>g, Willy Dohme<br />
vom Ru<strong>der</strong>club 1905. Er errang den Deutschen Meistertitel 1932 und 1933 im Ru<strong>der</strong>–E<strong>in</strong>er<br />
und wurde auf dem <strong>Guben</strong>er Bahnhof nach se<strong>in</strong>em zweiten Sieg <strong>in</strong> Breslau enthusiastisch gefeiert.<br />
Der an<strong>der</strong>e war <strong>der</strong> NSKK–Oberscharführer Hans Walter („Henne“), e<strong>in</strong> begabter und<br />
erfolgreicher Motorrad–Geländefahrer. Als Mitglied <strong>der</strong> Deutschen Nationalmannschaft<br />
gewann er unter an<strong>der</strong>em mit se<strong>in</strong>er 250er BMW e<strong>in</strong>e Goldmedaille während <strong>der</strong> Sechs–<br />
Tage–Fahrt <strong>in</strong> England 1937.<br />
Zu den ältesten Vere<strong>in</strong>en zählt die <strong>Guben</strong>er Schützengilde. 1935 wählte sie Paul Jora zu ihrem<br />
Vorsitzenden. E<strong>in</strong>er von ihnen war <strong>der</strong> Sportskamerad Schmid, er gehörte dem „Vere<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Schützenfreunde“ an. Er erhielt als erster <strong>Guben</strong>er beim Gaupokal–Schießen 1933 die<br />
„Goldene Ehrennadel“.<br />
Tennis wurde <strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>en „Blau–Weiß“ und „Rot–Weiß“ gespielt. Weitere Sportarten <strong>in</strong><br />
<strong>Guben</strong> waren Kegeln, Schach, Wan<strong>der</strong>n und W<strong>in</strong>tersport.<br />
Mit großer Aufmerksamkeit verfolgten die Neißestädter die Olympischen Spiele <strong>1936</strong> und sie<br />
freuten sich darüber, dass es im Olympischen Dorf von Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong> „Haus <strong>Guben</strong>“ gab, <strong>in</strong> dem<br />
die USA-Mannschaft e<strong>in</strong>zog.<br />
Zum traditionellen Ereignis wurde 1937 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> das Fußballspiel T<strong>in</strong>te gegen Schm<strong>in</strong>ke,<br />
welches 4:4 endete.<br />
76
Auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> wurde die deutsche Jugend auf e<strong>in</strong>e gute Wehrtüchtigkeit vorbereitet.<br />
Im August 1937 führten die Hitlerjugend und Jungbann <strong>der</strong> Kreise <strong>Guben</strong> und Forst auf dem<br />
Reipo–Platz ihre Ausscheide für das Gebietssportfest und die „Kampfspiele“ <strong>in</strong><br />
Nürnberg durch. Dazu zählten KK–Schießen und 30 km Gepäckmarsch.<br />
77<br />
Quelle: Gernot Arlt<br />
Das sportliche Großereignis im Jahre <strong>1936</strong> wurde auch von <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Bevölkerung mit<br />
Begeisterung verfolgt.<br />
XI. Olympische Sommerspiele <strong>1936</strong><br />
Mit <strong>der</strong> Vorbereitung und Durchführung <strong>der</strong> XI. Olympischen Spiele <strong>1936</strong> <strong>in</strong> Deutschland<br />
wurden durch die faschistischen Machthaber heuchlerische Friedensbeteuerungen bekundet,<br />
die jedoch e<strong>in</strong> demagogisches Manöver mit <strong>der</strong> olympischen Idee waren. Mit <strong>der</strong> Olympiade<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> wurde die Welt von den wahren Zuständen <strong>in</strong> Deutschland und von den<br />
Zielen <strong>der</strong> faschistischen Kriegspolitik abgelenkt.<br />
Der Weltöffentlichkeit wurde von den Machthabern e<strong>in</strong><br />
„Deutschland <strong>des</strong> Friedens“<br />
vorgegaukelt, während die deutsche Rüstung auf Hochtouren lief, Soldaten, Flugzeuge und<br />
Panzer nach Spanien geschickt wurden, um die Volksfrontregierung zu stürzen sowie<br />
tausende Antifaschisten <strong>in</strong> Konzentrationslager kamen.<br />
Quelle: Namenlose Helden – gab es nicht, Teil 1, Seite 51/52<br />
<strong>Guben</strong> an <strong>der</strong> „Via triumphalis“<br />
E<strong>in</strong> <strong>Guben</strong>er Bild an e<strong>in</strong>em Fahnenmast <strong>der</strong> Olympiastraße<br />
Die Ausschmückung <strong>der</strong> Olympiastraße vom Lustgarten bis Brandenburger Tor ist mit<br />
300 Fahnen mit dem Banner <strong>des</strong> Dritten Reiches und dem Banner von 235 deutschen Fahnen<br />
vorgesehen.<br />
Die Stadt <strong>Guben</strong> wird an <strong>der</strong> „Via triumphalis“ ebenfalls mit e<strong>in</strong>em Bild vertreten se<strong>in</strong>.<br />
Das Banner <strong>der</strong> Stadt Cottbus wird an e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> 16 Meter hohen Fahnenmasten an <strong>der</strong><br />
Olympia-Straße wehen (Unter den L<strong>in</strong>den).<br />
Das Banner ist 6 Meter lang und 2 Meter breit. Das rückseitige Bild am Cottbuser<br />
Fahnenmast stellt e<strong>in</strong> Motiv <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong> dar und war gleichzeitig Werbung für<br />
<strong>Guben</strong>.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 10. Juli <strong>1936</strong><br />
Durch die Sportgroschen (Deutsche Sporthilfe) s<strong>in</strong>d alle <strong>Guben</strong>er Sportler und Sportfreunde<br />
ebenfalls an <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> Olympischen Spiele im ganz bescheidenen Maße<br />
beteiligt.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 11/12. Juli <strong>1936</strong>
Olympia-Brieftauben <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
An <strong>der</strong> Eröffnungsfeier <strong>der</strong> Olympiade beteiligten sich auch die Brieftaubenzüchter mit ihren<br />
Tauben. Die Nachricht <strong>der</strong> Eröffnung überbrachte die erste Taube 17.27 Uhr dem Züchter<br />
Stephan.<br />
Unser Bahnhof im Schmuck<br />
78<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 04. August <strong>1936</strong><br />
Man hat sich große Mühe gegeben, unser Bahnhof ist <strong>in</strong> diesen Tagen e<strong>in</strong> rechtes Schmuckkästchen<br />
geworden. Die Bahnsteige s<strong>in</strong>d geschmückt mit Fähnchen <strong>in</strong> den Farben aller<br />
Nationen, die an <strong>der</strong> Olympiade teilnehmen. Frisches Grün aus dem Eichenwald hilft das Bild<br />
zu verschönen.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 04. August <strong>1936</strong><br />
Der Olympia-Verkehr <strong>Guben</strong> – Berl<strong>in</strong><br />
ist recht munter. Nicht nur, daß täglich viele mit <strong>der</strong> Bahn und im eigenen Kraftwagen nach<br />
Berl<strong>in</strong> fahren; auch die Omnibusse, die heute und morgen verkehren, s<strong>in</strong>d ausverkauft. Am<br />
10. August fährt dann noch <strong>der</strong> KdF-Son<strong>der</strong>zug.<br />
Wie groß das Interesse war, beweist folgende Aufstellung<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 04. August <strong>1936</strong><br />
Je<strong>der</strong> Zehnte <strong>Guben</strong>er war <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> bei den Olympischen<br />
Spielen<br />
mit „Kraft durch Freude“ 1350 Personen<br />
Omnibusse 1000 Personen<br />
Bahn 800 Personen<br />
Verkehrsvere<strong>in</strong> 350 Personen<br />
Privatfahrzeuge 256 Personen
ca. 4000 Personen waren <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>.<br />
Dabei entstand bei <strong>der</strong> Bevölkerung <strong>der</strong><br />
79<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 15./16. August <strong>1936</strong><br />
S<strong>in</strong>n <strong>der</strong> nationalsozialistischen Leibeserziehung<br />
Zu den Sport- und Wehrkämpfen <strong>der</strong> SA im <strong>Guben</strong>er Stadion<br />
von SA-Truppenführer Willi Re<strong>in</strong>fahrt, <strong>Guben</strong><br />
-Auszug-<br />
...Denn die Leibeserziehung ist <strong>in</strong> unserem nationalsozialistischen Staate nicht nur<br />
Angelegenheit e<strong>in</strong>zelner, son<strong>der</strong>n Aufgabe <strong>der</strong> gesamten Nation.<br />
...Wir wissen ferner, daß bei den letzten Entscheidungen, vor die <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne Mensch im<br />
immerwährenden Lebenskampf und e<strong>in</strong> ganzes Volk <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Selbstbehauptung und<br />
Selbsterhaltung gestählt wird, um das starke Herz, <strong>der</strong> stählerne Arm und e<strong>in</strong> unbeugsamer<br />
Wille sieghaft bleiben werden, die ihre Verkörperung f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>fachen seelischen<br />
Grundwerten <strong>des</strong> Lebens:<br />
Glaube und Treue, Wille und Tatkraft,<br />
Entschlossenheit und Tapferkeit,<br />
Verantwortungsfreudigkeit und Beharrlichkeit,<br />
Diszipl<strong>in</strong> und Kameradschaft!<br />
Der Erwerb <strong>des</strong> SA-Sportabzeichens ist daher Ehrendienst am Volke, dem sich ke<strong>in</strong><br />
Deutscher entziehen kann. Diese Gedanken <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung <strong>Guben</strong>s zu vertiefen und alle<br />
Kreise zur Mitarbeit an diesen ehrenvollen Zielen anzuregen, soll auch e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Aufgaben<br />
unserer <strong>Guben</strong>er SA-Sport- und Wehrkämpfe se<strong>in</strong>.<br />
Neben den Sportklubs gab es <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> unter an<strong>der</strong>em auch die<br />
Sportgeme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> Schaffenden<br />
Der Staffellauf<br />
-Auszug-<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 09. Mai 1937<br />
Was für die Reichshauptstadt <strong>der</strong> Staffellauf Berl<strong>in</strong> – Potsdam, das ist für <strong>Guben</strong> <strong>der</strong><br />
Staffellauf für Betriebe.
Es waren nicht nur die 192 Läufer unterwegs, son<strong>der</strong>n halb <strong>Guben</strong> war auf den Be<strong>in</strong>en. Nach<br />
dem ersten Wechsel blieb das Feld ziemlich dicht zusammen, aber dann schälte sich langsam<br />
das lila-Trikot heraus. Im L<strong>in</strong>dengraben g<strong>in</strong>gen die Männer von Lehmann & Richter <strong>in</strong><br />
Führung und gaben sie nicht mehr bis zum Ziel ab. Die Sieger von 1935 und <strong>1936</strong> s<strong>in</strong>d auch<br />
die Sieger von 1937 geworden.<br />
Auch die Mannschaften von H. Schemel und Celewes hielten sich ausgezeichnet und holten<br />
e<strong>in</strong>e tadellose <strong>Zeit</strong> heraus.<br />
Inzwischen g<strong>in</strong>g die zweite Gruppe <strong>der</strong> Läufer an den Start. Hier waren die „Zwölf“ von<br />
C. G. Wilke Favorit.<br />
Die Erwartungen wurden auch von den „Weiß-Braunen“ erfüllt, aber die <strong>Zeit</strong> war doch<br />
schlechter als die <strong>der</strong> ersten drei Mannschaften von <strong>der</strong> ersten Gruppe. Lange <strong>Zeit</strong> führten<br />
sogar die Läufer von <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Rahmen- und Leistenfabrik.<br />
Die Hauskapelle <strong>der</strong> Firma <strong>Guben</strong>er Hutfabrik vorm. Ste<strong>in</strong>ke & Co., die <strong>in</strong> Brandenburg auf<br />
dem Gautag <strong>der</strong> NSG „Kraft durch Freude“ spielte und jetzt e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>ladung zur<br />
Rundfunkausstellung erhalten hat, sorgte für die musikalische Unterhaltung.<br />
Sportergebnisse:<br />
Lehmann & Richter 8:17,2 m<strong>in</strong>.<br />
H. Schemel 8:24,3 m<strong>in</strong>.<br />
C. Lehmann Wwe & Sohn 8:24,3 m<strong>in</strong>.<br />
C. G. Wilke 8:28,4 m<strong>in</strong>.<br />
<strong>Guben</strong>er Hutfabrik AG<br />
vorm. Ste<strong>in</strong>ke & Co. 8.28,9 m<strong>in</strong>.<br />
Stadtverwaltung 8:34,5 m<strong>in</strong>.<br />
Brecht & Fugmann 8:39,4 m<strong>in</strong>.<br />
Kreisverwaltung 8:40,8 m<strong>in</strong>.<br />
Berl<strong>in</strong>- <strong>Guben</strong>er Hutfabrik AG 8:42,8 m<strong>in</strong>.<br />
Abt. Berth. Lißner<br />
W. Wolf 8:43,4 m<strong>in</strong>.<br />
<strong>Guben</strong>er Leisten- u. Rahmenfabrik 8:43,9 m<strong>in</strong>.<br />
Berl<strong>in</strong>- <strong>Guben</strong>er Haarhutfabrik 8:48,6 m<strong>in</strong>.<br />
Berl<strong>in</strong>- <strong>Guben</strong>er Hutfabrik AG 8:49,0 m<strong>in</strong>.<br />
Abt.Stammhaus<br />
F. W. Schmidt 8:51,2 m<strong>in</strong>.<br />
F. M. Huschke 8:51,8 m<strong>in</strong>.<br />
Rudolph Karstadt AG 9:13,3 m<strong>in</strong>.<br />
80<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 01. Juli 1937<br />
In Bezug auf den Staffellauf hieß es e<strong>in</strong> Jahr später und auf den Tag genau<br />
Wie<strong>der</strong> Lehmann & Richter<br />
Die große Überraschung: Stadtverwaltung Zweiter<br />
-Auszug-<br />
Zum vierten Male gelangte am gestrigen Abend <strong>der</strong> Betriebsstaffellauf zum Austrag und zum<br />
vierten Male gewann die Mannschaft <strong>der</strong> Firma Lehmann & Richter. Dies ist bestimmt ke<strong>in</strong><br />
Zufall, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> Beweis zielbewußter eiserner Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsarbeit, an <strong>der</strong> Läufer und
Betriebsführung gleichmäßig beteiligt s<strong>in</strong>d. Der Wert dieses Laufes hat die Firma Lehmann &<br />
Richter voll erkannt. Weitaus größere Betriebe landeten im geschlagenen Felde.<br />
....<br />
81<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 01. Juli 1938<br />
Nicht nur <strong>in</strong> diesen Sportarten waren die <strong>Guben</strong>er erfolgreich, son<strong>der</strong>n auch<br />
überregional überzeugten die <strong>Guben</strong>er Sportvere<strong>in</strong>e durch gute Ergebnisse bei den<br />
Wettkämpfen.<br />
<strong>Guben</strong>er Schwimmer <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
-Auszug-<br />
Auch <strong>in</strong> diesem Jahre entsendet <strong>der</strong> 1. <strong>Guben</strong>er Schwimmvere<strong>in</strong> wie<strong>der</strong>um se<strong>in</strong>e Schwimmer<br />
zu Wettkämpfen, um unsere Heimatstadt im Schwimmsport <strong>in</strong>nerhalb <strong>des</strong> Gaues zu vertreten.<br />
Der Schwimmclub „Ostend“ 1910 Berl<strong>in</strong>–Oberschöneweide führt das Gauoffene<br />
Schwimmfest am kommenden Sonntag durch.<br />
Für die Herrenbruststaffel 3 x 100 Meter entsendet <strong>der</strong> 1. <strong>Guben</strong>er Schwimmvere<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Mannschaft mit folgen<strong>der</strong> Besetzung: W. Fuhrmann, G. Schütze, E. Schütze, und im<br />
E<strong>in</strong>zelrennen über 100 Meter Brust vertreten die gleichen Schwimmer die Farben <strong>des</strong> Vere<strong>in</strong>s.<br />
Gute Leistungen unserer Schwimmer<br />
-Auszug-<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 23. Juli 1937<br />
… Um so höher können die <strong>Guben</strong>er Schwimmer ihre Erfolge bewerten. Sieger wurden die<br />
Wasserfreunde Spandau <strong>in</strong> 4:22,6 M<strong>in</strong>uten,<br />
Zweiter BSV.78 <strong>in</strong> 4:23,0 M<strong>in</strong>uten, und dann als Dritter unser <strong>Guben</strong>er Schwimmvere<strong>in</strong><br />
Mit <strong>der</strong> Mannschaft : W. Fuhrmann, E. Schütze, G. Schütze <strong>in</strong> 4:26,8 M<strong>in</strong>uten...<br />
E<strong>in</strong> schöner Erfolg für den 1. GSV.<br />
Im E<strong>in</strong>zelrennen über 100 Meter Brust stellten sich die <strong>Guben</strong>er nochmals zum Kampf.<br />
… die beiden <strong>Guben</strong>er E. Schütze und G. Schütze vertraten hier die Prov<strong>in</strong>z, hatten also e<strong>in</strong><br />
starkes Berl<strong>in</strong>er Aufgebot gegen sich und erschwammen sich den 3. und 4. Platz.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 27. Juli 1937<br />
Auch auf <strong>in</strong>ternationaler Ebene erreichten <strong>Guben</strong>er Sportler gute Ergebnisse. Auf e<strong>in</strong>er Karte<br />
war zu lesen...<br />
Hermann Schild grüßt die <strong>Guben</strong>er<br />
-Auszug-
Stets schrieb er uns freundliche Grüße und verriet, daß er wohlauf sei. Die Stuttgarter Karte<br />
nach <strong>der</strong> schweren 9. Etappe „Stuttgart – Frankfurt“ trug folgende kurze Worte: „Es ist so<br />
schwer! Haltet die Daumen und schreibt mir doch mal! Ich besuche Euch nach <strong>der</strong> Tour de<br />
France. Alles Gute. Viele Grüße euch allen Euer Hermann.“<br />
Nun wollen wir alle weiterh<strong>in</strong> beide Daumen drücken, damit wir „unseren Jungen“ am<br />
kommenden Sonnabend als Sieger im gelben Trikot im Poststadion <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> empfangen<br />
können.<br />
E<strong>in</strong>en Tag später war <strong>in</strong> <strong>der</strong> „<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung“ zu lesen.<br />
Schild, <strong>der</strong> Tschansdorfer Kupferschmied<br />
82<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 22. Juni 1938<br />
E<strong>in</strong> dornenvoller Weg von <strong>Guben</strong> zur Deutschlandrundfahrt – von Karl Tschichholz, <strong>Guben</strong><br />
-Auszug-<br />
...<br />
Wenn er nun <strong>in</strong> die „Tour de France 1938“ dieses Riesenrennen <strong>der</strong> Welt zum zweiten Male<br />
e<strong>in</strong>steigt, so begleiten ihn und die deutsche Mannschaft me<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nigsten Wünsche. Möge ihm<br />
nicht wie<strong>der</strong> solch böses Mißgeschick wi<strong>der</strong>fahren wie im Vorjahre. Daß er dort se<strong>in</strong>en<br />
Mann stehen wird, davon b<strong>in</strong> ich überzeugt. Möge er <strong>in</strong> guter Zusammenarbeit<br />
mit se<strong>in</strong>en deutschen Kameraden, unserem Vaterlande zu Ehre und Ansehen verhelfen.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 23. Juni 1938
Das Judentum<br />
Judenverfolgung<br />
Blick zur Kapelle <strong>der</strong> evangelischen<br />
Kirchengeme<strong>in</strong>de, dem Leichenhaus <strong>des</strong> jüdischen<br />
Friedhofs.<br />
(Foto: H.J. Bergmann, <strong>Guben</strong> 1999)<br />
83
Historisches<br />
Seit frühester <strong>Zeit</strong> hat es <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> jüdische E<strong>in</strong>wohner gegeben. In e<strong>in</strong>er am<br />
13. Oktober 1319 von Herzog Rudolf I. von Sachsen ausgestellter Urkunde wurde die<br />
rechtliche Gleichstellung <strong>der</strong> Juden mit den an<strong>der</strong>en Bewohnern bestätigt.<br />
Die stetige Entwicklung <strong>Guben</strong>s ließ auch <strong>in</strong> den folgenden Jahrhun<strong>der</strong>ten Bürger jüdischen<br />
Glaubens <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neißestadt seßhaft werden.<br />
Im Kreis <strong>Guben</strong> erhöhte sich die Anzahl <strong>der</strong> Juden von 19 (1818) auf 172 (1859) und 202<br />
(1933) - hier schwanken die Angaben zwischen 202 und 273 Geme<strong>in</strong>demitglie<strong>der</strong>.<br />
Die Volkszählung vom 17. Mai 1938 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> erfaßt noch 98 Juden (Erwachsene), im<br />
E<strong>in</strong>wohnerbuch von 1939 werden 60 Juden extra ausgewiesen.<br />
Zur Geschichte <strong>der</strong> Jüdischen Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
84<br />
Quelle: Gernod Arlt<br />
Anfang <strong>der</strong> 30er Jahre dieses Jahrhun<strong>der</strong>ts zählte die Jüdische Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
217 Mitglie<strong>der</strong>. Das s<strong>in</strong>d 0,48 % <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wohnerzahl <strong>der</strong> Stadt. In dieser <strong>Zeit</strong> war Julius Cohn<br />
erster Vorsitzen<strong>der</strong>, zweiter Vorsitzen<strong>der</strong> war Willi Hirsch und dritter Vorsitzen<strong>der</strong> war<br />
Mart<strong>in</strong> Leyser. Alle drei waren von Beruf Kaufmann.<br />
Siegfried W<strong>in</strong>terberg war Prediger und Lehrer an <strong>der</strong> Religionsschule.<br />
Die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Synagogengeme<strong>in</strong>de gehörten verschiedenen jüdischen Vere<strong>in</strong>en an. Zu<br />
denen wäre da <strong>der</strong> „Centralvere<strong>in</strong> deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ (Durchsetzung<br />
<strong>der</strong> bürgerlichen Gleichberechtigung <strong>der</strong> jüdischen Bürger, Abwehr antisemitischer Angriffe).<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> war <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>er Dr. Paul Cohn.<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>des</strong> Jüdischen Jugendverban<strong>des</strong> war Klaus Gall<strong>in</strong>ski. Des Weiteren gab es den<br />
Jüdischen Frauenvere<strong>in</strong>, <strong>der</strong> ca. 40 Mitglie<strong>der</strong> zählte und von <strong>der</strong> Witwe Hulda Kayser,<br />
geb. Bernste<strong>in</strong>, geleitet wurde.<br />
Jüdischen Durchwan<strong>der</strong>ern Unterkunft und materielle Hilfe zu gewähren, war die Aufgabe<br />
<strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>fürsorge.<br />
In <strong>Guben</strong> gehörte die Mehrzahl <strong>der</strong> jüdischen Bevölkerung dem Kle<strong>in</strong>bürgertum an.<br />
Vorwiegend waren es Haushaltvorstände, Inhaber kle<strong>in</strong>er Geschäfte <strong>in</strong> den verschiedenen<br />
Branchen. Es sei aber gesagt, dass e<strong>in</strong>e verhältnismäßig hohe Anzahl <strong>der</strong> Intelligenz<br />
angehörte.<br />
Genannt seien hier nur die geachteten Mediz<strong>in</strong>er Dr. Paul Cohn, Dr. Ernst Kaplan, Dr. Kurt<br />
Berent und Dr. Siegfried Goldschmidt, die Zahnärzte Dr. Alfred Lichtwitz und Dr. Paul<br />
Lip<strong>in</strong>ski o<strong>der</strong> die Juristen Dr. Friedrich Weiß (Landgerichtsdirektor) und Fritz Salomon<br />
(Rechtsanwalt und Notar).<br />
Dr. jur. Alexan<strong>der</strong> Lew<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Vertreter <strong>der</strong> Bourgeoisie, war seit 1914 Vorstandsmitglied und<br />
seit 1920 Generaldirektor <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik (BGH). Die Synagoge war das<br />
religiöse Zentrum <strong>der</strong> Jüdischen Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt.
Auch <strong>Guben</strong> blieb unter <strong>der</strong> Naziherrschaft nicht unangetastet. Am 1. April 1933 bezogen<br />
SA-Männer Posten vor den jüdischen Geschäften <strong>der</strong> Stadt. Sie sollten e<strong>in</strong>en Aufruf <strong>der</strong> Nazi-<br />
Führung durchsetzen.<br />
Jüdische Organisationen <strong>der</strong> Stadt mussten e<strong>in</strong>e Mitglie<strong>der</strong>liste bei <strong>der</strong> Polizei e<strong>in</strong>reichen. So<br />
hatten sich die Nazis weitere Voraussetzungen für die Verfolgung <strong>der</strong> jüdischen Bevölkerung<br />
geschaffen.<br />
1938 wurde e<strong>in</strong>e Vielzahl von Verordnungen erlassen, die die Rechte <strong>der</strong> jüdischen Bürger<br />
weiter e<strong>in</strong>schränkte. In <strong>der</strong> Pogromnacht im November 1938 wurden ihre Geschäfte<br />
geplün<strong>der</strong>t und zerstört, die Synagoge <strong>in</strong> Brand gesteckt. Es gab Massenverhaftungen, viele<br />
Verletzte und Tote.<br />
Die <strong>Guben</strong>er Judengasse<br />
85<br />
Quelle: Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten Schnei<strong>der</strong>;<br />
wissenschaftlich-praktische<br />
Arbeit/ Projektarbeit EOS<br />
„Pestalozzi“<br />
<strong>Guben</strong> 1989/90<br />
Es gibt ke<strong>in</strong>e klare Aussage, wo sich die Judengasse befand. Vermutlich war es die zwischen<br />
Königsstraße 18 und 19 zur Tempelstraße und Wer<strong>der</strong>mauer führende Hussitengasse, wobei<br />
nach dem Namen eher anzunehmen wäre, dass es die Tempelstraße war. Erich Müller<br />
h<strong>in</strong>gegen sagt: „Me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung nach konnte ich vor 1939 anhand <strong>der</strong> Stadtbücher<br />
nachweisen, dass die Judengasse die Gasse war, die die Stadtschmiedstraße mit dem<br />
L<strong>in</strong>dengraben verband und 1938 Wallgasse hieß“<br />
Der Name „Judengasse“ ist schon im 15. Jahrhun<strong>der</strong>t e<strong>in</strong> historischer geworden. Das ist<br />
daraus ersichtlich, dass dort ke<strong>in</strong>eswegs nur Juden wohnten, also ke<strong>in</strong>e Art von Ghetto war.<br />
1483 nämlich wird das Haus <strong>der</strong> Konventfrauen, gelegen neben Joh. Gub<strong>in</strong>chers und unweit<br />
Hans Colos’ Hause, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Judengasse erwähnt.<br />
Der Jüdische Friedhof und die Synagoge<br />
Quelle: Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten Schnei<strong>der</strong>,<br />
wissenschaftlich-praktische<br />
Arbeit/Projektarbeit EOS<br />
„Pestalozzi“, <strong>Guben</strong> 1989/90<br />
In <strong>der</strong> jüdischen Religion werden Friedhöfe als „Der Gute Ort“ bezeichnet. Der <strong>Guben</strong>er<br />
Friedhof bef<strong>in</strong>det sich auf dem Reichenbacher Berg und lag bei <strong>der</strong> Gründung außerhalb <strong>des</strong><br />
historischen Stadtkerns.<br />
1449 „Judenfriedhof bei Benisch Bierkows Garten, daneben e<strong>in</strong> wüster Fleck, <strong>der</strong> 1449 an<br />
Casp. Walwitz gegeben wurde, wohl auf e<strong>in</strong>er Höhe.“ (2)<br />
1842 sichert die jüdische Geme<strong>in</strong>de demjenigen e<strong>in</strong>e Belohnung von 5 Talern zu, <strong>der</strong> die<br />
Täter, die schon mehrmals den Gottesacker auf dem Reichenbacher Berge gewaltsam<br />
erbrochen haben, so angibt, dass sie gerichtlich belangt werden können. (Wochenblatt)
1837 wurde die Synagoge erbaut. Sie befand sich auf dem heute polnischen Teil <strong>der</strong> Stadt.<br />
1839 wurde <strong>der</strong> Friedhof (sog. Judenhebbel) angelegt. Er umfasst e<strong>in</strong>e Fläche von 0,4 ha, und<br />
seit 1911 bef<strong>in</strong>det sich dort e<strong>in</strong>e Leichenkapelle mit Friedhofswärterwohnung. Auf dem<br />
Friedhof s<strong>in</strong>d über 100 Grabstätten erhalten, darunter ist e<strong>in</strong> Denkmal für 6 Gefallene <strong>des</strong><br />
1. Weltkriegs.<br />
Die rechte Seite vom Haupte<strong>in</strong>gang umfasst Gräber aus <strong>der</strong> 2. Hälfte <strong>des</strong> 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />
Auf <strong>der</strong> l<strong>in</strong>ken Seite fanden Beerdigungen nach 1900 statt. Die Grabste<strong>in</strong>e erzählen die<br />
Geschichte von <strong>Guben</strong>er Kaufleuten, Juristen und Ärzten. Durch verblassende Namen und<br />
Schriftzeichen ist lei<strong>der</strong> Vieles <strong>in</strong> Vergessenheit geraten.<br />
1878: „Als im August 1878 die jüdischen Geme<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>e neue Synagoge baute, wurden die<br />
Turnstunden (<strong>des</strong> Männer-Turn-Vere<strong>in</strong>s) auf e<strong>in</strong>ige <strong>Zeit</strong> <strong>in</strong> das <strong>der</strong>zeitige Vere<strong>in</strong>slokal<br />
Zeschke (Reichshalle) verlegt, während <strong>in</strong> <strong>der</strong> Turnhalle die jüdischen Gottesdienste<br />
abgehalten wurden. Der Vere<strong>in</strong> erhielt dafür e<strong>in</strong>e Entschädigung von 31,50 M.“ (2)<br />
In <strong>der</strong> „Kristallnacht“ wurde die <strong>Guben</strong>er Synagoge, wie so viele an<strong>der</strong>e, <strong>in</strong> Brand gesteckt<br />
und zerstört und <strong>der</strong> Friedhof geschändet.<br />
„Der jungen verpflichteten Soldaten <strong>der</strong> neuen <strong>Guben</strong>er Militärgarnison zogen am Morgen<br />
<strong>des</strong> 10. November 1938 durch die Straßen ihrer neuen Garnisonsstadt, vorbei an den<br />
ausgeplün<strong>der</strong>ten und zerstörten jüdischen Geschäften, die von den SA-Terrortrupps (wie <strong>in</strong><br />
ganz Deutschland) <strong>in</strong> <strong>der</strong> vorausgegangenen Nacht heimgesucht worden waren. Das jüdische<br />
Gottes- und Schulhaus, die <strong>Guben</strong>er Synagoge, brannte, angesteckt von den faschistischen<br />
Horden, zwei Tage und zwei Nächte, und die ausgezogenen SA-Wachen verweigerten <strong>der</strong><br />
Feuerwehr 48 Stunden lang die Löscharbeiten.“ (5)<br />
In <strong>Guben</strong> existiert ke<strong>in</strong>e jüdische Geme<strong>in</strong>de mehr. Anfang <strong>der</strong> 40er Jahre wurde <strong>der</strong> Friedhof<br />
vom Ehepaar Strauß gepflegt. Nachdem diese die Wohnung verlassen hatten, war <strong>der</strong><br />
Friedhof lange ohne Aufsicht.<br />
Anfang <strong>der</strong> 50er Jahre übergab <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>verband <strong>der</strong> jüdischen Geme<strong>in</strong>den das Grundstück<br />
mit Verwalterwohnung an die evangelische Kirchengeme<strong>in</strong>de <strong>Guben</strong> zu dauern<strong>der</strong> Nutzung.<br />
Am 17.06.1951 fand <strong>der</strong> erste evangelische Gottesdienst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begräbniskapelle statt,<br />
nachdem sie <strong>in</strong>stand gesetzt und zum Gottesdienstraum ausgestaltet wurde.<br />
1930 ist im <strong>Guben</strong>er E<strong>in</strong>wohnerbuch die Synagoge, am Kastaniengraben 16 bef<strong>in</strong>dlich,<br />
e<strong>in</strong>getragen. Prediger war W<strong>in</strong>terberg, wohnhaft Pf<strong>in</strong>gstberg 26. Der Synagogendiener war<br />
Abraham Tock, <strong>der</strong> auch Kastaniengraben 16 (Synagoge) wohnte.<br />
<strong>1936</strong> ist Dr. Voss Prediger und wohnt, als Lehrer bezeichnet, Königstraße 68 (Besitzer<br />
J. Cohn).<br />
Geachtete Bürger<br />
86<br />
Quelle: siehe. „Geachtete Bürger“<br />
Die Entwicklung <strong>Guben</strong>s mit ihrer bedeutenden Tuch- und Hut<strong>in</strong>dustrie verdankte sie auch<br />
dem jüdischen Unternehmergeist – davon sieben Fabrikanten.<br />
Aber auch an<strong>der</strong>e Berufsgruppen ließen sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neißestadt nie<strong>der</strong>. Vertreter <strong>der</strong><br />
Fabrikanten waren Hermann Lew<strong>in</strong> (gest. 1920) als Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>–<strong>Guben</strong>er<br />
Hutfabrik (Uferstraße) und als Generaldirektor <strong>des</strong>sen Neffe Dr. jur. Alexan<strong>der</strong> Lew<strong>in</strong>, Mart<strong>in</strong><br />
Rosenthal als Unternehmer <strong>der</strong> Hutfabrik Ste<strong>in</strong>ke (Bahnhofsstraße), Berthold Lißner, Direktor<br />
<strong>der</strong> Hutfabrik an <strong>der</strong> Egelneiße, später Vorstandsmitglied <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>–<strong>Guben</strong>er Hutfabrik, <strong>in</strong>
das se<strong>in</strong> Unternehmen aufg<strong>in</strong>g, Emil Brecht, Mit<strong>in</strong>haber <strong>der</strong> Hutfabrik „Brecht und Fugmann“<br />
(Kurmärkische Straße 18), Arthur Engel, Teilhaber <strong>der</strong> Tuchfabrik „Lehmann und Richter“<br />
(Alte Poststraße), William Reißner, Direktor <strong>der</strong> Tuchfabrik „Reißner, Wohl & Co GmbH“<br />
(Alte Poststraße).<br />
Weiterh<strong>in</strong> bekannte Fabrikanten waren Mart<strong>in</strong> Stern, Direktor <strong>der</strong> „Nie<strong>der</strong>lausitzer<br />
Mühlenwerke Stern & Co Aktiengesellschaft“ (Mittelstraße), Ludwig Meyer, Direktor <strong>der</strong><br />
Le<strong>der</strong>fabrik (Grunewald).<br />
Julius Cohn war Inhaber <strong>des</strong> führenden Textilkaufhauses „Wolff Krimmer Nachf.“<br />
(Herrenstraße 1), Hugo Kronheim führte e<strong>in</strong> Hutgeschäft (Herrenstraße 7), Söhne <strong>des</strong><br />
Hermann Meier besaßen e<strong>in</strong> Konfektionsgeschäft (Herrenstraße 37).<br />
Weiterh<strong>in</strong> gab es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neißestadt die Kaufleute Paul Levy (Berl<strong>in</strong>er Straße 1), Wilhelm Just<br />
(Bahnhofsstraße 35 a), Ernst London (Königstraße 64), Max Werblowsky (Straupitzstraße 2).<br />
Auch hatte <strong>Guben</strong> fünf Ärzte: Dr. Kurt Berent, Dr. Paul Cohn, Dr. Siegfried Goldschmidt,<br />
Dr. Ernst Kaplan und Dr. Josef Smoira sowie die beiden Zahnärzte Dr. Alfred Lichtwitz und<br />
Dr. Paul Sig<strong>in</strong>ski.<br />
Weitere bedeutende und bekannte Juden waren unter an<strong>der</strong>em: Justizrat Gustav Marens,<br />
Rechtsanwalt Walter Hesse sowie <strong>der</strong> Fotograf Herbert Rosenthal (Grüne Wiese 5).<br />
Über die Grenzen <strong>der</strong> Neißestadt h<strong>in</strong>aus dürfte <strong>der</strong> ehemalige Oberbürgermeister (1912-1924)<br />
<strong>Guben</strong>s, Dr. Alfred Glücksmann, bekannt gewesen se<strong>in</strong>.<br />
Quellen: „Nachbarn von e<strong>in</strong>st“, Andreas Peter –<br />
Ausstellungskatalog 1999<br />
„Wegweser durch das jüdische Brandenburg“ –<br />
Irene Dickmann und Julius Schoeps, Edition<br />
Hentrich 1995<br />
<strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1998<br />
<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung<br />
Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten Schnei<strong>der</strong>,<br />
wissenschaftlich-praktische Arbeit/Projektarbeit<br />
EOS „Pestalozzi“ <strong>Guben</strong> 1989/90<br />
Schicksale <strong>Guben</strong>er Juden <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>des</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong><br />
Dr. Alfred Glücksmann<br />
Er war seit 1912 Oberbürgermeister <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>, wurde aber 1924 nicht wie<strong>der</strong>gewählt. Wie<br />
erzählt wurde, geschah dies nicht aus rassistischen Gründen, son<strong>der</strong>n weil die<br />
Stadtverordneten den sich zu sehr als Autokraten gebärenden Demokraten nicht mehr länger<br />
ertragen wollten. Trotzdem erkannten sie se<strong>in</strong>e Leistungen an (z.B. Bau <strong>der</strong> Neißebrücke,<br />
Umgestaltung <strong>der</strong> Stadtmühle zum Stadthaus). Er verließ <strong>Guben</strong> und wurde (<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>?)<br />
Direktor e<strong>in</strong>er Bank.<br />
Se<strong>in</strong>e Frau Frieda war die Schwester <strong>des</strong> jüdischen Nobelpreisträgers Fritz Huber, <strong>der</strong> 1934<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz starb. Glücksmann emigrierte mit se<strong>in</strong>er Familie nach Israel. Nach 1945 kehrte<br />
er nach Westdeutschland zurück, schrieb und veröffentlichte Er<strong>in</strong>nerungen. 1960 (?) starb er<br />
<strong>in</strong> Heidelberg, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> damals auch <strong>Guben</strong>s ehemaliger Nazioberbürgermeister<br />
Erich Schmiedicke lebte.<br />
Glücksmann hatte 4 K<strong>in</strong><strong>der</strong>:<br />
Hilde, die am <strong>Guben</strong>er Gymnasium ihr Abitur gemacht hatte, wurde mit ihrem Mann und<br />
zwei Jungen Opfer <strong>des</strong> Faschismus.<br />
Arnold, 1946 Ingenieur <strong>in</strong> Mailand.<br />
87
Dr. Anselm, war Jurist (?) an <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Humboldt-Universität. Er war nicht nach<br />
Paläst<strong>in</strong>a ausgewan<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n nach Mittelamerika emigriert. Als <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> 1964 e<strong>in</strong><br />
Amerikaner e<strong>in</strong>en politischen Vortrag hielt, fungierte er als Dolmetscher für Spanisch.<br />
Heidi, heiratete <strong>in</strong> Israel (Jerusalem)<br />
Die letzten Angaben machte Anselm, als er 1964 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> war.<br />
Dr. Alfred Lichtwitz<br />
Er arbeitete als Zahnarzt und wohnte L<strong>in</strong>dengraben 18. Se<strong>in</strong>e Tochter ist noch rechtzeitig<br />
ausgewan<strong>der</strong>t.1964 lebte sie <strong>in</strong> Israel, wo sie von Dr. Sigrid Turm besucht wurde.<br />
Meyer<br />
Die zwei Brü<strong>der</strong> Ludwig und Emanuel wohnten ursprünglich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grunewal<strong>der</strong> Straße.<br />
Sie g<strong>in</strong>gen nach England, wo Emanuel gestorben ist. 1968 unterstützte Ludwig noch e<strong>in</strong>e Frau<br />
Walter, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie Hausangestellte gewesen war.<br />
Dr. Fritz Salomon<br />
Der Rechtsanwalt und Notar flüchtete mit se<strong>in</strong>er Familie nach England. Die e<strong>in</strong>e Tochter,<br />
Ilse, soll Opfer <strong>der</strong> Faschisten geworden se<strong>in</strong>. Die an<strong>der</strong>e Tochter hat wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong><br />
Dänemark überlebt.<br />
Walter Hesse<br />
Der Rechtsanwalt und Notar soll ebenfalls England als Zuflucht gewählt haben.<br />
Marcus<br />
Er war auch Rechtsanwalt und Notar. Viele Jahre h<strong>in</strong>durch arbeitete er als Stadtrat und se<strong>in</strong>e<br />
Arbeit war geschätzt. Er wurde gesehen, als er von den Nazis mit e<strong>in</strong>em Lastauto aus <strong>Guben</strong><br />
weggebracht wurde. Man transportierte ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong> KZ, wo er umkam.<br />
Fritz Weiß<br />
Er war Lan<strong>des</strong>gerichtsdirektor. Er starb 1932. Es steht aber nicht e<strong>in</strong>deutig fest, ob er e<strong>in</strong>es<br />
natürlichen To<strong>des</strong> starb o<strong>der</strong> sich das Leben nahm.<br />
Herbert Rosenthal<br />
Er war mehrfach prämiert worden. Das Schicksal se<strong>in</strong>es Sohnes ist unbekannt. Se<strong>in</strong>e Tochter<br />
war mit e<strong>in</strong>em Philologen verheiratet, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Stelle verlor. Nach 1945 wurde er <strong>in</strong><br />
Heidelberg Dozent mit Professorentitel. Herbert Rosenthal nahm sich das Leben.<br />
Kurt Berent<br />
Dr. med. Kurt Berent war Hautarzt und wohnte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gartenstraße 8. Wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
verübte er Selbstmord. Se<strong>in</strong>e Frau Emma, die die Tochter <strong>des</strong> Apfelwe<strong>in</strong>produzenten<br />
Poetko war, lebte 1945 <strong>in</strong> Schweden. Ihr Sohn folgte ihr dorth<strong>in</strong>.<br />
Berthold Lißner<br />
Er war erst Hutbesitzer <strong>in</strong> <strong>der</strong> W<strong>in</strong>kelstraße Nr. 3. Nach <strong>der</strong> Fusion mit <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er<br />
Hutfabrik war er Direktor. Er hatte 3 Söhne. Gestorben ist er am 24.6.1928.<br />
He<strong>in</strong>z soll als Kriegsfreiwilliger im 1. Weltkrieg gefallen se<strong>in</strong>.<br />
Walter war Kaufmann. Er war mit e<strong>in</strong>er Tochter <strong>des</strong> Seifenfabrikanten Ziesche verheiratet<br />
und emigrierte ohne sie nach Südamerika. 1954 hielt er sich <strong>in</strong> o<strong>der</strong> bei Krefeld auf,<br />
wahrsche<strong>in</strong>lich als Angestellter <strong>des</strong> <strong>Guben</strong>er Hutfabrikanten Julius Pillmayer. E<strong>in</strong>ige Jahre<br />
darauf verstarb er.<br />
Helmut soll vergast worden se<strong>in</strong>. Mehr ist nicht bekannt.<br />
88
Berthold Lißner gehörte das Gebäude Alte Poststraße 32, das später von <strong>der</strong> SED-Kreisleitung<br />
genutzt wurde. Nach dem Tode <strong>des</strong> Vaters bewohnten es die Söhne.<br />
Ulrich Eichholz<br />
Er, <strong>der</strong> als Kreissyndikus (Beamter) gearbeitet hatte, musste aus dem Dienste scheiden, weil<br />
er e<strong>in</strong>e jüdische englische Mutter hatte. Er wurde <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> Versicherungsvertreter, war nach<br />
1945 Landrat <strong>in</strong> Cottbus und wurde schließlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e höhere Stelle bei <strong>der</strong> Regierung<br />
berufen. Später verließ er die DDR und stieg <strong>in</strong> <strong>der</strong> BRD zum M<strong>in</strong>isterialdirigenten auf. Er<br />
erhielt hohe Orden und lebte 1968 außer Dienst <strong>in</strong> Freiburg.<br />
Kurt Pekel<br />
Er war Justizsekretär. Weil er mit <strong>der</strong> Jüd<strong>in</strong> Martha Michaelis verheiratet war, wurde er <strong>in</strong> den<br />
Ruhestand versetzt.<br />
Se<strong>in</strong> Sohn Walter wurde aus dem Heer als „wehrdienstunwürdig“ entlassen. Er nahm 1945<br />
se<strong>in</strong>e Tätigkeit als Kaufmann bei <strong>der</strong> Konsumgenossenschaft wie<strong>der</strong> auf und lebte 1968 als<br />
Rentner <strong>in</strong> Cottbus.<br />
Se<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> bis 1939 Leihbibliothekar war, durfte bei <strong>der</strong> kämpfenden Truppe bleiben<br />
und lebte 1968 als Buchhändler und Antiquar <strong>in</strong> Köln.<br />
Helmut Fleischel<br />
Er war Sohn <strong>des</strong> (erbl<strong>in</strong>deten) Rittmeisters a.D. und Gutsbesitzers von Schönaich. 1933 trat er<br />
<strong>der</strong> SS bei. Er wurde aber ausgeschlossen und für „wehrdienstunwürdig“ erklärt, weil er e<strong>in</strong>e<br />
jüdische Großmutter hatte. Nach 1945 wurde er <strong>in</strong> Hamburg zu e<strong>in</strong>er Zuchthausstrafe<br />
verurteilt, weil bei ihm e<strong>in</strong> Revolver gefunden wurde. Er bekam e<strong>in</strong>e Anstellung beim<br />
Thomas-Phosphat-Verband, bei dem er noch 1968 tätig war. Er heiratete, wurde Vater von<br />
2 Söhnen. 1968 erhielt er e<strong>in</strong>e Wohnung <strong>in</strong> Baumberg, Bezirk Düsseldorf.<br />
Elisabeth Faeber<br />
1968 wohnte sie <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rosa-Luxemburg-Straße. Nach 1945 war sie Sekretär<strong>in</strong> beim<br />
Oberbürgermeister Schwarz. Sie soll mit e<strong>in</strong>em Juden verheiratet gewesen se<strong>in</strong>. Se<strong>in</strong><br />
Schicksal ist unbekannt. Ihr Sohn starb bei e<strong>in</strong>em Unfall.<br />
Dr. Kohn-Cote<br />
Er emigrierte nach Südafrika. Se<strong>in</strong>e Frau, Tochter und se<strong>in</strong> Schwiegersohn He<strong>in</strong>z Engel<br />
begleiteten ihn.<br />
Aus dem Leben <strong>der</strong> Familie Dr. Glücksmann<br />
89<br />
Quelle: Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten Schnei<strong>der</strong>,<br />
wissenschaftliche Arbeit/<br />
Projektarbeit EOS „Pestalozzi“<br />
<strong>Guben</strong> 1989/90<br />
Dr. Alfred Glücksmann wurde 1875 <strong>in</strong> Oberschlesien geboren. Er war <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige jüdische<br />
Bürgermeister <strong>Guben</strong>s. 1960 starb er nach e<strong>in</strong>em zweiten Schlaganfall.
1912 wurde er zum <strong>Guben</strong>er Bürgermeister gewählt und übte das Amt 12 Jahre lang<br />
erfolgreich aus. 1914 wurde er zum Oberbürgermeister ernannt.<br />
Tragisch verliefen die Jahre 1933 – 1945 für die Familie Glücksmann:<br />
Hilde, die zweite Tochter Glücksmanns, heiratete noch vor Abschluß ihres Studiums.<br />
Zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei kle<strong>in</strong>en Jungen wurde sie von den Nationalsozialisten<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Konzentrationslager e<strong>in</strong>geliefert – alle kamen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gaskammer um.<br />
Die beiden Glücksmann-Söhne überlebten, wie auch die Eltern, trotz vieler Schikanen die<br />
NS-<strong>Zeit</strong> und den II. Weltkrieg.<br />
Während <strong>der</strong> Älteste schließlich als Ingenieur <strong>in</strong> Oberitalien seßhaft wurde, blieb <strong>der</strong> Jüngere<br />
<strong>in</strong> Deutschland. Dr. Glücksmann selbst wurde 1938 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Konzentrationslager <strong>in</strong>haftiert,<br />
durch die Hilfe von Wilhelm Külz aber freigelassen. Noch im selben Jahr ließ man ihn nach<br />
Paläst<strong>in</strong>a ausreisen.<br />
Die Sehnsucht nach se<strong>in</strong>er Heimat ließ ihn jedoch nach dem Kriege wie<strong>der</strong> nach Deutschland<br />
zurückkehren. Zunächst lebte er <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, verzog aber dann <strong>in</strong> den Odenwald.<br />
Der jüdische Arzt Dr. Ernst Kaplan<br />
-Auszug-<br />
90<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1993<br />
Gesetze und Verordnungen schränkten das Leben <strong>der</strong> Juden <strong>in</strong> Deutschland immer weiter e<strong>in</strong>.<br />
So kursierten Anfang April bereits Vorstellungen über e<strong>in</strong>e „Neuregelung <strong>der</strong> Zulassung von<br />
Kassenärzten“, wobei die „nationale Ärzteschaft nach entsprechen<strong>der</strong> Zurückdrängung <strong>des</strong><br />
E<strong>in</strong>flusses jüdischer und marxistischer Ärzte“ for<strong>der</strong>te…<br />
Ernst Kaplan studierte <strong>in</strong> Breslau Mediz<strong>in</strong> und bestand die Prüfung an <strong>der</strong> dortigen<br />
Universität im Mai 1922. Vom März 1923 bis April 1924 war er als Volontärarzt <strong>in</strong> Frankfurt<br />
am Ma<strong>in</strong> tätig, von wo er zur weiteren Ausbildung an die dortige Universitäts-Kl<strong>in</strong>ik g<strong>in</strong>g.<br />
Mitte <strong>der</strong> 20er Jahre kehrte er nach <strong>Guben</strong> zurück. Er heiratete Elisabeth Engel, die Tochter<br />
<strong>des</strong> Tuchfabrikanten Arthur Engel. 1931 kam ihre Tochter Doris zur Welt, die noch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
e<strong>in</strong>geschult wurde. Er durfte nach 1933 nicht weiter als Arzt arbeiten und wurde am<br />
4. Dezember 1939 <strong>in</strong> Schutzhaft genommen. Als Gründe werden auf dem Schutzhaftbefehl<br />
genannt: „Er gefährdet nach dem Ergebnis <strong>der</strong> staatspolizeilichen Feststellungen durch se<strong>in</strong><br />
Verhalten den Bestand und die Sicherheit <strong>des</strong> Volkes und Staates dadurch, dass er e<strong>in</strong><br />
Militärseitengewehr im Besitz hatte, gegen die ergangene Anordnung verstößt und dadurch,<br />
dass er geme<strong>in</strong>schaftlich mit se<strong>in</strong>em Schwiegervater größere Mengen Lebensmittel und<br />
Gebrauchsgegenstände hamsterte, die Maßnahmen <strong>der</strong> Regierung h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>er gerechten<br />
Verteilung <strong>in</strong> Kriegszeiten sabotiert.“<br />
Mitte November 1941 wurde er kurzzeitig zum „Krankenbehandler“ im Reichsautobahnlager<br />
Bätz „notdienstverpflichtet“. Nur wenige Tage später, Anfang Dezember 1941, verstarb Ernst<br />
Kaplan <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> an den Folgen von Schutzhaft und Notdienstverpflichtung. Er wurde auf<br />
dem jüdischen Friedhof am Reichenbacher Berg beigesetzt. Se<strong>in</strong>e Mutter Mathilde Kaplan<br />
verstarb ebenfalls 1941 und fand auf dem hiesigen jüdischen Friedhof ihre letzte Ruhestätte.<br />
Se<strong>in</strong>e Frau Elisabeth und ihre Tochter Doris kamen im Warschauer Getto um.<br />
Quelle: „Nachbarn von e<strong>in</strong>st“, S. 83 – Autor: Andreas Peter
Mart<strong>in</strong> Rosenthal – e<strong>in</strong> Porträt<br />
Gründete den Ste<strong>in</strong>ke-Konzern / Se<strong>in</strong> Leben endete <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gaskammer von Auschwitz<br />
Mit den nachstehenden Zeilen soll e<strong>in</strong>es Mannes gedacht werden, <strong>des</strong>sen Bau-Initiativen noch<br />
heute das <strong>Guben</strong>er Stadtbild <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bahnhofsstraße / Ecke Alte Poststraße prägen, <strong>der</strong><br />
maßgeblich für Arbeit und Brot und den Aufschwung <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Hut<strong>in</strong>dustrie arbeitete und<br />
ke<strong>in</strong>em etwas Böses tat. Unsere Autor<strong>in</strong> Charlotte Kirks schrieb das nachstehende Porträt <strong>des</strong><br />
Juden Mart<strong>in</strong> Rosenthal.<br />
Er kam etwa 1924/1925 nach <strong>Guben</strong>. Er war <strong>der</strong> Inhaber <strong>der</strong> alten Hutfabrik Ste<strong>in</strong>ke, <strong>der</strong>en<br />
Gebäude sich entlang <strong>der</strong> Alten Poststraße bis kurz vor die Bahnhofsstraße erstreckten.<br />
Die Firma Ste<strong>in</strong>ke wurde wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong> den 80er Jahren <strong>des</strong> vorigen Jahrhun<strong>der</strong>ts als<br />
Steifhutfabrik gegründet. Herren-Steifhüte, so genannte Melonen, waren damals <strong>der</strong><br />
Modetrend!<br />
Mart<strong>in</strong> Rosenthal verkaufte se<strong>in</strong> Gut <strong>in</strong> Feldkirchen bei München (er war aber ke<strong>in</strong> Bayer),<br />
hatte se<strong>in</strong>en Hauptwohnsitz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Villa Berl<strong>in</strong>-Grunewald, Herthastraße, und besaß im<br />
Neubau <strong>der</strong> „Grünen Post“ se<strong>in</strong>en 2. Wohnsitz. Er war Jude.<br />
Zerstören<strong>des</strong> Großfeuer<br />
Die Fabrikanlagen entlang <strong>der</strong> Bahnhofstraße wurden unter se<strong>in</strong>er Leitung wesentlich durch<br />
e<strong>in</strong>en Neubau erweitert und im Sommer 1928 <strong>in</strong> Betrieb genommen.<br />
Die Verb<strong>in</strong>dung zu den alten Gebäuden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alten Poststraße erfolgte durch den<br />
Eckenanbau e<strong>in</strong>ige <strong>Zeit</strong> später. E<strong>in</strong> Großfeuer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht vom 7. zum 8. Mai 1938 zerstörte<br />
die alten Gebäude <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alten Poststraße. Auf diesem Gelände wurden nach 1945 zwei<br />
Wohnhäuser errichtet. Mart<strong>in</strong> Rosenthal war e<strong>in</strong> äußerst tüchtiger Geschäftsmann. Anfang <strong>der</strong><br />
30er Jahre glie<strong>der</strong>te er die ehemalige <strong>Guben</strong>er Haar- und Velourhutfabrik (Guhabag) e<strong>in</strong>, <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Mittelstraße gelegen, (zuvor gehörte sie dem Leonhard Tietz Konzern) und mo<strong>der</strong>nisierte<br />
sie durch e<strong>in</strong>en Neubau. Zur selben <strong>Zeit</strong> kaufte er die ehemalige jüdische Fabrik V. Kronheim<br />
<strong>in</strong> Dresden, Seidnitzer Straße. So entstand <strong>der</strong> Ste<strong>in</strong>ke-Konzern <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Hut<strong>in</strong>dustrie.<br />
Starker Konkurrent<br />
Das Gesamtunternehmen entwickelte sich zu e<strong>in</strong>er starken Konkurrenz <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />
Hut<strong>in</strong>dustrie und machte beson<strong>der</strong>s hervorragende Geschäfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Damenhutproduktion.<br />
Dem jüdischen Zentrale<strong>in</strong>käufer für Herrenhüte im Rudolph-Karstadt-Konzern, He<strong>in</strong>rich<br />
Reich aus Berl<strong>in</strong>, bot er im <strong>Guben</strong>er Werk nach se<strong>in</strong>er Entlassung e<strong>in</strong>e neue Arbeitsstelle an.<br />
Er arbeitete, fest angestellt, als Vertreter für Herrenhüte im Bezirk Schlesien. He<strong>in</strong>rich,<br />
nunmehr Henry Reich, meldete sich nach 1945 aus New York. Er starb 1991/1992 <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Nähe von Boston <strong>in</strong> den USA. Mart<strong>in</strong> Rosenthal war e<strong>in</strong> sehr humaner Chef, gütig, nicht stolz<br />
und hatte während se<strong>in</strong>er Betriebsdurchgänge für jeden e<strong>in</strong> offenes Ohr. Se<strong>in</strong> 50. Geburtstag<br />
wurde im damaligen Hotel „Kronpr<strong>in</strong>z“, jetzt „Volkshaus“, mit <strong>der</strong> gesamten <strong>Guben</strong>er<br />
91
Belegschaft gefeiert. Gleichermaßen se<strong>in</strong>e Silberhochzeit im großen Festsaal <strong>des</strong><br />
„Schützenhauses“. Bei 10jähriger Betriebszugehörigkeit besorgte und kaufte er persönlich<br />
e<strong>in</strong> passen<strong>des</strong> Geschenk für Angestellte. Soweit ihm e<strong>in</strong> To<strong>des</strong>fall <strong>in</strong> Familien se<strong>in</strong>er<br />
Angestellten zur Kenntnis kam, kondolierte er ebenfalls persönlich.<br />
Das bittere Ende<br />
Dann kam das bittere Ende. Aus heutiger Sicht war es bereits <strong>der</strong> Anfang <strong>des</strong> Nie<strong>der</strong>gangs <strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>st so bedeutenden und bodenständigen <strong>Guben</strong>er Hut<strong>in</strong>dustrie. Der Ste<strong>in</strong>ke-Konzern wurde<br />
1938 von <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik AG übernommen und an diese verkauft, blieb aber<br />
als solcher eigenverantwortlich bestehen. Im Werk <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bahnhofsstraße lief die Produktion<br />
bis <strong>1940</strong>. Die Fabrikanlagen wurden für Rüstungszwecke an die Firma Rhe<strong>in</strong>metall-Borsig<br />
vermietet.<br />
Mart<strong>in</strong> Rosenthal verließ Deutschland, nahm se<strong>in</strong>en Wohnsitz <strong>in</strong> Amsterdam und gründete<br />
dort die „Amstel Hoedenfabrik“. Während <strong>der</strong> deutschen Besatzung wurde er zusammen mit<br />
se<strong>in</strong>er Frau Ellen nach Auschwitz deportiert und dort vergast.<br />
Erwähnenswert wäre noch, dass die Tochter mit Ehemann Dr. Haas und den zwei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
rechtzeitig nach England emigrierten. Der Sohn Dr. Herbert Rosenthal, im <strong>Guben</strong>er Werk mit<br />
tätig gewesen, verlegte rechtzeitig se<strong>in</strong>en Wohnsitz <strong>in</strong> die USA. Der angeheiratete Neffe<br />
Georg Pelz, als Abteilungsleiter im <strong>Guben</strong>er Werk tätig, mit Wohnsitz <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>, verzog mit<br />
se<strong>in</strong>er Familie nach Amsterdam. Die Familie überlebte dort im Versteck und er etablierte sich<br />
mit e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Hutfabrik nach 1945 <strong>in</strong> Köln am Rhe<strong>in</strong>.<br />
Anlässlich <strong>des</strong> Besuches <strong>der</strong> Leipziger Messe um 1950 besuchte er kurz <strong>Guben</strong>; er starb<br />
frühzeitig. Der angeheiratete Neffe Max Cohn-Bloch, als kaufmännischer Angestellter im<br />
<strong>Guben</strong>er Werk tätig, zog nach Amsterdam und wurde von dort nach Auschwitz deportiert,<br />
erkrankte an Ruhr und verstarb.<br />
Mart<strong>in</strong> Rosenthal bot dem jüdischen Referendar Heilborn und dem <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geborenen<br />
Halbjuden Rudi Cheim e<strong>in</strong>e angemessene Arbeitsstelle. Er wurde ebenfalls nach Auschwitz<br />
deportiert, überlebte aber. 1945, im Frühsommer, wurde er als Leiter <strong>der</strong> wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Betrieb<br />
gehenden Hutfabrik C. G. Wilke e<strong>in</strong>gesetzt, <strong>der</strong>en technische Ausrüstung voll erhalten war<br />
und nicht von <strong>der</strong> Besatzungsmacht requiriert wurde.<br />
Hilfe für viele<br />
Die <strong>Guben</strong>er Schüler<strong>in</strong> und Jüd<strong>in</strong> Rita London begann ihre kaufmännische Lehre im <strong>Guben</strong>er<br />
Werk. Mit e<strong>in</strong>em Transport jüdischer Jugendlicher vom Ausland organisiert - landeten sie <strong>in</strong><br />
Australien. (Rückfragen beim Internationalen Roten Kreuz <strong>in</strong> Australien nach 1945 über ihren<br />
Verbleib brachten ke<strong>in</strong>en Erfolg).<br />
Die <strong>Guben</strong>er Jüd<strong>in</strong> Ilse-Sarah Katzky fand als Garnierer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Arbeitsstätte. Im<br />
E<strong>in</strong>wohnermeldebuch 1939 ist sie noch als jüdische Mitbürger<strong>in</strong> unter dem Namen Ilse-Sarah<br />
Katzky geführt. E<strong>in</strong> Lebenszeichen kam von ihr vor nicht all zu langer <strong>Zeit</strong> aus England.<br />
Quelle: Charlotte Kirks, Lausitzer Rundschau vom 7. Mai 1994<br />
92
E<strong>in</strong>e jüdische Familie im Landkreis <strong>Guben</strong><br />
während <strong>des</strong><br />
Dritten Reiches<br />
-Auszug-<br />
„Unser 1901 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> als Sohn e<strong>in</strong>es bekannten jüdischen Arztes geborener Vater trat 1929<br />
zum evangelischen Glauben über und heiratete 1931 unsere „arische“ Mutter, Tochter e<strong>in</strong>es<br />
<strong>Guben</strong>er Fabrikanten. Er wurde 1932 aktiver Teilhaber im Unternehmen se<strong>in</strong>es<br />
Schwiegervaters. Me<strong>in</strong> 1937 geborener Bru<strong>der</strong> und ich (Jahrgang 1932) wurden evangelisch<br />
getauft und erzogen. Die Familie lebte seit 1934 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dorf im Landkreis <strong>Guben</strong>.<br />
NS-Gesetze zum Erbrecht bei sogenannten Mischehen im Jahre 1935 veranlaßten unseren<br />
Vater, se<strong>in</strong>e Firmenanteile auf unsere Mutter zu übertragen. Sie überschrieb ihre gesamten<br />
Anteile auf Grund <strong>des</strong> Devisensicherungsgesetzes vorsorglich formell auf ihren Vater.<br />
Nach se<strong>in</strong>er Inhaftierung im KZ Sachsenhausen im November 1938, aus dem er durch die Intervention se<strong>in</strong>es sehr e<strong>in</strong>flussreichen und<br />
energischen, <strong>der</strong> NSDAP nicht angehörenden Schwiegervaters, bereits zum Monatsende wie<strong>der</strong> entlassen wurde, durfte unser Vater auch<br />
nicht als Prokurist o<strong>der</strong> Angestellter <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em (bisherigen) Unternehmen tätig se<strong>in</strong>. Nach Umschulung durch die jüdische Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong> zum Schlosser und Dreher arbeitete er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Berl<strong>in</strong>er Unternehmen und wohnte zur Miete privat unter Kontrolle <strong>der</strong> Gestapo.<br />
Geschützt durch die Mischehe mit unserer Mutter brauchte er ke<strong>in</strong>en Stern zu tragen und durfte se<strong>in</strong>e Familie e<strong>in</strong>mal pro Monat am<br />
Wochenende im Landkreis <strong>Guben</strong> besuchen.<br />
Schriftliche Genehmigungen für jede e<strong>in</strong>zelne Besuchsreise bewahrten ihn nicht vor willkürlichen Verhaftungen während <strong>der</strong> Bahnfahrt nach<br />
<strong>Guben</strong>, die immer wie<strong>der</strong> die Intervention unseres Großvaters und se<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dungen zum OKW (Oberkommando <strong>der</strong> Wehrmacht)<br />
notwendig machten.<br />
Me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit auf dem Lande verlief unbeschwert bis zum November 1938, als <strong>der</strong><br />
Unterricht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dorfschule unterbrochen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Lehrerkonferenz darüber beraten<br />
wurde, ob ich die Schule weiter besuchen durfte. Lehrer und Mitschüler verhielten sich <strong>in</strong> den<br />
folgenden Jahren – mit wenigen Ausnahmen – freundlich und zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t wohlwollend<br />
neutral. Das traf im Übrigen auch für die große Mehrheit <strong>der</strong> Dorfbevölkerung zu. Dieses<br />
generelle Verhalten <strong>der</strong> Dorfbewohner gegenüber unserer Familie än<strong>der</strong>te sich auch nicht, als<br />
ich 1942 nach bestandener Aufnahmeprüfung für die Oberschule <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> durch NS-Gesetz<br />
wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die Dorfschule zurückkehren mußte und als e<strong>in</strong>ziger Junge im ganzen Ort nicht <strong>der</strong><br />
Hitlerjugend angehörte.<br />
Me<strong>in</strong> fünf Jahre jüngerer Bru<strong>der</strong> besuchte ab 1943 unbehelligt die Dorfschule <strong>in</strong> unserem Dorf.“<br />
Quelle: Nachbarn von e<strong>in</strong>st; S. 88 – 89, Autor Andreas<br />
Peter<br />
93
Me<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung an <strong>Guben</strong>er Juden<br />
-Auszüge-<br />
Die so genannte Kristallnacht vom 9. und 10. November war <strong>der</strong> erste Höhepunkt <strong>der</strong><br />
Pogrome gegen die Juden <strong>in</strong> Deutschland.<br />
Auf unserem Spielplatz an <strong>der</strong> Egelneiße waren nicht nur „anwohnende“ K<strong>in</strong><strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n<br />
auch solche aus <strong>der</strong> nahen Umgebung. Dass darunter auch jüdische K<strong>in</strong><strong>der</strong> waren, fiel uns<br />
an<strong>der</strong>en erst auf, als diese nicht mehr zum Spielen kamen, ja ganz aus unseren Augen verloren<br />
g<strong>in</strong>gen. Ich er<strong>in</strong>nere mich an e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es hübsches schwarzhaariges Mädchen, die zu unserer<br />
Horde gehörte. Sie war die Tochter e<strong>in</strong>es jüdischen Ohrenarztes. Von me<strong>in</strong>er Mutter erfuhr<br />
ich, dass dieser Mann vielen Patienten geholfen hatte, gegen se<strong>in</strong>e eigene hochgradige<br />
Schwerhörigkeit aber machtlos war.<br />
Als me<strong>in</strong>e Mutter 1934 Witwe geworden war, nahm sie e<strong>in</strong>e Aufwartestelle bei dem<br />
jüdischen Ehepaar W. (Wolff/Red.) <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen Kubestraße (heute Berl<strong>in</strong>er Straße) an.<br />
Ich wurde meistens dorth<strong>in</strong> mitgenommen. Die beiden Leute waren damals so um die<br />
50 Jahre alt und hatten, da selbst k<strong>in</strong><strong>der</strong>los geblieben, mich <strong>in</strong> ihr Herz geschlossen. Er hatte<br />
e<strong>in</strong>e Vertretung <strong>in</strong> Stoffen und Tuchen. (Im E<strong>in</strong>wohnerbuch von 1933 steht, dass er<br />
Geschäftsführer war).<br />
Ostern (richtiger 1. 4.) 1935 wurde ich e<strong>in</strong>geschult. Für W.s war es e<strong>in</strong>e Genugtuung, mich<br />
mit le<strong>der</strong>nem Ranzen und Brottasche auszurüsten. Den Ranzen habe ich, da <strong>in</strong><br />
Kriegstrümmern wie<strong>der</strong> gefunden, noch 1946/47 als „Geschäftstasche“ benutzt.<br />
Die Wolffs wechselten <strong>1936</strong> ihre Wohnung und zogen <strong>in</strong> die Pförtener Straße. An <strong>der</strong><br />
Beziehung zwischen ihnen und uns än<strong>der</strong>te sich dadurch nichts. Nur <strong>der</strong> Weg war etwas<br />
weiter geworden.<br />
Inzwischen hatte me<strong>in</strong>e Mutter e<strong>in</strong>e zweite Putzstelle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alten Poststraße angenommen,<br />
wo sie auch ca. e<strong>in</strong>mal im Monat die „Große Wäsche“ zu erledigen hatte, natürlich mit<br />
Kochkessel, Zuber und Waschbrett. Der größte Teil <strong>der</strong> Wäsche wurde nach dem Trocknen<br />
gerollt.<br />
Es gab zwar vere<strong>in</strong>zelt noch handbetriebene Rollen. Allgeme<strong>in</strong> g<strong>in</strong>g man aber schon zu<br />
jemand, <strong>der</strong> gewerbsmäßig se<strong>in</strong>e stationäre elektrische Wäscherolle gegen Entgelt zur<br />
Verfügung stellte. Me<strong>in</strong>e Mutter war also e<strong>in</strong>es Abends noch zum Rollen gegangen. Ich<br />
wollte sie von dort nur abholen. Da sie noch nicht fertig war, wartete ich noch e<strong>in</strong> bisschen <strong>in</strong><br />
dem Rollraum, den ich zwar schon kannte, <strong>der</strong> aber immer noch me<strong>in</strong>e Neugier weckte. Den<br />
Zugriff zu den mit Wäsche umwickelten Rollen während <strong>des</strong> Betriebes verh<strong>in</strong><strong>der</strong>te e<strong>in</strong><br />
Schutzgitter; die Hand e<strong>in</strong>es 7jährigen konnte aber durch das Gitter h<strong>in</strong>durch greifen. Ich<br />
bekam e<strong>in</strong>en ordentlichen Schreck, als plötzlich die Kuppe me<strong>in</strong>es rechten kle<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>gers so<br />
platt gewalzt wie die Wäsche war. Den Nebenf<strong>in</strong>ger konnte ich gerade noch, obwohl auch<br />
schon aufgeplatzt, zurückziehen. Me<strong>in</strong>e Gedanken – nur nichts sagen, nachher an <strong>der</strong><br />
Wasserleitung abspülen – musste ich nach kurzer <strong>Zeit</strong> aufgeben, da es anf<strong>in</strong>g weh zu tun. Mit<br />
kullernden Tränen zeigte ich me<strong>in</strong> Malheur <strong>der</strong> Mutter, <strong>der</strong>en Schreck auch nicht ger<strong>in</strong>g war.<br />
Etwa 500 m waren es bis zum nächsten Arzt, Dr. Kaplan, <strong>der</strong> zu dieser Tageszeit ke<strong>in</strong>e<br />
Sprechstunde mehr hatte. Nachsichtig ließ er uns aber e<strong>in</strong> und versorgte unter tröstenden<br />
Worten me<strong>in</strong>e Verletzung… E<strong>in</strong>mal noch bestellte mich <strong>der</strong> freundliche Dr. Kaplan <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />
Sprechstunde, dann musste er mich an e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Arzt abgeben. Die Kosten e<strong>in</strong>es<br />
jüdischen Arztes übernahm die Krankenkasse nicht.<br />
In Bezug auf Juden musste uns im Schulunterricht wohl irgendetwas Nazi-Ideologisches<br />
gesagt worden se<strong>in</strong>. Jedenfalls sagte ich e<strong>in</strong>es Tages <strong>in</strong> W.s Küche zur Mutter: „Wir dürfen<br />
doch gar nicht zu W.s gehen. W.s s<strong>in</strong>d doch Juden.“ Ich wusste damals nicht, was me<strong>in</strong>e<br />
94
Worte bedeuteten, noch weniger ahnte ich, dass Frau W. im Korridor je<strong>des</strong> Wort mitgehört<br />
hatte, da die Küchentür nur angelehnt war. Me<strong>in</strong>e Mutter war über me<strong>in</strong>e Rede sprachlos und<br />
wäre am liebsten im Boden versunken, als unmittelbar darauf Frau W. here<strong>in</strong>kam. Diese sagte<br />
gar nichts – sie we<strong>in</strong>te nur; dabei nahm sie mich aber dennoch <strong>in</strong> ihre Arme.<br />
Ab Herbst 1937 g<strong>in</strong>g ich nur noch selten zu W.s. Ich hatte <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>e so genannte<br />
Laufjungenstelle. Für e<strong>in</strong>e etwas gehbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te Frau, die mit ihrem Bru<strong>der</strong> die Wohnung<br />
teilte, g<strong>in</strong>g ich täglich e<strong>in</strong>kaufen, Lebensmittel und alkoholische Getränke, vor allem Bier<br />
(20 Flaschen pro Tag). Des Weiteren machte ich ihr auch kle<strong>in</strong>ere Handreichungen. Das alles<br />
für 50 Reichspfennig im Monat.<br />
Es war im Sommer <strong>des</strong> Jahres 1938, als me<strong>in</strong>e Mutter nach Hause kam und erstaunt<br />
berichtete, bei W.s hätte ihr ke<strong>in</strong>er geöffnet. Sie versuchte es noch e<strong>in</strong> paar Mal an an<strong>der</strong>en<br />
Tagen, aber es war niemand da. W.s waren verschwunden. Sich dieserhalb bei Behörden o<strong>der</strong><br />
auch nur Nachbarn zu erkundigen, schien damals nicht ratsam.<br />
Die nun alles beherrschende NS-Propaganda spitzte sich auf e<strong>in</strong>en Höhepunkt zu: zur<br />
Kristallnacht. Am 9. November 1938 kam es auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> zu antijüdischen<br />
Ausschreitungen. Mit me<strong>in</strong>en noch nicht ganzen zehn Jahren verstand ich nicht, was<br />
eigentlich geschah und warum es geschah, erst recht nicht. Wohl aber wurde me<strong>in</strong>e k<strong>in</strong>dliche<br />
Neugier gereizt. So lief ich die Klosterstraße zum Markt und zur Herrenstraße, um mir die<br />
e<strong>in</strong>geworfenen Schaufensterscheiben und e<strong>in</strong>getretenen Ladentüren anzugucken. Bei<br />
e<strong>in</strong>zelnen kam ich dazu, wie randalierende Banden noch dabei waren, große<br />
Straßenpflasterste<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Schaufenster zu werfen. Trotz dieses Aufruhrs waren relativ viel<br />
Menschen auf den Straßen, vielleicht auch im Auftrag <strong>der</strong> Nazis. Dass es Passanten wagten,<br />
gegen diese Machenschaften e<strong>in</strong>zuschreiten o<strong>der</strong> sich nur dagegen aufzulehnen, habe ich<br />
nicht bemerkt. Ich selbst dachte an nichts, nur soviel, möglichst wenig zu verpassen.<br />
So war ich, mitgetrieben, bis <strong>in</strong> den Kastaniengraben gekommen und stand vor <strong>der</strong> Synagoge;<br />
wir sagten dazu Judentempel. Obwohl ich mich fast immer 2 bis 3 m zurückhielt, b<strong>in</strong> ich dort<br />
doch zu dicht an den grölenden Pöbel geraten. Kle<strong>in</strong>pflasterste<strong>in</strong>e, die aus Gehwegen<br />
herausgerissen waren, flogen <strong>in</strong> Fenster von Kirche und Küsterhaus, beson<strong>der</strong>s wenn<br />
Menschen dah<strong>in</strong>ter vermutet wurden. Ich stand h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em Halbstarken, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Kopf<br />
größer als ich war und <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Hand e<strong>in</strong>en Pflasterste<strong>in</strong> hatte. Plötzlich sah ich h<strong>in</strong>ter dem<br />
Fenster <strong>der</strong> 1. Etage <strong>des</strong> Hauses e<strong>in</strong>e ältere Frau. Me<strong>in</strong> Vor<strong>der</strong>mann hatte sie auch schon<br />
erspäht und nahm sie aufs Korn. Zum zielsicheren Wurf holte er weit aus. Dabei schlug er,<br />
ohne dass er es überhaupt bemerkte, mit dem Ste<strong>in</strong> gegen me<strong>in</strong>e rechte Augenbraue. Die war<br />
sofort aufgeplatzt und das Blut lief mir übers Gesicht. Mir war gleich jede Sensationslust<br />
vergangen; beschämt und wütend machte ich mich davon. Am übernächsten Tag wurde ich<br />
zehn Jahre alt und musste me<strong>in</strong>en Geburtstag mit e<strong>in</strong>em zur Hälfte zu gepflasterten Auge<br />
verbr<strong>in</strong>gen.<br />
Rund e<strong>in</strong> Jahr danach hatte ich diesen Vorfall erstmal vergessen. Es war im Spätsommer <strong>des</strong><br />
Jahres 1939, als ich auf unserem Spielplatz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Laternengasse mit an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
herumtobte. Auf e<strong>in</strong>mal, ich glaubte me<strong>in</strong>en Augen nicht zu trauen – da kam doch Onkel W.<br />
auf mich zu?! Als er merkte, dass ich ihn sah, spitzte er sofort se<strong>in</strong>en Mund und legte den<br />
Zeigefeiger darauf. Die Geste verstehend, sagte ich ke<strong>in</strong> Wort. Er gab mir die Hand,<br />
überreichte mir e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es <strong>in</strong> Seidenpapier e<strong>in</strong>gewickeltes Etwas und flüsterte: „Möge es Dir<br />
gut gehen! E<strong>in</strong>en schönen Gruß an die Mutti.“ Ehe ich überhaupt richtig begriffen hatte, was<br />
ich erlebte, war er schon wie<strong>der</strong> fort. Das mir übergebene Etwas war e<strong>in</strong>e<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>mundharmonika.<br />
Nie haben wir erfahren, wo Familie W. h<strong>in</strong>gekommen ist, wie es ihnen ergangen ist, wieso er<br />
plötzlich wie<strong>der</strong> mal auftauchte und gleich wie<strong>der</strong> verschwand, was aus ihnen geworden ist.<br />
Heute können sie, schon biologisch bed<strong>in</strong>gt nicht mehr leben.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er Heimatbrief, 2/1998, S. 48-51, Günter Deckert<br />
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E<strong>in</strong>e wirksame Propaganda<br />
Antisemitische Aktionen <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> 1935 und 1938<br />
GUBEN. Die e<strong>in</strong>malige Schreckensbilanz <strong>des</strong> Dritten Reiches im Jahre 1945 mit<br />
Millionen Toten, verwüsteten Städte und dem Verlust <strong>der</strong> Ostgebiete kann man nur<br />
verstehen, wenn man die Jahre davor betrachtet.<br />
Dabei ist zu beachten, dass es <strong>der</strong> NS-Herrschaft zeitweilig gelang, „die Bedürfnisse und Sehnsüchte breiter Schichten überzeugend<br />
anzusprechen und wenigstens zum Teil auch zu befriedigen“; wie <strong>der</strong> Münchener Historiker Norbert Frei (Der Führerstaat) ausführt.<br />
45 jüdische Familien<br />
Quelle: Lausitzer Rundschau, 13. Juni 1998, Gerhard Gunia<br />
Zwar gab es hier nur 45 jüdische Familien (Stand 1939) und <strong>in</strong> ganz Deutschland etwa<br />
550.000 Juden, d. s. 0,9 Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung - aber sie bildeten den Anstoß, Schuldfragen<br />
und Hassgefühle auf M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten abzuwälzen.<br />
Die antijüdische Propagandafahrt <strong>der</strong> SA-Brigade 122 am 11. August 1935, e<strong>in</strong>em Sonntag,<br />
begann auf dem Lubstplatz. Hier waren 1400 SA-Männer zum Appell angetreten unter<br />
Standartenführer (= Oberst) Schulz-Sembten <strong>in</strong> Anwesenheit von Brigadeführer Palm.<br />
Anschließend fuhren 20 LKW durch das Stadtgebiet mit angebrachten Plakaten. Darauf hieß<br />
es: „Den Galgen halten wir bereit / Für Volksverräter je<strong>der</strong>zeit.“<br />
„Deutsches Mädel, sei helle / Nimm beim Juden ke<strong>in</strong>e Stelle.“<br />
„Moses, Aaron, Levy, Cohn / Paläst<strong>in</strong>a wartet schon.“<br />
Von allen Wagen ertönten Sprechchöre mit den Worten:<br />
„Deutschland erwache / Juda verrecke / Nie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Reaktion.“<br />
Dazwischen gab es militärische Übungen, so an <strong>der</strong> Sprucker Straße, wo aufgestellte<br />
Barrikaden zu überw<strong>in</strong>den waren (<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 13.08.1935). Sicherlich wurde dieser<br />
SA-Auftritt von Teilen <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er E<strong>in</strong>wohner abgelehnt. Zehn Jahre später nutzte ke<strong>in</strong>e<br />
Barrikade mehr, die Stadt wurde zerstört.<br />
Befehle von 1938<br />
Quelle: Lausitzer Rundschau, 13. Juni 1998, Gerhard Gunia<br />
„Es werden <strong>in</strong> kürzester <strong>Zeit</strong> <strong>in</strong> ganz Deutschland Aktionen gegen Juden, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong>en<br />
Synagogen, stattf<strong>in</strong>den. Sie s<strong>in</strong>d nicht zu stören. Es ist vorzubereiten die Festnahme von etwa<br />
20.000 bis 30.000 Juden.“<br />
„... s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> allen Bezirken so viele Juden – <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Wohlhabende – festzunehmen, als <strong>in</strong><br />
den vorhandenen Hafträumen untergebracht werden können. Es s<strong>in</strong>d zunächst nur gesunde<br />
96
und männliche Juden nicht zu hohen Alters festzunehmen. Nach Durchführung <strong>der</strong> Festnahme<br />
ist unverzüglich mit den zuständigen KZs, wegen schnellster Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Juden <strong>in</strong> den<br />
Lagern, Verb<strong>in</strong>dung aufzunehmen.“<br />
Diese Befehle wurden auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> befolgt.<br />
91 Bürger jüdischen Glaubens wurden bei diesen Pogromen getötet, wobei die Zahl<br />
unvollständig se<strong>in</strong> wird. Viele beg<strong>in</strong>gen Selbstmord o<strong>der</strong> wurden <strong>in</strong> KZs verschleppt. Die<br />
Dunkelziffer wird weit höher liegen.<br />
Ab 1.1.1939 durften Juden nicht mehr als Betriebsleiter arbeiten, bzw. ke<strong>in</strong>e leitenden<br />
Tätigkeiten ausführen. Der Besitz von Geschäften und Handwerksbetrieben war ihnen<br />
verboten. Sie mussten ihre Kraftfahrzeuge abliefern und die Wohnung kennzeichnen.<br />
Im Dezember 1938 schreibt die „<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung“:<br />
„Am 3.12.1938 wird <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> <strong>der</strong> Tag <strong>der</strong> Nationalen Solidarität (Sammelaktion für das<br />
W<strong>in</strong>terhilfswerk) durchgeführt. Juden dürfen von 12.00 - 20.00 Uhr ke<strong>in</strong>e Straßen und Plätze<br />
betreten, sie haben sich <strong>in</strong> ihren Wohnungen aufzuhalten.“<br />
Polizeiverordnung vom 1.9.1941:<br />
„Juden, die das 6. Lebensjahr vollendet haben, ist es verboten, sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit ohne<br />
e<strong>in</strong>en Judenstern zu zeigen… Er ist sichtbar auf <strong>der</strong> l<strong>in</strong>ken Brustseite <strong>des</strong> Kleidungsstückes<br />
fest aufgenäht zu tragen…“<br />
Durch die Solidarität vieler (auch nichtjüdischer) Bürger konnten Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Synagogengeme<strong>in</strong>de Deutschland noch vor dem Zweiten Weltkrieg verlassen. Seit dem Krieg<br />
gibt es <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> ke<strong>in</strong>e Jüdische Geme<strong>in</strong>de mehr.<br />
Quelle: Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten<br />
Schnei<strong>der</strong>; wissenschaftlichpraktische<br />
Arbeit/<br />
Projektarbeit EOS<br />
„Pestalozzi“ <strong>Guben</strong><br />
1989/90<br />
NS-Terror <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
Bereits <strong>in</strong> ihrer Wahlpropaganda vor 1933 gab die NSDAP den Juden und allen L<strong>in</strong>kskräften<br />
die Schuld an <strong>der</strong> Wirtschaftskrise und <strong>der</strong> damit verbundenen Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig<br />
hob sie die „Germanische Rasse“ hervor und betonte <strong>in</strong> diesem Zusammenhang die<br />
M<strong>in</strong><strong>der</strong>wertigkeit <strong>der</strong> Juden. So bereitete die Partei Hitlers ihre Glie<strong>der</strong>ungen, wie SA, SS und<br />
HJ, aber auch die deutsche Bevölkerung auf den Hass, die Demütigung und Verfolgung <strong>der</strong><br />
Juden vor.<br />
Bereits kurz nach dem Machtantritt (Januar 1933), am 1. April 1933, for<strong>der</strong>ten SA-Posten und<br />
Plakate die <strong>Guben</strong>er zum Boykott jüdischer E<strong>in</strong>richtungen und Geschäfte auf. „Kauft nicht <strong>in</strong><br />
jüdischen Geschäften“ wurde gewarnt.<br />
97
Aber schon Mitte März hatten SA und SS kurzzeitig das Warenhaus Karzentra, das Kaufhaus<br />
„Wolff Krimmer Nachf.“, das Geschäft Hermann Meier und das Schuhhaus Batas besetzt.<br />
Die Ermordung <strong>des</strong> Legationssekretärs vom Rath <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen Botschaft zu Paris durch<br />
den 17-jährigen Juden Grünspan gab dem NS-Regime den willkommenen Anlass, mit den<br />
Juden „abzurechnen“. So wurde im gesamten Reich vom 9. zum 10. November 1938 das<br />
„Judenpogrom“ (Reichskristallnacht) vorwiegend von <strong>der</strong> SA durchgeführt.<br />
In <strong>Guben</strong> waren Polizei und Feuerwehr auf den Brandanschlag auf die Synagoge vorbereitet<br />
worden. Das Gebäude brannte, wurde aber nicht zerstört. Im gleichen Atemzuge erfolgte die<br />
Demolierung jüdischer E<strong>in</strong>richtungen und Geschäfte. E<strong>in</strong>ige jüdische Bürger, wie Selmar<br />
Brühn, Hugo Kronheim, Gustav Müller, Robert Hesse (<strong>in</strong> Forst) wurden auf LKW<br />
„verfrachtet“. Sie kamen <strong>in</strong>s KZ Sachsenhausen – später wurden sie wie<strong>der</strong> frei gelassen. Der<br />
jüdische Friedhof wurde geschändet – Grabste<strong>in</strong>e umgeworfen.<br />
Der Terror gegen die Juden begann aber schon Jahre früher. Ärzte und Rechtsanwälte verloren<br />
ihre Zulassung. E<strong>in</strong>e Ausnahme machte man beim Rechtsanwalt Walter Hesse, <strong>der</strong> bis<br />
<strong>1936</strong> arbeiten durfte. Die Rassengesetze vom 15. September 1935 verboten unter an<strong>der</strong>em die<br />
Ehen mit Juden und erkannten zugleich Juden die deutsche Staatsbürgerschaft ab.<br />
Nach und nach wurden Juden ihrer Rechte beraubt, ihr Vermögen konfisziert. So wurde zum<br />
Beispiel <strong>der</strong> jüdische Betrieb „Reißner, Wohl & Co Nachf.“ enteignet und „arisiert“. Die<br />
Tuchfabrik „Lehmann Wwe. & Sohn“ erwarb ihn billig - das Geld bekam <strong>der</strong> Staat.<br />
Der weitergehende und für die Juden immer schwerer zu ertragende Terror sah unter an<strong>der</strong>em<br />
wie folgt aus:<br />
- ab 12. November 1938 - Teilnahme an Kulturveranstaltungen wurde verboten<br />
- Verbot <strong>des</strong> Waffenbesitzes<br />
- Vorauszahlungen bei Warenlieferungen<br />
- Verbot <strong>des</strong> Führens von Kraftfahrzeugen<br />
- Gesetz vom 3. Dezember 1938 über die „planmäßige Entjüdung <strong>der</strong><br />
Wirtschaft“ (Arisierung jüdischer Unternehmen aller Art)<br />
- Mietgesetz vom 30. April 1939 hob die Mietrechte für Juden auf<br />
- Aufhebung aller bisherigen Bezüge aus Arbeits- und Dienstverhältnissen,<br />
Renten und an<strong>der</strong>en erworbenen gesetzlichen Versorgungsleistungen<br />
- Zwangsanlegen e<strong>in</strong>es Depots für Wertpapiere<br />
- Bei Geldnot Antrag an das F<strong>in</strong>anzamt zwecks Bereitstellung <strong>der</strong> benötigten<br />
Beträge<br />
- Verbot <strong>des</strong> Erwerbs von Gegenständen aus Gold, Plat<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Silber,<br />
Edelste<strong>in</strong>en und Perlen<br />
- Verbot, diese zu verpfänden und zu veräußern<br />
- Verkauf von Schmuck- und Kunstgegenständen nur an die „Reichskammer für<br />
Bildende Künste“<br />
- Verbot – Sonnabend die Wohnung zu verlassen<br />
- Tragen <strong>des</strong> zweiten Vornamens „Sarah“ o<strong>der</strong> „Israel“<br />
- Ab Mitte September 1941 tragen <strong>des</strong> „Gelben Sterns“<br />
- Ab Mitte 1941 Räumung <strong>der</strong> Wohnung – <strong>der</strong> Erlös <strong>des</strong> Haushaltes g<strong>in</strong>g an den<br />
Staat<br />
- Umsiedlung <strong>in</strong> das Barackenlager Schlagsdorfer Weg<br />
- Ger<strong>in</strong>gere Zuteilung von Nahrungsmitteln (Marken) als für die Bevölkerung<br />
Bis Mitte 1942 erfolgte die Deportation <strong>in</strong> Ghettos o<strong>der</strong> KZs.<br />
98<br />
Quellen: „Nachbarn von e<strong>in</strong>st“, Andreas Peter<br />
Ausstellungskatalog 1999
Der Ahnenpass<br />
99<br />
„Wegweiser durch das jüdische Brandenburg“<br />
– Irene Dickmann und Julius<br />
Schoeps; Edition Hentrich 1995<br />
<strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1998<br />
<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung<br />
Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten Schnei<strong>der</strong>;<br />
wissenschaftlich-praktische Arbeit/<br />
Projektarbeit, EOS „Pestalozzi“ <strong>Guben</strong><br />
1989/90<br />
Der Ahnenpass war e<strong>in</strong> Vordruck <strong>in</strong> Heftform für den Abstammungsnachweis (Ariernachweis), <strong>der</strong> von jedem Bürger <strong>des</strong> Dritten Reiches<br />
aufgrund <strong>der</strong> Nürnberger Gesetze (15. September 1935) erbracht werden musste. Mit e<strong>in</strong>er Geburts- o<strong>der</strong> Tauf- und Heirats- o<strong>der</strong> Trau-<br />
Urkunde war zu belegen, dass ke<strong>in</strong> Eltern- o<strong>der</strong> Großelternteil „vollartfremden, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e jüdischen Blutes“ war. E<strong>in</strong> lückenloser<br />
Abstammungs- bzw. Ariernachweis war die Voraussetzung für volle Bürgerrechte. Oppositionelle Geistliche verhalfen manchem rassisch<br />
Verfolgten durch e<strong>in</strong>en frisierten Ahnenpass zu den lebensnotwendigen Personalpapieren.<br />
„Die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit <strong>des</strong> völkischen Staates muss ihre Krönung dar<strong>in</strong> f<strong>in</strong>den, dass sie den Rasses<strong>in</strong>n und das<br />
Rassegefühl <strong>in</strong>st<strong>in</strong>kt- und verstan<strong>des</strong>mäßig <strong>in</strong> Herz und Gehirn <strong>der</strong> ihr anvertrauten Jugend h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>brennt. Es sollen ke<strong>in</strong> Knabe und ke<strong>in</strong><br />
Mädchen die Schule verlassen, ohne zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen <strong>der</strong> Blutre<strong>in</strong>heit geführt worden zu se<strong>in</strong>!<br />
Damit wird die Voraussetzung geschaffen für die Erhaltung <strong>der</strong> rassenmäßigen Grundlagen unseres Volkstums und durch sie wie<strong>der</strong>um die<br />
Sicherung <strong>der</strong> Vorbed<strong>in</strong>gungen für die spätere kulturelle Weiterentwicklung.“ (Adolf Hitler)<br />
Der Ahnenpass stellt e<strong>in</strong>e Urkunde im S<strong>in</strong>ne <strong>des</strong> Gesetzes dar; es ist daher bei se<strong>in</strong>er<br />
Erstellung auf pe<strong>in</strong>lichste Genauigkeit <strong>der</strong> gemachten Angaben und auf die unbed<strong>in</strong>gte<br />
Richtigkeit <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>gelegten Ahnenreihen zu achten. Auch erspart <strong>der</strong> Pass<strong>in</strong>haber durch<br />
korrekte Aufstellung sich Arbeit, <strong>Zeit</strong> und unnötige Kosten, da bei <strong>der</strong> amtlichen Überprüfung<br />
Fehler und Irrtümer im e<strong>in</strong>gereichten Ahnenpass bestimmte zutage treten werden.<br />
Die sorgfältig ausgefüllten Vordrucke Nr.1 - 63, welche auf den Seiten 8 – 39 enthalten s<strong>in</strong>d,<br />
sowie die Ergänzungen auf den Seiten 40 mit 47, ersetzen für den Zweck <strong>des</strong> arischen<br />
Abstammungsnachweises an<strong>der</strong>weitere beglaubigte Urkundenabschriften. Sie müssen aber<br />
e<strong>in</strong>zeln durch den zuständigen Stan<strong>des</strong>beamten o<strong>der</strong> Kirchenbuchführer beglaubigt und<br />
gestempelt werden.<br />
Der Ahnenpass muss dem betreffenden Beamten e<strong>in</strong>gesandt werden mit dem Ersuchen, die<br />
Richtigkeit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen für diesen Beamten zuständige E<strong>in</strong>tragungen zu überprüfen und<br />
gegebenen Falles Än<strong>der</strong>ungen und Richtigstellungen vorzunehmen, und dann die<br />
ordnungsgemäßig erstellten Angaben mit se<strong>in</strong>er Unterschrift zu beglaubigen und mit dem<br />
Dienststempel zu versehen. Im Falle e<strong>in</strong>er Richtigstellung s<strong>in</strong>d die Worte: Auf Grund<br />
vorgelegter Urkunden…zu streichen. Wird jedoch die E<strong>in</strong>reichung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>träge von <strong>der</strong><br />
Beifügung von Urkunden begleitet, (<strong>in</strong> diesem Fall kann die Beglaubigung sämtlicher<br />
E<strong>in</strong>träge von dem dem Wohnsitz <strong>des</strong> Ahnenpaß<strong>in</strong>habers zunächst gelegenen Stan<strong>des</strong>amt<br />
erfolgen) so wird <strong>der</strong> vorher erwähnte Zusatz: Auf Grund vorgelegter Urkunden…<br />
beibehalten, und die Beglaubigung erfolgt auf Grund <strong>der</strong> Vorlage jener beglaubigten<br />
Dokumente. Für den ersteren Fall, wenn also die E<strong>in</strong>sendung ohne Dokumente erfolgt, s<strong>in</strong>d<br />
die Angaben mit weichem Bleistift e<strong>in</strong>zuschreiben, während im letzteren Falle die Ausfüllung<br />
mit T<strong>in</strong>te vorzunehmen ist. Die E<strong>in</strong>träge sollen den Raum <strong>der</strong> Vordrucke nach Möglichkeit<br />
ausfüllen, wo dies nicht <strong>der</strong> Fall ist, müssen die leeren Stellen durch Striche ausgefüllt<br />
werden, um fälschlichen und unberechtigten späteren Zusätzen vorzubeugen.<br />
Quelle: Die unschuldigen K<strong>in</strong><strong>der</strong> und <strong>der</strong> 2. Weltkrieg, Seite 13
Die Attacke „Reichskristallnacht“ – gegen die Juden<br />
Das Wort hat jetzt <strong>der</strong> Staat<br />
Die Empörung über die schändliche Mordtat <strong>des</strong> Juden Grünspan durchbebt noch immer die<br />
ganze deutsche Presse. So schreibt <strong>der</strong> „V.B.“ zum Aufruf Dr. Goebbels an die Bevölkerung:<br />
Die feige Mordtat <strong>des</strong> Juden Grünspan hat im gesamten Deutschen Volk e<strong>in</strong>e nur allzu<br />
verständliche Empörung hervorgerufen, die sich denn auch angesichts <strong>der</strong> unvergleichlichen<br />
Geme<strong>in</strong>heit dieser Tat und unverfrorenen Frechheit, mit <strong>der</strong> sie ausgeführt wurde, <strong>in</strong><br />
judenfe<strong>in</strong>dlichen Kundgebungen äußerte. Wenn dabei, trotz <strong>der</strong> so berechtigten Wut aller<br />
Deutschen, ke<strong>in</strong>em Juden e<strong>in</strong> Haar gekrümmt wurde, so mag man das <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong><br />
Diszipl<strong>in</strong>iertheit <strong>des</strong> deutschen Volkes zugute halten.<br />
....<br />
Spontane Kundgebungen<br />
Gegen die Juden auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
100<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 11. Nov. 1938<br />
Die ruchlose Ermordung <strong>des</strong> Gesandtschaftsrats vom Rath durch den Juden Grynszpan<br />
(Grünspan) führte <strong>in</strong> <strong>der</strong> vergangenen Nacht auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> zu e<strong>in</strong>er spontanen Kundgebung<br />
gegen das Judentum. Dabei wurden die Innene<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> Synagoge zerstört und die<br />
Schaufensterscheiben jüdischer Geschäfte zerschlagen.<br />
E<strong>in</strong>en Tag später schrieb die <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung<br />
Auch gestern Kundgebungen gegen die Juden<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 10. Nov. 1938<br />
Gestern Nachmittag kam es <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> wie<strong>der</strong> zu spontanen Kundgebungen gegen die<br />
Juden. Tausende Volksgenossen versammelten sich auf dem Marktplatz, wo e<strong>in</strong><br />
Sprecher den Gefühlen <strong>des</strong> Abscheus gegen die jüdische Mordgier Ausdruck verlieh.<br />
Wie uns mitgeteilt wird, wurde e<strong>in</strong>e Anzahl Juden <strong>Guben</strong>s <strong>in</strong> Schutzhaft genommen.<br />
Noch bis <strong>in</strong> den Abend h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> sah man auf den Straßen erregte Menschenmassen, die<br />
ihrer Empörung über das jüdische Treiben Ausdruck verliehen.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 11. Nov. 1938
1938 Synagoge zerstört<br />
Als dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht vom 9. zum 10. November 1938 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> die Synagoge zerstört und<br />
jüdische Geschäfte (Bruno Meyer, Hugo Kronheim, Willi Hirsch) demoliert wurden, sagte e<strong>in</strong><br />
Betroffener an an<strong>der</strong>er Stelle: „Wartet ab, euch wird es ebenso ergehen!“ So ist es dann<br />
gekommen. Lei<strong>der</strong> mussten auch diejenigen <strong>Guben</strong>er Demokraten und Sozialisten die Folgen<br />
tragen, die sie selbst nicht verschuldet hatten. Das war im Sommer 1945 das entscheidende<br />
Problem: Wer trug die Verantwortung?<br />
Quelle: Lausitzer Rundschau, 13. Juni 1998, Gerhard Gunia<br />
Sätze zum 9. und 10. November 1938<br />
Manfred Hausmann<br />
Dass die <strong>Guben</strong>er Polizei nicht e<strong>in</strong>schritt und die jüdischen E<strong>in</strong>richtungen und Bürger<br />
schützte, wie es vere<strong>in</strong>zelt <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Städten geschah, lag daran, dass die Leitung <strong>der</strong><br />
NSDAP dem Leiter <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Polizei e<strong>in</strong>ige Tage vor dem 9. November e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich zu<br />
verstehen gegeben hatte, dass sich die Beamten aus <strong>der</strong> Angelegenheit heraus zuhalten haben.<br />
Den E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Feuerwehr freilich konnte man nicht verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Die Synagoge im Kastaniengraben aber blieb auf Jahre h<strong>in</strong>aus die e<strong>in</strong>zige Ru<strong>in</strong>e <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> bis<br />
die Stadt im Frühjahr 1945 selbst zu e<strong>in</strong>er Ru<strong>in</strong>enstätte wurde.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1995, S. 118-119<br />
Alles war verwüstet worden.<br />
K<strong>in</strong>dheitser<strong>in</strong>nerungen an die Pogrome <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> von Werner Möhr<strong>in</strong>g 165<br />
„Am Nachmittag, <strong>der</strong> auf die „Reichskristallnacht“ folgte, hatte es sich <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
herumgesprochen, daß <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt jüdische Geschäfte und E<strong>in</strong>richtungen demoliert worden<br />
s<strong>in</strong>d. Ich wurde damals gerade zehn Jahre alt und war natürlich neugierig, was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt<br />
geschehen war. Ich begab mich noch am Nachmittag dorth<strong>in</strong>.<br />
Die an sich kurze und schmale Klosterstraße, die nach Passieren <strong>der</strong> großen Neißebrücke<br />
begann und zum Marktplatz führte, war stark belebt, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> rechte Bürgersteig. Ich<br />
schloß mich <strong>der</strong> Menschenschlange an und g<strong>in</strong>g gleichfalls auf <strong>der</strong> rechten Seite.<br />
In zwei fast nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> liegenden Geschäften waren die Schaufensterscheiben völlig<br />
zertrümmert. Das erste Geschäft war e<strong>in</strong> Schmuckgeschäft mit entsprechenden<br />
Fensterauslagen. Das Personal war dabei, im Laden aufzuräumen. Im Schaufenster selbst<br />
traute sich noch ke<strong>in</strong>er, etwas zu machen, während so viele Leute vorbeig<strong>in</strong>gen, sonst wären<br />
sicher Helfer erkannt und <strong>in</strong> Gefahr gekommen. Lei<strong>der</strong> weiß ich den Namen <strong>der</strong> beiden<br />
Geschäfts<strong>in</strong>haber nicht mehr.<br />
165 Lausitzer Rundschau, <strong>Guben</strong>er Rundschau vom 07.November 1998.<br />
Dieser Pressebeitrag weicht etwas vom Manuskript <strong>des</strong> Autors ab.<br />
101
Anschließend lief ich zur Synagoge im Kastaniengraben. Hier g<strong>in</strong>gen dauernd Leute aus und<br />
e<strong>in</strong>. Das Backste<strong>in</strong>gebäude, das Wand an Wand zwischen mehrstöckigen Wohnhäusern stand,<br />
war gleichfalls von Nazi-Horden heimgesucht worden.<br />
Hier waren Parterre die Buntglasfensterscheiben zerschlagen. Den Gebetsraum erreichte man<br />
durch den Flur, dann die l<strong>in</strong>ke Tür. Diese aber war bereits verstellt. Man konnte aber sehen,<br />
daß alles verwüstet war: Die Altaraufbauten umgestürzt, die Gebetsbücher zerstreut, die<br />
Symbole (Fahnen) von <strong>der</strong> Wand gerissen.<br />
Über dem Gebetsraum <strong>in</strong> <strong>der</strong> oberen Etage befand sich die Privatwohnung <strong>des</strong> Küsters. (Er<br />
war natürlich nicht mehr anwesend.) Auch die Wohnung war verwüstet, <strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong><br />
Schubfächer herausgerissen. Hausrat lag wild durche<strong>in</strong>an<strong>der</strong> auf den beiden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte<br />
stehenden Bettstellen.<br />
Unablässig kamen Leute die schmale Holztreppe herauf, um sich das Geschehene anzusehen.<br />
Für die <strong>Guben</strong>er Bevölkerung war diese Situation ja ungewöhnlich, war sie doch zunächst<br />
e<strong>in</strong>malig, denn Verwüstungen durch Krieg gab es ja damals <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> noch nicht. Auch ich<br />
war damals als Junge schon sehr betroffen von diesem Zustand, war doch e<strong>in</strong>e halbjüdische<br />
Familie mit uns befreundet. Deshalb hat sich dieses Erlebnis mir beson<strong>der</strong>s e<strong>in</strong>geprägt.<br />
Eigenartig war, daß die Leute auf den Gebetsraum nur mit halbem Blick und mit Abstand<br />
schauten. Auch ich verschaffte mir ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>laß. Vielleicht war es auch die Ehrfurcht vor<br />
dieser religiösen Stätte.<br />
Ob die Synagoge dann <strong>in</strong> Brand gesteckt wurde, kann ich nicht sagen. Es trifft zu, daß es<br />
gefährlich für die unmittelbar angrenzenden Häuser war. Davor schreckten die Nazis bereits<br />
während <strong>der</strong> Verwüstung zurück. Mir ist nicht er<strong>in</strong>nerlich, daß dort überhaupt e<strong>in</strong> Brand war.<br />
Über die Zerstörung <strong>des</strong> großen Modegeschäftes von Hermann Meier, Am Markt, kann ich<br />
nur sagen, daß die Räumlichkeiten sich nicht nur Parterre, son<strong>der</strong>n auch auf die erste Etage<br />
erstreckten. Schaufenster waren sehr viele vorhanden, sowohl an <strong>der</strong> Seite zum Markt als<br />
auch e<strong>in</strong>e ganze Reihe im Durchgang zur Salzmarktstraße, sowie auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Salzmarktstraße<br />
selbst. Es war schon e<strong>in</strong> Kaufhaus, ähnlich wie „Ladeburg“. Die Scheiben waren damals alle<br />
zerstört. Wer dieses ausgedehnte Geschäft dann beräumt hat, kann ich nicht sagen. Später<br />
wurden die Schaufenster alle mit Brettern vernagelt. Die Räumlichkeiten wurden nie mehr als<br />
Verkaufse<strong>in</strong>richtungen benutzt. Etwa 1942/43 wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Etage <strong>in</strong> Regalen Akten<br />
<strong>der</strong> Stadtverwaltung gelagert. Als Lehrl<strong>in</strong>g <strong>der</strong> Stadtverwaltung durfte ich mehrmals me<strong>in</strong>en<br />
Ausbil<strong>der</strong> dorth<strong>in</strong> begleiten, wenn Akten benötigt o<strong>der</strong> dorth<strong>in</strong> zurückgebracht wurden.“<br />
Quelle: „Nachbarn von e<strong>in</strong>st“ – Andreas Peter, Seite 85/86<br />
Zahlreiche Verbote erg<strong>in</strong>gen an die Juden<br />
Ab 30. September ke<strong>in</strong>e jüdischen Ärzte mehr<br />
Die Judenfrage wird <strong>in</strong> Deutschland auf gesetzlichem Wege schrittweise ihrer Lösung<br />
entgegengeführt. Brachte das Reichsbürgergesetz und die zweite Verordnung hierzu e<strong>in</strong>e<br />
Bere<strong>in</strong>igung <strong>des</strong> öffentlichen Lebens von Juden durch die restlose Entfernung aller jüdischen<br />
102
Träger e<strong>in</strong>es öffentlichen Amtes, so zielt e<strong>in</strong>e soeben verkündete vierte Verordnung zum<br />
Reichsbürgergesetz auf e<strong>in</strong>e Fernhaltung <strong>der</strong> Juden von dem deutschen Volkskörper auf<br />
e<strong>in</strong>em beson<strong>der</strong>s wichtigen Gebiet ab:<br />
Die Ausschaltung <strong>der</strong> Juden aus <strong>der</strong> Ärzteschaft. Mit dem 30. September 1938 erlöschen die<br />
Bestallungen <strong>der</strong> jüdischen Ärzte. In Deutschland wird dann ke<strong>in</strong> jüdischer Arzt mehr e<strong>in</strong>en<br />
deutschblütigen Menschen behandeln dürfen. Der jüdische Arzt darf auch nicht durch<br />
Aufnahme e<strong>in</strong>er Tätigkeit als Heilpraktiker versuchen, das Gesetz zu umgehen. Im Übrigen<br />
enthält die Verordnung Vorschriften über Lösung von Dienstverhältnissen, Kündigung von<br />
Wohnungen usw. Wichtig ist, daß die Kündigung von bisher von jüdischen Ärzten<br />
<strong>in</strong>negehaltenen Wohnungen o<strong>der</strong> Praxisräumen vom Hauswirt bis zum 15. August 1938<br />
ausgesprochen und dem Vertragspartner zugegangen se<strong>in</strong> muß.<br />
Juden müssen ihr Vermögen anmelden<br />
103<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 03. August 1938<br />
Der Beauftragte für den Vierjahresplan und <strong>der</strong> Reichsm<strong>in</strong>ister <strong>des</strong> Innern haben e<strong>in</strong>e<br />
geme<strong>in</strong>same Verordnung über die Anmeldung <strong>des</strong> Vermögens von Juden erlassen, die im<br />
Reichsgesetzblatt Teil 1 Nr. 63 im Wortlaut verkündet wird.<br />
Danach hat je<strong>der</strong> Jude im S<strong>in</strong>ne <strong>des</strong> Reichsbürgergesetzes se<strong>in</strong> gesamtes <strong>in</strong>- und<br />
ausländisches Vermögen gemäß den im E<strong>in</strong>zelnen getroffenen Bestimmungen anzumelden<br />
und zu bewerten. Diese Pflicht trifft auch den nicht jüdischen Ehegatten e<strong>in</strong>es Juden.<br />
Die Anmeldepflicht entfällt, wenn <strong>der</strong> Gesamtwert <strong>des</strong> pflichtigen Vermögens ohne<br />
Berücksichtigung <strong>der</strong> Verb<strong>in</strong>dlichkeiten 5000 RM nicht übersteigt.<br />
......<br />
Verstöße gegen die Verordnung werden mit Strafen bis zu zehn Jahren Zuchthaus bedroht.<br />
Waffenbesitz für Juden verboten<br />
Anordnung <strong>des</strong> Reichsführers SS Himmler<br />
DNB. München 10. Nov. Der Reichsführer SS und Chef <strong>der</strong> deutschen Polizei hat folgende<br />
Anordnung erlassen:<br />
Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden gelten, ist jeglicher Waffenbesitz<br />
verboten. Zuwi<strong>der</strong>handelnde werden <strong>in</strong> Konzentrationslager übergeführt und auf die Dauer<br />
von 20 Jahren <strong>in</strong> Schutzhaft genommen.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 10. Nov. 1938
Gegen das Judentum<br />
S c h a r f e M a ß n a h m e n<br />
Unsere kulturellen Veranstaltungen für Juden gesperrt<br />
Berl<strong>in</strong> 12.Nov. Dr. Goebbels hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenschaft als Präsident <strong>der</strong> Reichskulturkammer<br />
mit sofortiger Wirkung allen Theaterleitern, Konzert- und Vortragsveranstaltern, Filmtheaterunternehmern,<br />
artistischen Unternehmern, Veranstaltern von Tanzvorführungen und Veranstaltern<br />
öffentlicher Ausstellungen kultureller Art untersagt, jüdischen Personen den Besuch<br />
ihrer Unternehmen zu gestatten.<br />
Übertretungen ziehen für die Veranstalter und beson<strong>der</strong>s für die Juden schwere Strafen nach<br />
sich. In se<strong>in</strong>er Anordnung verweist Reichsm<strong>in</strong>ister Dr. Goebbels darauf, daß <strong>der</strong> nationalsozialistische<br />
Staat den Juden seit nunmehr schon über fünf Jahren <strong>in</strong>nerhalb beson<strong>der</strong>er<br />
jüdischer Organisationen die Pflege ihres eigenen Kulturlebens ermöglicht habe. Damit<br />
besteht ke<strong>in</strong>e Veranlassung mehr, den Juden den Besuch <strong>der</strong> bezeichneten Veranstaltungen<br />
und Unternehmungen zu gestatten.<br />
Juden dürfen Sonnabend nicht auf die Straße<br />
104<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 12./13. Nov. 1938<br />
Aus <strong>der</strong> Erwägung heraus, daß die Juden an <strong>der</strong> Solidarität <strong>des</strong> deutschen Volkes ihren Anteil<br />
haben, hat <strong>der</strong> Chef <strong>der</strong> Sicherheitspolizei e<strong>in</strong>e Anordnung getroffen, die am<br />
29. November im Reichs- und Preußischen Staatsanzeiger veröffentlicht wurde. Die<br />
Veröffentlichung untersagt, Juden deutscher Staatsangehörigkeit und staatenlose Juden am<br />
„Tage <strong>der</strong> Nationalen Solidarität“ das Betreten von Straßen und Plätzen. Sie legt den<br />
genannten Personen die Verpflichtung auf, sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> von 12 bis 20 Uhr <strong>in</strong> ihren<br />
<strong>der</strong>zeitigen Wohnungen aufzuhalten. Die Verordnung enthält gleichfalls die Androhung von<br />
Strafmaßnahmen für den Fall <strong>der</strong> Zuwi<strong>der</strong>handlung.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 30. Nov. 1938<br />
Kraftfahrverbot für Juden<br />
Sofortige Entziehung <strong>der</strong> Führersche<strong>in</strong>e und Zulassungspapiere<br />
-Auszug -<br />
Berl<strong>in</strong> 5.12. Der Reichsführer SS und Chef <strong>der</strong> Deutschen Polizei im Reichsm<strong>in</strong>isterium <strong>des</strong><br />
Innern, He<strong>in</strong>rich Himmler, erläßt folgende vorläufige polizeiliche Anordnung über die Entziehung<br />
<strong>der</strong> Führersche<strong>in</strong>e und Zulassungspapiere für Kraftfahrzeuge von Juden:<br />
„Die feige Mordtat <strong>des</strong> Juden Grünspan, die sich gegen das gesamte deutsche Volk richtete,<br />
läßt Juden als unzuverlässig und ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ersche<strong>in</strong>en.<br />
Vorbehaltlich e<strong>in</strong>er endgültigen Regelung wird daher folgen<strong>des</strong> angeordnet:<br />
1. Aus allgeme<strong>in</strong>en sicherheitspolizeilichen Gründen und zum Schutze <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit<br />
untersage ich mit sofortiger Wirkung sämtlichen <strong>in</strong> Deutschland wohnenden Juden<br />
deutscher Staatsangehörigkeit das Führen von Kraftfahrzeugen aller Art und entziehe<br />
ihnen hiermit die Fahrerlaubnis.
2. Den <strong>in</strong> Deutschland wohnenden Juden deutscher Staatsangehörigkeit ist das Halten von<br />
Personenkraftwagen und –krafträ<strong>der</strong>n (mit o<strong>der</strong> ohne Beiwagen) verboten. Für<br />
Lastkraftfahrzeuge bleibt weitere Anordnung vorbehalten.<br />
3. Die <strong>in</strong> Deutschland wohnenden Juden deutscher Staatsangehörigkeit haben die<br />
Führersche<strong>in</strong>e aller Klassen sowie die Kraftfahrzeugsche<strong>in</strong>e für Personenkraftwagen und<br />
Krafträ<strong>der</strong> unverzüglich, spätestens bis zum 31. Dezember 1938, bei den zuständigen<br />
Polizeirevieren abzuliefern. Die amtlichen Kennzeichen s<strong>in</strong>d mit den Zulassungssche<strong>in</strong>en<br />
zur Entstempelung vorzulegen.<br />
4. Die zuständigen Polizei- und Verwaltungsbehörden haben das Erfor<strong>der</strong>liche zu<br />
veranlassen.<br />
5. Gegen Zuwi<strong>der</strong>handlungen wird nach den bestehenden Strafvorschriften e<strong>in</strong>geschritten...<br />
105<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 05. Dez.1938<br />
E<strong>in</strong>wohner Jüdischen Glaubens <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong> ab 1939<br />
...ist im E<strong>in</strong>wohnerbuch die jüdische Geme<strong>in</strong>de nicht mehr aufgeführt und auf dem<br />
Kastaniengraben die Nr. 16, also die Synagoge, ausgelassen. Es leben zu diesem <strong>Zeit</strong>raum<br />
noch 59 jüdische E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt.<br />
Die männlichen Mitglie<strong>der</strong> haben den Vornamen Israel, die weiblichen Mitglie<strong>der</strong> Sarah<br />
h<strong>in</strong>zusetzen müssen.<br />
1968 im Februar starb Harry Lesser <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> im Rosa-Thälmann-Heim (78jährig), früher<br />
Expedient. Er war me<strong>in</strong>es Wissens jüdischen Geblüts und wohl nur <strong>des</strong>halb den Schrecken<br />
<strong>des</strong> Naziregimes entkommen, weil er zum christlichen Glauben übergetreten war. Er wurde<br />
mit kirchlichem Geleit <strong>der</strong> evangelischen Kirche beerdigt.<br />
23.3.1942 Das Son<strong>der</strong>gericht für den Bezirk <strong>des</strong> Oberlan<strong>des</strong>gerichts Nürnberg fällt das Urteil<br />
gegen Irene Seiler und Israel Katzenberger.<br />
Irene Seiler, geb. Schefter, am 26.4.1910 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren, besuchte das Lyzeum und die<br />
Realschule bis zur Unterprima. 1932 zog sie nach Nürnberg, wo sie am 1.1.1938 das<br />
Photogeschäft <strong>der</strong><br />
Schwester übernahm.<br />
Israel Lehmann Katzenberger wurde 1873 geboren. Bis 1938 besaß er e<strong>in</strong> Schuhgeschäft <strong>in</strong><br />
Nürnberg und leitete gleichzeitig den Vorstand <strong>der</strong> Jüdischen Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Nürnberg.<br />
Bei dem Prozeß von 1942 wurde ihnen die Verletzung <strong>des</strong> Gesetzes „zum Schutze <strong>des</strong><br />
deutschen Blutes und <strong>der</strong> deutschen Ehre“ angelastet, obwohl ihnen ke<strong>in</strong> außerehelicher<br />
Verkehr nachgewiesen werden konnte.<br />
Israel Lehmann Katzenberger wurde zum Tode verurteilt. Irene Seiler verurteilte man wegen<br />
„Me<strong>in</strong>eids“ zu zwei Jahren Zuchthaus.<br />
Der Faschismus för<strong>der</strong>te die Auswan<strong>der</strong>ung jüdischer Bürger. Viele verkauften ihren Besitz<br />
und verließen Deutschland angesichts <strong>der</strong> Gefahr. Aus <strong>Guben</strong> wan<strong>der</strong>ten zum Beispiel aus:<br />
Ludwig und Emanuel Meyer (Besitzer <strong>der</strong> Le<strong>der</strong>fabrik Grunewal<strong>der</strong> Straße),<br />
Dr. Alexan<strong>der</strong> Lew<strong>in</strong> (Generaldirektor <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er-Hutfabrik),<br />
Dr. Alfred Glücksmann (bis 1924 Oberbürgermeister <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>, danach Direktor e<strong>in</strong>er Bank<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>)<br />
Dr. Fritz Salomon (Rechtsanwalt und Notar),<br />
Walter Lißner (Kaufmann),
Julius Cohn (Inhaber <strong>des</strong> Konfektionshauses Wolff-Krimmer, Nachfahre) und<br />
Dr. Paul Cohn (praktizieren<strong>der</strong> Arzt).<br />
Mart<strong>in</strong> und Ellen Rosenthal waren Besitzer <strong>der</strong> Hutfabrik Ste<strong>in</strong>ke (nach 1945 - kommunale<br />
Berufsschule, Albert-Schweitzer-Schule, Lehrl<strong>in</strong>gswohnheim <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bahnhofsstraße - heute<br />
Geme<strong>in</strong>nütziger Berufsbildungsvere<strong>in</strong> <strong>Guben</strong> e.V.) und Eigentümer <strong>der</strong> Fabrik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mittelstraße<br />
(ehemals Polytechnisches Zentrum – heute Fabrik e.V. 2 ) sowie e<strong>in</strong>er Strohhutfabrik <strong>in</strong><br />
Dresden. 1937 verkauften sie ihre Betriebe (Hutfabrik Ste<strong>in</strong>ke wurde von <strong>der</strong> BGH<br />
aufgekauft) und emigrierten nach Holland. Nach <strong>der</strong> faschistischen Besetzung Hollands<br />
wurden sie verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dort vergast. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> Rosenthals,<br />
Dr. Herbert Rosenthal und Grete Haas, emigrierten <strong>in</strong> die USA bzw. nach England. Im<br />
Betrieb von Mart<strong>in</strong> Rosenthal waren auch jüdische Bürger beschäftigt (z.B. Georg Pelz, Max<br />
Cohn-Bloch, He<strong>in</strong>rich Reich, Rita London, Ilse Katzky, Referendar Heilborn).<br />
Die Familie Pelz konnte nach Amsterdam emigrieren und überlebte somit den Faschismus.<br />
Max Cohn-Bloch emigrierte ebenfalls nach Amsterdam und gründete dort e<strong>in</strong>e Familie.<br />
Jedoch wurde er von den Faschisten nach Auschwitz verschleppt und starb dort an <strong>der</strong> Ruhr<br />
(laut Aussage von Rudi Cheim, <strong>der</strong> auch <strong>in</strong> Auschwitz war und nach <strong>der</strong> Zerschlagung <strong>des</strong><br />
Faschismus nach <strong>Guben</strong> zurückkehrte).<br />
He<strong>in</strong>rich Reich emigrierte nach den USA, heiratete dort und lebt jetzt <strong>in</strong> Boston.<br />
Rita London (ihr Vater betrieb e<strong>in</strong> Wirtschaftswarengeschäft) verließ über die jüdische<br />
Hilfsorganisation <strong>Guben</strong> und begann <strong>in</strong> Australien e<strong>in</strong> neues Leben. Die Schwester<br />
wan<strong>der</strong>te mit ihrem Verlobten nach Paläst<strong>in</strong>a aus.<br />
Von 217 Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> jüdischen Geme<strong>in</strong>de (1932/33) lebten 1938 noch 60 vorwiegend<br />
Ältere <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>, u.a. Dr. Kurt Berent, Dr. Denny Kaplan, Sigismund Frühl<strong>in</strong>g, Ilse Katzky,<br />
Abraham Stempel und Alfred Mendelssohn. Von diesen 60 waren 23 Frauen und 37 Männer.<br />
Ernst London besaß e<strong>in</strong> Wirtschaftswarengeschäft.<br />
Kurt Levy, geb.1898 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>, war später Rechtsanwalt am Kammergericht <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. 1938<br />
wurde er nach Sachsenhausen verschleppt. Nach se<strong>in</strong>er Freilassung war er Dezernent bei <strong>der</strong><br />
Reichsvere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Juden <strong>in</strong> Deutschland und später <strong>der</strong>en letzter Vorsitzen<strong>der</strong>. 1943<br />
mußte er mit se<strong>in</strong>er Familie <strong>in</strong>s Ghetto nach Theresienstadt und wurde 1944 <strong>in</strong> Auschwitz<br />
umgebracht.<br />
In Ghettos nach Warschau und an<strong>der</strong>en polnischen Städten gebracht und ermordet wurden<br />
aus <strong>Guben</strong> u.a. Hedwig Katzky ( Mutter von Ilse Fraenkel, geb. Katzky), Sigismund Frühl<strong>in</strong>g<br />
(letzter Vorstand <strong>der</strong> jüdischen Synagogengeme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>), Gustav Marcus (ehemaliger<br />
Justizrat und Stadtrat). 1945 hatten (<strong>in</strong> Deutschland, Red.) <strong>in</strong>sgesamt nur ca.15000 Juden<br />
überlebt.<br />
106<br />
Quelle: Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten Schnei<strong>der</strong>;<br />
wissenschaftlich- praktische Arbeit/<br />
Projektarbeit, EOS „Pestalozzi“ <strong>Guben</strong><br />
1989/90<br />
2 Anm. d. Red.: Fabrik e.V. mit dem ursprünglichen Gebäude wurde 2004 abgerissen und wie<strong>der</strong> neu aufgebaut.
Wegweiser durch das jüdische Brandenburg<br />
von I. Diekmann / H.J. Schoeps<br />
EDITION HENTRICH<br />
-Auszug-<br />
…E<strong>in</strong> ständiger Begleiter <strong>der</strong> meisten jüdischen Deutschen seit Ausbruch <strong>des</strong> Krieges war <strong>der</strong><br />
Hunger. Sie erhielten niedrigere Lebensmittelrationen als die Reichsbürger. Der<br />
Normalverbraucher erhielt wöchentlich folgende Lebensmittelrationen <strong>in</strong> Gramm.<br />
Jahr Brot Fleisch Fett<br />
Ende September 1939 2.400 500 270<br />
Mitte April 1942 2.000 300 206<br />
Anfang Juni 1943 2.325 250 218<br />
Ende Oktober 1944 2.225 250 218<br />
Mitte März 1945 1.778 222 109<br />
Die Lebensmittelernährungsämter beschnitten diese Rationen noch, wenn die Empfänger<br />
Juden waren. Schon Ende 1939 und Anfang <strong>1940</strong> wurden die Rationen für Juden gekürzt o<strong>der</strong><br />
gänzlich gestrichen. Für die Zuteilungsperiode vom 18. Dezember 1939 bis 14. Januar <strong>1940</strong><br />
erhielten die Juden weniger Fleisch und Butter, ke<strong>in</strong> Kakaopulver und ke<strong>in</strong>en Reis. Für die<br />
Zuteilungsperiode vom 15. Januar <strong>1940</strong> bis 4. Februar <strong>1940</strong> wurde für Juden die Belieferung<br />
mit Fleisch und Gemüse gekürzt. So g<strong>in</strong>g es von e<strong>in</strong>er Zuteilungsperiode zur nächsten. Die<br />
M<strong>in</strong>isterialbürokratie hatte den Hunger durch ihre Anordnungen hervorgerufen, im Verlaufe<br />
<strong>des</strong> Krieges verschärfte sie ihre Anordnungen und den Hunger 18 . Die Juden erhielten auch<br />
ke<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>zuteilungen, wie sie aus bestimmten Anlässen an alle Versorgungsberechtigten<br />
verteilt wurden…<br />
18 ebenda, Bd. 1, S. 158 ff.<br />
107<br />
Quelle: Jutta Rückert / Otto Rückert<br />
Literatur: Wolbe, Eugen:<br />
„Geschichte <strong>der</strong> Juden <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong>“<br />
und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mark Brandenburg“<br />
Berl<strong>in</strong> 1937
Das Judentum<br />
Judenverfolgung<br />
Blick zur Kapelle <strong>der</strong> evangelischen<br />
Kirchengeme<strong>in</strong>de, dem Leichenhaus <strong>des</strong> jüdischen<br />
Friedhofs.<br />
(Foto: H.J. Bergmann, <strong>Guben</strong> 1999)<br />
108
Historisches<br />
Seit frühester <strong>Zeit</strong> hat es <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> jüdische E<strong>in</strong>wohner gegeben. In e<strong>in</strong>er am<br />
13. Oktober 1319 von Herzog Rudolf I. von Sachsen ausgestellter Urkunde wurde die<br />
rechtliche Gleichstellung <strong>der</strong> Juden mit den an<strong>der</strong>en Bewohnern bestätigt.<br />
Die stetige Entwicklung <strong>Guben</strong>s ließ auch <strong>in</strong> den folgenden Jahrhun<strong>der</strong>ten Bürger jüdischen<br />
Glaubens <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neißestadt seßhaft werden.<br />
Im Kreis <strong>Guben</strong> erhöhte sich die Anzahl <strong>der</strong> Juden von 19 (1818) auf 172 (1859) und 202<br />
(1933) - hier schwanken die Angaben zwischen 202 und 273 Geme<strong>in</strong>demitglie<strong>der</strong>.<br />
Die Volkszählung vom 17. Mai 1938 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> erfaßt noch 98 Juden (Erwachsene), im<br />
E<strong>in</strong>wohnerbuch von 1939 werden 60 Juden extra ausgewiesen.<br />
Zur Geschichte <strong>der</strong> Jüdischen Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
109<br />
Quelle: Gernod Arlt<br />
Anfang <strong>der</strong> 30er Jahre dieses Jahrhun<strong>der</strong>ts zählte die Jüdische Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
217 Mitglie<strong>der</strong>. Das s<strong>in</strong>d 0,48 % <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wohnerzahl <strong>der</strong> Stadt. In dieser <strong>Zeit</strong> war Julius Cohn<br />
erster Vorsitzen<strong>der</strong>, zweiter Vorsitzen<strong>der</strong> war Willi Hirsch und dritter Vorsitzen<strong>der</strong> war<br />
Mart<strong>in</strong> Leyser. Alle drei waren von Beruf Kaufmann.<br />
Siegfried W<strong>in</strong>terberg war Prediger und Lehrer an <strong>der</strong> Religionsschule.<br />
Die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Synagogengeme<strong>in</strong>de gehörten verschiedenen jüdischen Vere<strong>in</strong>en an. Zu<br />
denen wäre da <strong>der</strong> „Centralvere<strong>in</strong> deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ (Durchsetzung<br />
<strong>der</strong> bürgerlichen Gleichberechtigung <strong>der</strong> jüdischen Bürger, Abwehr antisemitischer Angriffe).<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> war <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>er Dr. Paul Cohn.<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>des</strong> Jüdischen Jugendverban<strong>des</strong> war Klaus Gall<strong>in</strong>ski. Des Weiteren gab es den<br />
Jüdischen Frauenvere<strong>in</strong>, <strong>der</strong> ca. 40 Mitglie<strong>der</strong> zählte und von <strong>der</strong> Witwe Hulda Kayser,<br />
geb. Bernste<strong>in</strong>, geleitet wurde.<br />
Jüdischen Durchwan<strong>der</strong>ern Unterkunft und materielle Hilfe zu gewähren, war die Aufgabe<br />
<strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>fürsorge.<br />
In <strong>Guben</strong> gehörte die Mehrzahl <strong>der</strong> jüdischen Bevölkerung dem Kle<strong>in</strong>bürgertum an.<br />
Vorwiegend waren es Haushaltvorstände, Inhaber kle<strong>in</strong>er Geschäfte <strong>in</strong> den verschiedenen<br />
Branchen. Es sei aber gesagt, dass e<strong>in</strong>e verhältnismäßig hohe Anzahl <strong>der</strong> Intelligenz<br />
angehörte.<br />
Genannt seien hier nur die geachteten Mediz<strong>in</strong>er Dr. Paul Cohn, Dr. Ernst Kaplan, Dr. Kurt<br />
Berent und Dr. Siegfried Goldschmidt, die Zahnärzte Dr. Alfred Lichtwitz und Dr. Paul<br />
Lip<strong>in</strong>ski o<strong>der</strong> die Juristen Dr. Friedrich Weiß (Landgerichtsdirektor) und Fritz Salomon<br />
(Rechtsanwalt und Notar).<br />
Dr. jur. Alexan<strong>der</strong> Lew<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Vertreter <strong>der</strong> Bourgeoisie, war seit 1914 Vorstandsmitglied und<br />
seit 1920 Generaldirektor <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik (BGH). Die Synagoge war das<br />
religiöse Zentrum <strong>der</strong> Jüdischen Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt.
Auch <strong>Guben</strong> blieb unter <strong>der</strong> Naziherrschaft nicht unangetastet. Am 1. April 1933 bezogen<br />
SA-Männer Posten vor den jüdischen Geschäften <strong>der</strong> Stadt. Sie sollten e<strong>in</strong>en Aufruf <strong>der</strong> Nazi-<br />
Führung durchsetzen.<br />
Jüdische Organisationen <strong>der</strong> Stadt mussten e<strong>in</strong>e Mitglie<strong>der</strong>liste bei <strong>der</strong> Polizei e<strong>in</strong>reichen. So<br />
hatten sich die Nazis weitere Voraussetzungen für die Verfolgung <strong>der</strong> jüdischen Bevölkerung<br />
geschaffen.<br />
1938 wurde e<strong>in</strong>e Vielzahl von Verordnungen erlassen, die die Rechte <strong>der</strong> jüdischen Bürger<br />
weiter e<strong>in</strong>schränkte. In <strong>der</strong> Pogromnacht im November 1938 wurden ihre Geschäfte<br />
geplün<strong>der</strong>t und zerstört, die Synagoge <strong>in</strong> Brand gesteckt. Es gab Massenverhaftungen, viele<br />
Verletzte und Tote.<br />
Die <strong>Guben</strong>er Judengasse<br />
110<br />
Quelle: Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten Schnei<strong>der</strong>;<br />
wissenschaftlich-praktische<br />
Arbeit/ Projektarbeit EOS<br />
„Pestalozzi“<br />
<strong>Guben</strong> 1989/90<br />
Es gibt ke<strong>in</strong>e klare Aussage, wo sich die Judengasse befand. Vermutlich war es die zwischen<br />
Königsstraße 18 und 19 zur Tempelstraße und Wer<strong>der</strong>mauer führende Hussitengasse, wobei<br />
nach dem Namen eher anzunehmen wäre, dass es die Tempelstraße war. Erich Müller<br />
h<strong>in</strong>gegen sagt: „Me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung nach konnte ich vor 1939 anhand <strong>der</strong> Stadtbücher<br />
nachweisen, dass die Judengasse die Gasse war, die die Stadtschmiedstraße mit dem<br />
L<strong>in</strong>dengraben verband und 1938 Wallgasse hieß“<br />
Der Name „Judengasse“ ist schon im 15. Jahrhun<strong>der</strong>t e<strong>in</strong> historischer geworden. Das ist<br />
daraus ersichtlich, dass dort ke<strong>in</strong>eswegs nur Juden wohnten, also ke<strong>in</strong>e Art von Ghetto war.<br />
1483 nämlich wird das Haus <strong>der</strong> Konventfrauen, gelegen neben Joh. Gub<strong>in</strong>chers und unweit<br />
Hans Colos’ Hause, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Judengasse erwähnt.<br />
Der Jüdische Friedhof und die Synagoge<br />
Quelle: Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten Schnei<strong>der</strong>,<br />
wissenschaftlich-praktische<br />
Arbeit/Projektarbeit EOS<br />
„Pestalozzi“, <strong>Guben</strong> 1989/90<br />
In <strong>der</strong> jüdischen Religion werden Friedhöfe als „Der Gute Ort“ bezeichnet. Der <strong>Guben</strong>er<br />
Friedhof bef<strong>in</strong>det sich auf dem Reichenbacher Berg und lag bei <strong>der</strong> Gründung außerhalb <strong>des</strong><br />
historischen Stadtkerns.<br />
1449 „Judenfriedhof bei Benisch Bierkows Garten, daneben e<strong>in</strong> wüster Fleck, <strong>der</strong> 1449 an<br />
Casp. Walwitz gegeben wurde, wohl auf e<strong>in</strong>er Höhe.“ (2)<br />
1842 sichert die jüdische Geme<strong>in</strong>de demjenigen e<strong>in</strong>e Belohnung von 5 Talern zu, <strong>der</strong> die<br />
Täter, die schon mehrmals den Gottesacker auf dem Reichenbacher Berge gewaltsam<br />
erbrochen haben, so angibt, dass sie gerichtlich belangt werden können. (Wochenblatt)
1837 wurde die Synagoge erbaut. Sie befand sich auf dem heute polnischen Teil <strong>der</strong> Stadt.<br />
1839 wurde <strong>der</strong> Friedhof (sog. Judenhebbel) angelegt. Er umfasst e<strong>in</strong>e Fläche von 0,4 ha, und<br />
seit 1911 bef<strong>in</strong>det sich dort e<strong>in</strong>e Leichenkapelle mit Friedhofswärterwohnung. Auf dem<br />
Friedhof s<strong>in</strong>d über 100 Grabstätten erhalten, darunter ist e<strong>in</strong> Denkmal für 6 Gefallene <strong>des</strong><br />
1. Weltkriegs.<br />
Die rechte Seite vom Haupte<strong>in</strong>gang umfasst Gräber aus <strong>der</strong> 2. Hälfte <strong>des</strong> 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />
Auf <strong>der</strong> l<strong>in</strong>ken Seite fanden Beerdigungen nach 1900 statt. Die Grabste<strong>in</strong>e erzählen die<br />
Geschichte von <strong>Guben</strong>er Kaufleuten, Juristen und Ärzten. Durch verblassende Namen und<br />
Schriftzeichen ist lei<strong>der</strong> Vieles <strong>in</strong> Vergessenheit geraten.<br />
1878: „Als im August 1878 die jüdischen Geme<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>e neue Synagoge baute, wurden die<br />
Turnstunden (<strong>des</strong> Männer-Turn-Vere<strong>in</strong>s) auf e<strong>in</strong>ige <strong>Zeit</strong> <strong>in</strong> das <strong>der</strong>zeitige Vere<strong>in</strong>slokal<br />
Zeschke (Reichshalle) verlegt, während <strong>in</strong> <strong>der</strong> Turnhalle die jüdischen Gottesdienste<br />
abgehalten wurden. Der Vere<strong>in</strong> erhielt dafür e<strong>in</strong>e Entschädigung von 31,50 M.“ (2)<br />
In <strong>der</strong> „Kristallnacht“ wurde die <strong>Guben</strong>er Synagoge, wie so viele an<strong>der</strong>e, <strong>in</strong> Brand gesteckt<br />
und zerstört und <strong>der</strong> Friedhof geschändet.<br />
„Der jungen verpflichteten Soldaten <strong>der</strong> neuen <strong>Guben</strong>er Militärgarnison zogen am Morgen<br />
<strong>des</strong> 10. November 1938 durch die Straßen ihrer neuen Garnisonsstadt, vorbei an den<br />
ausgeplün<strong>der</strong>ten und zerstörten jüdischen Geschäften, die von den SA-Terrortrupps (wie <strong>in</strong><br />
ganz Deutschland) <strong>in</strong> <strong>der</strong> vorausgegangenen Nacht heimgesucht worden waren. Das jüdische<br />
Gottes- und Schulhaus, die <strong>Guben</strong>er Synagoge, brannte, angesteckt von den faschistischen<br />
Horden, zwei Tage und zwei Nächte, und die ausgezogenen SA-Wachen verweigerten <strong>der</strong><br />
Feuerwehr 48 Stunden lang die Löscharbeiten.“ (5)<br />
In <strong>Guben</strong> existiert ke<strong>in</strong>e jüdische Geme<strong>in</strong>de mehr. Anfang <strong>der</strong> 40er Jahre wurde <strong>der</strong> Friedhof<br />
vom Ehepaar Strauß gepflegt. Nachdem diese die Wohnung verlassen hatten, war <strong>der</strong><br />
Friedhof lange ohne Aufsicht.<br />
Anfang <strong>der</strong> 50er Jahre übergab <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>verband <strong>der</strong> jüdischen Geme<strong>in</strong>den das Grundstück<br />
mit Verwalterwohnung an die evangelische Kirchengeme<strong>in</strong>de <strong>Guben</strong> zu dauern<strong>der</strong> Nutzung.<br />
Am 17.06.1951 fand <strong>der</strong> erste evangelische Gottesdienst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begräbniskapelle statt,<br />
nachdem sie <strong>in</strong>stand gesetzt und zum Gottesdienstraum ausgestaltet wurde.<br />
1930 ist im <strong>Guben</strong>er E<strong>in</strong>wohnerbuch die Synagoge, am Kastaniengraben 16 bef<strong>in</strong>dlich,<br />
e<strong>in</strong>getragen. Prediger war W<strong>in</strong>terberg, wohnhaft Pf<strong>in</strong>gstberg 26. Der Synagogendiener war<br />
Abraham Tock, <strong>der</strong> auch Kastaniengraben 16 (Synagoge) wohnte.<br />
<strong>1936</strong> ist Dr. Voss Prediger und wohnt, als Lehrer bezeichnet, Königstraße 68 (Besitzer<br />
J. Cohn).<br />
Geachtete Bürger<br />
111<br />
Quelle: siehe. „Geachtete Bürger“<br />
Die Entwicklung <strong>Guben</strong>s mit ihrer bedeutenden Tuch- und Hut<strong>in</strong>dustrie verdankte sie auch<br />
dem jüdischen Unternehmergeist – davon sieben Fabrikanten.<br />
Aber auch an<strong>der</strong>e Berufsgruppen ließen sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neißestadt nie<strong>der</strong>. Vertreter <strong>der</strong><br />
Fabrikanten waren Hermann Lew<strong>in</strong> (gest. 1920) als Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>–<strong>Guben</strong>er<br />
Hutfabrik (Uferstraße) und als Generaldirektor <strong>des</strong>sen Neffe Dr. jur. Alexan<strong>der</strong> Lew<strong>in</strong>, Mart<strong>in</strong><br />
Rosenthal als Unternehmer <strong>der</strong> Hutfabrik Ste<strong>in</strong>ke (Bahnhofsstraße), Berthold Lißner, Direktor<br />
<strong>der</strong> Hutfabrik an <strong>der</strong> Egelneiße, später Vorstandsmitglied <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>–<strong>Guben</strong>er Hutfabrik, <strong>in</strong>
das se<strong>in</strong> Unternehmen aufg<strong>in</strong>g, Emil Brecht, Mit<strong>in</strong>haber <strong>der</strong> Hutfabrik „Brecht und Fugmann“<br />
(Kurmärkische Straße 18), Arthur Engel, Teilhaber <strong>der</strong> Tuchfabrik „Lehmann und Richter“<br />
(Alte Poststraße), William Reißner, Direktor <strong>der</strong> Tuchfabrik „Reißner, Wohl & Co GmbH“<br />
(Alte Poststraße).<br />
Weiterh<strong>in</strong> bekannte Fabrikanten waren Mart<strong>in</strong> Stern, Direktor <strong>der</strong> „Nie<strong>der</strong>lausitzer<br />
Mühlenwerke Stern & Co Aktiengesellschaft“ (Mittelstraße), Ludwig Meyer, Direktor <strong>der</strong><br />
Le<strong>der</strong>fabrik (Grunewald).<br />
Julius Cohn war Inhaber <strong>des</strong> führenden Textilkaufhauses „Wolff Krimmer Nachf.“<br />
(Herrenstraße 1), Hugo Kronheim führte e<strong>in</strong> Hutgeschäft (Herrenstraße 7), Söhne <strong>des</strong><br />
Hermann Meier besaßen e<strong>in</strong> Konfektionsgeschäft (Herrenstraße 37).<br />
Weiterh<strong>in</strong> gab es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neißestadt die Kaufleute Paul Levy (Berl<strong>in</strong>er Straße 1), Wilhelm Just<br />
(Bahnhofsstraße 35 a), Ernst London (Königstraße 64), Max Werblowsky (Straupitzstraße 2).<br />
Auch hatte <strong>Guben</strong> fünf Ärzte: Dr. Kurt Berent, Dr. Paul Cohn, Dr. Siegfried Goldschmidt,<br />
Dr. Ernst Kaplan und Dr. Josef Smoira sowie die beiden Zahnärzte Dr. Alfred Lichtwitz und<br />
Dr. Paul Sig<strong>in</strong>ski.<br />
Weitere bedeutende und bekannte Juden waren unter an<strong>der</strong>em: Justizrat Gustav Marens,<br />
Rechtsanwalt Walter Hesse sowie <strong>der</strong> Fotograf Herbert Rosenthal (Grüne Wiese 5).<br />
Über die Grenzen <strong>der</strong> Neißestadt h<strong>in</strong>aus dürfte <strong>der</strong> ehemalige Oberbürgermeister (1912-1924)<br />
<strong>Guben</strong>s, Dr. Alfred Glücksmann, bekannt gewesen se<strong>in</strong>.<br />
Quellen: „Nachbarn von e<strong>in</strong>st“, Andreas Peter –<br />
Ausstellungskatalog 1999<br />
„Wegweser durch das jüdische Brandenburg“ –<br />
Irene Dickmann und Julius Schoeps, Edition<br />
Hentrich 1995<br />
<strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1998<br />
<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung<br />
Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten Schnei<strong>der</strong>,<br />
wissenschaftlich-praktische Arbeit/Projektarbeit<br />
EOS „Pestalozzi“ <strong>Guben</strong> 1989/90<br />
Schicksale <strong>Guben</strong>er Juden <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>des</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong><br />
Dr. Alfred Glücksmann<br />
Er war seit 1912 Oberbürgermeister <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>, wurde aber 1924 nicht wie<strong>der</strong>gewählt. Wie<br />
erzählt wurde, geschah dies nicht aus rassistischen Gründen, son<strong>der</strong>n weil die<br />
Stadtverordneten den sich zu sehr als Autokraten gebärenden Demokraten nicht mehr länger<br />
ertragen wollten. Trotzdem erkannten sie se<strong>in</strong>e Leistungen an (z.B. Bau <strong>der</strong> Neißebrücke,<br />
Umgestaltung <strong>der</strong> Stadtmühle zum Stadthaus). Er verließ <strong>Guben</strong> und wurde (<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>?)<br />
Direktor e<strong>in</strong>er Bank.<br />
Se<strong>in</strong>e Frau Frieda war die Schwester <strong>des</strong> jüdischen Nobelpreisträgers Fritz Huber, <strong>der</strong> 1934<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz starb. Glücksmann emigrierte mit se<strong>in</strong>er Familie nach Israel. Nach 1945 kehrte<br />
er nach Westdeutschland zurück, schrieb und veröffentlichte Er<strong>in</strong>nerungen. 1960 (?) starb er<br />
<strong>in</strong> Heidelberg, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> damals auch <strong>Guben</strong>s ehemaliger Nazioberbürgermeister<br />
Erich Schmiedicke lebte.<br />
Glücksmann hatte 4 K<strong>in</strong><strong>der</strong>:<br />
Hilde, die am <strong>Guben</strong>er Gymnasium ihr Abitur gemacht hatte, wurde mit ihrem Mann und<br />
zwei Jungen Opfer <strong>des</strong> Faschismus.<br />
Arnold, 1946 Ingenieur <strong>in</strong> Mailand.<br />
112
Dr. Anselm, war Jurist (?) an <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Humboldt-Universität. Er war nicht nach<br />
Paläst<strong>in</strong>a ausgewan<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n nach Mittelamerika emigriert. Als <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> 1964 e<strong>in</strong><br />
Amerikaner e<strong>in</strong>en politischen Vortrag hielt, fungierte er als Dolmetscher für Spanisch.<br />
Heidi, heiratete <strong>in</strong> Israel (Jerusalem)<br />
Die letzten Angaben machte Anselm, als er 1964 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> war.<br />
Dr. Alfred Lichtwitz<br />
Er arbeitete als Zahnarzt und wohnte L<strong>in</strong>dengraben 18. Se<strong>in</strong>e Tochter ist noch rechtzeitig<br />
ausgewan<strong>der</strong>t.1964 lebte sie <strong>in</strong> Israel, wo sie von Dr. Sigrid Turm besucht wurde.<br />
Meyer<br />
Die zwei Brü<strong>der</strong> Ludwig und Emanuel wohnten ursprünglich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grunewal<strong>der</strong> Straße.<br />
Sie g<strong>in</strong>gen nach England, wo Emanuel gestorben ist. 1968 unterstützte Ludwig noch e<strong>in</strong>e Frau<br />
Walter, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie Hausangestellte gewesen war.<br />
Dr. Fritz Salomon<br />
Der Rechtsanwalt und Notar flüchtete mit se<strong>in</strong>er Familie nach England. Die e<strong>in</strong>e Tochter,<br />
Ilse, soll Opfer <strong>der</strong> Faschisten geworden se<strong>in</strong>. Die an<strong>der</strong>e Tochter hat wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong><br />
Dänemark überlebt.<br />
Walter Hesse<br />
Der Rechtsanwalt und Notar soll ebenfalls England als Zuflucht gewählt haben.<br />
Marcus<br />
Er war auch Rechtsanwalt und Notar. Viele Jahre h<strong>in</strong>durch arbeitete er als Stadtrat und se<strong>in</strong>e<br />
Arbeit war geschätzt. Er wurde gesehen, als er von den Nazis mit e<strong>in</strong>em Lastauto aus <strong>Guben</strong><br />
weggebracht wurde. Man transportierte ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong> KZ, wo er umkam.<br />
Fritz Weiß<br />
Er war Lan<strong>des</strong>gerichtsdirektor. Er starb 1932. Es steht aber nicht e<strong>in</strong>deutig fest, ob er e<strong>in</strong>es<br />
natürlichen To<strong>des</strong> starb o<strong>der</strong> sich das Leben nahm.<br />
Herbert Rosenthal<br />
Er war mehrfach prämiert worden. Das Schicksal se<strong>in</strong>es Sohnes ist unbekannt. Se<strong>in</strong>e Tochter<br />
war mit e<strong>in</strong>em Philologen verheiratet, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Stelle verlor. Nach 1945 wurde er <strong>in</strong><br />
Heidelberg Dozent mit Professorentitel. Herbert Rosenthal nahm sich das Leben.<br />
Kurt Berent<br />
Dr. med. Kurt Berent war Hautarzt und wohnte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gartenstraße 8. Wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
verübte er Selbstmord. Se<strong>in</strong>e Frau Emma, die die Tochter <strong>des</strong> Apfelwe<strong>in</strong>produzenten<br />
Poetko war, lebte 1945 <strong>in</strong> Schweden. Ihr Sohn folgte ihr dorth<strong>in</strong>.<br />
Berthold Lißner<br />
Er war erst Hutbesitzer <strong>in</strong> <strong>der</strong> W<strong>in</strong>kelstraße Nr. 3. Nach <strong>der</strong> Fusion mit <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er<br />
Hutfabrik war er Direktor. Er hatte 3 Söhne. Gestorben ist er am 24.6.1928.<br />
He<strong>in</strong>z soll als Kriegsfreiwilliger im 1. Weltkrieg gefallen se<strong>in</strong>.<br />
Walter war Kaufmann. Er war mit e<strong>in</strong>er Tochter <strong>des</strong> Seifenfabrikanten Ziesche verheiratet<br />
und emigrierte ohne sie nach Südamerika. 1954 hielt er sich <strong>in</strong> o<strong>der</strong> bei Krefeld auf,<br />
wahrsche<strong>in</strong>lich als Angestellter <strong>des</strong> <strong>Guben</strong>er Hutfabrikanten Julius Pillmayer. E<strong>in</strong>ige Jahre<br />
darauf verstarb er.<br />
Helmut soll vergast worden se<strong>in</strong>. Mehr ist nicht bekannt.<br />
113
Berthold Lißner gehörte das Gebäude Alte Poststraße 32, das später von <strong>der</strong> SED-Kreisleitung<br />
genutzt wurde. Nach dem Tode <strong>des</strong> Vaters bewohnten es die Söhne.<br />
Ulrich Eichholz<br />
Er, <strong>der</strong> als Kreissyndikus (Beamter) gearbeitet hatte, musste aus dem Dienste scheiden, weil<br />
er e<strong>in</strong>e jüdische englische Mutter hatte. Er wurde <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> Versicherungsvertreter, war nach<br />
1945 Landrat <strong>in</strong> Cottbus und wurde schließlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e höhere Stelle bei <strong>der</strong> Regierung<br />
berufen. Später verließ er die DDR und stieg <strong>in</strong> <strong>der</strong> BRD zum M<strong>in</strong>isterialdirigenten auf. Er<br />
erhielt hohe Orden und lebte 1968 außer Dienst <strong>in</strong> Freiburg.<br />
Kurt Pekel<br />
Er war Justizsekretär. Weil er mit <strong>der</strong> Jüd<strong>in</strong> Martha Michaelis verheiratet war, wurde er <strong>in</strong> den<br />
Ruhestand versetzt.<br />
Se<strong>in</strong> Sohn Walter wurde aus dem Heer als „wehrdienstunwürdig“ entlassen. Er nahm 1945<br />
se<strong>in</strong>e Tätigkeit als Kaufmann bei <strong>der</strong> Konsumgenossenschaft wie<strong>der</strong> auf und lebte 1968 als<br />
Rentner <strong>in</strong> Cottbus.<br />
Se<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> bis 1939 Leihbibliothekar war, durfte bei <strong>der</strong> kämpfenden Truppe bleiben<br />
und lebte 1968 als Buchhändler und Antiquar <strong>in</strong> Köln.<br />
Helmut Fleischel<br />
Er war Sohn <strong>des</strong> (erbl<strong>in</strong>deten) Rittmeisters a.D. und Gutsbesitzers von Schönaich. 1933 trat er<br />
<strong>der</strong> SS bei. Er wurde aber ausgeschlossen und für „wehrdienstunwürdig“ erklärt, weil er e<strong>in</strong>e<br />
jüdische Großmutter hatte. Nach 1945 wurde er <strong>in</strong> Hamburg zu e<strong>in</strong>er Zuchthausstrafe<br />
verurteilt, weil bei ihm e<strong>in</strong> Revolver gefunden wurde. Er bekam e<strong>in</strong>e Anstellung beim<br />
Thomas-Phosphat-Verband, bei dem er noch 1968 tätig war. Er heiratete, wurde Vater von<br />
2 Söhnen. 1968 erhielt er e<strong>in</strong>e Wohnung <strong>in</strong> Baumberg, Bezirk Düsseldorf.<br />
Elisabeth Faeber<br />
1968 wohnte sie <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rosa-Luxemburg-Straße. Nach 1945 war sie Sekretär<strong>in</strong> beim<br />
Oberbürgermeister Schwarz. Sie soll mit e<strong>in</strong>em Juden verheiratet gewesen se<strong>in</strong>. Se<strong>in</strong><br />
Schicksal ist unbekannt. Ihr Sohn starb bei e<strong>in</strong>em Unfall.<br />
Dr. Kohn-Cote<br />
Er emigrierte nach Südafrika. Se<strong>in</strong>e Frau, Tochter und se<strong>in</strong> Schwiegersohn He<strong>in</strong>z Engel<br />
begleiteten ihn.<br />
Aus dem Leben <strong>der</strong> Familie Dr. Glücksmann<br />
114<br />
Quelle: Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten Schnei<strong>der</strong>,<br />
wissenschaftliche Arbeit/<br />
Projektarbeit EOS „Pestalozzi“<br />
<strong>Guben</strong> 1989/90<br />
Dr. Alfred Glücksmann wurde 1875 <strong>in</strong> Oberschlesien geboren. Er war <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige jüdische<br />
Bürgermeister <strong>Guben</strong>s. 1960 starb er nach e<strong>in</strong>em zweiten Schlaganfall.
1912 wurde er zum <strong>Guben</strong>er Bürgermeister gewählt und übte das Amt 12 Jahre lang<br />
erfolgreich aus. 1914 wurde er zum Oberbürgermeister ernannt.<br />
Tragisch verliefen die Jahre 1933 – 1945 für die Familie Glücksmann:<br />
Hilde, die zweite Tochter Glücksmanns, heiratete noch vor Abschluß ihres Studiums.<br />
Zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei kle<strong>in</strong>en Jungen wurde sie von den Nationalsozialisten<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Konzentrationslager e<strong>in</strong>geliefert – alle kamen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gaskammer um.<br />
Die beiden Glücksmann-Söhne überlebten, wie auch die Eltern, trotz vieler Schikanen die<br />
NS-<strong>Zeit</strong> und den II. Weltkrieg.<br />
Während <strong>der</strong> Älteste schließlich als Ingenieur <strong>in</strong> Oberitalien seßhaft wurde, blieb <strong>der</strong> Jüngere<br />
<strong>in</strong> Deutschland. Dr. Glücksmann selbst wurde 1938 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Konzentrationslager <strong>in</strong>haftiert,<br />
durch die Hilfe von Wilhelm Külz aber freigelassen. Noch im selben Jahr ließ man ihn nach<br />
Paläst<strong>in</strong>a ausreisen.<br />
Die Sehnsucht nach se<strong>in</strong>er Heimat ließ ihn jedoch nach dem Kriege wie<strong>der</strong> nach Deutschland<br />
zurückkehren. Zunächst lebte er <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, verzog aber dann <strong>in</strong> den Odenwald.<br />
Der jüdische Arzt Dr. Ernst Kaplan<br />
-Auszug-<br />
115<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1993<br />
Gesetze und Verordnungen schränkten das Leben <strong>der</strong> Juden <strong>in</strong> Deutschland immer weiter e<strong>in</strong>.<br />
So kursierten Anfang April bereits Vorstellungen über e<strong>in</strong>e „Neuregelung <strong>der</strong> Zulassung von<br />
Kassenärzten“, wobei die „nationale Ärzteschaft nach entsprechen<strong>der</strong> Zurückdrängung <strong>des</strong><br />
E<strong>in</strong>flusses jüdischer und marxistischer Ärzte“ for<strong>der</strong>te…<br />
Ernst Kaplan studierte <strong>in</strong> Breslau Mediz<strong>in</strong> und bestand die Prüfung an <strong>der</strong> dortigen<br />
Universität im Mai 1922. Vom März 1923 bis April 1924 war er als Volontärarzt <strong>in</strong> Frankfurt<br />
am Ma<strong>in</strong> tätig, von wo er zur weiteren Ausbildung an die dortige Universitäts-Kl<strong>in</strong>ik g<strong>in</strong>g.<br />
Mitte <strong>der</strong> 20er Jahre kehrte er nach <strong>Guben</strong> zurück. Er heiratete Elisabeth Engel, die Tochter<br />
<strong>des</strong> Tuchfabrikanten Arthur Engel. 1931 kam ihre Tochter Doris zur Welt, die noch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
e<strong>in</strong>geschult wurde. Er durfte nach 1933 nicht weiter als Arzt arbeiten und wurde am<br />
4. Dezember 1939 <strong>in</strong> Schutzhaft genommen. Als Gründe werden auf dem Schutzhaftbefehl<br />
genannt: „Er gefährdet nach dem Ergebnis <strong>der</strong> staatspolizeilichen Feststellungen durch se<strong>in</strong><br />
Verhalten den Bestand und die Sicherheit <strong>des</strong> Volkes und Staates dadurch, dass er e<strong>in</strong><br />
Militärseitengewehr im Besitz hatte, gegen die ergangene Anordnung verstößt und dadurch,<br />
dass er geme<strong>in</strong>schaftlich mit se<strong>in</strong>em Schwiegervater größere Mengen Lebensmittel und<br />
Gebrauchsgegenstände hamsterte, die Maßnahmen <strong>der</strong> Regierung h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>er gerechten<br />
Verteilung <strong>in</strong> Kriegszeiten sabotiert.“<br />
Mitte November 1941 wurde er kurzzeitig zum „Krankenbehandler“ im Reichsautobahnlager<br />
Bätz „notdienstverpflichtet“. Nur wenige Tage später, Anfang Dezember 1941, verstarb Ernst<br />
Kaplan <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> an den Folgen von Schutzhaft und Notdienstverpflichtung. Er wurde auf<br />
dem jüdischen Friedhof am Reichenbacher Berg beigesetzt. Se<strong>in</strong>e Mutter Mathilde Kaplan<br />
verstarb ebenfalls 1941 und fand auf dem hiesigen jüdischen Friedhof ihre letzte Ruhestätte.<br />
Se<strong>in</strong>e Frau Elisabeth und ihre Tochter Doris kamen im Warschauer Getto um.<br />
Quelle: „Nachbarn von e<strong>in</strong>st“, S. 83 – Autor: Andreas Peter
Mart<strong>in</strong> Rosenthal – e<strong>in</strong> Porträt<br />
Gründete den Ste<strong>in</strong>ke-Konzern / Se<strong>in</strong> Leben endete <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gaskammer von Auschwitz<br />
Mit den nachstehenden Zeilen soll e<strong>in</strong>es Mannes gedacht werden, <strong>des</strong>sen Bau-Initiativen noch<br />
heute das <strong>Guben</strong>er Stadtbild <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bahnhofsstraße / Ecke Alte Poststraße prägen, <strong>der</strong><br />
maßgeblich für Arbeit und Brot und den Aufschwung <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Hut<strong>in</strong>dustrie arbeitete und<br />
ke<strong>in</strong>em etwas Böses tat. Unsere Autor<strong>in</strong> Charlotte Kirks schrieb das nachstehende Porträt <strong>des</strong><br />
Juden Mart<strong>in</strong> Rosenthal.<br />
Er kam etwa 1924/1925 nach <strong>Guben</strong>. Er war <strong>der</strong> Inhaber <strong>der</strong> alten Hutfabrik Ste<strong>in</strong>ke, <strong>der</strong>en<br />
Gebäude sich entlang <strong>der</strong> Alten Poststraße bis kurz vor die Bahnhofsstraße erstreckten.<br />
Die Firma Ste<strong>in</strong>ke wurde wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong> den 80er Jahren <strong>des</strong> vorigen Jahrhun<strong>der</strong>ts als<br />
Steifhutfabrik gegründet. Herren-Steifhüte, so genannte Melonen, waren damals <strong>der</strong><br />
Modetrend!<br />
Mart<strong>in</strong> Rosenthal verkaufte se<strong>in</strong> Gut <strong>in</strong> Feldkirchen bei München (er war aber ke<strong>in</strong> Bayer),<br />
hatte se<strong>in</strong>en Hauptwohnsitz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Villa Berl<strong>in</strong>-Grunewald, Herthastraße, und besaß im<br />
Neubau <strong>der</strong> „Grünen Post“ se<strong>in</strong>en 2. Wohnsitz. Er war Jude.<br />
Zerstören<strong>des</strong> Großfeuer<br />
Die Fabrikanlagen entlang <strong>der</strong> Bahnhofstraße wurden unter se<strong>in</strong>er Leitung wesentlich durch<br />
e<strong>in</strong>en Neubau erweitert und im Sommer 1928 <strong>in</strong> Betrieb genommen.<br />
Die Verb<strong>in</strong>dung zu den alten Gebäuden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alten Poststraße erfolgte durch den<br />
Eckenanbau e<strong>in</strong>ige <strong>Zeit</strong> später. E<strong>in</strong> Großfeuer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht vom 7. zum 8. Mai 1938 zerstörte<br />
die alten Gebäude <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alten Poststraße. Auf diesem Gelände wurden nach 1945 zwei<br />
Wohnhäuser errichtet. Mart<strong>in</strong> Rosenthal war e<strong>in</strong> äußerst tüchtiger Geschäftsmann. Anfang <strong>der</strong><br />
30er Jahre glie<strong>der</strong>te er die ehemalige <strong>Guben</strong>er Haar- und Velourhutfabrik (Guhabag) e<strong>in</strong>, <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Mittelstraße gelegen, (zuvor gehörte sie dem Leonhard Tietz Konzern) und mo<strong>der</strong>nisierte<br />
sie durch e<strong>in</strong>en Neubau. Zur selben <strong>Zeit</strong> kaufte er die ehemalige jüdische Fabrik V. Kronheim<br />
<strong>in</strong> Dresden, Seidnitzer Straße. So entstand <strong>der</strong> Ste<strong>in</strong>ke-Konzern <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Hut<strong>in</strong>dustrie.<br />
Starker Konkurrent<br />
Das Gesamtunternehmen entwickelte sich zu e<strong>in</strong>er starken Konkurrenz <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />
Hut<strong>in</strong>dustrie und machte beson<strong>der</strong>s hervorragende Geschäfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Damenhutproduktion.<br />
Dem jüdischen Zentrale<strong>in</strong>käufer für Herrenhüte im Rudolph-Karstadt-Konzern, He<strong>in</strong>rich<br />
Reich aus Berl<strong>in</strong>, bot er im <strong>Guben</strong>er Werk nach se<strong>in</strong>er Entlassung e<strong>in</strong>e neue Arbeitsstelle an.<br />
Er arbeitete, fest angestellt, als Vertreter für Herrenhüte im Bezirk Schlesien. He<strong>in</strong>rich,<br />
nunmehr Henry Reich, meldete sich nach 1945 aus New York. Er starb 1991/1992 <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Nähe von Boston <strong>in</strong> den USA. Mart<strong>in</strong> Rosenthal war e<strong>in</strong> sehr humaner Chef, gütig, nicht stolz<br />
und hatte während se<strong>in</strong>er Betriebsdurchgänge für jeden e<strong>in</strong> offenes Ohr. Se<strong>in</strong> 50. Geburtstag<br />
wurde im damaligen Hotel „Kronpr<strong>in</strong>z“, jetzt „Volkshaus“, mit <strong>der</strong> gesamten <strong>Guben</strong>er<br />
116
Belegschaft gefeiert. Gleichermaßen se<strong>in</strong>e Silberhochzeit im großen Festsaal <strong>des</strong><br />
„Schützenhauses“. Bei 10jähriger Betriebszugehörigkeit besorgte und kaufte er persönlich<br />
e<strong>in</strong> passen<strong>des</strong> Geschenk für Angestellte. Soweit ihm e<strong>in</strong> To<strong>des</strong>fall <strong>in</strong> Familien se<strong>in</strong>er<br />
Angestellten zur Kenntnis kam, kondolierte er ebenfalls persönlich.<br />
Das bittere Ende<br />
Dann kam das bittere Ende. Aus heutiger Sicht war es bereits <strong>der</strong> Anfang <strong>des</strong> Nie<strong>der</strong>gangs <strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>st so bedeutenden und bodenständigen <strong>Guben</strong>er Hut<strong>in</strong>dustrie. Der Ste<strong>in</strong>ke-Konzern wurde<br />
1938 von <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik AG übernommen und an diese verkauft, blieb aber<br />
als solcher eigenverantwortlich bestehen. Im Werk <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bahnhofsstraße lief die Produktion<br />
bis <strong>1940</strong>. Die Fabrikanlagen wurden für Rüstungszwecke an die Firma Rhe<strong>in</strong>metall-Borsig<br />
vermietet.<br />
Mart<strong>in</strong> Rosenthal verließ Deutschland, nahm se<strong>in</strong>en Wohnsitz <strong>in</strong> Amsterdam und gründete<br />
dort die „Amstel Hoedenfabrik“. Während <strong>der</strong> deutschen Besatzung wurde er zusammen mit<br />
se<strong>in</strong>er Frau Ellen nach Auschwitz deportiert und dort vergast.<br />
Erwähnenswert wäre noch, dass die Tochter mit Ehemann Dr. Haas und den zwei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
rechtzeitig nach England emigrierten. Der Sohn Dr. Herbert Rosenthal, im <strong>Guben</strong>er Werk mit<br />
tätig gewesen, verlegte rechtzeitig se<strong>in</strong>en Wohnsitz <strong>in</strong> die USA. Der angeheiratete Neffe<br />
Georg Pelz, als Abteilungsleiter im <strong>Guben</strong>er Werk tätig, mit Wohnsitz <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>, verzog mit<br />
se<strong>in</strong>er Familie nach Amsterdam. Die Familie überlebte dort im Versteck und er etablierte sich<br />
mit e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Hutfabrik nach 1945 <strong>in</strong> Köln am Rhe<strong>in</strong>.<br />
Anlässlich <strong>des</strong> Besuches <strong>der</strong> Leipziger Messe um 1950 besuchte er kurz <strong>Guben</strong>; er starb<br />
frühzeitig. Der angeheiratete Neffe Max Cohn-Bloch, als kaufmännischer Angestellter im<br />
<strong>Guben</strong>er Werk tätig, zog nach Amsterdam und wurde von dort nach Auschwitz deportiert,<br />
erkrankte an Ruhr und verstarb.<br />
Mart<strong>in</strong> Rosenthal bot dem jüdischen Referendar Heilborn und dem <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geborenen<br />
Halbjuden Rudi Cheim e<strong>in</strong>e angemessene Arbeitsstelle. Er wurde ebenfalls nach Auschwitz<br />
deportiert, überlebte aber. 1945, im Frühsommer, wurde er als Leiter <strong>der</strong> wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Betrieb<br />
gehenden Hutfabrik C. G. Wilke e<strong>in</strong>gesetzt, <strong>der</strong>en technische Ausrüstung voll erhalten war<br />
und nicht von <strong>der</strong> Besatzungsmacht requiriert wurde.<br />
Hilfe für viele<br />
Die <strong>Guben</strong>er Schüler<strong>in</strong> und Jüd<strong>in</strong> Rita London begann ihre kaufmännische Lehre im <strong>Guben</strong>er<br />
Werk. Mit e<strong>in</strong>em Transport jüdischer Jugendlicher vom Ausland organisiert - landeten sie <strong>in</strong><br />
Australien. (Rückfragen beim Internationalen Roten Kreuz <strong>in</strong> Australien nach 1945 über ihren<br />
Verbleib brachten ke<strong>in</strong>en Erfolg).<br />
Die <strong>Guben</strong>er Jüd<strong>in</strong> Ilse-Sarah Katzky fand als Garnierer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Arbeitsstätte. Im<br />
E<strong>in</strong>wohnermeldebuch 1939 ist sie noch als jüdische Mitbürger<strong>in</strong> unter dem Namen Ilse-Sarah<br />
Katzky geführt. E<strong>in</strong> Lebenszeichen kam von ihr vor nicht all zu langer <strong>Zeit</strong> aus England.<br />
Quelle: Charlotte Kirks, Lausitzer Rundschau vom 7. Mai 1994<br />
117
E<strong>in</strong>e jüdische Familie im Landkreis <strong>Guben</strong><br />
während <strong>des</strong><br />
Dritten Reiches<br />
-Auszug-<br />
„Unser 1901 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> als Sohn e<strong>in</strong>es bekannten jüdischen Arztes geborener Vater trat 1929<br />
zum evangelischen Glauben über und heiratete 1931 unsere „arische“ Mutter, Tochter e<strong>in</strong>es<br />
<strong>Guben</strong>er Fabrikanten. Er wurde 1932 aktiver Teilhaber im Unternehmen se<strong>in</strong>es<br />
Schwiegervaters. Me<strong>in</strong> 1937 geborener Bru<strong>der</strong> und ich (Jahrgang 1932) wurden evangelisch<br />
getauft und erzogen. Die Familie lebte seit 1934 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dorf im Landkreis <strong>Guben</strong>.<br />
NS-Gesetze zum Erbrecht bei sogenannten Mischehen im Jahre 1935 veranlaßten unseren<br />
Vater, se<strong>in</strong>e Firmenanteile auf unsere Mutter zu übertragen. Sie überschrieb ihre gesamten<br />
Anteile auf Grund <strong>des</strong> Devisensicherungsgesetzes vorsorglich formell auf ihren Vater.<br />
Nach se<strong>in</strong>er Inhaftierung im KZ Sachsenhausen im November 1938, aus dem er durch die Intervention se<strong>in</strong>es sehr e<strong>in</strong>flussreichen und<br />
energischen, <strong>der</strong> NSDAP nicht angehörenden Schwiegervaters, bereits zum Monatsende wie<strong>der</strong> entlassen wurde, durfte unser Vater auch<br />
nicht als Prokurist o<strong>der</strong> Angestellter <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em (bisherigen) Unternehmen tätig se<strong>in</strong>. Nach Umschulung durch die jüdische Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong> zum Schlosser und Dreher arbeitete er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Berl<strong>in</strong>er Unternehmen und wohnte zur Miete privat unter Kontrolle <strong>der</strong> Gestapo.<br />
Geschützt durch die Mischehe mit unserer Mutter brauchte er ke<strong>in</strong>en Stern zu tragen und durfte se<strong>in</strong>e Familie e<strong>in</strong>mal pro Monat am<br />
Wochenende im Landkreis <strong>Guben</strong> besuchen.<br />
Schriftliche Genehmigungen für jede e<strong>in</strong>zelne Besuchsreise bewahrten ihn nicht vor willkürlichen Verhaftungen während <strong>der</strong> Bahnfahrt nach<br />
<strong>Guben</strong>, die immer wie<strong>der</strong> die Intervention unseres Großvaters und se<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dungen zum OKW (Oberkommando <strong>der</strong> Wehrmacht)<br />
notwendig machten.<br />
Me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit auf dem Lande verlief unbeschwert bis zum November 1938, als <strong>der</strong><br />
Unterricht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dorfschule unterbrochen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Lehrerkonferenz darüber beraten<br />
wurde, ob ich die Schule weiter besuchen durfte. Lehrer und Mitschüler verhielten sich <strong>in</strong> den<br />
folgenden Jahren – mit wenigen Ausnahmen – freundlich und zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t wohlwollend<br />
neutral. Das traf im Übrigen auch für die große Mehrheit <strong>der</strong> Dorfbevölkerung zu. Dieses<br />
generelle Verhalten <strong>der</strong> Dorfbewohner gegenüber unserer Familie än<strong>der</strong>te sich auch nicht, als<br />
ich 1942 nach bestandener Aufnahmeprüfung für die Oberschule <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> durch NS-Gesetz<br />
wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die Dorfschule zurückkehren mußte und als e<strong>in</strong>ziger Junge im ganzen Ort nicht <strong>der</strong><br />
Hitlerjugend angehörte.<br />
Me<strong>in</strong> fünf Jahre jüngerer Bru<strong>der</strong> besuchte ab 1943 unbehelligt die Dorfschule <strong>in</strong> unserem Dorf.“<br />
Quelle: Nachbarn von e<strong>in</strong>st; S. 88 – 89, Autor Andreas<br />
Peter<br />
118
Me<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung an <strong>Guben</strong>er Juden<br />
-Auszüge-<br />
Die so genannte Kristallnacht vom 9. und 10. November war <strong>der</strong> erste Höhepunkt <strong>der</strong><br />
Pogrome gegen die Juden <strong>in</strong> Deutschland.<br />
Auf unserem Spielplatz an <strong>der</strong> Egelneiße waren nicht nur „anwohnende“ K<strong>in</strong><strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n<br />
auch solche aus <strong>der</strong> nahen Umgebung. Dass darunter auch jüdische K<strong>in</strong><strong>der</strong> waren, fiel uns<br />
an<strong>der</strong>en erst auf, als diese nicht mehr zum Spielen kamen, ja ganz aus unseren Augen verloren<br />
g<strong>in</strong>gen. Ich er<strong>in</strong>nere mich an e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es hübsches schwarzhaariges Mädchen, die zu unserer<br />
Horde gehörte. Sie war die Tochter e<strong>in</strong>es jüdischen Ohrenarztes. Von me<strong>in</strong>er Mutter erfuhr<br />
ich, dass dieser Mann vielen Patienten geholfen hatte, gegen se<strong>in</strong>e eigene hochgradige<br />
Schwerhörigkeit aber machtlos war.<br />
Als me<strong>in</strong>e Mutter 1934 Witwe geworden war, nahm sie e<strong>in</strong>e Aufwartestelle bei dem<br />
jüdischen Ehepaar W. (Wolff/Red.) <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen Kubestraße (heute Berl<strong>in</strong>er Straße) an.<br />
Ich wurde meistens dorth<strong>in</strong> mitgenommen. Die beiden Leute waren damals so um die<br />
50 Jahre alt und hatten, da selbst k<strong>in</strong><strong>der</strong>los geblieben, mich <strong>in</strong> ihr Herz geschlossen. Er hatte<br />
e<strong>in</strong>e Vertretung <strong>in</strong> Stoffen und Tuchen. (Im E<strong>in</strong>wohnerbuch von 1933 steht, dass er<br />
Geschäftsführer war).<br />
Ostern (richtiger 1. 4.) 1935 wurde ich e<strong>in</strong>geschult. Für W.s war es e<strong>in</strong>e Genugtuung, mich<br />
mit le<strong>der</strong>nem Ranzen und Brottasche auszurüsten. Den Ranzen habe ich, da <strong>in</strong><br />
Kriegstrümmern wie<strong>der</strong> gefunden, noch 1946/47 als „Geschäftstasche“ benutzt.<br />
Die Wolffs wechselten <strong>1936</strong> ihre Wohnung und zogen <strong>in</strong> die Pförtener Straße. An <strong>der</strong><br />
Beziehung zwischen ihnen und uns än<strong>der</strong>te sich dadurch nichts. Nur <strong>der</strong> Weg war etwas<br />
weiter geworden.<br />
Inzwischen hatte me<strong>in</strong>e Mutter e<strong>in</strong>e zweite Putzstelle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alten Poststraße angenommen,<br />
wo sie auch ca. e<strong>in</strong>mal im Monat die „Große Wäsche“ zu erledigen hatte, natürlich mit<br />
Kochkessel, Zuber und Waschbrett. Der größte Teil <strong>der</strong> Wäsche wurde nach dem Trocknen<br />
gerollt.<br />
Es gab zwar vere<strong>in</strong>zelt noch handbetriebene Rollen. Allgeme<strong>in</strong> g<strong>in</strong>g man aber schon zu<br />
jemand, <strong>der</strong> gewerbsmäßig se<strong>in</strong>e stationäre elektrische Wäscherolle gegen Entgelt zur<br />
Verfügung stellte. Me<strong>in</strong>e Mutter war also e<strong>in</strong>es Abends noch zum Rollen gegangen. Ich<br />
wollte sie von dort nur abholen. Da sie noch nicht fertig war, wartete ich noch e<strong>in</strong> bisschen <strong>in</strong><br />
dem Rollraum, den ich zwar schon kannte, <strong>der</strong> aber immer noch me<strong>in</strong>e Neugier weckte. Den<br />
Zugriff zu den mit Wäsche umwickelten Rollen während <strong>des</strong> Betriebes verh<strong>in</strong><strong>der</strong>te e<strong>in</strong><br />
Schutzgitter; die Hand e<strong>in</strong>es 7jährigen konnte aber durch das Gitter h<strong>in</strong>durch greifen. Ich<br />
bekam e<strong>in</strong>en ordentlichen Schreck, als plötzlich die Kuppe me<strong>in</strong>es rechten kle<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>gers so<br />
platt gewalzt wie die Wäsche war. Den Nebenf<strong>in</strong>ger konnte ich gerade noch, obwohl auch<br />
schon aufgeplatzt, zurückziehen. Me<strong>in</strong>e Gedanken – nur nichts sagen, nachher an <strong>der</strong><br />
Wasserleitung abspülen – musste ich nach kurzer <strong>Zeit</strong> aufgeben, da es anf<strong>in</strong>g weh zu tun. Mit<br />
kullernden Tränen zeigte ich me<strong>in</strong> Malheur <strong>der</strong> Mutter, <strong>der</strong>en Schreck auch nicht ger<strong>in</strong>g war.<br />
Etwa 500 m waren es bis zum nächsten Arzt, Dr. Kaplan, <strong>der</strong> zu dieser Tageszeit ke<strong>in</strong>e<br />
Sprechstunde mehr hatte. Nachsichtig ließ er uns aber e<strong>in</strong> und versorgte unter tröstenden<br />
Worten me<strong>in</strong>e Verletzung… E<strong>in</strong>mal noch bestellte mich <strong>der</strong> freundliche Dr. Kaplan <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />
Sprechstunde, dann musste er mich an e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Arzt abgeben. Die Kosten e<strong>in</strong>es<br />
jüdischen Arztes übernahm die Krankenkasse nicht.<br />
In Bezug auf Juden musste uns im Schulunterricht wohl irgendetwas Nazi-Ideologisches<br />
gesagt worden se<strong>in</strong>. Jedenfalls sagte ich e<strong>in</strong>es Tages <strong>in</strong> W.s Küche zur Mutter: „Wir dürfen<br />
doch gar nicht zu W.s gehen. W.s s<strong>in</strong>d doch Juden.“ Ich wusste damals nicht, was me<strong>in</strong>e<br />
119
Worte bedeuteten, noch weniger ahnte ich, dass Frau W. im Korridor je<strong>des</strong> Wort mitgehört<br />
hatte, da die Küchentür nur angelehnt war. Me<strong>in</strong>e Mutter war über me<strong>in</strong>e Rede sprachlos und<br />
wäre am liebsten im Boden versunken, als unmittelbar darauf Frau W. here<strong>in</strong>kam. Diese sagte<br />
gar nichts – sie we<strong>in</strong>te nur; dabei nahm sie mich aber dennoch <strong>in</strong> ihre Arme.<br />
Ab Herbst 1937 g<strong>in</strong>g ich nur noch selten zu W.s. Ich hatte <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>e so genannte<br />
Laufjungenstelle. Für e<strong>in</strong>e etwas gehbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te Frau, die mit ihrem Bru<strong>der</strong> die Wohnung<br />
teilte, g<strong>in</strong>g ich täglich e<strong>in</strong>kaufen, Lebensmittel und alkoholische Getränke, vor allem Bier<br />
(20 Flaschen pro Tag). Des Weiteren machte ich ihr auch kle<strong>in</strong>ere Handreichungen. Das alles<br />
für 50 Reichspfennig im Monat.<br />
Es war im Sommer <strong>des</strong> Jahres 1938, als me<strong>in</strong>e Mutter nach Hause kam und erstaunt<br />
berichtete, bei W.s hätte ihr ke<strong>in</strong>er geöffnet. Sie versuchte es noch e<strong>in</strong> paar Mal an an<strong>der</strong>en<br />
Tagen, aber es war niemand da. W.s waren verschwunden. Sich dieserhalb bei Behörden o<strong>der</strong><br />
auch nur Nachbarn zu erkundigen, schien damals nicht ratsam.<br />
Die nun alles beherrschende NS-Propaganda spitzte sich auf e<strong>in</strong>en Höhepunkt zu: zur<br />
Kristallnacht. Am 9. November 1938 kam es auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> zu antijüdischen<br />
Ausschreitungen. Mit me<strong>in</strong>en noch nicht ganzen zehn Jahren verstand ich nicht, was<br />
eigentlich geschah und warum es geschah, erst recht nicht. Wohl aber wurde me<strong>in</strong>e k<strong>in</strong>dliche<br />
Neugier gereizt. So lief ich die Klosterstraße zum Markt und zur Herrenstraße, um mir die<br />
e<strong>in</strong>geworfenen Schaufensterscheiben und e<strong>in</strong>getretenen Ladentüren anzugucken. Bei<br />
e<strong>in</strong>zelnen kam ich dazu, wie randalierende Banden noch dabei waren, große<br />
Straßenpflasterste<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Schaufenster zu werfen. Trotz dieses Aufruhrs waren relativ viel<br />
Menschen auf den Straßen, vielleicht auch im Auftrag <strong>der</strong> Nazis. Dass es Passanten wagten,<br />
gegen diese Machenschaften e<strong>in</strong>zuschreiten o<strong>der</strong> sich nur dagegen aufzulehnen, habe ich<br />
nicht bemerkt. Ich selbst dachte an nichts, nur soviel, möglichst wenig zu verpassen.<br />
So war ich, mitgetrieben, bis <strong>in</strong> den Kastaniengraben gekommen und stand vor <strong>der</strong> Synagoge;<br />
wir sagten dazu Judentempel. Obwohl ich mich fast immer 2 bis 3 m zurückhielt, b<strong>in</strong> ich dort<br />
doch zu dicht an den grölenden Pöbel geraten. Kle<strong>in</strong>pflasterste<strong>in</strong>e, die aus Gehwegen<br />
herausgerissen waren, flogen <strong>in</strong> Fenster von Kirche und Küsterhaus, beson<strong>der</strong>s wenn<br />
Menschen dah<strong>in</strong>ter vermutet wurden. Ich stand h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em Halbstarken, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Kopf<br />
größer als ich war und <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Hand e<strong>in</strong>en Pflasterste<strong>in</strong> hatte. Plötzlich sah ich h<strong>in</strong>ter dem<br />
Fenster <strong>der</strong> 1. Etage <strong>des</strong> Hauses e<strong>in</strong>e ältere Frau. Me<strong>in</strong> Vor<strong>der</strong>mann hatte sie auch schon<br />
erspäht und nahm sie aufs Korn. Zum zielsicheren Wurf holte er weit aus. Dabei schlug er,<br />
ohne dass er es überhaupt bemerkte, mit dem Ste<strong>in</strong> gegen me<strong>in</strong>e rechte Augenbraue. Die war<br />
sofort aufgeplatzt und das Blut lief mir übers Gesicht. Mir war gleich jede Sensationslust<br />
vergangen; beschämt und wütend machte ich mich davon. Am übernächsten Tag wurde ich<br />
zehn Jahre alt und musste me<strong>in</strong>en Geburtstag mit e<strong>in</strong>em zur Hälfte zu gepflasterten Auge<br />
verbr<strong>in</strong>gen.<br />
Rund e<strong>in</strong> Jahr danach hatte ich diesen Vorfall erstmal vergessen. Es war im Spätsommer <strong>des</strong><br />
Jahres 1939, als ich auf unserem Spielplatz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Laternengasse mit an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
herumtobte. Auf e<strong>in</strong>mal, ich glaubte me<strong>in</strong>en Augen nicht zu trauen – da kam doch Onkel W.<br />
auf mich zu?! Als er merkte, dass ich ihn sah, spitzte er sofort se<strong>in</strong>en Mund und legte den<br />
Zeigefeiger darauf. Die Geste verstehend, sagte ich ke<strong>in</strong> Wort. Er gab mir die Hand,<br />
überreichte mir e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es <strong>in</strong> Seidenpapier e<strong>in</strong>gewickeltes Etwas und flüsterte: „Möge es Dir<br />
gut gehen! E<strong>in</strong>en schönen Gruß an die Mutti.“ Ehe ich überhaupt richtig begriffen hatte, was<br />
ich erlebte, war er schon wie<strong>der</strong> fort. Das mir übergebene Etwas war e<strong>in</strong>e<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>mundharmonika.<br />
Nie haben wir erfahren, wo Familie W. h<strong>in</strong>gekommen ist, wie es ihnen ergangen ist, wieso er<br />
plötzlich wie<strong>der</strong> mal auftauchte und gleich wie<strong>der</strong> verschwand, was aus ihnen geworden ist.<br />
Heute können sie, schon biologisch bed<strong>in</strong>gt nicht mehr leben.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er Heimatbrief, 2/1998, S. 48-51, Günter Deckert<br />
120
E<strong>in</strong>e wirksame Propaganda<br />
Antisemitische Aktionen <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> 1935 und 1938<br />
GUBEN. Die e<strong>in</strong>malige Schreckensbilanz <strong>des</strong> Dritten Reiches im Jahre 1945 mit<br />
Millionen Toten, verwüsteten Städte und dem Verlust <strong>der</strong> Ostgebiete kann man nur<br />
verstehen, wenn man die Jahre davor betrachtet.<br />
Dabei ist zu beachten, dass es <strong>der</strong> NS-Herrschaft zeitweilig gelang, „die Bedürfnisse und Sehnsüchte breiter Schichten überzeugend<br />
anzusprechen und wenigstens zum Teil auch zu befriedigen“; wie <strong>der</strong> Münchener Historiker Norbert Frei (Der Führerstaat) ausführt.<br />
45 jüdische Familien<br />
Quelle: Lausitzer Rundschau, 13. Juni 1998, Gerhard Gunia<br />
Zwar gab es hier nur 45 jüdische Familien (Stand 1939) und <strong>in</strong> ganz Deutschland etwa<br />
550.000 Juden, d. s. 0,9 Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung - aber sie bildeten den Anstoß, Schuldfragen<br />
und Hassgefühle auf M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten abzuwälzen.<br />
Die antijüdische Propagandafahrt <strong>der</strong> SA-Brigade 122 am 11. August 1935, e<strong>in</strong>em Sonntag,<br />
begann auf dem Lubstplatz. Hier waren 1400 SA-Männer zum Appell angetreten unter<br />
Standartenführer (= Oberst) Schulz-Sembten <strong>in</strong> Anwesenheit von Brigadeführer Palm.<br />
Anschließend fuhren 20 LKW durch das Stadtgebiet mit angebrachten Plakaten. Darauf hieß<br />
es: „Den Galgen halten wir bereit / Für Volksverräter je<strong>der</strong>zeit.“<br />
„Deutsches Mädel, sei helle / Nimm beim Juden ke<strong>in</strong>e Stelle.“<br />
„Moses, Aaron, Levy, Cohn / Paläst<strong>in</strong>a wartet schon.“<br />
Von allen Wagen ertönten Sprechchöre mit den Worten:<br />
„Deutschland erwache / Juda verrecke / Nie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Reaktion.“<br />
Dazwischen gab es militärische Übungen, so an <strong>der</strong> Sprucker Straße, wo aufgestellte<br />
Barrikaden zu überw<strong>in</strong>den waren (<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 13.08.1935). Sicherlich wurde dieser<br />
SA-Auftritt von Teilen <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er E<strong>in</strong>wohner abgelehnt. Zehn Jahre später nutzte ke<strong>in</strong>e<br />
Barrikade mehr, die Stadt wurde zerstört.<br />
Befehle von 1938<br />
Quelle: Lausitzer Rundschau, 13. Juni 1998, Gerhard Gunia<br />
„Es werden <strong>in</strong> kürzester <strong>Zeit</strong> <strong>in</strong> ganz Deutschland Aktionen gegen Juden, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong>en<br />
Synagogen, stattf<strong>in</strong>den. Sie s<strong>in</strong>d nicht zu stören. Es ist vorzubereiten die Festnahme von etwa<br />
20.000 bis 30.000 Juden.“<br />
„... s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> allen Bezirken so viele Juden – <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Wohlhabende – festzunehmen, als <strong>in</strong><br />
den vorhandenen Hafträumen untergebracht werden können. Es s<strong>in</strong>d zunächst nur gesunde<br />
121
und männliche Juden nicht zu hohen Alters festzunehmen. Nach Durchführung <strong>der</strong> Festnahme<br />
ist unverzüglich mit den zuständigen KZs, wegen schnellster Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Juden <strong>in</strong> den<br />
Lagern, Verb<strong>in</strong>dung aufzunehmen.“<br />
Diese Befehle wurden auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> befolgt.<br />
91 Bürger jüdischen Glaubens wurden bei diesen Pogromen getötet, wobei die Zahl<br />
unvollständig se<strong>in</strong> wird. Viele beg<strong>in</strong>gen Selbstmord o<strong>der</strong> wurden <strong>in</strong> KZs verschleppt. Die<br />
Dunkelziffer wird weit höher liegen.<br />
Ab 1.1.1939 durften Juden nicht mehr als Betriebsleiter arbeiten, bzw. ke<strong>in</strong>e leitenden<br />
Tätigkeiten ausführen. Der Besitz von Geschäften und Handwerksbetrieben war ihnen<br />
verboten. Sie mussten ihre Kraftfahrzeuge abliefern und die Wohnung kennzeichnen.<br />
Im Dezember 1938 schreibt die „<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung“:<br />
„Am 3.12.1938 wird <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> <strong>der</strong> Tag <strong>der</strong> Nationalen Solidarität (Sammelaktion für das<br />
W<strong>in</strong>terhilfswerk) durchgeführt. Juden dürfen von 12.00 - 20.00 Uhr ke<strong>in</strong>e Straßen und Plätze<br />
betreten, sie haben sich <strong>in</strong> ihren Wohnungen aufzuhalten.“<br />
Polizeiverordnung vom 1.9.1941:<br />
„Juden, die das 6. Lebensjahr vollendet haben, ist es verboten, sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit ohne<br />
e<strong>in</strong>en Judenstern zu zeigen… Er ist sichtbar auf <strong>der</strong> l<strong>in</strong>ken Brustseite <strong>des</strong> Kleidungsstückes<br />
fest aufgenäht zu tragen…“<br />
Durch die Solidarität vieler (auch nichtjüdischer) Bürger konnten Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Synagogengeme<strong>in</strong>de Deutschland noch vor dem Zweiten Weltkrieg verlassen. Seit dem Krieg<br />
gibt es <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> ke<strong>in</strong>e Jüdische Geme<strong>in</strong>de mehr.<br />
Quelle: Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten<br />
Schnei<strong>der</strong>; wissenschaftlichpraktische<br />
Arbeit/<br />
Projektarbeit EOS<br />
„Pestalozzi“ <strong>Guben</strong><br />
1989/90<br />
NS-Terror <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
Bereits <strong>in</strong> ihrer Wahlpropaganda vor 1933 gab die NSDAP den Juden und allen L<strong>in</strong>kskräften<br />
die Schuld an <strong>der</strong> Wirtschaftskrise und <strong>der</strong> damit verbundenen Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig<br />
hob sie die „Germanische Rasse“ hervor und betonte <strong>in</strong> diesem Zusammenhang die<br />
M<strong>in</strong><strong>der</strong>wertigkeit <strong>der</strong> Juden. So bereitete die Partei Hitlers ihre Glie<strong>der</strong>ungen, wie SA, SS und<br />
HJ, aber auch die deutsche Bevölkerung auf den Hass, die Demütigung und Verfolgung <strong>der</strong><br />
Juden vor.<br />
Bereits kurz nach dem Machtantritt (Januar 1933), am 1. April 1933, for<strong>der</strong>ten SA-Posten und<br />
Plakate die <strong>Guben</strong>er zum Boykott jüdischer E<strong>in</strong>richtungen und Geschäfte auf. „Kauft nicht <strong>in</strong><br />
jüdischen Geschäften“ wurde gewarnt.<br />
122
Aber schon Mitte März hatten SA und SS kurzzeitig das Warenhaus Karzentra, das Kaufhaus<br />
„Wolff Krimmer Nachf.“, das Geschäft Hermann Meier und das Schuhhaus Batas besetzt.<br />
Die Ermordung <strong>des</strong> Legationssekretärs vom Rath <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen Botschaft zu Paris durch<br />
den 17-jährigen Juden Grünspan gab dem NS-Regime den willkommenen Anlass, mit den<br />
Juden „abzurechnen“. So wurde im gesamten Reich vom 9. zum 10. November 1938 das<br />
„Judenpogrom“ (Reichskristallnacht) vorwiegend von <strong>der</strong> SA durchgeführt.<br />
In <strong>Guben</strong> waren Polizei und Feuerwehr auf den Brandanschlag auf die Synagoge vorbereitet<br />
worden. Das Gebäude brannte, wurde aber nicht zerstört. Im gleichen Atemzuge erfolgte die<br />
Demolierung jüdischer E<strong>in</strong>richtungen und Geschäfte. E<strong>in</strong>ige jüdische Bürger, wie Selmar<br />
Brühn, Hugo Kronheim, Gustav Müller, Robert Hesse (<strong>in</strong> Forst) wurden auf LKW<br />
„verfrachtet“. Sie kamen <strong>in</strong>s KZ Sachsenhausen – später wurden sie wie<strong>der</strong> frei gelassen. Der<br />
jüdische Friedhof wurde geschändet – Grabste<strong>in</strong>e umgeworfen.<br />
Der Terror gegen die Juden begann aber schon Jahre früher. Ärzte und Rechtsanwälte verloren<br />
ihre Zulassung. E<strong>in</strong>e Ausnahme machte man beim Rechtsanwalt Walter Hesse, <strong>der</strong> bis<br />
<strong>1936</strong> arbeiten durfte. Die Rassengesetze vom 15. September 1935 verboten unter an<strong>der</strong>em die<br />
Ehen mit Juden und erkannten zugleich Juden die deutsche Staatsbürgerschaft ab.<br />
Nach und nach wurden Juden ihrer Rechte beraubt, ihr Vermögen konfisziert. So wurde zum<br />
Beispiel <strong>der</strong> jüdische Betrieb „Reißner, Wohl & Co Nachf.“ enteignet und „arisiert“. Die<br />
Tuchfabrik „Lehmann Wwe. & Sohn“ erwarb ihn billig - das Geld bekam <strong>der</strong> Staat.<br />
Der weitergehende und für die Juden immer schwerer zu ertragende Terror sah unter an<strong>der</strong>em<br />
wie folgt aus:<br />
- ab 12. November 1938 - Teilnahme an Kulturveranstaltungen wurde verboten<br />
- Verbot <strong>des</strong> Waffenbesitzes<br />
- Vorauszahlungen bei Warenlieferungen<br />
- Verbot <strong>des</strong> Führens von Kraftfahrzeugen<br />
- Gesetz vom 3. Dezember 1938 über die „planmäßige Entjüdung <strong>der</strong><br />
Wirtschaft“ (Arisierung jüdischer Unternehmen aller Art)<br />
- Mietgesetz vom 30. April 1939 hob die Mietrechte für Juden auf<br />
- Aufhebung aller bisherigen Bezüge aus Arbeits- und Dienstverhältnissen,<br />
Renten und an<strong>der</strong>en erworbenen gesetzlichen Versorgungsleistungen<br />
- Zwangsanlegen e<strong>in</strong>es Depots für Wertpapiere<br />
- Bei Geldnot Antrag an das F<strong>in</strong>anzamt zwecks Bereitstellung <strong>der</strong> benötigten<br />
Beträge<br />
- Verbot <strong>des</strong> Erwerbs von Gegenständen aus Gold, Plat<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Silber,<br />
Edelste<strong>in</strong>en und Perlen<br />
- Verbot, diese zu verpfänden und zu veräußern<br />
- Verkauf von Schmuck- und Kunstgegenständen nur an die „Reichskammer für<br />
Bildende Künste“<br />
- Verbot – Sonnabend die Wohnung zu verlassen<br />
- Tragen <strong>des</strong> zweiten Vornamens „Sarah“ o<strong>der</strong> „Israel“<br />
- Ab Mitte September 1941 tragen <strong>des</strong> „Gelben Sterns“<br />
- Ab Mitte 1941 Räumung <strong>der</strong> Wohnung – <strong>der</strong> Erlös <strong>des</strong> Haushaltes g<strong>in</strong>g an den<br />
Staat<br />
- Umsiedlung <strong>in</strong> das Barackenlager Schlagsdorfer Weg<br />
- Ger<strong>in</strong>gere Zuteilung von Nahrungsmitteln (Marken) als für die Bevölkerung<br />
Bis Mitte 1942 erfolgte die Deportation <strong>in</strong> Ghettos o<strong>der</strong> KZs.<br />
123<br />
Quellen: „Nachbarn von e<strong>in</strong>st“, Andreas Peter<br />
Ausstellungskatalog 1999
Der Ahnenpass<br />
124<br />
„Wegweiser durch das jüdische Brandenburg“<br />
– Irene Dickmann und Julius<br />
Schoeps; Edition Hentrich 1995<br />
<strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1998<br />
<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung<br />
Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten Schnei<strong>der</strong>;<br />
wissenschaftlich-praktische Arbeit/<br />
Projektarbeit, EOS „Pestalozzi“ <strong>Guben</strong><br />
1989/90<br />
Der Ahnenpass war e<strong>in</strong> Vordruck <strong>in</strong> Heftform für den Abstammungsnachweis (Ariernachweis), <strong>der</strong> von jedem Bürger <strong>des</strong> Dritten Reiches<br />
aufgrund <strong>der</strong> Nürnberger Gesetze (15. September 1935) erbracht werden musste. Mit e<strong>in</strong>er Geburts- o<strong>der</strong> Tauf- und Heirats- o<strong>der</strong> Trau-<br />
Urkunde war zu belegen, dass ke<strong>in</strong> Eltern- o<strong>der</strong> Großelternteil „vollartfremden, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e jüdischen Blutes“ war. E<strong>in</strong> lückenloser<br />
Abstammungs- bzw. Ariernachweis war die Voraussetzung für volle Bürgerrechte. Oppositionelle Geistliche verhalfen manchem rassisch<br />
Verfolgten durch e<strong>in</strong>en frisierten Ahnenpass zu den lebensnotwendigen Personalpapieren.<br />
„Die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit <strong>des</strong> völkischen Staates muss ihre Krönung dar<strong>in</strong> f<strong>in</strong>den, dass sie den Rasses<strong>in</strong>n und das<br />
Rassegefühl <strong>in</strong>st<strong>in</strong>kt- und verstan<strong>des</strong>mäßig <strong>in</strong> Herz und Gehirn <strong>der</strong> ihr anvertrauten Jugend h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>brennt. Es sollen ke<strong>in</strong> Knabe und ke<strong>in</strong><br />
Mädchen die Schule verlassen, ohne zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen <strong>der</strong> Blutre<strong>in</strong>heit geführt worden zu se<strong>in</strong>!<br />
Damit wird die Voraussetzung geschaffen für die Erhaltung <strong>der</strong> rassenmäßigen Grundlagen unseres Volkstums und durch sie wie<strong>der</strong>um die<br />
Sicherung <strong>der</strong> Vorbed<strong>in</strong>gungen für die spätere kulturelle Weiterentwicklung.“ (Adolf Hitler)<br />
Der Ahnenpass stellt e<strong>in</strong>e Urkunde im S<strong>in</strong>ne <strong>des</strong> Gesetzes dar; es ist daher bei se<strong>in</strong>er<br />
Erstellung auf pe<strong>in</strong>lichste Genauigkeit <strong>der</strong> gemachten Angaben und auf die unbed<strong>in</strong>gte<br />
Richtigkeit <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>gelegten Ahnenreihen zu achten. Auch erspart <strong>der</strong> Pass<strong>in</strong>haber durch<br />
korrekte Aufstellung sich Arbeit, <strong>Zeit</strong> und unnötige Kosten, da bei <strong>der</strong> amtlichen Überprüfung<br />
Fehler und Irrtümer im e<strong>in</strong>gereichten Ahnenpass bestimmte zutage treten werden.<br />
Die sorgfältig ausgefüllten Vordrucke Nr.1 - 63, welche auf den Seiten 8 – 39 enthalten s<strong>in</strong>d,<br />
sowie die Ergänzungen auf den Seiten 40 mit 47, ersetzen für den Zweck <strong>des</strong> arischen<br />
Abstammungsnachweises an<strong>der</strong>weitere beglaubigte Urkundenabschriften. Sie müssen aber<br />
e<strong>in</strong>zeln durch den zuständigen Stan<strong>des</strong>beamten o<strong>der</strong> Kirchenbuchführer beglaubigt und<br />
gestempelt werden.<br />
Der Ahnenpass muss dem betreffenden Beamten e<strong>in</strong>gesandt werden mit dem Ersuchen, die<br />
Richtigkeit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen für diesen Beamten zuständige E<strong>in</strong>tragungen zu überprüfen und<br />
gegebenen Falles Än<strong>der</strong>ungen und Richtigstellungen vorzunehmen, und dann die<br />
ordnungsgemäßig erstellten Angaben mit se<strong>in</strong>er Unterschrift zu beglaubigen und mit dem<br />
Dienststempel zu versehen. Im Falle e<strong>in</strong>er Richtigstellung s<strong>in</strong>d die Worte: Auf Grund<br />
vorgelegter Urkunden…zu streichen. Wird jedoch die E<strong>in</strong>reichung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>träge von <strong>der</strong><br />
Beifügung von Urkunden begleitet, (<strong>in</strong> diesem Fall kann die Beglaubigung sämtlicher<br />
E<strong>in</strong>träge von dem dem Wohnsitz <strong>des</strong> Ahnenpaß<strong>in</strong>habers zunächst gelegenen Stan<strong>des</strong>amt<br />
erfolgen) so wird <strong>der</strong> vorher erwähnte Zusatz: Auf Grund vorgelegter Urkunden…<br />
beibehalten, und die Beglaubigung erfolgt auf Grund <strong>der</strong> Vorlage jener beglaubigten<br />
Dokumente. Für den ersteren Fall, wenn also die E<strong>in</strong>sendung ohne Dokumente erfolgt, s<strong>in</strong>d<br />
die Angaben mit weichem Bleistift e<strong>in</strong>zuschreiben, während im letzteren Falle die Ausfüllung<br />
mit T<strong>in</strong>te vorzunehmen ist. Die E<strong>in</strong>träge sollen den Raum <strong>der</strong> Vordrucke nach Möglichkeit<br />
ausfüllen, wo dies nicht <strong>der</strong> Fall ist, müssen die leeren Stellen durch Striche ausgefüllt<br />
werden, um fälschlichen und unberechtigten späteren Zusätzen vorzubeugen.<br />
Quelle: Die unschuldigen K<strong>in</strong><strong>der</strong> und <strong>der</strong> 2. Weltkrieg, Seite 13
Die Attacke „Reichskristallnacht“ – gegen die Juden<br />
Das Wort hat jetzt <strong>der</strong> Staat<br />
Die Empörung über die schändliche Mordtat <strong>des</strong> Juden Grünspan durchbebt noch immer die<br />
ganze deutsche Presse. So schreibt <strong>der</strong> „V.B.“ zum Aufruf Dr. Goebbels an die Bevölkerung:<br />
Die feige Mordtat <strong>des</strong> Juden Grünspan hat im gesamten Deutschen Volk e<strong>in</strong>e nur allzu<br />
verständliche Empörung hervorgerufen, die sich denn auch angesichts <strong>der</strong> unvergleichlichen<br />
Geme<strong>in</strong>heit dieser Tat und unverfrorenen Frechheit, mit <strong>der</strong> sie ausgeführt wurde, <strong>in</strong><br />
judenfe<strong>in</strong>dlichen Kundgebungen äußerte. Wenn dabei, trotz <strong>der</strong> so berechtigten Wut aller<br />
Deutschen, ke<strong>in</strong>em Juden e<strong>in</strong> Haar gekrümmt wurde, so mag man das <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong><br />
Diszipl<strong>in</strong>iertheit <strong>des</strong> deutschen Volkes zugute halten.<br />
....<br />
Spontane Kundgebungen<br />
Gegen die Juden auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
125<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 11. Nov. 1938<br />
Die ruchlose Ermordung <strong>des</strong> Gesandtschaftsrats vom Rath durch den Juden Grynszpan<br />
(Grünspan) führte <strong>in</strong> <strong>der</strong> vergangenen Nacht auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> zu e<strong>in</strong>er spontanen Kundgebung<br />
gegen das Judentum. Dabei wurden die Innene<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> Synagoge zerstört und die<br />
Schaufensterscheiben jüdischer Geschäfte zerschlagen.<br />
E<strong>in</strong>en Tag später schrieb die <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung<br />
Auch gestern Kundgebungen gegen die Juden<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 10. Nov. 1938<br />
Gestern Nachmittag kam es <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> wie<strong>der</strong> zu spontanen Kundgebungen gegen die<br />
Juden. Tausende Volksgenossen versammelten sich auf dem Marktplatz, wo e<strong>in</strong><br />
Sprecher den Gefühlen <strong>des</strong> Abscheus gegen die jüdische Mordgier Ausdruck verlieh.<br />
Wie uns mitgeteilt wird, wurde e<strong>in</strong>e Anzahl Juden <strong>Guben</strong>s <strong>in</strong> Schutzhaft genommen.<br />
Noch bis <strong>in</strong> den Abend h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> sah man auf den Straßen erregte Menschenmassen, die<br />
ihrer Empörung über das jüdische Treiben Ausdruck verliehen.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 11. Nov. 1938
1938 Synagoge zerstört<br />
Als dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht vom 9. zum 10. November 1938 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> die Synagoge zerstört und<br />
jüdische Geschäfte (Bruno Meyer, Hugo Kronheim, Willi Hirsch) demoliert wurden, sagte e<strong>in</strong><br />
Betroffener an an<strong>der</strong>er Stelle: „Wartet ab, euch wird es ebenso ergehen!“ So ist es dann<br />
gekommen. Lei<strong>der</strong> mussten auch diejenigen <strong>Guben</strong>er Demokraten und Sozialisten die Folgen<br />
tragen, die sie selbst nicht verschuldet hatten. Das war im Sommer 1945 das entscheidende<br />
Problem: Wer trug die Verantwortung?<br />
Quelle: Lausitzer Rundschau, 13. Juni 1998, Gerhard Gunia<br />
Sätze zum 9. und 10. November 1938<br />
Manfred Hausmann<br />
Dass die <strong>Guben</strong>er Polizei nicht e<strong>in</strong>schritt und die jüdischen E<strong>in</strong>richtungen und Bürger<br />
schützte, wie es vere<strong>in</strong>zelt <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Städten geschah, lag daran, dass die Leitung <strong>der</strong><br />
NSDAP dem Leiter <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Polizei e<strong>in</strong>ige Tage vor dem 9. November e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich zu<br />
verstehen gegeben hatte, dass sich die Beamten aus <strong>der</strong> Angelegenheit heraus zuhalten haben.<br />
Den E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Feuerwehr freilich konnte man nicht verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Die Synagoge im Kastaniengraben aber blieb auf Jahre h<strong>in</strong>aus die e<strong>in</strong>zige Ru<strong>in</strong>e <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> bis<br />
die Stadt im Frühjahr 1945 selbst zu e<strong>in</strong>er Ru<strong>in</strong>enstätte wurde.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1995, S. 118-119<br />
Alles war verwüstet worden.<br />
K<strong>in</strong>dheitser<strong>in</strong>nerungen an die Pogrome <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> von Werner Möhr<strong>in</strong>g 165<br />
„Am Nachmittag, <strong>der</strong> auf die „Reichskristallnacht“ folgte, hatte es sich <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
herumgesprochen, daß <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt jüdische Geschäfte und E<strong>in</strong>richtungen demoliert worden<br />
s<strong>in</strong>d. Ich wurde damals gerade zehn Jahre alt und war natürlich neugierig, was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt<br />
geschehen war. Ich begab mich noch am Nachmittag dorth<strong>in</strong>.<br />
Die an sich kurze und schmale Klosterstraße, die nach Passieren <strong>der</strong> großen Neißebrücke<br />
begann und zum Marktplatz führte, war stark belebt, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> rechte Bürgersteig. Ich<br />
schloß mich <strong>der</strong> Menschenschlange an und g<strong>in</strong>g gleichfalls auf <strong>der</strong> rechten Seite.<br />
In zwei fast nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> liegenden Geschäften waren die Schaufensterscheiben völlig<br />
zertrümmert. Das erste Geschäft war e<strong>in</strong> Schmuckgeschäft mit entsprechenden<br />
Fensterauslagen. Das Personal war dabei, im Laden aufzuräumen. Im Schaufenster selbst<br />
traute sich noch ke<strong>in</strong>er, etwas zu machen, während so viele Leute vorbeig<strong>in</strong>gen, sonst wären<br />
sicher Helfer erkannt und <strong>in</strong> Gefahr gekommen. Lei<strong>der</strong> weiß ich den Namen <strong>der</strong> beiden<br />
Geschäfts<strong>in</strong>haber nicht mehr.<br />
165 Lausitzer Rundschau, <strong>Guben</strong>er Rundschau vom 07.November 1998.<br />
Dieser Pressebeitrag weicht etwas vom Manuskript <strong>des</strong> Autors ab.<br />
126
Anschließend lief ich zur Synagoge im Kastaniengraben. Hier g<strong>in</strong>gen dauernd Leute aus und<br />
e<strong>in</strong>. Das Backste<strong>in</strong>gebäude, das Wand an Wand zwischen mehrstöckigen Wohnhäusern stand,<br />
war gleichfalls von Nazi-Horden heimgesucht worden.<br />
Hier waren Parterre die Buntglasfensterscheiben zerschlagen. Den Gebetsraum erreichte man<br />
durch den Flur, dann die l<strong>in</strong>ke Tür. Diese aber war bereits verstellt. Man konnte aber sehen,<br />
daß alles verwüstet war: Die Altaraufbauten umgestürzt, die Gebetsbücher zerstreut, die<br />
Symbole (Fahnen) von <strong>der</strong> Wand gerissen.<br />
Über dem Gebetsraum <strong>in</strong> <strong>der</strong> oberen Etage befand sich die Privatwohnung <strong>des</strong> Küsters. (Er<br />
war natürlich nicht mehr anwesend.) Auch die Wohnung war verwüstet, <strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong><br />
Schubfächer herausgerissen. Hausrat lag wild durche<strong>in</strong>an<strong>der</strong> auf den beiden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte<br />
stehenden Bettstellen.<br />
Unablässig kamen Leute die schmale Holztreppe herauf, um sich das Geschehene anzusehen.<br />
Für die <strong>Guben</strong>er Bevölkerung war diese Situation ja ungewöhnlich, war sie doch zunächst<br />
e<strong>in</strong>malig, denn Verwüstungen durch Krieg gab es ja damals <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> noch nicht. Auch ich<br />
war damals als Junge schon sehr betroffen von diesem Zustand, war doch e<strong>in</strong>e halbjüdische<br />
Familie mit uns befreundet. Deshalb hat sich dieses Erlebnis mir beson<strong>der</strong>s e<strong>in</strong>geprägt.<br />
Eigenartig war, daß die Leute auf den Gebetsraum nur mit halbem Blick und mit Abstand<br />
schauten. Auch ich verschaffte mir ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>laß. Vielleicht war es auch die Ehrfurcht vor<br />
dieser religiösen Stätte.<br />
Ob die Synagoge dann <strong>in</strong> Brand gesteckt wurde, kann ich nicht sagen. Es trifft zu, daß es<br />
gefährlich für die unmittelbar angrenzenden Häuser war. Davor schreckten die Nazis bereits<br />
während <strong>der</strong> Verwüstung zurück. Mir ist nicht er<strong>in</strong>nerlich, daß dort überhaupt e<strong>in</strong> Brand war.<br />
Über die Zerstörung <strong>des</strong> großen Modegeschäftes von Hermann Meier, Am Markt, kann ich<br />
nur sagen, daß die Räumlichkeiten sich nicht nur Parterre, son<strong>der</strong>n auch auf die erste Etage<br />
erstreckten. Schaufenster waren sehr viele vorhanden, sowohl an <strong>der</strong> Seite zum Markt als<br />
auch e<strong>in</strong>e ganze Reihe im Durchgang zur Salzmarktstraße, sowie auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Salzmarktstraße<br />
selbst. Es war schon e<strong>in</strong> Kaufhaus, ähnlich wie „Ladeburg“. Die Scheiben waren damals alle<br />
zerstört. Wer dieses ausgedehnte Geschäft dann beräumt hat, kann ich nicht sagen. Später<br />
wurden die Schaufenster alle mit Brettern vernagelt. Die Räumlichkeiten wurden nie mehr als<br />
Verkaufse<strong>in</strong>richtungen benutzt. Etwa 1942/43 wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Etage <strong>in</strong> Regalen Akten<br />
<strong>der</strong> Stadtverwaltung gelagert. Als Lehrl<strong>in</strong>g <strong>der</strong> Stadtverwaltung durfte ich mehrmals me<strong>in</strong>en<br />
Ausbil<strong>der</strong> dorth<strong>in</strong> begleiten, wenn Akten benötigt o<strong>der</strong> dorth<strong>in</strong> zurückgebracht wurden.“<br />
Quelle: „Nachbarn von e<strong>in</strong>st“ – Andreas Peter, Seite 85/86<br />
Zahlreiche Verbote erg<strong>in</strong>gen an die Juden<br />
Ab 30. September ke<strong>in</strong>e jüdischen Ärzte mehr<br />
Die Judenfrage wird <strong>in</strong> Deutschland auf gesetzlichem Wege schrittweise ihrer Lösung<br />
entgegengeführt. Brachte das Reichsbürgergesetz und die zweite Verordnung hierzu e<strong>in</strong>e<br />
Bere<strong>in</strong>igung <strong>des</strong> öffentlichen Lebens von Juden durch die restlose Entfernung aller jüdischen<br />
127
Träger e<strong>in</strong>es öffentlichen Amtes, so zielt e<strong>in</strong>e soeben verkündete vierte Verordnung zum<br />
Reichsbürgergesetz auf e<strong>in</strong>e Fernhaltung <strong>der</strong> Juden von dem deutschen Volkskörper auf<br />
e<strong>in</strong>em beson<strong>der</strong>s wichtigen Gebiet ab:<br />
Die Ausschaltung <strong>der</strong> Juden aus <strong>der</strong> Ärzteschaft. Mit dem 30. September 1938 erlöschen die<br />
Bestallungen <strong>der</strong> jüdischen Ärzte. In Deutschland wird dann ke<strong>in</strong> jüdischer Arzt mehr e<strong>in</strong>en<br />
deutschblütigen Menschen behandeln dürfen. Der jüdische Arzt darf auch nicht durch<br />
Aufnahme e<strong>in</strong>er Tätigkeit als Heilpraktiker versuchen, das Gesetz zu umgehen. Im Übrigen<br />
enthält die Verordnung Vorschriften über Lösung von Dienstverhältnissen, Kündigung von<br />
Wohnungen usw. Wichtig ist, daß die Kündigung von bisher von jüdischen Ärzten<br />
<strong>in</strong>negehaltenen Wohnungen o<strong>der</strong> Praxisräumen vom Hauswirt bis zum 15. August 1938<br />
ausgesprochen und dem Vertragspartner zugegangen se<strong>in</strong> muß.<br />
Juden müssen ihr Vermögen anmelden<br />
128<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 03. August 1938<br />
Der Beauftragte für den Vierjahresplan und <strong>der</strong> Reichsm<strong>in</strong>ister <strong>des</strong> Innern haben e<strong>in</strong>e<br />
geme<strong>in</strong>same Verordnung über die Anmeldung <strong>des</strong> Vermögens von Juden erlassen, die im<br />
Reichsgesetzblatt Teil 1 Nr. 63 im Wortlaut verkündet wird.<br />
Danach hat je<strong>der</strong> Jude im S<strong>in</strong>ne <strong>des</strong> Reichsbürgergesetzes se<strong>in</strong> gesamtes <strong>in</strong>- und<br />
ausländisches Vermögen gemäß den im E<strong>in</strong>zelnen getroffenen Bestimmungen anzumelden<br />
und zu bewerten. Diese Pflicht trifft auch den nicht jüdischen Ehegatten e<strong>in</strong>es Juden.<br />
Die Anmeldepflicht entfällt, wenn <strong>der</strong> Gesamtwert <strong>des</strong> pflichtigen Vermögens ohne<br />
Berücksichtigung <strong>der</strong> Verb<strong>in</strong>dlichkeiten 5000 RM nicht übersteigt.<br />
......<br />
Verstöße gegen die Verordnung werden mit Strafen bis zu zehn Jahren Zuchthaus bedroht.<br />
Waffenbesitz für Juden verboten<br />
Anordnung <strong>des</strong> Reichsführers SS Himmler<br />
DNB. München 10. Nov. Der Reichsführer SS und Chef <strong>der</strong> deutschen Polizei hat folgende<br />
Anordnung erlassen:<br />
Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden gelten, ist jeglicher Waffenbesitz<br />
verboten. Zuwi<strong>der</strong>handelnde werden <strong>in</strong> Konzentrationslager übergeführt und auf die Dauer<br />
von 20 Jahren <strong>in</strong> Schutzhaft genommen.<br />
Gegen das Judentum<br />
S c h a r f e M a ß n a h m e n<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 10. Nov. 1938
Unsere kulturellen Veranstaltungen für Juden gesperrt<br />
Berl<strong>in</strong> 12.Nov. Dr. Goebbels hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenschaft als Präsident <strong>der</strong> Reichskulturkammer<br />
mit sofortiger Wirkung allen Theaterleitern, Konzert- und Vortragsveranstaltern, Filmtheaterunternehmern,<br />
artistischen Unternehmern, Veranstaltern von Tanzvorführungen und Veranstaltern<br />
öffentlicher Ausstellungen kultureller Art untersagt, jüdischen Personen den Besuch<br />
ihrer Unternehmen zu gestatten.<br />
Übertretungen ziehen für die Veranstalter und beson<strong>der</strong>s für die Juden schwere Strafen nach<br />
sich. In se<strong>in</strong>er Anordnung verweist Reichsm<strong>in</strong>ister Dr. Goebbels darauf, daß <strong>der</strong> nationalsozialistische<br />
Staat den Juden seit nunmehr schon über fünf Jahren <strong>in</strong>nerhalb beson<strong>der</strong>er<br />
jüdischer Organisationen die Pflege ihres eigenen Kulturlebens ermöglicht habe. Damit<br />
besteht ke<strong>in</strong>e Veranlassung mehr, den Juden den Besuch <strong>der</strong> bezeichneten Veranstaltungen<br />
und Unternehmungen zu gestatten.<br />
Juden dürfen Sonnabend nicht auf die Straße<br />
129<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 12./13. Nov. 1938<br />
Aus <strong>der</strong> Erwägung heraus, daß die Juden an <strong>der</strong> Solidarität <strong>des</strong> deutschen Volkes ihren Anteil<br />
haben, hat <strong>der</strong> Chef <strong>der</strong> Sicherheitspolizei e<strong>in</strong>e Anordnung getroffen, die am<br />
29. November im Reichs- und Preußischen Staatsanzeiger veröffentlicht wurde. Die<br />
Veröffentlichung untersagt, Juden deutscher Staatsangehörigkeit und staatenlose Juden am<br />
„Tage <strong>der</strong> Nationalen Solidarität“ das Betreten von Straßen und Plätzen. Sie legt den<br />
genannten Personen die Verpflichtung auf, sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> von 12 bis 20 Uhr <strong>in</strong> ihren<br />
<strong>der</strong>zeitigen Wohnungen aufzuhalten. Die Verordnung enthält gleichfalls die Androhung von<br />
Strafmaßnahmen für den Fall <strong>der</strong> Zuwi<strong>der</strong>handlung.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 30. Nov. 1938<br />
Kraftfahrverbot für Juden<br />
Sofortige Entziehung <strong>der</strong> Führersche<strong>in</strong>e und Zulassungspapiere<br />
-Auszug -<br />
Berl<strong>in</strong> 5.12. Der Reichsführer SS und Chef <strong>der</strong> Deutschen Polizei im Reichsm<strong>in</strong>isterium <strong>des</strong><br />
Innern, He<strong>in</strong>rich Himmler, erläßt folgende vorläufige polizeiliche Anordnung über die Entziehung<br />
<strong>der</strong> Führersche<strong>in</strong>e und Zulassungspapiere für Kraftfahrzeuge von Juden:<br />
„Die feige Mordtat <strong>des</strong> Juden Grünspan, die sich gegen das gesamte deutsche Volk richtete,<br />
läßt Juden als unzuverlässig und ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ersche<strong>in</strong>en.<br />
Vorbehaltlich e<strong>in</strong>er endgültigen Regelung wird daher folgen<strong>des</strong> angeordnet:<br />
6. Aus allgeme<strong>in</strong>en sicherheitspolizeilichen Gründen und zum Schutze <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit<br />
untersage ich mit sofortiger Wirkung sämtlichen <strong>in</strong> Deutschland wohnenden Juden<br />
deutscher Staatsangehörigkeit das Führen von Kraftfahrzeugen aller Art und entziehe<br />
ihnen hiermit die Fahrerlaubnis.<br />
7. Den <strong>in</strong> Deutschland wohnenden Juden deutscher Staatsangehörigkeit ist das Halten von<br />
Personenkraftwagen und –krafträ<strong>der</strong>n (mit o<strong>der</strong> ohne Beiwagen) verboten. Für<br />
Lastkraftfahrzeuge bleibt weitere Anordnung vorbehalten.<br />
8. Die <strong>in</strong> Deutschland wohnenden Juden deutscher Staatsangehörigkeit haben die<br />
Führersche<strong>in</strong>e aller Klassen sowie die Kraftfahrzeugsche<strong>in</strong>e für Personenkraftwagen und<br />
Krafträ<strong>der</strong> unverzüglich, spätestens bis zum 31. Dezember 1938, bei den zuständigen
Polizeirevieren abzuliefern. Die amtlichen Kennzeichen s<strong>in</strong>d mit den Zulassungssche<strong>in</strong>en<br />
zur Entstempelung vorzulegen.<br />
9. Die zuständigen Polizei- und Verwaltungsbehörden haben das Erfor<strong>der</strong>liche zu<br />
veranlassen.<br />
10. Gegen Zuwi<strong>der</strong>handlungen wird nach den bestehenden Strafvorschriften e<strong>in</strong>geschritten...<br />
130<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 05. Dez.1938<br />
E<strong>in</strong>wohner Jüdischen Glaubens <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong> ab 1939<br />
...ist im E<strong>in</strong>wohnerbuch die jüdische Geme<strong>in</strong>de nicht mehr aufgeführt und auf dem<br />
Kastaniengraben die Nr. 16, also die Synagoge, ausgelassen. Es leben zu diesem <strong>Zeit</strong>raum<br />
noch 59 jüdische E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt.<br />
Die männlichen Mitglie<strong>der</strong> haben den Vornamen Israel, die weiblichen Mitglie<strong>der</strong> Sarah<br />
h<strong>in</strong>zusetzen müssen.<br />
1968 im Februar starb Harry Lesser <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> im Rosa-Thälmann-Heim (78jährig), früher<br />
Expedient. Er war me<strong>in</strong>es Wissens jüdischen Geblüts und wohl nur <strong>des</strong>halb den Schrecken<br />
<strong>des</strong> Naziregimes entkommen, weil er zum christlichen Glauben übergetreten war. Er wurde<br />
mit kirchlichem Geleit <strong>der</strong> evangelischen Kirche beerdigt.<br />
23.3.1942 Das Son<strong>der</strong>gericht für den Bezirk <strong>des</strong> Oberlan<strong>des</strong>gerichts Nürnberg fällt das Urteil<br />
gegen Irene Seiler und Israel Katzenberger.<br />
Irene Seiler, geb. Schefter, am 26.4.1910 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren, besuchte das Lyzeum und die<br />
Realschule bis zur Unterprima. 1932 zog sie nach Nürnberg, wo sie am 1.1.1938 das<br />
Photogeschäft <strong>der</strong><br />
Schwester übernahm.<br />
Israel Lehmann Katzenberger wurde 1873 geboren. Bis 1938 besaß er e<strong>in</strong> Schuhgeschäft <strong>in</strong><br />
Nürnberg und leitete gleichzeitig den Vorstand <strong>der</strong> Jüdischen Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Nürnberg.<br />
Bei dem Prozeß von 1942 wurde ihnen die Verletzung <strong>des</strong> Gesetzes „zum Schutze <strong>des</strong><br />
deutschen Blutes und <strong>der</strong> deutschen Ehre“ angelastet, obwohl ihnen ke<strong>in</strong> außerehelicher<br />
Verkehr nachgewiesen werden konnte.<br />
Israel Lehmann Katzenberger wurde zum Tode verurteilt. Irene Seiler verurteilte man wegen<br />
„Me<strong>in</strong>eids“ zu zwei Jahren Zuchthaus.<br />
Der Faschismus för<strong>der</strong>te die Auswan<strong>der</strong>ung jüdischer Bürger. Viele verkauften ihren Besitz<br />
und verließen Deutschland angesichts <strong>der</strong> Gefahr. Aus <strong>Guben</strong> wan<strong>der</strong>ten zum Beispiel aus:<br />
Ludwig und Emanuel Meyer (Besitzer <strong>der</strong> Le<strong>der</strong>fabrik Grunewal<strong>der</strong> Straße),<br />
Dr. Alexan<strong>der</strong> Lew<strong>in</strong> (Generaldirektor <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er-Hutfabrik),<br />
Dr. Alfred Glücksmann (bis 1924 Oberbürgermeister <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>, danach Direktor e<strong>in</strong>er Bank<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>)<br />
Dr. Fritz Salomon (Rechtsanwalt und Notar),<br />
Walter Lißner (Kaufmann),<br />
Julius Cohn (Inhaber <strong>des</strong> Konfektionshauses Wolff-Krimmer, Nachfahre) und<br />
Dr. Paul Cohn (praktizieren<strong>der</strong> Arzt).<br />
Mart<strong>in</strong> und Ellen Rosenthal waren Besitzer <strong>der</strong> Hutfabrik Ste<strong>in</strong>ke (nach 1945 - kommunale<br />
Berufsschule, Albert-Schweitzer-Schule, Lehrl<strong>in</strong>gswohnheim <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bahnhofsstraße - heute
Geme<strong>in</strong>nütziger Berufsbildungsvere<strong>in</strong> <strong>Guben</strong> e.V.) und Eigentümer <strong>der</strong> Fabrik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mittelstraße<br />
(ehemals Polytechnisches Zentrum – heute Fabrik e.V. 3 ) sowie e<strong>in</strong>er Strohhutfabrik <strong>in</strong><br />
Dresden. 1937 verkauften sie ihre Betriebe (Hutfabrik Ste<strong>in</strong>ke wurde von <strong>der</strong> BGH<br />
aufgekauft) und emigrierten nach Holland. Nach <strong>der</strong> faschistischen Besetzung Hollands<br />
wurden sie verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dort vergast. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> Rosenthals,<br />
Dr. Herbert Rosenthal und Grete Haas, emigrierten <strong>in</strong> die USA bzw. nach England. Im<br />
Betrieb von Mart<strong>in</strong> Rosenthal waren auch jüdische Bürger beschäftigt (z.B. Georg Pelz, Max<br />
Cohn-Bloch, He<strong>in</strong>rich Reich, Rita London, Ilse Katzky, Referendar Heilborn).<br />
Die Familie Pelz konnte nach Amsterdam emigrieren und überlebte somit den Faschismus.<br />
Max Cohn-Bloch emigrierte ebenfalls nach Amsterdam und gründete dort e<strong>in</strong>e Familie.<br />
Jedoch wurde er von den Faschisten nach Auschwitz verschleppt und starb dort an <strong>der</strong> Ruhr<br />
(laut Aussage von Rudi Cheim, <strong>der</strong> auch <strong>in</strong> Auschwitz war und nach <strong>der</strong> Zerschlagung <strong>des</strong><br />
Faschismus nach <strong>Guben</strong> zurückkehrte).<br />
He<strong>in</strong>rich Reich emigrierte nach den USA, heiratete dort und lebt jetzt <strong>in</strong> Boston.<br />
Rita London (ihr Vater betrieb e<strong>in</strong> Wirtschaftswarengeschäft) verließ über die jüdische<br />
Hilfsorganisation <strong>Guben</strong> und begann <strong>in</strong> Australien e<strong>in</strong> neues Leben. Die Schwester<br />
wan<strong>der</strong>te mit ihrem Verlobten nach Paläst<strong>in</strong>a aus.<br />
Von 217 Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> jüdischen Geme<strong>in</strong>de (1932/33) lebten 1938 noch 60 vorwiegend<br />
Ältere <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>, u.a. Dr. Kurt Berent, Dr. Denny Kaplan, Sigismund Frühl<strong>in</strong>g, Ilse Katzky,<br />
Abraham Stempel und Alfred Mendelssohn. Von diesen 60 waren 23 Frauen und 37 Männer.<br />
Ernst London besaß e<strong>in</strong> Wirtschaftswarengeschäft.<br />
Kurt Levy, geb.1898 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>, war später Rechtsanwalt am Kammergericht <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. 1938<br />
wurde er nach Sachsenhausen verschleppt. Nach se<strong>in</strong>er Freilassung war er Dezernent bei <strong>der</strong><br />
Reichsvere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Juden <strong>in</strong> Deutschland und später <strong>der</strong>en letzter Vorsitzen<strong>der</strong>. 1943<br />
mußte er mit se<strong>in</strong>er Familie <strong>in</strong>s Ghetto nach Theresienstadt und wurde 1944 <strong>in</strong> Auschwitz<br />
umgebracht.<br />
In Ghettos nach Warschau und an<strong>der</strong>en polnischen Städten gebracht und ermordet wurden<br />
aus <strong>Guben</strong> u.a. Hedwig Katzky ( Mutter von Ilse Fraenkel, geb. Katzky), Sigismund Frühl<strong>in</strong>g<br />
(letzter Vorstand <strong>der</strong> jüdischen Synagogengeme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>), Gustav Marcus (ehemaliger<br />
Justizrat und Stadtrat). 1945 hatten (<strong>in</strong> Deutschland, Red.) <strong>in</strong>sgesamt nur ca.15000 Juden<br />
überlebt.<br />
131<br />
Quelle: Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten Schnei<strong>der</strong>;<br />
wissenschaftlich- praktische Arbeit/<br />
Projektarbeit, EOS „Pestalozzi“ <strong>Guben</strong><br />
1989/90<br />
3 Anm. d. Red.: Fabrik e.V. mit dem ursprünglichen Gebäude wurde 2004 abgerissen und wie<strong>der</strong> neu aufgebaut.
Wegweiser durch das jüdische Brandenburg<br />
von I. Diekmann / H.J. Schoeps<br />
EDITION HENTRICH<br />
-Auszug-<br />
…E<strong>in</strong> ständiger Begleiter <strong>der</strong> meisten jüdischen Deutschen seit Ausbruch <strong>des</strong> Krieges war <strong>der</strong><br />
Hunger. Sie erhielten niedrigere Lebensmittelrationen als die Reichsbürger. Der<br />
Normalverbraucher erhielt wöchentlich folgende Lebensmittelrationen <strong>in</strong> Gramm.<br />
Jahr Brot Fleisch Fett<br />
Ende September 1939 2.400 500 270<br />
Mitte April 1942 2.000 300 206<br />
Anfang Juni 1943 2.325 250 218<br />
Ende Oktober 1944 2.225 250 218<br />
Mitte März 1945 1.778 222 109<br />
Die Lebensmittelernährungsämter beschnitten diese Rationen noch, wenn die Empfänger<br />
Juden waren. Schon Ende 1939 und Anfang <strong>1940</strong> wurden die Rationen für Juden gekürzt o<strong>der</strong><br />
gänzlich gestrichen. Für die Zuteilungsperiode vom 18. Dezember 1939 bis 14. Januar <strong>1940</strong><br />
erhielten die Juden weniger Fleisch und Butter, ke<strong>in</strong> Kakaopulver und ke<strong>in</strong>en Reis. Für die<br />
Zuteilungsperiode vom 15. Januar <strong>1940</strong> bis 4. Februar <strong>1940</strong> wurde für Juden die Belieferung<br />
mit Fleisch und Gemüse gekürzt. So g<strong>in</strong>g es von e<strong>in</strong>er Zuteilungsperiode zur nächsten. Die<br />
M<strong>in</strong>isterialbürokratie hatte den Hunger durch ihre Anordnungen hervorgerufen, im Verlaufe<br />
<strong>des</strong> Krieges verschärfte sie ihre Anordnungen und den Hunger 18 . Die Juden erhielten auch<br />
ke<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>zuteilungen, wie sie aus bestimmten Anlässen an alle Versorgungsberechtigten<br />
verteilt wurden…<br />
18 ebenda, Bd. 1, S. 158 ff.<br />
132<br />
Quelle: Jutta Rückert / Otto Rückert<br />
Literatur: Wolbe, Eugen:<br />
„Geschichte <strong>der</strong> Juden <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong>“<br />
und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mark Brandenburg“<br />
Berl<strong>in</strong> 1937
Völkermord<br />
Arbeitslager<br />
Konzentrationslager<br />
133
Ostarbeiter im E<strong>in</strong>satz<br />
Goebbels verkündet „totalen Krieg“ / <strong>Guben</strong> Rüstungsstandort<br />
<strong>Guben</strong>. In den sechs Kriegsjahren von September 1939 bis Anfang 1945 waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt<br />
und im Kreis <strong>Guben</strong> ausländische Kriegsgefangene/Zwangsarbeiter <strong>in</strong> Industrie,<br />
Landwirtschaft und Gewerbe e<strong>in</strong>gesetzt. Sie wohnten <strong>in</strong> Barackenlagern (Rhe<strong>in</strong>metall-Borsig,<br />
Am Angerteich), <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Unterkünften (Hutfabriken) o<strong>der</strong> <strong>in</strong> privaten Haushalten<br />
(Bauerngehöfte).<br />
Mit <strong>der</strong> Verkündung <strong>des</strong> „totalen Krieges“ am 18. Februar 1943 durch den Reichsm<strong>in</strong>ister<br />
Goebbels (auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> über Rundfunk bekannt) versuchte das NS-Regime mit allen<br />
Mitteln, die Rüstungsproduktion zu steigern, zusätzlich Arbeitskräfte aus dem In- und<br />
Ausland zu mobilisieren, um den Endsieg zu sichern. Dabei war es so, dass Kriegsgefangene<br />
von den Unternehmen über das Arbeitsamt angefor<strong>der</strong>t wurden. Das geschah seit <strong>1940</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Guben</strong> aus dem Stalag (Mannschaftsstammlager) III B <strong>in</strong> Fürstenberg/O<strong>der</strong>.<br />
So erhielt das Sägewerk Zeschke <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> 16 Polen, die Gutsverwaltungen Lübb<strong>in</strong>chen 13,<br />
Schenkendöbern 17 o<strong>der</strong> Groß Drewitz 16 usw. Zwangsarbeiter kamen über so genannte<br />
Dulags (Durchgangslager) <strong>in</strong> ihre E<strong>in</strong>satzorte. Zunehmend reihten sich Frauen aus <strong>der</strong> Stadt<br />
und bereits zur Ruhe gesetzte Männer wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Arbeitsprozess e<strong>in</strong> (<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung,<br />
3.2.1943).<br />
1942 galt als das „Jahr <strong>der</strong> Ostarbeiter“, da Anfang 1942 die ersten Russen <strong>in</strong> unserem<br />
Regierungsbezirk Frankfurt an <strong>der</strong> O<strong>der</strong> e<strong>in</strong>gesetzt wurden. Hitler und Gör<strong>in</strong>g hatten sich<br />
Ende 1941 für den „Russene<strong>in</strong>satz“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen Kriegswirtschaft entschieden unter<br />
„partieller Zurücksetzung ideologischer und sicherheitspolitischen Bedenken“ (vergl.<br />
Fremdarbeiter <strong>in</strong> Brandenburg <strong>in</strong> <strong>der</strong> NS-<strong>Zeit</strong>, 1996, S. 11)<br />
Der Auslän<strong>der</strong>e<strong>in</strong>satz im Arbeitsamtsbereich <strong>Guben</strong> (Juli 1943) betrug 6.497 Personen (4.577<br />
Männer, 1.920 Frauen), darunter 1.718 Ostarbeiter. Den größten Anteil hatte Rhe<strong>in</strong>metall-<br />
Borsig mit 623 Ostarbeitern, 423 Polen, 450 Italienern, 399 Franzosen, 98 Hollän<strong>der</strong> und<br />
weiteren Fremdarbeitern (Stand 1944).<br />
In e<strong>in</strong>em Merkblatt <strong>des</strong> Generalbevollmächtigten Fritz Sauckel wird angewiesen: „Beim<br />
E<strong>in</strong>satz im Betrieb s<strong>in</strong>d die Ostarbeiter grundsätzlich von den Deutschen und ausländischen<br />
Arbeitern sowie von den Kriegsgefangenen getrennt, d. h. nur <strong>in</strong> geschlossenen Kolonnen<br />
e<strong>in</strong>zusetzen.“ Sie erhielten nur e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>gen Barlohn.<br />
Nicht zu übersehen waren im <strong>Guben</strong>er Stadtbild die von Soldaten bewachten abgehärmten<br />
Gestalten mit dem blauen Kennzeichen „OST“, die an den Straßenrän<strong>der</strong>n ausgeschüttete<br />
Zigarettenkippen aufsammelten, woran sich <strong>der</strong> Verfasser aus se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit er<strong>in</strong>nert<br />
(Kaltenborner Straße, Richtung Schlagsdorfer Weg, Borsig Baracken).<br />
Wie Statistiken belegen, arbeiteten knapp 427.000 zivile und kriegsgefangene Auslän<strong>der</strong><br />
(ohne ausländische KZ-Häftl<strong>in</strong>ge) <strong>in</strong> <strong>der</strong> brandenburgischen Wirtschaft (Stand Februar 1944),<br />
davon über 60 Prozent <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landwirtschaft (siehe auch RUNDSCHAU vom 13.1.1993,<br />
Bericht aus Kanig, Kr. <strong>Guben</strong>).<br />
Rigoros vorgegangen wurde bei Übertretungen <strong>der</strong> entsprechenden Anordnungen. Im Himmler-Erlass über Zivilarbeiter polnischen<br />
Volkstums heißt es: „Wer mit e<strong>in</strong>er deutschen Frau o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em deutschen Mann geschlechtlich verkehrt, wird mit dem Tode bestraft.“<br />
134
Deutschen Frauen drohte Haftstrafe, auch öffentliches Abschneiden <strong>der</strong> Haare war üblich<br />
(wie <strong>der</strong> Verf. auf e<strong>in</strong>em Platz <strong>in</strong> Ostpreußen bei e<strong>in</strong>em Besuch erlebte). Das Amtsgericht<br />
<strong>Guben</strong> verurteilte 1943 e<strong>in</strong>e Bewohner<strong>in</strong> aus Fürstenberg/O<strong>der</strong> wegen „verbotenen Umgangs<br />
mit Kriegsgefangenen“ zu 500 RM Geldstrafe bzw. 50 Tagen Gefängnis.<br />
Im Dezember 1944 wurden im Borsig-Gelände 21 Zivilgefangene erschossen, vermutlich<br />
wegen ihrer Haltung zur heranrückenden Front. Nach 1945 wurde am Waldrand zwischen<br />
Kaltenborn und Schlagsdorf e<strong>in</strong> Denkmal errichtet. Die Umbettung <strong>der</strong> Toten zum heutigen<br />
Platz <strong>des</strong> Gedenkens erfolgte 1974, wo auch gefallene sowjetische Soldaten und neun<br />
russische K<strong>in</strong><strong>der</strong> ruhen (Namen im Stadtarchiv). Die Gräber von 72 polnischen<br />
Kriegsgefangenen/Zwangsarbeitern von 1939/40 f<strong>in</strong>den sich auf dem Friedhof <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Altsprucke.<br />
Ob sich heute von den noch überlebenden 750.000 Zwangsarbeitern auch e<strong>in</strong>ige aus dem<br />
Raum <strong>Guben</strong> bef<strong>in</strong>den, für die die vom Bun<strong>des</strong>tag beschlossene Entschädigung gilt, ist bis<br />
heute nach 55 Jahren nicht bekannt.<br />
So kommentierte die Presse<br />
Quelle: Lausitzer Rundschau, 22. April 2000, Gerhard Gunia<br />
Verhalten gegen polnische Kriegsgefangene<br />
Zu Hun<strong>der</strong>ttausenden werden politische Kriegsgefangene <strong>in</strong> Deutschland bei verschiedenen<br />
Arbeiten e<strong>in</strong>gesetzt und treten so <strong>in</strong> nähere Berührung mit <strong>der</strong> Bevölkerung. Lei<strong>der</strong> muß<br />
festgestellt werden, daß e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Bevölkerung offenbar sich darüber nicht klar ist, daß e<strong>in</strong><br />
Fe<strong>in</strong>d immer Fe<strong>in</strong>d bleibt. Vergessen wir nicht, welche unsagbaren Leiden unseren<br />
volksdeutschen Brü<strong>der</strong>n durch die Polen zugefügt wurden. Es entspricht nicht dem deutschen<br />
Wesen, <strong>in</strong> so kurzer <strong>Zeit</strong> zu vergessen, was unsere Landsleute drüben erlitten haben.<br />
Auch jetzt heißt es, die Augen offen halten und die Gefahren abwehren, die durch diese<br />
Kriegsgefangenen unserem Lande gebracht werden können. Es ist polizeilich verboten, mit<br />
Gefangenen <strong>in</strong> Verkehr zu treten und zu versuchen, sich mit ihnen durch Worte o<strong>der</strong> Zeichen<br />
zu verständigen. Zuwi<strong>der</strong>handlungen werden mit Geldstrafen bis zu 150 RM o<strong>der</strong> bis zu<br />
14 Tagen Haft bestraft. Wahrt auch den polnischen Kriegsgefangenen gegenüber eure Würde<br />
als Deutsche! Es ist undeutsch, den Gefangenen Nahrungsmittel o<strong>der</strong> Rauchwaren<br />
zuzustecken, sie werden <strong>in</strong> den Gefangenenlagern und auf den Arbeitsstätten besser<br />
verpflegt, als wohl die meisten von ihnen <strong>in</strong> Polen früher. Laßt euch nicht verleiten, aus<br />
falschem Mitleid von den Gefangenen e<strong>in</strong>en Brief o<strong>der</strong> sonstige Mitteilungen zur<br />
Weiterbeför<strong>der</strong>ung anzunehmen.<br />
Verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen<br />
135<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 29. Febr. <strong>1940</strong><br />
Cottbus. Trotz aller Warnungen und H<strong>in</strong>weise hat sich <strong>der</strong> 30jährige Hermann Simmack aus<br />
Siewisch, Kreis Calau, dazu hergegeben, für polnische Kriegsgefangene, und dazu noch für<br />
e<strong>in</strong>en polnischen Juden, Post zu beför<strong>der</strong>n.
Nur weil <strong>der</strong> Angeklagte die Tat als Torheit, nicht aus bösem Willen begangen hatte, wurde er<br />
nicht zu Zuchthaus verurteilt. Das Amtsgericht am Sitze <strong>des</strong> früheren Schöffengerichts<br />
Cottbus verurteilte Simmack zu fünf Monaten Gefängnis.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 11.April <strong>1940</strong><br />
Polnische Mädchen <strong>in</strong> deutschen Familien<br />
Haltung und Abstand – Erwünschte Hilfe, aber vermehrte Verantwortung<br />
-Auszüge-<br />
Außer männlichen Arbeitskräften polnischer Nationalität werden seit längerer <strong>Zeit</strong> auch<br />
polnische Mädchen <strong>in</strong> bäuerlichen Haushaltungen und <strong>in</strong> ganz ger<strong>in</strong>ger Zahl <strong>in</strong><br />
Gewerbebetrieben beschäftigt, wobei sie teilweise Haushaltsarbeiten mit verrichten.<br />
.... Genaue Bestimmungen regeln den äußeren Verkehr mit diesen Polen bei<strong>der</strong>lei Geschlechts.<br />
.... Wir dürfen nicht vergessen, daß sie e<strong>in</strong>em Volke angehören, das vor reichlich e<strong>in</strong>em Jahre<br />
60000 deutsche Menschen über e<strong>in</strong>en bitteren Leidensweg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en grausamen Tod hetzte.<br />
Und die Tatsache, daß dieses gleiche Volk durch 20 Jahre h<strong>in</strong>durch deutschen Boden<br />
verkommen, deutsche Straßen, Kanäle, Industrieanlagen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em wi<strong>der</strong>rechtlich<br />
angeeigneten Land verrotten ließ. Weist ihnen von vornhere<strong>in</strong> ihre Stellung als Dienende <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Führungsvolk zu, das je<strong>der</strong>zeit bereit se<strong>in</strong> wird, sie menschlich und gerecht zu<br />
behandeln, aber niemals als gleichberechtigt anzuerkennen.<br />
.... Die Pol<strong>in</strong> hat nicht dieselbe Stellung wie deutsches Ges<strong>in</strong>de, das „K<strong>in</strong>d im Haus“ zu se<strong>in</strong><br />
vermag, das aus gleichem Blute, gleicher Ges<strong>in</strong>nung und gleicher Ehre kommt.<br />
.... E<strong>in</strong>e Pol<strong>in</strong> im Haushalt zu haben, soll ke<strong>in</strong> Idealzustand se<strong>in</strong>. Ihre Anwesenheit und Hilfe<br />
bedeutet e<strong>in</strong>en vorübergehenden Ausweg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Zeit</strong>, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Kräfte <strong>des</strong> deutschen Volkes<br />
bis zum äußersten angespannt s<strong>in</strong>d, um die ihm gebührende Freiheit zu erkämpfen und ihm<br />
den Lebensraum zu schaffen, den es zu se<strong>in</strong>er gesunden Fortentwicklung braucht...<br />
Das Borsig-Lager <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt<br />
136<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 22. Nov.<strong>1940</strong><br />
Von Zwangsarbeitern und Gesten <strong>der</strong> Solidarität / <strong>Guben</strong> im Zweiten Weltkrieg<br />
GUBEN. Die Neuordnung Europas unter deutscher Vorherrschaft war das politische Ziel <strong>der</strong><br />
NS-Führung unter Hitler und Himmler. Dabei war je<strong>des</strong> Mittel recht.<br />
Die heute 70-jährigen <strong>Guben</strong>er waren im Jahre 1939 gerade zehn Jahre alt, als sie feierlich <strong>in</strong> das Jungvolk aufgenommen wurden (<strong>Guben</strong>er<br />
<strong>Zeit</strong>ung, 21. April 1939). Sie trugen für das damalige Geschehen ke<strong>in</strong>e Verantwortung mehr, müssen aber wissen, was ihre Eltern<br />
möglicherweise getan haben.<br />
Deportation und Vernichtung<br />
Zu den schwerwiegenden Folgen <strong>des</strong> Krieges gegen Polen gehörten die außerordentlichen Maßnahmen von <strong>der</strong> Deportation bis zur<br />
physischen Vernichtung, vor allem <strong>des</strong> polnischen Judentums. 1939 lebten dort drei Millionen.
Daran waren viele beteiligt: Verwaltungsbeamte und Polizisten, Wehrmachtssoldaten und<br />
Wirtschaftsunternehmen, obwohl man später se<strong>in</strong>en Anteil leugnete o<strong>der</strong> verkle<strong>in</strong>erte. Das<br />
liegt nun 60 Jahre zurück und auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> s<strong>in</strong>d die meisten <strong>der</strong> Beteiligten nicht mehr am<br />
Leben.<br />
Von 1939 bis Anfang 1945 gab es <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> Lager und abgegrenzte Bereiche für<br />
Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> örtlichen Industrie, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landwirtschaft und<br />
im Handwerk e<strong>in</strong>gesetzt wurden. Am größten war das Lager <strong>des</strong> Rüstungsbetriebes<br />
Rhe<strong>in</strong>metall-Borsig im südlichen Stadtgebiet, das nach 1945 demontiert und später Gelände<br />
<strong>des</strong> CFG wurde.<br />
Errichtet <strong>1940</strong>, standen hier Holzbaracken für 2.000 Beschäftigte, Küche, Speiseraum und Waschanlagen. Zu diesem <strong>Zeit</strong>punkt wurden die<br />
polnischen Kriegsgefangenen als Zivilarbeiter umfunktioniert (Himmler-Erlasse). Auf <strong>der</strong> Kleidung mussten sie e<strong>in</strong> auf die Spitze gestelltes<br />
farbiges Quadrat mit dem Kennzeichen „P“ tragen.<br />
Die Anlage heimlich fotografiert<br />
Weiterh<strong>in</strong> gab es das Geme<strong>in</strong>schaftslager Am Anger (heute Gub<strong>in</strong>, ul. Slaska) mit sieben Wohnbaracken für Franzosen und Italiener,<br />
beschäftigt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tuchfabrik Lehmann, Alte Poststraße. Werner Beutke, aufgewachsen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pförtener Straße, besitzt e<strong>in</strong> Foto dieser<br />
Anlage, heimlich aufgenommen vom Bodenfenster se<strong>in</strong>es Wohnhauses. Soweit nicht privat untergebracht, wurden leere Fabrikräume,<br />
Turnhallen (Kometplatz) und Behelfsbauten zusätzlich für Auslän<strong>der</strong> genutzt.<br />
Gesten <strong>der</strong> Solidarität blieben nicht aus. Der Verfasser dieses Beitrages, aufgewachsen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Kaltenborner Straße, sah <strong>des</strong> Öfteren, wie die Mitbewohner<strong>in</strong> Frau L. Zigarettenstummel <strong>in</strong><br />
den R<strong>in</strong>nste<strong>in</strong> schüttete, die die bewachten „Ostarbeiter“ aus dem Borsig-Lager auflesen<br />
konnten.<br />
Werner Möhr<strong>in</strong>g aus <strong>der</strong> gleichen Straße erzählt von <strong>der</strong> Aufnahme <strong>der</strong> Polen Wittek aus Warschau und Kasimir aus Lubl<strong>in</strong>, die mit<br />
Mittagessen versorgt wurden. Auch erhielten sie Besuch von ihren Landsleuten.<br />
… obwohl es verboten war<br />
An<strong>der</strong>e <strong>Guben</strong>er berichten, dass auf den Dörfern häufig Polen mit am Tisch sitzen durften,<br />
obwohl das ausdrücklich verboten war.<br />
Es waren ganz normale Männer<br />
Quelle: Auszüge Lausitzer Rundschau, 11. Sept. 1999, Gerhard Gunia<br />
Der Alltag brachte bitteres Leid / Die Tragödie im Osten /<br />
<strong>Guben</strong> im Zweiten Weltkrieg<br />
Stabile Versorgung mit Lebensmitteln<br />
Halten konnten sich für die Deutschen die stabile Grundversorgung mit Lebensmitteln vor<br />
allem <strong>in</strong>folge ständiger Importe aus den besetzten Län<strong>der</strong>n (Dänemark, Holland, Frankreich,<br />
Südosteuropa, Ukra<strong>in</strong>e).<br />
137
Weit unter dem Standard lagen die Zwangsarbeiter und vor allem die sowjetischen<br />
Kriegsgefangenen, von denen die ersten 4.000 (von <strong>in</strong>sgesamt 80.000) im November 1941 <strong>in</strong><br />
Brandenburg e<strong>in</strong>trafen, konzentriert <strong>in</strong> den Stammlagern (Stalags) III A Luckenwalde<br />
und III B Fürstenberg/O<strong>der</strong>.<br />
Quelle: Lausitzer Rundschau, 16. Okt. 1999, Materna/Ribbe, Brandenburg, Gesch., Berl<strong>in</strong><br />
1995<br />
Konzentrationslager – bedeutet Völkermord<br />
Auch Bürger sorbischer Nationalität blieben vom NS-Terror<br />
nicht verschont<br />
Der antifaschistische Wi<strong>der</strong>stand von Bürgern sorbischer Nationalität war zugleich e<strong>in</strong> Kampf<br />
um das Lebensrecht ihrer nationalen Kultur, ihrer Muttersprache, gegen die faschistische<br />
Rassentheorie. Entsprechend den Vorstellungen <strong>des</strong> Faschismus sollten auch Sorben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
osteuropäischen Ghetto angesiedelt werden und unter <strong>der</strong> strengen, konsequenten und<br />
gerechten Leitung <strong>des</strong> deutschen Volkes „berufen“ se<strong>in</strong>, an <strong>des</strong>sen ewigen Kulturtaten und<br />
Bauwerken mitzuarbeiten und diese, was die Menge <strong>der</strong> groben Arbeiten anbelangt, vielleicht<br />
erst ermöglichen.<br />
So schlußfolgerte schon bei <strong>der</strong> 1939 durchgeführten Volkszählung die Gestapo <strong>in</strong><br />
ihrem Bericht, bei <strong>der</strong> auch Angaben über die Muttersprache gefor<strong>der</strong>t wurden:<br />
„... alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> Entscheid für die wendische Sprache trägt bereits politischen Charakter.“<br />
Es wird daher verständlich, daß die Gestapo alle Regungen sorbischen Nationalbewußtse<strong>in</strong>s<br />
brutal verfolgte. So wurde z.B. Pawl<strong>in</strong>a Krawcowa, e<strong>in</strong>e anerkannte sorbische Volkskünstler<strong>in</strong><br />
aus Kolkwitz bei Cottbus, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Konzentrationslager gebracht, weil sie Puppen <strong>in</strong><br />
sorbischer Tracht und kunstvolle Stickereien angefertigt und <strong>in</strong> verschiedenen Ausstellungen<br />
gezeigt hatte.<br />
Pawl<strong>in</strong>a Krawcowa erlag am 19. September 1941 den ihr im KZ zugefügten Mißhandlungen.<br />
Sie war nicht die e<strong>in</strong>zige.<br />
Das tragische Schicksal <strong>der</strong> Juden<br />
Quelle: Heimatmuseum <strong>Guben</strong>, Namenlose Helden gab es nicht<br />
Hunger und Krankheiten dezimierten ihre Zahl im W<strong>in</strong>ter 1941/42. Schätzungen sprechen<br />
von 40.000 <strong>in</strong> diesen Lagern Umgekommenen…so <strong>in</strong> Fürstenberg, wo 4109 sowjetische<br />
Kriegsgefangene beigesetzt wurden.<br />
Quelle: Lausitzer Rundschau, 16. Okt. 1999, Materna/Ribbe, Brandenburg, Gesch., Berl<strong>in</strong><br />
1995<br />
138
Flucht o<strong>der</strong> Tod<br />
Wer von den <strong>Guben</strong>er Juden das politische Geschehen im Reich und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neißestadt<br />
aufmerksam verfolgte, verstand die „Zeichen <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>“ und verließ rechtzeitig Deutschland -<br />
dazu brauchte man jedoch Geld. M<strong>in</strong><strong>des</strong>tens 37 Juden konnten mit ihren Familien aus<br />
Deutschland fliehen.<br />
Von den bereits erwähnten <strong>Guben</strong>er Mitbürgern waren dies unter an<strong>der</strong>em:<br />
- Dr. Alfred Glücksmann emigrierte nach Paläst<strong>in</strong>a.<br />
- He<strong>in</strong>z Engel, Sohn <strong>des</strong> Fabrikanten Arthur Engel, verheiratet mit Eva Cohn-<br />
Knothe, floh mit se<strong>in</strong>er Frau und se<strong>in</strong>er Schwiegermutter <strong>in</strong> die<br />
Südafrikanische Union.<br />
- Ludwig und Emanuel Meyer gelangten bereits 1933 nach England.<br />
- Rechtsanwalt Dr. Fritz Salomon floh im April 1938 nach England.<br />
- Dr. jur. Alexan<strong>der</strong> Lew<strong>in</strong> floh noch 1939 nach Portugal, wo er verarmt<br />
gestorben se<strong>in</strong> soll.<br />
- Julius Cohn g<strong>in</strong>g nach Paris.<br />
- Dr. med. Paul Cohn verlor Praxis und Wohnung. Ihm gelang die Flucht nach<br />
Paläst<strong>in</strong>a.<br />
- Dr. Alfred Lichtwitz reiste noch 1939 nach Israel - verstarb 1964 <strong>in</strong><br />
Frankfurt/Ma<strong>in</strong>.<br />
- Die Rechtsanwälte Theodor Warschauer und Richard Unger verließen noch<br />
vor <strong>1936</strong> die Heimat.<br />
- William Reißner überlebte <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>.<br />
- Rechtsanwalt Walter Hesse gelang die Flucht nach Brasilien.<br />
E<strong>in</strong> hartes Schicksal hatte Kantor und Religionslehrer Dr. Julius Voss. Er bereitete gerade<br />
se<strong>in</strong>e Übersiedelung nach Münster vor, als die Pogromnacht dazwischen kam. Mit an<strong>der</strong>en<br />
Juden wurde er verhaftet und <strong>in</strong>s KZ Sachsenhausen verbracht. Da er glaubhaft nachweisen<br />
konnte, nach Shanghai auszuwan<strong>der</strong>n, kam er noch 1938 frei und kehrte nach <strong>Guben</strong> zurück.<br />
Sche<strong>in</strong>bar reichte jetzt das Geld nicht für die Ausreise – 1939 siedelte er nach Münster um.<br />
Vermutlich auf Weisung <strong>der</strong> Gestapo zog die Familie nach Bielefeld. Am 2. März 1943<br />
wurde sie nach Auschwitz verbracht. Dr. Voss starb am 2. Januar 1944 im Alter von nur<br />
38 Jahren.<br />
E<strong>in</strong> ähnliches Schicksal hatte auch Mart<strong>in</strong> Rosenthal. Er floh mit se<strong>in</strong>er Ehefrau Ellen nach<br />
Amsterdam und baute sich dort e<strong>in</strong>e neue Existent auf. Jedoch während <strong>der</strong> deutschen<br />
Besatzungszeit wurden beide nach Auschwitz verbracht. Die Tochter mit ihrem Ehemann<br />
Dr. Haas und ihre beiden K<strong>in</strong><strong>der</strong> konnten sich nach England retten.<br />
Das <strong>Guben</strong>er E<strong>in</strong>wohnerbuch von 1939 wies geson<strong>der</strong>t noch die Namen <strong>der</strong> 60 <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Neißestadt verbliebenen jüdischen E<strong>in</strong>wohner aus.<br />
Darunter waren 3 Ärzte, 16 Kaufleute, 2 Fabrikanten, 4 Schnei<strong>der</strong> und 6 Witwen.<br />
Was geschah mit ihnen?<br />
139
- Dr. med. Ernst Kaplan musste noch den gelben Stern tragen, kam am<br />
4. Dezember 1939 <strong>in</strong> „Schutzhaft“, wurde im November 1941 als Arzt<br />
„dienstverpflichtet“ und starb Anfang Dezember 1941 im Wilke-Stift, betreut<br />
von Dr.Ayrer.<br />
- Rechtsanwalt Gustav Marcus, <strong>der</strong> viele Jahre als Stadtrat gearbeitet hatte,<br />
wurde 86jährig Mitte 1938 <strong>in</strong> Vernichtungslager im Osten gebracht.<br />
- Fabrikbesitzer Arthur Engel mit Frau kamen <strong>in</strong> Theresienstadt ums Leben.<br />
- 1939/40 erfolgte die Deportation e<strong>in</strong>es Teils <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Juden <strong>in</strong> die Ghettos<br />
polnischer Städte.<br />
- Der Abtransport <strong>der</strong> übrigen (Schlagsdorfer Weg) nach Theresienstadt erfolgte<br />
1942.<br />
- Das Schicksal <strong>des</strong> Fotografen Herbert Rosenthal, se<strong>in</strong>er Ehefrau und den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
ist weitgehend unbekannt. Die Tochter überlebte die <strong>Zeit</strong> <strong>des</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong>.<br />
Er<strong>in</strong>nert sei auch an die dreihun<strong>der</strong>t ungarischen Jüd<strong>in</strong>nen, die ab 1944 bei <strong>der</strong> Lorenz AG<br />
<strong>Guben</strong> Zwangsarbeit leisten mussten.<br />
Ab 29. Oktober 1946 gab es <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> lediglich 2 Jüd<strong>in</strong>nen – ke<strong>in</strong>e jüdische Geme<strong>in</strong>de mehr.<br />
Quellen: „Nachbar von e<strong>in</strong>st“, Andreas Peter –<br />
Ausstellungskatalog 1999<br />
„Wegweiser durch das jüdische Brandenburg“ –<br />
Irene Dickmann und Julius H. Schoeps; Edition<br />
Hentrich 1995<br />
<strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1998<br />
<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung<br />
Dietl<strong>in</strong>de Schulz, Karsten Schnei<strong>der</strong>;<br />
wissenschaftlich-praktische Arbeit / Projektarbeit,<br />
EOS „Pestalozzi“ <strong>Guben</strong> 1989/90<br />
Zum Gedenktag ehemalige Häftl<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>geladen<br />
Museum <strong>der</strong> Gedenkstätte er<strong>in</strong>nert an das KZ-Nebenlager Lieberose<br />
LIEBEROSE. Nur selten verirrt sich e<strong>in</strong> Lieberoser <strong>in</strong> das kle<strong>in</strong>e Museum jenseits <strong>der</strong><br />
Hauptstraße von Lieberose nach Jamlitz. Die Besucher kommen zum Teil von weit her.<br />
Was sie sehen, geht den meisten nahe.<br />
Peter Kotzan, Leiter <strong>des</strong> Museums <strong>der</strong> Gedenkstätte, er<strong>in</strong>nert sich noch an Joseph Fellner,<br />
e<strong>in</strong>en ehemaligen Häftl<strong>in</strong>g aus Ungarn. Der hatte Tränen <strong>in</strong> den Augen, als er vor dem<br />
schwarzweißen Foto mit den vielen Skeletten stand. „Welcher ist me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong>?“, fragte <strong>der</strong><br />
Mann verzweifelt. Se<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong>, erzählt Kotzan, war unter den über 1.000 Häftl<strong>in</strong>gen, die im<br />
Februar 1945 im Lager Lieberose bei <strong>des</strong>sen Auflösung von <strong>der</strong> SS erschossen wurden. Etwa<br />
2.000 Häftl<strong>in</strong>ge mussten im Februar zum Hauptlager nach Sachsenhausen marschieren.<br />
140
In Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften beschäftigten sich zunächst Schüler <strong>der</strong> Polytechnischen<br />
Oberschule Lieberose unter <strong>der</strong> Leitung <strong>des</strong> Geschichtslehrers Roland Richter mit dieser<br />
düsteren Geschichte.<br />
Ausstellungsgegenstände. Die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft aus den neunten und<br />
zehnten Klassen bastelten Brotkanten, Margar<strong>in</strong>e-Stückchen und Wurstscheiben <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Orig<strong>in</strong>algröße <strong>der</strong> Essenrationen aus Gips, damit sich je<strong>der</strong> vorstellen kann, wie wenig die<br />
Häftl<strong>in</strong>ge zu essen hatten, erklärt Kotzan. E<strong>in</strong>e Meßlatte aus hellem Holz hat er selbst gebaut.<br />
Immer wie<strong>der</strong> hatten ihn K<strong>in</strong><strong>der</strong> gefragt, wie diese Latte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Genickschussanlage <strong>des</strong> KZ<br />
Sachsenhausen aussah, an <strong>der</strong> <strong>der</strong> SS-Mann Otto Wilhelm Böhm e<strong>in</strong>e mediz<strong>in</strong>ische<br />
Untersuchung vortäuschend die nichts ahnenden jüdischen Häftl<strong>in</strong>ge aus Lieberose nach dem<br />
Evakuierungsmarsch von h<strong>in</strong>ten mit e<strong>in</strong>em Genickschuss umbrachte.<br />
Modelle <strong>der</strong> Baracken, <strong>des</strong> Appellplatzes und an<strong>der</strong>er Gebäude wie <strong>der</strong> Küche stehen auf<br />
e<strong>in</strong>er Holzplatte im Ausstellungsraum und geben e<strong>in</strong>e Vorstellung von dem Lager, das e<strong>in</strong>st <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Nähe <strong>des</strong> Lieberoser Bahnhofs für Häftl<strong>in</strong>ge errichtet wurde, mit dem Ziel, e<strong>in</strong>en<br />
Truppenübungsplatz für die Waffen-SS zu bauen. Von dem Lager ist heute nichts mehr übrig<br />
geblieben. Wohnhäuser stehen über dem Keller <strong>der</strong> alten Küche, <strong>der</strong> Rest wurde abgerissen,<br />
erzählt Kotzan. Nur e<strong>in</strong>e Gedenktafel an <strong>der</strong> Stelle <strong>des</strong> Lagere<strong>in</strong>gangs und <strong>der</strong> Lagerste<strong>in</strong><br />
er<strong>in</strong>nern an die Schreckensherrschaft <strong>der</strong> Nazis.<br />
Quelle: Auszüge Lausitzer Rundschau, 11. August 1999, Daniela Aue<br />
141
Wi<strong>der</strong>stand gegen den<br />
<strong>Nationalsozialismus</strong><br />
142
Die Erkenntnis vieler Kommunisten und Sozialdemokraten sowie <strong>der</strong>en Anhänger<br />
führte zu e<strong>in</strong>em verstärkten<br />
Wi<strong>der</strong>stand gegen den <strong>Nationalsozialismus</strong><br />
Der Kampf gegen den Faschismus <strong>in</strong> den Jahren 1933 bis 1945 richtete sich gegen<br />
Imperialismus und Krieg sowie gegen die vom reaktionärsten Teil <strong>des</strong> deutschen<br />
F<strong>in</strong>anzkapitals geför<strong>der</strong>te Partei, <strong>der</strong> NSDAP.<br />
Kommunisten, Sozialdemokraten und an<strong>der</strong>e Hitlergegner führten e<strong>in</strong>en opferreichen<br />
Wi<strong>der</strong>stand und Kampf gegen die Nazidiktatur.<br />
Bei den ersten Verhaftungswellen waren vor allem Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> KPD die Opfer.<br />
Sozialdemokraten und Gewerkschaftsführer hatten anfangs die Illusion von den Nazis<br />
verschont zu bleiben, wenn von <strong>der</strong> „Ausrottung <strong>des</strong> Marxismus“ die Rede war.<br />
Aber die Faschisten machten sehr rasch klar, daß die gesamte revolutionäre<br />
Arbeiterbewegung zerschlagen und alle demokratischen Rechte vernichtet werden sollten.<br />
So wurden nach dem Reichstagsbrand auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> von den SA- und Polizeitrupps<br />
Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durchgeführt, die jüdischen Warenhäuser Karzentra<br />
und Wolf Krimmer, das Konfektionshaus Hermann Meier und die Bata-Filiale besetzt.<br />
Von den SA-Horden wurde auch das <strong>Guben</strong>er Gewerkschaftshaus gestürmt, die<br />
Gewerkschaftskasse geplün<strong>der</strong>t, alle Akten und die roten Fahnen <strong>der</strong> Arbeiterklasse sowie die<br />
Fahnen mit den Staatsfarben <strong>der</strong> Weimarer Republik öffentlich verbrannt.<br />
Die kommunistischen Abgeordneten Albert Garke, Gustav Hamann, Paul Billig u.a. wurden<br />
verhaftet.<br />
Blutiger Terror leitete e<strong>in</strong>e Unterdrückungskampagne e<strong>in</strong>, die jede antifaschistische<br />
Opposition ersticken sollte. Redefreiheit, Streikrecht u. a. Formen <strong>des</strong> Wi<strong>der</strong>stan<strong>des</strong><br />
gegen den Faschismus wurde unter Strafe gestellt.<br />
Quelle: Namenlose Helden – gab es nicht Teil 1<br />
E<strong>in</strong>schleusen illegaler M ����������������������������������<br />
Sen<strong>der</strong>s Moskau.<br />
„Lagebericht“ <strong>des</strong> Regierungspräsidenten <strong>in</strong> Frankfurt/O<strong>der</strong> vom<br />
2. Februar <strong>1936</strong> (Auszüge)<br />
Stand und Tätigkeit <strong>der</strong> staatsfe<strong>in</strong>dlichen Bestrebungen<br />
KPD und SPD<br />
In <strong>der</strong> Berichtszeit gelang <strong>der</strong> Staatspolizeistelle e<strong>in</strong> erheblicher E<strong>in</strong>bruch <strong>in</strong> die immer noch<br />
bestehenden und sich auch nach ihrer Zerschlagung stets wie<strong>der</strong> neubildenden illegalen<br />
marxistischen Organisationen. Nachdem schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> letzten <strong>Zeit</strong> e<strong>in</strong>e verstärkte<br />
kommunistische Tätigkeit durch den Vertrieb von Hetzblättern, beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> Forst i/L.,<br />
beobachtet wurde, konnte durch überraschenden Zugriff am 6. Januar <strong>1936</strong> e<strong>in</strong> gut<br />
organisierter und zahlenmäßig überraschend starker KPD-Apparat <strong>in</strong> Forst und Umgebung<br />
zerschlagen werden. Die Zahl <strong>der</strong> Festgenommenen aus Forst, Eulo, Pe<strong>in</strong>e, Triebel,<br />
Cottbus usw. beträgt zur <strong>Zeit</strong> 34 Personen. Weitere Festnahmen stehen bevor.<br />
143
Die Führer dieser illegalen Organisation unterhielten sowohl mit <strong>der</strong> zuständigen<br />
Bezirksleitung <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> als auch mit den Kurierabfertigungsstellen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Tschechoslowakei Verb<strong>in</strong>dungen.<br />
Der Leitung oblag die Aufrechterhaltung <strong>der</strong> zur illegalen Arbeit erfor<strong>der</strong>lichen<br />
Verb<strong>in</strong>dungen, die Festlegung <strong>der</strong> „Treffs“ und die Heranschaffung <strong>des</strong> illegalen Materials.<br />
[…]<br />
Wie stark die Organisation <strong>in</strong> Forst und Umgebung war, beweist die Tatsache, dass <strong>der</strong><br />
„Literaturobmann“ nachweislich monatlich e<strong>in</strong>kassierte Beträge von 30,- bis 50,- M abführen<br />
konnte, wobei zu berücksichtigen ist, dass für den Verkauf <strong>der</strong> illegalen Druckschriften Preise<br />
von nur 10-20 Rpf. gefor<strong>der</strong>t wurden. Es dürften demnach 200-300 Druckschriften monatlich<br />
zur Verteilung gebracht worden se<strong>in</strong>. Weiter wurde festgestellt, dass sich die illegale Tätigkeit<br />
nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verbreitung von Druckschriften erschöpfe. So wurden systematisch Sammlungen<br />
für Gefangene <strong>in</strong> Betrieben abgehalten, die es ermöglichten, dass die Familienangehörigen <strong>der</strong><br />
politischen Gefangenen mit Unterstützungen bis zu 5,- M <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche bedacht werden<br />
konnten. […]<br />
Auch sonst s<strong>in</strong>d überall Anzeichen verstärkter kommunistischer Aktivität vorhanden. So<br />
wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neujahrsnacht gleichzeitig nach offenbar vorheriger Verabredung rote<br />
Sowjetsterne mit <strong>der</strong> Aufschrift „Kommunismus die e<strong>in</strong>zige Rettung“ <strong>in</strong> den<br />
verschiedensten Städten (Küstr<strong>in</strong>, Neudamm, Bärwalde, Sonnenburg, Sold<strong>in</strong>) ausgestreut.<br />
Nach wie vor macht sich auch <strong>der</strong> zersetzende E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> bei Autobahnen und <strong>in</strong><br />
Aufbaulagern beschäftigten Berl<strong>in</strong>er Arbeiter bemerkbar.<br />
Ferner hat die Staatspolizeistelle Kenntnis von verschiedenen Hörgeme<strong>in</strong>schaften, <strong>in</strong> denen<br />
frühere Marxisten bis spät <strong>in</strong> die Nacht h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> den Moskauer Sen<strong>der</strong> hören, erhalten. Auch<br />
hier ist mit Festnahmen <strong>in</strong> nächster <strong>Zeit</strong> zu rechnen. […]<br />
Quelle: Staatsarchiv Potsdam, Pr. Br. Rep: 1 Nr. 1691, Bl. 89-90;<br />
„Die Rote Fahne“ Antifaschistischer Wi<strong>der</strong>standkampf <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z Brandenburg 1933-1939 Teil 2<br />
Der illegale Wi<strong>der</strong>standskampf erstreckte sich nicht nur auf die Parteiorganisationen<br />
son<strong>der</strong>n auch auf Straßen und <strong>in</strong> Fabriken<br />
Die faschistische Diktatur und <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standskampf <strong>der</strong><br />
Arbeiterklasse<br />
-Auszug-<br />
...Auf Initiative <strong>der</strong> KPD kam es <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>des</strong> Faschismus sogar zu jährlichen illegalen<br />
Maifeiern <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Arbeiter. Diese Maifeiern wurden <strong>in</strong> Gruppen von fünf bis fünfzehn<br />
Genossen und Symphatisierenden <strong>in</strong> Wohnungen, Laubengrundstücken, <strong>in</strong> den Bergen und<br />
Wäl<strong>der</strong>n bei Schlagsdorf und Schenkendöbern durchgeführt. Die Übertragung <strong>der</strong> Moskauer<br />
Maiparade und –demonstration über Radio Moskau, die oft <strong>in</strong> Gruppen unter<br />
Verhaftungsgefahr abgehört wurden, gab den kämpfenden Antifaschisten immer wie<strong>der</strong><br />
neue Kraft im schweren Kampf gegen Faschismus und Krieg...<br />
Quelle: Auf Straßen und <strong>in</strong> Fabriken, Autor: Horst Reschke, Seite 162/164<br />
*<br />
144
-Auszug-<br />
...Der Verrat <strong>der</strong> rechten SPD- und Gewerkschaftsführer an <strong>der</strong> Herstellung <strong>der</strong><br />
Aktionse<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Arbeiterklasse hatte zum Sieg <strong>des</strong> Faschismus <strong>in</strong> Deutschland geführt. Die<br />
rechten Führer zogen aber daraus ke<strong>in</strong>e Schlußfolgerungen, son<strong>der</strong>n beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten<br />
gleichermaßen die Schaffung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heitsfront <strong>der</strong> Arbeiterklasse und e<strong>in</strong>er breiten<br />
Volksfront aller Hitlergegner <strong>in</strong> <strong>der</strong> Periode von 1933 bis 1939. Darum war es den deutschen<br />
Antifaschisten auch trotz aufopferungsvollem Kampf nicht möglich, die Hitlerfaschisten und<br />
das deutsche Monopolkapital daran zu h<strong>in</strong><strong>der</strong>n, das deutsche Volk und die Völker <strong>der</strong><br />
Welt <strong>in</strong> den zweiten imperialistischen Weltkrieg h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zustürzen...<br />
Wi<strong>der</strong>standskämpfer<br />
145<br />
Seite: 165<br />
Die Kommunisten und Antifaschisten wie Richard San<strong>der</strong>, Paul Billig, Willi Schmidt, Bertha<br />
Hornick, Paul Schmidt u.a. kämpften schon seit frühester Jugend gegen den Faschismus.<br />
Auf Versammlungen, Demonstrationen, Flugblättern, Plakaten und Losungen an den Häuserwänden<br />
warnten sie:<br />
„Hitler, das ist <strong>der</strong> Krieg!“<br />
„Der Faschismus ist <strong>der</strong> Totengräber <strong>der</strong> Nation!“<br />
Auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> wurde die Sammlung <strong>der</strong> Parteikräfte zielstrebig betrieben und ab Juni 1933<br />
e<strong>in</strong>e relativ stabile Organisationsstruktur erreicht. Dieses Datum deckte sich mit <strong>der</strong> Haftentlassung<br />
<strong>des</strong> ehemaligen kommunistischen Stadtverordneten <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong>, Fritz Schulze.<br />
Er war maßgeblich mit dem Genossen Gustav Hamann für den Aufbau und die Führung <strong>der</strong><br />
illegalen Parteiorganisation verantwortlich. Zur engeren Leitung, dem so genannten Dreierkopf<br />
gehörten neben Fritz Schulze und Gustav Hamann ab 1935 auch <strong>der</strong> Genosse Paul Billig.<br />
Zur erweiterten Leitung, dem so genannten Siebenerkopf, gehörten die Genossen Fritz Straße,<br />
Ernst Görze, Richard Pöthke und Paul Schnei<strong>der</strong>.<br />
Ihre Aufgabe sahen die Genossen dar<strong>in</strong>, illegale Betriebs- und Straßenzellen <strong>der</strong> KPD<br />
aufzubauen, um engste Verb<strong>in</strong>dung zur Arbeiterschaft und zu an<strong>der</strong>en Teilen <strong>der</strong><br />
Bevölkerung zu erhalten. Bis zum Ausbruch <strong>des</strong> Zweiten Weltkrieges entstanden solche<br />
illegalen Parteizellen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Eisengießerei Alfred Donath, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hutfabrik Stammhaus, vorm.<br />
A. Cohn, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hutfabrik C. G. Wilke, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tuchfabrik<br />
Lehmann und Richter, bei Rhe<strong>in</strong>metall-Borsig und auf dem <strong>Guben</strong>er Flugplatz. Illegal<br />
arbeitende Straßenzellen <strong>der</strong> Partei befanden sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Trift-, Bösitzer- und Pförtener Straße<br />
sowie <strong>in</strong> den Ortsteilen E<strong>in</strong>becke und Sprucke.<br />
In <strong>Guben</strong> war noch im Jahre <strong>1936</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Keller <strong>des</strong> Grundstückes Schwarz <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
L<strong>in</strong>denstraße e<strong>in</strong>e illegale Druckerei e<strong>in</strong>gerichtet. In all diesen Fällen bewiesen die Genossen<br />
E<strong>in</strong>fallsreichtum, Schöpferkraft und Mut. Im wesentlichen lebte <strong>der</strong> antifaschistische Wi<strong>der</strong>standskampf<br />
durch die Gruppe. Alle<strong>in</strong> die Herstellung e<strong>in</strong>es Flugblattes unter illegalen<br />
Bed<strong>in</strong>gungen konnte nicht die Aktion e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen se<strong>in</strong>.
Die Kommunisten standen unter Polizeikontrolle und ihre Wohnungen wurden überwacht.<br />
Viele kamen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Konzentrationslager; doch selbst da setzten sie all ihre Kraft e<strong>in</strong>, um den<br />
Faschismus zu zerschlagen.<br />
Z.B. nutzte Richard San<strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Funktion als Wachhaben<strong>der</strong> <strong>des</strong> Tivo-Lagers, <strong>in</strong> das er von<br />
den Nazi’s strafversetzt wurde, um e<strong>in</strong>e illegale Gruppe zu decken. Er sorgte mit<br />
dafür, dass wichtiges Baumaterial, als Nachschub für die Front, vernichtet wurde.<br />
Der <strong>Guben</strong>er Paul Schmidt gehörte zu den Mitbegrün<strong>der</strong>n <strong>der</strong> KPD <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lausitz. Wegen<br />
se<strong>in</strong>er politischen Tätigkeit wurde er <strong>in</strong> Haft genommen. Entlassen, wurde er unter Polizeiaufsicht<br />
gestellt. Bis 1938 musste er sich viermal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche auf <strong>der</strong> Polizeiwache melden.<br />
Wegen <strong>der</strong> ständigen Beleidigungen und Morddrohungen musste er <strong>Guben</strong> verlassen. Damit<br />
hatte sich Paul Schmidt zwar <strong>der</strong> unmittelbaren Bedrohung durch die <strong>Guben</strong>er SA-Männer<br />
entzogen, nicht aber <strong>der</strong> Bewachung durch die Faschisten. Er bekam e<strong>in</strong> Zimmer im Hause<br />
e<strong>in</strong>es Mitarbeiters <strong>der</strong> NSDAP-Kreisleitung zugewiesen. Dieser überwachte Paul Schmidt und<br />
erstattete Bericht über <strong>des</strong>sen Gewohnheiten. Trotzdem stellte er Kontakt zu e<strong>in</strong>er illegalen<br />
Parteigruppe <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Lichtenberg her.<br />
Bertha Hornick, seit 1907 Mitglied <strong>der</strong> SPD, setzte sich nach dem Vorbild von Clara Zetk<strong>in</strong><br />
vor allem für die Gleichberechtigung <strong>der</strong> Frau e<strong>in</strong>.<br />
Willi Schmidt, Wi<strong>der</strong>standskämpfer gegen die Naziherrschaft. <strong>1936</strong> durch Verrat verhaftet<br />
worden und gefoltert (man schlug ihm u.a. die Zähne aus). Genosse Schmidt wurde zu<br />
7 Jahren Zuchthaus verurteilt. Er war <strong>in</strong> mehreren Gefängnissen. Als die sieben Jahre herum<br />
waren, wurde er nicht entlassen, son<strong>der</strong>n kam über das Polizeipräsidium Berl<strong>in</strong> nach Frankfurt/O<strong>der</strong><br />
<strong>in</strong> die Hände <strong>der</strong> Gestapo, <strong>in</strong>s Polizeigefängnis.<br />
Am 13.12.1943 starb Willi Schmidt wohl an den Folgen e<strong>in</strong>er Infektionsspritze, die die<br />
Gefangenen oft bekamen.<br />
Paul Billig 1935 aus dem Zuchthaus entlassen. In <strong>Guben</strong> <strong>in</strong> den Dreierkopf <strong>der</strong> illegalen<br />
KPD-Organisation aufgenommen. Er versuchte im Frühjahr <strong>1936</strong> mit ihm bekannten<br />
Funktionären <strong>der</strong> KPD-Bezirksleitung Berl<strong>in</strong>-Brandenburg-Lausitz konspirativen Kontakt<br />
aufzunehmen. Alle bekannten Adressen waren ausgefallen, die Kontaktaufnahme mit den<br />
Berl<strong>in</strong>er Genossen erwies sich als unmöglich. Durch den Kontaktausfall <strong>in</strong> Forst war man<br />
gezwungen, selbständig Kontakt mit <strong>der</strong> Prager Emigrationsleitung <strong>der</strong> KPD aufzunehmen.<br />
Am 13. Mai <strong>1936</strong> fuhren die Genossen Paul Billig und Gustav Hamann, als Touristen getarnt,<br />
mit Fahrrä<strong>der</strong>n <strong>in</strong> die Tschechoslowakei. Sie wurden aber auf tschechischer Seite ergriffen<br />
und wie<strong>der</strong> nach Deutschland geschickt.<br />
Quelle: Heimatmuseum „Namenlose Helden – gab es nicht“ (Teil 1 u. Teil 2)<br />
146
-Auszug-<br />
Die Internationale<br />
<strong>Zeit</strong>schrift für Praxis und Theorie <strong>des</strong> Marxismus<br />
Begründet von Rosa Luxemburg und Franz Mehr<strong>in</strong>g<br />
Jahrgang 1938<br />
Warum will Hitler den Krieg und nicht den Frieden?<br />
von Wilhelm Pieck<br />
„Hitler will den Krieg. Das muß <strong>in</strong> diesen Tagen und Wochen auch den Menschen klar<br />
geworden se<strong>in</strong>, die sich noch immer von den gegenteiligen Beteuerungen Hitlers täuschen<br />
ließen. Es ist e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> üblichen faschistischen Agitationstricks, wenn Hitler von sich<br />
behauptet, dass er den Frieden will. Er will den Krieg, so schnell wie möglich.<br />
Er sucht seit langem nach e<strong>in</strong>em Anlaß se<strong>in</strong>er Auslösung, die ihm für die Erreichung se<strong>in</strong>es<br />
Zieles günstig zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t. Dazu gehört unter vielem an<strong>der</strong>en, dass es ihm gel<strong>in</strong>gt, das<br />
deutsche Volk über die Ursache <strong>des</strong> Krieges zu betrügen und es <strong>in</strong> den Glauben zu versetzen,<br />
<strong>der</strong> Krieg sei zu se<strong>in</strong>er Verteidigung und Erhaltung unvermeidlich. Die ganze faschistische<br />
Agitation im Lande ist auf diesen Betrug e<strong>in</strong>gestellt. Da aber die Völker den Frieden und<br />
nicht den Krieg wollen, ke<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Völker Deutschland bedroht, so greift Hitler zu immer<br />
frecheren Herausfor<strong>der</strong>ungen und Provokationen gegenüber den an<strong>der</strong>en Völkern, <strong>in</strong> Absicht,<br />
damit den Anlaß zur Auslösung <strong>des</strong> Krieges zu schaffen.<br />
Hitler handelt dabei im Auftrage <strong>des</strong> reaktionärsten Teiles <strong>der</strong> deutschen Bourgeoisie, die ihn<br />
mit <strong>der</strong> Ausübung <strong>der</strong> faschistischen Diktatur betraute.“<br />
Diese E<strong>in</strong>leitung <strong>des</strong> Genossen W. Pieck wurde geschrieben noch bevor die Ergebnisse <strong>der</strong> Münchener<br />
Konferenz vorlagen. Die Ausführungen <strong>des</strong> Genossen Pieck werden aber durch das Resultat <strong>der</strong> Münchener<br />
Konferenz völlig bestätigt.<br />
Diese Konferenz brachte die Kapitulation <strong>der</strong> englischen und französischen Regierungen vor den faschistischen<br />
Kriegsprovokateuren. Die Völker werden bald gezwungen se<strong>in</strong>, ihre Lehren daraus zu ziehen. DIE<br />
REDAKTION<br />
147<br />
Quelle: zum 100. Geburtstag von Wilhelm Pieck<br />
(ausgewählte Bil<strong>der</strong> und Dokumente)<br />
Herausgeber: SED-Bezirksleitung,<br />
03.01.1976
Nicht nur Arbeiter son<strong>der</strong>n auch hochrangige Wehrmachtsangehörige erkannten den Ernst<br />
<strong>der</strong> Lage und so kam es zu e<strong>in</strong>er<br />
Begegnung mit <strong>der</strong> Villa Uferstraße 11<br />
• E<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Bewohner <strong>der</strong> Villa war <strong>der</strong> Wehrmachtsoffizier Paul von Hase,<br />
Standortältester <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Garnison seit 1938, <strong>der</strong> hier zeitweilig se<strong>in</strong><br />
Domizil hatte, ehe er zum Stadtkommandanten von Berl<strong>in</strong> berufen wurde.<br />
• Paul von Hase wurde später <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, am 8. August 1944, zum Tode verurteilt.<br />
Er war e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Hitler-Attentäter bei <strong>der</strong> Operation Walküre.<br />
148<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 2/92, S. 37<br />
Nicht nur auf Straßen und <strong>in</strong> Betrieben, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Berufszweigen<br />
lebte <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standskampf, wie z. B. auch im<br />
Naemi-Wilke-Stift <strong>Guben</strong><br />
Dr. Ayrer – E<strong>in</strong> Leben für das Stift<br />
Große Verdienste hat sich Sanitätsrat Dr. Franz Ayrer, <strong>der</strong> seit 1896 im Naemi-Wilke-Stift als<br />
Chefarzt wirkte, erworben.<br />
E<strong>in</strong> dunkler Tag war <strong>der</strong> 30.Mai <strong>1940</strong>, an dem e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten K<strong>in</strong><strong>der</strong> im<br />
Rahmen <strong>des</strong> Euthanasieprogramms aus dem Stift abgeholt wurde.<br />
Quelle: „Perle <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lausitz II“, Lutz Materne<br />
Bis kurz vor <strong>der</strong> Evakuierung <strong>Guben</strong>s1945 hielt Dr. Ayrer noch unbeirrbar Sprechstunden ab<br />
und ermunterte mit se<strong>in</strong>em Gleichmut se<strong>in</strong>e Umgebung. Am 19.2.1945 verließ er <strong>Guben</strong>.<br />
Auch <strong>in</strong> den schwersten <strong>Zeit</strong>en kümmerte er sich um erkrankte Menschen. Im Mai 1945<br />
wurde se<strong>in</strong>e Rückkehr nach <strong>Guben</strong> möglich. Dankbare Patienten nahmen ihn auf e<strong>in</strong>em<br />
Pferdewagen mit.<br />
Er wohnte bis zum Tod <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Zimmer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wilkestraße.<br />
Als er befragt wurde, warum er nicht lieber versuche, <strong>in</strong> den Westen zu se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zu<br />
gelangen, entgegnete er:<br />
„Ich habe e<strong>in</strong>en Beruf, <strong>der</strong> für mich helfen heißt, und <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> werde ich gebraucht“.<br />
Er war <strong>der</strong> erste und e<strong>in</strong>zige Arzt, <strong>der</strong> anfangs nach <strong>Guben</strong> zurückkam, und die Not war groß.<br />
Nach 3 Tagen se<strong>in</strong>er Rückkehr begann er <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bahnhofstraße 37 mit <strong>der</strong> Sprechstunde <strong>in</strong><br />
<strong>Guben</strong>.<br />
Quelle: Schriftenreihe 20 <strong>Guben</strong>er Humanisten
Der Wi<strong>der</strong>stand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung gegen das Nazi-Regime war ungebrochen. Es<br />
gab e<strong>in</strong>e illegale Solidarität zu den Fremd- und Zwangsarbeitern.<br />
Trotz allem<br />
Nachdem durch den Ausrottungsfeldzug halb Europa <strong>in</strong> Schutt und Asche gelegt und bereits<br />
Millionen Menschen se<strong>in</strong>e Opfer geworden waren, kämpften noch immer Antifaschisten<br />
gegen dieses barbarische System....<br />
Oft genügte e<strong>in</strong> unbedachtes Wort beim Kaufmann, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Straßenbahn, am Arbeitsplatz o<strong>der</strong><br />
auch im „Freun<strong>des</strong>kreis“ und die Gestapo holte ihre Opfer. Alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> Wille, e<strong>in</strong> Mensch zu<br />
se<strong>in</strong> und Menschenrechte zu achten – e<strong>in</strong> grundlegen<strong>der</strong> Wesenszug <strong>des</strong> antifaschistischen<br />
Kampfes – genügte während <strong>des</strong> Krieges <strong>der</strong> Gestapo, um Menschen zu verhaften, zu foltern,<br />
zu ermorden.<br />
Trotz sich häufen<strong>der</strong> Verhaftungen teilte auch weiterh<strong>in</strong> mancher deutsche und<br />
sorbische Arbeiter se<strong>in</strong> ohneh<strong>in</strong> karges Stück Brot mit den hungernden „Fremdarbeitern“.<br />
Unterstützung mit Lebensmitteln und Kleidungsstücken waren die am weitesten verbreiteten<br />
Formen <strong>der</strong> Solidarität, die von deutschen und sorbischen Arbeitern gegenüber ausländischen<br />
Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und politischen Häftl<strong>in</strong>gen geübt wurde. Soweit diese <strong>in</strong><br />
ländlichen Gegenden arbeiteten, wurden sie <strong>in</strong> mehreren Fällen von <strong>der</strong> Essene<strong>in</strong>nahme<br />
am Tisch nicht ausgeschlossen, obwohl auch das von den Faschisten streng verboten<br />
worden war.<br />
E<strong>in</strong>wohner von Amtitz halfen Zwangsarbeitern<br />
Quelle: Heimatmuseum „Namenlose Helden gab es nicht“<br />
Mit großem Interesse habe ich als ehemaliger E<strong>in</strong>wohner von Amtitz Ihren Bericht „Damals<br />
lagen oft Blumen auf den Gräbern“ gelesen. Als damals 13- und 14-jähriger kann ich die<br />
E<strong>in</strong>drücke <strong>des</strong> polnischen Überlebenden über das Kriegsgefangenenlager <strong>in</strong> Amtitz bei <strong>Guben</strong><br />
nur bestätigen. Als <strong>Zeit</strong>zeuge möchte ich noch folgen<strong>des</strong> ergänzen:<br />
Der Aufbau <strong>des</strong> Lagers begann bereits nach <strong>der</strong> Mobilmachung am 28. Juni 1939. Als<br />
Bewachung wurde e<strong>in</strong> Bataillon Lan<strong>des</strong>schützen <strong>der</strong> Wehrmacht im Ort e<strong>in</strong>quartiert, das<br />
mehrheitlich aus Berl<strong>in</strong>er Soldaten bestand, die bereits am I. Weltkrieg teilgenommen hatten.<br />
Wenn es, wie <strong>der</strong> Autor aussagt, Misshandlungen und Schläge gegeben hat, so s<strong>in</strong>d diese von<br />
den Wehrmachtssoldaten vorgenommen worden. Die Bürger von Amtitz, die im Lager<br />
beschäftigt waren, haben den Zwangsarbeitern mit Lebensmitteln geholfen, sofern sie dazu<br />
Gelegenheit hatten. Wir K<strong>in</strong><strong>der</strong> warfen während <strong>der</strong> Herbsternte, Mohrrüben und auch Brot<br />
über den Zaun, wenn e<strong>in</strong> uns bekannter Soldat Streife g<strong>in</strong>g.<br />
149
Trotz <strong>der</strong> strengen Verbote, die unter an<strong>der</strong>em den Umgang <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung mit<br />
den Zwangsarbeitern verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t sollten, gab es viele Beispiele dafür, dass die Bevölkerung<br />
versuchte, diese Verbote zu umgehen. So war es strengstens verboten, dass Zwangsarbeiter<br />
beim Essen mit Deutschen am Tisch saßen. Aber unser Kriegsgefangener aß ständig mit uns.<br />
Nur wenn e<strong>in</strong> Wachposten zur Kontrolle kam, hatten wir e<strong>in</strong>en extra Tisch zu stehen. So<br />
hielten es auch an<strong>der</strong>e Familien.<br />
Geschenke zu Weihnachten<br />
Seit dem Sommer 1943 lebte <strong>der</strong> Nazifilmregisseur Veit Harlan mit se<strong>in</strong>er schwedischen<br />
Ehefrau, <strong>der</strong> bekannten Schauspieler<strong>in</strong> Krist<strong>in</strong>a Sö<strong>der</strong>baum, auf dem Schloss <strong>des</strong> Pr<strong>in</strong>zen<br />
Schöneich-Carolath <strong>in</strong> Amtitz. Frau Sö<strong>der</strong>baum hatte die Kriegsgefangenen zu Weihnachten<br />
1943 <strong>in</strong> das Wohnzimmer ihres Schlosses e<strong>in</strong>geladen, sie beschert und mit ihnen<br />
Weihnachtslie<strong>der</strong> gesungen. Dieses wurde natürlich bekannt. Nur weil sie Schwed<strong>in</strong><br />
war und e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> bekannten Nazigrößen sie schützte, blieb sie von Repressalien verschont.<br />
Auch unser Bäcker und Kolonialwarenhändler unterlief diese Verbote, <strong>in</strong>dem er den<br />
Zwangsarbeitern Brot und Brennspiritus verkaufte. Polen, die beim Kauf dieser Güter<br />
erwischt wurden, mussten mit ihrer Überführung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Konzentrationslager rechnen. Der<br />
Amtitzer Helmut Dammasch wurde 1941 im KZ umgebracht, weil er mit e<strong>in</strong>em<br />
polnischen Mädchen Liebesbeziehungen unterhielt.<br />
Quelle: Lausitzer Rundschau 24.12 99, He<strong>in</strong>z Laßnack aus Lübben<br />
150
<strong>Zeit</strong>zeugen<br />
Lehrer Braun mit se<strong>in</strong>en Schülern unter an<strong>der</strong>em mit den <strong>Zeit</strong>zeugen<br />
Herrn Henschel (l<strong>in</strong>ks oben) sowie Herrn Hübner (rechts Mitte)<br />
151
Und plötzlich war alles ganz an<strong>der</strong>s<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Gisela Wie<strong>der</strong><br />
Ich b<strong>in</strong> am 24. August 1924 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren. Zusammen mit me<strong>in</strong>en Eltern und zwei<br />
Schwestern wohnten wir im Vorwerksweg 7, das ist am Ostfriedhof. Unser Haus ist lei<strong>der</strong> bei<br />
den Bombenangriffen 1945 ausgebrannt.<br />
1932 wurde ich <strong>in</strong> die H<strong>in</strong>denburgschule e<strong>in</strong>geschult. Nach dem Bau <strong>der</strong> Randsiedlung, ab<br />
3. Klasse, kam ich <strong>in</strong> die Sandschule, und die letzten beiden Schuljahre g<strong>in</strong>g ich <strong>in</strong> die<br />
Stadtschule. 1939 kam ich aus <strong>der</strong> Schule und wurde e<strong>in</strong>gesegnet.<br />
Me<strong>in</strong> Vater arbeitete bei Schemel, e<strong>in</strong>er Tuchfabrik, als Schmied und Schlosser. Gelegentlich<br />
hat er auch den Chef chauffiert. Me<strong>in</strong>e Mutter g<strong>in</strong>g, bevor sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hutfabrik arbeitete, sie<br />
war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Haarhutfabrik und auch bei C.G. Wilke angestellt, malern und Wäsche waschen.<br />
Sie hatte richtig den Beruf e<strong>in</strong>es Malers erlernt.<br />
Me<strong>in</strong>e Eltern konnten es sich nicht leisten, ihre drei Mädels e<strong>in</strong>en Beruf erlernen zu lassen.<br />
Und so musste ich, wie bereits me<strong>in</strong>e ältere Schwester, sie hat bei Cohn’s gearbeitet, <strong>in</strong> die<br />
Fabrik. Ich f<strong>in</strong>g bei Schemel’s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschirrmacherei an. Das war e<strong>in</strong>e schwere Arbeit.<br />
Verdient habe ich zwischen 7,00 und 8,00 RM pro Woche.<br />
Ich war froh als das Jahr vorüber war, denn <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fabrik habe ich mich nicht wohlgefühlt.<br />
<strong>1940</strong> habe ich me<strong>in</strong> freiwilliges Pflichtjahr absolviert. Dieses machte ich bei <strong>der</strong> Gärtnerei<br />
Seelig. Die Gärtnerei befand sich im Hohlweg. Me<strong>in</strong>e Arbeit bestand dar<strong>in</strong> im Haushalt zu<br />
helfen und Seelig’s zwei K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu betreuen. Wenn noch <strong>Zeit</strong> war und „Not am Mann“ habe<br />
ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gärtnerei geholfen. Die Gärtnerei war auch bekannt für ihre Chrysanthemen-Zucht<br />
und so musste ich oft Karton weise die Blumen verpacken, die nach Berl<strong>in</strong> und sogar <strong>in</strong>s<br />
Ausland verschickt wurden. Die Arbeit hat mir großen Spaß gemacht.<br />
Von 1941 bis 1943 habe ich bei <strong>der</strong> Firma Loichen gearbeitet. Loichen’s hatten e<strong>in</strong>en Obstund<br />
Gemüsehandel. Dort konnte ich anfangen, weil die Tochter vom Gemüsehändler die beste<br />
Freund<strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Schwester war, und diese e<strong>in</strong>e Arbeitskraft brauchten. Loichen’s haben<br />
später, während me<strong>in</strong>er dortigen Arbeitszeit, e<strong>in</strong>en Großhandel übernommen und ihr Geschäft<br />
abgegeben. Ich wurde ebenfalls mit übernommen. Sie beschäftigten auch e<strong>in</strong>en russischen<br />
Zwangsarbeiter mit Namen Ignaz. Er war e<strong>in</strong> wun<strong>der</strong>voller Mensch, arbeitsam, höflich,<br />
fleißig. Wenn die Loren voller Kohl am Bahnhof ankamen, mussten wir diesen immer <strong>in</strong> die<br />
gemieteten Keller, die sich am Bahnhof befanden, werfen. Obwohl strengstens verboten,<br />
wurde Ignaz von Loichen’s <strong>in</strong> die Familie mit e<strong>in</strong>bezogen. Er hatte e<strong>in</strong> eigenes Zimmer und<br />
saß bei den Mahlzeiten auch immer mit am Tisch. Loichen wurde später, im Beise<strong>in</strong> von Frau<br />
und Tochter, von den Russen erschossen.<br />
Zweimal konnte mich Herr Loichen vor dem Reichsarbeitsdienst „retten“. Beim dritten Mal,<br />
half alles nichts, ich musste gehen. Das war im April 1943. Ich musste nach Siwisch, das war<br />
bei Drebkau. So fuhr ich also mit dem Zug nach Drebkau und stand dann mit me<strong>in</strong>em<br />
Köfferchen auf <strong>der</strong> Straße, heulte und heulte, und wusste nicht woh<strong>in</strong>. Endlich kam jemand,<br />
den ich fragen konnte. Und so b<strong>in</strong> ich dann drei Kilometer quer durch den Wald nach Siwisch<br />
gelaufen. Die an<strong>der</strong>en waren alle schon da, Mädchen aus Berl<strong>in</strong> „mit ihren großen<br />
Schnauzen“ und aus Oberschlesien. Wir haben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen schönen Gutshaus gewohnt,<br />
das heute aber nicht mehr steht. Es wurde im Krieg durch e<strong>in</strong>e Bombe zerstört.<br />
152
Wir mussten den Bauern auf dem Feld helfen, haben im Garten, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Waschküche gearbeitet. Es wurde regelmäßig getauscht. Ich habe gerne <strong>in</strong> <strong>der</strong> Waschküche<br />
gearbeitet. Verdient haben wir ungefähr 0,20 Reichsmark am Tag. Wenn Waschtag war,<br />
wurde z.B. am Sonnabend immer die Wäsche e<strong>in</strong>geweicht, Sonntag o<strong>der</strong> Montag wurde sie <strong>in</strong><br />
großen Waschkesseln gekocht, auf dem Hof getrocknet und anschließend gebügelt.<br />
Nach den sieben Monaten Arbeitsdienst g<strong>in</strong>g es anschließend für sechs Monate zum<br />
Kriegshilfsdienst. Diesmal verschlug es mich nach F<strong>in</strong>sterwalde, <strong>in</strong> die dortige<br />
Schraubenfabrik. Ich habe heute wie<strong>der</strong> Kontakt zu e<strong>in</strong>em Mädchen von damals. Sie war aus<br />
Leipzig. Heute s<strong>in</strong>d wir beide 80 Jahre alt.<br />
In <strong>der</strong> Schraubenfabrik wurden u.a. Teile für U-Boote hergestellt. Unser Lohn betrug<br />
0,30 Reichsmark. Hier arbeiteten auch sehr viele Italiener und Franzosen und auch Russen,<br />
die waren Kriegsgefangene und wurden beson<strong>der</strong>s streng bewacht. Die Italiener und die<br />
Franzosen konnten sich freier bewegen. E<strong>in</strong>mal habe ich von e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Franzosen, er hieß<br />
Roger und war von Beruf Friseur, e<strong>in</strong> Briefchen bekommen, und wir haben uns heimlich<br />
getroffen.<br />
Zuerst haben wir am laufenden Band gearbeitet, später dann an e<strong>in</strong>em Tisch. Mir gegenüber<br />
hat e<strong>in</strong> Italiener gearbeitet. Der tat mir immer leid. Ich glaube er hatte Hunger. Wir haben<br />
dann öfter heimlich Roggenbrötchen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Schrank gelegt. Er hat sich vor uns jungen<br />
Mädchen dann geschämt. E<strong>in</strong>er von den Aufsehern war auch aus <strong>Guben</strong>, <strong>der</strong> guckte dann<br />
manchmal weg. E<strong>in</strong>mal kam <strong>der</strong> Italiener mit Glatze. Wahrsche<strong>in</strong>lich hat er irgende<strong>in</strong>en<br />
Blöds<strong>in</strong>n gemacht und als Strafe hat man ihm die Haare abgeschert. Für etwas zu Essen haben<br />
die russischen Kriegsgefangenen uns aus Blech R<strong>in</strong>ge mit Monogramm gefertigt. Erwischen<br />
durften wir uns nicht lassen, denn das wurde mit Gefängnis o<strong>der</strong> Zuchthaus geahndet. Von<br />
Konzentrationslagern hatten wir ke<strong>in</strong>e Ahnung, das haben die alles heimlich gemacht. Aus<br />
den sechs Monaten Kriegshilfsdienst wurde dann noch e<strong>in</strong>e dreimonatige Verlängerung.<br />
Dafür habe ich e<strong>in</strong>en Ausweis erhalten, <strong>in</strong> dem me<strong>in</strong>e Noten standen, übrigens b<strong>in</strong> ich überall<br />
mit „sehr gut“ benotet worden. Dieser freiwilligen Verpflichtung haben wir auch <strong>des</strong>halb<br />
zugestimmt, weil wir junge Mädchen eigentlich nichts auszustehen hatten.<br />
1944 kam ich dann nach Hause und g<strong>in</strong>g sofort aufs Arbeitsamt. Ich wurde gleich wie<strong>der</strong><br />
verpflichtet und kam <strong>in</strong> die König-Werke. Dort wurden ebenfalls Teile für U-Boote<br />
hergestellt.<br />
Hier arbeitete ich bis zum 18. Februar 1945, bis zu dem Tage, als ich zusammen mit me<strong>in</strong>er<br />
Mutter <strong>Guben</strong> verlassen musste. Tage zuvor wurden Mütter mit ihren Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>n aus <strong>Guben</strong><br />
evakuiert.<br />
Me<strong>in</strong> Vater hat mit me<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>eren Schwester bereits e<strong>in</strong> paar Tage zuvor über Bergmann-<br />
Borsig <strong>Guben</strong> verlassen. Wir s<strong>in</strong>d dann mit me<strong>in</strong>er Mutter mit voll gepacktem Handwagen<br />
und K<strong>in</strong><strong>der</strong>sportwagen mit dem letzten Zug raus aus <strong>Guben</strong>. Wir saßen acht Tage auf e<strong>in</strong>em<br />
offenen Treck. Oft hat <strong>der</strong> Zug stundenlang auf freier Strecke gestanden, bis es dann<br />
weiterg<strong>in</strong>g. Wir wussten nicht, woh<strong>in</strong> es g<strong>in</strong>g. Gelandet s<strong>in</strong>d wir schließlich <strong>in</strong> Potsdam. Man<br />
hat uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schule untergebracht. Und dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht <strong>der</strong> Fliegeralarm…<br />
Wir s<strong>in</strong>d dann schließlich wie<strong>der</strong> zur S-Bahn, weil wir irgendwie nach Wittenberg/Lutherstadt<br />
wollten. Dort war nämlich schon e<strong>in</strong> Teil unserer Familie untergekommen. Nur mit<br />
Rucksäcken bepackt, alles an<strong>der</strong>e musste zurückbleiben, s<strong>in</strong>d wir dann nach Wittenberg. Dort<br />
war noch ke<strong>in</strong> Krieg, und die Leute guckten uns ziemlich merkwürdig an, als wir so mit Sack<br />
und Pack durch die Stadt g<strong>in</strong>gen. Me<strong>in</strong>e Schwester war schon vorher untergekommen und<br />
hatte e<strong>in</strong>e Wohnung gefunden. Insgesamt sieben <strong>Guben</strong>er Familien haben <strong>in</strong> dieser<br />
Siedlungsstraße auf engstem Raum zusammengewohnt. Aber Angst hatten wir auch. Wir<br />
fragten uns oft, was soll bloß werden, wenn <strong>der</strong> Russe kommt? Wir versteckten uns erst im<br />
Keller und später dann auf dem Dachboden.<br />
153
Ich er<strong>in</strong>nere mich auch an das Jahr 1938. Das war e<strong>in</strong> schlimmes Jahr. Me<strong>in</strong> Schulweg führte<br />
zwischen unserer Siedlung, die sich im Ostteil <strong>der</strong> Stadt befand und <strong>der</strong> Stadtschule, die im<br />
Zentrum auf dem Marktplatz stand vorbei und war ziemlich weit. Wir mussten viele Straßen<br />
überqueren, vorbei an den jüdischen Warenhäusern von Karstadt, Ladeburg und Meier. Am 9.<br />
November 1938, an e<strong>in</strong>em Schultag wie je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e auch, war plötzlich alles an<strong>der</strong>s.<br />
Sämtliche Schaufensterscheiben von den großen bekannten Warenhäusern waren<br />
e<strong>in</strong>geschlagen, überall lagen Scherben herum. Viele Menschen auf den Straßen guckten<br />
verängstigt. In <strong>der</strong> Herrenstraße standen vor dem dortigen Pelzgeschäft viele Passanten und<br />
sahen wie die alten Leute gerade aus dem Laden geholt wurden. Da sagte me<strong>in</strong>e Schwester zu<br />
me<strong>in</strong>er Mutter: „Die Leute tun mir aber leid“. Das hörte e<strong>in</strong> h<strong>in</strong>ter ihr stehen<strong>der</strong> Mann und<br />
me<strong>in</strong>te: „Euch müsste man gleich mit e<strong>in</strong>sperren“. Da rannte me<strong>in</strong>e Schwester, aus Angst<br />
selbst verhaftet zu werden, so schnell sie konnte davon. Me<strong>in</strong>e Mutter ist bis <strong>in</strong>s hohe Alter<br />
damit nicht fertig geworden.<br />
Jude Meier’s Tochter ist seit diesem Tag auch nicht mehr zur Schule gekommen.<br />
Das alles war ganz furchtbar.<br />
154
K<strong>in</strong>dheitser<strong>in</strong>nerungen von Günter Schulz<br />
Me<strong>in</strong>e Lebensmaxime:<br />
Wer die Vergangenheit nicht kennt, die Gegenwart nicht versteht, kann die Zukunft nicht<br />
gestalten.<br />
Ich wurde 1932 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren. Me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit verlebte ich zusammen mit me<strong>in</strong>en Eltern<br />
und den beiden Geschwistern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Häuschen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ostsiedlung, im Kirschenweg<br />
15. (im heutigen Gub<strong>in</strong>)<br />
Me<strong>in</strong> Vater war bei <strong>der</strong> Firma „Lißner“ (Hutfabrik) als Isolierer beschäftigt. Me<strong>in</strong>e Mutter<br />
kochte für ihn und uns K<strong>in</strong><strong>der</strong> immer das Mittagessen, welches sie dann zur Pausenzeit dem<br />
Vater <strong>in</strong> den Betrieb brachte. Gegessen wurde auf dem Betriebshof.<br />
Obwohl me<strong>in</strong> Vater <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>es Unfalls nur noch e<strong>in</strong> Auge besaß, wurde er bereits zu<br />
Kriegsbeg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>gezogen. Er kam an die Westfront. Zum Glück überlebte er den Zweiten<br />
Weltkrieg unbeschadet.<br />
Vor dem Krieg g<strong>in</strong>g me<strong>in</strong> Vater, wie so viele an<strong>der</strong>e <strong>Guben</strong>er auch, e<strong>in</strong>em kulturellen Hobby<br />
nach. Er war leidenschaftlicher Trommler im <strong>Guben</strong>er Spielmannszug. Aus diesem Grund<br />
musste er auch Mitglied <strong>der</strong> SA werden.<br />
E<strong>in</strong>geschult wurde ich 1938 <strong>in</strong> die „H<strong>in</strong>denburgschule“. Diese wurde zwei Jahre später<br />
umfunktioniert und als Lazarett genutzt. Deshalb besuchte ich dann die „Sandschule“. Infolge<br />
<strong>der</strong> Kriegswirren habe ich fast alle Schulen von <strong>Guben</strong> kennen gelernt u.a. die<br />
„Klosterschule“, die „Osterbergschule“ und die „Pestalozzischule“.<br />
Seit 1939 gab es Lebensmittelkarten z.B. für Brot, Brötchen, Zucker und Fett. Diese<br />
Lebensmittel wurden bereits mit Kriegsbeg<strong>in</strong>n rationiert. Aber wir brauchten <strong>des</strong>halb nicht zu<br />
hungern und wurden noch satt.<br />
Ich kann mich noch er<strong>in</strong>nern, als es 1941 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> zu e<strong>in</strong>em Flugzeugabsturz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe <strong>des</strong><br />
Ostfriedhofs kam. Als K<strong>in</strong>d glaubte ich, dass Deutschland nie und nimmer den Krieg<br />
verlieren wird. Dieser Glaube wurde bei den Pimpfen und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule fleißig genährt. Ab<br />
dem zehnten Lebensjahr war es e<strong>in</strong>e „freiwillige“ Pflicht, dem Jungvolk (Vorreiter <strong>der</strong><br />
Hitlerjugend) beizutreten. Eigentlich war ich stolz darauf e<strong>in</strong> Pimpf zu se<strong>in</strong>. Über die<br />
„Punktekarte“ konnten me<strong>in</strong>e Eltern die Uniform für Pimpfe, und das dazugehörige<br />
Fahrtenmesser mit <strong>der</strong> Gravur „Blut und Ehre“ käuflich erwerben.<br />
Ob reich o<strong>der</strong> arm - wir trugen alle die gleiche Uniform. Außerdem war ich froh, nicht mehr<br />
diese lästigen Strickstrümpfe mit dem erfor<strong>der</strong>lichen Leibchen, die langen Strumpfhaltern<br />
und die kurzen Hosen tragen zu müssen. E<strong>in</strong>e Uniform war viel schicker!<br />
Jeweils zu Wochenbeg<strong>in</strong>n mussten wir auf dem Schulhof zum Appell antreten. Sämtliche<br />
Klassen standen dann <strong>in</strong> „Reih und Glied“. Der Schultag begann oft mit dem S<strong>in</strong>gen <strong>des</strong><br />
„Deutschlandlie<strong>des</strong>“. Dabei musste <strong>der</strong> rechte Arm schräg nach oben gehalten werden, zum<br />
„Hitlergruß“. Beim s<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> drei Strophen passierte es mir e<strong>in</strong>mal, dass <strong>der</strong> Arm zu schwer<br />
wurde und ich diesen e<strong>in</strong>fach mal kurz auf die Schultern <strong>des</strong> Vor<strong>der</strong>mannes legte. Mit<br />
„Argusaugen“ wurde das von Lehrer Dorn beobachtet. Nach Beendigung <strong>des</strong> Appells bekam<br />
ich me<strong>in</strong>e Strafe: Fünf Hiebe mit dem Rohrstock auf die Hand.<br />
So ca. alle sechs bis acht Wochen marschierten die Jungen geschlossen vom HJ-Heim<br />
„Totila“ zu den kostenlosen Jugendfilmveranstaltungen <strong>in</strong> die Kammerlichtspiele bzw. <strong>in</strong>s<br />
Ufa-K<strong>in</strong>o. Die Teilnahme war Pflicht.<br />
Mit Beg<strong>in</strong>n <strong>des</strong> Krieges wurden viele Jungen Luftschutzhelfer. Unsere Aufgabe bestand dar<strong>in</strong>,<br />
dem Luftschutzwart zu helfen. Dieser trug die Verantwortung für e<strong>in</strong>e gewisse Anzahl von<br />
Wohnhäusern und war für die Verdunklung und die öffentliche Sicherheit zuständig. Wir<br />
mussten dann immer Informationen von e<strong>in</strong>em Luftschutzwart zum an<strong>der</strong>en bzw. zu den<br />
Bewohnern überbr<strong>in</strong>gen. Also wenn Fliegeralarm ausgelöst wurde, durften wir nach Hause<br />
gehen und hatten schulfrei. Damals fanden wir das natürlich toll.<br />
155
Im Jahre 1944, ich war zwölf Jahre, begann dann bereits die vormilitärische Ausbildung <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Mückenbergkaserne II. Wir lernten mit <strong>der</strong> Panzerfaust umzugehen, haben aber nie mit<br />
scharfer Munition geschossen.<br />
E<strong>in</strong>mal im Jahr beteiligten wir uns am Wehrertüchtigungsmarsch, <strong>der</strong> vom HJ-Heim „Totila“<br />
entlang <strong>des</strong> Neißedamms nach Schiedlo führte. Bepackt mit e<strong>in</strong>em schweren Tornister<br />
mussten wir die lange Strecke bewältigen, was sehr mühevoll war.<br />
Als Mitglied <strong>des</strong> Fanfarenzuges nahm ich 2mal wöchentlich an den Proben im HJ-Heim<br />
„Totila“ teil. Das war für mich e<strong>in</strong> schönes Hobby.<br />
Um me<strong>in</strong> Taschengeld aufzubessern, holte ich oftmals die „<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung“ aus <strong>der</strong><br />
Druckerei „König“ ab und brachte sie <strong>in</strong>s Lebensmittelgeschäft „Zan<strong>der</strong>“ <strong>in</strong> die Ostsiedlung.<br />
E<strong>in</strong>e direkte <strong>Zeit</strong>ungszustellung, wie heute üblich, gab es damals nicht.<br />
Mit <strong>der</strong> Errichtung <strong>der</strong> Rüstungsfirma „Rhe<strong>in</strong>metall-Borsig“ AG wurden auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> neue<br />
Siedlungshäuser gebaut. Diese entstanden u.a. <strong>in</strong> <strong>der</strong> Obersprucke „Am Gehege“ und „Am<br />
Sandberg“. Zu diesem <strong>Zeit</strong>punkt baute man unweit dieser beiden Straßen auch e<strong>in</strong><br />
Wirtschaftsgebäude. (die spätere „Damaschkeschule“) Me<strong>in</strong> Onkel, Herr Abraham, war <strong>der</strong><br />
verantwortliche Projekt- und Bauleiter dieses Vorhabens. Sämtliche Gebäude befanden sich<br />
noch im Rohbau, als am 21. Februar 1945 <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Oberbürgermeister Schmiedicke mit<br />
se<strong>in</strong>em Gefolge bei me<strong>in</strong>em Onkel auf <strong>der</strong> Baustelle erschienen. Man setzte ihn von <strong>der</strong><br />
baldigen „Aufgabe <strong>der</strong> Stadt“ an die Russen <strong>in</strong> Kenntnis.<br />
Kurz danach wurde das erste Haus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Straße „Am Stadtrand“ welches unmittelbar neben<br />
<strong>der</strong> Wohnung me<strong>in</strong>es Onkels stand, durch e<strong>in</strong>e Stal<strong>in</strong>orgel zerstört. Daraufh<strong>in</strong> packten alle<br />
Mitglie<strong>der</strong> unserer Familien die notwendigsten Sachen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Handwagen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />
Seitenwagen e<strong>in</strong>es Motorra<strong>des</strong>. Dann verließen wir auf schnellstem Wege die Stadt. In<br />
Jamlitz, übernachteten wir <strong>in</strong> leer stehenden Baracken (erst viel später erfuhren wir, dass hier<br />
e<strong>in</strong> Lager für Kriegsgefangene war) Weiter g<strong>in</strong>g es dann bis Rietz-Neuendorf bei Brand. Dort<br />
wurden wir e<strong>in</strong>quartiert. Zwei Wochen lang g<strong>in</strong>g ich sogar noch zur Schule, bis dann nach ca.<br />
drei Wochen <strong>der</strong> Russe vor <strong>der</strong> Tür stand. Da wusste ich, was die Stunde geschlagen hat …!<br />
Vorher war ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em k<strong>in</strong>dlichen Glauben fest davon überzeugt, dass die errichteten<br />
Straßensperren die Sowjets stoppen würden. Fest verankert <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung ist die<br />
Tatsache, dass wir K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit den Russen ke<strong>in</strong>e schlechten Erfahrungen gemacht haben.<br />
Nach Kriegsende g<strong>in</strong>g es dann zurück <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Heimatstadt <strong>Guben</strong>. Aber nur kurze <strong>Zeit</strong><br />
hatten wir die Möglichkeit unser Haus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ostsiedlung wie<strong>der</strong> wohnbar zu gestalten. E<strong>in</strong><br />
zweites Mal, diesmal für immer, wurden wir ausquartiert! Ich besuchte bis 1946 die<br />
„Pestalozzischule“. In me<strong>in</strong>em Abschlusszeugnis steht: „Schulbesuch unregelmäßig“.<br />
Weshalb? War <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie Kartoffeln stoppeln, beim Bauern hamstern o<strong>der</strong> aus dem Wald<br />
Holz holen, geplant, dann wurde nicht zur Schule gegangen.<br />
K<strong>in</strong>dheitser<strong>in</strong>nerungen, die noch heute – dann und wann – für Gesprächsstoff sorgen!<br />
156
Ich war <strong>der</strong> Le<strong>in</strong>öl-Junge<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Hermann Ansorge<br />
1927 wurde ich <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren. Me<strong>in</strong> Eltern- und Geburtshaus <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen<br />
Sau<strong>der</strong>straße hat den II. Weltkrieg überlebt und wird im heutigen Gub<strong>in</strong> von polnischen<br />
Bürgern bewohnt.<br />
Me<strong>in</strong>e Eltern waren von Hause aus Arbeiter.<br />
Bevor Vater 1926 bei <strong>der</strong> AOK <strong>Guben</strong> Beschäftigung fand, arbeitete er Anfang <strong>der</strong> zwanziger<br />
Jahre <strong>des</strong> 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts u.a. auch als Hutarbeiter bei <strong>der</strong> Firma C.G. Wilke <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Gasstraße. Dort erhielt er das Vertrauen als Betriebsratsvorsitzen<strong>der</strong>, weil er die Interessen<br />
<strong>der</strong> Arbeiter vertrat. Damit machte er sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Chefetage nicht gerade beliebt, g<strong>in</strong>g es doch<br />
<strong>in</strong> den Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen um Lohnerhöhungen, Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen und –rechte. Da er<br />
den Angeboten <strong>des</strong> Herrn Wilke, mit persönlichen Vorteilen, den Betrieb zuverlassen nicht<br />
folgte, wurde er entlassen. Nach e<strong>in</strong>iger <strong>Zeit</strong> Arbeitslosigkeit kam es dann 1926 zur<br />
E<strong>in</strong>stellung bei <strong>der</strong> AOK. 1933 g<strong>in</strong>g es ihm auch hier nicht besser. Nach dem Machtantritt <strong>der</strong><br />
Nazis wurde er ebenfalls fristlos, als politisch nicht zuverlässig, „gefeuert“. Se<strong>in</strong>e<br />
Mitgliedschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> SPD war ihnen e<strong>in</strong> Dorn im Auge. E<strong>in</strong>e politische Wende, wie z.B. <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die SA o<strong>der</strong> gar NSDAP, hätte ihm die Stellung gesichert. Se<strong>in</strong>er Unnachgiebigkeit<br />
folgte die persönliche Auflage, sich <strong>in</strong> den ersten Monaten se<strong>in</strong>er Arbeitslosigkeit bei <strong>der</strong><br />
Polizei im neuen Stadthaus an <strong>der</strong> Neiße zu melden.<br />
In <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> se<strong>in</strong>er Arbeitslosigkeit nahm mich me<strong>in</strong> Vater oft mit auf verschiedene Gänge.<br />
Zweimal, er<strong>in</strong>nere ich mich, marschierten SS-Kolonnen mit ihrer Fahne voran auf <strong>der</strong> Straße.<br />
Für Passanten auf dem Bürgersteig bestand die Pflicht, <strong>der</strong> Fahne den Hitlergruß zu erweisen.<br />
Um dieser Schmach zu entgehen, verschwand me<strong>in</strong> Vater mit mir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Seitenstraße <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Hause<strong>in</strong>gang. Auf <strong>der</strong> Straße zu bleiben und die Fahne nicht zu grüßen, hätte böse<br />
Folgen gehabt.<br />
In den Monaten und Jahren (1933 bis 1935), als me<strong>in</strong> Vater arbeitslos war, durchlebten wir<br />
als fünfköpfige Familie, ich hatte noch zwei ältere Brü<strong>der</strong>, sieben und sechs Jahre älter, schon<br />
schwierige <strong>Zeit</strong>en. Me<strong>in</strong>e Mutter, als Wäscher<strong>in</strong> und Plätter<strong>in</strong> <strong>in</strong> Heimarbeit tätig, machte für<br />
an<strong>der</strong>e Leute die Wäsche, plättete sie und lieferte sie schrankfertig aus. Damit leistete sie<br />
e<strong>in</strong>en erheblichen f<strong>in</strong>anziellen Beitrag zu unserem Lebensunterhalt.<br />
1935 zeichnete sich e<strong>in</strong>e Verbesserung <strong>in</strong> unserer Familie ab. Me<strong>in</strong>e Großmutter<br />
mütterlicherseits betrieb seit Jahren e<strong>in</strong>en Le<strong>in</strong>öl- und Futtermittelhandel. Sie hatte dafür e<strong>in</strong><br />
ambulantes Gewerbe. Auf Grund <strong>der</strong> Lage <strong>der</strong> Familie ihrer Tochter war sie bereit, das<br />
Gewerbe an ihren Schwiegersohn abzutreten. Dah<strong>in</strong>ter verbargen sich zwei Gründe:<br />
Erstens brauchte me<strong>in</strong> Vater unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e Arbeit, um nicht, wie es zunehmend immer mehr<br />
geschah, als Arbeitsloser <strong>in</strong> die Rüstungs<strong>in</strong>dustrie wie Westwall- o<strong>der</strong> Autobahnbau sowie<br />
Munitionsfabriken als Arbeiter e<strong>in</strong>geordnet zu werden und zweitens brauchte unsere Familie<br />
e<strong>in</strong>e bessere f<strong>in</strong>anzielle Situation. Wie wi<strong>der</strong>sprüchlich die Entwicklung im Faschismus auch<br />
war, verdeutlicht die Gewerbegenehmigung für me<strong>in</strong>en Vater. Zunächst gab es ke<strong>in</strong>e<br />
Bereitschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadtverwaltung dem familiären Gewerbetausch zuzustimmen. Me<strong>in</strong> Vater<br />
wurde wie<strong>der</strong>holt bedrängt und vom Arbeitsamt vorgeladen, e<strong>in</strong>e Arbeit, notfalls auch<br />
außerhalb von <strong>Guben</strong>, aufzunehmen. Dass me<strong>in</strong> Vater das Gewerbe doch erhielt, hatte er dann<br />
letztlich e<strong>in</strong>em Herrn Blau, Mitglied <strong>der</strong> NSDAP und SA-Mann, zu verdanken, <strong>der</strong> Beamter<br />
<strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Stadtverwaltung war. Bereits <strong>in</strong> früheren Jahren kannten sich me<strong>in</strong>e Eltern und<br />
Herr Blau. Er war <strong>der</strong> Schwiegersohn e<strong>in</strong>er uns gut gesonnenen Nachbarsfamilie, die ich auch<br />
als K<strong>in</strong>d oft und gern besuchte, dort auch me<strong>in</strong> Gutes hatte.<br />
157
Hier halte ich e<strong>in</strong>e Zwischenbemerkung für ratsam. Es gab auch Menschen, die den Nazis<br />
une<strong>in</strong>geschränkt dienten und von <strong>der</strong> Sache Hitlers überzeugt waren, Leute, die guten<br />
Bekannten unter bestimmten Umständen halfen, dabei jedoch unerkannt bleiben wollten.<br />
Jedenfalls wurde Wilhelm Ansorge Le<strong>in</strong>öl-Händler, verkaufte das Le<strong>in</strong>öl, das <strong>in</strong> <strong>der</strong> Le<strong>in</strong>öl-<br />
Mühle <strong>der</strong> Firma Radt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schegelner Straße geschlagen wurde. Nicht selten wurde me<strong>in</strong><br />
Vater „Le<strong>in</strong>öl-Wilhelm“ o<strong>der</strong> „Le<strong>in</strong>öl-Ansorge“ genannt – und ich war <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>e „Le<strong>in</strong>öl-<br />
Junge“, dem mancher Bürger auch e<strong>in</strong> Achtelchen Le<strong>in</strong>öl aus Mitgefühl abkaufte. Ich g<strong>in</strong>g<br />
mit e<strong>in</strong>er Fünfliterkanne z.B. <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bösitzer Straße, aber auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Gegenden von<br />
Haustür zu Haustür und habe me<strong>in</strong>em Vater wie das auch me<strong>in</strong>e Mutter und me<strong>in</strong>e Brü<strong>der</strong><br />
nach ihren Möglichkeiten taten, geholfen. E<strong>in</strong> Achtelchen Le<strong>in</strong>öl kostete damals<br />
20 Reichspfennige. Für mich war <strong>der</strong> Le<strong>in</strong>ölverkauf mehr Erlebnis als Arbeit. Viele<br />
Menschen habe ich so kennen gelernt und auch manches Wissenswerte erfahren bzw. guten<br />
Rat erhalten.<br />
Bei e<strong>in</strong>em dieser „Verkaufsgänge“ b<strong>in</strong> ich auch <strong>der</strong> Familie <strong>des</strong> <strong>Guben</strong>er Kommunisten Paul<br />
Billig begegnet. Sie wohnte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bösitzer Straße. Paul Billig selbst war damals von den<br />
Nazis im Zuchthaus e<strong>in</strong>gesperrt. Vater und Paul Billig kannten sich gut. E<strong>in</strong> bezeichnen<strong>des</strong><br />
Licht auf die damalige öffentliche Situation wirft unsere Beziehung zu Frau Billig. Um sich,<br />
mich und Vater zu schützen, hat Frau Billig das zu füllende Le<strong>in</strong>ölgefäß von ihrer Wohnung<br />
entfernt aufgestellt und Geld passend darunter gelegt. Dazu war ich schon belehrt worden,<br />
dass es gefährlich war, Kontakte zu Kommunisten zu haben. Dieses Erlebnis hat mich <strong>in</strong><br />
me<strong>in</strong>em Leben tief bee<strong>in</strong>druckt. Paul Billig war als Mitglied <strong>der</strong> KPD e<strong>in</strong> bekannter,<br />
angesehener Mensch. Gegenüber <strong>der</strong> Familie wohnte e<strong>in</strong> „strammer“ SA-Mann, von dem wir<br />
nicht genau wussten, ob und wie aktiv er aufgepasst hat, Vorgänge <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Umfeld zu<br />
beobachten und vielleicht auch zu melden. Trotzdem kaufte er von uns Le<strong>in</strong>öl und wir<br />
verkauften es ihm auch. Er versteckte se<strong>in</strong> Gefäß für Le<strong>in</strong>öl nicht.<br />
E<strong>in</strong>geschult wurde ich übrigens 1934 <strong>in</strong> die Sandschule. Es war e<strong>in</strong> sehr aufregen<strong>der</strong> Tag.<br />
Während die Eltern an<strong>der</strong>er K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit den Zuckertüten warteten, kam me<strong>in</strong>e Mutter gerade<br />
noch zum rechten <strong>Zeit</strong>punkt <strong>der</strong> Übergabe <strong>der</strong> Zuckertüte, und ich erhielt auch e<strong>in</strong>e große<br />
bunte „Tüte“, die allerd<strong>in</strong>gs nur im oberen Teil mit e<strong>in</strong>igen Süßigkeiten gefüllt war. Die sich<br />
erst anbahnende Enttäuschung wandelte sich <strong>in</strong> Freude darüber, dass me<strong>in</strong>e Mutter<br />
gekommen war, und ich mit ihr geme<strong>in</strong>sam nach Hause gehen konnte. Auf dem H<strong>in</strong>weg hatte<br />
mich me<strong>in</strong> älterer Bru<strong>der</strong> mitgenommen, was mich auch e<strong>in</strong> wenig mit Stolz erfüllte, mit ihm<br />
den ersten Schulweg zu gehen.<br />
Sechs Jahre lang besuchte ich die Sandschule. 1934 bis <strong>1940</strong> – das waren Jahre, <strong>in</strong> denen sich<br />
viel ereignete, vor allem was die Verän<strong>der</strong>ungen im gesellschaftlichen Leben anbetraf.<br />
E<strong>in</strong>esteils waren es Jahre unbesorgten Schülerlebens, an<strong>der</strong>erseits rückten aber die<br />
Kriegsvorbereitungen, zwar verdeckt durch Propaganda zum Aufblühen Deutschlands, direkt<br />
o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkt <strong>in</strong> den Mittelpunkt täglichen Geschehens. Me<strong>in</strong>e Lehrer waren unterschiedlich<br />
<strong>in</strong> ihrem öffentlichen Verhalten. Sehr viele kamen mit dem Parteiabzeichen <strong>der</strong> NSDAP <strong>in</strong> die<br />
Schule, vere<strong>in</strong>zelt auch mal <strong>in</strong> braunen Uniformen.<br />
1938 wurde e<strong>in</strong> Reserveoffizier unser Klassenlehrer, <strong>der</strong> mitunter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wehrmachtsuniform<br />
erschien. Allerd<strong>in</strong>gs musste er auch oft vertreten werden, da er zu Manövern und Übungen<br />
<strong>der</strong> Wehrmacht e<strong>in</strong>berufen wurde. Nazistisches Gedankengut wurde sowohl im Unterricht als<br />
auch mit <strong>der</strong> Würdigung von Gedenktagen <strong>des</strong> Faschismus bzw. <strong>der</strong> Darstellung se<strong>in</strong>er<br />
„genialen“ Ideen und se<strong>in</strong>er Entstehungsgeschichte verbreitet. Deutlich wurde das auch im<br />
Wirken <strong>des</strong> VDA (Vere<strong>in</strong> <strong>der</strong> Auslandsdeutschen). Dieser Vere<strong>in</strong> hatte es sich auf die Fahnen<br />
geschrieben, die Deutschen im Ausland zu unterstützen. U.a. wurde Geld gesammelt, aber auf<br />
e<strong>in</strong>e Art und Weise, die uns Schüler aktivierte. Auf vorgefertigten Mustern durften mit<br />
Hämmerchen kle<strong>in</strong>e Nägel gegen e<strong>in</strong> Entgelt e<strong>in</strong>geschlagen werden, so dass faschistische<br />
Symbole, z.B. das Abzeichen <strong>der</strong> Hitler-Jugend, das Hakenkreuz und an<strong>der</strong>e, entstanden. Der<br />
158
Hauptgedanke zielte darauf: Deutsche im Ausland „heim <strong>in</strong>s Reich“ zu holen. Tatsächlich<br />
geme<strong>in</strong>t waren damit aber die Gebiete, <strong>in</strong> denen Deutsche um Deutschland herum lebten, an<br />
Deutschland anzuglie<strong>der</strong>n. So wurde auch unverhohlen von „Großdeutschland“ gesprochen.<br />
Diese Propaganda wurde auch durch Filme unterstützt, die z.B. zeigten, wie deutsche<br />
Soldaten, die „Legion Condor“, im spanischen Bürgerkrieg e<strong>in</strong>gesetzt waren. Die Sache war<br />
für mich etwas gegenständlicher, da e<strong>in</strong> Nachbarssohn zur „Legion Condor“ gehörte und<br />
später mit hohen Militärauszeichnungen nach Hause kam.<br />
Vom Kampf deutscher Antifaschisten <strong>in</strong> Spanien hatte me<strong>in</strong> Vater gehört, hat soweit er es<br />
wusste mit mir gesprochen und mich gleichzeitig ermahnt, mit niemandem und nirgendwo<br />
darüber zu sprechen.<br />
Schon <strong>in</strong> den ersten Schuljahren lernte ich den Keller <strong>der</strong> Schule sehr gut kennen. Er war<br />
<strong>in</strong>zwischen zu e<strong>in</strong>em bombensicheren Luftschutzkeller umgebaut worden, mit vielen<br />
Abstützungen durch Quer- und Längsbalken. Zwischenzeitlich wurde Luftschutzalarm durch<br />
beson<strong>der</strong>e Signale gegeben und <strong>der</strong> diszipl<strong>in</strong>ierte E<strong>in</strong>zug <strong>der</strong> Klassen <strong>in</strong> den Luftschutzraum<br />
geübt.<br />
E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Sache, die dazu beitrug, den Alltag e<strong>in</strong>fach faschistisch zu durchdr<strong>in</strong>gen war das<br />
Tragen von Uniformteilen <strong>des</strong> DJV (Deutsches Jungvolk). Z.B. wurden im Sommer die<br />
kurzen schwarzen Kordhosen und im W<strong>in</strong>ter die warmen dunkelblauen Blousons, die langen<br />
warmen Bund- o<strong>der</strong> Skihosen, wie wir sie nannten, und Skimützen getragen und sie waren<br />
angenehm. Me<strong>in</strong>e Eltern wollten eigentlich nicht, dass ich so gekleidet zur Schule g<strong>in</strong>g. Für<br />
mich als Jungen wurde es aber auch zu e<strong>in</strong>er „Überlebensfrage“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule; denn ich fiel<br />
mit me<strong>in</strong>en langen Strümpfen und den langen K<strong>in</strong><strong>der</strong>unterhosen auf und wurde gehänselt.<br />
Wenn auch wi<strong>der</strong>willig, aber me<strong>in</strong>e Eltern kauften mir die genannten Uniformteile <strong>in</strong> dem <strong>in</strong><br />
<strong>Guben</strong> vorhandenen Uniformgeschäft „L<strong>in</strong>ke“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Salzmarktstraße, trotz knapper Kasse!<br />
Bei me<strong>in</strong>em Schulbesuch kam es <strong>1940</strong>, es hatte ja schon <strong>der</strong> II. Weltkrieg begonnen, zu<br />
Verän<strong>der</strong>ungen. Unser Klassenverband war aufgelöst worden. Kurze <strong>Zeit</strong> besuchte ich die neu<br />
zusammengestellte Klasse <strong>in</strong> <strong>der</strong> H<strong>in</strong>denburgschule. Im Zusammenhang mit dem<br />
„Blitzkrieg“, wie <strong>der</strong> Vormarsch gegen Frankreich genannt wurde, wurde die<br />
H<strong>in</strong>denburgschule Militärlazarett. Die gesamte Schule wurde ausgelagert und me<strong>in</strong>e 7. Klasse<br />
<strong>in</strong> die Stadtschule verlegt. Rektor Knabe, auch unser Klassenlehrer, schon Rentner und<br />
NSDAP-Mitglied, verabschiedete uns Ende Juni <strong>1940</strong> <strong>in</strong> die Sommerferien mit dem Ausruf:<br />
„Wenn wir uns nach den Ferien wie<strong>der</strong> sehen, wird England besiegt se<strong>in</strong>!“ Wir sahen uns<br />
zwar <strong>in</strong> <strong>der</strong> H<strong>in</strong>denburgschule wie<strong>der</strong>, aber England existierte trotz U-Boot-Krieg und<br />
Bombardements!<br />
Am Ende <strong>des</strong> 7. Schuljahres 1941 verließen die Schüler, die bereits das 8. Schuljahr h<strong>in</strong>ter<br />
sich hatten (e<strong>in</strong>mal nicht versetzt wurden) die Schule und nahmen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mehrzahl e<strong>in</strong>e Lehre<br />
auf.<br />
Da sich im Schulwesen Reformen vollzogen, Anfang und Ende <strong>der</strong> Schulzeit verän<strong>der</strong>t<br />
wurden, Schulanfang am 1. September und Ende <strong>des</strong> Schuljahres vor Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong><br />
Sommerferien, geriet unser Jahrgang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Übergangslösung. Wir besuchten von April bis<br />
Juni noch die 7. Klasse <strong>in</strong> <strong>der</strong> H<strong>in</strong>denburgschule und wurden für die 8. Klasse, die wir Anfang<br />
August begannen bzw. fortsetzten, wie<strong>der</strong>um aufgeteilt. Mit e<strong>in</strong>igen an<strong>der</strong>en Schülern führte<br />
nun me<strong>in</strong> Schulweg aus dem Osten <strong>Guben</strong>s <strong>in</strong> den Westteil, <strong>in</strong> die Klosterschule, die ich mit<br />
Abschluss <strong>der</strong> 8. Klasse im März 1942 beendete. Die H<strong>in</strong>denburgschule war von Mitte 1941<br />
bis 1945 Lazarett.<br />
1942 bis 1944 absolvierte ich die Handelsschule mit dem Ziel, e<strong>in</strong>e Lehre als<br />
Industriekaufmann aufzunehmen. Daraus wurde nichts. Was me<strong>in</strong>e Eltern und auch ich immer<br />
gehofft hatten, trat nicht e<strong>in</strong>. Auch ich musste noch zum RAD (Reichsarbeitsdienst) und<br />
wurde am 27. Juli 1944 zur Wehrmacht nach Brandenburg/Havel e<strong>in</strong>berufen.<br />
159
Dem DJV (Deutsches Jungvolk) b<strong>in</strong> ich auch nicht entgangen. Mit zehn Jahren begann die<br />
Mitgliedschaft. 1937/38 wurde ich <strong>in</strong> diese faschistische Jugendorganisation mit e<strong>in</strong>em Appell<br />
auf dem Marktplatz aufgenommen und e<strong>in</strong>em Fähnle<strong>in</strong> zugeteilt. So hieß es dann jede Woche<br />
„zum Dienst“ zu gehen. Es waren immer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong> bis zwei Stunden, die<br />
unterschiedlich im Fähnle<strong>in</strong> o<strong>der</strong> im Zug o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendschaft gestaltet wurden. Diese<br />
Glie<strong>der</strong>ung entsprach auch <strong>der</strong> militärischen, wohl nicht ohne Absicht! Zu den Inhalten<br />
gehörten: Exerzieren, Grundübungen wie rechts- und l<strong>in</strong>ks um, kehrt und rührt euch,<br />
Blickwendungen. Außerdem Ausführung <strong>des</strong> Hitlergrusses, Marschieren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kolonne,<br />
körperliche Ertüchtigung wie laufen, kriechen, hüpfen, hocken, Keulen werfen,<br />
Geländeübungen, Kriegsspiele, nach Karte und Kompass marschieren - bestimmte<br />
vorgegebene Ziele zu erreichen, Lager von zwei bis drei Tagen zu Pf<strong>in</strong>gsten (z.B. <strong>in</strong> Sembten,<br />
Jugendherberge Neuzelle), Sommersonnenwendfeiern und Aufmärsche. Gesprächsstunden zu<br />
Hitlers Leben (se<strong>in</strong> Lebenslauf wurde gepaukt), zur Geschichte <strong>der</strong> Nazibewegung, je nach<br />
Talent und Fähigkeit <strong>der</strong> Führer, wurden auch germanische Sagen vermittelt. Wie<strong>der</strong>holt, so<br />
habe ich es erlebt und gesehen, kam es bei <strong>der</strong> Durchführung <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e bei militärischen<br />
Übungen zu Übertreibungen und Entgleisungen. „Führer“ <strong>der</strong> oben genannten „E<strong>in</strong>heiten“<br />
gebrauchten ihre „Macht“, häufig gleichaltrig o<strong>der</strong> nur wenig älter, ihre „Untergebenen“ <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Gruppe o<strong>der</strong> auch e<strong>in</strong>zeln zu „schleifen“. Gründe für die körperliche Drangsalierung<br />
waren meist schnell gefunden: unexakte Ausführung <strong>der</strong> Befehle, zu wenig angestrengt usw.<br />
„Schleifen“ das bedeutete: laufen, h<strong>in</strong>legen, auf, H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse überw<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> Pfützen<br />
schmeißen und an<strong>der</strong>es mehr. Obwohl es mitunter von Passanten öffentlich beobachtet wurde,<br />
sagte dazu aus Angst vor <strong>der</strong> SA und Polizei niemand etwas. H<strong>in</strong>ter vorgehaltener Hand<br />
wurde schon von manchem über diese Schikanen geschimpft. Mir hat das alles nicht gefallen.<br />
H<strong>in</strong>zu kam, dass die „Vorgesetzten“ Schüler aus me<strong>in</strong>er Klasse waren, die nicht gerade zu<br />
den besten gehörten. Jedenfalls g<strong>in</strong>g ich nicht mehr zum Dienst. Me<strong>in</strong> Le<strong>in</strong>öl- und später auch<br />
<strong>der</strong> Futtermittelhandel, die Wäsche austragen o<strong>der</strong> Mutter im Plättkeller bzw. im Garten<br />
helfen, mich sportlich auf dem Sportplatz Kiekebusch betätigen, machten mir e<strong>in</strong>fach mehr<br />
Spaß. Die Dienstverweigerung hatte Folgen. Der Fähnle<strong>in</strong>führer kam zu uns nach Hause und<br />
wollte mich zwangsweise zum Dienst abschleppen. Das haben me<strong>in</strong>e Brü<strong>der</strong> geschickt<br />
verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t. Der Fähnle<strong>in</strong>führer musste im wahrsten S<strong>in</strong>ne <strong>des</strong> Wortes wie e<strong>in</strong> geprügelter<br />
Hund abziehen.<br />
Me<strong>in</strong> Vater konnte und musste dabei im H<strong>in</strong>tergrund bleiben. Gewartet haben wir, ob dieser<br />
Vorfall Folgen haben würde. Es regte sich nichts. Me<strong>in</strong>e Brü<strong>der</strong> und me<strong>in</strong> Vater kamen aber<br />
zu <strong>der</strong> Überlegung, dass es für unsere Familie wohl besser wäre, mich <strong>in</strong> das DJV wie<strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>zuglie<strong>der</strong>n. Außerdem musste ich e<strong>in</strong>e aktive Mitgliedschaft nachweisen, wenn ich Sport<br />
im VfL (Vere<strong>in</strong> für Leibesübungen) treiben wollte und das wollte ich unbed<strong>in</strong>gt. Und so<br />
entstand die Idee, mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Fähnle<strong>in</strong> unterzubr<strong>in</strong>gen. Mit Hilfe e<strong>in</strong>es<br />
Sportfreun<strong>des</strong>, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendmannschaft <strong>des</strong> VfL Handball spielte und gleichzeitig<br />
Fähnle<strong>in</strong>führer <strong>in</strong> Dörfern <strong>des</strong> Landkreises war, gelang es, mich bei ihm e<strong>in</strong>zuglie<strong>der</strong>n. Um es<br />
spaßhaft zu sagen: Ich g<strong>in</strong>g aufs Land! In dieser „E<strong>in</strong>heit“ Fähnle<strong>in</strong> fühlte ich mich<br />
bedeutend besser. Um dem gelungenen Vorhaben nicht <strong>in</strong>s Gesicht zu schlagen, habe ich<br />
später selbst Funktionen übernommen. Ansonsten hätte es ke<strong>in</strong>en Grund gegeben dort zu<br />
bleiben. Die sportliche Aktivität, <strong>der</strong> Sportplatz Kiekebusch, die Turnhallen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
H<strong>in</strong>denburg- und <strong>der</strong> Klosterschule gehörten <strong>in</strong> den Schuljahren zu me<strong>in</strong>em Leben, wie me<strong>in</strong><br />
Zuhause. Im VfL war ich seit me<strong>in</strong>em sechsten Lebensjahr Mitglied. Me<strong>in</strong>e Brü<strong>der</strong> waren<br />
auch <strong>in</strong> diesem Vere<strong>in</strong> organisiert. Hier g<strong>in</strong>g ich von kle<strong>in</strong> auf, also ab <strong>der</strong> ersten Klasse 1934<br />
zu den Turnstunden, später kam das Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für das Handballspielen dazu. Wenn Not am<br />
Mann war, spielte ich auch bei den Fußballern. Wir nahmen an leichtathletischen<br />
Wettkämpfen teil. Der Handball und die Fußballmannschaft <strong>der</strong> Männer für höhere<br />
Spielklassen vertieften me<strong>in</strong>e Leidenschaft für den Sport und den Vere<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem ich Mitglied<br />
war. So gab es Vorbil<strong>der</strong>, denen wir als Jungen nacheiferten. Bürgerliche Mannschaften<br />
160
mussten auf „unserem Platz im Kiekebusch“ gegen Mannschaften <strong>des</strong> Arbeitersports antreten.<br />
Diese Entwicklung wurde schroff durch den Kriegsausbruch 1939 unterbrochen und 1945 ist<br />
dann alles zusammengebrochen.<br />
Me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> ältere, hatte schon ausgelernt und <strong>der</strong> zweite war im dritten Lehrjahr. Sie<br />
waren selbst Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> HJ. Das war Voraussetzung für ihre erfolgreiche Teilnahme am<br />
Reichsberufswettbewerb. Angesehen und auch bekannt waren sie durch berufliche und<br />
sportliche Leistungen. Z.B. beim Straßenstaffellauf <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Betriebe, wobei „Lehmann<br />
& Richter“, ihr Lehrbetrieb, wie<strong>der</strong>holt gewann. Beide gehörten sie zur Mannschaft.<br />
Blicke ich auf diese Jahre <strong>der</strong> Schulzeit zurück, dann bleibt mir bei allen schwerwiegenden<br />
Ereignissen aber auch die Feststellung, dass es zwar e<strong>in</strong>e sehr komplizierte, aber auch<br />
er<strong>in</strong>nerungswerte K<strong>in</strong>dheit mit vielen Freunden und geme<strong>in</strong>samen Erlebnissen war.<br />
Realistisch gesehen: Ich konnte mir die <strong>Zeit</strong> nicht aussuchen, das kann wohl niemand. Trotz<br />
alledem sage ich: „Me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>jahren hatten viele schöne Seiten“.<br />
Ab 1934 erhielt <strong>Guben</strong> erneut e<strong>in</strong>en wirtschaftlichen Aufschwung. Erst wurde die<br />
Moltkekaserne errichtet und später 1937/38 kamen Mückenberg I, II und III dazu. Stationiert<br />
wurden <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> das Infanterie-Regiment 29. Im Osten <strong>Guben</strong>s entstand e<strong>in</strong>e<br />
Stadtrandsiedlung. Häuser wurden für Offiziere und Unteroffiziere gebaut. Es entstanden<br />
zwei Offizierskas<strong>in</strong>os. Nordöstlich und östlich von <strong>Guben</strong> breitete sich e<strong>in</strong><br />
Truppenübungsplatz aus. Dieses Gelände g<strong>in</strong>g den <strong>Guben</strong>er Pilzsuchern zu ihrem Leidwesen<br />
verloren. Fast zeitgleich entstand e<strong>in</strong> neues Stadion am Nordrand von <strong>Guben</strong>.<br />
In diesen Jahren wurde auch mit dem Bau <strong>der</strong> Rhe<strong>in</strong>metall-Borsig-Werke begonnen.<br />
Bauunternehmen, Betriebe wie Fuhrunternehmen u.a. erhielten Aufträge. Die E<strong>in</strong>wohnerzahl<br />
von <strong>Guben</strong> stieg. Viele Leute fanden Arbeit und Lohn. Es entwickelte sich Leben, auch<br />
Kaufkraft. Viele Zivilbeschäftigte fanden Arbeit <strong>in</strong> den Kasernen und auch „Borsig“ schuf<br />
neue Arbeitsplätze.<br />
Dass sich h<strong>in</strong>ter all dem Neuen aktive Kriegsvorbereitung verbarg, wurde von vielen Bürgern<br />
so nicht gesehen. Weitere Schritte zur militärischen Offensive <strong>in</strong> Europa waren<br />
Gebietserweiterungen o<strong>der</strong> wie es hieß: E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungen und damit die „Heimholung <strong>in</strong>s<br />
Reich“ mit Österreich, Memel- und Sudetenland sowie Böhmen und Mähren. Die Slowakei<br />
wurde zu e<strong>in</strong>em Satellitenstaat Hitlerdeutschlands.<br />
Sehr bee<strong>in</strong>druckt hat 1938 das Münchener Abkommen <strong>der</strong> vier Mächte Deutschland, Italien,<br />
Frankreich und England. Mit diesem Abkommen war es Hitler gelungen, von <strong>der</strong><br />
unmittelbaren Kriegsvorbereitung abzulenken. Viele Deutsche glaubten ihm se<strong>in</strong>e<br />
Friedensbeteuerungen aufs Wort. Wenn ich das so schreibe, habe ich es auch so erlebt, weil <strong>in</strong><br />
unsere Familie Beziehungen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>reichten, die H<strong>in</strong>tergründe zum politischen Geschehen<br />
erläuterten. Man merkte, dass es trotz <strong>der</strong> überwältigenden Bekenntnisse zu Hitler auch<br />
an<strong>der</strong>e Me<strong>in</strong>ungen gab, Wi<strong>der</strong>stand zwar vorhanden war, für uns aber hauptsächlich <strong>in</strong><br />
„Flüsterpropaganda“ existierte. Zwei Ereignisse von den vielen <strong>in</strong> diesen Jahren möchte ich<br />
noch erwähnen, weil sie mich tief bee<strong>in</strong>druckten.<br />
E<strong>in</strong>mal war es die Feier zum 50. Geburtstag Hitlers. Unsere Bösitzer Straße, war e<strong>in</strong> Meer<br />
von Hakenkreuzfahnen, Girlanden h<strong>in</strong>gen an den Häusern und quer über die Straße wehten<br />
Spruchbän<strong>der</strong> und Hitlerbil<strong>der</strong>. Auf <strong>der</strong> Straße bewegten sich überwiegend Uniformierte. Aus<br />
<strong>der</strong> Stadt kamen Leute zu me<strong>in</strong>en Verwandten. In ihrem Haus wohnte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Giebelstube e<strong>in</strong>e<br />
ältere Frau. Sie wurde aufgefor<strong>der</strong>t, doch sofort die Hitlerfahne aufzuhängen.<br />
Und zum Zweiten war <strong>der</strong> Nichtangriffspakt zwischen Hitlerdeutschland und <strong>der</strong> UdSSR e<strong>in</strong>e<br />
gewaltige Überraschung. Die Bil<strong>der</strong> vom Besuch Ribbentrops <strong>in</strong> Moskau, se<strong>in</strong> Handschlag<br />
mit Stal<strong>in</strong> und die geme<strong>in</strong>same Unterzeichnung mit Molotow, dem sowjetischen<br />
Außenm<strong>in</strong>ister, bewegten mich zutiefst. Der Inhalt und das ganze Drumherum waren mir ja<br />
161
noch unverständlich und dennoch empfand ich durch die Bil<strong>der</strong> aus Moskau e<strong>in</strong> Unbehagen,<br />
das ich nicht beschreiben konnte. Bestärkt wurde dieses durch die Kriegsangst <strong>der</strong> Eltern.<br />
Die weitere Ausübung <strong>des</strong> Handels, <strong>der</strong> Wäscherei und <strong>der</strong> Plätterei standen schon mehr o<strong>der</strong><br />
weniger auf dem Spiel. Das Wissen über „Russland“ wie wir damals sagten, war völlig<br />
unzureichend und total verdreht. Die verhandelnden Vertragspartner wirkten auf den Bil<strong>der</strong>n<br />
irgendwie kalt und komisch.<br />
Und drittens war es <strong>der</strong> Kriegsbeg<strong>in</strong>n am 1. September 1939. Ende August 1939 verbrachten<br />
wir - Freunde, me<strong>in</strong>e Brü<strong>der</strong> und ich - den letzten Sonntag vor Kriegsbeg<strong>in</strong>n am Deulowitzer<br />
See. Es war e<strong>in</strong> schöner, sonniger August-Sommertag. Die herrlichen Tagese<strong>in</strong>drücke e<strong>in</strong>es<br />
Sonnen- und Badetages verg<strong>in</strong>gen uns auf <strong>der</strong> Rückfahrt beim Anblick all <strong>der</strong> Vorgänge <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Stadt. Wir erfuhren von Passanten, dass die Mobilmachung im Gange war. Wie<strong>der</strong>holt fiel<br />
das Wort Krieg! Männer mit Frauen und K<strong>in</strong><strong>der</strong> bewegten sich zu den Stellplätzen, z.B. zum<br />
Hamdorff- und zum Lubstplatz. Fahrzeugführer mussten sich mit ihren Autos dort melden.<br />
Auch Pferdegespanne mit Wagen fuhren mit ihren Haltern vor. Mir ist e<strong>in</strong>e bedrückende<br />
Atmosphäre <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung. Überwiegend bestimmten Abschiedsszenen das Bild und große<br />
Begeisterung war nicht zu sehen. In den nächsten Tagen wurden viele E<strong>in</strong>berufungsbefehle<br />
bekannt, auch aus unserer Nachbarschaft rückten viele junge Männer <strong>in</strong> die verschiedensten<br />
Kasernen Deutschlands e<strong>in</strong>. Da wir ke<strong>in</strong> Radio besaßen, erfuhr ich von dem so genannten<br />
Überfall Polens auf den Sen<strong>der</strong> Gleiwitz erst auf dem Schulweg. In <strong>der</strong> Schule gab es die<br />
offizielle Nachricht, dass <strong>der</strong> Führer seit den frühen Morgenstunden zurückschlägt. Wir<br />
bekamen erst mal schulfrei und wurden <strong>in</strong> den nächsten Tagen zum Kartoffeln lesen auf<br />
Gütern und bei Bauern e<strong>in</strong>gesetzt.<br />
Viele Männer und Frauen waren begeistert, vertrauten auf den Führer. Von e<strong>in</strong>er Nachbar<strong>in</strong><br />
erfuhren wir, sie hat es selber erzählt, dass sie e<strong>in</strong> Hitlerbild und dazu Blumen aufgestellt hat<br />
und jeden Morgen vor dem Bild zum „Führer“ betet, dass er gesund bleiben möge und<br />
Deutschland glücklich macht!<br />
Die Härte <strong>des</strong> Krieges begegnete mir im Herbst 1939. Während, aber vor allem am Ende <strong>des</strong><br />
Krieges gegen Polen und danach, wurden polnische Menschen nach Deutschland als<br />
Arbeitskräfte deportiert. Sie mussten auf ihrer Kleidung sichtbar e<strong>in</strong> „P“ tragen. Viele dieser<br />
polnischen Menschen wurden an e<strong>in</strong>zelne Betriebe als billige Arbeitskräfte gegeben.<br />
Im Zusammenhang mit e<strong>in</strong>em Handballspiel im Oktober 1939 <strong>in</strong> Kerkwitz kam me<strong>in</strong> Vater<br />
mit e<strong>in</strong>em dort <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gaststätte tätigen polnischen Menschen <strong>in</strong>s Gespräch. Ich war dabei. Es<br />
hat sich bei mir e<strong>in</strong> Ausspruch dieses jungen Polen aus Warschau e<strong>in</strong>geprägt und ist bis heute<br />
<strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung geblieben: „Lieber Tag und Nacht studieren als fünf M<strong>in</strong>uten Krieg“.<br />
Er war aus e<strong>in</strong>em Studium herausgerissen worden.<br />
Die Siegesmeldungen überschlugen sich zwar, doch die ersten Verlustmeldungen, gefallen im<br />
Kampf gegen die „Fe<strong>in</strong>de Deutschlands“, nahmen zu. Dort, wo die Verlustmeldungen<br />
e<strong>in</strong>trafen, wirkten sie wie Keulenschläge. In E<strong>in</strong>zelfällen waren bereits mehrere männliche<br />
Personen aus e<strong>in</strong>er Familie <strong>in</strong> Polen gefallen. In Gesprächen unserer Familie bewegte uns das<br />
Mitleid. Wir bekundeten Beileid und ahnten nicht, dass es nur zwei knappe Jahre später auch<br />
unsere Familie treffen würde.<br />
Me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> wurde am 5. August 1941 bei Kiew verwundet und starb am 14. August an den<br />
Folgen - mit 19 Jahren! Nie vergessen werde ich den Tag Ende August, als mich me<strong>in</strong> Vater<br />
<strong>in</strong> den Vormittagstunden aus dem Unterricht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klosterschule holte. Als ich die Treppe<br />
h<strong>in</strong>unterschaute, sah ich Tränen <strong>in</strong> Vaters Augen und ahnte die To<strong>des</strong>nachricht. Sie wog um<br />
so schwerer, da me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> noch e<strong>in</strong>en Tag vor se<strong>in</strong>em Ableben e<strong>in</strong>en Brief geschrieben<br />
hatte, <strong>in</strong> dem er Hoffnungen auf e<strong>in</strong>e baldige Verlegung aus dem Feldlazarett <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
Heimatlazarett, vielleicht sogar nach <strong>Guben</strong>, hegte. Jeden Tag waren To<strong>des</strong>annoncen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
„<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung“. Es war auch an uns, den Tod unseres Siegfrieds bekannt zu geben.<br />
Erstmal hatte die Redaktion den von Vater entworfenen Text nicht abgenommen. In <strong>der</strong><br />
162
Annonce sollte stehen: „Auf dem Felde <strong>der</strong> Ehre gefallen“ bzw. „Für Führer, Volk und<br />
Vaterland“. Das hat Vater Ansorge nicht drucken lassen.<br />
Me<strong>in</strong>e Mutter war bei dem Erhalt dieser Nachricht zusammengebrochen. E<strong>in</strong>e große Trauer<br />
begleitete nun unser Leben. Me<strong>in</strong>e Mama, die mich Tag für Tag versorgte, mir stets half,<br />
wurde schwer krank. So kam es, dass ich sie so gut wie ich es nur konnte, versorgte und auch<br />
me<strong>in</strong>em Vater das Frühstück an se<strong>in</strong>en nun schon neuen Arbeitsplatz brachte. Me<strong>in</strong>en<br />
Schulweg bewältigte ich täglich mit dem Fahrrad.<br />
Ende 1939 verän<strong>der</strong>ten sich unsere Lebensbed<strong>in</strong>gungen gravierend. Nach <strong>der</strong> Rationierung<br />
e<strong>in</strong>iger Lebensmittel, wie z.B. Butter schon vor dem 1. September 1939, wurden mit<br />
Kriegsbeg<strong>in</strong>n Lebensmittel-, Klei<strong>der</strong>- und Brennstoffkarten ausgegeben. Vaters Gewerbe, <strong>der</strong><br />
Futter- und Le<strong>in</strong>ölhandel lief nicht mehr. Für Le<strong>in</strong>öl gab niemand „Fettkarten“ her. Durch<br />
begünstigende Umstände fand me<strong>in</strong> Vater Arbeit als Bierfahrer <strong>in</strong> <strong>der</strong> ehemaligen<br />
Haselbachschen Brauerei, Schegelner Straße. Erst wurde das Bier <strong>in</strong> Kästen und Fässern mit<br />
dem Auto <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> ausgefahren, vor allem aber <strong>in</strong> die umliegenden Dörfer. Es war e<strong>in</strong> Lkw<br />
mit „Holzfeuerung“. Wenn ich freie Tage hatte, z.B. <strong>in</strong> den Ferien, habe ich Fahrten über<br />
Land mitgemacht. Abgesehen davon, dass es bei manchem Gastwirt auf dem Dorfe auch gut<br />
zu essen gab, lernte ich das Vehikel mit Holzfeuerung noch besser kennen. Als <strong>der</strong><br />
Autobetrieb e<strong>in</strong>gestellt wurde, bekam me<strong>in</strong> Vater zwei Pferde und er rollte mit dem<br />
Pferdewagen durch die Gegend. Die Teilnahme an solchen Fahrten über die Landstraßen<br />
waren für mich unvergessliche Erlebnisse. Menschen verschiedenen Typs lernte ich kennen,<br />
erste Vorstellungen vom Umgang mit Pferden bekam ich und auch die nähere Umgebung wie<br />
auch Waldgebiete wurden mir vertrauter.<br />
Sich an die Jahre 1933/34 bis Anfang <strong>der</strong> 40er Jahre zu er<strong>in</strong>nern, heißt vor allem auch sich an<br />
die verbrecherische Verfolgung <strong>der</strong> Juden, <strong>der</strong> Kommunisten, Sozialdemokraten und aller<br />
Hitlergegner zu er<strong>in</strong>nern.<br />
In allen Schichten <strong>der</strong> Bevölkerung haben Juden gelebt und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel große Anerkennung<br />
als Ärzte, Rechtsanwälte, Handwerker u.a. gehabt. Ganz persönlich b<strong>in</strong> ich e<strong>in</strong>em jüdischen<br />
Lumpenhändler begegnet, <strong>der</strong> nur bei Dunkelheit <strong>in</strong> unser Haus kam, dort e<strong>in</strong>e Frau besuchte<br />
und bei Nacht auch wie<strong>der</strong> verschwand. Mitbekommen hatte ich, dass er offensichtlich auch<br />
Informationen weiter trug. E<strong>in</strong>mal h<strong>in</strong>terließ er Mitte 1941 e<strong>in</strong>e Karte von e<strong>in</strong>em deutschen<br />
Soldaten, die dieser aus <strong>der</strong> Kriegsgefangenschaft <strong>in</strong> Russland geschrieben hatte.<br />
Bekannt und beliebt waren jüdische Kaufhäuser und Kaufleute, weil es im Volksmund hieß,<br />
dass man dort billiger e<strong>in</strong>kaufen könne, wegen verschiedener Rabatte.<br />
Die Pogromnacht vom 9. November 1938 h<strong>in</strong>terließ auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> ihre furchtbaren Spuren.<br />
Am Tag nach <strong>der</strong> Pogromnacht sah ich die Synagoge brennen. Neugierig wie wir waren,<br />
liefen wir auch dort h<strong>in</strong>, wo Fensterscheiben zerschlagen, Läden durchwühlt und mitunter die<br />
Besitzer gleich mitgenommen, verhaftet worden waren.<br />
Mit Äußerungen zum Geschehenen musste man sehr vorsichtig se<strong>in</strong>.<br />
Me<strong>in</strong>e Mutter g<strong>in</strong>g wegen ihrer Hautleiden zu dem jüdischen Hautarzt Dr. Berent. Er war e<strong>in</strong><br />
guter Arzt und bei se<strong>in</strong>en Patienten anerkannt. Weil er Jude war, wurde er fristlos suspendiert<br />
und aus se<strong>in</strong>er Praxis und Wohnung vertrieben. Er wurde e<strong>in</strong>em Fahrradhändler zugeteilt und<br />
musste öffentlich vor dem Geschäft Schrauben zählen. Passanten, die ihn gut kannten, haben<br />
sich nicht getraut, ihn zu grüssen. Nach dieser öffentlichen Schmach ist er aus <strong>Guben</strong><br />
verschwunden.<br />
Mit diesen Ereignissen än<strong>der</strong>te sich <strong>der</strong> Siegesrausch <strong>der</strong> Faschisten zwar noch nicht, aber<br />
mancher Bürger, <strong>der</strong> Hitler auch bl<strong>in</strong>dl<strong>in</strong>gs gefolgt war, erschrak ob solcher Grausamkeiten.<br />
Verunsichert durch das unmenschliche Geschehen g<strong>in</strong>g schon hier und da die Frage um:<br />
Wen wird es noch alles treffen?<br />
163
Ich hörte heimlich Radio<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Werner Möhr<strong>in</strong>g<br />
Ich b<strong>in</strong> 1928 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren. Me<strong>in</strong> Geburtshaus bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kaltenborner Straße<br />
und ist das letzte Gebäude vor <strong>der</strong> Schwimmhalle. Aufgewachsen b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>.<br />
Ich besuchte die Pestalozzischule. 1939 trat ich dem Jungvolk und 1943 <strong>der</strong> Hitlerjugend bei.<br />
Wir mussten alle e<strong>in</strong>en Schwur leisten, <strong>der</strong> auf dem H<strong>in</strong>denburgplatz mit viel „Pomp“, das<br />
bedeutet mit Aufmärschen, Musik, viel militärischem Zack und Ansprachen, abgenommen<br />
wurde. Mit 18 Jahren hätte ich <strong>in</strong> die NSDAP e<strong>in</strong>treten müssen, Gott sei Dank war dann <strong>der</strong><br />
Krieg schon vorbei. Ich hätte es sowieso nicht gemacht, obwohl das damals von den Nazis<br />
gefor<strong>der</strong>t wurde.<br />
Herr Eitze, <strong>der</strong> Rektor <strong>der</strong> Pestalozzischule, war e<strong>in</strong> fachlich guter Lehrer und auch e<strong>in</strong><br />
verständnisvoller Mensch. Er war zwar e<strong>in</strong> Militarist aber nicht unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> Nazianhänger.<br />
Lehrer Otto Richter im Gegensatz dazu war ke<strong>in</strong> Anhänger <strong>der</strong> Nazis o<strong>der</strong> Hitlers und<br />
verbreitete im Stillen se<strong>in</strong>e antifaschistische Ges<strong>in</strong>nung. Irgendwie gelang es ihm immer<br />
wie<strong>der</strong> den Fahnenappell zu umgehen, er ist vorher immer „ausgebüchst“. Wegen vieler<br />
unterschiedlicher politischer Ansichten hatten Herr Eitze und Herr Richter oft Streit.<br />
Herr Richter war e<strong>in</strong> guter Lehrer, konnte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule aber auch e<strong>in</strong> richtiges Ekel se<strong>in</strong>. Als<br />
wir aus <strong>der</strong> Schule kamen war er wie e<strong>in</strong> Vater, kannte er doch jeden von uns, auch noch nach<br />
vielen Jahren, mit se<strong>in</strong>em Vornamen. Er war aber auch e<strong>in</strong> Choleriker und so kam es e<strong>in</strong>mal<br />
vor, dass er e<strong>in</strong>en Schüler ohrfeigte. Mit se<strong>in</strong>em R<strong>in</strong>g verletzte er diesen am Ohr. Natürlich<br />
wurde das nicht gern gesehen, wenn e<strong>in</strong> HJ-Mitglied geschlagen wurde, besaßen e<strong>in</strong>ige doch<br />
auf Grund <strong>des</strong>sen gewisse Privilegien. Herr Richter war auch <strong>der</strong> Chorleiter <strong>der</strong><br />
Pestalozzischule. Der Chor hat zu Weihnachten mehrmals im Wilke-Stift für die verwundeten<br />
Soldaten gesungen. Wir haben viele Lie<strong>der</strong>, wie alte deutsche Volkslie<strong>der</strong> o<strong>der</strong> auch<br />
propagandistische Lie<strong>der</strong>, gesungen. Wenn es aber mal bei e<strong>in</strong>er Probe nicht so klappte, wie<br />
er sich das vorstellte, o<strong>der</strong> wir haben etwas nicht verstanden, ist er im Gesicht rot angelaufen<br />
und hat geschrieen: „Ja, Nachmittags auf die Straße gehen und rumgrölen, das könnt ihr.“<br />
E<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung ist mir <strong>in</strong> Bezug auf e<strong>in</strong> Lied geblieben. Es handelt sich um das Lied:<br />
„Brü<strong>der</strong> reicht die Hand zum Bunde“. Dass das die österreichische Nationalhymne war, habe<br />
ich erst später erfahren.<br />
Während <strong>der</strong> Schulzeit mussten wir auch Heilkräuter sammeln, weil diese zur Herstellung von<br />
Medikamenten benötigt wurden.<br />
1939 bekamen alle Schüler e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es braunes Heftchen. Die Lehrer sagten uns, wir sollen<br />
dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Kriegstagebuch führen. So verfolgte ich auch <strong>in</strong>teressiert den Frontverlauf <strong>in</strong> Ost<br />
und West, <strong>in</strong> Asien und Afrika. Es war für mich sehr spannend, weil mich die Geschichte<br />
immer sehr <strong>in</strong>teressierte und das nicht nur im Geschichtsunterricht. Bis heute ist mir diese<br />
Leidenschaft geblieben.<br />
Auch Herr Bartuscheck war e<strong>in</strong> hervorragen<strong>der</strong> Lehrer. An <strong>der</strong> allgegenwärtigen<br />
Nazieuphorie hat er nicht teilgenommen. In <strong>der</strong> Schule gab es regelmäßig zwei <strong>Zeit</strong>schriften.<br />
Zum e<strong>in</strong>en „Die Jugendburg“ für alle Schüler bis 10 Jahre und zum an<strong>der</strong>en „Hilf mit!“ für<br />
die älteren Schüler.<br />
Von 1943 bis 1946 absolvierte ich me<strong>in</strong>e Lehre als Verwaltungsangestellter <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Stadtverwaltung. Ab und zu kam es auch mal vor, dass e<strong>in</strong> Sohn e<strong>in</strong>es antifaschistisch<br />
e<strong>in</strong>gestellten Vaters, <strong>der</strong> Hitler und den Nazis nicht beson<strong>der</strong>s zugetan war, e<strong>in</strong>e Stelle bei <strong>der</strong><br />
Stadtverwaltung bekam. Der Bürgermeister <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong> war damals Dr. W<strong>in</strong>kler, aber<br />
dieser spielte nur e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle. Das eigentliche Sagen hatte Oberbürgermeister<br />
Schmiedicke. Alle Verwaltungslehrl<strong>in</strong>ge wurden im Ratsherren-Sitzungssaal vereidigt. Dieser<br />
164
war sehr prunkvoll und schön e<strong>in</strong>gerichtet. Während <strong>der</strong> Vereidigung, nach 10 M<strong>in</strong>uten<br />
stehen, b<strong>in</strong> ich plötzlich umgefallen.<br />
Ich hatte damals schon gesundheitliche Probleme und so b<strong>in</strong> ich bei <strong>der</strong> Musterung im<br />
November 1944 e<strong>in</strong> Jahr vom Wehrdienst zurückgestellt worden. In me<strong>in</strong>er Lehrzeit habe ich<br />
als 15jähriger so e<strong>in</strong>ige Gespräche über die Zukunft und die <strong>der</strong>zeitige Lage <strong>in</strong> und über<br />
Deutschland und <strong>Guben</strong> mitgehört. Man musste damals auch vorsichtig mit se<strong>in</strong>en<br />
Äußerungen se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>mal sprach man darüber, dass die Russen gegenüber <strong>der</strong> Deutschen<br />
Wehrmacht doch nicht so stark se<strong>in</strong> können. Das war natürlich e<strong>in</strong> schrecklicher Irrtum.<br />
1941/42 wurden die deutschen Truppen im Osten durch den strengen russischen W<strong>in</strong>ter<br />
überrascht. Sie waren nicht genügend mit warmer W<strong>in</strong>terbekleidung ausgerüstet. Viele<br />
Soldaten zogen sich Frostschäden zu. Es kam auch zu Erfrierungen. Da wurde die gesamte<br />
Bevölkerung aufgerufen W<strong>in</strong>terkleidung zu spenden. Auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> wurden Sammelstellen<br />
e<strong>in</strong>gerichtet. Bereit, den Soldaten zu helfen, trennten sich viele Männer von ihren Mänteln,<br />
Steppjacken usw. und Frauen von liebgewordenen Pelzen, Pelzkappen usw. Als die<br />
russischen Truppen immer weiter die Deutschen zurückdrängten, Ende 1944, kamen auch<br />
schon die ersten Flüchtl<strong>in</strong>ge, Bauern und <strong>der</strong>en Familien aus Ostpreußen usw. <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> an.<br />
Nur wenige mit angemessenem Eigentum konnten anfangs durch das so genannte<br />
„Reichsleistungsgesetz“ etwas entschädigt werden. Durch die Massenfluchtbewegung war das<br />
dann gar nicht mehr möglich.<br />
Me<strong>in</strong> Vater war Eisendreher <strong>in</strong> <strong>der</strong> Masch<strong>in</strong>enfabrik. Am 31. August 1939 war <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
Mobilmachung. Für me<strong>in</strong>en Vater traf das nicht zu, denn er war durch se<strong>in</strong>en Chef, Herrn<br />
Erw<strong>in</strong> Lehmann, U.K. (unabkömmlich) gestellt. In <strong>der</strong> Kaltenborner Straße rief ihm e<strong>in</strong> alter<br />
Bekannter zu: „Na Fritze, du bist ja auch noch hier.“ Darauf antwortete er: „Warum nicht,<br />
sollen doch erst mal die Bonzen gehen.“ Das durfte man damals natürlich nicht sagen und<br />
schon gar nicht laut. Er wurde daraufh<strong>in</strong> denunziert. Auf Grund <strong>des</strong>sen musste sich me<strong>in</strong><br />
Vater zweimal bei <strong>der</strong> Gestapo <strong>in</strong> Frankfurt/ O<strong>der</strong> und später noch öfter bei <strong>der</strong> politischen<br />
Polizei <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> melden. Wenn er nicht e<strong>in</strong>en Fürsprecher bei <strong>der</strong> Polizei gehabt hätte, wäre<br />
er für diese Äußerung <strong>in</strong>s KZ gekommen.<br />
Er war nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> SPD, gehörte aber dem Reichsbanner an, e<strong>in</strong>er Organisation <strong>der</strong> SPD.<br />
Me<strong>in</strong> Vater war mit dem Hutarbeiter Leo W<strong>in</strong>ter befreundet. Dieser war Jude. Wir besuchten<br />
ihn öfter, weil er schon e<strong>in</strong> Radio besaß. Das war e<strong>in</strong>e so genannte „Goebbelsschnauze“.<br />
E<strong>in</strong>es Tages, es war im November 1938, verschwand Leo W<strong>in</strong>ter. Er wurde von <strong>der</strong> Straße<br />
geholt und nach Polen abgeschoben. Niemand weiß, was aus ihm geworden ist. Se<strong>in</strong>e Frau<br />
war Deutsche.<br />
In <strong>Guben</strong> gab es auch jüdische Geschäfte, u. a. auch das Kaufhaus „Karstadt“. Als me<strong>in</strong> Vater<br />
e<strong>in</strong>kaufen g<strong>in</strong>g, wollte er auch zu „Karstadt“. Von weitem sah er schon, dass SA-Posten den<br />
E<strong>in</strong>gang besetzt hielten. Me<strong>in</strong> Vater g<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, ohne jegliche Schwierigkeiten. Bekam diese<br />
aber, als er das Kaufhaus wie<strong>der</strong> verließ. Die SA-Posten verprügelten ihn mit<br />
Gummiknüppeln so heftig, dass er e<strong>in</strong>e Kopfwunde davon trug. Von e<strong>in</strong>em jüdischen Arzt<br />
behandelt und mit verbundenen Kopf kam er dann zu Hause an. Nach <strong>der</strong> Enteignung <strong>der</strong><br />
Juden hieß das Kaufhaus „Kazentra“.<br />
Ende 1938, zu Weihnachten, hatten wir dann e<strong>in</strong> eigenes Radio. Und ich habe heimlich<br />
„fe<strong>in</strong>dliche Sen<strong>der</strong>“ abgehört. Die katastrophale Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> deutschen Truppenverbände<br />
vor Moskau und <strong>in</strong> Stal<strong>in</strong>grad und <strong>der</strong> sich verstärkende Luftangriff <strong>der</strong> Westalliierten brachte<br />
ja schon viele Deutsche zum Nachdenken, wie das mal enden soll. Der Reichsrundfunk und<br />
die <strong>Zeit</strong>ungen machten ja aus je<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage noch e<strong>in</strong>en Sieg (z. B. Frontbegradigung,<br />
erfolgreiche Gegenangriffe usw.). Bald wurde das unglaubwürdig. Me<strong>in</strong> Interesse richtete<br />
sich zunehmend darauf, die Wahrheit zu erfahren. Dies konnte man nur durch Abhören<br />
165
ausländischer Sen<strong>der</strong>. Das war aber durch Gesetz streng verboten und wurde schwer bestraft,<br />
bei Verbreitung solcher Nachrichten auch mit Konzentrationslager.<br />
Ich freute mich stets, wenn me<strong>in</strong>e Eltern mal abends nicht zu Hause blieben, denn me<strong>in</strong> Vater<br />
spielte mit Freunden gern Skat.<br />
Unser Radio stand auf dem Nachttisch im Schlafzimmer, denn wir bewohnten mit 5 Personen<br />
nur e<strong>in</strong>e große Stube mit e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Küche. Unser Radio war ke<strong>in</strong>e <strong>der</strong> w<strong>in</strong>zigen<br />
„Goebbelsschnauze“. Unser Radio war die etwas bessere Ausführung und war etwas höher <strong>in</strong><br />
den Abmaßen. Es kostete damals 75 Reichsmark. Wir konnten es uns im Jahr 1938 f<strong>in</strong>anziell<br />
leisten. Es soll hier aber noch gesagt werden, dass <strong>der</strong> Reichspropagandam<strong>in</strong>ister Goebbels<br />
dafür gesorgt hatte, dass seit <strong>1936</strong> diese kle<strong>in</strong>en primitiven (Skala mit Zahlen versehen), aber<br />
preiswerten Radios <strong>in</strong> Millionenauflage produziert wurden. Je<strong>der</strong> deutsche Haushalt sollte<br />
sich e<strong>in</strong> Radio anschaffen.<br />
Ich hörte jedenfalls <strong>in</strong> diesen Stunden <strong>der</strong> Abwesenheit me<strong>in</strong>er Eltern ke<strong>in</strong>e Musik, son<strong>der</strong>n<br />
drehte eifrig an <strong>der</strong> Skala und hörte dann: „Hier ist Radio Moskau mit e<strong>in</strong>er Sendung <strong>in</strong><br />
deutscher Sprache“ o<strong>der</strong> „Hier ist <strong>der</strong> Soldatensen<strong>der</strong> West“ (e<strong>in</strong> von den westlichen<br />
Alliierten geführter Sen<strong>der</strong>). Am E<strong>in</strong>drucksvollsten war das Pausenzeichen <strong>des</strong> Londoner<br />
Rundfunks BBC mit se<strong>in</strong>em: Bumm Bumm Bumm, Bumm, das durch Mark und Be<strong>in</strong> g<strong>in</strong>g.<br />
Danach kam erst die Ansage. E<strong>in</strong>en dieser genannten Sen<strong>der</strong> bekam ich immer deutlich. Von<br />
diesen Sen<strong>der</strong>n wurde die wahre Frontlage mit <strong>der</strong> Rückeroberung <strong>der</strong> von den deutschen<br />
Besatzern okkupierten Gebiete gemeldet, was sich dann e<strong>in</strong>ige Tage später, seltsam<br />
umschrieben <strong>in</strong> den deutschen Medien bestätigte.<br />
Aber nicht nur die Fontverläufe <strong>in</strong>teressierten. Es waren auch die Aufrufe <strong>der</strong> Sprecher zur<br />
Vernunft, zur Beendigung <strong>des</strong> s<strong>in</strong>nlosen Blutvergießens, denn <strong>der</strong> Krieg war ja aussichtslos<br />
geworden. Ich hörte Sprecher, die mir erst später nach dem Kriege bekannt wurden, wie z. B.<br />
Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht, Erich We<strong>in</strong>ert, Major Bechler, General Seydlitz und an<strong>der</strong>e.<br />
Seit 1943 gab es dann auch den Sen<strong>der</strong> <strong>des</strong> Nationalkomitees Freies Deutschland, <strong>der</strong> von den<br />
deutschen Antifaschisten und von Soldaten, Offizieren und Generälen <strong>des</strong> Nationalkommitees<br />
geleitet wurde. Sie selbst nahmen auch aus ihrer gewonnenen Überzeugung an gefahrvoller<br />
Antikriegsagitation an den Fontl<strong>in</strong>ien über Lautsprecher teil. Viele Kriegsgefangene durften<br />
über den Rundfunk sprechen und ihre Kameraden zum Nie<strong>der</strong>legen <strong>der</strong> Waffen aufrufen.<br />
Die Informationen, die ich aus den Nachrichten erlangte, musste ich für mich behalten. Auch<br />
mit me<strong>in</strong>en Eltern durfte ich nicht darüber sprechen. Es war damals so, dass die Gestapo eifrig<br />
war zu erfahren, wer ausländische Sen<strong>der</strong> abhörte, K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche wurden dazu<br />
animiert, ihre Eltern und an<strong>der</strong>e zu verraten. Me<strong>in</strong> Vater hätte sich aber auf me<strong>in</strong>e<br />
Schweigsamkeit verlassen können, aber es gab lei<strong>der</strong> ke<strong>in</strong> Gespräch darüber.<br />
Erst als sich am 19. Februar <strong>der</strong> Artilleriebeschuss <strong>in</strong> unserem Wohngebiet verstärkte,<br />
offenbarte ich mich ihm.<br />
Es gab e<strong>in</strong>e zeitlang auch noch e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Quelle, aus <strong>der</strong> man reale Informationen über das<br />
Geschehen an den Fronten und über den Luftkrieg erhalten konnte, meistens aber nur e<strong>in</strong> o<strong>der</strong><br />
zwei Sätze jeweils. Das waren die Sendezeiten <strong>der</strong> deutschen Nachrichtensen<strong>der</strong> selbst. Der<br />
Britische Rundfunk hatte den Trick genau raus, dazu die Atempausen bzw. Sprechpausen <strong>der</strong><br />
Nachrichtensprecher zu benutzen, um <strong>in</strong> diesen Sekunden Informationen anzubr<strong>in</strong>gen, die<br />
man auch oft zusammenhangvoll erfassen konnte. Auch dieses durfte man nicht weitersagen.<br />
Als das dann als gängige „Fe<strong>in</strong>dagitation“ erkannt wurde, mussten die Nachrichtensprecher<br />
pausenlos sprechen, teils wurden sie auch dann schon während <strong>der</strong> Sendung abgelöst.<br />
Aufgewachsen b<strong>in</strong> ich eigentlich bei me<strong>in</strong>er Großmutter. Sie wohnte auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kaltenborner<br />
Straße. Sie hat zehn K<strong>in</strong><strong>der</strong> zur Welt gebracht und großgezogen, Vater war <strong>der</strong> Jüngste. Die<br />
Nazis legten damals viel Wert auf e<strong>in</strong>e hohe Geburtenzahl.<br />
166
Und so kam es, dass jede Mutter mit reichem K<strong>in</strong><strong>der</strong>segen, selbst wenn die K<strong>in</strong><strong>der</strong> schon<br />
erwachsen waren, e<strong>in</strong>e Auszeichnung erhielt. Me<strong>in</strong>er Großmutter wurde im Feldschlösschen<br />
das „Goldene Mutterkreuz“ verliehen. Ich begleitete sie zu dieser Ehrung.<br />
Sommer 1944: Die Front kam immer näher. Die Nazis beschlossen, wir müssen etwas für die<br />
Verteidigung tun. So wurde die <strong>Guben</strong>er Jugend mobilisiert. E<strong>in</strong> Teil bekam e<strong>in</strong>e so genannte<br />
„Dienstverpflichtung zum Schanze<strong>in</strong>satz“ für drei Wochen <strong>in</strong> Meseritz-Calau im heutigen<br />
Polen. Zwischen Meseritz und Calau mussten wir Schützengräben für den dortigen Ostwall<br />
ausheben. Die Verabschiedung wurde mit viel „Trara“ begangen und <strong>in</strong> Ansprachen dabei <strong>der</strong><br />
deutsche Patriotismus hervorgehoben. Die gleiche Prozedur gab es dann beim Empfang, als<br />
wir wie<strong>der</strong> nach Hause kamen.<br />
Zum 29. Januar 1945 erhielten alle männlichen Jugendlichen ab 16 Jahren die schriftliche<br />
E<strong>in</strong>berufung zum Volkssturm. Sammelpunkt war das Plateau <strong>der</strong> Bann-Geschäftsstelle<br />
oberhalb <strong>der</strong> Grünen Wiese (heute Piatowska). Dort hatten die HJ-E<strong>in</strong>heiten (Hitlerjugend, d.<br />
Red.) anzutreten und wurden von den Stammführern <strong>in</strong> Empfang genommen und danach dem<br />
Bannführer gemeldet.<br />
Diese Aktion <strong>der</strong> E<strong>in</strong>berufung <strong>der</strong> jugendlichen Jahrgänge aber war offensichtlich verfehlt.<br />
Wie später bekannt wurde, soll es <strong>in</strong>ternationale Proteste gegen diese Maßnahme <strong>der</strong><br />
zentralen Führung gegeben haben, denn wir waren alle erst 15 bis 16 Jahre alt, so dass nur die<br />
großen und kräftigen Jungen ausgesucht und dabehalten wurden. Alle an<strong>der</strong>en durften wie<strong>der</strong><br />
nach Hause und konnten dann mit ihren Eltern die Stadt verlassen. Die Gruppe <strong>der</strong><br />
Zurückbehaltenden, ca. 60 an <strong>der</strong> Zahl, wozu auch ich gehörte, hatte zum Bergschlösschen zu<br />
marschieren. Dort wurde uns <strong>der</strong> Befehl bekanntgegeben, dass wir e<strong>in</strong>en<br />
Panzervernichtungstrupp bilden und ab sofort für den E<strong>in</strong>satz ausgebildet werden.<br />
Am nächsten Morgen begann die Ausbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Handhabung <strong>der</strong> Panzerfaust, <strong>des</strong><br />
Karab<strong>in</strong>ers 98 k, <strong>der</strong> MPi 44 und <strong>der</strong> Armeepistole 08. Weiterh<strong>in</strong> war <strong>in</strong> den später<br />
blutgetränkten <strong>Guben</strong>er Bergen auch taktische Schützenausbildung. Das praktische Schießen<br />
mit Handfeuerwaffen fand auf dem Schießplatz <strong>in</strong> Germersdorf (heute Jaromirowice) statt.<br />
Panzerfaustschießen wurde uns wegen Munitionsmangel auf dem Wallwitzer (heute<br />
Walowice) Übungsplatz nur e<strong>in</strong>mal auf e<strong>in</strong> Panzerwrack gezeigt. Die Ausbil<strong>der</strong> waren<br />
genesende, verwundete Unterführer vom Regiment „Großdeutschland“, die nicht mehr<br />
fronte<strong>in</strong>satzfähig waren.<br />
Inzwischen war die Front näher gerückt. Um den 8. Februar war die Stadt <strong>Guben</strong> von vielen<br />
E<strong>in</strong>wohnern verlassen. Man hörte das Grollen <strong>der</strong> Geschütze von <strong>der</strong> O<strong>der</strong> her. Wir wurden<br />
darauf vorbereitet, täglich gegen von Crossen her vordr<strong>in</strong>gende Panzer e<strong>in</strong>gesetzt zu werden.<br />
Die Stimmung war bei vielen noch immer euphorisch. E<strong>in</strong> Höhepunkt <strong>der</strong> Euphorie war <strong>der</strong><br />
Besuch <strong>des</strong> Bannführers Gohlke im Ausbildungslager, <strong>der</strong> uns mitteilte, dass <strong>der</strong> Russe <strong>in</strong><br />
Fürstenberg mit e<strong>in</strong>igen Panzern die O<strong>der</strong>brücke im Handstreich genommen und am Westufer<br />
e<strong>in</strong>en Brückenkopf gebildet hatte.<br />
Wir können euch unter Umständen bereits jede Stunde gebrauchen, rief <strong>der</strong> Bannführer <strong>in</strong> die<br />
Menge. E<strong>in</strong>e ganze Anzahl von Jungen wollte sofort mit und e<strong>in</strong>gesetzt werden. E<strong>in</strong><br />
Wahns<strong>in</strong>n.<br />
Gesundheitliche Umstände bewirkten noch im letzten Moment me<strong>in</strong>e Entlassung aus dem<br />
To<strong>des</strong>kommando. Später erfuhr ich, dass alle im Kampf um <strong>Guben</strong> e<strong>in</strong>gesetzt wurden und<br />
kaum e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> dem Inferno mit dem Leben davon kam.<br />
Am 12. Februar 1945 erfolgte me<strong>in</strong>e Entlassung aus dem Volkssturm und ich durfte weiter <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Stadtverwaltung arbeiten. Dort g<strong>in</strong>g schon das Chaos los und es folgte die Beurlaubung ab<br />
dem 19. Februar 1945.<br />
167
Alle Männer mussten sich beim Volkssturm melden. Me<strong>in</strong> Vater hat sich nicht dort<br />
registrieren lassen und so lebten wir bis zum 26. März <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kaltenborner Straße 145 a<br />
(unweit von unserem Wohnhaus) zu unserem eigenen Schutz <strong>in</strong> unserem kle<strong>in</strong>en Hauskeller.<br />
Wir hatten uns Matratzen auf unsere dort gelagerten Kartoffeln gelegt. Me<strong>in</strong>e Mutter und<br />
me<strong>in</strong>e beiden Brü<strong>der</strong> befanden sich bereits auf <strong>der</strong> Flucht. Spät abends habe ich dann täglich<br />
vom Dachboden aus das brennende <strong>Guben</strong> gesehen. Da ich mit me<strong>in</strong>er Heimatstadt beson<strong>der</strong>s<br />
eng verbunden war, machte mich das sehr betroffen. Die Kämpfe tobten bereits <strong>in</strong> Groß<br />
Gastrose. Die Russen hatten dort e<strong>in</strong>en Brückenkopf gebildet, von dem wir <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> nichts<br />
ahnten. Um von e<strong>in</strong>er Seite auf die an<strong>der</strong>e Seite <strong>Guben</strong>s zu gelangen, haben wir dann<br />
am 19. Februar die Holzbrücke von Gub<strong>in</strong>chen zum westlichen Neißeufer genutzt. Die<br />
Neißebrücke <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt lag schon unter Beschuss. Wir hatten auf unserem Grundstück noch<br />
e<strong>in</strong> paar Tiere. Wenn wir die Tiere füttern g<strong>in</strong>gen und versorgten, mussten wir aufpassen, dass<br />
wir nicht erwischt wurden. Die Deutschen patrouillierten durch <strong>Guben</strong> und haben jeden Mann<br />
gegriffen und an die Front geschickt. Als es uns dann <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> „zu heiß“ wurde und wir uns<br />
nicht mehr sicher fühlten, s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong> Vater und ich mit dem Fahrrad aus <strong>Guben</strong> geflüchtet und<br />
haben durch e<strong>in</strong>en glücklichen Zufall me<strong>in</strong>e Mutter und den Rest <strong>der</strong> Familie <strong>in</strong> F<strong>in</strong>sterwalde<br />
wie<strong>der</strong> gefunden.<br />
168
„Kartoffelsalat ohne Marken“<br />
Erlebnisse und Er<strong>in</strong>nerungen von Herrn Joachim Schmidt<br />
Am 23. Juni 1931 wurde ich <strong>in</strong> Reichenbach, e<strong>in</strong>em Ortsteil von <strong>Guben</strong>, geboren.<br />
Me<strong>in</strong>e Mutter arbeitete als Hutmacher<strong>in</strong> bei <strong>der</strong> Firma Lißner und später bei W. Wilke.<br />
Vater war, bis zu se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>berufung, Weber bei <strong>der</strong> Textilfabrik Schemel. Ich habe auch<br />
noch e<strong>in</strong>en Bru<strong>der</strong>.<br />
Me<strong>in</strong>e Eltern besaßen e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Häuschen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadtrandsiedlung, gleich neben den 1935<br />
erbauten Mückenberg-Kasernen. Ich besuchte fast alle Schulen <strong>Guben</strong>s, nur <strong>in</strong> die Stadtschule<br />
b<strong>in</strong> ich nicht gegangen. Durch die e<strong>in</strong>getretenen Kriegswirren konnte ich die Volksschule<br />
nicht beenden, denn <strong>in</strong> und um <strong>Guben</strong> fanden schon die ersten Kampfhandlungen statt. Wie es<br />
damals Pflicht war, musste man dem Jungvolk und danach <strong>der</strong> HJ beitreten. Ich war nur im<br />
Jungvolk. Die Aktivitäten und <strong>der</strong> Dienst beim Jungvolk waren eher langweilig und aus<br />
diesem Grund hatten wir ke<strong>in</strong>en Spaß daran. Als wir immer öfter dem Dienst fern blieben,<br />
kam e<strong>in</strong> Polizeioffizier und wir mussten auf dem Platz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadtrandsiedlung natürlich<br />
barfuss und <strong>in</strong> unseren „Räuberhosen“ Aufstellung nehmen. Da „blies“ uns <strong>der</strong> Offizier „den<br />
Marsch“. „Der Dienst ist eure Pflicht, die ihr erfüllen müsst, an<strong>der</strong>enfalls werden eure Eltern<br />
dafür zur Rechenschaft gezogen, weil sie die Aufsichtspflicht verletzen“.<br />
E<strong>in</strong>es Tages mussten wir den L<strong>in</strong>dengraben entlang marschieren. Vor uns wurde die Fahne<br />
<strong>des</strong> Jungvolkes getragen. Es ist e<strong>in</strong> schwarzes Tuch mit weißen Fransen umsäumt und e<strong>in</strong>e S-<br />
Rune darauf. Alle Menschen auf <strong>der</strong> Straße mussten diese Fahne mit „Heil Hitler“ und dem<br />
ausgestreckten Arm grüßen. In Höhe <strong>der</strong> Hefefabrik, die es damals <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> gab, unterhielten<br />
sich zwei ältere Männer. Vertieft <strong>in</strong> ihr Gespräch grüßten sie die Fahne nicht, als wir an ihnen<br />
vorbeizogen. Darauf h<strong>in</strong> g<strong>in</strong>g <strong>der</strong> Fähnle<strong>in</strong>führer, e<strong>in</strong> ca. 16jähriger Bursche, zu den beiden<br />
Männern und brüllte sie an. E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> beiden Männer wollte sich verteidigen und wi<strong>der</strong>sprach.<br />
Da schrie <strong>der</strong> Fähnle<strong>in</strong>führer: „Halt die Fresse, sonst kriegst du e<strong>in</strong>e drauf“.<br />
Damals wurden auch viele Feste gefeiert, u. a. auch die so genannte „Sonnenwende“. Dazu<br />
wurden außerhalb <strong>der</strong> Stadt Holzhaufen gestapelt und diese angebrannt. Es mussten das<br />
Horst-Wessel-Lied, das Deutschlandlied und an<strong>der</strong>e Nazilie<strong>der</strong> gesungen werden. Es artete<br />
sogar <strong>in</strong> Hassgesänge aus. In e<strong>in</strong>em dieser Lie<strong>der</strong> hieß es:<br />
„In <strong>der</strong> Synagoge, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synagoge<br />
hängt e<strong>in</strong> schwarzes Schwe<strong>in</strong>.<br />
Wetzt die langen Messer,<br />
wetzt die langen Messer ...<br />
Es ist doch ganz schlimm, wenn junge Menschen schon zum Mord erzogen und animiert<br />
werden.<br />
Wir mussten auch drei Tage <strong>in</strong> die Kaserne Mückenberg II zur Wehrerziehung. Unsere<br />
Ausbil<strong>der</strong> waren Soldaten. In den Kasernen Mückenberg I waren die Sturmgeschütze, <strong>in</strong><br />
Mückenberg II die Artillerie (z.B. Feldhaubitzen) und <strong>in</strong> Mückenberg III die Sanitäter<br />
untergebracht. In <strong>der</strong> Mückenberg-Kaserne I waren das bekannte 29-er Regiment und das<br />
Regiment „Groß Deutschland“ (Eliteregiment, gehörte nicht zur Waffen- SS) stationiert.<br />
Am 1. September 1939 brach <strong>der</strong> Zweite Weltkrieg aus. Mitte September 1939 stand ich mit<br />
me<strong>in</strong>er Mutter bei <strong>der</strong> Kaserne Mückenberg I an <strong>der</strong> Bushaltestelle, als fünf bis sechs LKW<br />
mit polnischen Kriegsgefangenen an uns vorbei fuhren. Die Polen standen dicht an dicht auf<br />
<strong>der</strong> Ladefläche und hielten sich an dem Gestänge fest, an dem sonst die Plane befestigt wird.<br />
169
Als Bewachung waren zwei Soldaten mit dabei. Dann hielten die LKW <strong>in</strong> unmittelbarer Nähe<br />
an und schon versammelten sich viele Jugendliche und K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die die Polen beschimpften.<br />
Das gipfelte dar<strong>in</strong>, dass man sie mit Ste<strong>in</strong>en bewarf, weil die Polen bei den Deutschen<br />
verhasst waren. Dieser Hass auf die Polen lag dar<strong>in</strong> begründet, dass die Nazis dem Deutschen<br />
Volk Lügengeschichten über die Polen erzählten. Man sagte z.B., die Polen würden deutsche<br />
Männer verprügeln und umbr<strong>in</strong>gen bzw. man würde ihnen die Zunge herausschneiden.<br />
Me<strong>in</strong>e Mutter sagte zu mir: “Tu´ das nie! Du weißt, de<strong>in</strong> Vati ist im Krieg. Was wür<strong>des</strong>t du<br />
denn tun, wenn man das mit Vati täte“.<br />
Damals wurden die Gemüsebauern <strong>Guben</strong>s „W<strong>in</strong>zer“ genannt. Auch bei dem Gemüsebauern<br />
Lehmann haben Zwangsarbeiter arbeiten müssen. Die Familie Lehmann hat <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Hundsgasse gewohnt. Me<strong>in</strong>e Mutter hat beim Gemüsebauern Lehmann als Aushilfe<br />
gearbeitet. Bei den Zwangsarbeitern handelte es sich um Polen, die ihren gelben Aufnäher mit<br />
dem „P“, und zwei Ukra<strong>in</strong>er Mädchen, die ihren blauen Aufnäher mit <strong>der</strong> Aufschrift „OST“<br />
l<strong>in</strong>ks am Rock trugen, so wie es Pflicht war. Diese haben auf dem Hof das Gemüse geputzt<br />
und gewaschen, weil es zum Händler nach Berl<strong>in</strong> musste. Zum Mittagessen wurde me<strong>in</strong>e<br />
Mutter <strong>in</strong>s Haus <strong>der</strong> Lehmanns gerufen. Die Zwangsarbeiter bekamen ke<strong>in</strong> warmes<br />
Mittagessen, sie mussten auf dem feuchten Hof sitzen und haben rohe Kohlrabi gegessen.<br />
Wer Zwangsarbeiter mit Essen versorgte, machte sich strafbar.<br />
Weil die Front immer näher kam, haben alle Händler ihren Warenbestand ohne Karten<br />
verkauft. Das war damals <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> erlaubt, denn für <strong>Guben</strong> gab es e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>regelung, da<br />
unsere Stadt zur Frontstadt erklärt wurde und daher die Händler auch flüchten mussten.<br />
Damals hat es eigentlich alles nur auf Karten gegeben. Es gab e<strong>in</strong>e Lebensmittelkarte und e<strong>in</strong>e<br />
Punktekarte für Bekleidungsartikel. E<strong>in</strong>e Hose o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Paar Schuhe kosteten damals je<br />
30 Punkte.<br />
E<strong>in</strong>mal s<strong>in</strong>d wir mit me<strong>in</strong>er Mutter, zu dieser <strong>Zeit</strong>, mit dem Bus <strong>in</strong> die Stadt gefahren. Seit e<strong>in</strong><br />
paar Tagen zogen durch <strong>Guben</strong> Polizeitruppen. Am „Ratskeller“ konnte man auf e<strong>in</strong>er Tafel<br />
lesen: „Kartoffelsalat ohne Marken“. Das hat uns natürlich gelockt und so bestellte Mutter<br />
Kartoffelsalat. Es war ke<strong>in</strong> richtiger Kartoffelsalat, nur Kartoffeln mit etwas Wasser und ohne<br />
Mayonnaise. Wir aßen unseren Kartoffelsalat, als plötzlich e<strong>in</strong> Polizist an unseren Tisch trat<br />
und fragte: „Junge Frau, ist hier noch e<strong>in</strong> Platz frei“? Als sie dieses bejahte, setzte sich <strong>der</strong><br />
Polizist. Nach e<strong>in</strong>igem Zögern fragte me<strong>in</strong>e Mutter: „Junger Mann, was wird nun werden?<br />
Was soll ich tun? S<strong>in</strong>d die Russen wirklich so schlimm wie behauptet wird“? Darauf<br />
antwortete er: „Junge Frau, wenn <strong>der</strong> Russe 30 % von dem macht, was ich gesehen habe,<br />
sollten sie sich mit ihren beiden Jungen e<strong>in</strong>en Strick nehmen und aufhängen“.<br />
Als die Kampfhandlungen nach <strong>Guben</strong> kamen, haben wir vier Wochen im Keller bei <strong>der</strong><br />
Schwester me<strong>in</strong>er Mutter, Frau Voppmann, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pförtener Straße gelebt. E<strong>in</strong>es Tages kamen<br />
zwei SS-Männer. E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> SS-Männer gab uns zum Verlassen <strong>des</strong> Kellers e<strong>in</strong>e halbe Stunde<br />
<strong>Zeit</strong>, ansonsten würde was passieren, wenn wir noch da wären. Er fragte: „Ob wir hier auf den<br />
Russen warten und ihn empfangen wollen?“<br />
Gegenüber war e<strong>in</strong> Kolonialwarenhändler, Kaufmann Kühne. Bei ihm waren etwa zehn junge<br />
Soldaten, vielleicht 17 o<strong>der</strong> 18 Jahre alt, untergebracht. Wenn sie Meldung bekamen, wo<br />
Panzer gesichtet worden s<strong>in</strong>d, mussten sie mit den Fahrrä<strong>der</strong>n und Panzerfäusten los, um die<br />
Panzer zu bekämpfen o<strong>der</strong> aufzuhalten. Die Panzerfäuste waren mit Strippen an ihren<br />
Fahrrä<strong>der</strong>n befestigt. Von den zehn Soldaten haben nur wenige überlebt.<br />
Im Februar 1945 wurde die Stadt <strong>Guben</strong> endgültig evakuiert. In <strong>der</strong> Nacht, <strong>in</strong> <strong>der</strong> wir auf<br />
Weisung <strong>der</strong> beiden SS-Leute die Stadt verließen, brannte <strong>Guben</strong>. Als wir am Hotel und<br />
Restaurant „Schwarzer Bär“ und an <strong>der</strong> Post vorbeikamen, waren diese schon e<strong>in</strong> Opfer <strong>der</strong><br />
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Flammen geworden und die Stadtverwaltung zündelte auch schon. Wir mussten zum Dreieck<br />
<strong>in</strong> die Altsprucke, denn von dort aus sollte die Evakuierung <strong>in</strong>s Lan<strong>des</strong><strong>in</strong>nere erfolgen.<br />
Als wir von <strong>der</strong> heute polnischen Seite <strong>Guben</strong>s über die Neißebrücke kamen, sah ich drei<br />
Soldaten stehen, von denen e<strong>in</strong>er sagte: „Euer <strong>Guben</strong> wird <strong>in</strong> Schutt und Asche gelegt. Das<br />
habt ihr alles eurem Oberbürgermeister Schmiedicke zu verdanken. Er hat eure Stadt zur<br />
Festung erklärt“. Auf dem Weg durch die Stadt sah ich, dass auf <strong>der</strong> heutigen polnischen Seite<br />
alles zerstört und kaputt war und die heutige deutsche Seite fast unversehrt war. Die Russen<br />
haben ja nur den Brückenkopf beschossen. In <strong>der</strong> Altsprucke angekommen, wurden wir auf<br />
Trecker mit Anhängern verfrachtet und ab g<strong>in</strong>g es nach Jessern bei Calau. Ich weiß noch, <strong>in</strong><br />
Jessern war e<strong>in</strong> polnischer Offizier, er hieß Josef, <strong>der</strong> durfte auch nicht mit den Deutschen an<br />
e<strong>in</strong>em Tisch sitzen.<br />
Zur „Reichskristallnacht“ kann ich nicht viel sagen, aber e<strong>in</strong> Erlebnis ist mir <strong>in</strong> Bezug auf die<br />
Juden <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung geblieben. E<strong>in</strong>e Kolonne jüdischer Frauen, kahl geschoren, mit e<strong>in</strong>em<br />
Strick um den Bauch, mussten, bewacht von SS-Frauen und Hunden, durch <strong>Guben</strong>s Straßen<br />
laufen, um bei <strong>der</strong> Firma Ste<strong>in</strong>ke zu arbeiten. Ihr Lager war im Königspark und sie mussten<br />
täglich dorth<strong>in</strong> marschieren.<br />
Der Bru<strong>der</strong> me<strong>in</strong>er Mutter, Herbert Valent<strong>in</strong>, war Zimmermann und war 1933/34 arbeitslos.<br />
Mit se<strong>in</strong>em besten Freund Karlchen, es war e<strong>in</strong> lustiger und vergnügter Typ, g<strong>in</strong>g er zu Schulz<br />
nach Sembten, zum Kartoffeln lesen. Für e<strong>in</strong>en Korb Kartoffeln gab es damals fünf Pfennige.<br />
Beim Kartoffeln lesen f<strong>in</strong>g Karlchen plötzlich an zu pfeifen, u. a. die Internationale, weil ihm<br />
gerade danach war, aber nicht um zu provozieren. Daraufh<strong>in</strong> wurde Karlchen von <strong>der</strong> Gestapo<br />
abgeholt und war e<strong>in</strong> Jahr im KZ, dass Sonnenburg hieß. Als er entlassen worden war,<br />
erkannte man Karlchen nicht mehr wie<strong>der</strong>. Aus dem lustigen und vergnügten Karlchen ist e<strong>in</strong><br />
ruhiger, <strong>in</strong> sich gekehrter ernster Mensch geworden. Er arbeitete dann im Wollelager <strong>der</strong><br />
Firma Ste<strong>in</strong>ke & Co. Im Mai 1938 brach dort e<strong>in</strong> Feuer aus. Als Karlchen am Morgen zur<br />
Arbeit kam, sagte <strong>der</strong> Pförtner zu ihm: “Karlchen, es ist gut, dass du kommst, die<br />
Krim<strong>in</strong>alpolizei wartet schon auf dich“. Sie wollten ihn nur befragen. Er wurde aber nicht<br />
verdächtigt. An die Erlebnisse im KZ denkend und erschrocken erwi<strong>der</strong>te Karlchen: „Ich<br />
muss noch mal nach Hause, weil ich was vergessen habe“. Er ist dann aber zur Bahnstrecke<br />
Breslau – Berl<strong>in</strong> – Hamburg gefahren, hat sich auf die Schienen gelegt und ist von e<strong>in</strong>em Zug<br />
überrollt worden.<br />
E<strong>in</strong>es Tages, als ich nach Hause kam, überraschte ich me<strong>in</strong>e Mutter dabei, wie sie die so<br />
genannten „Fe<strong>in</strong>dsen<strong>der</strong>“ Radio Moskau und Radio London hörte. Weil sie dass unter e<strong>in</strong>er<br />
Decke tat, sagte sie zu mir, ich solle das niemandem verraten, weil sie ahnte, wie es im KZ,<br />
diese Strafe gab es dafür, se<strong>in</strong> musste. Sie wollte schließlich wissen, wie es wirklich um die<br />
deutschen Kampfverbände und <strong>der</strong>en Lage stand, war doch ihr Mann auch im Krieg.<br />
Nach dem Krieg habe ich drei Jahre bei <strong>der</strong> Firma Fuhrmann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Altsprucke me<strong>in</strong>e<br />
Tischlerlehre absolviert. Danach war ich Angehöriger <strong>der</strong> VP-See. Von Ende 1955-1957<br />
studierte ich F<strong>in</strong>anzwirtschaft <strong>in</strong> Gotha. Das Wissen, das ich mir dabei aneignete, konnte ich<br />
als Bürgermeister gut verwenden.<br />
Von 1969-1990 war ich Bürgermeister <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong>.<br />
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Zwei Zentimeter blieben drüber<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Werner Micksch<br />
Ich möchte e<strong>in</strong>ige Episoden aus me<strong>in</strong>er Schul- und Lehrzeit schil<strong>der</strong>n.<br />
Am 26. März 1924 wurde ich <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren. Me<strong>in</strong>e Eltern waren Arbeiter <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Hutfabrik, Hitlergegner, gehörten vor 1933 und nach 1945 ke<strong>in</strong>er Partei an.<br />
Mit me<strong>in</strong>em Freund Rudi Mürbe besuchten wir die „Pestalozzischule“. Nur wir zwei waren<br />
<strong>in</strong> unserer Klasse nicht im Jungvolk und mussten auch am Sonnabend <strong>in</strong> die Schule gehen,<br />
während alle an<strong>der</strong>en „Dienst“ im Jungvolk hatten.<br />
Wir wurden geme<strong>in</strong>sam mit Nichtmitglie<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>er Klassen von Sportlehrer Schultka<br />
betreut, betrieben Sport und unternahmen Wan<strong>der</strong>ungen. Schulentlassung war nach <strong>der</strong> 8.<br />
Klasse (damals war es die 1.). In diesem letzten Schuljahr galt es, sich um e<strong>in</strong>e Lehrstelle zu<br />
bemühen. Das blieb jedoch lange <strong>Zeit</strong> erfolglos.<br />
Deshalb trat ich im November 1937 dem Jugendverband bei und erhielt von <strong>der</strong><br />
Berufsberatung <strong>des</strong> Arbeitsamtes mehr Chancen.<br />
Hier musste e<strong>in</strong> Eignungstest abgelegt werden. Me<strong>in</strong> Berufswunsch war Elektriker.<br />
Der Test verlief so: Ich hatte aus e<strong>in</strong>em Stück Kupferdraht, etwa <strong>in</strong> <strong>der</strong> Länge e<strong>in</strong>er<br />
Fahrradspeiche, mit e<strong>in</strong>er Kombizange e<strong>in</strong>e Figur nach vorgegebener Skizze zu formen. Das<br />
gelang ganz gut, jedoch blieb e<strong>in</strong> Stück von etwa zwei Zentimeter übrig und ich fragte, ob ich<br />
das abkneifen könnte. Es gab ke<strong>in</strong>e Antwort. E<strong>in</strong>geschüchtert und ängstlich bog ich alles<br />
wie<strong>der</strong> auf und versuchte es noch e<strong>in</strong>mal. Die gesamte Länge brachte ich unter, aber die<br />
vielen w<strong>in</strong>keligen Knicke und Rundungen nicht mehr vollständig heraus. Fazit: Ich war für<br />
den Beruf e<strong>in</strong>es Elektrikers nicht geeignet.<br />
Bald danach erhielt ich den H<strong>in</strong>weis, mich bei <strong>der</strong> Firma F.W. Schmidt, Tuchfabrik <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Kurmärkischen Straße (heute Berl<strong>in</strong>er Straße) zu bewerben. Auch hier wurde getestet. So ließ<br />
z.B. <strong>der</strong> für die Lehrl<strong>in</strong>gse<strong>in</strong>stellung und –betreuung verantwortliche Juniorchef Wilhelm<br />
Schmidt e<strong>in</strong>e Handvoll Kugeln fallen und stoppte mit e<strong>in</strong>er tellergrossen Uhr die <strong>Zeit</strong>, die<br />
zum E<strong>in</strong>sammeln aller Kugeln gebraucht wurde. Schnelligkeit also war gefragt, wie sie z.B.<br />
zum „Anlegen“ gerissener Fäden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Selfaktorsp<strong>in</strong>nerei erfor<strong>der</strong>lich ist. Das hatte geklappt.<br />
So konnte ich mit neun an<strong>der</strong>en männlichen Schulabgängern <strong>in</strong> <strong>der</strong> 1. Lehrwerkstatt e<strong>in</strong>er<br />
Tuchfabrik <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> vom 1. April 1938 - fünf Tage nach Vollendung me<strong>in</strong>es<br />
14. Lebensjahres - bis zum 31. März 1941 den Beruf e<strong>in</strong>es Wollstoffmachers erlernen. Der<br />
Wollstoffmacher musste alle Tätigkeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tuchfabrik kennen lernen und dabei e<strong>in</strong>en<br />
vorgegebenen Grad an Fertigkeiten erreichen. Hierzu wurden nach <strong>Zeit</strong>plan die<br />
Betriebsabteilungen durchlaufen. Schwerpunkt <strong>der</strong> Ausbildung war jedoch <strong>der</strong> Erwerb<br />
höchstmöglicher Fertigkeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand- und Musterweberei sowie fehlerfreie Leistungen<br />
beim Weben auf mechanischen Webstühlen.<br />
Der erste Tag <strong>der</strong> Lehre begann mit e<strong>in</strong>er Belehrung über Rechte und Pflichten, Verhalten im<br />
Betrieb sowie E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> die Räume <strong>der</strong> Lehrwerkstatt und Informationen über den<br />
Tagesablauf.<br />
Danach g<strong>in</strong>g es geschlossen, im Beise<strong>in</strong> von Herrn Kümmerle, zum „Hosenkönig“. Dieses<br />
Geschäft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frankfurter Straße, wenige Meter vor <strong>der</strong> Neißebrücke auf <strong>der</strong> rechten Seite,<br />
war auf Hosen spezialisiert, handelte aber auch mit Arbeitskleidung und an<strong>der</strong>em. Hier<br />
wurden wir e<strong>in</strong>heitlich mit blauen Arbeitsanzügen e<strong>in</strong>gekleidet. E<strong>in</strong>en Teil <strong>des</strong> Kaufpreises<br />
172
übernahm <strong>der</strong> Betrieb, den Rest stotterten wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe von Wochen von unserem<br />
„reichhaltigen“ Lehrl<strong>in</strong>gsentgelt ab.<br />
Vom 20. Juli bis 19. August, im 2. Lehrjahr, absolvierten alle e<strong>in</strong>en Lehrgang „Eisen erzieht“.<br />
Diese E<strong>in</strong>lage <strong>in</strong> <strong>der</strong> textilen Ausbildung fand ich gut und die Bezeichnung <strong>des</strong> Lehrgangs<br />
gerechtfertigt. So erwarben wir Grundfertigkeiten <strong>der</strong> Metallbearbeitung und waren <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Lage, anfallende kle<strong>in</strong>ere Reparaturarbeiten selbst durchzuführen. Die Leitung <strong>der</strong><br />
Lehrwerkstatt oblag dem gestrengen jungen Herrn Kümmerle. Er war Textil<strong>in</strong>genieur und<br />
kam aus Pößneck <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen zu uns.<br />
Der Betrieb hatte mit den Vertragspartnern Eltern und Lehrl<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e so genannte<br />
Ganztagserziehung vere<strong>in</strong>bart. Sie be<strong>in</strong>haltete unsere tägliche Anwesenheit im Betrieb von<br />
6.00 Uhr bis 18.00 Uhr bei voller Verpflegung. Diese war kostenlos. Das Lehrl<strong>in</strong>gsentgelt<br />
betrug wöchentlich im ersten Lehrjahr 3,- RM (Reichsmark), im zweiten 4,50 RM und im<br />
dritten 6,- RM, jeweils abzüglich <strong>der</strong> 25 Pfennige für die Ferienkasse. Im Tagesablauf<br />
wechselten Arbeit und Sport mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ab.<br />
In me<strong>in</strong>em Lehrzeugnis vom 01. April 1941 hieß es: „Der Tuchmacher Werner Micksch hat<br />
bei mir vom 01. April 1938 bis heute den Facharbeiter Wollstoffmacher erlernt.“ Unterschrift:<br />
F.W. Schmidt. Wollstoffmacher war die damalige amtliche Berufsbezeichnung.<br />
M.E. waren alle vier Chefs, Paul Schmidt, Fritz Schmidt und ihre Söhne Werner und Wilhelm<br />
überzeugte Nationalsozialisten. Das kommt u.a. auch <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Lehrvertrag vom 06.04.1938<br />
zum Ausdruck. Im § 1 „Pflichten <strong>des</strong> Lehrl<strong>in</strong>gs“ war ergänzend e<strong>in</strong>gefügt: „...ist verpflichtet,<br />
für die Dauer <strong>der</strong> Lehrzeit <strong>der</strong> Hitlerjugend aktiv anzugehören.“ Unmittelbar nach dem Krieg<br />
haben me<strong>in</strong>es Wissens alle Schmidts Deutschland verlassen.<br />
Die Feriengestaltung wurde bewusst <strong>in</strong> die Unternehmungen <strong>des</strong> Jugendverban<strong>des</strong>, <strong>der</strong> HJ,<br />
e<strong>in</strong>geordnet. Vorrangig g<strong>in</strong>g es dabei um die Entwicklung <strong>des</strong> Geme<strong>in</strong>schaftslebens <strong>in</strong><br />
Zeltlagern. Es waren gut organisierte Fahrten mit großen Erlebnissen. So habe ich aus dem 1.<br />
Lehrjahr e<strong>in</strong>en Aufenthalt auf <strong>der</strong> Insel Nor<strong>der</strong>ney, von dort e<strong>in</strong>e Tagesfahrt nach Helgoland<br />
wie nach längerer Bahnfahrt von Nord nach Süd das Lager <strong>in</strong> Igls bei Innsbruck und das<br />
Erklettern <strong>des</strong> Patscherkofels (ca. 2.200 m) noch <strong>in</strong> guter Er<strong>in</strong>nerung.<br />
Die Freizeitgestaltung war im Wesentlichen jedem selbst überlassen. Der Betrieb bot häufig<br />
Kulturveranstaltungen und solche für Weiterbildung an. Auch e<strong>in</strong>e Volkstanzgruppe mit<br />
„ausgeborgten Mädels“ aus dem Betrieb wurde für die Lehrwerkstatt geschaffen. Ansonsten<br />
for<strong>der</strong>te die Hitlerjugend regelmäßigen „Dienst“ und je<strong>der</strong> hatte außerdem se<strong>in</strong> eigenes<br />
Hobby. Ich spielte begeistert Fußball. Schließlich war die Freizeit auch begrenzt, an den<br />
Wochentagen ab 18.00 Uhr und am Wochenende ab Sonnabend 13.00 Uhr.<br />
Alle zehn bestanden die Facharbeiterprüfung. Ke<strong>in</strong>er schied vorher aus, blieb auf <strong>der</strong> Strecke<br />
o<strong>der</strong> musste die Prüfung wie<strong>der</strong>holen. Alle erhielten selbstverständlich e<strong>in</strong>en Arbeitsplatz im<br />
Betrieb. Mit 17 „Lenzen“ standen wir dann 1941/42 zehn bis elf Stunden täglich am<br />
Webstuhl, am Sonnabend sechs Stunden. Verdient wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche je nach Leistung –<br />
d.h. nach erreichter Schusszahl – 40,00 bis 45,00 RM. Das war schon was, damals!<br />
[Schuss: mit Schützen (Schiffchen) e<strong>in</strong>geschossener Querfaden im Gewebe].<br />
Mit Werner Kupke aus <strong>der</strong> Wilkestraße, me<strong>in</strong>em besten Freund, gehörte ich 1941 zu den<br />
ausgewählten Jungfacharbeitern, die nach zweimaliger „Vorauslese“ <strong>in</strong> Forst (Lausitz) im<br />
Februar 1942 <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Reichsausleselager nach Rissen bei Hamburg delegiert wurden. Hier<br />
wurden wir mit 30 an<strong>der</strong>en Jugendlichen aus textilen Berufen für e<strong>in</strong>e Woche <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Internat untergebracht. Die Auslese nahmen Lehrer, Ärzte und Psychologen vor. Es wurden<br />
Leistungen beim Schreiben von Diktaten und Aufsätzen wie das Lösen von Aufgaben im<br />
kaufmännischen und Fachrechnen beurteilt. E<strong>in</strong>e Beson<strong>der</strong>heit war die Bewertung <strong>der</strong><br />
körperlichen Beschaffenheit nach Statur und Rasse. So war mir e<strong>in</strong> athletischer Körperbau mit<br />
173
fünf Teilen nordisch und e<strong>in</strong> Teil ostisch besche<strong>in</strong>igt. Diesen Uns<strong>in</strong>n habe ich noch heute gut<br />
<strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung. Beide erhielten wir und vier an<strong>der</strong>e Teilnehmer e<strong>in</strong> Freistudium zum<br />
Textil<strong>in</strong>genieur. Nach unserer E<strong>in</strong>berufung zum Reichsarbeitsdienst und anschließendem<br />
Dienst bei <strong>der</strong> Wehrmacht bekamen wir regelmäßig zu unserer Weiterbildung Soldatenbriefe<br />
mit fachorientiertem Inhalt – auch an <strong>der</strong> Front. Der Krieg hat das Studium nicht stattf<strong>in</strong>den<br />
lassen. Ke<strong>in</strong>en me<strong>in</strong>er Kumpel aus <strong>der</strong> Lehrzeit habe ich danach wie<strong>der</strong> gesehen. Sehr bitter!<br />
Sehr traurig! Der Krieg war furchbar!<br />
Zu den o.a. Berufseignungsprüfungen will ich kommentieren, dass solche Momentaufnahmen<br />
dafür untauglich s<strong>in</strong>d, eher beim Missl<strong>in</strong>gen Angst- und<br />
M<strong>in</strong><strong>der</strong>wertigkeitsgefühle auslösen. Die Maßnahmen für die Auswahl Jugendlicher zur<br />
För<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> ihrem Beruf s<strong>in</strong>d m.E. mit Ausnahme <strong>der</strong> angeführten rassistischen Bewertung<br />
akzeptabel.<br />
Me<strong>in</strong>e Lehre aus heutiger Sicht: Es waren ke<strong>in</strong>e Herrenjahre. Die Ausbildung war straff<br />
organisiert. Es herrschte e<strong>in</strong> bestimmen<strong>der</strong> Ton – e<strong>in</strong> autoritärer Lehrstil, doch gab es auch<br />
menschliche Zuwendung. Diszipl<strong>in</strong>, Ordnung und Sauberkeit waren höchstes Gebot. Das<br />
Ergebnis war e<strong>in</strong>deutig positiv.<br />
174
Es gab viele Tränen<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Rosemarie Nerlich<br />
Ich wurde 1923 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren. Wir wohnten im Kastaniengraben/Wer<strong>der</strong>mauer. Bis zum<br />
Tod me<strong>in</strong>er Großeltern bewohnten wir diese Wohnung. Me<strong>in</strong> Großvater war als Literat hier<br />
bekannt. Er verfasste mehrere Gedichtbände und auch Theaterstücke. Von ihm stammt auch<br />
das bekannte Gedicht „Der Bismarkturm“. Er war Prokurist und Kaufmännischer Direktor <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik, Direktor war Dr. Lew<strong>in</strong>, er war Jude.<br />
Me<strong>in</strong> Vater arbeitete im F<strong>in</strong>anzamt <strong>Guben</strong> als Steuer<strong>in</strong>spektor. Auch er hatte Kontakte zu<br />
jüdischen Familien, u.a. Dr. Kaplan und Dr. Goldschmidt. Diese Kontakte wurden ihm zum<br />
Verhängnis – man verdächtigte me<strong>in</strong>en Vater auch als Juden und verwehrte ihm se<strong>in</strong>e<br />
Beför<strong>der</strong>ung. Die Auflage, e<strong>in</strong>en arischen Nachweis zu erbr<strong>in</strong>gen, konnte er mit sehr viel<br />
Aufwand an <strong>Zeit</strong> und Geld erbr<strong>in</strong>gen. Zusätzlich musste er viele Verhöre mit längerer<br />
Abwesenheit von zu Hause durchhalten. Auch im täglichen beruflichen Leben g<strong>in</strong>g nicht<br />
immer alles glatt. So warf e<strong>in</strong> <strong>Guben</strong>er Fischhändler me<strong>in</strong>em Vater die Akten <strong>in</strong>s Gesicht, so<br />
dass die Brille zu Bruch g<strong>in</strong>g. 1942 starb me<strong>in</strong> geliebter Vater an den Folgen e<strong>in</strong>es<br />
Magendurchbruchs <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Armen – man weigerte sich im Wilke-Stift ihn aufzunehmen,<br />
da ich nachts ke<strong>in</strong>e ärztliche E<strong>in</strong>weisung auftreiben konnte.<br />
Durch den Umzug me<strong>in</strong>er Eltern 1932 musste ich auch die Schule wechseln von <strong>der</strong><br />
H<strong>in</strong>denburgschule zur Pestalozzischule. Das empfand ich als Strafe, denn ich musste mich<br />
von me<strong>in</strong>en Freund<strong>in</strong>nen trennen und von me<strong>in</strong>er geliebten Lehrer<strong>in</strong> Frau Weiß. Mit ihr hatte<br />
ich aber bis 1945 noch ganz engen Kontakt. In <strong>der</strong> neuen Schule gab es viele Tränen, die<br />
Religionslehrer<strong>in</strong> Frau Lehmann nannte mich „Rossmarie“, was mich sehr kränkte.<br />
Rücksprachen me<strong>in</strong>es Vaters halfen auch nicht.<br />
Viele Lehrer haben sich neutral verhalten. Lehrer Richter hat z.B. nie den rechten Arm zum<br />
Hitlergruß erhoben, weil er e<strong>in</strong>e Be<strong>in</strong>prothese hatte und demzufolge <strong>in</strong> <strong>der</strong> rechten Hand<br />
se<strong>in</strong>en Stock halten musste.<br />
Als Jungmädchen waren wir am Sonnabend von <strong>der</strong> Schule befreit und trafen uns <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alten<br />
Poststraße <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em H<strong>in</strong>terhaus zum Basteln, haben Lie<strong>der</strong> gesungen und Spiele gemacht.<br />
Wir waren e<strong>in</strong> bunt zusammen gewürfelter Haufen aus verschiedenen Schulen. Dort war ich<br />
gerne, ohne gezwungen zu werden. Später im BDM trafen wir uns im „Totila“ (nach e<strong>in</strong>em<br />
Ostgotenkönig benannt; früher Gaststätte „Kam<strong>in</strong>skis-Berg). Handarbeitsabende,<br />
Lie<strong>der</strong>abende wechselten sich ab. Ich nahm auch an e<strong>in</strong>em Kochkurs teil.<br />
Nach <strong>der</strong> Schule blieb ich e<strong>in</strong> Jahr zu Hause, um mich um me<strong>in</strong>e herzkranke Mutti und me<strong>in</strong>e<br />
beiden kle<strong>in</strong>en Geschwister (2 Jahre alt) zu kümmern. Mit e<strong>in</strong>er Ausnahmegenehmigung<br />
absolvierte ich so me<strong>in</strong> Pflichtjahr. In <strong>der</strong> Berufsschule besuchte ich daraufh<strong>in</strong> die Haushaltsklasse.<br />
Beim Berufswettbewerb erreichte ich die erfor<strong>der</strong>lichen 100 Punkte und durfte als<br />
Belohnung an e<strong>in</strong>em Festabend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gaststätte „Sanssouci“ teilnehmen.<br />
Mit 15 Jahren begann ich me<strong>in</strong>e Lehre bei Radio-Schefter im kaufmännischen Bereich. Da<br />
ich mich für vieles <strong>in</strong>teressierte, habe ich mich auch mal handwerklich versucht (Stecker anbr<strong>in</strong>gen<br />
und ähnliches). 1942 habe ich me<strong>in</strong>e Lehre abgeschlossen und den Betrieb<br />
gewechselt, zur Masch<strong>in</strong>enfabrik He<strong>in</strong>ze, wo ich im Kalkulationsbüro me<strong>in</strong>e Arbeit begann.<br />
Ich wurde dann auch als Sekretär<strong>in</strong> bei Ausfällen durch Krankheit e<strong>in</strong>gesetzt. Diese E<strong>in</strong>sätze<br />
haben mich dann auch geprägt, so dass ich bis zum E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong>s Rentenalter (1983) als<br />
Sekretär<strong>in</strong> tätig war. 1967 habe ich e<strong>in</strong>e Tätigkeit im CFG aufgenommen.<br />
175
Herr Kraney, <strong>der</strong> Chef <strong>der</strong> Fa. He<strong>in</strong>ze, war e<strong>in</strong> strenger, aber gerechter Chef. Er hat sich kurz<br />
vor Kriegsende aus Angst erschossen denn wir waren ja auch e<strong>in</strong> Rüstungsbetrieb, <strong>in</strong> dem<br />
auch Auslän<strong>der</strong> arbeiten mussten. Öfter wurden mal von uns die Frühstücksbrote irgendwo<br />
liegen gelassen. Woh<strong>in</strong> die Menschen gebracht wurden ist mir nicht bekannt.<br />
Am 21.12.1944 wurde me<strong>in</strong>e Tochter geboren und am 11.02.1945 mussten wir <strong>Guben</strong><br />
verlassen, Richtung Dresden. Es war nicht leicht mit e<strong>in</strong>em Baby, e<strong>in</strong>er kränklichen Mutter<br />
und den beiden zehnjährigen Geschwistern. Ich war praktisch die Verantwortliche für alles.<br />
Unsere Rückkehr war am 22. Juni 1945 und drei Wochen später standen wir unter Quarantäne<br />
– Typhus! Me<strong>in</strong> alter Großvater und me<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Bru<strong>der</strong> überlebten nicht, me<strong>in</strong>e Mutti war<br />
halbseitig gelähmt und ich hoffte <strong>in</strong>ständig, dass me<strong>in</strong>e Haare wie<strong>der</strong> wachsen werden.<br />
Me<strong>in</strong>e Hoffnung, dass me<strong>in</strong> Mann aus Rumänien heimkommen würde, zerschlug sich dann<br />
1947 gänzlich.<br />
176
Ich wollte zur Kavallerie<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Paul Grünitz<br />
Ich b<strong>in</strong> am 7. Oktober 1923 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren. Wir wohnten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Salzmarktstraße (heute<br />
Gub<strong>in</strong>). Me<strong>in</strong>e Familie bekannte sich bereits vor 1933 zur Sozialdemokratie.<br />
Me<strong>in</strong> Berufswunsch war schon als K<strong>in</strong>d, Soldat zu werden. Ich kannte zu dieser <strong>Zeit</strong> die<br />
negativen Auswirkungen und letztendlich die Konsequenzen <strong>des</strong> „Soldat se<strong>in</strong>“ noch nicht.<br />
Me<strong>in</strong>e Liebe galt den Pferden. Deshalb wollte ich auch später zur Kavallerie.<br />
Für uns K<strong>in</strong><strong>der</strong> war es <strong>in</strong> dieser <strong>Zeit</strong> normal, dem Jungvolk beizutreten. So wurde auch ich<br />
Mitglied beim Jungvolk und später wurde ich automatisch <strong>in</strong> die Hitlerjugend (HJ)<br />
aufgenommen. Bereits dort erhielten wir die erste vormilitärische Ausbildung, das heißt, wir<br />
lernten marschieren und exerzieren.<br />
1935 bis <strong>1940</strong> wurden <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> fünf Kasernenanlagen errichtet. 1935 z.B. begann <strong>der</strong> Bau<br />
<strong>der</strong> Moltke-Kaserne, und ab 1937 entstand die Kasernenanlage I, II und III <strong>in</strong> Mückenberg.<br />
Diese wurden ausschließlich von den Soldaten <strong>des</strong> 29er Regiments belegt. Davon wurden<br />
vom Heer vier Anlagen und e<strong>in</strong>e Anlage von <strong>der</strong> Luftwaffe benutzt. Die Luftwaffe hat 1937<br />
den bereits bestehenden Fliegerhorst von e<strong>in</strong>er Sportvere<strong>in</strong>igung übernommen und ausgebaut.<br />
1935 wurde <strong>Guben</strong> als Garnisonsstadt erklärt. Der Aufbau <strong>der</strong> Garnisonsstadt <strong>Guben</strong> g<strong>in</strong>g<br />
über <strong>1940</strong> h<strong>in</strong>aus, z.B. Bau von Dienststellen <strong>in</strong> den Kriegsjahren (Verpflegungshauptlager).<br />
Da ich e<strong>in</strong>en militärischen Beruf ergreifen wollte, delegierte mich die HJ 1938 für zwölf<br />
Monate <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Ausbildungslager nach Kriescht, das sich im Kreis Weststernberg im Raum <strong>des</strong><br />
Warthe-Flusses (heutiges Polen) bef<strong>in</strong>det. Dort erlernte ich den Umgang mit Pferden.<br />
Gleichzeitig musste ich aber auch den dort ansässigen Bauern bei <strong>der</strong> Arbeit helfen.<br />
Nach dieser Ausbildung kam ich nach <strong>Guben</strong> zurück und arbeitete als Volontär für e<strong>in</strong> Jahr<br />
bei <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik AG, Abt. Lißner. Als Volontär lernte man den kompletten<br />
Produktionsablauf e<strong>in</strong>es Betriebes kennen, es ist aber ke<strong>in</strong>e Lehre. Me<strong>in</strong> Berufsziel war ja die<br />
Armee.<br />
Anschließend wurde ich für sechs Monate zum Aufbau e<strong>in</strong>er Munitionsfabrik bei Glöven im<br />
Raum Wittenberge dienstverpflichtet.<br />
Wenige Tage nach me<strong>in</strong>em 17. Geburtstag wurde ich zum Reichsarbeitsdienst (RAD)<br />
verpflichtet. Ich kam nach Bomst.<br />
Auf Grund me<strong>in</strong>es Berufszieles wurde ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Abteilung e<strong>in</strong>gezogen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> ich<br />
ausschließlich e<strong>in</strong>e militärische Ausbildung erhalten habe, wie z.B. Karten lesen, Umgang<br />
mit dem Kompass etc., jedoch noch ke<strong>in</strong>e Waffenkunde. In dieser Abteilung waren meistens<br />
Hitlerjungen, die sich freiwillig zur Armee meldeten. Hier wurden wir für den Militärdienst<br />
vorbereitet.<br />
Nach dem RAD 1941 erfolgte sofort die Versetzung <strong>in</strong> das 9. Kavalerieregiment <strong>in</strong><br />
Fürstenwalde. Das Kavallerieregiment stellte die Aufklärungsabteilung zusammen. Ich erhielt<br />
von Februar bis Mai 1941 e<strong>in</strong>e Ausbildung als Aufklärer für die Infanteriedivision. Während<br />
<strong>der</strong> Rekrutenzeit (Grundausbildung) erhielt ich zwei Spezialausbildungen, e<strong>in</strong>e als Funker<br />
sowie als Truppenführer e<strong>in</strong>es Granatwerfertrupps.<br />
Noch bevor <strong>der</strong> Krieg mit <strong>der</strong> Sowjetunion begann, b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong> die 163. Infanteriedivision nach<br />
Norwegen gekommen. Während <strong>des</strong> Krieges war diese <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> von 1941 bis Anfang 1942<br />
hauptsächlich e<strong>in</strong>em Verband <strong>der</strong> f<strong>in</strong>nischen Armee unterstellt.<br />
177
Es war die e<strong>in</strong>zige Division, die das Recht hatte, von Norwegen nach F<strong>in</strong>nland durch<br />
Schweden zu fahren. Deutschland und F<strong>in</strong>nland haben den Krieg gegen die Russen zusammen<br />
geführt. (Der zweite f<strong>in</strong>nisch-russische Krieg begann ca. Juli 1941 gegen die Sowjetunion).<br />
Neun Monate lang war unsere Division direkt den F<strong>in</strong>nen unterstellt. Die Kriegshandlungen<br />
verschlugen mich auch h<strong>in</strong>ter die Front <strong>der</strong> Roten Armee im Raum von Murmansk, Nähe<br />
Kola-Halb<strong>in</strong>sel).<br />
Im Sommer 1944 begann die Offensive <strong>der</strong> Roten Armee gegen F<strong>in</strong>nland. Die Lappland-<br />
Armee, 20. Gebirgsarmee (e<strong>in</strong>e deutsche Armee), <strong>der</strong> me<strong>in</strong>e Division angehörte, wurde <strong>in</strong><br />
diese Kämpfe verwickelt. Die 163. Division wurde dann aus F<strong>in</strong>nland über Norwegen und<br />
Dänemark abgezogen und 1945 <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terpommern (Deutschland) e<strong>in</strong>gesetzt. Dort wurde sie<br />
dann durch die Weichsel-O<strong>der</strong>-Operationen durch die Rote Armee zerschlagen. Nur wenigen<br />
Soldaten ist es gelungen, <strong>der</strong> Kriegsgefangenschaft zu entgehen, <strong>in</strong>dem sie durch die<br />
sowjetische Front durchgestoßen waren. Die Kriegsmar<strong>in</strong>e hat uns dann aus H<strong>in</strong>terpommern<br />
im Februar 1945 mit drei Kriegsschiffen (Kanonenboote) <strong>in</strong> das „Reich“ im Hafen von<br />
Sw<strong>in</strong>emünde abgesetzt. Im März 1945 <strong>in</strong> Deutschland angekommen, wurde auf <strong>der</strong> Insel<br />
Woll<strong>in</strong> die 3. Infanterie-Division zusammengestellt. Sie wurde im April 1945 um die<br />
Kampfhandlung <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gesetzt.<br />
Am 2/3. Mai 1945 kam ich <strong>in</strong> amerikanische Gefangenschaft und wurde anschließend <strong>in</strong><br />
Schleswig-Holste<strong>in</strong> <strong>in</strong>terniert.<br />
Den Krieg hatte ich, im Gegensatz zu vielen an<strong>der</strong>en, ohne nennenswerte gesundheitliche<br />
Probleme überstanden, jedoch habe ich viel Elend und Leid auf beiden Seiten <strong>der</strong> Front<br />
gesehen.<br />
Ich begann me<strong>in</strong> Leben neu zu überdenken, auch politisch.<br />
Me<strong>in</strong> S<strong>in</strong>neswandel begann bereits auf dem Rückmarsch von F<strong>in</strong>nisch-Lappland über<br />
Norwegen und Dänemark nach Deutschland.<br />
In me<strong>in</strong>er <strong>Zeit</strong> als Aufklärer <strong>in</strong> Norwegen und <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>satzgebieten habe ich viel Not, Elend<br />
und negative Erlebnisse über den Krieg erfahren müssen. Es entbrannten oft darüber heiße<br />
Diskussionen auch mit den damals Freiwilligen. Auch me<strong>in</strong>e Eltern waren Sozialdemokraten<br />
und ich wusste, dass sie die Rolle <strong>der</strong> Sozialdemokratie bis zur Gleichschaltung nicht für gut<br />
hiesen.<br />
Auch im Internierungslager, wo ich mit Zivilisten zusammentraf, gab es viele Diskussionen<br />
und die große Frage: „Was nun?“ Die stand immer.<br />
Der Krieg hatte se<strong>in</strong>e Spuren <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Denken h<strong>in</strong>terlassen…<br />
Am 31. Dezember 1945 traf ich <strong>in</strong> stockdunkler Nacht auf dem <strong>Guben</strong>er Bahnhof e<strong>in</strong>.<br />
Ich wollte nur noch nach Hause!<br />
178
Es war <strong>der</strong> re<strong>in</strong>ste Vandalismus<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Frau Ilse Jöhnke<br />
1921 wurde ich <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren. Me<strong>in</strong>e Eltern waren beide Hutarbeiter <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er<br />
Hutfabrik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mittelstraße und später dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hutfabrik bei Ste<strong>in</strong>ke & Co. Und als<br />
diese später dann teilweise abbrannte, bekam Vater Arbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hutfabrik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alten<br />
Poststraße (Haarhutfabrik). Mutter wurde zu Kriegsanfang dienstverpflichtet, zu Lager- und<br />
Küchenarbeiten, <strong>in</strong> die Moltke-Kaserne.<br />
Sie waren arbeitsame Leute und parteilos. Wir bewohnten e<strong>in</strong> Haus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Eichelstraße.<br />
Ich besuchte die H<strong>in</strong>denburgschule und die Sandschule. Nach Hitlers Machtantritt mussten<br />
wir immer mit „Heil Hitler“ grüßen. Me<strong>in</strong>e Freizeit verbrachte ich meistens im Turnvere<strong>in</strong><br />
MTV (Männer-Turnvere<strong>in</strong>). Sport bereitete mir viel Spaß und so b<strong>in</strong> ich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Staffel<br />
mitgelaufen, z.B. beim Sportfest <strong>in</strong> Forst.<br />
Auch besuchte ich öfters die Vorstellungen <strong>in</strong> unserem schönen Stadttheater. Als Schüler<strong>in</strong><br />
wurde ich sogar mal ausgesucht und durfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Oper „ La Boheme“ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Rolle<br />
mitspielen und s<strong>in</strong>gen. Das hat mir viel Spaß bereitet.<br />
Mitglied im BDM (Bund Deutscher Mädchen) war ich nicht. Ich brauchte auch ke<strong>in</strong><br />
Pflichtjahr machen.<br />
Bei <strong>der</strong> Firma Wege, e<strong>in</strong>em Schirm- und Le<strong>der</strong>warengeschäft, lernte ich Verkäufer<strong>in</strong>. Unweit<br />
me<strong>in</strong>er Arbeitsstelle befand sich auch das große jüdische Konfektionsgeschäft Meier. In <strong>der</strong><br />
„Reichskristallnacht“ wurden dort sämtliche Schaufenster e<strong>in</strong>geschlagen und anschließend<br />
ausgeplün<strong>der</strong>t. Auch beim Schuhgeschäft Stempel, das sich zwei Häuser weiter befand, waren<br />
die Scheiben e<strong>in</strong>geschlagen und alles zerstört worden. Es war <strong>der</strong> re<strong>in</strong>ste Vandalismus. Was<br />
aus dem alten Ehepaar Stempel wurde, weiß ich nicht. Als ich das am nächsten Tag sah,<br />
konnte ich es nicht begreifen, weshalb man so etwas tat. Ich musste die Glasscherben vom<br />
Bürgersteig kehren. Es war schrecklich und ich hatte Angst.<br />
Ebenso war es mit <strong>der</strong> jüdischen Synagoge. Die wurde auch ausgeplün<strong>der</strong>t und abgebrannt.<br />
Sämtliche Lebensmittel wurden aus dem Fenster geworfen.<br />
Zu Kriegsbeg<strong>in</strong>n <strong>1940</strong>/41 wurde ich dienstverpflichtet. In <strong>der</strong> AEG Hennigsdorf, e<strong>in</strong>er<br />
Rüstungsfabrik, mussten wir Frauen Nadeln für Granaten prüfen. Neben den deutschen<br />
Frauen waren auch Zwangsverpflichtete aus Russland und Kroatien dort. Ihr Arbeitsplatz war<br />
extra abgeteilt. Von Misshandlungen dieser Zwangsarbeiter habe ich nichts bemerkt.<br />
Ich weiß noch, dass die Frauen schöne Blumen aus Papier herstellen konnten, die sie uns<br />
schenkten.<br />
Die Männer arbeiteten an Drehmasch<strong>in</strong>en und mussten Hülsen für Granaten herstellen.<br />
Zum Glück brauchte ich me<strong>in</strong>e volle <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Dienstverpflichtung nicht abarbeiten, denn es<br />
stellte sich heraus, dass ich schwanger war.<br />
1942 habe ich e<strong>in</strong>en Soldaten geheiratet, <strong>der</strong> zum Glück auch den schrecklichen Krieg<br />
überlebt hat, <strong>der</strong> aber lei<strong>der</strong> 1946 an den Folgen <strong>des</strong> Krieges verstorben ist.<br />
Me<strong>in</strong> Vater wurde 1945 e<strong>in</strong>gezogen und gilt bis heute als vermisst.<br />
179
E<strong>in</strong>e „Kopfnuss“ hat nicht geschadet<br />
Er<strong>in</strong>nerung von Herrn Re<strong>in</strong>hold Göll<strong>in</strong>g<br />
Am 29.11.1921 b<strong>in</strong> ich als K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>er Arbeiterfamilie <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren. Vater arbeitete als<br />
Hutarbeiter, Mutter war 21 Jahre beim Strumpffabrikanten L<strong>in</strong>ke <strong>in</strong> Stellung und danach<br />
zeitweise <strong>in</strong> <strong>des</strong>sen Fabrik <strong>in</strong> <strong>der</strong> W<strong>in</strong>kelstraße als Näher<strong>in</strong> tätig. Ich hatte e<strong>in</strong>e ganz normale<br />
K<strong>in</strong>dheit. E<strong>in</strong>geschult wurde ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadtschule, wo ich auch das erste Schuljahr<br />
absolvierte. Dann erfolgte die Umschulung <strong>in</strong> die Klosterschule, die ich bis <strong>1936</strong> besuchte<br />
und mit <strong>der</strong> 8. Klasse abschloß.<br />
Zu den Lehrern kann ich sagen, dass damals mehr Ordnung <strong>in</strong> den Schulen herrschte, dass<br />
heißt, seitens <strong>der</strong> Schüler die Autorität <strong>der</strong> Lehrer und auch die Achtung gegenüber<br />
Erwachsenen gegeben war.<br />
So kann ich mich noch an folgende Episode er<strong>in</strong>nern:<br />
Als Schuljungen hat man sich ja auch ab und zu mal etwas „gekappelt“. Auch ich gehörte<br />
dazu. Und so haben wir, ich und e<strong>in</strong> Schulkamerad, auf dem Heimweg etwas gerungen. Da<br />
kam e<strong>in</strong> etwas älterer Herr dazu und wies uns mit e<strong>in</strong> paar passenden Worten, das dies nicht<br />
<strong>in</strong> Ordnung sei, <strong>in</strong> die Schranken. Wir hörten auf zu r<strong>in</strong>gen, ohne noch jeglichen Wi<strong>der</strong>spruch<br />
abzugeben.<br />
Es kam auch ab und an vor, wenn Diszipl<strong>in</strong> und Aufmerksamkeit <strong>in</strong> den Schulstunden zu<br />
wünschen ließen, dass <strong>der</strong> Lehrer kurz mit dem Rohrstock, <strong>der</strong> damals ja noch aktuell war,<br />
um sich Respekt zu verschaffen, u.a. über die F<strong>in</strong>gerspitzen hieb. Das zwiebelte ganz schön.<br />
So beobachtete <strong>der</strong> Lehrer vom Pult e<strong>in</strong>mal, dass e<strong>in</strong> Schüler <strong>in</strong> <strong>der</strong> letzten Reihe <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Schulstunde unaufmerksam war, weil er unter se<strong>in</strong>er Bank e<strong>in</strong>e „Schwarte“ las. Da musste <strong>der</strong><br />
Schüler nach vorn kommen, sich mit dem Bauch auf den Lehrerstuhl legen und dann bekam<br />
er mit dem Rohrstock e<strong>in</strong>e übergezogen.<br />
Fakt ist, dass das nicht die richtige Methode war, K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu erziehen. Ich muss aber auch<br />
sagen, dass wir durch solche Methoden, sicherlich auch aus Angst heraus, zu Diszipl<strong>in</strong> und<br />
Achtung gegenüber den Erwachsenen erzogen wurden.<br />
Von Fall zu Fall könnte auch mal e<strong>in</strong>e „Kopfnuss“ nichts schaden, die for<strong>der</strong>t sogar<br />
manchmal das Denkvermögen!<br />
Außerhalb <strong>der</strong> Schulzeit hat unser Sportlehrer, Herr Schadkowski, im <strong>Zeit</strong>raum 1934/35<br />
e<strong>in</strong>igen von uns das Trommeln und Querflöte spielen beigebracht. Als alles klappte, s<strong>in</strong>d wir<br />
von <strong>der</strong> Klosterschule zu Schreiberswiesen (H<strong>in</strong>denburgplatz) marschiert. Das hat uns allen<br />
viel Freude und Spaß bereitet. Wir waren mit „Leib und Seele“ dabei.<br />
E<strong>in</strong>es Tages erschien Herr Mix jun., <strong>der</strong> Sohn <strong>des</strong> Pfarrers Mix <strong>in</strong> Funktion als<br />
Jungvolkführer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule. Er war daran <strong>in</strong>teressiert, dass unser Spielmannszug <strong>in</strong>s<br />
Jungvolk (Schüler bis 14 Jahre) <strong>in</strong>tegriert wird. E<strong>in</strong>ige Jungen waren schon Jungvolk-<br />
Mitglied. Und so wurde <strong>der</strong> Spielmannszug geschlossen <strong>in</strong>s Jungvolk übernommen. Mit 14<br />
Jahren kam ich <strong>in</strong> die HJ, wie es zu dieser <strong>Zeit</strong> üblich war.<br />
Neben dem Spielmannszug <strong>des</strong> Jungvolkes und <strong>der</strong> HJ gab es noch e<strong>in</strong>en erstklassigen<br />
Fanfarenzug diese beiden ergänzten sich hervorragend. Es wurden überregionale Wettkämpfe<br />
ausgetragen bei denen die <strong>Guben</strong>er immer sehr erfolgreich waren. Wir hatten e<strong>in</strong>e schöne<br />
<strong>Zeit</strong>. Ich erlebte e<strong>in</strong> großes Sport- und Musikfest im <strong>Guben</strong>er Stadion (heute Gub<strong>in</strong>) mit.<br />
<strong>Guben</strong> war bekannt durch se<strong>in</strong>e vielen Hut- und Tuchfabriken, die alle e<strong>in</strong>e ausgezeichnete<br />
Qualität lieferten. Diese beiden Branchen waren die hauptsächlichsten Arbeitgeber <strong>der</strong><br />
<strong>Guben</strong>er Bevölkerung. Sämtliche Masch<strong>in</strong>enteile die zur Produktion dieser Erzeugnisse<br />
notwendig waren, sei es vom Treibriemen bis zur Hutform wurden <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> hergestellt. Das<br />
hatte natürlich auch e<strong>in</strong>e positive Auswirkung auf die Entwicklung <strong>der</strong> Stadt. Es wurden<br />
180
Gew<strong>in</strong>ne erzielt, den Betrieben g<strong>in</strong>g es gut und so konnten sie <strong>der</strong> Stadt auch etwas<br />
zukommen lassen.<br />
So z.B. ließ Firma W. Wilke für die Stadt das Wilke-Stift und die Kirche zum Guten Hirten<br />
bauen. Lehmann & Wwe. – das Schloß <strong>in</strong> Bärenklau (private Nutzung), sowie den Bau e<strong>in</strong>er<br />
Mühle <strong>in</strong> Groß Gastrose.<br />
Nach Beendigung me<strong>in</strong>er Schulzeit begann, e<strong>in</strong>her gehend mit <strong>der</strong> Berufswahl, für mich e<strong>in</strong><br />
neuer Lebensabschnitt. Eigentlich wollte ich KFZ-Mechaniker werden. Das war me<strong>in</strong><br />
Traumberuf. Vater und ich g<strong>in</strong>gen zur Berufsberatungsstelle, die befand sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Kurmärkischen Straße (heutige Berl<strong>in</strong>er Straße). Dort wurden mir Fragen gestellt und ich<br />
musste mich e<strong>in</strong>em so genannten Intelligenztest unterziehen. Da ich außerdem e<strong>in</strong> gutes<br />
Abgangszeugnis besaß, wurde von diesem Berufsberatungsgremium festgelegt, dass ich für<br />
e<strong>in</strong>en kaufmännischen Beruf geeignet b<strong>in</strong>. Und so musste me<strong>in</strong> Vater für mich e<strong>in</strong>en<br />
Ausbildungsbetrieb suchen. Auch damals galt schon <strong>der</strong> Slogan: Nicht je<strong>der</strong> bekam se<strong>in</strong>en<br />
son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>en Ausbildungsberuf.<br />
E<strong>in</strong> guter Bekannter hat sich e<strong>in</strong>gesetzt, dass ich e<strong>in</strong>e Lehrstelle bei <strong>der</strong> Firma „Lehmann &<br />
Richter“ bekam.<br />
Und so begann ich am 01. April <strong>1936</strong> me<strong>in</strong>e dreijährige Lehre als Handlungsgehilfe<br />
(gleichzusetzen mit dem heutigen Industriekaufmann). Me<strong>in</strong> erster Ausbildungstag endete<br />
nicht wie gewohnt nach acht Stunden. Es war Musterzeit und neue Musterkollektionen wurden<br />
dafür erarbeitet und mussten schnellstens zum Versand gelangen. Ich half mit, so genannte<br />
Kreuzbän<strong>der</strong> mit den Stoffmuster zu bestücken. Beladen mit e<strong>in</strong>em großen Sack voller<br />
Kreuzbän<strong>der</strong> und e<strong>in</strong>er Aktentasche voll Briefpost habe ich dann spät abends, so gegen 20.30<br />
Uhr den Betrieb verlassen und alles zur Bahnpost auf den Bahnhof gebracht. Diese gab es<br />
damals noch. Denn <strong>der</strong> Kunde wünschte am nächsten Tag die Musterkollektion zu empfangen.<br />
So war ich dann an me<strong>in</strong>em ersten Lehrtag erst gegen ca. 21.30 Uhr zu Hause. Es gab Krach<br />
mit me<strong>in</strong>em Vater, als ich kam, denn er konnte es nicht leiden, wenn man nicht pünktlich nach<br />
Hause kam. Hatte er doch angenommen, ich hätte mich noch irgendwo rumgetrieben. So<br />
begann me<strong>in</strong> Berufsleben. Drei Jahre lang hatte ich das „Vergnügen“ Sonntag für Sonntag<br />
um 8:00 Uhr das Postfach zu öffnen, <strong>in</strong> die Postmappe die E<strong>in</strong>gangspost e<strong>in</strong>zusortieren und<br />
diese dann zur Villa, die sich heute noch auf dem Grundstück bef<strong>in</strong>det, zu Herrn Engel <strong>in</strong> den<br />
W<strong>in</strong>tergarten zu br<strong>in</strong>gen. Dort musste ich dann solange warten, bis er die Post gesichtet und<br />
bearbeitet hat, durfte anschließend noch mit <strong>der</strong> Schreibmasch<strong>in</strong>e evtl. Korrespondenz<br />
schreiben, sie mit <strong>der</strong> Unterschrift vom Chef postfertig machen.<br />
„Ja, wir haben arbeiten gelernt!“<br />
Neben e<strong>in</strong>er guten Qualitätsarbeit wurde auch die Ausnutzung <strong>der</strong> Arbeitszeit bewertet. Nicht<br />
nur bei den kaufmännischen Lehrl<strong>in</strong>gen, son<strong>der</strong>n auch bei den Tuchmacherlehrl<strong>in</strong>gen haben<br />
die Lehrmeister aufgepaßt.<br />
In me<strong>in</strong>er Jugend habe ich auch viel Sport getrieben. Und so kann ich auch stolz berichten,<br />
dass ich <strong>1936</strong> bei <strong>der</strong> Eröffnung <strong>der</strong> „Olympischen Spiele“ <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> dabei gewesen b<strong>in</strong>.<br />
Zwar nicht im Stadion, son<strong>der</strong>n „Unter den L<strong>in</strong>den“ haben wir gestanden und den Sportlern<br />
zugejubelt. Hitler habe ich auch gesehen. Er fuhr mit dem Auto an uns vorbei.<br />
Berl<strong>in</strong> war für mich wie me<strong>in</strong>e zweite Heimatstadt. Wir hatten dort sehr viele Verwandte zu<br />
wohnen. Me<strong>in</strong>e Großtante hatte dort e<strong>in</strong>en großen Kahnverleih am „Treptower Park“. Da<br />
habe ich oft die Schulferien im Sommer verbracht.<br />
Die Betriebsangehörigen von „Lehmann & Richter“ waren Sport begeistert und somit auch<br />
Mitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> vielen Sportgeme<strong>in</strong>schaften. Bei jährlichen Straßenstaffelläufen <strong>der</strong> Betriebe<br />
war auch „Lehmann & Richter“ immer dabei. So hat die Mannschaft dreimal <strong>in</strong> Folge <strong>in</strong> den<br />
Jahren von 1935 bis 1938 immer den 1. Platz belegt. Das war sogar <strong>in</strong> <strong>der</strong> „<strong>Guben</strong>er<br />
<strong>Zeit</strong>ung“ zu lesen.<br />
181
Nach Hitlers Machtübernahme verr<strong>in</strong>gerte sich <strong>in</strong> Deutschland die Zahl <strong>der</strong> Arbeitslosen. So<br />
gab es zu dieser <strong>Zeit</strong> auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> kaum Arbeitslose. Die Industrie florierte. Es wurden <strong>der</strong><br />
Ostwall und <strong>der</strong> Westfall sowie die Autobahn gebaut. Dadurch waren die Arbeitslosen „weg<br />
von <strong>der</strong> Straße“. Deswegen haben ja auch so viele „Heil Hitler“ geschrien. Daran denkt<br />
heute ke<strong>in</strong>er mehr.<br />
Und dann kam die „Kristallnacht“ ...<br />
Ich g<strong>in</strong>g frühmorgens zur Arbeit, vom Markt zur Neißebrücke. Da habe ich gesehen, dass an<br />
vielen Textil- und Schuhgeschäften die Schaufensterscheiben e<strong>in</strong>geschlagen waren. Überall<br />
lagen Glasscherben herum. Ich konnte anfangs nicht verstehen, weshalb man solche Aktionen<br />
vornahm. Mit dem Verstand e<strong>in</strong>es 17-jährigen konnte man das Geschehene noch nicht<br />
voraussehen, was da noch auf uns zukommen sollte. Aber, dass das nicht <strong>in</strong> Ordnung war,<br />
dass haben wir alle gewußt, nur die „Gusche“ durften wir nicht aufmachen.<br />
E<strong>in</strong>en ehemaligen Schulkamerad, He<strong>in</strong>z Tock, er war Jude und wohnte mit se<strong>in</strong>en Eltern <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Synagoge. Ich habe ihn nach <strong>der</strong> so genannten Kristallnacht nie wie<strong>der</strong> gesehen.<br />
Auch me<strong>in</strong> Chef, Arthur Engel sen., war Jude. Im Frühjahr 1938 ist er mit se<strong>in</strong>er Frau nach<br />
Kappstadt zu se<strong>in</strong>em Sohn He<strong>in</strong>z gefahren. Dieser hatte damals schon Deutschland<br />
verlassen. Wir vermuteten alle, dass er bei se<strong>in</strong>em Sohn bleibt. Aber er ist wie<strong>der</strong>gekommen,<br />
obwohl bereits 1935 die Aberkennung <strong>der</strong> Staatsbürgerschaft <strong>der</strong> Eheleute erfolgte. Herr und<br />
Frau Engel wurden von den Nazis abgeholt. Der <strong>Zeit</strong>raum muss so um Ende 1938/Anfang<br />
1939 gewesen se<strong>in</strong>.<br />
Unsere Chefs, Herr Albert Richter, als auch Herr Engel sen., waren bei <strong>der</strong> Belegschaft<br />
eigentlich gut angesehen und geachtet. Herr Richter stattete immer schöne Betriebsfeiern aus.<br />
Man konnte auch mit ihm gut reden.<br />
Da Herr Albert Richter mit <strong>der</strong> Tochter von Herrn Engel sen. e<strong>in</strong>e „Mischehe“ (Engel war<br />
Jude) e<strong>in</strong>gegangen war, wurde er von den Nazis nach Berl<strong>in</strong>/Schöneberg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Getränkefabrik strafversetzt.<br />
Ernst Richter, er trug an se<strong>in</strong>em Anzug e<strong>in</strong> Abzeichen <strong>der</strong> NSDAP, aus Berl<strong>in</strong> kommend,<br />
übernahm die Geschäfte <strong>des</strong> Betriebes, nachdem die Strafversetzung se<strong>in</strong>es Bru<strong>der</strong>s<br />
vorgenommen wurde. Im Gegensatz zu se<strong>in</strong>em Bru<strong>der</strong> Albert Richter war Ernst Richter e<strong>in</strong><br />
sehr unangenehmer Chef. Bei ihm fragte ich e<strong>in</strong>mal wegen e<strong>in</strong>er Gehaltsaufbesserung nach,<br />
da me<strong>in</strong>te er nur, dass sei nicht möglich - es ist Lohnstopp - und ließ mich stehen. Ich durfte<br />
aber für drei arbeiten, weil an<strong>der</strong>e Angestellte bereits Soldaten waren.<br />
Nach 1945 kam Albert Richter wie<strong>der</strong> zurück <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Betrieb und hat zusammen mit dem<br />
Gewerkschaftsvorsitzenden Kurt Raake erwirkt, dass die Masch<strong>in</strong>en nicht als Reparation<br />
nach Russland verbracht wurden.<br />
Und dann begann <strong>der</strong> 2. Weltkrieg. Schon die Vorbereitung <strong>des</strong> Krieges hat große Lücken <strong>in</strong><br />
den Betrieben gerissen.<br />
Ich werde nie den Kriegsbeg<strong>in</strong>n vergessen, wie am ersten und zweiten September 1939 die<br />
Staffeln <strong>der</strong> Stukas ´gen Ost geflogen s<strong>in</strong>d. Es dauerte nicht lange und die ersten<br />
Verlustmeldungen kamen. To<strong>des</strong>anzeigen waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> „<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung“ zu lesen. Ich<br />
kannte auch e<strong>in</strong>ige „Musikusse“ vom Militärorchester <strong>des</strong> 29er Regiments, genannt „ADis<br />
Jungs“. Die machten als Big Band im Schützenhaus hervorragende Tanzmusik.<br />
Die Stimmung im Volk f<strong>in</strong>g an zu bröseln. Ich, war fast <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zige me<strong>in</strong>es Jahrgangs, <strong>der</strong><br />
<strong>1940</strong> noch nicht e<strong>in</strong>gezogen war. Grund dafür war, dass ich aus gesundheitlichen Gründen<br />
zeitlich untauglich geschrieben war. Für uns alle, hauptsächlich für me<strong>in</strong>en Vater, war es e<strong>in</strong><br />
182
furchtbares Ereignis, als wir erfuhren, daß me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> am 15. Juni <strong>1940</strong> <strong>in</strong> Frankreich<br />
gefallen war. Daraufh<strong>in</strong> habe ich mich freiwillig zur Armee gemeldet.<br />
Anfang Februar 1941 wurde ich e<strong>in</strong>gezogen. Elf Wochen lang erfolgte die Ausbildung als<br />
Funker <strong>in</strong> Jüterbog. Die zugeteilte E<strong>in</strong>heit sollte anschließend nach Kreta. Wir s<strong>in</strong>d aber nur<br />
bis nach Bulgarien gekommen. Die Insel Kreta war aber <strong>in</strong>zwischen gefallen. Von dort<br />
wurden wir an die russische Grenze, unweit von Moldawien, verlegt. 1943 habe ich im<br />
Donezkbecken den Rückzug von Stal<strong>in</strong>grad miterlebt. Im zweiten Halbjahr 1943 wurden wir<br />
mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit nach Italien verlegt. Vom August 1945 bis 1948 b<strong>in</strong> ich zuerst <strong>in</strong> die<br />
amerikanische und Monate später <strong>in</strong> die englische Gefangenschaft gekommen. Von Tarent<br />
g<strong>in</strong>g es dann nach Alexandria und von dort <strong>in</strong> die Wüste nach El Daba. Hier mussten wir für<br />
den Englän<strong>der</strong> arbeiten. Als Lohn bekamen wir e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ges Entgelt.<br />
Ende 1948 im September b<strong>in</strong> ich dann mit dem vorletzten Truppentransporter nach Triest<br />
gekommen und von dort mit <strong>der</strong> Bahn <strong>in</strong>s Quarantänelager bei Treuenbrietzen. Am 16.<br />
Oktober 1948 war ich endlich wie<strong>der</strong> zu Hause <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>.<br />
183
Mit dem Floß g<strong>in</strong>g es die Neiße h<strong>in</strong>unter<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von He<strong>in</strong>z Henschel<br />
Geboren wurde ich am 9. Mai 1921 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Straupitzstraße 8 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>.<br />
Me<strong>in</strong> Vater war Kutscher beim Kohlenhändler Hugo Lehmann. Dieser war <strong>der</strong> Besitzer von<br />
den zwei Braunkohlegruben „Gottes Hilfe“ und „Nasser Fleck“. Die e<strong>in</strong>e ist abgebrannt und<br />
die an<strong>der</strong>e ersoffen. Der Bismarck-Turm z.B. wurde auf <strong>der</strong> Berghöhe „Hugo Lehmann“<br />
erbaut.<br />
Mutter war Hausfrau. Die Eltern <strong>in</strong>teressierten sich nicht für Politik.<br />
1927 wurde ich <strong>in</strong> die H<strong>in</strong>denburgschule e<strong>in</strong>geschult, die ich acht Jahre lang besuchte. In <strong>der</strong><br />
Nähe befand sich das „Bergschlößchen“ – e<strong>in</strong> schönes Tanzlokal.<br />
Unsere Lehrer waren <strong>in</strong> Ordnung. Lehrer Dorn z.B. unterrichtete u. a. noch an <strong>der</strong><br />
Volkshochschule Stenografie, die ich <strong>in</strong>teressenhalber auch erlernte. Herr Fiedler gab<br />
Gesangsunterricht. Konrektor Raabe war <strong>der</strong> Direktor <strong>der</strong> Schule. Wie auch alle an<strong>der</strong>en<br />
Jungen gehörten wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> 1. Klasse den „Pimpfen“ an. Wir unternahmen Wan<strong>der</strong>ungen,<br />
Gelän<strong>des</strong>piele etc., die uns immer großen Spaß bereiteten.<br />
Mit zehn Jahren wurden wir dann <strong>in</strong>s „Jungvolk“ übernommen. Hier war <strong>der</strong> Sport<br />
das A und O.<br />
Mit E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Lehre wurde ich <strong>in</strong> die Mar<strong>in</strong>e-HJ aufgenommen. Im evangelischen<br />
Pfarrhaus, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hundsgasse, hielten wir unsere Versammlungen ab. In Schiedlo, e<strong>in</strong>em Ort<br />
gegenüber von Ratzdorf, lag unser Kutter (Rettungsboot von <strong>der</strong> Mar<strong>in</strong>e). Auf dem Boot<br />
konnten zehn Mann ru<strong>der</strong>n. Dort trafen wir uns je<strong>des</strong> Wochenende. Als Unterkunft diente uns<br />
e<strong>in</strong>e Baracke. Wir bauten sogar e<strong>in</strong> Floß zusammen und s<strong>in</strong>d damit von <strong>Guben</strong> die Neiße<br />
h<strong>in</strong>unter nach Ratzdorf und über die O<strong>der</strong> nach Schiedlo gefahren. Das war toll. E<strong>in</strong>e<br />
Episode, an die ich mich auch noch er<strong>in</strong>nere, war <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>same Ausflug sämtlicher<br />
Mar<strong>in</strong>e-HJ´s von Brandenburg mit ihren Kuttern von Fürstenberg stromaufwärts über die<br />
Müritz nach Potsdam. Hier besuchten wir die Garnisonskirche und an<strong>der</strong>e<br />
Sehenswürdigkeiten. Wir verbrachten sogar e<strong>in</strong>e Nacht im Konzentrationslager, auf<br />
Strohballen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Turnhalle haben wir geschlafen. Man hatte uns aber nicht erzählt, dass es<br />
e<strong>in</strong> KZ ist. Das haben wir erst viel später erfahren. Gesehen und beobachtet haben wir nichts<br />
davon.<br />
1935 begann me<strong>in</strong>e vierjährige Lehrzeit als Masch<strong>in</strong>enschlosser <strong>in</strong> <strong>der</strong> Masch<strong>in</strong>enfabrik Carl<br />
He<strong>in</strong>ze. Wir waren ca. zwanzig Lehrl<strong>in</strong>ge. In diesem Betrieb wurden überwiegend<br />
Hutmasch<strong>in</strong>en gebaut und konstruiert.<br />
Jährlich fand <strong>der</strong> Reichsjugendwettbewerb statt, an dem je<strong>der</strong> teilnehmen musste. Der<br />
Wettbewerb wurde an zwei Tagen durchgeführt. Wir mussten verschiedene Aufgaben <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Theorie sowie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis lösen. Die Theorie fand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berufsschule am Buttermarkt statt.<br />
Unser Lehrer war Herr Püschel. Die praktische Prüfung fand <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Betrieben statt,<br />
z.B. bei Königs-Bogenanleger. Hier wurden Druckmasch<strong>in</strong>en gebaut. Wir mussten<br />
Rundstahlstücke o<strong>der</strong> Flacheisen nach Maß bearbeiten, entwe<strong>der</strong> meißeln, fräsen o<strong>der</strong><br />
hämmern.<br />
Nach Abschluss <strong>der</strong> Lehre 1939 folgte <strong>der</strong> sechsmonatige Arbeitsdienst. Diesen mussten wir<br />
<strong>in</strong> Wesswerk (bei Straupitz) antreten.<br />
184
Wir haben Wassergräben ausgehoben, geschippt und Entwässerungsgräben gelegt. Neben <strong>der</strong><br />
körperlichen Arbeit wurde auch marschiert und exerziert. Dabei musste unbed<strong>in</strong>gt darauf<br />
geachtet werden, dass die Spaten immer gesäubert und blitzblank waren.<br />
Nach Beendigung <strong>des</strong> Arbeitsdienstes erfolgte die reibungslose Übernahme zur Mar<strong>in</strong>e. Zu<br />
Anfang kam die <strong>in</strong>fanteristische Ausbildung für drei Monate <strong>in</strong> Saßnitz. Danach g<strong>in</strong>g es auf<br />
die Torpedo-Schule nach Flensburg, von dort auf die Torpedo-Schule nach Kolberg und dann<br />
aufs Torpedo-Boot als Mechaniker. Durch me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz bei <strong>der</strong> Mar<strong>in</strong>e habe ich viel<br />
gesehen und kennen gelernt. Wir wurden z.B. e<strong>in</strong>gesetzt nach Dänemark, Norwegen,<br />
Schweden, im Kanal England/Frankreich, bei St. Nazaire (Westküste Frankreich).<br />
Vom Torpedo-Boot wurde ich auf e<strong>in</strong> Schnellboot versetzt. Damit g<strong>in</strong>g es zum Mittelmeer<br />
und nach Afrika. Den Schluss <strong>des</strong> Krieges erlebte ich auf dem Kreuzer „Nürnberg“ mit<br />
E<strong>in</strong>satzgebieten <strong>in</strong> Nord- und Ostsee. In Kopenhagen war dann Schluss.<br />
Den Krieg habe ich glücklicherweise unversehrt überlebt.<br />
185
„In erster L<strong>in</strong>ie b<strong>in</strong> ich Fußballer“<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Günter Otto<br />
Ich wurde 1922 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren und lebte mit me<strong>in</strong>en Eltern <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sommerfel<strong>der</strong> Straße,<br />
mit fünf Personen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stube.<br />
Me<strong>in</strong> Vater war Hutarbeiter und me<strong>in</strong>e Mutter Tucharbeiter<strong>in</strong>.<br />
Ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Sandschule e<strong>in</strong>geschult worden. Es gab „Superlehrer“ und auch „Pfeifen“.<br />
Lehrer Kretzschmann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sandschule war e<strong>in</strong> älterer Lehrer, <strong>der</strong> für alles zugänglich war,<br />
von den Schülern geachtet wurde und die nicht über die Strenge schlugen. Lehrer Jahnold,<br />
weil SPD zugehörig, wurde aufs Dorf versetzt und später aus dem Schuldienst entlassen.<br />
Lehrer Schramm dagegen war e<strong>in</strong> zackiger NSDAP-Lehrer.<br />
Ich war auch nicht im Jungvolk. Die Schüler, die dem Jungvolk angehörten, brauchten<br />
samstags nicht <strong>in</strong> die Schule gehen.<br />
Beendet habe ich die Schule mit <strong>der</strong> 8. Klasse <strong>in</strong> <strong>der</strong> H<strong>in</strong>denburgschule.<br />
1937 nahm ich e<strong>in</strong>e vierjährige Lehre bei <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung als Schriftsetzer auf.<br />
(heutige Berl<strong>in</strong>er Straße, ehemals Kaufhaus)<br />
Bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellungsuntersuchung fragte <strong>der</strong> Arzt: „Wann war die Schlacht im Teutoburger<br />
Wald“? Ich antwortete und war gesund. Daraufh<strong>in</strong> begann e<strong>in</strong>e vierwöchige Probezeit, die ich<br />
bestand. Jedoch musste ich vor Ablauf <strong>der</strong> Probezeit zum Chef und wurde vor die Wahl<br />
gestellt, entwe<strong>der</strong> <strong>in</strong> die Hitlerjugend (HJ) e<strong>in</strong>zutreten o<strong>der</strong> es erfolgt die Trennung vom<br />
Betrieb.<br />
Um e<strong>in</strong>en anständigen Berufsabschluß zu haben, entschied ich mich, <strong>in</strong> Abstimmung mit<br />
me<strong>in</strong>em Vater, <strong>der</strong> HJ beizutreten.<br />
Seitdem habe ich mit <strong>der</strong> HJ auf Kriegsfuß gelebt, denn me<strong>in</strong>e ganze Freizeit widmete ich<br />
dem Sport, vor allem dem Fußballspielen und die Hitlerjugend wollte an diesen Tagen immer<br />
Gelän<strong>des</strong>piele veranstalten.<br />
An e<strong>in</strong>em Abend ist <strong>der</strong> Gefolgschaftsführer ausgerastet, weil ich mich für die Teilnahme an<br />
e<strong>in</strong>em Fußballspiel entschied und nicht für e<strong>in</strong> Gelän<strong>des</strong>piel. Daraufh<strong>in</strong> fragte mich <strong>der</strong><br />
Gefolgschaftsführer: „Bist Du e<strong>in</strong> Hitlerjunge o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Fußballspieler?“ „In erster L<strong>in</strong>ie<br />
Fußballspieler“ antwortete ich. Ich musste <strong>des</strong>halb die Abendveranstaltung verlassen, er<br />
schmiss mich raus.<br />
Me<strong>in</strong>e Lehrzeit verkürzte sich <strong>in</strong>folge <strong>des</strong> Kriegsbeg<strong>in</strong>ns von vier auf drei Jahre und so lernte<br />
ich <strong>1940</strong> aus. Die Lehre habe ich mit „gut“ bestanden.<br />
Nach Abschluß <strong>der</strong> Lehre wurde ich als Junggehilfe e<strong>in</strong>gesetzt, mit e<strong>in</strong>em Wochenlohn von<br />
25,- RM.<br />
Mit Kriegsbeg<strong>in</strong>n war die Druckerei halb leer, nur noch Lehrl<strong>in</strong>ge und Alte, kurz vor <strong>der</strong><br />
Rente, sowie Frauen waren da.<br />
Im September <strong>1940</strong> wurde ich nach Luckenwalde dienstverpflichtet. Dort wurde ich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Masch<strong>in</strong>enfabrik als Fräser ausgebildet. Ich b<strong>in</strong> jede Woche gefahren.<br />
Durch Bekannte wurde ich bei Bergmann-Borsig e<strong>in</strong>gestellt und so brauchte ich nicht mehr<br />
nach Luckenwalde fahren.<br />
Als ich bei Borsig war, bekam ich die E<strong>in</strong>berufung. Der Betrieb hat e<strong>in</strong>e U.K.-Stellung<br />
(unabkömmlich) beantragt, die auch gebilligt wurde.<br />
186
Am 1. Mai 1943 erfolgte wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>berufung, diesmal nach Weimar <strong>in</strong> die dortige<br />
Flak-Kaserne zur achtwöchigen Ausbildung. Nach <strong>der</strong> Ausbildung wollte ich nicht nach<br />
<strong>Guben</strong> zurück. Im Betrieb waren nur noch Alte und Frauen, die mich als jungen Kerl schief<br />
anguckten, weil ich nicht im Krieg war. Ich war zwar Soldat, aber bei Bergmann-Borsig. Im<br />
Mai 1944 wurde ich nach Eger (Tschechien) e<strong>in</strong>berufen, zum dortigen Flugplatz. Von dort<br />
g<strong>in</strong>g es zur Flak-Kaserne nach Wien und wie<strong>der</strong>um nach Hause. Man wollte mich e<strong>in</strong>fach<br />
nicht bei <strong>der</strong> Armee haben.<br />
Im September 1944 erfolgte <strong>der</strong> direkte E<strong>in</strong>zug nach Wien. Dort angekommen, meldete ich<br />
mich freiwillig als Funker. Die Ausbildung erfolgte <strong>in</strong> Pock<strong>in</strong>g. U.a. wurde ich als<br />
wehrfliegertauglich e<strong>in</strong>gestuft, es erfolgte aber ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satz, denn es kam <strong>der</strong> Marschbefehl<br />
zur O<strong>der</strong>-Front nach Schwedt. Als die Sache immer brenzliger wurde, die Front immer näher<br />
rückte, wollte sich unser „Häuptl<strong>in</strong>g“ mit uns nach Schleswig-Holste<strong>in</strong> absetzen. Unterwegs<br />
gerieten wir <strong>in</strong> amerikanische Gefangenschaft und wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Internierungslager nach Kiel<br />
gebracht. Das Leben im Internierungslager <strong>in</strong> Kiel war ziemlich locker. Z.B. suchte <strong>der</strong><br />
Sportvere<strong>in</strong> Kiel noch Fußballer. Diese Gelegenheit nahm ich sofort war und so konnte ich<br />
immer zum Fußballspielen raus.<br />
Me<strong>in</strong>e „Entlassung“ aus dem Internierungslager bereitete ich selbst vor, <strong>in</strong>dem ich mit Hilfe<br />
e<strong>in</strong>es Kumpels me<strong>in</strong> Gepäck h<strong>in</strong>ausschleuste und am Tag mit Hilfe e<strong>in</strong>es Passiersche<strong>in</strong>s das<br />
Lager verließ. Per Anhalter gelangte ich zu me<strong>in</strong>er Cous<strong>in</strong>e nach Hamburg. Nach e<strong>in</strong>er<br />
gewissen <strong>Zeit</strong> <strong>in</strong> Hamburg wollte ich nur noch nach Hause.<br />
Mit Hilfe <strong>der</strong> englischen Zigaretten im Gepäck, gelangte ich auf vielen Umwegen glücklich<br />
von <strong>der</strong> englischen <strong>in</strong> die russische Besatzungszone. Als ich den <strong>Guben</strong>er Dialekt im Zug<br />
hörte, war ich sicher, ich b<strong>in</strong> zu Hause.<br />
Von 1947 – 1951 war ich bei <strong>der</strong> Polizei, wurde aber entlassen, weil ich <strong>in</strong> westlicher<br />
Gefangenschaft war.<br />
Ab 1952 war ich immer beim Sport, ich war DTSB-Kreisvorsitzen<strong>der</strong>, bis ich 1987 das<br />
Rentenalter erreichte.<br />
187
Wenn <strong>der</strong> Spaten mal nicht blank war...<br />
g<strong>in</strong>g es zum Maskenball<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Gerhard Hübner<br />
Ich wurde am 2.Oktober 1920 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren. Me<strong>in</strong> Vater und me<strong>in</strong>e Mutter waren<br />
während <strong>der</strong> Weimarer Republik <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Partei und auch später nicht. Sie sympathisierten<br />
aber als Arbeiter mit <strong>der</strong> SPD. In den Jahren 1932/33 gab es viele Kundgebungen <strong>der</strong><br />
verschiedensten Parteien. In Deutschland gab es 38 Parteien. Neben KPD und Eiserne Front<br />
(SPD) veranstalteten Reichsbanner (Stahlhelme) und beson<strong>der</strong>s die NSDAP <strong>in</strong> Form <strong>der</strong> SA<br />
mit Musik, Fahnen und Fackeln <strong>in</strong> den Abendstunden große Aufmärsche durch die Stadt und<br />
auf dem Marktplatz. Ich er<strong>in</strong>nere mich, dass Vater und auch an<strong>der</strong>e <strong>Guben</strong>er sich fragten,<br />
„wo kommen denn die vielen Nazis her?“ – aus den Dörfern, aus <strong>der</strong> ganzen Umgebung<br />
wurden sie zusammengezogen.<br />
Von 1926 bis 1935 g<strong>in</strong>g ich <strong>in</strong> die H<strong>in</strong>denburgschule (Schule 6). Es war e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> schönsten<br />
Schulen <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>. Aula und Turnhalle waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule <strong>in</strong>trigiert.<br />
Jede Turnstunde begann nach alter Sitte, vom Kaiserreich übernommen, mit marschieren und<br />
abs<strong>in</strong>gen von Vaterlandslie<strong>der</strong>n. Die meisten Lehrer waren ehemalige Offiziere aus dem<br />
1.Weltkrieg.<br />
Diszipl<strong>in</strong> bis Drill waren selbstverständlich.<br />
Unser Klassenlehrer, Herr Gensitz, war mal sehr lange krank. Unsere Klasse erhielt e<strong>in</strong>en<br />
Neulehrer, <strong>der</strong> natürlich bereits im nationalistischen S<strong>in</strong>ne im Studium erzogen war.<br />
In den Kiesgruben bei Schlagsdorf machte er mit uns viele Gelän<strong>des</strong>piele. Als K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
Jungs gefiel uns das beson<strong>der</strong>s gut.<br />
Ab dem Jahr 1934/35 wurde <strong>der</strong> Sonnabend für Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Jungvolkes schulfrei. Wer<br />
nicht dieser Jugendorganisation angehörte, musste zur Schule gehen. Ich war zuerst nicht im<br />
Jungvolk, dann wurde <strong>der</strong> Druck auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule immer größer und ich wurde schließlich<br />
auch Mitglied.<br />
Im Juni 1935 war <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> die große 700-Jahrfeier. Fast alle <strong>Guben</strong>er waren an e<strong>in</strong>em<br />
Sonntag beim Festumzug dabei. Ich stand an <strong>der</strong> Post gegenüber dem Marktplatz und<br />
verfolgte als 15-jähriger das bunte Geschehen. Gleichzeitig waren neben vielen kulturellen<br />
Veranstaltungen, <strong>der</strong> Gautag <strong>der</strong> NSDAP und SA von ganz Brandenburg <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>. Unzählige<br />
braune Kolonnen marschierten zum neu e<strong>in</strong>geweihten Stadion zur Seitwanner Straße <strong>in</strong><br />
Richtung Flugplatz. Viele <strong>Guben</strong>er glaubten, dass Hitler kommen würde. Er kam nicht, weil<br />
er <strong>Guben</strong> als ehemalige rote Hochburg mied.<br />
1932 hielt Hitler e<strong>in</strong>e Wahlkundgebung im kle<strong>in</strong>en Sommerfeld (heute Lubsko) ab.<br />
Das rote <strong>Guben</strong> umflog er.<br />
Aber noch e<strong>in</strong>en Blick <strong>in</strong> das Jahr <strong>1936</strong>.<br />
Im Sommer, es muss wohl August gewesen se<strong>in</strong>, wurde das 1. Bataillon <strong>der</strong> 29er, damals<br />
noch Reichswehr, von Lübben nach <strong>Guben</strong> verlegt. Der Marsch <strong>des</strong> Bataillons vom Bahnhof<br />
durch die Innenstadt bis zur Moltkekaserne an <strong>der</strong> Hitwanner – Lahmoer Straße wurde zum<br />
Triumphzug für die Soldaten und für die <strong>Guben</strong>er Bürger. Blumen über Blumen wurden den<br />
Soldaten entgegen geworfen.<br />
Zuvor wurden die Kasernen <strong>in</strong> Tag- und Nachtschichten gebaut. Damals hieß es unter<br />
vorgehaltener Hand, „es wird e<strong>in</strong>e Schokoladenfabrik“.<br />
188
Aber die <strong>Guben</strong>er wussten Bescheid. (Noch war <strong>der</strong> Versailler-Vertrag 4 gültig.) Erst später<br />
hatte Hitler diesen für null und nichtig erklärt.<br />
Weitere Kasernenbauten folgten, wie Mückenberg I; II und III. (Straße nach Crossen)<br />
Außerdem entstand e<strong>in</strong>e Fliegerschule.<br />
Mit solchen Maßnahmen, wie die Aufrüstung und den beg<strong>in</strong>nenden Autobahnbau, schaffte<br />
Hitler Arbeitsplätze. Später begann <strong>der</strong> Bau <strong>des</strong> Westwalles. Die <strong>Guben</strong>er Betriebe mussten<br />
dafür Arbeitskräfte abstellen. Alle verdienten damit gutes Geld. Es g<strong>in</strong>g sche<strong>in</strong>bar aufwärts<br />
mit <strong>der</strong> Wirtschaft.<br />
Ich lernte von 1935 bis 1938 bei <strong>der</strong> Firma C. Lehmann`s Wwe. & Sohn Tuchmacher.<br />
Speziell <strong>in</strong> den Weberei-Vorbereitungs-Abteilungen Kettenschärerei/Leimerei, Kreuzspulerei<br />
und Zwirnerei, Geschirrmacherei, Garnlager sowie die Arbeitsgänge <strong>der</strong> Weberei, wie<br />
e<strong>in</strong>richten und weben, erlernte ich.<br />
Wir arbeiteten von 6.00 Uhr bis 15.00 Uhr, lernten viel und mussten dabei fast wie e<strong>in</strong><br />
normaler Arbeiter arbeiten. Man wollte guten Nachwuchs haben.<br />
Im 1.Lehrjahr erhielt ich pro Woche 3,00 Reichsmark,<br />
im 2.Lehrjahr 6,00 und im 3.Lehrjahr 12,00 Reichsmark.<br />
Dienstags und freitags war für alle Lehrl<strong>in</strong>ge von 17.00 bis 20.00 Uhr Betriebsschule ohne<br />
Bezahlung. Hier gaben die Fachabteilungsleiter ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen an die<br />
Jugend weiter.<br />
Mittwochs hatten wir von 13.00 bis 19.00 Uhr Berufsschule, die am Buttermarkt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe<br />
<strong>der</strong> Kirche war. Zuvor wurde von 6.00 bis 12.30 Uhr im Betrieb gearbeitet. Je<strong>der</strong> gab uns<br />
Schularbeiten auf. Auf dumme Gedanken konnte man gar nicht kommen.<br />
Unsere Freizeit beschränkte sich von Sonnabendmittag bis zum Sonntag. Beliebter Treffpunkt<br />
bei <strong>der</strong> Jugend war die sogenannte „Rennbahn“, zwischen <strong>der</strong> Neißebrücke und dem<br />
Dicken Turm. Wir g<strong>in</strong>gen auch gern <strong>in</strong>s K<strong>in</strong>o.<br />
Die bestehenden freien Gewerkschaften durften am 1. Mai 1933 noch am Ende <strong>des</strong><br />
Festumzuges mit marschieren. Der Umzug g<strong>in</strong>g durch ganz <strong>Guben</strong>, ca. 3 Stunden lang.<br />
Am 2. Mai wurde das Gewerkschaftshaus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Langen Straße am Markt von <strong>der</strong> SA<br />
besetzt und ausgeplün<strong>der</strong>t. Ab sofort gab es nur noch „die Deutsche Arbeitsfront“ ( DAF).<br />
Mit politischem Druck hatte je<strong>der</strong> Werktätigen dort e<strong>in</strong>zutreten. Der Beitrag richtete sich nach<br />
dem Verdienst und wurde gleich vom Lohnbüro e<strong>in</strong>behalten. In den Betrieben gab es nun<br />
von <strong>der</strong> DAF sogenannte Betriebsmänner. Sie hatten fast nichts im Betrieb zu melden und zu<br />
sagen.<br />
Bei C. Lehmann’s Wwe. & Sohn war es e<strong>in</strong> Herr Krappidel. Er wurde von den Arbeitern<br />
nicht anerkannt, zumal er <strong>in</strong> Betriebsversammlungen, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen Ausnäherei<br />
stattfanden, kaum e<strong>in</strong> Wort frei sprechen konnte. Er sprach dann von e<strong>in</strong>em Nebenraum,<br />
ablesend vom Blatt, zur Belegschaft. Am Schluss solcher Versammlungen wurden immer das<br />
Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied gesungen. Dabei musste <strong>der</strong> Arm zum Hitlergruß<br />
erhoben werden. Wer es nicht tat, erhielt Backpfeifen und wurde entlassen. (z.B. <strong>der</strong><br />
staatenlose Weber Pilz)<br />
4 1919 geschlossener und 1920 ratifizierter Friedensvertrag zwischen Deutschland und den alliierten und assoziierten<br />
Mächten (ohne USA, Son<strong>der</strong>frieden 1921); <strong>der</strong> 440 Artikel umfassende Versailler-Vertrag enthält die Satzung <strong>des</strong><br />
Völkerbun<strong>des</strong>, bestimmt die Schaffung e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>ternationalen Arbeitsamts, die Gebietsabtretungen Deutschlands (u.a. Elsass-<br />
Lothr<strong>in</strong>gen, West-Preußen, Teile Ost-Preußens, Posen, Ost-Oberschlesien, Nord-Schleswig), Entwaffnung, Reparationen,<br />
Besetzung und Entmilitarisierung l<strong>in</strong>ksrhe<strong>in</strong>ischer Gebiete, Verzicht auf Kolonien, Beschränkung <strong>des</strong> Heeres auf e<strong>in</strong> Berufsheer<br />
von 100000 Mann, Auflösung <strong>des</strong> Generalstabes, Enteignung deutschen Privateigentums im Ausland.<br />
Ferner stellt <strong>der</strong> Versailler Vertrag Wilhelm II. und zahlreiche Generäle als Kriegsschuldige unter Anklage.<br />
Die Verständigungspolitik G. Stresemanns bewirkte nach 1920 e<strong>in</strong>e Mil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> wirtschaftlichen Auswirkungen <strong>des</strong><br />
Vertrages. (Quelle: NEUES UNIVERSAL-LEXIKON - 2002 Trautwe<strong>in</strong> Lexikon-Edition, Genehmigte Son<strong>der</strong>ausgabe,<br />
Compact-Verlag München)<br />
189
E<strong>in</strong>e Unterorganisation <strong>der</strong> DAF war die KdF (Kraft durch Freude). Insbeson<strong>der</strong>e die<br />
„Ri-Ra-Rutsch“-Veranstaltungen fanden im Sommer im Schützenhausgarten auf <strong>der</strong> Neiße-<br />
Insel bei <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Bevölkerung großen Anklang. Hier traten bekannte Künstler und<br />
Orchester auf. Der E<strong>in</strong>tritt war günstig und wurde durch die Betriebe organisiert<br />
Durch die KdF habe ich auch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Reise <strong>in</strong> den Harz gewonnen. Die Fahrt g<strong>in</strong>g mit<br />
dem Son<strong>der</strong>zug nach Ilsenburg. Wir waren auf dem Brocken.<br />
Später hatte ich noch mal Glück und gewann wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Reise, diesmal g<strong>in</strong>g es nach<br />
Österreich, nach Hall, bei Kufste<strong>in</strong>.<br />
1938 wurde Österreich angeglie<strong>der</strong>t. An Krieg hatten die wenigsten gedacht.<br />
Nun e<strong>in</strong>iges zu den jüdischen Bürgern <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>.<br />
Bereits <strong>1936</strong> o<strong>der</strong> 1937 boykottierten die Nazis die jüdischen Geschäfte. Wir g<strong>in</strong>gen mit den<br />
Eltern Sonnabendnachmittag <strong>in</strong> die Stadt, um e<strong>in</strong>iges zu kaufen, wofür an Wochentagen fast<br />
ke<strong>in</strong>e <strong>Zeit</strong> war. Vor den großen Kaufhäusern „Karstadt“ und „Wolf Krimmer“ und vor dem<br />
Konfektionshaus „Meier“ standen SA-Männer und hatten Plakate mit Aufschriften<br />
„Deutsche kauft nicht bei Juden“.<br />
Vater ließ sich davon nicht bee<strong>in</strong>drucken und g<strong>in</strong>g mit uns <strong>in</strong> das Karstadt-Kaufhaus. Wir<br />
hatten eigentlich nichts zu kaufen. Mutter hatte Angst, dass wir fotografiert werden. Im<br />
Kaufhaus e<strong>in</strong>e gähnende Leere. Die Verkäufer<strong>in</strong>nen sahen uns an, als ob wir vom Mond<br />
kämen. Mutter kaufte aus Verlegenheit e<strong>in</strong> Stück Seife.<br />
Das war das Vorspiel zur Pogromnacht am 9. zum 10.11.1938.<br />
Im Betrieb munkelte man, dass e<strong>in</strong>iges <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt los se<strong>in</strong> soll. Voller Neugier g<strong>in</strong>g ich nach<br />
Feierabend nicht direkt nach Hause, son<strong>der</strong>n über den Markt. Es waren 26 Schaufenster bei<br />
„Meier“ e<strong>in</strong>geschlagen. An <strong>der</strong> engsten Straßendurchfahrt vom Markt stand e<strong>in</strong>e<br />
Menschenmenge vor dem Pelz- und Hutgeschäft „Kronheim“.<br />
Die Menge grölte und schob sich <strong>in</strong> Richtung Schaufenster. Plötzlich zerbrach die Scheibe,<br />
die Massen drängelten <strong>in</strong> das Geschäft und plün<strong>der</strong>ten. Vom 1. Obergeschoß, das war wohl<br />
die Wohnung von Kronheim, warfen sie die Fe<strong>der</strong>betten auf die Straße. Ich verstand das<br />
allerd<strong>in</strong>gs nicht, konnte nicht begreifen, was dort geschah und fuhr nach Hause. Tage darauf<br />
hörte ich, dass auch die jüdische Synagoge am Kastaniengraben abgebrannt worden war.<br />
Me<strong>in</strong>e Eltern kauften gerne <strong>in</strong> jüdischen Geschäften e<strong>in</strong>. Vater handelte fast immer e<strong>in</strong>en<br />
guten Preis für die zu kaufende Ware mit den Geschäftsführern aus.<br />
Zum Beispiel sollte ich e<strong>in</strong>en neuen Mantel bekommen. Der kostete 32 Reichsmark,<br />
das war me<strong>in</strong>em Vater aber zu teuer. Er handelte und bezahlte dann nur<br />
25 Reichsmark und als Geschenk bekam ich sogar noch e<strong>in</strong>en Luftballon.<br />
In <strong>Guben</strong> gab es viele jüdische Unternehmen und Geschäfte, wie: Meier, Hirsch, Ärzte und<br />
Rechtsanwälte.<br />
Nun noch etwas zum Betrieb „C. Lehmann`s Wwe. & Sohn“.<br />
Bei Lehmann gab es trotz großer Weltwirtschaftskrise fast ke<strong>in</strong>e Arbeitslosen. Es war<br />
sicherlich das Verdienst von Rittmeister Lehmann, <strong>der</strong> sehr viel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt umherreiste, um<br />
Aufträge für den Betrieb zu erhalten. Lehmann konnte auch Lagerware fertigen. Die<br />
vorhandenen Keller waren dafür bestens geeignet. Bei Bedarf konnte er so schnell se<strong>in</strong>e<br />
Kunden im In- und Ausland bedienen. Das war nur möglich, wenn man selbst über<br />
Geldvermögen und Kredite verfügte. Der Betrieb wurde geleitet von Direktor Schöne sen.<br />
und von <strong>des</strong>sen Sohn Schöne jun.<br />
Peter Lehmann als Sohn <strong>des</strong> Rittmeisters leitete den Betrieb erst im 2. Weltkrieg, als<br />
Lehmann bei <strong>der</strong> Wehrmacht war und <strong>in</strong> Norwegen als Major fiel. Lehmann wurde während<br />
190
<strong>der</strong> Nazizeit verhaftet, weil er Auslandskonten nicht angemeldet hatte. Die ganze Belegschaft<br />
sammelte Geld für e<strong>in</strong>en großen Blumenstrauß. Auch Lehrl<strong>in</strong>ge, so wie ich, gaben zehn o<strong>der</strong><br />
zwanzig Pfennige. Danach kaufte er sich für 20.000,00 Reichsmark frei.<br />
Es wurde sozialer im Betrieb. Fast je<strong>des</strong> Jahr gab es Betriebsausflüge.<br />
Zum Beispiel gut organisiert mit dem Son<strong>der</strong>zug nach Berl<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Deutschlandhalle.<br />
Selbstverständlich gutes Essen und Tr<strong>in</strong>ken und alle S-Bahn Fahrkarten frei.<br />
Dasselbe wie<strong>der</strong>holte sich nach Potsdam mit Dampferfahrt auf dem Müggelsee. Aber<br />
auch im Heidekrug - 6 km von <strong>Guben</strong> <strong>in</strong> Richtung Crossen - wurde gefeiert.<br />
In den Betrieben wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nazizeit Werkscharen gebildet. Sie dienten <strong>der</strong><br />
vormilitärischen Ausbildung. Ich trat nicht bei, wollte unter Jugendlichen se<strong>in</strong>. Me<strong>in</strong><br />
Berufsschullehrer, Herr Reißner, war HJ-Führer und so kam ich gezwungenermaßen auch<br />
dazu. Neben Marschübungen und Durchführung von Gelän<strong>des</strong>pielen konnte man über die HJ<br />
auch <strong>in</strong> den Theater-R<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>treten. Für ger<strong>in</strong>ges Geld sahen wir uns schöne Operetten und<br />
Schauspiele an. Überhaupt, das <strong>Guben</strong>er Theater mit dem Schützenhaus auf <strong>der</strong> Neiße<strong>in</strong>sel<br />
war e<strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>od.<br />
<strong>Guben</strong> war e<strong>in</strong>e schöne Garten- und Industriestadt. Es gab vier K<strong>in</strong>os und viele Eisdielen, wie<br />
„Eiko“ an <strong>der</strong> grünen Wiese o<strong>der</strong> „Tragella“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klosterstraße. Diese waren die<br />
bekanntesten und beliebtesten. Dort schmeckte das Eis beson<strong>der</strong>s gut. Viele Konditoreien,<br />
wie „Schmidt“ auf dem Markt, und viele Gaststätten und Tanzlokale waren beliebte<br />
Aufenthaltsorte für die <strong>Guben</strong>er. Aber Geld musste man haben.<br />
Als ich <strong>1940</strong> zum Reichsarbeitsdienst (RAD) musste – für e<strong>in</strong> halbes Jahr - begann für mich<br />
die schlimmste <strong>Zeit</strong>. Ich kam nach Bomst bei Züllichau. Da wurde man getrimmt. Da hieß es<br />
dann um 6 Uhr aufstehen, und das im Februar bei Hundekälte. Die Pumpen waren<br />
e<strong>in</strong>gefroren, das bedeutete, die Waschschüsseln gefüllt mit Wasser, je<strong>der</strong> hatte e<strong>in</strong>e, unters<br />
Bett zu stellen. Man musste sich draußen bei Eiseskälte waschen. Davor g<strong>in</strong>g es zum<br />
Frühsport. Beim Essen durfte nicht gesprochen werden. Wenn trotzdem gesprochen wurde,<br />
musste man mit dem Teller entwe<strong>der</strong> unter die Tische bzw. auf die Tische o<strong>der</strong> im Laufschritt<br />
mit Tellern nach draußen.<br />
Pf<strong>in</strong>gsten <strong>1940</strong> war e<strong>in</strong>e Kundgebung auf dem Marktplatz <strong>in</strong> Bomst. Wir mussten vor <strong>der</strong><br />
Tribüne Aufstellung nehmen. Der Oberstfeldmeister rief:<br />
„Achtung, präsentiert den Spaten“. E<strong>in</strong>er von den Arbeitsmännern fiel um. Das Resultat war<br />
wie folgt: Der Ausgang wurde uns gestrichen und wir mussten im Sand exerzieren. Der<br />
Oberfeldmeister war etwas humaner zu uns. Da s<strong>in</strong>d wir nur bis zum Wald marschiert und<br />
haben da geschlafen. Das Strafexerzieren war das Schlimmste für uns. Wenn zum Beispiel die<br />
Spaten nicht blank waren, mussten wir u.a. die Plumpsklos auspumpen o<strong>der</strong> den<br />
„Maskenball“ vollziehen, das bedeutete, den Mantel anziehen und immer rundherum um den<br />
Exerzierplatz mit Spaten o<strong>der</strong> es musste <strong>der</strong> Tornister mit zwei Ziegelste<strong>in</strong>en bepackt<br />
werden, <strong>der</strong> Mantel angezogen und ebenfalls mit Spaten immer im Kasernenviereck<br />
rundherum marschiert werden.<br />
Jeden zweiten Tag g<strong>in</strong>gen wir auch arbeiten. Da mussten wir je<strong>der</strong> täglich<br />
7 Kubikmeter Wiesen entwässern o<strong>der</strong> den Moorboden ausheben o<strong>der</strong> 14 Kubikmeter<br />
ausgehobenen Moorboden auf den Wiesen planieren. Wer´s nicht schaffte, musste<br />
nacharbeiten und durfte nicht <strong>in</strong>s Lager.<br />
Beim Wachdienst b<strong>in</strong> ich mal im Stehen e<strong>in</strong>geschlafen, hatte aber Glück, dass ich nicht<br />
erwischt wurde.<br />
Dann kam die Waffen-SS <strong>in</strong>s Lager und man wurde gemustert, ob man wollte o<strong>der</strong> nicht. Ich<br />
hatte Glück, dass sie mich nicht genommen haben. Ich hatte Senkfüße, sonst wäre ich bei <strong>der</strong><br />
SS gelandet.<br />
191
Im Juni <strong>1940</strong> wurde ich e<strong>in</strong>gezogen. Ich kam zur Nachrichtenersatzabteilung 23 <strong>in</strong><br />
Stahnsdorf und wurde im Funk von Siemens-Ingenieuren ausgebildet.<br />
Dann begann <strong>der</strong> Frankreichfeldzug, wir s<strong>in</strong>d aber Gott sei Dank nur bis Stuttgart gekommen.<br />
Später kam ich dann bei Falkensee <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Privatquartier, dort war ich den ganzen W<strong>in</strong>ter.<br />
<strong>1940</strong>/41 g<strong>in</strong>g es nach Schlesien. Wir waren dann <strong>in</strong> Breslau/Kosel, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Adolf-Hitler-<br />
Kaserne untergebracht. Im August g<strong>in</strong>g es nach Russland <strong>in</strong> die Ukra<strong>in</strong>e.<br />
Von dort g<strong>in</strong>g es wie<strong>der</strong> nach Breslau, dann kam Flensburg und anschließend g<strong>in</strong>g es nach<br />
Verona (Italien).<br />
Zum Glück habe ich den Krieg unversehrt überlebt.<br />
192
Ich hatte Heimweh nach <strong>Guben</strong><br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Frau Müller<br />
Ich wurde am 12. Dezember 1918 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren und war die Jüngste von fünf K<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Me<strong>in</strong> Vater war Eisenbahnbeamter, me<strong>in</strong>e Mutter Hausfrau. Wir wohnten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wilkestraße<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Beamtenwohnung für Eisenbahner.<br />
1925 wurde ich <strong>in</strong> die Klosterschule e<strong>in</strong>geschult. Ab <strong>der</strong> 2. Klasse wechselte ich bis zur<br />
6. Klasse <strong>in</strong> die Pestalozzischule. Me<strong>in</strong>e Schulzeit beendete ich mit <strong>der</strong> 8. Klasse <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Stadtschule. Die Stadtschule befand sich am Buttermarkt. Dort war auch das Arbeitsamt. Vor<br />
dem Arbeitsamt sah man immer Schlangen von Menschen stehen, die auf Arbeitsuche waren.<br />
Das än<strong>der</strong>te sich schlagartig, als Hitler an die Macht kam. Der ließ Autobahnen bauen und<br />
dazu brauchte er viele Arbeiter. In den ersten Jahren nach dem Machtantritt g<strong>in</strong>g es uns allen<br />
gut. Ke<strong>in</strong>er hatte geahnt, dass er den 2. Weltkrieg anfängt. Auch <strong>in</strong> den <strong>Zeit</strong>ungen hatte man<br />
nichts über se<strong>in</strong> Vorhaben lesen können. Er hat uns ganz schön geblendet.<br />
Direktor Menke – von <strong>der</strong> Stadtschule – bildete zusammen mit e<strong>in</strong>er Lehrer<strong>in</strong> das Jugend Rot<br />
Kreuz. Dieser Vere<strong>in</strong> bestand von 1933 - 1935. Dort b<strong>in</strong> ich immer gerne h<strong>in</strong>gegangen. Wir<br />
unternahmen vieles, lernten auch 1. Hilfe zu leisten. 1935 wurde er verboten. Mitglied beim<br />
BDM war ich nicht. E<strong>in</strong>mal b<strong>in</strong> ich zu e<strong>in</strong>er Veranstaltung <strong>des</strong> BDM gegangen, es gefiel mir<br />
aber nicht und so ließ ich es bleiben.<br />
Nach <strong>der</strong> Schulentlassung 1933 begann ich e<strong>in</strong>e Lehre als Friseuse im Friseursalon von Frau<br />
Hannig. Später verkaufte sie ihr Geschäft an Herrn Jacubasch. Beide waren gute Chefs. Nach<br />
Beendigung me<strong>in</strong>er Lehre g<strong>in</strong>g ich für e<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> halbes Jahr nach Lübeck. Unterkunft fand<br />
ich <strong>in</strong> Ratzeburg bei me<strong>in</strong>er ehemaligen Chef<strong>in</strong> Frau Hannig. Ich wollte aus <strong>Guben</strong> heraus,<br />
um etwas Neues dazuzulernen. Der Chef redete se<strong>in</strong>e Kundschaft immer mit „Madame“ an.<br />
Im Gegensatz zu me<strong>in</strong>em <strong>Guben</strong>er Lehrmeister, <strong>des</strong>sen Motto war „die Frisur muss halten“,<br />
vertrat er die Ansicht „die Frisur muss schön se<strong>in</strong>“ – und wenn sie nicht hält, kommt die<br />
Kundschaft eben den nächsten Tag wie<strong>der</strong>.<br />
Ich hatte aber Heimweh nach me<strong>in</strong>em schönen <strong>Guben</strong> bekommen und so kam ich 1938<br />
zurück. Ich wurde auch wie<strong>der</strong> bei Herrn Jacubasch e<strong>in</strong>gestellt.<br />
Zur „Reichskristallnacht“ kann ich nicht viel sagen. Ich weiß aber noch, dass beim Kaufhaus<br />
Meier sämtliche Scheiben e<strong>in</strong>geschlagen waren. Er war Jude und es wurde auch gerufen<br />
„Kauft nicht bei Juden“. Der Hitlergruß war <strong>der</strong> damals übliche Gruß.<br />
Oft waren wir <strong>in</strong> unserem schönen Theater. Ich er<strong>in</strong>nere mich, dass auch große Schauspieler<br />
<strong>in</strong> <strong>Guben</strong> gastierten. So z.B. Hans Kasper, Will Quadflieg und He<strong>in</strong>rich George und auch <strong>der</strong><br />
bekannte Sänger Herbert-Ernst Groh hatten hier Auftritte.<br />
Im Vorprogramm wurden im K<strong>in</strong>o Filme vorgeführt, die junge Frauen bei <strong>der</strong> Armee zeigten.<br />
Damit sollte bei uns jungen Mädchen ebenfalls <strong>der</strong> Wunsch entstehen, freiwillig <strong>in</strong> die Armee<br />
e<strong>in</strong>zutreten. Das fiel bei mir jedoch auf fruchtlosen Boden. Im November 1942 wurde ich<br />
zwangsverpflichtet und bekam die E<strong>in</strong>berufung. Ich wurde als Nachrichtenhelfer<strong>in</strong><br />
ausgebildet und sollte dann zur so genannten Nachtjagd 5 e<strong>in</strong>setzt werden. Dann b<strong>in</strong> aber doch<br />
mit viel Glück <strong>in</strong> die Vermittlungszentrale gekommen.<br />
5 Nachtjagd am „Seeburg-Tisch“: Luftüberwachung, Ortung von fe<strong>in</strong>dlichen o<strong>der</strong> eigenen Flugzeugen.<br />
Vergleichbar mit e<strong>in</strong>em überdimensionalen Radarschirm.<br />
193
Mit e<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong>, sie war aus Österreich, wollten wir nach Bulgarien. Bei <strong>der</strong> Passkontrolle<br />
s<strong>in</strong>d wir aber getrennt worden und ich landete <strong>in</strong> Belgrad und dann <strong>in</strong> Pancewo. Dort b<strong>in</strong> ich<br />
zur Nachtjagd e<strong>in</strong>gesetzt worden. Hier habe ich auch von dem Attentat auf Hitler gehört.<br />
Dann g<strong>in</strong>g es nach Deutschland zurück und ich hatte Glück, das wir heil die Donau<br />
überqueren konnten. Am darauf folgenden Sonntag wurde die Brücke gesprengt und viele<br />
Menschen s<strong>in</strong>d dabei ums Leben gekommen.<br />
Wir mussten <strong>in</strong> die Kaserne nach Augsburg und durften diese nicht verlassen.<br />
Ich meldete mich freiwillig zum Ausbaustab nach Warendorf und später kurz vor Kriegsende<br />
g<strong>in</strong>g es nach Sperenberg.<br />
Dort traf ich me<strong>in</strong>e Mutter und e<strong>in</strong>e me<strong>in</strong>er Schwestern. Unsere ganze Familie ist durch die<br />
Kriegswirren <strong>in</strong> vielen Städten ansässig geworden. Nur ich b<strong>in</strong> nach <strong>Guben</strong> wie<strong>der</strong><br />
zurückgekommen. 1945 habe ich me<strong>in</strong>en Mann kennen gelernt und wir haben 1946<br />
geheiratet.<br />
Der vollständige Name <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>zeug<strong>in</strong> ist <strong>der</strong> Redaktion bekannt.<br />
Unsere <strong>Zeit</strong>zeug<strong>in</strong> ist lei<strong>der</strong> am 14. September 2004 ganz plötzlich verstorben.<br />
194
Ich bekam den Gewehrkolben <strong>in</strong>s Kreuz<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Else Rothe<br />
Ich b<strong>in</strong> 1920 <strong>in</strong> Schlesisch-Drehnow, e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Dorf <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umgebung von Grünberg,<br />
geboren.<br />
Me<strong>in</strong>e Eltern hatten sich e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Häuschen gebaut und bearbeiteten e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e<br />
Landwirtschaft. Vater fuhr jeden Tag mit dem Fahrrad von Drehnow nach Grünberg zur<br />
Arbeit. Er war <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ziegelei beschäftigt und musste körperlich schwer arbeiten. Das<br />
Fahrrad besass schon e<strong>in</strong>en Dynamo. Aber den baute er ab, weil e<strong>in</strong>e Karbidlampe im W<strong>in</strong>ter<br />
bei Eis und Schnee besser Licht gab. Mutti hat die Wirtschaft gemacht, auch im Sommer beim<br />
Großbauern bei <strong>der</strong> Ernte geholfen. Als Gegenleistung pflügte er dann, wenn nötig, unseren<br />
Acker. Außerdem beschäftigte me<strong>in</strong>e Mutter sich mit Kle<strong>in</strong>viehhaltung, Schwe<strong>in</strong>en und<br />
Ferkelzucht.<br />
In unserem Dorf gab es nur e<strong>in</strong>e Schule. Alle K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die kle<strong>in</strong>en, die mittleren und die<br />
großen, saßen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Klassenzimmer. Der Lehrer, Zahn hieß er, war e<strong>in</strong> grässlicher<br />
Mensch. Den Lehrer mussten wir immer, wenn wir ihn trafen, mit „Heil-Hitler“ grüßen. Er<br />
selbst stammte aus e<strong>in</strong>er armen Familie und heiratete e<strong>in</strong>e gutsituierte Bauerntochter aus dem<br />
Dorf. Er hatte drei K<strong>in</strong><strong>der</strong>, wovon zwei später bei dem Luftangriff auf Dresden ums Leben<br />
kamen.<br />
Selbst die Grafen-K<strong>in</strong><strong>der</strong> g<strong>in</strong>gen anfangs bei uns <strong>in</strong> die Schule. Wenn wir die alte Gräf<strong>in</strong><br />
trafen, mussten wir immer e<strong>in</strong>en Hofknicks machen.<br />
Helle Angst bekam ich, wenn die SA <strong>in</strong> ihren braunen Uniformen mit Hakenkreuz-Emblem<br />
auf dem Ärmel und Lackstiefeln s<strong>in</strong>gend und grölend durchs Dorf marschierte.<br />
Die unruhige <strong>Zeit</strong> f<strong>in</strong>g eigentlich schon 1935 an. In diesem Jahr b<strong>in</strong> ich aus <strong>der</strong> Schule<br />
gekommen und konfirmiert worden. Vor <strong>der</strong> Konfirmation musste vor dem Pfarrer e<strong>in</strong>e<br />
Prüfung abgelegt werden. Dazu trugen wir blaue Klei<strong>der</strong>. Später bei <strong>der</strong> Konfirmation war<br />
unser Kleid schwarz.<br />
Nach <strong>der</strong> Schule habe ich me<strong>in</strong>er Mutter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschaft geholfen. Das war auch e<strong>in</strong>e<br />
schwere Arbeit.<br />
Ich brauchte ke<strong>in</strong> Pflichtjahr zu absolvieren. In Grünberg habe ich fast zwei Jahre im<br />
Krankenhaus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche als Hauswirtschaftshilfe gearbeitet.<br />
In unserem Dorf gab es zwei Gastwirtschaften. Zu den Erntefesten und Silvesterfeiern war<br />
immer was los und das war sehr schön.<br />
<strong>1940</strong> habe ich geheiratet. Me<strong>in</strong> Mann war aus dem Nachbardorf. Ich habe dann me<strong>in</strong>en<br />
Schwiegereltern bei <strong>der</strong> Arbeit auf <strong>der</strong>en Hof geholfen, z.B. Buttern, Brot backen, Wäsche<br />
waschen und die Tiere versorgen.<br />
Als <strong>der</strong> Krieg begann, b<strong>in</strong> ich aus Angst zu me<strong>in</strong>en Eltern zurückgekehrt.<br />
Kurz nach <strong>der</strong> Heirat wurde me<strong>in</strong> Mann e<strong>in</strong>gezogen und musste nach Afrika. Bei e<strong>in</strong>em<br />
Unfall wurde er schwer verwundet, se<strong>in</strong> Be<strong>in</strong> war total kaputt. Mit dem Schiff g<strong>in</strong>g es zurück.<br />
Nach Lazarettaufenthalten <strong>in</strong> Wien und Berl<strong>in</strong> g<strong>in</strong>g es nach <strong>Guben</strong> zurück.<br />
195
Im Nachbargrundstück wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em leerstehenden Haus e<strong>in</strong>e Russenfamilie angesiedelt.<br />
Zu ihr gehörten e<strong>in</strong>e junge Frau mit ihren zwei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und e<strong>in</strong>e Oma. Auch junge Russen<br />
mussten als Zwangsarbeiter beim Grafen auf dem Gut arbeiten.<br />
(Später hat es e<strong>in</strong> Dr. Mönch übernommen, <strong>der</strong> genauso wie wir Polen verlassen musste).<br />
Der Kontakt zu ihnen war strengsten verboten. Sie durften auch nicht an e<strong>in</strong>em Tisch mit<br />
an<strong>der</strong>en deutschen Aushilfskräften sitzen.<br />
Me<strong>in</strong>em Schwiegervater tat die junge Russenfamilie leid, und er ließ ihnen heimlich Eier<br />
zukommen, was auch verboten war. Die Eier versteckte er unten am Zaun.<br />
Als dann die Russen kamen, hat me<strong>in</strong> Vater auf dem Dach e<strong>in</strong>e weiße Fahne gehisst. Wir,<br />
me<strong>in</strong>e Schwester und ich, haben uns, so gut es g<strong>in</strong>g, vor ihnen versteckt. Entwe<strong>der</strong><br />
versteckten wir uns auf dem Dachboden, o<strong>der</strong> wenn wir uns doch mal nach draußen trauten,<br />
<strong>in</strong> tiefen Ackerfurchen. Wir hatten Angst, dass sie uns etwas antun.<br />
Der polnische Bürgermeister hat uns nach Kriegsende von unserem Hof geschmissen. Er<br />
erlaubte uns, unser Eigentum, soweit es g<strong>in</strong>g, und unsere zwei Kühe mitzunehmen. Wir<br />
spannten sie vor e<strong>in</strong> Fuhrwerk und los g<strong>in</strong>g es. Die Kühe melkten wir auf offener Straße.<br />
Bei den Mückenberg-Kasernen wurden uns <strong>der</strong> Wagen und das Vieh von den Polen<br />
weggenommen. Ich bekam e<strong>in</strong>en Gewehrkolben <strong>in</strong>s Kreuz, weil ich mir von e<strong>in</strong>em Hof e<strong>in</strong>en<br />
Handwagen holen wollte, wo wir unser Hab und Gut, was uns noch geblieben war,<br />
transportieren konnten.<br />
Der Treck g<strong>in</strong>g dann weiter über die Behelfsbrücke und am Schlachthof vorbei. Weil <strong>Guben</strong><br />
noch unter Beschuss war, g<strong>in</strong>gen wir mit dem Handwagen nach Golßen. Die Dörfler haben<br />
ihre Tore dicht gemacht, vor allem die großen Bauern. Me<strong>in</strong> Mann hat dann von ihnen<br />
verlangt, dass wenigstens die K<strong>in</strong><strong>der</strong> gebadet werden können und sich mal ausschlafen<br />
dürfen. Außerdem verlangte er für uns alle was zu essen.<br />
In Rietz-Neuendorf bei Golßen haben wir uns dann angesiedelt.<br />
Aufgrund se<strong>in</strong>er Be<strong>in</strong>verletzung schulte me<strong>in</strong> Mann zum Zootechniker um. Er musste auf die<br />
Wirtschaften gehen und die Milch prüfen.<br />
Später s<strong>in</strong>d wir dann nach <strong>Guben</strong> zurückgekehrt und haben anfangs mit vier bis fünf<br />
Familien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Mietshaus gewohnt, jede Familie hatte e<strong>in</strong> Zimmer zur Verfügung, wo<br />
gewohnt, gekocht und geschlafen wurde.<br />
196
Es gab doppeltes Gehalt<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Frau Gertrud Köhler<br />
Geboren b<strong>in</strong> ich am 27.03.1915 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>.<br />
Me<strong>in</strong> Vater arbeitete als Schlosser bei <strong>der</strong> Bahn und ab 1924 war er Schlosser <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Hutfabrik W. Wilke. Me<strong>in</strong>e Mutter garnierte Hüte und war als Heimarbeiter<strong>in</strong> ebenfalls dort<br />
angestellt.<br />
1922 wurde ich <strong>in</strong> die Osterbergschule e<strong>in</strong>geschult. Danach erfolgte e<strong>in</strong>e Umschulung <strong>in</strong> die<br />
H<strong>in</strong>denburgschule. Später folgten e<strong>in</strong> Jahr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sandschule und e<strong>in</strong> Jahr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadtschule.<br />
Anschließend war ich zwei Jahre auf <strong>der</strong> Handelsschule. Hier habe ich den Abschluss <strong>der</strong><br />
mittleren Reife erhalten. Das bedeutete, dass ich nach Abschluss <strong>der</strong> mittleren Reife<br />
Kenntnisse <strong>in</strong> Englisch, Stenografie und Schreibmasch<strong>in</strong>e besaß.<br />
Ab dem 10. Lebensjahr war ich Mitglied im Turnvere<strong>in</strong> MTV (Männer-Turnvere<strong>in</strong>). Me<strong>in</strong><br />
Vater war e<strong>in</strong> großer Sportler (R<strong>in</strong>ger). Er hatte viele Auftritte, u.a. auch im Kaisergarten. Da<br />
hat er mich immer mitgenommen. Und weil ich an Sport <strong>in</strong>teressiert war, trat ich dem Vere<strong>in</strong><br />
bei. Ich nahm an vielen Wettkämpfen und Turnfesten teil.<br />
1929 wurde ich e<strong>in</strong>gesegnet.<br />
Me<strong>in</strong>e Lehre begann ich beim Rechtsanwalt Zedner. Das war e<strong>in</strong> Jude. Er besaß e<strong>in</strong>e große<br />
Villa an <strong>der</strong> Himmelsleiter. Mir gefiel es dort recht gut, war er doch e<strong>in</strong> <strong>in</strong>telligenter und<br />
angenehmer Chef. Die Arbeit war sehr <strong>in</strong>teressant und ich bekam sogar Zugang zum Gericht.<br />
Ich durfte die geschriebenen Schriftstücke aufs Gericht br<strong>in</strong>gen, die dort für an<strong>der</strong>e<br />
Rechtsanwälte und Richter h<strong>in</strong>terlegt wurden. Und so erfuhr ich auch von dem Aufsehen<br />
erregenden Prozess mit <strong>der</strong> Giftmischer<strong>in</strong> Ziehm, <strong>der</strong> vor dem <strong>Guben</strong>er Gericht 1931/32<br />
verhandelt wurde. Diese Frau hatte ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> vergiftet. Das Urteil lautete: To<strong>des</strong>strafe durch<br />
Enthauptung. Sie wurde auf dem Gerichtshof enthauptet.<br />
Nach dem 2. Lehrjahr bewarb ich mich heimlich bei <strong>der</strong> Textilfabrik Schemel. Ich wollte<br />
e<strong>in</strong>fach mehr Geld verdienen. Ich machte e<strong>in</strong>e Aufnahmeprüfung und wurde e<strong>in</strong>gestellt.<br />
Mutter und Vater wussten von nichts, umso beruhigter war ich, als sie damit e<strong>in</strong>verstanden<br />
waren, dass ich Rechtsanwalt Zedner verließ. Schließlich bekam ich 176,- RM im Monat, und<br />
das war viel Geld. Rechtsanwalt Zedner wollte mich erst nicht gehen lassen, aber <strong>der</strong> Chef<br />
von <strong>der</strong> Firma Schemel setzte sich für mich e<strong>in</strong> und Zedner gab kle<strong>in</strong> bei, denn er war ja Jude<br />
und die hatten damals schon nicht mehr viel Rechte. Was aus Herrn Zedner später geworden<br />
ist, weiß ich nicht.<br />
So arbeitete ich also von 1933 als Stenotypist<strong>in</strong> bei <strong>der</strong> Firma Schemel. Unter <strong>der</strong> Führung<br />
von Fritz und Hermann Schemel sowie Herrn Sauermann als Prokurist habe ich mir dort viel<br />
Wissen angeeignet. Ich wurde u.a. e<strong>in</strong>gesetzt zum Telefondienst, Abrechnungen <strong>der</strong><br />
Krankenkasse und auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Buchhaltung. Bei <strong>der</strong> IHK legte ich me<strong>in</strong>e Prüfung als<br />
Stenotypist<strong>in</strong> ab.<br />
Von 1935-<strong>1940</strong> war ich bei <strong>der</strong> Firma „Papp-Köhler“. Hier wurde Pappe hergestellt. Ich<br />
musste auch hier viel und schwer arbeiten, aber es hat mir e<strong>in</strong>fach Spaß gemacht. Und ich<br />
wurde gut bezahlt. Es war e<strong>in</strong> angenehmes Arbeiten. Wenn ich z.B. e<strong>in</strong>en Preis beim<br />
Schnellschreiben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stenografie erhielt, an dem ich meistens teilnahm, bekam ich als<br />
Anerkennung das doppelte Gehalt.<br />
1938 habe ich geheiratet und me<strong>in</strong>e erste Tochter bekommen. Mit me<strong>in</strong>em Mann waren wir<br />
im Theater- und Opernr<strong>in</strong>g. Ich war begeisterte Theatergänger<strong>in</strong> und habe mir je<strong>des</strong> Stück<br />
angesehen.<br />
E<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Ereignis war auch die <strong>Guben</strong>er Baumblüte. Von überall s<strong>in</strong>d die Leute mit<br />
Son<strong>der</strong>zügen angereist. Viele Berl<strong>in</strong>er haben die <strong>Guben</strong>er Baumblüte die <strong>der</strong> <strong>in</strong> Wer<strong>der</strong><br />
vorgezogen. Der Tourismus blühte. Ganz <strong>Guben</strong> roch nach gebrannten Mandeln.<br />
197
In den Ferien war ich e<strong>in</strong>mal über „Kraft durch Freude“ an <strong>der</strong> Nordsee. Das war e<strong>in</strong> sehr<br />
schöner Urlaub.<br />
Eigentlich hat man als Bürger von den Kriegsvorbereitungen nichts gemerkt. Schlimm war es<br />
1938 <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Reichskristallnacht“, als alle Scheiben e<strong>in</strong>geschlagen wurden. Das war furchtbar.<br />
Die kaputten Schaufensterscheiben und die vielen Scherben…<br />
Der beste Freund me<strong>in</strong>es Mannes wurde gleich am ersten Tag <strong>des</strong> Kriegsbeg<strong>in</strong>ns zur<br />
Wehrmacht e<strong>in</strong>gezogen und zum Glück hat er diesen auch überlebt. Auch me<strong>in</strong>e Familie ist<br />
von den Folgen <strong>des</strong> Krieges nicht verschont geblieben. Me<strong>in</strong> Mann musste auch <strong>in</strong> den Krieg.<br />
Zum Glück hat er ihn überstanden. Aber er verlor dabei e<strong>in</strong> Be<strong>in</strong>.<br />
Me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> ist gefallen.<br />
198
Er<strong>in</strong>nerungen an die <strong>Zeit</strong> 1933 bis 1945<br />
Von Joachim W<strong>in</strong>kler<br />
Im Jahre 1928 wurde ich <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren. Me<strong>in</strong>e Eltern wohnten mit mir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Cockerill-<br />
Straße, <strong>der</strong> heutigen August-Bebel-Straße. Ich b<strong>in</strong> das e<strong>in</strong>zige K<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>er Eltern.<br />
Im Jahre 1934 wurde ich <strong>in</strong> die Pestalozzischule e<strong>in</strong>geschult. Diese besuchte ich vier Jahre.<br />
Ich war <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Knabenklasse; es gab auch Mädchenklassen, auch „gemischte“ Klassen,<br />
jedenfalls <strong>in</strong> <strong>der</strong> Unterstufe. Vom NS-Regime habe ich bis dah<strong>in</strong> so gut wie nichts<br />
mitbekommen, höchstens, dass wir „Heil Hitler“ sagen mussten. Aber wir haben uns ke<strong>in</strong>e<br />
Gedanken darüber gemacht, das war irgendwie selbstverständlich. Zu Ende <strong>des</strong> vierten<br />
Schuljahres, Ostern 1938, sollten wir Zehnjährigen <strong>in</strong> die Hitlerjugend (Jungvolk)<br />
übernommen werden. Dazu mussten wir e<strong>in</strong>e Ahnentafel bis zu den Urgroßeltern erstellen,<br />
um die deutsche und arische Abstammung nachzuweisen, u. a. dass ke<strong>in</strong>e Juden <strong>in</strong> unserer<br />
Familie waren. Außerdem mussten die To<strong>des</strong>ursachen aller Angehörigen notiert werden, um<br />
daraus erkennen zu können, ob vielleicht Erbkrankheiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie vorhanden waren.<br />
Ab Ostern 1938 g<strong>in</strong>g ich dann zur Oberschule <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>, die nun achtklassig bis zum Abitur<br />
war, nachdem man 1937 das Gymnasium und die Oberrealschule, beide neunklassig,<br />
aufgehoben hatten (Schulreform). In <strong>der</strong> Oberschule musste man natürlich gleich mehr und<br />
<strong>in</strong>tensiver lernen als für die Volksschule. Zum Dienst <strong>in</strong> <strong>der</strong> HJ (zuerst Jungvolk) b<strong>in</strong> ich nur<br />
wi<strong>der</strong>strebend gegangen. Ich habe das <strong>in</strong>nerlich verdammt. Erstens fehlte mir als e<strong>in</strong>em<br />
E<strong>in</strong>zelk<strong>in</strong>d <strong>der</strong> S<strong>in</strong>n für die Geme<strong>in</strong>schaft. Zweitens war für mich dieser vormilitärische Drill,<br />
<strong>der</strong> uns anerzogen werden sollte, wi<strong>der</strong>lich. Ich versuchte mich oft zu drücken, hatte auch<br />
Vorwände, weil ich wegen e<strong>in</strong>es Herzfehlers vom Sport befreit war, aber ganz entziehen<br />
konnte ich mich doch nicht. Es galt ja das Gesetz von <strong>1936</strong>, dass man <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hitlerjugend se<strong>in</strong><br />
musste, sonst hatte man ke<strong>in</strong>en Entwicklungsweg. Das hatte <strong>der</strong> Bannführer Reißer ja auch<br />
gesagt (war Berufsschullehrer): „Wer nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> HJ mitmacht, kann ke<strong>in</strong>en Beruf erlernen.<br />
Er wird ausgegrenzt!“<br />
Es ist erstaunlich, wie viele Jungen, auch Mädchen, damals für die Hitlerjugend begeistert<br />
waren. Es war freilich schon immer Jungenart, sich für militärische D<strong>in</strong>ge frühzeitig zu<br />
<strong>in</strong>teressieren, auch „Krieg“ zu spielen, und nun war auf diesem Wege Gelegenheit gegeben,<br />
im staatlichen Interesse sich hier<strong>in</strong> zu üben. Da liefen o<strong>der</strong> marschierten sie <strong>in</strong> Uniformen,<br />
lernten die Kommandos und da kam es vor, dass schon e<strong>in</strong> Zehn- o<strong>der</strong> Elfjähriger mal das<br />
Kommando übernehmen durfte, was er mit den Worten tat: „Zug 2, Achtung! In drei<br />
Glie<strong>der</strong>n angetreten, marsch, marsch!“. Das muss ihn dann mit Stolz erfüllt haben, und man<br />
muss verstehen, dass viele Jugendliche gerne zum HJ-Dienst g<strong>in</strong>gen und mit dem Herzen<br />
dabei waren.<br />
Es wurden auch Lie<strong>der</strong> gelernt und gesungen, es waren meist Kampflie<strong>der</strong>, wie zum Beispiel:<br />
„Unsre Fahne flattert uns voran, unsere Fahne ist die neue <strong>Zeit</strong>, und die Fahne führt uns <strong>in</strong><br />
die Ewigkeit, ja die Fahne ist mehr als <strong>der</strong> Tod“. O<strong>der</strong>:<br />
„E<strong>in</strong> junges Volk steht auf zum Sturm bereit, reißt die Fahnen höher, Kameraden. Wir fühlen<br />
nahen unsere <strong>Zeit</strong>, die <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> jungen Soldaten“.<br />
Das heißt also, die Jugend, das s<strong>in</strong>d die zukünftigen Soldaten <strong>des</strong> „Führers“. Ich glaube, wohl<br />
ke<strong>in</strong>er hat sich über die Liedtexte Gedanken gemacht und nicht erahnt, dass dar<strong>in</strong> alles<br />
vorgezeichnet ist, was dann zuletzt grausame Wahrheit geworden ist.<br />
Beim „Jungvolk“ wurden zweimal wöchentlich Dienstnachmittage durchgeführt, bei <strong>der</strong> HJ,<br />
den über 14-jährigen, waren es Dienstabende, weil dann alle im Lehrverhältnis standen.<br />
Es fanden manchmal Gelän<strong>des</strong>piele statt, dabei mussten dann zwei Parteien um etwas<br />
kämpfen, z.B. e<strong>in</strong>e Fahne. Das artete immer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Massenprügelei aus. Solches sollte eben<br />
entsprechend <strong>der</strong> Nazi-Ideologie zur „Härte“ erziehen. Die ideologische Erziehung kam nicht<br />
beson<strong>der</strong>s zum Zuge, weil wir Jugendlichen noch nicht dafür reif waren und das nicht<br />
199
aufnahmen. Es wurden Kriegsgeschichten vorgelesen, man sprach über Tugenden wie<br />
Heldentum und Treue. Dazu wurden je<strong>des</strong> Mal Vorbil<strong>der</strong> zitiert, im Krieg waren es dann<br />
Soldaten, die sich ausgezeichnet hatten, Offiziere, Heerführer.<br />
Die Erziehung zur Kameradschaft wurde auch bei an<strong>der</strong>en Betätigungen geübt, so bei Sport<br />
und Spiel. Sportwettkämpfe wurden gemacht o<strong>der</strong> Übungen, manchmal zweimal <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Woche. Das hat den meisten Spaß gemacht. Wan<strong>der</strong>ungen, Fahrten e<strong>in</strong>schließlich<br />
Übernachtungen <strong>in</strong> Jugendherbergen h<strong>in</strong>terließen immer schöne Er<strong>in</strong>nerungen.<br />
Der Besuch kultureller Veranstaltungen wurde „von oben“ organisiert:<br />
so gab es geme<strong>in</strong>same Theaterbesuche (selten) o<strong>der</strong> Filmveranstaltungen. Jugendliche mit<br />
kultureller Betätigung waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Spielschar zusammengefasst. Sie reisten auch umher zu<br />
Auftritten, meist <strong>in</strong> Deutschland, aber auch <strong>in</strong> besetzten Län<strong>der</strong>n wie Tschechoslowakei o<strong>der</strong><br />
Polen, wo sie deutsche Kultur präsentierten.<br />
Neben den vormilitärischen Übungen und Veranstaltungen half die Jugend aber auch beim<br />
Heilkräutersammeln, beim W<strong>in</strong>terhilfsdienst. Die Mädchen mussten für die Soldaten Pakete<br />
packen. Auch geme<strong>in</strong>schaftliches Altstoffsammeln war <strong>des</strong> Öfteren.<br />
Nach <strong>der</strong> Machtergreifung durch Hitler im Jahre 1933 kam es <strong>in</strong> Deutschland zu e<strong>in</strong>er<br />
Erholung und zu e<strong>in</strong>em Aufschwung. Die Zahl <strong>der</strong> Arbeitslosen sank, die Menschen waren<br />
zufriedener und hoffnungsvoller. Das erklärt den Zuspruch und den Zulauf, den die<br />
Nationalsozialisten <strong>in</strong> den folgenden Jahren verbuchen konnten.<br />
Aber das Regime zeigte nach 1933 sogleich se<strong>in</strong> wahres Gesicht: Es setzten alsbald Zwang<br />
und Terror e<strong>in</strong>, um den Machtanspruch <strong>der</strong> Nazis durchzusetzen. Es gab nur noch e<strong>in</strong>e Partei,<br />
die NSDAP, an<strong>der</strong>e wurden verboten. Alle Organisationen und Vere<strong>in</strong>e wurden<br />
gleichgeschaltet, sie verloren ihre Selbstständigkeit und wurden e<strong>in</strong>em staatlichen Verband<br />
unterstellt. Diese „Gleichschaltung“ hat man auf die ganze Gesellschaft übertragen, ebenso<br />
das „Führerpr<strong>in</strong>zip“: Handwerker<strong>in</strong>nungen, Vere<strong>in</strong>e usw. mussten Männer an <strong>der</strong> Spitze<br />
haben, die Mitglied <strong>der</strong> NSDAP waren, und diese waren nicht mehr Leiter son<strong>der</strong>n „Führer“.<br />
So gab es jetzt Betriebsführer, Vere<strong>in</strong>sführer usw. So hatte man alles unter Kontrolle, alles<br />
war <strong>der</strong> Partei ergeben. Auch die Presse war „gleichgeschaltet“, denn sie durfte nur noch<br />
schreiben, was dem Staat genehm war. Bei <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung hatte man allerd<strong>in</strong>gs noch<br />
e<strong>in</strong>en „Hauptschriftleiter“ (Hauptredakteur), aber das war dasselbe.<br />
Sportvere<strong>in</strong>e, wie bürgerliche Vere<strong>in</strong>e, mussten jetzt alle Mitglie<strong>der</strong> im „Reichsbund für<br />
Leibesübungen“ se<strong>in</strong>. Arbeitersportvere<strong>in</strong>e waren verboten und aufgelöst. E<strong>in</strong>ige konnten sich<br />
reorganisieren, wenn sie sich dem Regime anpassten, so gründeten die beiden <strong>Guben</strong>er<br />
Arbeitersportvere<strong>in</strong>e „M<strong>in</strong>erva“ und „Persia“ (Sportplätze Kiekebusch) sich unter dem<br />
Namen VfL (Vere<strong>in</strong> für Leibesübungen) neu im Jahre 1934, mussten aber Mitglied im RfL<br />
se<strong>in</strong>. Die Vere<strong>in</strong>igung „Stahlhelm“, e<strong>in</strong> Bund <strong>der</strong> Weltkriegsteilnehmer, wurde auch<br />
„gleichgeschaltet“, alle waren plötzlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> SA. Selbst <strong>der</strong> Lehrerbund wurde aufgelöst,<br />
dafür <strong>der</strong> „Reichslehrerbund“ gegründet. Alle mussten unterschreiben, dass sie vor den<br />
Klassen nur noch mit „Heil Hitler“ zu grüßen haben.<br />
Es gab nur noch e<strong>in</strong>en Jugendverband, die Hitlerjugend, mit den Unterglie<strong>der</strong>ungen Jungvolk<br />
(10-bis 14-jährige), HJ (14-bis 18-jährige), entsprechend bei den Mädchen, Jungmädel und<br />
Bund deutscher Mädel. Auch hier galt das Führerpr<strong>in</strong>zip.<br />
Was die territoriale E<strong>in</strong>teilung Deutschlands betrifft, so gab es jetzt die ehemaligen Län<strong>der</strong><br />
nicht mehr, son<strong>der</strong>n Gaue (alter germanischer Begriff), wie Ostpreußen, Pommern,<br />
Brandenburg, Schlesien usw.<br />
Nun zu den Lehrern: Lehrer s<strong>in</strong>d ja die Erzieher <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule. Wie haben sie sich<br />
verhalten?<br />
Hier gab es alle Varianten von <strong>der</strong> unbed<strong>in</strong>gten Anpassung über das duldsame Schweigen bis<br />
zum Wi<strong>der</strong>stand. E<strong>in</strong>ige haben sich dem neuen NS-Geist ergeben, beson<strong>der</strong>s jüngere Lehrer,<br />
an<strong>der</strong>e haben sich, um sich <strong>in</strong> dieser Gesellschaft halten zu können und weiter Lehrer zu se<strong>in</strong>,<br />
angepasst, wie z.B. unserer Musiklehrer Kyau, ehemals Freimaurer, <strong>der</strong> nun se<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>stigen<br />
200
Ideale vergessen zu haben schien. Dann e<strong>in</strong>ige, die dagegen waren, aber schwiegen, und<br />
schließlich die, die ihre Haltung gezeigt haben. Das erste Opfer unter den Lehrern war die<br />
jüdische Studienrät<strong>in</strong> Dr. Wertheimer vom Lyzeum. Sie wurde alsbald suspendiert. Studienrat<br />
Mohr von <strong>der</strong> Oberrealschule äußerte sich bei <strong>der</strong> Musterung zur Wehrmacht, dass er wohl<br />
dienen werde, aber nicht mit <strong>der</strong> Waffe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand, er sei Pazifist. Auch er wurde entlassen,<br />
konnte aber im II. Weltkrieg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sanitätskompanie Dienst tun. Für e<strong>in</strong>ige <strong>Zeit</strong> lehrte man<br />
an den Schulen auch das Fach Rassenkunde. Aus me<strong>in</strong>er Schulzeit ist mir bekannt, dass es<br />
dem Fach Biologie zugeschlagen und nur für höchstens e<strong>in</strong>e Unterrichtstunde demonstriert<br />
wurde. Auf Papptafeln waren verschiedene Kopfformen veranschaulicht, u.a. „Ostisch“,<br />
„Westisch“ und „D<strong>in</strong>arisch“, es kam dazu, dass die Schüler sich gegenseitig betrachteten und<br />
sich <strong>in</strong> diese Typisierungen e<strong>in</strong>ordneten und auch Witze darüber machten. Ich nehme an, dass<br />
man aus diesen Gründen von diesen Sachen alsbald Abstand nahm.<br />
Mit dem Nazismus und beson<strong>der</strong>s mit dem Krieg begann für die Bevölkerung e<strong>in</strong>e sehr<br />
schwierige, gefährliche <strong>Zeit</strong>. Man konnte öffentlich nicht mehr die Wahrheit sagen und wie<br />
man über das Geschehen denkt. Und so haben auch die K<strong>in</strong><strong>der</strong> von ihren Eltern nicht die<br />
Wahrheit erfahren, aus Angst, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> würden es leichts<strong>in</strong>nigerweise weitererzählen. Da<br />
haben die Eltern lieber geschwiegen und gesagt, dass alles se<strong>in</strong>e Ordnung hat.<br />
Ich b<strong>in</strong> durch unsere Mieter<strong>in</strong> <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht „aufgeklärt“ worden. Ihr Mann, <strong>der</strong> die<br />
Anfänge <strong>des</strong> Russlandkrieges mitgemacht hat, hatte sich beim Fronturlaub offensichtlich über<br />
verschiedene D<strong>in</strong>ge geäußert, auch darüber, wie die Deutschen gegen die Zivilbevölkerung<br />
vorgehen, dass Kommissare und Juden erschossen würden usw. Das ist ihm zum Verhängnis<br />
geworden, er kam <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Strafe<strong>in</strong>heit und fiel auch alsbald. So wusste auch sie e<strong>in</strong>iges und<br />
erzählte es mir. Ich konnte das zunächst nicht begreifen, ich wollte es nicht glauben. Dann<br />
sagte sie mir, ich solle mir den Atlas vornehmen und mir das kle<strong>in</strong>e Deutschland ansehen und<br />
die großen Län<strong>der</strong> Russland, das Britische Weltreich und die USA, und ob Deutschland gegen<br />
diese Weltmächte bestehen könnte? Und sie brachte mir das Beispiel Napoleon: Er war acht<br />
Jahre Kaiser und begann se<strong>in</strong>en Feldzug gegen Russland. Hitler war ebenfalls acht Jahre<br />
Reichskanzler und fiel <strong>in</strong> Russland e<strong>in</strong>. Und nun sollte ich über dieses Gleichnis nachdenken.<br />
Da wurde mir plötzlich klar, dass dieser Krieg verloren gehen wird.<br />
Die meisten Menschen <strong>in</strong> Deutschland wussten nichts über die Konzentrationslager, jedenfalls<br />
nichts über die durchgeführten Grausamkeiten und das Völkermorden. Darüber durfte nicht<br />
gesprochen werden, das war e<strong>in</strong> Tabu-Thema. Beson<strong>der</strong>s wir Jugendlichen haben dies erst<br />
nach 1945 erfahren.<br />
Zwischenzeitlich habe ich auch bei <strong>der</strong> Feuerwehr-HJ Dienst tun müssen, das hatte mit dem<br />
Luftschutz zu tun. Jugendliche mussten <strong>der</strong> Feuerwehr für den Fall von Luftangriffen als<br />
Helfer zur Verfügung stehen. Und so hatten wir Ausbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Handhabung von<br />
Feuerwehrschläuchen, die an Hydranten anzuschließen waren. Das war e<strong>in</strong>e körperlich<br />
schwere Arbeit. Dann haben sie mich als Mel<strong>der</strong> beim Luftschutz e<strong>in</strong>gesetzt. Ich sollte mich<br />
bei Fliegeralarm stets <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pestalozzischule, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zentrale, melden.<br />
Im September/Oktober 1944 mussten viele 15- bis 17-jährige Jugendliche und auch ältere<br />
Männer zu Schanzarbeiten an den „Ostwall“, westlich von Meseritz. Die Schule fiel aus und<br />
es g<strong>in</strong>g mit dem Zug über Frankfurt/O<strong>der</strong> und Topper. Hier musste die Jugend Wälle und<br />
Gräben ausheben, damit die Sowjetarmee aufgehalten werden sollte. Es war e<strong>in</strong>e schwere,<br />
körperliche Arbeit. Da ich untauglich geschrieben war, wurde ich als Kurierfahrer e<strong>in</strong>gesetzt,<br />
transportierte Lebensmittelpakete <strong>der</strong> Eltern und auch die Post. Das war kriegswichtiger<br />
E<strong>in</strong>satz.<br />
Ab Mitte Oktober 1944 bis zum 24.Januar 1945 war dann wie<strong>der</strong> Schule. In dieser <strong>Zeit</strong><br />
wurde schon <strong>der</strong> so genannte Volkssturm aufgebaut. Alle Männer, die zu dieser <strong>Zeit</strong> aus<br />
irgendwelchen Gründen noch nicht zum E<strong>in</strong>satz gekommen waren, wurden dazu bestimmt.<br />
Viele waren gar nicht ausgebildet, waren dann ohne Waffen o<strong>der</strong> hatten gar ke<strong>in</strong>e Uniform.<br />
201
Als ich 16 ¾ Jahre alt war, wurde ich <strong>in</strong> Crossen für die Wehrmacht gemustert. Ich hatte<br />
Glück, bekam e<strong>in</strong>en Wehrpass mit dem Stempel dar<strong>in</strong>nen „Für 1 Jahr zurückgestellt“. Das<br />
war im Dezember 1944.<br />
Als <strong>der</strong> Frontverlauf immer näher rückte, plante die Reichsführung, auch die Jugend noch<br />
kampfbereit zu machen und zu „verheizen“. Das Bergschlößchen, e<strong>in</strong> altes <strong>Guben</strong>er<br />
Berglokal, wurde als Quartier hergerichtet. Die Ausbildung an den Waffen erfolgte an<br />
an<strong>der</strong>en Stellen <strong>in</strong> und um <strong>Guben</strong>. Es waren beson<strong>der</strong>s ausgesuchte kräftige Jungen, die hier<br />
an Panzerfaust, Gewehren und Masch<strong>in</strong>engewehren ausgebildet wurden, e<strong>in</strong>ige auch als<br />
Panzervernichtungstrupp. Im Januar 1945 durfte ke<strong>in</strong>e männliche Person, außer den Alten, die<br />
Stadt verlassen, dies galt bis zum Geburtsjahrgang 1928. Dieser Zustand wurde dann aber<br />
gelockert, so dass auch Jugendliche noch die Stadt verlassen konnten.<br />
Da ich e<strong>in</strong>en Wehrpass besaß, jedoch zeitlich wehruntauglich war, gelang es mir und me<strong>in</strong>er<br />
Mutter und allen Angehörigen, am 13. Februar 1945 aus <strong>Guben</strong> zu fliehen. Me<strong>in</strong> Vater wurde<br />
bereits 1943 zur Flak e<strong>in</strong>gezogen. Zum Glück hat er überlebt.<br />
Am Bahnhof patrouillierten die „Kettenhunde“ (SS E<strong>in</strong>heit, Red.) und kontrollierten jeden<br />
Bürger, ob er nicht vielleicht unberechtigt das Frontgebiet verließ. Soldaten durften auf<br />
ke<strong>in</strong>en Fall aus <strong>der</strong> Stadt, je<strong>der</strong> musste bei se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heit se<strong>in</strong>. Wir s<strong>in</strong>d dann mit<br />
verschiedenen Zügen bis <strong>in</strong>s Vogtland gekommen. Dort haben wir das Kriegsende erlebt.<br />
Zwei Tage später, am 15.Februar 1945, starben etliche <strong>Guben</strong>er bei <strong>der</strong> Bombardierung <strong>des</strong><br />
Bahnhofes Cottbus.<br />
202
Vom Landleben hatte ich die Nase voll<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Frau Kochann<br />
Ich stamme eigentlich aus Mittwalde. Dort b<strong>in</strong> ich am 4.1.1918 geboren.<br />
Me<strong>in</strong>e Eltern hatten e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Landwirtschaft. Vater und Mutter bearbeiteten diese und um<br />
die große Familie zu ernähren, g<strong>in</strong>g er auch noch zu Herrn Heimann aufs Gut nach Ste<strong>in</strong>bach<br />
arbeiten. Das war e<strong>in</strong> Jude. Ich hatte noch acht Geschwister und da musste man schon<br />
ranklotzen, um alle „Mäuler“ satt zu bekommen. Me<strong>in</strong>e Brü<strong>der</strong>, fünf an <strong>der</strong> Zahl, lernten alle<br />
e<strong>in</strong>en „anständigen“ Beruf. Wir Mädchen nicht, denn me<strong>in</strong> Vater war <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung, dass die<br />
Mädchen sich e<strong>in</strong>en Mann suchen sollen, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Beruf hat und dann die neu gegründete<br />
Familie ernähren könne.<br />
Ich war ke<strong>in</strong> Mitglied im BDM. Dort waren nur die Töchter <strong>der</strong> Großbauern vertreten. Uns<br />
„kle<strong>in</strong>e“ <strong>in</strong>teressierte das auch nicht und die Bauerntöchter wollten mit uns auch nichts weiter<br />
zu tun haben.<br />
Mit 17 Jahren hatte ich die Nase vom Landleben voll. Mir gefiel es dort nicht mehr und ich<br />
wollte weg, <strong>in</strong> die Stadt. Das g<strong>in</strong>g aber nicht so ohne weiteres, vom Land <strong>in</strong> die Stadt<br />
überzusiedeln. Und so erhielt ich den Tipp, e<strong>in</strong>e Annonce <strong>in</strong> die <strong>Zeit</strong>ung zu setzen.<br />
„Mädchen sucht Familie zur Durchführung ihres Pflichtjahres“.<br />
Ich hatte Glück und bekam 1935 e<strong>in</strong>e Anstellung beim Taubstummen-Oberlehrer Herrn<br />
Knabe und se<strong>in</strong>er Frau. Das waren zwei alte Leutchen. Ich wurde als Hausangestellte<br />
e<strong>in</strong>gestellt. Und weil es mir dort gefiel, blieb ich anstatt e<strong>in</strong> Jahr sogar drei Jahre. Als<br />
Monatslohn bekam ich 30,00 Reichsmark und hatte Verpflegung und Unterkunft frei. Herrn<br />
Knabe musste ich immer mit „Herr“ anreden – z.B. „Der Herr möchte bitte zum Essen<br />
kommen“ und Frau Knabe immer mit „gnädige Frau“ – <strong>in</strong> <strong>der</strong> 3. Person.<br />
Und da ich jung war und auch mal was erleben und mehr Geld verdienen wollte, begann ich<br />
1938 <strong>in</strong> den „Kirchner & Stachel We<strong>in</strong>stuben“ als Verkäufer<strong>in</strong>. Das war e<strong>in</strong> Spezialgeschäft<br />
für We<strong>in</strong>e- und Spirituosen. Hier kauften fast nur die fe<strong>in</strong>en Leute und die Geschäftswelt von<br />
<strong>Guben</strong> e<strong>in</strong>. Das Geschäft g<strong>in</strong>g gut. Es belieferte sogar die Gaststätten im Umkreise von<br />
<strong>Guben</strong>. Die Chef<strong>in</strong>, Frau Stachel kümmerte sich um die Geschäftsvorgänge <strong>in</strong>nerhalb <strong>des</strong><br />
Ladens und <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>en Gaststätte und Herr Stachel, e<strong>in</strong> gelernter Destillateur, <strong>der</strong> die Liköre<br />
selber brennen durfte, war für den Absatz und für die Belieferung im Außendienst zuständig.<br />
Auf den Flaschenhälsen war zu lesen:<br />
„Wie <strong>Guben</strong> als Lausitz <strong>der</strong> Hüte bekannt,<br />
b<strong>in</strong> ich als Perle <strong>der</strong> Liköre bekannt.“<br />
Hier lernte ich auch me<strong>in</strong>en Mann kennen, den ich <strong>1940</strong> heiratete. Er war Kraftfahrer und<br />
Mitarbeiter vom Chef.<br />
In <strong>der</strong> Jugend g<strong>in</strong>gen wir oft tanzen und waren oft im Gesellschaftshaus und im<br />
Bergschlößchen anzutreffen. Das waren gut bürgerliche Gaststätten. Aber es gab ja noch<br />
viele, viele mehr, wo wir junge Leute uns vergnügen konnten.<br />
Auch <strong>in</strong>s Theater und <strong>in</strong>s K<strong>in</strong>o b<strong>in</strong> ich oft gegangen.<br />
Wenn es me<strong>in</strong>e <strong>Zeit</strong> erlaubt hat, dann habe ich auch sehr gerne Schaufensterbummel durch<br />
<strong>Guben</strong> unternommen, z.B. <strong>in</strong> <strong>der</strong> Königsstraße, das war die schönste Straße von <strong>Guben</strong>. Hier<br />
reihte sich e<strong>in</strong> Geschäft ans an<strong>der</strong>e. Es gab auch viele kle<strong>in</strong>e gemütliche Cafes.<br />
1935 wurde die Straßenbahn abgeschafft. Da b<strong>in</strong> ich bei <strong>der</strong> letzten Fahrt noch e<strong>in</strong>mal<br />
mitgefahren.<br />
Als <strong>der</strong> Krieg ausbrach, begann für uns alle e<strong>in</strong>e schwere <strong>Zeit</strong>, die schwerste me<strong>in</strong>es Lebens.<br />
<strong>1940</strong> wurde me<strong>in</strong> Mann e<strong>in</strong>gezogen und auch Herr Stachel, me<strong>in</strong> Chef. Da mussten wir mit<br />
Frau Stachel die Geschäfte alle<strong>in</strong>e führen, das hieß, auch die körperlich sehr schwere Arbeit<br />
203
alle<strong>in</strong> bewältigen. In dem Jahr wurde auch me<strong>in</strong> Sohn Horst geboren. Die Babyzeit konnte ich<br />
als junge Mutter gar nicht richtig genießen, denn es hieß nur immer arbeiten, arbeiten.<br />
Horst wurde <strong>in</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>wagen o<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Waschzober gelegt bzw. gesetzt und mitten <strong>in</strong><br />
die Küche gestellt, abgefüttert, gew<strong>in</strong>delt und dann g<strong>in</strong>g es sofort weiter an die Arbeit. Aber<br />
me<strong>in</strong>e Chef<strong>in</strong> hat mich dabei gut unterstützt. Waren wir doch auf uns gegenseitig angewiesen.<br />
Als ich 1943 unseren zweiten Sohn Klaus bekam, g<strong>in</strong>g ich <strong>in</strong>s Dorf zu me<strong>in</strong>en Eltern zurück.<br />
Denn mit zwei kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n alle<strong>in</strong> im Krieg, das g<strong>in</strong>g nicht, dazu waren die <strong>Zeit</strong>en zu<br />
unruhig, mit Luftangriffen etc. Auf dem Dorf war es doch ruhiger und wir hatten immer zu<br />
essen.<br />
Am 31.1.1945 mussten wir dann unser Dorf verlassen. Der Russe ist durch den Ostwall<br />
gebrochen und stand schon mit Panzern im Dorf. Ich und me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d mit e<strong>in</strong>em<br />
Soldatenauto mitgefahren. Me<strong>in</strong>e Schwestern wollten bei Eiseskälte und hohem Schnee mit<br />
dem Pferdewagen das Dorf verlassen. Sie s<strong>in</strong>d aber nicht weit gekommen, dann blieben sie<br />
stecken und mussten wie<strong>der</strong> zurück. Im Juni/Juli 1945 s<strong>in</strong>d sie dann aus dem Dorf. Der Pole<br />
hat sie rausgeschmissen.<br />
Am 12. Februar 1945 mussten wir aus <strong>Guben</strong> endgültig flüchten. Unser Gepäck bestand aus<br />
e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong><strong>der</strong>wagen und e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Wagen, <strong>der</strong> mit Essen und notdürftigen Sachen<br />
bestückt war. Me<strong>in</strong>e Wohnung wurde von fünf deutschen Soldaten besetzt, die zu e<strong>in</strong>er<br />
Nachrichtentruppe gehörten. Sie gaben uns noch Schutz bis zum Bahnhof, weil ja <strong>Guben</strong><br />
schon beschossen wurde. Denn hier war ja richtig Krieg. Die Front lag ja hier sechs Wochen<br />
lang. Deshalb wurde ja alles zerstört.<br />
Mit dem Zug s<strong>in</strong>d wir dann bis nach Briesen gekommen, das liegt bei Brand / Halbe. Wir<br />
mussten dort die größte Materialschlacht miterleben. Sogar die so genannte „Stal<strong>in</strong>orgel“<br />
wurde e<strong>in</strong>gesetzt.<br />
Irgendwie hatten wir Glück und s<strong>in</strong>d „ungeschoren“ davongekommen und konnten mit dem<br />
Zug nach Cottbus. Von dort s<strong>in</strong>d wir im Juli 1945 unter vielen Umständen zu Fuß mit zwei<br />
kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n bis nach <strong>Guben</strong> gelaufen. Ich konnte sogar zurück <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e alte Wohnung<br />
am Cottbuser Platz.<br />
Me<strong>in</strong> Mann hat den Krieg zwar überlebt, ist noch von Russland nach Frankfurt/O<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
Internierungslager und nach Hause gekommen. Nach e<strong>in</strong>em Vierteljahr ist er aber lei<strong>der</strong> an<br />
den Kriegsfolgen verstorben. Den im Krieg geborenen zweiten Sohn Klaus hat er wenigstens<br />
noch kennen gelernt.<br />
Der Krieg hat uns unsere kle<strong>in</strong>e Familie, die eigentlich erst e<strong>in</strong>e werden sollte, wenn wir alle<br />
wie<strong>der</strong> zusammen s<strong>in</strong>d, ebenfalls zerstört.<br />
204
Ich bekam e<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong><br />
Er<strong>in</strong>nerungen von Brigitte Prengemann<br />
Ich b<strong>in</strong> am 15.9.1930 <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> geboren. Me<strong>in</strong>e Eltern und ich wohnten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frankfurter<br />
Straße, später dann, ab 1937 s<strong>in</strong>d wir auf die östliche Seite <strong>der</strong> Neiße <strong>in</strong> die so genannte<br />
Neustadt verzogen. Unsere Wohnung befand sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Mietshaus.<br />
Vater war Messerschmiedemeister bei <strong>der</strong> Firma C. W. Siegnitz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Königstraße. Als <strong>der</strong><br />
Krieg ausbrach, brauchte er nicht zur Armee, er war freigestellt (U.K.gestellt), weil er e<strong>in</strong>em<br />
Betrieb angehörte, <strong>der</strong> für die schwerstverwundeten Soldaten künstliche Be<strong>in</strong>- und<br />
Armprothesen anfertigte.<br />
Mutter arbeitete zu Hause, als Heimarbeiter<strong>in</strong>. Sie fertigte für Schnei<strong>der</strong>werkstätten die<br />
dazugehörigen „Knopflöcher“ für zu nähenden Kleidungsstücke an.<br />
Me<strong>in</strong>e Eltern waren parteilos und gegen den Krieg. Ab und zu hörten sie mit unserem<br />
„Volksempfänger“ BBC London. Da das Hören dieser ausländischen Sen<strong>der</strong> strengstens und<br />
bei Strafe verboten war, benutzten sie meistens Köpfhörer.<br />
Eigentlich kann ich sagen, ich hatte e<strong>in</strong>e schöne K<strong>in</strong>dheit. <strong>Guben</strong> war e<strong>in</strong>e schöne Stadt und<br />
man konnte viel unternehmen. Auch mit dem Fahrrad waren wir viel unterwegs und genossen<br />
die herrliche Umgebung von <strong>Guben</strong>.<br />
E<strong>in</strong>geschult wurde ich 1937 <strong>in</strong> die Klosterschule, die ich bis 1941 besuchte. Die Klassenstärke<br />
betrug 48 Schüler und Schüler<strong>in</strong>nen. Me<strong>in</strong>e Lehrer waren Fräule<strong>in</strong> Ebersbach und Herr<br />
R<strong>in</strong>gelhahn, als me<strong>in</strong> Klassenlehrer. Herr R<strong>in</strong>gelhahn war, bevor er 1939/40 <strong>in</strong> die<br />
Klosterschule kam, an <strong>der</strong> katholischen Schule <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulstraße tätig. Sie wurde<br />
geschlossen. An me<strong>in</strong>em 9. Geburtstag kam e<strong>in</strong> Mädchen aus Albert<strong>in</strong>aue neu <strong>in</strong> unsere<br />
Klasse. Sie kam von e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>klassenschule aus Markersdorf. Da sie später e<strong>in</strong>mal aufs<br />
Lyzeum wollte, musste sie e<strong>in</strong>e richtige Grundschule besuchen. Dieses Mädchen wurde me<strong>in</strong>e<br />
Banknachbar<strong>in</strong>. Und Fräule<strong>in</strong> Ebersbach sagte zu mir:<br />
„Ich schenke Dir heute zum Geburtstag e<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong>“. Diese Worte haben unsere<br />
Freundschaft bis zum heutigen Tage begleitet.<br />
Wie so viele bedeutende Gebäude wurde auch die Klosterschule <strong>in</strong> den letzten Kriegstagen<br />
noch Opfer <strong>der</strong> Flammen. Sie brannte vollständig ab. Nur die Mauer <strong>der</strong> Turnhalle steht heute<br />
noch unmittelbar an <strong>der</strong> Klosterkirche. Kurios ist, es gibt von dieser Schule ke<strong>in</strong> Bild mehr.<br />
1941 wurde ich dann geme<strong>in</strong>sam mit me<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Lyzeum umgeschult. Das war e<strong>in</strong>e<br />
re<strong>in</strong>e Mädchenschule mit ca. 320 Schüler<strong>in</strong>nen. Eigentlich war diese Schule nur für K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
gedacht, <strong>der</strong>en Eltern f<strong>in</strong>anziell besser bemittelt waren. Zwanzig Reichsmark pro Monat<br />
Schulgeld zuzüglich Büchergeld mussten die Eltern für ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> bezahlen. E<strong>in</strong>e weitere<br />
Voraussetzung war das Tragen gut bürgerlicher Kleidung. Voraussetzung war aber das<br />
Bestehen e<strong>in</strong>er Aufnahmeprüfung. Alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> mussten zuvor vier Jahre lang e<strong>in</strong>e<br />
Grundschule besuchen. Dabei bestand die Möglichkeit für überdurchschnittlich Begabte e<strong>in</strong>e<br />
Son<strong>der</strong>prüfung abzulegen und somit e<strong>in</strong>e Freistellung vom Schulgeld zu erwerben. Und eben<br />
auf diese Weise b<strong>in</strong> ich 1941 <strong>in</strong> dieser Schule aufgenommen worden, denn me<strong>in</strong>e Eltern<br />
waren nur e<strong>in</strong>fache Arbeiter und hätten das Schulgeld für mich zusätzlich nicht aufbr<strong>in</strong>gen<br />
können, zumal 1941 me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> geboren wurde und sich die Familie somit vergrößerte.<br />
Aus sechs Grundschulen kamen im Alter von zehn Jahren alle guten Schüler zusammen. Wir<br />
waren damals über 30 Schüler<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse und es begann untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> e<strong>in</strong> harter<br />
Leistungswettbewerb. Zu dieser <strong>Zeit</strong> tobte bereits <strong>der</strong> 2. Weltkrieg und das machte sich auch<br />
beim Lehrerpotential bemerkbar. E<strong>in</strong>ige Lehrer waren zu diesem <strong>Zeit</strong>punkt bereits<br />
e<strong>in</strong>gezogen. Die Lehrer<strong>in</strong>nen waren fast alle unverheiratete Frauen und <strong>in</strong> den moralischen<br />
und ethischen Ansichten sehr streng. So musste <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule alles sehr sittsam und ruhig<br />
205
zugehen. Lautes Auftreten, Lärmen <strong>in</strong> den Gängen o<strong>der</strong> Herumtollen wurde mit Tadeln im<br />
Klassenbuch bestraft und führte zu schlechten Betragensnoten. Wir als erste Klasse verhielten<br />
uns <strong>des</strong>halb ruhig und versuchten fleißig zu lernen. (Beispielgebend hierfür waren<br />
Studienrät<strong>in</strong> Ste<strong>in</strong>berg, heimlich von uns „Moppel“ genannt, und Oberlyzeallehrer<strong>in</strong><br />
Herrmann). Üblich war auch, dass jeden Montag zum Fahnenappell angetreten werden musste<br />
und wir dann zu Beg<strong>in</strong>n immer das „Deutschlandlied“ sowie das „Horst Wessel Lied“ sangen.<br />
Studienrat Kunze, e<strong>in</strong> „Erz-Nazi“ kam stets <strong>in</strong> Uniform zum Unterricht. Er grüßte immer mit<br />
dem „Hitler-Gruß“.<br />
Es wurden uns Grundkenntnisse <strong>in</strong> Mathematik, Biologie, Geografie, <strong>der</strong> englischen Sprache<br />
und vieles an<strong>der</strong>e vermittelt. Auf <strong>der</strong> Schule selbst konnte man nur das Abitur <strong>in</strong><br />
Hauswirtschaft erwerben, das für das Studium im wissenschaftlichen Bereich nicht anerkannt<br />
wurde. Es gab auch e<strong>in</strong>e Lehrküche sowie Räume zum Erlernen <strong>der</strong> Säugl<strong>in</strong>gspflege. Den<br />
Kochunterricht besuchten nur die höheren Klassen und dann am Nachmittag, damit sich ke<strong>in</strong><br />
Essensgeruch im Haus verbreiten konnte. Was gekocht wurde, musste dann auch von den<br />
Schüler<strong>in</strong>nen „ausgelöffelt“ werden. Viele Zutaten gab es ohneh<strong>in</strong> nicht, da ja bereits schon<br />
alles rationiert war und es Lebensmittelkarten gab.<br />
Für uns alle wurde auch Handarbeitsunterricht erteilt. Da wurde gehäkelt, gestrickt und<br />
gestickt. Auch habe ich nähen gelernt und habe die Handhabung <strong>der</strong> mechanischen<br />
Nähmasch<strong>in</strong>e erlernt. Wir hatten e<strong>in</strong>e prima Gesangslehrer<strong>in</strong>. Sie hat e<strong>in</strong> Schulorchester und<br />
e<strong>in</strong>en Chor aufgebaut, <strong>der</strong> sich wirklich sehen und hören lassen konnte. Unter uns<br />
Schüler<strong>in</strong>nen waren auch echte Gesangsgenies. E<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> startete später e<strong>in</strong>e Karriere als<br />
Opernsänger<strong>in</strong>. Diese Schulzeit gehört eigentlich zu me<strong>in</strong>en schönsten Er<strong>in</strong>nerungen, aber<br />
lei<strong>der</strong> war dann alles ganz schnell vorbei…<br />
Ende <strong>des</strong> Jahres 1942 kam <strong>der</strong> Räumungsbefehl. Die Schule wurde dr<strong>in</strong>gend als Lazarett für<br />
die Kriegsopfer benötigt. Was dann kam, war nur noch e<strong>in</strong> kriegsbed<strong>in</strong>gtes Provisorium. Wir<br />
haben zwei Wochen lang die Schule ausgeräumt. Landkarten, Bücher, Unterlagen,<br />
Reagenzgläser wurden <strong>in</strong> die Oberschule für Jungen zur Neustadt gebracht. (ehemaliges<br />
Gymnasium) Der Unterricht fand dann <strong>in</strong> zwei Schichten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> von 8.00 bis 13.00 Uhr<br />
o<strong>der</strong> von 13.30 bis 18.30 Uhr statt. Das Lyzeum wurde zum Krankenhaus umfunktioniert. Ich<br />
selbst habe die Schule nicht mehr betreten, weiß aber, dass die Aula und viele an<strong>der</strong>e Räume<br />
mit verwundeten Soldaten belegt waren.<br />
Zu erwähnen ist noch, dass ich mit zehn Jahren Mitglied <strong>der</strong> Jungmädelschaft geworden b<strong>in</strong>.<br />
Aber erst nach e<strong>in</strong>jähriger Mitgliedschaft bekamen wir alle den „Schlips“ und den „Knoten“.<br />
Der Schlips bestand aus e<strong>in</strong>em schwarzen Halstuch und <strong>der</strong> Knoten aus braunem Le<strong>der</strong>.<br />
Obwohl wir diese Ausstattung selbst käuflich erwerben mussten, waren wir doch alle stolz<br />
darauf. In <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> von 1942/1943 war ich Jungmädelführer<strong>in</strong>-Anwartschaft. 1944 wurden wir<br />
dann alle <strong>in</strong> den Jungmädelbund aufgenommen. Hier war ich zur Schaftführer<strong>in</strong>, das ist die<br />
unterste Stufe <strong>der</strong> Jungmädel, ernannt worden.<br />
E<strong>in</strong>mal pro Woche hieß es dann zum „Dienst“ gehen. Dort vergnügten wir uns mit Spielen, ab<br />
und zu wurde auch marschiert und das alles unter dem Motto „Für Führer, Volk und<br />
Vaterland“. Aber so ernst haben wir das alles nicht gesehen, wir waren ja schließlich noch<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>! So er<strong>in</strong>nere ich mich noch, dass wir zu Hitlers 50. Geburtstag alle auf den<br />
H<strong>in</strong>denburgplatz mit wehenden Fahnen aufmarschiert s<strong>in</strong>d.<br />
Auch s<strong>in</strong>d wir öfters an unseren freien Nachmittagen mit dem Fahrrad <strong>in</strong> das<br />
Heeresverpflegungslager <strong>in</strong> die Moltkekaserne gefahren. Dort wurde Zwieback <strong>in</strong> großen<br />
Fladen gebacken. Diesen zerbrachen wir <strong>in</strong> Stücke und füllten damit u.a. die<br />
Verpflegungsbeutel <strong>der</strong> Soldaten. Die Beutel dienten den Soldaten als „eiserne“ Ration. Das<br />
206
war für uns Mädchen immer e<strong>in</strong>e sehr lustige <strong>Zeit</strong>, weil wir neben dieser Tätigkeit auch Späße<br />
machten und Lie<strong>der</strong> sangen.<br />
Von <strong>der</strong> HJ organisiert, fuhren wir auch öfters <strong>in</strong> die Jugendherberge nach Schiedlo. Mit dem<br />
Zug g<strong>in</strong>g es bis nach Wellmitz und von dort aus mussten wir noch e<strong>in</strong>ige Kilometer per<br />
„Pe<strong>des</strong>“ mit unseren schweren Rucksäcken bewältigen. Selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen <strong>Zeit</strong> denken wir<br />
noch gern an unsere Erlebnisse zurück.<br />
Im Sommer verbrachten wir auch unsere Freizeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Flußbadeanstalt an <strong>der</strong> Neiße. Neben<br />
dem Herumtollen haben wir dort auch schwimmen gelernt.<br />
Auch waren wir Jungmädel alle im HJ-Theaterr<strong>in</strong>g. Wir trugen bei jedem Theaterbesuch<br />
immer die Uniform und sahen dar<strong>in</strong> recht schneidig aus. So besuchte ich z.B. das<br />
Theaterstück „Frie<strong>der</strong>icke“ und auch das Trauerspiel „Uta von Naumburg“, <strong>in</strong> dem es um<br />
Hexenverbrennung g<strong>in</strong>g. Wenn während <strong>des</strong> Theaterstückes plötzlich Fliegeralarm ausgelöst<br />
wurde, erfolgte sofort <strong>der</strong> Abbruch <strong>der</strong> Vorführung. Dann mussten die Besucher alle <strong>in</strong> den<br />
Luftschutzkeller <strong>des</strong> Theaters. E<strong>in</strong>mal wollte ich aber nicht dorth<strong>in</strong> und habe mich auf den<br />
Heimweg begeben. Da griff mich die Polizei auf und ich sollte mitgehen. Ich konnte die<br />
Polizeibeamten jedoch überzeugen, mich gehen zu lassen, da ich ja nur noch um die Ecke<br />
brauchte. Dann wäre ich zu Hause. Und so hatte ich Glück und durfte schnell nach Hause<br />
flitzen.<br />
Herbstzeit, das war auch Erntezeit. Dann wurden wir meistens von <strong>Guben</strong> mit dem Traktor,<br />
mit Hänger, abgeholt und es g<strong>in</strong>g aufs Land <strong>in</strong> Richtung Bärenklau o<strong>der</strong> zum Anto<strong>in</strong>ettenhof<br />
zum Kartoffellesen. Auf dem Gut haben wir immer leckere Schmalzstullen bekommen. Aber<br />
erst wurde gearbeitet. Der Verwalter vom Gut <strong>in</strong> Bärenklau war auch mit auf dem Feld<br />
gewesen. Er g<strong>in</strong>g immer mit dem Stock <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand umher und beobachtete unsere<br />
„Lesetechnik“. Mit dem Stock stöberte er die liegen gebliebenen Kartoffeln auf. Dann rief er<br />
immer: „sauber lesen, sauber lesen, sauber lesen!“ Nichts durfte liegen bleiben und<br />
verkommen. Pro Korb Kartoffeln haben wir zwei Pfennige bekommen. So haben wir uns<br />
noch etwas Geld verdient. Neben Kartoffel lesen waren wir aber auch beim „Flachs raufen“<br />
im E<strong>in</strong>satz. Hier mussten wir den Flachs mit <strong>der</strong> Hand aus <strong>der</strong> Erde ziehen. Das war ke<strong>in</strong>e so<br />
angenehme Arbeit. Bei den W<strong>in</strong>zern, die Gemüse anbauten, wurden große Fel<strong>der</strong> mit<br />
Tomaten ausgegeizt, d.h., die schnell wachsenden Seitentriebe <strong>der</strong> Tomatenpflanzen wurden<br />
ausgebrochen.<br />
Im Jahre 1944 erhielt me<strong>in</strong>e Mutter e<strong>in</strong>en Wehrmachtsauftrag. Sie musste Knopflöcher <strong>in</strong><br />
Strumpfbän<strong>der</strong> stanzen. Die Strumpfbän<strong>der</strong>, gefertigt von <strong>der</strong> Strumpffabrik Happke, wurden<br />
auf Rollen geliefert. Das waren straffe, starre Textilbän<strong>der</strong>, die als Strumpfbän<strong>der</strong> für die<br />
Gebirgsjäger benötigt wurden. Da tausende solcher Rollen bearbeitet werden mussten, hieß<br />
das, Bän<strong>der</strong> ausmessen, anzeichnen, abschneiden, Knopflöcher machen und bearbeiten. Es<br />
wurde die ganze Familie mit e<strong>in</strong>bezogen. Dank me<strong>in</strong>es Vaters, <strong>der</strong> die mechanische<br />
Knopflochmasch<strong>in</strong>e mo<strong>der</strong>nisierte und e<strong>in</strong>e elektrische daraus machte, entstand so e<strong>in</strong><br />
Knopfloch b<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>ute. Mit diesem Arbeitsauftrag hat me<strong>in</strong>e Mutter gutes Geld<br />
verdient.<br />
Wie bereits erwähnt, wurden auch während <strong>des</strong> Krieges die Lebensmittel rationiert. Es gab<br />
Lebensmittelkarten für Brot, Eier, Fleisch, Milchprodukte und ab und zu auch mal<br />
Kakaopulver. Pro Person bekam man täglich 1/8 Liter Milch zugeteilt. Klei<strong>der</strong>karten<br />
bekamen wir auch. Das waren die so genannten Punktekarten. Da zu Ostern 1945 me<strong>in</strong>e<br />
Konfirmation erfolgen sollte, sammelte me<strong>in</strong>e Mutter die Punkte, für die Bekleidung. Aber<br />
daraus wurde dann ja nichts, weil wir am 19. Februar 1945 mit dem letzten Bus die Stadt<br />
207
verlassen mussten, da <strong>Guben</strong> kurz vor dem Beschuss stand. Dabei ist auch das Wohnhaus, <strong>in</strong><br />
dem wir wohnten getroffen und ausgebrannt.<br />
Wie hart und gefährlich die <strong>Zeit</strong>en unter <strong>der</strong> Naziherrschaft waren, habe ich wie folgt <strong>in</strong><br />
Er<strong>in</strong>nerung:<br />
Die Mutter me<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong>, wohnhaft <strong>in</strong> Albert<strong>in</strong>aue, und Besitzer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Gutes erhielt öfter<br />
Besuch von e<strong>in</strong>er guten Bekannten aus Berl<strong>in</strong>. Während ihres Aufenthaltes auf dem Gut<br />
arbeitete diese u.a. als Schnei<strong>der</strong><strong>in</strong>. Für die ausgeführten Tätigkeiten verlangte sie aber ke<strong>in</strong><br />
Geld, son<strong>der</strong>n sie ließ sich <strong>in</strong> „Naturalien“ ihre Arbeit bezahlen, d.h., <strong>in</strong> Kartoffeln, Fleisch,<br />
Eier, Gemüse etc.<br />
Und warum? Weil sie e<strong>in</strong>en Mann hatte, <strong>der</strong> Jude war, <strong>der</strong> sich verstecken musste, um sich<br />
vor den Fängen <strong>der</strong> Nazis zu schützen. Da die Frau ja nur Anspruch auf e<strong>in</strong>e<br />
Lebensmittelkarte für sich hatte, konnten zwei Personen davon nicht leben und so war sie<br />
gezwungen, sich auf an<strong>der</strong>e Art und Weise etwas zu Essen zu besorgen.<br />
Mit viel Mut und Kampfesgeist überstanden diese Frau und auch ihr Mann die Schrecken <strong>des</strong><br />
Krieges und erlebten das Kriegsende.<br />
208
„Fabrik kommt nicht <strong>in</strong> Frage“<br />
E<strong>in</strong>e <strong>Zeit</strong>zeug<strong>in</strong> erzählt<br />
Ich wurde am 2. November 1911 <strong>in</strong> Groß Breesen geboren. Als ich acht Jahre alt war, s<strong>in</strong>d<br />
wir <strong>in</strong> die Stadt gezogen. Vater war Bahnbeamter, Mutti Hausfrau. Ich hatte noch drei Brü<strong>der</strong><br />
und später kam noch e<strong>in</strong>e Schwester dazu. Wir haben auf dem Bahnhof gewohnt.<br />
Ich b<strong>in</strong> erst <strong>in</strong> Groß Breesen <strong>in</strong> die Schule gegangen und später <strong>in</strong> die Stadtschule. Vater<br />
wollte Lehrer werden, es g<strong>in</strong>g aber nicht, weil se<strong>in</strong> Vater starb. Da ke<strong>in</strong> Ausbildungsgeld<br />
vorhanden war, g<strong>in</strong>g er zur Bahn.<br />
Mit 14 Jahren b<strong>in</strong> ich aus <strong>der</strong> Schule gekommen. Dann sollte ich e<strong>in</strong> Jahr auf Anordnung<br />
me<strong>in</strong>es Vaters zu Hause bleiben und me<strong>in</strong>e kranke Mutter unterstützen.<br />
Weil ich neugierig war, wie Stoff entsteht, b<strong>in</strong> ich mit drei Mitschüler<strong>in</strong>nen zu Lehmann’s<br />
Wwe. & Sohn gegangen. Wir wollten fragen, ob sie Mädchen e<strong>in</strong>stellen. Mich haben sie von<br />
heue auf morgen e<strong>in</strong>gestellt. Als ich das me<strong>in</strong>er Mutti erzählte, war sie nicht begeistert. „Oh<br />
Gott“, <strong>in</strong> die Fabrik. Sie musste mir helfen, Vati zu überzeugen. Me<strong>in</strong> Vater wollte nicht, dass<br />
ich <strong>in</strong> die Fabrik gehe. Für ihn als Beamter kam das nicht <strong>in</strong> Frage, dass se<strong>in</strong>e Tochter <strong>in</strong> die<br />
Fabrik geht. Vati: „Fabrik kommt nicht <strong>in</strong> Frage“. Für ihn musste e<strong>in</strong> Mädchen im Haushalt<br />
fit se<strong>in</strong>.<br />
Schließlich habe ich doch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fabrik angefangen. Das Garnlager war me<strong>in</strong>e erste Abteilung<br />
und dann b<strong>in</strong> ich alle Abteilungen durchgegangen. Gerne habe ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Spulerei gearbeitet.<br />
Me<strong>in</strong> Meister war sehr zufrieden mit mir, weil ich alles schnell und gut gemacht habe.<br />
Durch Zufall kam ich <strong>in</strong> die Näherei, schaute e<strong>in</strong>er Näher<strong>in</strong> zu und stellte fest, dass das e<strong>in</strong>e<br />
schöne, aber auch e<strong>in</strong>e schwierige Arbeit war. Ich wollte aber trotzdem den Beruf als Näher<strong>in</strong><br />
erlernen. 1926 habe ich für e<strong>in</strong> viertel Jahr die Lehrzeit als Ausnäher<strong>in</strong> angefangen, die me<strong>in</strong>e<br />
Eltern aber bezahlen mussten. Me<strong>in</strong>e schnelle Auffassungsgabe kam mir dabei zu Hilfe, so<br />
dass ich schon nach 14 Tagen <strong>in</strong> die Näherei kam, wofür ich aber ke<strong>in</strong> Geld bekam. Das<br />
Nähen hat mir riesigen Spaß bereitet.<br />
Mit 18 Jahren b<strong>in</strong> ich mit Schwierigkeiten von Lehmann’s Wwe. & Sohn weggekommen. Ich<br />
wollte zu Huschke, weil die die besseren und anspruchsvolleren Stoffe hatten als Lehmann’s<br />
und ich <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung war, das ich dort mehr lerne.<br />
Vater war auf <strong>der</strong> Bahn u.a. mit dem Export von Tuchen beschäftigt. Bei e<strong>in</strong>er<br />
Dienstbesprechung zwischen dem Fabrikanten Huschke und me<strong>in</strong>em Vater erfuhr Herr<br />
Huschke, dass <strong>der</strong> Bahnbeamte me<strong>in</strong> Vater war. Er sagte zu me<strong>in</strong>em Vater: „Ich wäre e<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>maliges Mädchen, was nicht zu ersetzen ist“. Nach diesem Satz war me<strong>in</strong> Vater mit<br />
me<strong>in</strong>em Berufswunsch versöhnt.<br />
Ich bildete bereits mit 18 Jahren zehn Mädchen aus und war für sämtliche komplizierte<br />
Arbeiten e<strong>in</strong>setzbar. Ich hatte große Freude an diesem Beruf, er war für mich e<strong>in</strong>e riesige<br />
Erfüllung. Der Chef wollte auch immer, dass ich Meister<strong>in</strong> werde. Bereits 1935 lehnte ich das<br />
<strong>in</strong>sgesamt viermal ab. Me<strong>in</strong>e Begründung war, ich hätte dann nicht mehr nähen können.<br />
Mit 22 Jahren heiratete ich und zog mit me<strong>in</strong>em Mann <strong>in</strong> die Untere Renschgasse.<br />
Ich b<strong>in</strong> natürlich auch gerne tanzen gegangen, vor allem im Schützenhaus, aber auch im<br />
„Kronpr<strong>in</strong>zen“ (jetziges Volkshaus), „Bergschlößchen“, „Feldschlößchen“ usw.<br />
209
<strong>Guben</strong> war e<strong>in</strong>e wun<strong>der</strong>bare Stadt. Es besaß e<strong>in</strong> schönes Stadttheater. Schade, dass es nicht<br />
wie<strong>der</strong> aufgebaut wurde. Im W<strong>in</strong>ter s<strong>in</strong>d wir jeden Sonnabend <strong>in</strong>s Theater gegangen. Im<br />
Theaterkeller konnte man gut tanzen gehen.<br />
<strong>Guben</strong> war bekannt für se<strong>in</strong>e Baumblüte. Von überall her kamen Leuten, z.B. Berl<strong>in</strong> und<br />
Frankfurt. <strong>Guben</strong> wurde auch das Heidelberg <strong>des</strong> Ostens genannt.<br />
Im Sommer hatte ich immer e<strong>in</strong>en sogenannten Schutenhut auf.<br />
<strong>Guben</strong> hatte viele Geschäfte. Vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> jetzigen Frankfurter Straße war e<strong>in</strong> Geschäft<br />
am an<strong>der</strong>en und e<strong>in</strong>s war schöner als das an<strong>der</strong>e.<br />
Durch den Krieg, <strong>der</strong> hier lange tobte, wurde lei<strong>der</strong> alles vernichtet.<br />
Während <strong>des</strong> Krieges 1943 musste ich zurück zu Lehmann’s Wwe. & Sohn. Da mich die<br />
Meister<strong>in</strong> dort aber nicht mochte und <strong>der</strong> Betrieb aber zwei bis vier Frauen für die<br />
Rüstungsproduktion abstellen musste, war ich dabei. Das war e<strong>in</strong>e Berl<strong>in</strong>er Firma, die hieß,<br />
glaube ich, AUER AG. Sie stellten fe<strong>in</strong>mechanische Teile für U-Boote und Flugzeuge her.<br />
Das war bei Lehmann & Richter im Obergeschoss.<br />
Dort haben neben den Deutschen auch Englän<strong>der</strong>, Belgier, Italiener und jüdische Frauen<br />
gearbeitet. Nur nackt, mit e<strong>in</strong>er Pferdedecke umhüllt und e<strong>in</strong>em Strick als Gürtel, barfuss<br />
und <strong>in</strong> Latschen, mussten die jüdischen Frauen früh mit <strong>der</strong> Arbeit beg<strong>in</strong>nen und das bei<br />
klirren<strong>der</strong> Kälte im Februar. In <strong>der</strong> Gruppe befanden sich auch Ärzt<strong>in</strong>nen und Professor<strong>in</strong>nen.<br />
Der Kontakt zu diesen Personen war nicht erlaubt. G<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e jüdische Frau auf die Toilette,<br />
musste e<strong>in</strong>e deutsche Frau sie immer begleiten. Ich musste die jüdischen Frauen anleiten.<br />
Heimlich legten ich und e<strong>in</strong>ige an<strong>der</strong>e deutsche Arbeiter<strong>in</strong>nen ihnen ab und zu Strümpfe und<br />
Lebensmittel <strong>in</strong> ihren Kasten, was strengstens verboten war. E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Frau schwärzte<br />
mich beim Chef an. Ich hatte aber zu diesem Chef e<strong>in</strong> gutes Verhältnis, er nahm mich beiseite<br />
und ermahnte mich zur Vorsicht. „Die holen Dich weg, was dann passiert, weißt Du ja.“<br />
Ich konnte nicht mit ansehen, wie sie mit den jüdischen Frauen umgegangen s<strong>in</strong>d, mir wurde<br />
ganz schlecht und ich wurde krank davon.<br />
E<strong>in</strong>es Tages war ich auf dem Wege zu me<strong>in</strong>em Vater. An <strong>der</strong> Ecke Alte Poststraße/Bahnhofstraße<br />
kam mir e<strong>in</strong> von SA-Leuten bewachter Treck jüdischer Frauen<br />
entgegen. Ich erkannte me<strong>in</strong>e Arbeiter<strong>in</strong>nen. Plötzlich sprang e<strong>in</strong>e von ihnen aus <strong>der</strong> Reihe<br />
auf mich zu, umarmte und drückte mich. Es war die Professor<strong>in</strong>. Das bemerkte e<strong>in</strong> SA-Mann.<br />
Zum Glück kam e<strong>in</strong> mir frem<strong>der</strong> Mann von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Straßenseite zu Hilfe und sagte zu<br />
dem SA-Mann: „Das ist me<strong>in</strong>e Frau“. Damit rettete er mich vor den Fängen <strong>der</strong> SA. Man<br />
konnte sich denken, was mit den jüdischen Frauen passieren würde, ich habe sie nie wie<strong>der</strong><br />
gesehen. Diese Erlebnisse bewegen mich noch heute.<br />
Me<strong>in</strong> Mann hat den Krieg zwar überlebt, kam aber erst 1950 nach fünf Jahren aus russischer<br />
Gefangenschaft nach Hause.<br />
Schlimm war für mich auch, dass me<strong>in</strong>e drei Brü<strong>der</strong> aus dem Krieg nicht wie<strong>der</strong> kamen.<br />
Der Name <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>zeug<strong>in</strong> ist <strong>der</strong> Redaktion bekannt<br />
210
E<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nazizeit<br />
Erfahrungen und Er<strong>in</strong>nerungen von Gerhard Stengler<br />
Vorbemerkung:<br />
Ich komme aus Schernewitz, e<strong>in</strong>em ländlichen Ort im ehemaligen Kreis <strong>Guben</strong>;<br />
5 Kilometer südöstlich von <strong>Guben</strong> an <strong>der</strong> Fernverkehrsstraße <strong>Guben</strong> – Sommerfeld.<br />
1933 war e<strong>in</strong> wesentlicher <strong>Zeit</strong>punkt <strong>der</strong> Machtübernahme von Adolf Hitler, <strong>der</strong> durch die<br />
Vorbereitung zum Krieg als auch durch Kriegsführung Deutschland und die Welt <strong>in</strong>s große<br />
Unglück stürzte.<br />
Unterschiede zum Antritt und Festigung <strong>der</strong> Machtübernahme <strong>der</strong> Nazis gab es<br />
verschiedentlich <strong>in</strong> allen Städten und ländlichen Kreisen. Die Arbeitsbeschaffung für die<br />
Bevölkerung begeisterte zunächst e<strong>in</strong>e größere Menschenzahl und verschaffte den braunen<br />
Machthabern Zulauf, an<strong>der</strong>erseits brachte e<strong>in</strong> umfangreicher Wahlbetrug bei den<br />
Wahlergebnissen für Hitler e<strong>in</strong>e große Stimmenzahl. Öffentliche Wahlpropaganda trug<br />
ebenfalls dazu bei, denn lange Jahre (auch nach dem Krieg) konnte man an e<strong>in</strong>er massiven<br />
Mauer die mit Ölfarbe geschriebene Losung erkennen: „Wählt Hitler, Spalte 7“.<br />
Die SA, die so genannte Sturmabteilung, versuchte mit allen Methoden ihre Reihen zu stärken<br />
und Mitglie<strong>der</strong> zu gew<strong>in</strong>nen und damit die Macht zu beweisen.<br />
In unserem Heimatdorf gab es, etwa 1934/35, an e<strong>in</strong>em Sonntag e<strong>in</strong>en größeren Aufmarsch<br />
<strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er SA. Mehr als hun<strong>der</strong>t Radfahrer <strong>in</strong> gelben Uniformen und die Mützen mit<br />
Sturmriemen unter dem K<strong>in</strong>n, durchfuhren die Ortschaft bis zum Kietz. Die Rä<strong>der</strong> <strong>in</strong> Reihen<br />
abgestellt, formierten sich diese Männer zur Marschkolonne <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausrüstung mit Fahnen,<br />
Trommeln und Querflöten. Sie marschierten für Propagandazwecke durch unsere Ortschaft<br />
und zurück. Seit dieser <strong>Zeit</strong> begann auch die Pflicht e<strong>in</strong>es jeden Hausbesitzers im Ort, e<strong>in</strong>e<br />
Hakenkreuzfahne an <strong>der</strong> Straßenfront <strong>des</strong> Hauses anzubr<strong>in</strong>gen.<br />
Die ersten Mitläufer Hitlers waren dann auch die Jugendlichen im Ort und wurden somit<br />
Mitglied <strong>der</strong> Hitlerjugend (HJ). Doch die älteren Bewohner verhielten sich äußerst<br />
zurückhaltend und wurden auf Grund ihrer Lebenserfahrungen niemals Anhänger <strong>des</strong> so<br />
genannten tausendjährigen Reiches.<br />
Jungvolk und HJ – E<strong>in</strong> voll nazistischer Jugendverband<br />
Deshalb war es Pflicht e<strong>in</strong>es jeden Schülers bereits mit 10 Jahren Mitglied zu werden. E<strong>in</strong>e<br />
Ausnahme war überhaupt nicht möglich. Von 10 bis 14 Jahren waren es die so genannten<br />
Pimpfe als Mitglied <strong>in</strong> <strong>der</strong> HJ. Bei den Mädchen waren es die Jungmädel und ab 14 Jahren<br />
dann <strong>der</strong> BDM – Bund Deutscher Mädchen. Wer denkt aber schon <strong>in</strong> diesem Alter an den<br />
Ernst <strong>des</strong> Lebens? Erst viel später g<strong>in</strong>g uns e<strong>in</strong> Licht auf, warum bereits K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> die Politik<br />
e<strong>in</strong>bezogen und sportlich sowie wehrpolitisch gedrillt wurden.<br />
Diese Wehrertüchtigung bezog sich auf sportliche Diszipl<strong>in</strong>en sowie die Erziehung zum<br />
Gehorsam, u. a. durch Exerzierübungen, Gelän<strong>des</strong>piele und Schießübungen. In den<br />
W<strong>in</strong>termonaten g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> Heimatabenden um Gesangspflege beim E<strong>in</strong>üben von<br />
Soldatenlie<strong>der</strong>n, aber auch geme<strong>in</strong>sam mit dem BDM um den Gesang deutscher Volkslie<strong>der</strong>.<br />
Innerhalb <strong>der</strong> Ortsgruppe erhielten wir den Auftrag, die Büchsensammlung für das<br />
W<strong>in</strong>terhilfswerk zu unterstützen o<strong>der</strong> uns am Plakettenverkauf zu beteiligen. In den<br />
Kriegsjahren war die Industrie vorwiegend auf die Produktion von Rüstungsgütern e<strong>in</strong>gestellt<br />
worden. Deshalb hieß es für uns, <strong>in</strong> den Abendstunden Holzspielzeuge für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>des</strong><br />
Dorfes anzufertigen.<br />
211
Die Führer unserer Jugendorganisation kamen ausschließlich aus <strong>Guben</strong> und waren <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Regel e<strong>in</strong> bis zwei Jahre älter. Diese für uns fremden Personen verschafften sich Respekt und<br />
erzogen uns zum Gehorsam. Das Fähnle<strong>in</strong> 22 <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Organisation umfasste die<br />
Jugendlichen <strong>der</strong> Orte Beesgen-Plesse bis Starzeddel mit e<strong>in</strong>er Stärke von etwa 120<br />
Jugendlichen, die sich auf zwölf Dörfer verteilten.<br />
Zentrale Sportwettkämpfe im großen Maßstab nannten sich Reichssportwettkämpfe und<br />
fanden meist <strong>in</strong> Starzeddel statt. Die Ausnahme war im Jahr 1941, da war diese Veranstaltung<br />
<strong>in</strong> Schernewitz.<br />
Die Stellung <strong>des</strong> Staates zur Kirche<br />
In <strong>der</strong> Schule vollzog sich ebenso die nazistische Jugen<strong>der</strong>ziehung, <strong>in</strong>dem man versuchte, die<br />
Lehrer als Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> SA und <strong>der</strong> NSDAP zu gew<strong>in</strong>nen. Aber auch <strong>in</strong> den Kirchen bzw.<br />
beim zuständigen Pfarrer sollte sich etwas än<strong>der</strong>n. Bewusst bediente man sich vieler<br />
Methoden. Hatten wir im Rahmen unseres Jugendfähnle<strong>in</strong>s am Sonntagvormittag unseren<br />
Dienst <strong>in</strong> Stargard, so g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> Marschkolonne mit lautem Gesang vorbei an <strong>der</strong> Kirche,<br />
wenn dr<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> Gottesdienst stattfand. Dieses wie<strong>der</strong>holte sich dann e<strong>in</strong>ige Male. In den<br />
Kriegsjahren segneten dann auch die Pfarrer die Soldaten an <strong>der</strong> Front und ke<strong>in</strong>er wagte es,<br />
sich gegen den Krieg o<strong>der</strong> Staat zu äußern. Die Nazidiktatur wurde von Jahr zu Jahr schärfer.<br />
Unsere E<strong>in</strong>stellung während <strong>der</strong> Kriegszeit zu Fremdarbeitern und Gefangenen im Ort<br />
Im Wesentlichen gab es im Dorf wirklich wenige organisierte parteiliche Mitglie<strong>der</strong> unter den<br />
Bewohnern. Wir fühlten uns im Dorf trotz Mitgliedschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hitlerjugend ziemlich frei<br />
und <strong>des</strong>halb auch ungezwungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung zu den Fremdarbeitern im Ort. Diese waren<br />
größtenteils bei den Bauern und Landwirten untergebracht und zeigten sich auch mit e<strong>in</strong>er<br />
fleißigen E<strong>in</strong>stellung zur Arbeit. Wir er<strong>in</strong>nern uns heute noch gern an die netten Gespräche<br />
mit ihnen, teilweise ihre Sprache erlernten, und uns <strong>des</strong>halb heute noch e<strong>in</strong> wenig mit<br />
polnischen Menschen verständigen können. E<strong>in</strong> polnischer Tischler, beschäftigt beim<br />
Stellmacher Pusch, war geschickt bei <strong>der</strong> Herstellung von W<strong>in</strong>tersportgeräten und verkaufte<br />
uns Skier. Abends trafen wir uns so manches Mal auf e<strong>in</strong>er Dorfbank vor e<strong>in</strong>em Haus. In<br />
diesem Haus wohnte e<strong>in</strong> polnischer Arbeiter namens Michael. Dieser spielte abends schön die<br />
Trompete und wir lauschten dieser Musik. An Sonntagen gab es bei dem Trompeter Besuch<br />
von Freund<strong>in</strong>nen und Freunden, wo auch eifrig getanzt wurde. Unschön fanden wir es, wenn<br />
bei den Besuchern Kontrolle kam, die Passiersche<strong>in</strong>zeiten etwa überschritten waren und diese<br />
dann gewaltsam den Heimweg anzutreten hatten.<br />
Im ehemaligen Spiegelsaal <strong>des</strong> Schlosses waren etwa 15 Franzosen als Gefangene<br />
untergebracht. Sie waren tagsüber bei den Bauern beschäftigt und hatten sich zwecks<br />
Übernachtung am Spätnachmittag im Lager e<strong>in</strong>zuf<strong>in</strong>den. Den Franzosen g<strong>in</strong>g es als<br />
Gefangenen relativ gut. Sie erhielten von den Angehörigen aus <strong>der</strong> Heimat große Pakete mit<br />
Tabakwaren, Schokolade o<strong>der</strong> auch Kaffee. Sie g<strong>in</strong>gen immer sauber gekleidet und hatten<br />
guten Kontakt zu den Bewohnern im Dorf. Die For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> staatlichen Organe, dass<br />
Fremdarbeiter nicht am gleichen Tisch mit den Deutschen das Essen e<strong>in</strong>zunehmen hatten,<br />
wurde kaum e<strong>in</strong>gehalten. Jedoch war Wachsamkeit wegen Kontrollen bei den Bauern<br />
angesagt. Im Januar <strong>1940</strong> vernichtete e<strong>in</strong> Großbrand Scheunen und Stallungen von zwei<br />
Bauern im Ort. E<strong>in</strong> Arbeitskommando von gefangenen polnischen Juden war danach für<br />
Aufräumungsarbeiten e<strong>in</strong>gesetzt. Sie kamen aus dem nahe gelegenen Gefangenenlager<br />
Amtitz. Auch hier versuchten wir, uns unauffällig den polnischen Menschen zu nähern, um<br />
ihnen etwas Essbares zuzustecken. Dafür bekamen wir polnisches Geld. Wir spürten es, diese<br />
Menschen hatten Hunger.<br />
212
In <strong>der</strong> Waschküche bei den Bauern stand e<strong>in</strong>e große Schüssel Apfelmus. Trotz Rußteile vom<br />
Brand, die die obere Schicht bedeckte, wurde das Mus gierig verschlungen.<br />
E<strong>in</strong> Arbeitskommando von 25 russischen Gefangenen war im ehemaligen Speiseraum <strong>des</strong><br />
Schlosses untergebracht. Diese waren vorwiegend als Arbeitskommando bei<br />
Ausbesserungsarbeiten am Ufer <strong>der</strong> Lubst beschäftigt. Die Gefangenen hatten an <strong>der</strong><br />
Unterkunft e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Hof zur Verfügung, <strong>der</strong> mit doppeltem Stacheldrahtzaun gesichert<br />
war. E<strong>in</strong>e Annäherung an den Zaun von außen war nicht möglich, da sich zwischen Straße<br />
und Zaun noch e<strong>in</strong> breiter mit Wasser gefüllter Schlossgraben befand. In lauwarmen<br />
Sommernächten lauschten wir manchmal dem Gesang von über zwanzig russischen<br />
Männerstimmen, die <strong>in</strong> so großer Not ihre schöne Heimat besangen. Bei uns hieß es dann<br />
immer: Der Gefangenenchor s<strong>in</strong>gt.<br />
Regimegegner <strong>des</strong> Nazistaates<br />
Darüber war uns kaum etwas bekannt. In unserem Ort mit 450 E<strong>in</strong>wohnern hätte man doch<br />
etwas darüber wissen müssen. Es war jedoch schwierig, denn bei dieser staatlichen<br />
Absicherung wurde doch e<strong>in</strong>e Verfolgung <strong>in</strong> so e<strong>in</strong>em Fall sofort aufgenommen. Die<br />
Judenverfolgung war erst <strong>in</strong> den Städten bekannt, wo diese Menschen e<strong>in</strong> zuhause hatten. Uns<br />
war kaum etwas bekannt von Konzentrationslagern und <strong>der</strong>gleichen. Durch Mundpropaganda<br />
erfuhren wir, dass e<strong>in</strong> ehemaliger Soldat vom Lan<strong>des</strong>schützen-Bataillon, <strong>der</strong> <strong>1940</strong> bei den<br />
Eltern zur E<strong>in</strong>quartierung war, sich mit se<strong>in</strong>er Dienstpistole umbrachte. Der Grund war das<br />
E<strong>in</strong>lassen mit e<strong>in</strong>em Judenmädchen, und durch Tod entzog sich <strong>der</strong> Soldat se<strong>in</strong>er<br />
Verantwortung.<br />
Nach Verlegung <strong>des</strong> Gefangenenlagers aus Amtitz wurde auch diese E<strong>in</strong>heit nach<br />
Sachsenhausen versetzt. Lan<strong>des</strong>schützen waren Soldaten im Alter von 45 bis 55 Jahren. Sie<br />
waren mit <strong>der</strong> Bewachung von Lagern beauftragt.<br />
Schlussbemerkung:<br />
Beim Lesen dieses <strong>Zeit</strong>zeugenberichtes sollte ke<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>en positiven E<strong>in</strong>druck gew<strong>in</strong>nen. Die<br />
Nazizeit war hart, auch für viele Menschen Europas und darüber h<strong>in</strong>aus.<br />
Millionen Menschen verloren im Krieg ihr Leben. Selbst <strong>in</strong> unserem kle<strong>in</strong>en Ort gab es bis<br />
1945 vierunddreißig Tote und Vermisste zu beklagen. Millionen starben danach durch Flucht<br />
und Vertreibung. Auch wir s<strong>in</strong>d Betroffene <strong>der</strong> Vertreibung aus <strong>der</strong> alten Heimat.<br />
213
Das Schild an <strong>der</strong> Ladentür<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von He<strong>in</strong>z Becker<br />
Ich b<strong>in</strong> am 20. August 1926 <strong>in</strong> Fürstenfelde (Kreis Königsberg/Neumark), nordöstlich von<br />
Berl<strong>in</strong> gelegen, geboren. Wir kamen aber 1927 nach <strong>Guben</strong>. Me<strong>in</strong> Vater war beim<br />
Telegrafenbau und wurde aus beruflichen Gründen nach <strong>Guben</strong> versetzt. Weil er Beamter<br />
war, ist er 1937 <strong>in</strong> die NSDAP e<strong>in</strong>getreten. Me<strong>in</strong>e Mutter war Hausfrau und parteilos.<br />
Wir wohnten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Eichholzstraße.<br />
Ich b<strong>in</strong> acht Jahre <strong>in</strong> die Osterbergschule gegangen. Die Lehrer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule waren nicht so<br />
nazistisch e<strong>in</strong>gestellt, nur die jüngeren unter ihnen waren e<strong>in</strong> bißchen „zackiger“.<br />
Der damals übliche Gruß war „Heil Hitler“. Ich weiß noch, es war <strong>1936</strong>, auf e<strong>in</strong>em Schild<br />
e<strong>in</strong>es Kaufmanns stand an <strong>der</strong> Ladentür „Auf Wie<strong>der</strong>sehen“ und darunter stand: „Der<br />
Deutsche Gruß lautet Heil Hitler“. Damals nach <strong>der</strong> Machtergreifung von Adolf Hitler waren<br />
alle Leute von ihm begeistert, hat er doch dem deutschen Volk Arbeit und Wohlstand<br />
gebracht. Man erzählte, er hat <strong>in</strong> Leipzig gesprochen und die Menschen haben dem Führer<br />
zugejubelt und ihn euphorisch gefeiert.<br />
Ich war mit zehn Jahren im Jungvolk und dann mit 14 Jahren <strong>in</strong> <strong>der</strong> HJ. Wir hatten <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Jungvolkzeit jeden Mittwoch- und jeden Samstagnachmittag zwei Stunden „Dienst“. Dieser<br />
bestand beim Jungvolk überwiegend dar<strong>in</strong>, daß wir exerzierten, Sport trieben und bei<br />
Heimabenden sehr oft Lie<strong>der</strong> sangen. Bei <strong>der</strong> HJ – ich war bei <strong>der</strong> Nachrichten-HJ (Funker) –<br />
hatten wir am Mittwochabend und Sonntagvormittag etwa zwei Stunden unseren Dienst<br />
abzuleisten.<br />
Sportlich war ich nicht organisiert. Ich habe nur mit Schulfreunden Fußball gespielt. Wir<br />
haben nur so „rumgebolzt“. Das durften wir natürlich erst, wenn wir die Schularbeiten<br />
erledigt hatten. Ich habe diese zum Teil oft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule gemacht.<br />
Im März 1941 wurde ich konfirmiert.<br />
Nach <strong>der</strong> Schule begann 1941 e<strong>in</strong>e zweie<strong>in</strong>halbjährige Lehre als Industriekaufmann bei <strong>der</strong><br />
Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik, die ich im September 1943 beendete.<br />
Während <strong>der</strong> Lehre habe ich, neben dem Stammbetrieb <strong>in</strong> <strong>der</strong> Uferstraße, alle an<strong>der</strong>en<br />
Betriebe durchlaufen und kennen gelernt. Die Hut<strong>in</strong>dustrie hatte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Saison<br />
ca. 7000 Beschäftigte. Die Belegschaft wurde durch den Zweiten Weltkrieg stark dezimiert.<br />
Die Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik setzte sich aus nachstehend genannten Betrieben zusammen:<br />
1. Das Stammhaus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Uferstraße. Während <strong>des</strong> Krieges wurden dort Fe<strong>in</strong>mechanikteile<br />
von <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Firma AUER AG zum Kriegse<strong>in</strong>satz produziert.<br />
2. Das Werk W<strong>in</strong>kelstraße. Dieses Werk war ehemals <strong>in</strong> jüdischem Besitz (Lißner).<br />
Hier wurden neben <strong>der</strong> Hutproduktion für Kriegszwecke Tropenhelme und Füßl<strong>in</strong>ge aus<br />
Filz hergestellt.<br />
3. Haarhutfabrik Alte Poststraße – Hutproduktion<br />
4. Das Werk <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Straße – ehemals Ste<strong>in</strong>ke & Co – produzierte für die<br />
Rüstungs<strong>in</strong>dustrie.<br />
5. Im Werk Mittelstraße erfolgte die Lagerung von Flugzeugtanks.<br />
Bis zum 6. Oktober 1943 arbeitete ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<strong>Guben</strong>er Hutfabrik. Am 7. Oktober 1943<br />
wurde ich zur Rhe<strong>in</strong>metall-Borsig AG dienstverpflichtet und war dort als F<strong>in</strong>anzbuchhalter<br />
tätig. Hier bei „Borsig“ arbeiteten auch Zwangsarbeiter. Es handelte sich u.a. um Polen und<br />
Italiener. Die Polen waren Zivilisten und die Italiener waren Kriegsgefangene. Diese wurden<br />
„streng gehalten“. Sie mussten m<strong>in</strong><strong>der</strong>wertige Arbeiten (Aufräumarbeiten u.a.) verrichten. E<strong>in</strong><br />
deutscher Zivilangestellter hat dabei als Dolmetscher gearbeitet.<br />
214
Am 17. Januar 1944 musste ich zum Arbeitsdienst nach Neu-Hardenberg. Beim Arbeitsdienst<br />
gab es 25 Pfennige pro Tag.<br />
Der Tag im Lager f<strong>in</strong>g so an: 6 Uhr wecken, <strong>in</strong> fünf M<strong>in</strong>uten heraustreten zum Frühsport und<br />
das bei jedem Wetter, ob Schnee und Regen. In <strong>der</strong> Nähe von Müncheberg/Fürstenwalde<br />
mussten wir Barackenteile entladen, Hilfsarbeiten beim Barackenbau verrichten und nach<br />
Wasser bohren. Die Baracken waren für das Oberkommando <strong>der</strong> Wehrmacht geplant, da <strong>der</strong><br />
Rückzug <strong>der</strong> Heeresleitung gesichert se<strong>in</strong> sollte. Das neue Quartier lag mitten im Wald. Ich<br />
weiß nicht, ob die Wehrmacht jemals die Baracken nutzte.<br />
Am 17. März 1944 war <strong>der</strong> Arbeitsdienst für mich beendet. Am 31. März 1944 wurde ich<br />
Soldat. Ich kam <strong>in</strong> das „Regenwurmlager“ bei Meseritz (Mark Brandenburg) kurz vor <strong>der</strong><br />
ehemaligen Reichsgrenze zu Polen. Ich war dort bei den Grenadieren. Bei <strong>der</strong> Untersuchung<br />
hat mir <strong>der</strong> Armeearzt auf Grund me<strong>in</strong>es Augenfehlers e<strong>in</strong>e Brille verordnet. Während ich auf<br />
me<strong>in</strong>e Brille wartete, das g<strong>in</strong>g damals nicht so schnell, s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>e Kameraden versetzt<br />
worden und ich b<strong>in</strong> nach Fürstenwalde gekommen, wo dann me<strong>in</strong>e weitere Ausbildung<br />
stattfand. Danach hat man mich nach Halle versetzt. Von dort for<strong>der</strong>te man immer e<strong>in</strong>ige<br />
Soldaten an, die als Begleitschutz für Kriegsmaterialtransporte e<strong>in</strong>gesetzt werden sollten. In<br />
<strong>der</strong> letzten <strong>Zeit</strong>, <strong>in</strong> <strong>der</strong> ich <strong>in</strong> Halle war, stellte man diese Transporte jedoch e<strong>in</strong>, weil sie<br />
immer wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> fe<strong>in</strong>dliche Hände fielen.<br />
Ich geriet <strong>in</strong> amerikanische Gefangenschaft. Wir kamen von Halle nach Eisleben und von dort<br />
nach Bad Kreuznach und später <strong>in</strong> an<strong>der</strong>e kle<strong>in</strong>ere Lager. In den Lagern mussten wir <strong>in</strong> den<br />
ersten Monaten hungern.<br />
Im Dezember 1945 wurde ich aus <strong>der</strong> Gefangenschaft entlassen. Weil ich ke<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung<br />
zu me<strong>in</strong>en Eltern hatte, arbeitete ich bei e<strong>in</strong>em Bauern, bis ich im März 1946 nach <strong>Guben</strong><br />
zurückkehrte.<br />
215
Der Beg<strong>in</strong>n <strong>des</strong> Zweiten Weltkrieges<br />
216
Beg<strong>in</strong>n <strong>des</strong> 2. Weltkrieges – Der Überfall auf Polen<br />
-Auszug-<br />
Am 1. September 1939 fielen die Armeen <strong>des</strong> hitlerfaschistischen Deutschlands über das<br />
benachbarte Polen her und entzündeten die Flamme <strong>des</strong> zweiten Weltkrieges. Dieses<br />
Verbrechen richtete sich nicht alle<strong>in</strong> gegen das überfallene polnische Volk und gegen alle<br />
an<strong>der</strong>en Völker, die das gleiche Schicksal erlitten. Es war e<strong>in</strong> Verbrechen am deutschen Volk.<br />
...<br />
In <strong>der</strong> Nacht vom 31. August zum 1. September 1939 überfielen als polnische Soldaten<br />
verkleidete SD-Leute 215 den deutschen Sen<strong>der</strong> Gleiwitz und verlasen e<strong>in</strong>en Aufruf<br />
„polnischer Aufständischer“ über den Sen<strong>der</strong>, um den Vorwand für e<strong>in</strong>en militärischen<br />
Überfall auf Polen zu liefern. Dann zogen sie sich zurück. 216 ...<br />
Am 1. September erklärt Hitler vor dem Reichstag, daß <strong>der</strong> „Verteidigungskrieg“ gegen Polen<br />
begonnen habe. Zu diesem <strong>Zeit</strong>punkt war die faschistische Wehrmacht bereits von allen<br />
Seiten <strong>in</strong> Polen e<strong>in</strong>gefallen. Das <strong>Guben</strong>er Infanterie-Regiment 29 marschierte als Teil <strong>der</strong><br />
3. Infanterie-Division <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> 4. Armee <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heeresgruppe Nord auf die polnische<br />
Stadt Bydogszcz (Bromberg) zu. Der zweite Weltkrieg hatte begonnen.<br />
Die Republik Polen, von ihren westlichen Verbündeten im Stich gelassen, brach <strong>in</strong> kurzer <strong>Zeit</strong><br />
militärisch zusammen. Die faschistisch verseuchte polnische Generalität hatte die Armee<br />
<strong>des</strong>organisiert. Den polnischen Streitkräften mangelte es an Panzern, Flugzeugen und<br />
Artillerie. Ihr strategischer Aufmarschplan entsprach dem Stand <strong>der</strong> Kriegskunst von 1920,<br />
und stützte sich auf die sofortige militärische Hilfeleistung Englands und Frankreichs. Diese<br />
blieb jedoch aus. Der sogenannte „komische Krieg“ im Westen besiegelte den Untergang<br />
Polens. Die 4. Armee <strong>der</strong> deutsch-faschistischen Wehrmacht, unter Befehl <strong>des</strong> Generals <strong>der</strong><br />
Artillerie v. Kluge, stand mit sieben Infanterie-Divisionen, zwei motorisierten Divisionen und<br />
e<strong>in</strong>er Panzer-Division <strong>der</strong> von Divisionsgeneral Bortnowski befehligten Armee „Pomorze“<br />
gegenüber, die nur über fünf Infanterie-Divisionen und e<strong>in</strong>e Kavallerie-Brigade verfügte...<br />
...Als im Juni <strong>1940</strong> die deutschen Truppen durch das neutrale Holland, Belgien und<br />
Luxemburg <strong>in</strong> Frankreich e<strong>in</strong>fielen, waren auch die <strong>Guben</strong>er Garnisonstruppen dabei. Bis <strong>in</strong><br />
den Raum Lyon drang die 3. Infanterie-Division vor. Das Infanterie-Regiment 29 übernahm<br />
noch e<strong>in</strong>ige <strong>Zeit</strong> den Wachdienst an <strong>der</strong> Demarkationsl<strong>in</strong>ie zu Vichy-Frankreich, bis es im<br />
August <strong>1940</strong> nach Deutschland zurückgezogen wurde...<br />
...Im Morgengrauen <strong>des</strong> 22. Juli 1941 überschritten die Soldaten <strong>des</strong> Infanterie-Regiments 29<br />
als Teil e<strong>in</strong>er riesigen Kriegsmasch<strong>in</strong>e von 250 Divisionen die Grenzen <strong>der</strong> sozialistischen<br />
Sowjetunion. Dieser Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion leitete die zweite Phase<br />
<strong>des</strong> Krieges e<strong>in</strong> und war das schwerste Verbrechen <strong>des</strong> faschistischen deutschen<br />
Imperialismus gegen die deutsche Nation. Im Eis <strong>des</strong> Ladogasees, vor den Toren Len<strong>in</strong>grads,<br />
blieb <strong>der</strong> Angriff <strong>des</strong> IR. 29 stecken.<br />
Quelle: Auf Straßen und <strong>in</strong> Fabriken, Autor: Horst Reschke, Seiten 166 - 169<br />
215 SS-Sicherheitsdienst, e<strong>in</strong>e Diversanten- und Spionageorganisation<br />
216 Im DEFA-Film: „Der Fall Gleiwitz“ wird diese Aktion m<strong>in</strong>utiös nachgestaltet.<br />
217
Der Führer vor dem Reichstag<br />
Danzig <strong>in</strong>s Reich heimgekehrt – Die deutsche Wehrmacht seit heute früh im Kampf<br />
Aufruf <strong>des</strong> Führers an die Deutsche Wehrmacht<br />
An die Wehrmacht!<br />
Der polnische Staat hat die von mir erstrebte friedliche Regelung nachbarschaftlicher<br />
Beziehungen verweigert; er hat statt<strong>des</strong>sen an die Waffen appelliert.<br />
Die Deutschen <strong>in</strong> Polen werden mit blutigem Terror verfolgt und von Haus und Hof<br />
vertrieben. E<strong>in</strong>e Reihe von für e<strong>in</strong>e Großmacht unerträglichen Grenzverletzungen beweist,<br />
daß die Polen nicht mehr gewillt s<strong>in</strong>d, die deutsche Reichsgrenze zu achten. Um diesem<br />
wahnwitzigen Treiben e<strong>in</strong> Ende zu bereiten, bleibt mir ke<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Mittel, als von jetzt ab<br />
Gewalt gegen Gewalt zu setzen.<br />
Die Deutsche Wehrmacht wird den Kampf um die Ehre und die Lebensrechte <strong>des</strong><br />
wie<strong>der</strong>auferstandenen Deutschen Volkes mit harter Entschlossenheit führen.<br />
Ich erwarte, daß je<strong>der</strong> Soldat, e<strong>in</strong>gedenk <strong>der</strong> großen Tradition <strong>des</strong> ewigen deutschen<br />
Soldatentums, se<strong>in</strong>e Pflicht bis zum letzten erfüllen wird.<br />
Bleibt Euch stets <strong>in</strong> allen Lagen bewußt, daß Ihr die Repräsentanten <strong>des</strong><br />
nationalsozialistischen Großdeutschlands seid!<br />
Es lebe unser Volk und unser Reich!<br />
Berl<strong>in</strong>, den 1.September 1939 Adolf Hitler<br />
218<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 01. Sept. 1939<br />
Zielgerichtete Vorbereitung <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Bevölkerung auf den<br />
2. Weltkrieg durch die Nazis<br />
Jedem <strong>Guben</strong>er die Volksgasmaske<br />
Der Luftschutzort <strong>Guben</strong> ist für den Verkauf <strong>der</strong> Volksgasmaske freigegeben<br />
Deutschland will ke<strong>in</strong>en Krieg, es darf aber auch ke<strong>in</strong>em Angriff wehr- und schutzlos<br />
gegenüberstehen. Die auf Befehl <strong>des</strong> Generalfeldmarschalls Gör<strong>in</strong>g geschaffene<br />
Volksgasmaske ist e<strong>in</strong> vollendetes Schutzmittel gegen den E<strong>in</strong>satz chemischer Kampfstoffe.<br />
Der Erwerb <strong>der</strong> Volksgasmaske ist nationale Pflicht, <strong>der</strong> sich niemand entziehen darf.<br />
Durch den E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> NSV ist jedem Volksgenossen die Anschaffung <strong>der</strong><br />
Volksgasmaske ermöglicht. Die Amtsträger <strong>des</strong> RLB gewährleisten durch
fachmännisches Verpassen <strong>der</strong> Gasmaske sicheren Schutz gegen alle<br />
Kampfstoffwirkungen.<br />
Kauft für euch und eure Angehörigen die Volksgasmaske!<br />
Wer den Kauf ablehnt, schädigt nicht nur sich, son<strong>der</strong>n die<br />
Volksgeme<strong>in</strong>schaft!<br />
gez. Schmiedicke Oberbürgermeister gez. Koch Kreisamtsleiter d. NSDAP<br />
gez. Duve Ortskreisgruppenführer gez. Hildemann Kreisleiter <strong>der</strong> NSV<br />
219<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 06./07. August 1938<br />
Bei Alarm: In die Häuser eilen!<br />
Was die <strong>Guben</strong>er über die bevorstehende Luftschutzübung wissen müssen<br />
-Auszug-<br />
Die Verdunklung ist so durchzuführen, daß Wirtschaftsleben und Verkehr nicht unterbrochen<br />
werden.<br />
....<br />
Die Verdunklung ist e<strong>in</strong> Dauerzustand, <strong>der</strong> sich auf mehrere Nächte erstrecken kann. Die häufig<br />
vertretende Ansicht, daß die Verdunklung erst bei Fliegeralarm vollständig zu se<strong>in</strong> braucht, ist<br />
irrig.<br />
Verkehrsbeleuchtung<br />
Während <strong>der</strong> Verdunklungsübung wird die öffentliche Straßenbeleuchtung gelöscht. An wichtigen<br />
Verkehrspunkten bleiben abgeschirmte und abgeblendete Lichtleuchten <strong>in</strong> Betrieb.<br />
....<br />
Verkehrsmittelbeleuchtung<br />
Bei allen Kraftfahrzeugen, Straßenbahnen, Fahrrä<strong>der</strong>n und Fuhrwerken s<strong>in</strong>d sämtliche<br />
Außenlichtquellen mit Verdunklungsvorrichtungen zu versehen.<br />
....<br />
Bei Fahrradsche<strong>in</strong>werfern ist <strong>der</strong> Lichtaustritt auf e<strong>in</strong>en waagerechten Schlitz von 4 cm Länge<br />
und 1 cm Breite zu begrenzen.<br />
....<br />
Sonstige Außenbeleuchtung<br />
Lichtreklamen, Normaluhren, sowie die Schaufensterbeleuchtung sowie alle sonstigen, nicht zur<br />
Durchführung dr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> Arbeiten im Freien notwendigen Beleuchtungen werden während <strong>der</strong><br />
Verdunklung gelöscht.<br />
....<br />
Innenbeleuchtung<br />
In Räumen, <strong>in</strong> denen nur e<strong>in</strong>e schwache Helligkeit zum Zurechtf<strong>in</strong>den notwendig ist, wie Flure,<br />
Treppenhäuser, Lagerräume, Aborte usw., ist zweckmäßig die Innenbeleuchtung zu verdunkeln.<br />
Die Helligkeit <strong>der</strong> Innenbeleuchtung ist <strong>in</strong> diesen Fällen soweit herabzusetzen, daß ke<strong>in</strong>e aus <strong>der</strong><br />
Luft wahrnehmbaren Lichtersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong>s Freie dr<strong>in</strong>gen können.<br />
....
Wie s<strong>in</strong>d die Alarmsignale<br />
Heute Morgen ertönten <strong>in</strong> unserer Stadt die Sirenen. Die Probe <strong>der</strong> Alarmgeräte hat ergeben, daß<br />
sie <strong>in</strong> allen Stadtteilen und Straßen gut zu hören s<strong>in</strong>d. Es ist gut, wenn sich je<strong>der</strong> die Bedeutung<br />
<strong>der</strong> verschiedenen Arten <strong>des</strong> Alarms e<strong>in</strong>prägt. Darum sei noch e<strong>in</strong>mal darauf h<strong>in</strong>gewiesen:<br />
- e<strong>in</strong> auf- und abschwellen<strong>der</strong> Dauerton - Fliegeralarm<br />
- e<strong>in</strong> hoher stets gleichbleiben<strong>der</strong> Dauerton - Entwarnung<br />
- und e<strong>in</strong> tiefer stets gleichbleiben<strong>der</strong> Dauerton - Feueralarm<br />
Verdunklungsmaterial mitführen<br />
220<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 13. Sept. 1938<br />
Pflichten <strong>der</strong> Kraft- und Radfahrer – Je<strong>der</strong>zeit auf e<strong>in</strong>e Übung vorbereitet se<strong>in</strong>!<br />
In letzter M<strong>in</strong>ute angekündigt<br />
Aber es hat geklappt – <strong>Guben</strong> war gestern abend dunkel<br />
Ab heute wird verdunkelt<br />
Wie hat sich die Bevölkerung beim Luftangriff zu verhalten?<br />
Auszüge<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 25. Juli 1939<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 27. Juli 1939<br />
Im Stadtbezirke <strong>Guben</strong> ist ab sofort bis auf weiteres die völlige Verdunklung<br />
durchzuführen. Die völlige Verdunklung bezieht sich auf sämtliche Wohn- und<br />
Geschäftshäuser, Fabrikbetriebe, K<strong>in</strong>os, Gastwirtschaften und ähnliche<br />
Gewerbebetriebe und auf alle Fahrzeuge im Straßenverkehr. ....<br />
In den Schutzräumen hat je<strong>der</strong> so lange zu bleiben, bis das Entwarnungssignal –<br />
Langer, hoher Ton – gegeben wird. ....<br />
Werden Bl<strong>in</strong>dgänger aufgefunden, sofort <strong>der</strong> Polizei Meldung machen! ....<br />
Fabriksirenen <strong>der</strong> Betriebe im Stadtbezirke <strong>Guben</strong> s<strong>in</strong>d ab heute auf weiteres nur noch<br />
bei Abgabe <strong>des</strong> Signals „Fliegeralarm“ zu benutzen.<br />
Die E n t w a r n u n g erfolgt nur durch die Alarmsirenen <strong>des</strong> behördlichen Luftschutzes.
Die Verdunklung hat geklappt<br />
221<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 01. Sept.1939<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 02./03. Sept. 1939<br />
Wer nicht richtig verdunkelt, unterstützt den Fe<strong>in</strong>d<br />
Unzureichend o<strong>der</strong> überhaupt nicht abgeblendete Fenster erleichtern den fe<strong>in</strong>dlichen<br />
Fliegern das Anfliegen und Auff<strong>in</strong>den <strong>des</strong> Zieles. Es gibt auch <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> immer noch<br />
Volksgenossen, die das nicht begriffen haben. Bei ihnen haben we<strong>der</strong> die wie<strong>der</strong>holten<br />
H<strong>in</strong>weise durch die Presse, noch die allabendlichen Ermahnungen durch den Rundfunk<br />
genützt.<br />
In <strong>der</strong> Nacht vom 7. zum 8.9.1939 wurde wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e größere Anzahl Personen zur Anzeige<br />
gebracht, die <strong>in</strong> gewissenloser Weise gegen die Verdunklungsvorschriften verstoßen haben.<br />
E<strong>in</strong>e strenge Bestrafung wird die Folge se<strong>in</strong>.<br />
Parken nachts verboten!<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 09./10. Sept. 1939<br />
Die Ortspolizeibehörde weist darauf h<strong>in</strong>, daß das Parken von Fahrzeugen aller Art auf den<br />
öffentlichen Straßen mit sofortiger Wirkung von abends 7 Uhr bis morgens 6 Uhr verboten<br />
wird. Innerhalb <strong>des</strong> Ortspolizeibezirks <strong>Guben</strong> darf während dieser <strong>Zeit</strong> nur auf Plätzen<br />
geparkt werden, die hierfür freigegeben und mit amtlichen Parkschil<strong>der</strong>n versehen s<strong>in</strong>d. Die<br />
Polizeibeamten s<strong>in</strong>d angewiesen, Zuwi<strong>der</strong>handlungen zur Anzeige zu br<strong>in</strong>gen.<br />
Parole <strong>der</strong> Woche<br />
Volksgenosse!<br />
Kommst Du abends mal nach Haus<br />
s<strong>in</strong>d schon alle Lampen aus.<br />
Mache erst die Fenster dicht<br />
und dann knipse an das Licht!<br />
Denn e<strong>in</strong> helles Fensterle<strong>in</strong>,<br />
br<strong>in</strong>gt dir unnütz Kosten e<strong>in</strong>.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 14. Sept. 1939<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 20./21. Jan. <strong>1940</strong>
In den Kriegsjahren werden männliche Zivilisten<br />
Auch Wehrpflichtige im Luftschutz<br />
Der Reichsm<strong>in</strong>ister <strong>der</strong> Luftfahrt und Oberkriegsbefehlshaber <strong>der</strong> Luftwaffe gibt bekannt:<br />
Entgegen den bisherigen Vorschriften können <strong>in</strong> Zukunft auch Personen, die <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en<br />
Wehrpflicht unterliegen o<strong>der</strong> für an<strong>der</strong>e Zwecke <strong>der</strong> Kriegsführung benötigt werden, zur<br />
Dienstleistung im Selbstschutz, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e zur Übernahme <strong>des</strong> Amtes e<strong>in</strong>es<br />
Luftschutzwartes verpflichtet werden.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus wird erwartet, daß alle Männer, die zur <strong>Zeit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat tätig s<strong>in</strong>d, sich<br />
freudig für dieses Amt o<strong>der</strong> für e<strong>in</strong>e sonstige Tätigkeit im Selbstschutz zur Verfügung stellen,<br />
auch dann, wenn sie durch ihren Beruf stärker <strong>in</strong> Anspruch genommen s<strong>in</strong>d. Es ist<br />
Ehrenpflicht <strong>der</strong> Männer, daß sie den Frauen, die bisher vielfach zu LS-Warten bestimmt<br />
worden s<strong>in</strong>d, dieses schwierige und wichtige Amt abnehmen.<br />
Strengstens untersagt für die Bevölkerung<br />
222<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 19. Nov. <strong>1940</strong><br />
Das Abhören ausländischer Sen<strong>der</strong> ist verboten!<br />
Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen<br />
Jede deutsche Frau arbeitet mit<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 02. Sept. 1939<br />
Viele deutsche Frauen s<strong>in</strong>d heute bereits dem Gebot <strong>der</strong> Stunde gefolgt und füllen e<strong>in</strong>en Platz<br />
im öffentlichen Leben aus, sei es, daß sie die Stelle <strong>des</strong> Mannes e<strong>in</strong>nehmen, den <strong>der</strong><br />
Abwehrkampf Deutschlands zu den Waffen rief, o<strong>der</strong> daß sie sich im freiwilligen Dienst <strong>der</strong><br />
Volksgeme<strong>in</strong>schaft zur Verfügung stellten. Trotzdem wird noch immer e<strong>in</strong>e große Zahl von<br />
Frauen gebraucht für die neuen Aufgaben, die sich jetzt aus <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge<br />
ergeben. ....<br />
Auch <strong>in</strong> den Nähstunden <strong>der</strong> NS-Frauenschaft und <strong>des</strong> deutschen Frauenwerkes werden noch<br />
viele fleißige Frauenhände gebraucht, soll doch den überlasteten Landfrauen und den<br />
berufstätigen Müttern die Sorge um ihren gefüllten Flick- und Stoffbeutel abgenommen<br />
werden. ....<br />
In dem uns aufgezwungenen Abwehrkampf müssen alle Kräfte angespannt werden, um die<br />
vom Führer gesteckten Ziele zu erreichen. Wie <strong>der</strong> Soldat an <strong>der</strong> Front das Äußerste an<br />
E<strong>in</strong>satzbereitschaft und Pflichterfüllung leistet, so muß sich auch hier <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat jede<br />
deutsche Frau ihrer Verantwortung bewußt und zum nimmermüden Helfen bereit se<strong>in</strong>. Die<br />
Geschäftsstelle <strong>der</strong> NS-Frauenschaft, Alte Poststraße 41c, nimmt Anmeldungen zur<br />
Betreuungsarbeit und Nachbarschaftshilfe je<strong>der</strong>zeit entgegen. ....<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 14. Sept. 1939
Aus <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong><br />
Geme<strong>in</strong>schaft <strong>des</strong> Glaubens<br />
<strong>Guben</strong>s Partei- und Volksgenossen stehen <strong>in</strong>niger denn je zum Führer<br />
Anwendung <strong>der</strong> Sparsamkeit durch<br />
Son<strong>der</strong>bestimmungen von Bezugssche<strong>in</strong>en<br />
Was erhält <strong>der</strong> Schwerarbeiter? – Wie steht es mit den Gaststätten?<br />
223<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 10. Nov. 1939<br />
Die Schwer- und Schwerstarbeiter erhalten außer den allgeme<strong>in</strong>en Lebensmittelmengen<br />
zusätzlich bei Fleisch- o<strong>der</strong> Fleischwaren 70 g je Tag und Kopf o<strong>der</strong> rund 500 g je<br />
Woche.<br />
.... Ferner erhalten sie bei Milcherzeugnissen, Oelen und Fetten 50 g je Tag o<strong>der</strong> 350 g <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Woche, und zwar 150 g Margar<strong>in</strong>e, Mischfette, Kunstspeisefette, Pflanzenfette, Speiseöl,<br />
Schmalz, Speck o<strong>der</strong> R<strong>in</strong><strong>der</strong>talg. ....<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 31. August 1939<br />
Rückgabepflicht für überzählige Lebensmittelausweise<br />
Es wird darauf h<strong>in</strong>gewiesen, daß jedem Verbraucher nur e<strong>in</strong>e Lebensmittelausweiskarte<br />
zusteht. Überzählige Ausweiskarten s<strong>in</strong>d unverzüglich an das Ernährungsamt, Abt. B, <strong>Guben</strong>,<br />
Stadtschule abzuliefern. Die Ablieferung hat <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch dann zu erfolgen, wenn die<br />
Bezugsberechtigung nachträglich erlischt, (z.B. durch Tod, E<strong>in</strong>rücken <strong>der</strong> Wehrmacht usw.)<br />
Für die Ablieferung s<strong>in</strong>d außer dem Bezugsberechtigten die Angehörigen se<strong>in</strong>es Haushaltes<br />
verantwortlich, bei alle<strong>in</strong>stehenden Personen <strong>der</strong> Hauswart o<strong>der</strong> die Hausverwaltung im<br />
To<strong>des</strong>fall auch die Erben.<br />
Wer vorsätzlich e<strong>in</strong>en ihm nicht zustehenden Bezugssche<strong>in</strong> für sich ausnutzt, wird<br />
bestraft.<br />
<strong>Guben</strong>, den 8.9.1939 Der Oberbürgermeister<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 08. Sept. 1939
Die Erweiterung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung von Bezugssche<strong>in</strong>en diente <strong>der</strong><br />
Sicherung <strong>der</strong> Versorgungslage<br />
Die Reichsklei<strong>der</strong>karte<br />
-Auszug-<br />
Das Ziel, welches mit <strong>der</strong> Klei<strong>der</strong>karte angestrebt wird, ist die E<strong>in</strong>fügung <strong>der</strong><br />
Verbrauchsdeckung <strong>in</strong> die Gesamtkriegsplanung, die mit den Deckungsmöglichkeiten<br />
abgestimmt ist. Die Klei<strong>der</strong>karte wird jedem das Gefühl geben; du hast dasselbe, was <strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>e auch hat.<br />
Reichsklei<strong>der</strong>karte e<strong>in</strong>geführt<br />
Der Umgang mit 100 Punkten<br />
Die Versorgung mit Klei<strong>der</strong>n und Wäsche neu geregelt - Gerechte Verteilung bei<br />
vielfältiger<br />
E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeit<br />
Ausgabe <strong>der</strong> Klei<strong>der</strong>karte<br />
Die Ausgabe <strong>der</strong> Klei<strong>der</strong>karten erfolgt durch die Wirtschaftsämter. Es s<strong>in</strong>d alle<br />
Vorbereitungen getroffen worden, daß sie so schnell wie möglich ausgegeben werden.<br />
Immerh<strong>in</strong> werden sie noch e<strong>in</strong>ige Wochen <strong>in</strong> Anspruch nehmen, da nämlich die bisher<br />
schon erfüllten Bezugssche<strong>in</strong>e auf die Klei<strong>der</strong>karte angerechnet werden, und zwar zum<br />
Höchstwert von 80 Punkten. Infolge<strong>des</strong>sen wird mit <strong>der</strong> Ausgabe <strong>der</strong> Klei<strong>der</strong>karten<br />
Anfang Dezember zu rechnen se<strong>in</strong>. Zuerst werden diejenigen die Karten erhalten, die<br />
bisher noch ke<strong>in</strong>en Bezugssche<strong>in</strong> genommen haben.<br />
Von jetzt ab statt 100 sogar 150 Punkte<br />
224<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 15. Nov. 1939<br />
Die neue Reichsklei<strong>der</strong>karte zwei Monate früher – Für Jugendliche ohne Prüfung zusätzliche<br />
Punkte<br />
W<strong>in</strong>termäntel auf Karte<br />
Die neue Reichsklei<strong>der</strong>karte, die vom 1. September <strong>1940</strong> bis 31. August 1941 gilt. Die zweite<br />
Reichsklei<strong>der</strong>karte unterscheidet sich von <strong>der</strong> alten dadurch, daß die Gesamtzahl <strong>der</strong> Punkte<br />
auf 150 erhöht ist und daß vier Rubriken für die Bewertung je nach <strong>der</strong><br />
Sp<strong>in</strong>nstoffzusammensetzung e<strong>in</strong>geführt worden s<strong>in</strong>d.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 26. Sept. <strong>1940</strong>
Seidenraupenzucht – Gew<strong>in</strong>nung von fe<strong>in</strong>ster Seide – Grundmaterial für<br />
die Fallschirmproduktion<br />
2000 Maulbeerbäume werden gesetzt<br />
Die Stadt för<strong>der</strong>t den Seidenbau – Bereits Seidenraupenzüchter <strong>in</strong> <strong>Guben</strong><br />
-Auszug-<br />
Seide ist e<strong>in</strong> für die Wehrmacht notwendiger Rohstoff. Im Rahmen <strong>des</strong> Vierjahresplanes<br />
ist den Geme<strong>in</strong>den die Aufgabe gestellt worden, den Seidenbau zu för<strong>der</strong>n, um dazu<br />
beizutragen, daß sich Deutschland von <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fuhr von Rohseide freimachen kann.<br />
Die erste Voraussetzung für die För<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Seidenbaues ist die Schaffung von<br />
Maulbeerpflanzungen, um für die Seidenraupe, <strong>der</strong> bekanntlich als Futter das Laub <strong>der</strong><br />
Maulbeere dient, die erste Lebensbed<strong>in</strong>gung zu sichern.<br />
...<br />
Auch die Stadtverwaltung <strong>Guben</strong> macht jetzt den Anfang. In den nächsten Tagen werden<br />
durch die städtische Gartenverwaltung entlang den Schrebergärten am Anger und an <strong>der</strong><br />
Sprucker Straße die ersten 2000 Maulbeeren gesetzt.<br />
...<br />
3000 lustige Fresser im Schulgarten<br />
E<strong>in</strong> Besuch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Seidenraupenanlage unserer K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
(<strong>in</strong> <strong>der</strong> Sommerfel<strong>der</strong> Straße im städtischen Schulgarten)<br />
Gute Ergebnisse <strong>in</strong> <strong>der</strong> Seidenraupenzucht<br />
225<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 17./18. Mai 1939<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 05./06. August 1939<br />
Die Seidenraupenzucht wurde <strong>in</strong> Schulen <strong>der</strong> Stadt und im Kreis <strong>Guben</strong> <strong>in</strong> den Orten Beitsch,<br />
Neuzelle und Kaltenborn durchgeführt. In <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong> wurden zwei Zuchten betrieben.<br />
Die erste Zuchtperiode dauerte vom 14.6. bis 24.7.<strong>1940</strong>. Es kamen zwei Gramm Eier <strong>des</strong><br />
Weißsp<strong>in</strong>ners zum Ausschlüpfen. Die Kokonernte betrug 2 kg 282 Gramm.<br />
Die zweite Zuchtperiode währte vom 4.7. bis 12.8. Es gelangten zwei Gramm Eier <strong>des</strong><br />
Gelbsp<strong>in</strong>ners zum Ausschlüpfen. Die Kokonernte belief sich auf 2 kg 405 Gramm. Für die
Fütterung <strong>der</strong> Raupen standen e<strong>in</strong>e Maulbeeranlage <strong>des</strong> Hauptschulgartens und e<strong>in</strong>e Anlage<br />
<strong>des</strong> Schulgartens <strong>der</strong> H<strong>in</strong>denburgschule zur Verfügung.<br />
Außerdem wurde e<strong>in</strong>e Hecke nebst vier Maulbeerbäumen auf dem Grundstück <strong>des</strong><br />
Fabrikbesitzers Schemel für die Fütterung benutzt. Die Anzucht und Pflege <strong>der</strong> Raupen lag <strong>in</strong><br />
den Händen erfahrener Lehrer.<br />
226<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 28. August <strong>1940</strong><br />
Heilkräutersammlung – wichtiger E<strong>in</strong>satz für mediz<strong>in</strong>ische Zwecke<br />
Die Jagd auf Schachtelhalme und Löwenzahn<br />
Geschlossener E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> Zehn- bis Vierzehnjährigen bei <strong>der</strong><br />
Heilpflanzenbeschaffung<br />
-Auszug-<br />
…<br />
Tausende deutscher Jungen und Mädel aus <strong>der</strong> Schule und aus <strong>der</strong> HJ s<strong>in</strong>d seit langem schon<br />
als freiwillige jüngste Helfer <strong>der</strong> Reichsarbeitsgeme<strong>in</strong>schaft für Heilpflanzenkunde und<br />
Heilpflanzenbeschaffung <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>heiten mit ihren Lehrern, mit Apothekern und<br />
Drogisten, mit Förstern und an<strong>der</strong>en Fachkundigen h<strong>in</strong>ausgezogen und haben wertvolle<br />
„Beute“ heimgebracht. Zum ersten Male werden damit die Schulen durch e<strong>in</strong>en Erlaß <strong>des</strong><br />
Kultusm<strong>in</strong>isters und <strong>der</strong> HJ durch e<strong>in</strong>en Reichsjugendbefehl e<strong>in</strong>heitlich im Dienste <strong>der</strong> RfH<br />
erfaßt. ...<br />
Das Sammelergebnis im letzten Jahre war <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> außerordentlich groß. Je<strong>des</strong> K<strong>in</strong>d, das<br />
sich unter fachmännischer Leitung am Heilpflanzen- und Teekräuter sammeln beteiligt, hat<br />
das Gefühl, durch se<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Opfer und durch sorgfältige Sammelarbeit an <strong>der</strong><br />
Wie<strong>der</strong>gesundung Kranker und auf dem Gebiete <strong>der</strong> heute beson<strong>der</strong>s wichtigen<br />
Rohstoffbeschaffung mitzuhelfen.<br />
15000 kg Heilkräuter durch Schulen gesammelt<br />
-Auszug-<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 06./07. April <strong>1940</strong><br />
Die Heilpflanzensammlung unserer Schulen im Stadt- und Landkreise hat <strong>in</strong> diesem<br />
Jahre e<strong>in</strong> Ergebnis gehabt, das den Ertrag aller Vorjahre weit übertrifft.<br />
Kriegsbed<strong>in</strong>gte<br />
Än<strong>der</strong>ungen an den Volksschulen<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 27. Nov. <strong>1940</strong><br />
Die H<strong>in</strong>denburgschule hat ihre Klassen an die Sand-, Stadt-, Osterberg-, Kloster- und<br />
Oberschule für Jugend aufgeteilt. Der Sitz <strong>des</strong> Rektors ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadtschule. Die<br />
H<strong>in</strong>denburgschule wird für an<strong>der</strong>e Zwecke benötigt.
Das Gebäude <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulstraße, <strong>in</strong> dem bisher die Katholische Schule ihre Räume hatte, ist<br />
für städtische Verwaltungszwecke freigemacht worden. Die Hilfsschule hat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt- und<br />
Klosterschule Unterkommen gefunden, während die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> Katholischen Schule<br />
entsprechend ihrer Wohnungen auf alle Volksschulen verteilt wurden. Geson<strong>der</strong>ten<br />
Religionsunterricht erhalten katholische K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Saale <strong>der</strong> Klosterschule. Die E<strong>in</strong>sparung<br />
von Klassenräumen br<strong>in</strong>gt es mit sich, daß <strong>in</strong> beschränktem Umfange auch am Nachmittage<br />
Unterricht gegeben werden muß. Für die zum Heeresdienst e<strong>in</strong>gezogenen Lehrkräfte haben<br />
Ruheständler o<strong>der</strong> frühere Lehrer<strong>in</strong>nen die Vertretung übernommen.<br />
6000 bekennen: Wir werden siegen!<br />
14 gewaltige Kundgebungen im Stadt- und Landkreis <strong>Guben</strong><br />
227<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 11. Okt. 1939<br />
Der Führer hat zu Anfang <strong>des</strong> Krieges das gesamte Volk zum Entscheidungskampf<br />
aufgerufen und ke<strong>in</strong>er darf fehlen. Die deutschen Männer haben die Waffen <strong>in</strong> die<br />
Hand genommen und tun draußen ihre Pflicht. Ihre Frauen haben sie ziehen lassen,<br />
denn so wie die Männer draußen ihre Tapferkeit beweisen, wollen alle<br />
Zurückbleibenden mit <strong>der</strong> gleichen Tapferkeit <strong>der</strong> deutschen Volksgeme<strong>in</strong>schaft dienen.<br />
Unsere Soldaten sollen es wissen, daß wir zu Hause zusammenstehen und e<strong>in</strong>er <strong>des</strong><br />
an<strong>der</strong>en Sorge trägt. Unsere Soldaten sollen sich auf uns verlassen können und jede<br />
Stunde soll uns bereit f<strong>in</strong>den.<br />
....<br />
Es fanden Kundgebungen statt: im „Schützenhaus“ und „Kaisergarten“ <strong>in</strong> <strong>Guben</strong>; im<br />
„Gesellschaftshaus“ <strong>in</strong> Fürstenberg; Ziltendorf; Wiesenau; Schönfließ; Neuzelle; Groß<br />
Breesen; Wallwitz; L<strong>in</strong>denha<strong>in</strong>; Plesse, Beitsch; Germersdorf und Merke.<br />
Es war e<strong>in</strong>e Großleistung wirklicher Organisationskunst <strong>der</strong> NSDAP, all diese<br />
Kundgebungen, die wir gestern erlebten.<br />
....<br />
Jung und alt, Männer und Frauen, Jungen und Mädchen, alle hatten sich e<strong>in</strong>gefunden. Voller<br />
H<strong>in</strong>gabe lauschten sie den markanten Ausführungen <strong>der</strong> Redner, die aufriefen, aufklärten und<br />
den S<strong>in</strong>n und die Notwendigkeit dieses Krieges herausstellten, die aber auch auf die Pflicht<br />
h<strong>in</strong>wiesen, zusammenzustehen und wenn es se<strong>in</strong> muß, große Opfer zu br<strong>in</strong>gen. Immer wie<strong>der</strong><br />
klangen Beifallstürme auf, e<strong>in</strong> Beweis dafür, daß die Redner dem Volke aus dem Herzen<br />
gesprochen haben.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 17. Nov. 1939<br />
Die <strong>Guben</strong>er besuchen heute folgende Versammlungen<br />
Kaisergarten, Schützenhaus, Feldschlösschen, Rest. Sprucke<br />
10 M<strong>in</strong>uten Dunkelheit und Kälte darf niemand scheuen, um e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> heute abend<br />
stattf<strong>in</strong>denden Versammlungen <strong>der</strong> NSDAP zu besuchen. Die Beteiligung am politischen<br />
Geschehen unserer <strong>Zeit</strong> darf heute von je<strong>der</strong>mann erwartet werden, und wenn die Front<br />
entschlossen und e<strong>in</strong>satzbereit den Schutz <strong>der</strong> Heimat sichert, so hat die Heimat die<br />
beson<strong>der</strong>e Verpflichtung, den politischen Kampf gegen die Plutokratien durch regste<br />
Aktivitäten zu unterstützen. Darum heraus zu den Versammlungen <strong>der</strong> Partei!
23264 freiwillige Leistungsstunden<br />
228<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 18. Jan. <strong>1940</strong><br />
E<strong>in</strong> Rückblick auf die Arbeit <strong>der</strong> NS-Frauenschaft und <strong>des</strong> Deutschen Frauenwerkes<br />
<strong>in</strong> <strong>Guben</strong> seit Kriegsbeg<strong>in</strong>n<br />
-Auszug-<br />
Als im September <strong>des</strong> vergangenen Jahres das deutsche Volk zum Abwehrkampf gezwungen<br />
wurde, war es selbstverständlich, daß auch die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> NS-Frauenschaft und <strong>des</strong><br />
Deutschen Frauenwerkes e<strong>in</strong>satzbereit auf ihren Posten standen. In den Nähstuben, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Küche <strong>des</strong> NSV, <strong>in</strong> Kurzkursen, überall dort, wo schon immer das Feld ihrer Betätigung war,<br />
arbeiteten die Frauen mit verdoppeltem Eifer. Darüber h<strong>in</strong>aus erfor<strong>der</strong>ten die durch die<br />
Kriegslage neu geschaffenen Aufgabengebiete e<strong>in</strong>en hohen E<strong>in</strong>satz von nimmermü<strong>der</strong><br />
Arbeitskraft. Viel ist <strong>in</strong> den vergangenen Monaten geleistet worden. Heute, wo das deutsche<br />
Volk e<strong>in</strong>mütig zusammen steht, um den uns aufgezwungenen Krieg siegreich zu beenden,<br />
muß es je<strong>der</strong> Frau, die es nur irgendwie mit ihren häuslichen o<strong>der</strong> beruflichen Pflichten<br />
vere<strong>in</strong>baren kann, Herzensbedürfnis se<strong>in</strong>, am großen Werk mitzuwirken. ....<br />
60 Helfer<strong>in</strong>nen <strong>des</strong> DRK vereidigt<br />
-Auszug-<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 23. Febr. <strong>1940</strong><br />
Im Bereitschaftsheim <strong>des</strong> Deutschen Roten Kreuzes <strong>in</strong> <strong>der</strong> Straße <strong>der</strong> SA fand gestern abend<br />
<strong>in</strong> feierlicher Form die Vereidigung von 60 Helfer<strong>in</strong>nen <strong>des</strong> DRK auf den Führer statt.<br />
....<br />
Der Devise „E<strong>in</strong> Reich, e<strong>in</strong> Volk, e<strong>in</strong> Führer“ könne man im H<strong>in</strong>blick auf das Deutsche Rote<br />
Kreuz h<strong>in</strong>zufügen: Und e<strong>in</strong> Geist h<strong>in</strong>gebungsvoller Hilfsbereitschaft.<br />
....<br />
Der Kreisführer, Oberbürgermeister Schmiedicke erklärte: Wer im Dienste <strong>des</strong> Roten Kreuzes<br />
steht, muß viel leisten und auf manche äußere Anerkennung verzichten.<br />
Soldaten kehren aus dem Feldzug zurück<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 23. April <strong>1940</strong>
Der Kreisleiter an die <strong>Guben</strong>er Bevölkerung<br />
Männer und Frauen, Jungen und Mädel von <strong>Guben</strong>!<br />
Am Dienstag, dem 23. Juli <strong>1940</strong>, ziehen die <strong>in</strong> unserem Kreis e<strong>in</strong>quartierten Soldaten <strong>in</strong><br />
unsere Stadt e<strong>in</strong>. Es s<strong>in</strong>d die Sieger <strong>des</strong> Polenfeldzuges, die Sieger über Frankreich, es s<strong>in</strong>d<br />
die tapferen Söhne unseres Volkes, <strong>der</strong>en e<strong>in</strong>zigartige Leistungen uns <strong>in</strong> den letzten Monaten<br />
mit höchster Bewun<strong>der</strong>ung und größtem Stolz erfüllt haben. Sie waren es, die die Fe<strong>in</strong>de von<br />
unserer Heimat ferngehalten und vernichtet haben. Nun haben wir Gelegenheit, ihnen aus<br />
vollstem Herzen unseren Dank abzustatten! Am Tage ihres E<strong>in</strong>zuges soll es <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> ke<strong>in</strong><br />
Haus ohne Flaggenschmuck, <strong>in</strong> den Hauptstraßen ke<strong>in</strong> Schaufenster ohne würdige<br />
Ausgestaltung geben! Niemand wird beim E<strong>in</strong>marsch <strong>der</strong> Sieger zu Hause bleiben! Und ke<strong>in</strong><br />
Soldat <strong>in</strong> unsere Stadt e<strong>in</strong>ziehen, ohne von uns mit Blumen geschmückt zu se<strong>in</strong>!<br />
<strong>Guben</strong>er! Wir wollen unseren Soldaten e<strong>in</strong>en jubelnden Empfang bereiten, wie er <strong>der</strong><br />
tapfersten Armee <strong>der</strong> Welt würdig ist!<br />
Heil Hitler<br />
Hans Richter, z.Zt. Kreisleiter, Gauamtsleiter<br />
Jubelnde Stadt im Zeichen siegreicher Bataillone<br />
229<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 20./21. Juli <strong>1940</strong><br />
Über 15000 <strong>Guben</strong>er im Stadion – Ergreifende Dankbarkeit und Begeisterung <strong>der</strong><br />
Bevölkerung – Höhepunkt <strong>des</strong> unvergeßlichen Tages: <strong>der</strong> Vorbeimarsch auf dem Markt<br />
Wie<strong>der</strong> großer Jubel<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 24. Juli <strong>1940</strong><br />
Mit Fahnen, Girlanden und Blumen wollen wir sie willkommen<br />
heißen<br />
Männer und Frauen von <strong>Guben</strong>! <strong>Guben</strong>er Jugend!<br />
Während die Abrechnung mit dem Kriegsanstifter England ist, wird uns die Freude<br />
zuteil, unser <strong>Guben</strong>er Heimatregiment nach über e<strong>in</strong>em Jahre se<strong>in</strong>es siegreichen<br />
Kampfes wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> unserer Stadt begrüßen zu dürfen. Schon e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> diesem Jahre<br />
konnten wir tapfere Frontsoldaten jubelnd <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> empfangen. Diesmal aber s<strong>in</strong>d es<br />
Soldaten, die uns als die Angehörigen <strong>der</strong> Garnison <strong>Guben</strong> beson<strong>der</strong>s nahestehen, mit<br />
denen uns aus den <strong>Zeit</strong>en <strong>des</strong> Friedens viele Bande <strong>der</strong> Freundschaft verb<strong>in</strong>den, unter<br />
ihnen bef<strong>in</strong>den sich zahlreiche Söhne unserer Stadt. Wir werden sie daher am<br />
kommenden Freitag mit beson<strong>der</strong>er Freude, mit größter Herzlichkeit und mit dem<br />
Gefühl tiefsten Dankes empfangen. Mit Fahnen und Girlanden, mit ungezählten Blumen<br />
wollen wir sie willkommen heißen und auf den Straßen ihres Marschweges soll ihnen<br />
unsere Begeisterung entgegen schallen. Die Verbundenheit <strong>der</strong> Heimat mit <strong>der</strong> Front,
die <strong>in</strong> den Monaten <strong>des</strong> Krieges bewährt wurde, soll am Freitag ihren sichtbaren<br />
Ausdruck f<strong>in</strong>den!<br />
Heil Hitler<br />
Der Kreisleiter <strong>des</strong> Kreises <strong>Guben</strong>-Stadt und –Land<br />
Hans Richter, Gauamtsleiter<br />
Je<strong>der</strong> im Betrieb trägt Verantwortung<br />
Betriebsappell bei C. Lehmann’s Wwe & Sohn –<br />
Gedenken an den gefallenen Betriebsführer<br />
Major Ernst C. Lehmann<br />
-Auszug-<br />
230<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 25. Sept. <strong>1940</strong><br />
Die beiden <strong>Guben</strong>er Tuchfabriken C.G.Lehmann´s Wwe & Sohn und Reißner, Wohl &<br />
Co. Nachf. veranstalteten gestern anläßlich <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>des</strong> neuen Betriebsführers<br />
Peter C. Lehmann – Bärenklau e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>schaftlichen Betriebsappell, den<br />
Betriebsobmann<br />
Krapiddel vor <strong>der</strong> großen Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> Schaffenden eröffnete. Der stellv. Betriebsführer,<br />
Direktor Schöne, gedachte <strong>des</strong> gefallenen bisherigen Besitzers <strong>der</strong> Werke, den er als e<strong>in</strong>en<br />
bedeutenden Industriellen und wirklichen Menschenführer würdigte. ....<br />
Se<strong>in</strong>er Tatkraft gelang es, <strong>in</strong>nerhalb weniger Jahre die Gefolgschaft zu verdoppeln. Der Ruf<br />
se<strong>in</strong>er Fabrikate war <strong>der</strong> Weltruf deutscher Wertarbeit. In Erweiterung <strong>der</strong> Tuchfabrikation<br />
glie<strong>der</strong>te er se<strong>in</strong>em Betriebe die Tuchfabrik Reißner, Wohl & Co. Nachf. 1938 an, stellte das<br />
Unternehmen <strong>in</strong> kürzester Frist um und legte die Grundlage zu e<strong>in</strong>er hervorragenden<br />
Weiterentwicklung.<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 17. Juli <strong>1940</strong>
Es waren ganz normale Männer<br />
Der Alltag brachte bitteres Leid / Die Tragödie<br />
im Osten / <strong>Guben</strong> im Zweiten Weltkrieg<br />
- Auszug -<br />
Für Führer und Vaterland<br />
gab se<strong>in</strong> Leben<br />
unser allseitiger Geschäfts<strong>in</strong>haber<br />
Pg Ernst C. Lehmann – Bärenklau<br />
Major und Kommandeur<br />
Inhaber <strong>des</strong> Hausordens von Hohenzollern<br />
mit Schwertern<br />
<strong>der</strong> Eisernen Kreuze 1. und 2. Klasse<br />
und an<strong>der</strong>er Kriegsauszeichnungen aus dem<br />
Weltkrieg<br />
Er starb den Heldentod im 60. Lebensjahr<br />
E<strong>in</strong> unersetzlicher Verlust hat uns damit<br />
betroffen<br />
<strong>Guben</strong>, den 8. Mai <strong>1940</strong><br />
C. Lehmann’s Wwe & Sohn<br />
Lißner, Wohl & Co. Nachf.<br />
<strong>Guben</strong>. Der Kriegsalltag belastet mehr o<strong>der</strong> weniger alle <strong>Guben</strong>er Familien.<br />
Beg<strong>in</strong>nend mit dem Polen-Feldzug im September 1939, häuften sich <strong>in</strong> den Folgejahren die<br />
Gefallenenmeldungen und brachten den Angehörigen bitteres Leid.<br />
Quelle: Lausitzer Rundschau, 16. Okt. 1999, Materna/Ribbe, Brandenburg, Gesch., Berl<strong>in</strong><br />
1995<br />
Ehrenfriedhof für die gefallenen <strong>Guben</strong>er<br />
231
Die Stadt <strong>Guben</strong> wird für die im Kriege gefallenen <strong>Guben</strong>er und für die <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>er<br />
Kriegsverwundung hier verstorbenen Angehörigen <strong>der</strong> Wehrmacht auf dem Ostfriedhof e<strong>in</strong>en<br />
beson<strong>der</strong>en Platz als E h r e n f r i e d h o f e<strong>in</strong>richten. Vorgesehen ist hierfür e<strong>in</strong> alter Teil<br />
<strong>des</strong> Ostfriedhofes, <strong>der</strong> an den „Urnenha<strong>in</strong>“ anschließt. Der Platz ist mit schönen alten Eichen<br />
bestanden und wird e<strong>in</strong>e würdige Ruhestätte für die für Führer und Vaterland Gefallenen<br />
se<strong>in</strong>. Die Grabstellen werden von <strong>der</strong> Stadt unentgeltlich zur Verfügung gestellt.<br />
Gestern erhielten wir die traurige Nachricht,<br />
daß unser lieber<br />
Werner<br />
Gefreiter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Inf.-Reg.<br />
nicht mehr <strong>in</strong> die Heimat zurückkehrt.<br />
Er fiel am 15. Juni <strong>1940</strong> getreu se<strong>in</strong>em Fahneneid,<br />
bei <strong>der</strong> Erstürmung e<strong>in</strong>es Panzerwerks <strong>der</strong> Mag<strong>in</strong>ot-L<strong>in</strong>ie.<br />
In tiefem Schmerz<br />
Karl Göll<strong>in</strong>g und Frau<br />
Re<strong>in</strong>hold, als Bru<strong>der</strong><br />
und alle Anverwandten<br />
L<strong>in</strong>a Daubitz, als Braut<br />
<strong>Guben</strong>, den 28. Juni <strong>1940</strong> und Angehörige<br />
232<br />
Quelle: <strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung, 19. Sept. 1939<br />
Auch <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es unserer <strong>Zeit</strong>zeugen kehrte nicht zurück<br />
Gräuel fand er unerträglich<br />
Wenige wehrten sich dagegen. E<strong>in</strong>er davon war Generaloberst Hellmut Stieff, später als<br />
Verschwörer <strong>des</strong> 20. Juli 1944 h<strong>in</strong>gerichtet, <strong>der</strong> im November 1939 nach e<strong>in</strong>er Fahrt durch<br />
Polen schrieb: „Ich schäme mich, e<strong>in</strong> Deutscher zu se<strong>in</strong>!“ Denn die Gräuel fand er für e<strong>in</strong><br />
hochstehen<strong>des</strong> Kulturvolk unerträglich.<br />
Die<br />
Quelle: Auszüge Lausitzer Rundschau 16.10.1999, Gerhard Gunia
Verzeichnis wichtiger Abkürzungen<br />
BDM Bund deutscher Mädchen<br />
BGH Berl<strong>in</strong> <strong>Guben</strong>er Hutfabrik<br />
CeLeWes C = für Carl<br />
e = für Ernst<br />
le = für Lehmann<br />
we = für Witwe<br />
S = für Sohn<br />
DAF Deutsche Arbeitsfront<br />
DJV Deutsches Jungvolk<br />
Dulags Durchgangslager (Mehrzahl)<br />
Gestapo Geheime Staatspolizei<br />
GSV <strong>Guben</strong>er Schwimmvere<strong>in</strong><br />
Guhabag <strong>Guben</strong>er Haar- und Velourhutfabrik<br />
HJ Hitlerjugend<br />
JM Jungmädelr<strong>in</strong>g<br />
JMFA<br />
Jungmädelführer<strong>in</strong>anwartschaft<br />
KdF Kraft durch Freude<br />
KPD Kommunistische Partei Deutschlands<br />
KZ Konzentrationslager<br />
MTV Männer-Turnvere<strong>in</strong><br />
Nachf. Nachfahre<br />
233
NS <strong>Nationalsozialismus</strong><br />
NSDAP Nationalsozialistische Deutsche<br />
Arbeiterpartei<br />
NSFK Nationalsozialistischer Fliegerkorps<br />
NSG NationalsozialistischeGeme<strong>in</strong>schaft<br />
NSKK Nationalsozialistischer Kraftfahrerkorps<br />
NSV NationalsozialistischeVolksfürsorge<br />
OKW Oberkommando <strong>der</strong><br />
Wehrmacht<br />
Pg. Parteigenosse<br />
RAD Reichsarbeitsdienst<br />
RfL Reichsbund für Leibesübungen<br />
RM Reichsmark<br />
SA Sturmabteilung<br />
SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands<br />
SS Sturmstaffel<br />
Stalags Stammlager (Mehrzahl)<br />
UK Unabkömmlich<br />
VB Völkischer Beobachter<br />
VdA Vere<strong>in</strong> <strong>der</strong> Auslanddeutschen<br />
VfL Vere<strong>in</strong> für Leibesübungen<br />
WHW W<strong>in</strong>terhilfswerk<br />
Wwe Witwe<br />
234
Literatur- und Quellenverzeichnis<br />
<strong>Guben</strong>er <strong>Zeit</strong>ung Jahrgänge <strong>1936</strong> - <strong>1940</strong><br />
„Nachbarn von e<strong>in</strong>st“ – Ausstellungskatalog Andreas Peter 1999<br />
<strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> 1993, 1995, 1998; Herausgeber: <strong>Guben</strong>er Heimatkalen<strong>der</strong> e. V.<br />
<strong>Guben</strong>er Heimatbrief 2/1998, 2/1992; Herausgeber: <strong>Guben</strong>er Heimatbund e. V.<br />
„Auf Straßen und <strong>in</strong> Fabriken“, Autor: Horst Reschke;<br />
Satz und Druck: VEB Lausitzdruck Ruhland, Betriebteil Forst 1-5-9;<br />
Herausgegeben vom Kreisvorstand <strong>Guben</strong> <strong>des</strong> FDGB zum 20. Jahrestag <strong>der</strong> Gründung <strong>des</strong><br />
Freien Deutschen Gewerkschaftsbun<strong>des</strong>, Wilhelm-Pieck-Stadt <strong>Guben</strong> 1965<br />
„Berufsausbildung <strong>in</strong> <strong>Guben</strong> vor und nach 1945“, Dokumentation von Herrn Werner Micksch<br />
Dietl<strong>in</strong>de Schulz und Karsten Schnei<strong>der</strong>, wissenschaftlich - praktische Arbeit / Projektarbeit<br />
EOS „Pestalozzischule“ <strong>Guben</strong> 1989/90<br />
Charlotte Kirks, Lausitzer Rundschau vom 7. Mai 1994<br />
Daniela Aue, Lausitzer Rundschau vom 11. August 1999<br />
He<strong>in</strong>z Laßnack, Lausitzer Rundschau vom 24. Dezember 1999<br />
Materna / Ribbe, Brandenburg, Gesch., Berl<strong>in</strong> 1995;<br />
Lausitzer Rundschau vom 16. Oktober 1999<br />
Zum 100. Geburtstag von Wilhelm Pieck (ausgewählte Bil<strong>der</strong> und Dokumente);<br />
Herausgeber: SED – Bezirksleitung, 3. Januar 1976<br />
„Die unschuldigen K<strong>in</strong><strong>der</strong> und <strong>der</strong> 2. Weltkrieg“<br />
„Die rote Fahne“ Antifaschistischer Wi<strong>der</strong>standkampf <strong>in</strong> <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z Brandenburg<br />
1933 –1939 Teil 1 u. Teil 2; Märkische Volksstimme 1982<br />
Staatsarchiv Potsdam: Pr. Br. Rep: 1 Nr. 1961, Bl. 89 - 90<br />
Pr. Br. Rep: 2A/Pol Nr. 1961, Bl. 17 - 19<br />
„Namenlose Helden - gab es nicht“ (Teil 1 u. Teil 2);<br />
Herausgeber: Bezirkskomitee Cottbus d. antifasch. Wi<strong>der</strong>standkämpfer<br />
Auftrag SED-Bezirkleitung 1984<br />
„Perle <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lausitz II“, Lutz Materne; Horb am Neckar, Geiger Verlag 1995<br />
„Zur Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Guben</strong>er Metall<strong>in</strong>dustrie“ von Egon Böhme<br />
Schriftreihe 20 <strong>Guben</strong>er Humanisten<br />
Freun<strong>des</strong>kreis d. Gymnasiums d. Oberrealschule, d. Lyzeums u. d. Oberschule zu <strong>Guben</strong> 1982<br />
235
„Wegweiser durch das jüdische Brandenburg“ – Irene Dickmann und Julius Schoeps, Edition<br />
Hentrich 1995<br />
Jutta Rückert / Otto Rückert Literatur: Wolbe, Eugen: „Geschichte <strong>der</strong> Juden <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Mark Brandenburg“, Berl<strong>in</strong> 1937<br />
Das E<strong>in</strong>wohnerbuch <strong>der</strong> Stadt <strong>Guben</strong> von 1939<br />
NEUES UNIVERSALLEXIKON IN FARBE – Son<strong>der</strong>ausgabe 2002 Trautwe<strong>in</strong> Lexikon –<br />
Edition Genehmigte Son<strong>der</strong>ausgabe Compact Verlag München<br />
<strong>Guben</strong>er Stadtpläne von 1939 und 1992<br />
Unterlagen von: Herrn Augustyniak<br />
Herrn Arlt<br />
Herrn Gunia<br />
Herrn Micksch<br />
Herrn Möhr<strong>in</strong>g<br />
Quellen Fotos: <strong>Guben</strong>er Heimatlexikon; Fotoabb. 8<br />
Herausgeber: Rat <strong>der</strong> Stadt Wilhelm-Pieck-Stadt-<strong>Guben</strong>, Deutscher<br />
Kulturbund, Kreisleitung <strong>Guben</strong>, 1971<br />
<strong>Guben</strong> Stadt und Land vor 1945; Seiten 52/53, 137, 205/206<br />
Herausgeber: Heimatbund-Verlag (Walter Schirm) Hannover<br />
Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Darmstadt<br />
<strong>Guben</strong>er Heimatbrief 2/2004; Seiten 40/41<br />
Herausgeber: <strong>Guben</strong>er Heimatbund e. V.<br />
Nachbarn von e<strong>in</strong>st; Seite 24<br />
Herausgeber: Fabrik e. V., Mittelstraße 18, <strong>Guben</strong><br />
Autor: Andreas Peter, Berl<strong>in</strong>er Straße 37, <strong>Guben</strong><br />
Fotos aus Privatbesitz<br />
236
Die Projektgruppe verabschiedet und<br />
bedankt sich<br />
für Ihr Interesse<br />
237