Julia Wesian - Forschungslabor Gesprochene Sprache ...

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05.12.2012 Aufrufe

der Funktion von Sprache als Instrument gesellschaftlichen Handelns, womit der zentrale Grundsatz der Reformpolitik eliminiert sei. Dieser sieht Sprache sowohl als Herrschafts- als auch als Protestinstrument (s. Hellinger 2000: 181f.). Gegen die Verwendung geschlechtergerechter Sprachmuster werden im öffentlichen Diskurs verschiedene Argumente hervorgebracht. Der Feminisierung von Pronomina und der damit verbundenen Anpassung der Kongruenzregeln wird eine Verletzung des deutschen Pronominalsystems vorgeworfen, wodurch eine Verwendung derartiger Formen unmöglich sei. Weiterhin sei die geschlechtergerechte Sprache nicht mit dem sprachlichen Ökonomieprinzip vereinbar, da die Alternativen zu lang und Schrägstriche und Klammern beim Geschlechtersplitting zu verwirrend und potenziell missverständlich seien. Ebenso fehle es dem symmetrischen Sprachgebrauch außer an Präzision auch an Eleganz. Zusätzlich wird bezweifelt, dass die Neuerungen von der Sprachgemeinschaft gewünscht und aufgenommen werden (s. Hellinger/Schräpel 1983: 52-54). Insgesamt kommt dem öffentlichen Diskurs ein erhebliches manipulatives Potential zu, da die meisten Sprecher/innen des Deutschen keinen direkten Zugang zu den Richtlinien haben und deshalb auf die Vermittlung durch den öffentlichen Diskurs angewiesen sind (s. Hellinger 1997: 38). Obwohl die Diskussion mittlerweile bei weitem nicht mehr die Brisanz und Präsenz besitzt, wie noch zu Beginn der feministischen Sprachkritik Ende der 1970er Jahre (s. Spillmann 1993: 11), führt die Thematik immer wieder zu kontroversen Diskussionen. Jüngstes Beispiel ist die Veröffentlichung einer „Bibel in gerechter Sprache“, welche von 42 Theologinnen und zehn Theologen entwickelt wurde. Ein Hauptanliegen dieser Bibelübersetzung ist es, „die Ergebnisse feministisch- theologischer und sozialgeschichtlicher Forschung, sowie Erfahrungen aus dem jüdisch-christlichen Dialog über die üblichen Kreise hinaus bekannt zu machen und auch – kontrovers – zu diskutieren“ (s. http://www.bibel-in-gerechter- sprache.de/grundld.htm). Hierzu zählt unter anderem auch, die in den biblischen Texten genannten oder mitgemeinten Frauen sprachlich sichtbar zu machen, so dass in der neuen Bibelversion z.B. neben Aposteln und Propheten auch Apostelinnen und Prophetinnen auftreten. Ebenso wird Gott nicht mehr mit „Herr“ bezeichnet, sondern mit verschiedenen Namen, wie „der Ewige“, „die Ewige“ oder „die Lebendige“. Kritiker/innen werfen der „gerechten“ Bibel ein angestrengt wirkendes Bemühen vor, beiden Geschlechtern ausreichende Gerechtigkeit 31

widerfahren zu lassen (s. Müller 2006: ohne Seite). Eine „gut gemeinte, aber völlig unleserliche Travestie eines Kommentars“ sei das Ergebnis (s. Kallscheuer 2006: 16). Es wird deutlich, dass die Thematik der geschlechtergerechten Sprache immer noch Aktualität besitzt und zu kontroversen Diskussionen führen kann, wenngleich das Konfliktpotenzial im Vergleich zu den Anfängen der feministischen Sprachkritik stark abgenommen hat. Ob sich die Diskussion bezüglich der genannten Bibel weiter verschärfen oder schon nach kurzer Zeit wieder abklingen wird, bleibt abzuwarten. Über die Resonanz in der Öffentlichkeit werden die Verkaufszahlen der „Bibel in gerechter Sprache“ Auskunft geben. III Fragebogenerhebung zum Thema: Einstellung zur geschlechtergerechten Sprache 1 Intention der Untersuchung Die Thematik der geschlechtergerechten Sprache ist seit Beginn der feministischen Sprachkritik immer wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gelangt, dennoch hat mittlerweile nicht nur das öffentliche, sondern z.T. auch das wissenschaftliche Interesse an dieser Thematik abgenommen (s. Schiewe 2002: 221). Zudem hat die Diskussion an Brisanz bzw. Konfliktpotenzial verloren. 32 Beides könnte zum einen darauf zurückzuführen sein, dass viele der von Feministinnen geforderten Veränderungen bereits umgesetzt worden sind. Zum anderen stellt sich die Frage, ob dafür nicht auch eine positivere Einstellung zu geschlechtergerechter Sprache sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Wissenschaft ursächlich ist, wobei im Rahmen dieser Untersuchung weniger das wissenschaftliche als vielmehr das öffentliche Interesse im Fokus steht. Die Untersuchung soll zeigen, wie die Öffentlichkeit die Entwicklungen hin zu einem geschlechtergerechten Deutsch beurteilt, das heißt, ob die bisherigen 32 Vgl. dazu die Ausführungen in II 5.4. 32

der Funktion von <strong>Sprache</strong> als Instrument gesellschaftlichen Handelns, womit der<br />

zentrale Grundsatz der Reformpolitik eliminiert sei. Dieser sieht <strong>Sprache</strong> sowohl als<br />

Herrschafts- als auch als Protestinstrument (s. Hellinger 2000: 181f.).<br />

Gegen die Verwendung geschlechtergerechter Sprachmuster werden im öffentlichen<br />

Diskurs verschiedene Argumente hervorgebracht. Der Feminisierung von Pronomina<br />

und der damit verbundenen Anpassung der Kongruenzregeln wird eine Verletzung<br />

des deutschen Pronominalsystems vorgeworfen, wodurch eine Verwendung<br />

derartiger Formen unmöglich sei. Weiterhin sei die geschlechtergerechte <strong>Sprache</strong><br />

nicht mit dem sprachlichen Ökonomieprinzip vereinbar, da die Alternativen zu lang<br />

und Schrägstriche und Klammern beim Geschlechtersplitting zu verwirrend und<br />

potenziell missverständlich seien. Ebenso fehle es dem symmetrischen<br />

Sprachgebrauch außer an Präzision auch an Eleganz. Zusätzlich wird bezweifelt,<br />

dass die Neuerungen von der Sprachgemeinschaft gewünscht und aufgenommen<br />

werden (s. Hellinger/Schräpel 1983: 52-54).<br />

Insgesamt kommt dem öffentlichen Diskurs ein erhebliches manipulatives Potential<br />

zu, da die meisten Sprecher/innen des Deutschen keinen direkten Zugang zu den<br />

Richtlinien haben und deshalb auf die Vermittlung durch den öffentlichen Diskurs<br />

angewiesen sind (s. Hellinger 1997: 38).<br />

Obwohl die Diskussion mittlerweile bei weitem nicht mehr die Brisanz und Präsenz<br />

besitzt, wie noch zu Beginn der feministischen Sprachkritik Ende der 1970er Jahre<br />

(s. Spillmann 1993: 11), führt die Thematik immer wieder zu kontroversen<br />

Diskussionen. Jüngstes Beispiel ist die Veröffentlichung einer „Bibel in gerechter<br />

<strong>Sprache</strong>“, welche von 42 Theologinnen und zehn Theologen entwickelt wurde. Ein<br />

Hauptanliegen dieser Bibelübersetzung ist es, „die Ergebnisse feministisch-<br />

theologischer und sozialgeschichtlicher Forschung, sowie Erfahrungen aus dem<br />

jüdisch-christlichen Dialog über die üblichen Kreise hinaus bekannt zu machen und<br />

auch – kontrovers – zu diskutieren“ (s. http://www.bibel-in-gerechter-<br />

sprache.de/grundld.htm). Hierzu zählt unter anderem auch, die in den biblischen<br />

Texten genannten oder mitgemeinten Frauen sprachlich sichtbar zu machen, so<br />

dass in der neuen Bibelversion z.B. neben Aposteln und Propheten auch<br />

Apostelinnen und Prophetinnen auftreten. Ebenso wird Gott nicht mehr mit „Herr“<br />

bezeichnet, sondern mit verschiedenen Namen, wie „der Ewige“, „die Ewige“ oder<br />

„die Lebendige“. Kritiker/innen werfen der „gerechten“ Bibel ein angestrengt<br />

wirkendes Bemühen vor, beiden Geschlechtern ausreichende Gerechtigkeit<br />

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