7. Anhang7.1. Maturrede <strong>MNG</strong> vonEric Schertlenleib, MaturandEndstation AufbruchAls mein Deutschlehrer, Herr Michelus, mich fragte, obich die Maturrede halten möchte, war ich sehr geehrtund sagte sofort zu. Der Schock kam dann erst später.Ich sollte bereits im Voraus einen Titel für meine Redesetzen, ohne überhaupt die geringste Ahnung zu haben,worüber ich sprechen möchte. Nun glaube ich, zu wissen,was ich sagen werde – zur «Endstation Aufbruch».Nach vier Jahren <strong>hier</strong> ist dies nun also euer letzter Vortrag,den ihr am <strong>MNG</strong> hören werdet. Ich mache mir abernichts vor. Die meisten <strong>hier</strong> drin wollen ihr Zeugnis unddann so schnell wie möglich raus <strong>hier</strong>. Draussen gibt esChampagner und Freiheit, <strong>hier</strong> drin bloss eine überfüllteAula mit unbequemen Sitzen. Ich werde also den nettenLehrer spielen und den Unterricht nicht bis zumbitteren Ende halten.Soviel ich weiss, wird die Maturrede am <strong>MNG</strong> meistnicht von einem Schüler, sondern von irgendeiner äussersterfolgreichen Person gehalten. Diese Person hätteeuch etwas darüber erzählt, was man für ein erfolgreichesLeben tun muss oder welch wichtigen Stellenwertdie Bildung in unserer Gesellschaft hat oder wie ihr guteMenschen bleibt – oder werdet. Doch solche Fragengehören nun wirklich nicht zu meinem Kompetenzbereich,und ich möchte darüber auch gar nicht werweissen.Vielmehr will ich in unseren letzten Augenblickenals <strong>MNG</strong>-Schüler noch einmal zurückblicken, etwas politisch,etwas melancholisch, etwas amüsiert.Vor ziemlich genau vier Jahren sass ich auch <strong>hier</strong> inder Aula. Ich kam mit meinen Eltern <strong>hier</strong>her für die Informationsveranstaltung.Doch die ganze Veranstaltungwar etwas skurril. Da sassen viele junge, unverdorbene,potenzielle Schüler und wollten mehr über diese Schuleerfahren. Während des Vortrags wurde dann ab und zusogar übers <strong>MNG</strong> gesprochen, doch von dem ist mirkaum etwas geblieben. An jenem Abend gab es eigentlichnur ein Thema: Die ETH hatte ein Gymnasium rankingpubliziert, in dem die Schule nicht gerade gut – ja sogargeradezu schlecht – wegkam. Für uns war die ETH damalsnoch ein weit entfernter Stern. Folglich drehtensich unsere Fragen um viel irdischere Dinge wie zumBeispiel über die Dauer der 10-Uhr-Pause. Doch das<strong>MNG</strong> war in seinem Stolz verletzt und konnte diese Studienicht wortlos hinnehmen. Damit war es für unsSchüler um den Informationsgehalt geschehen. Den Restdes Abends ging es dann, böse gesagt, um die Frage,ob die damalige ETH-Rektorin, Frau Wunderli, in ihrenStatistik-Vorlesungen von jemandem abgelenkt wordenist. Aber vielleicht sind wir ja wirklich so schlecht. Nachvier Jahren am <strong>MNG</strong> tendiere ich zum Ersteren.Denken wir zurück an unseren ersten Schultag. Alsehemaliger Schüler der Hohen Promenade fiel mir sofortauf, wie wenig Frauen ans <strong>MNG</strong> kommen. VollerNeugier kamen wir also <strong>hier</strong>her und wünschten uns einetolle Klasse, gute Lehrer und einen nicht allzu langweiligenUnterricht. Die Lehrer auf der anderen Seite hofften,endlich ihre Traumklasse zu erhalten. Sie hofftenauf interessierte, fleissige und zuverlässige Schüler. <strong>Das</strong>perfekte Los zogen beide nicht. Beim ersten Schultagdenke ich aber auch an den Fototermin zurück. Späterbeim Vorweisen meiner Schülerlegi wünschte ich mirnoch oft, in jenem Moment ein wenig besser ausgesehenzu haben (und ich glaube, da bin ich nicht der einzige).An diesem Tag konnten wir auch zum ersten Malüber die Qualität der Mensa diskutieren.Eine andere Szene ist mir auch im Kopf geblieben:Die ganze Klasse bekam ihre neuen Kästchenschlüssel.Bald darauf machten wir uns auf die Suche. Diese gestaltetesich aber weit schwieriger als gedacht: <strong>Das</strong>Schloss wollte einfach nicht zu unserem Schlüssel passen.Und so irrte eine Gruppe von angeblich so intelligentenGymnasiasten kreuz und quer durchs Schulhaus.Irgendwann haben wir es dann doch noch gefunden. Wirhatten im falschen Stockwerk gesucht.Im Verlaufe der vier Jahre haben wir viel erfahren.So lernten wir mit Computern umzugehen, die wohl ältersind als wir alle zusammen. Wir fanden uns mit allenmöglichen eigenartigen Lehrern und Schülern ab. Gewissespezialisierten sich darin, mit möglichst wenigAufwand den grösstmöglichen Ertrag zu erzielen odermöglichst unauffällig zu schlafen. Aber keine Angst,liebe Steuerzahler: Wir lernten auch sehr viel Nützliches.Und so plätscherte unsere Schulzeit dahin.Damals war das Schulleben noch angenehm. Wirretteten uns von Wochenende zu Wochenende und vonFerien zu Ferien. Jeden Sommer kam dann die Erkenntnis,dass die neuen 1.-Klässler schon wieder kleiner gewordensind. Ende des zweiten Jahres mussten wir unsfestlegen, ob wir lieber Würfel oder Isomere zeichnenwollten, und im 3. Jahr kamen wir in neue Klassen. Wirhatten damals zwar schon das Gefühl, dass wir viel zuviele Hausaufgaben bekämen. Doch im Grunde genommenwar es doch recht entspannt.Seite 47 | Anhang
Anfang der 4. Klasse kam dann aber der wohl anstren-Beim ETH-Ranking landeten wir auf Platz 48 von 60.gendste Teil der ganzen Reise. Mit der Maturarbeit ver-Doch Statistiken erzählen nur die halbe Wahrheit. Esfolgten wir zum ersten Mal eine selbstständige Arbeitgibt immer Studien, die für oder gegen etwas sprechen.in dem Umfang. Auch waren wir sehr frei in der WahlHeute werden sogar die Essgewohnheiten und Musik-des Themas. Von Filmmusikkompositionen bis hin zupräferenzen von berühmten Personen analysiert, in derTeilchenphysik: alles war möglich. Sie ermöglichte je-Hoffnung, den Grund für ihren Erfolg ausfindig zu ma-dem, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, daschen. Lasst euch nicht von dem leiten. Wählt nicht deneinen auch interessiert.Weg, der als vielversprechendster angesehen wird. DennZugebenermassen kamen aber nicht alle gleich gutder Erfolg kommt nicht zu dem, der sich an alle Emp-mit diesen Freiheiten klar. Und so wurde das Thema beifehlungen der Studienautoren hält. Der Erfolg kommtvielen erst im letzten Moment eingereicht. <strong>Das</strong> Problemzu dem, der seinen eigenen Weg wählt. Trotz Rang 48:mit der Zeiteinteilung verfolgte die meisten bis zuletzt.Für mich war das <strong>MNG</strong> der richtige Weg.Lehrer haben manchmal seltsame Vorstellungen: LautEmpfehlung der Schulleitung sollten die MaturarbeitenIch möchte nun zum Schluss noch einigen Personenvor den Weihnachtsferien kurz vor der Vollendung ste-speziell danken:hen. Reines Wunschdenken! Am Ende artete es in Stress,• Herrn Michelus für seinen Einsatz für die AufklärungWut und Koffeinmissbräuche aus. Trotz all der gutenund die Fähigkeit, tagein tagaus von Kant oder Nietz-Vorsätze – die Last-Minute-Methode gehört einfach zumsche zu schwärmenSchüler-Repertoire. Doch lassen wir den Lehrern ihre• Ich denke an Herrn Schäppi. Er hat mir beigebracht,Ideale.dass Mathematiker nicht per se eine hässliche Dar-Die letzte Station ging erst vor ein paar Tagen zustellung haben müssen. Auch wenn ich dies damalsEnde. Einige mussten für die Maturprüfungen bis zuletztnoch nicht einsehen wollte.lernen, andere wollten bis zuletzt lernen, und einige• Ich möchte Herrn Keller und Herrn Byland für ihr En-konnten es etwas lockerer angehen. Aber für alle wargagement für den Physikwettbewerb «SYPT» danken.es eine sehr anstrengende Woche. Einige lasen für dieIhr seid mitschuldig, dass ich Physik studieren möchte.mündlichen Prüfungen 5 Bücher in 3 Tagen, andere ver-• Ich finde, dass die Sprach- und Kunstlehrer ein spezi-liessen sich voll und ganz auf das Internet. Je näher derelles Kompliment verdienen, weil sie sich in die HöhlePrüfungstermin rückte, desto mehr Lernziele fielen demdes Löwen gewagt haben.Rotstift zum Opfer. Aus den Prüfungsgesprächen kamenIch glaube, das ist auf jeden Fall einen Applaus wert.einige lachend heraus, andere weinend, und wieder anderewussten nicht, ob sie weinen oder lachen sollten.• Im Namen aller Schüler möchte ich allen Lehrern <strong>hier</strong>Doch überlebt haben wir es alle.am <strong>MNG</strong> danken, für ihren unermüdlichen Einsatz, sichNun ist alles vorbei! Und zwar für beide Seiten! Dietagtäglich mit Menschen wie uns herumzuschlagen.jüngeren Jahrgänge haben bereits ihren neuen Stun-• Und last but not least möchte ich noch allen Elterndenplan erhalten, und einige <strong>hier</strong> drin werden das <strong>MNG</strong>für ihre Geduld und Aufopferung dankennie wieder betreten. <strong>Das</strong> Leben geht weiter, und das istgut so. Doch was bleibt übrig von der Zeit am <strong>MNG</strong>?Auch dies verdient einen Applaus.In diesen vier Jahren haben sich alle verändert. Aufden Klassenfotos von der 1. Klasse hat man Mühe, ge-Liebe Maturanden und Maturandinnen, liebe ehemali-Seite 48 | Anhangwisse Leute wiederzuerkennen. Als 14-jähriger tritt manin die Schule ein, als junger Erwachsener verlässt mansie. Es ist eine Zeit, in der man seine Interessen schärftund sich erste Gedanken über das Leben danach macht.<strong>Das</strong> <strong>MNG</strong> hat uns alle verändert. Bevor ich <strong>hier</strong>herkam,überlegte ich mir, Geschichte zu studieren, nun soll esPhysik sein. Mrs. Bollinger, please don’t take it personally.Doch auch das <strong>MNG</strong> hat sich gewandelt: In derZwischenzeit haben wir eine neue Schulleitung, undmittlerweile gelten wir offiziell nicht mehr als strenge,sondern nur noch als eine anspruchsvolle Schule.gen Mitschüler und Mitschülerinnen, ich gratuliere euchganz herzlich zu eurer Matur und wünsche euch allesGute! Geniesst eure kurze Freiheit!Eric Schertenleib4. Juli 2013Seite 48 | Maturrede <strong>MNG</strong>