Broschüre Arzthaftung/Schweigepflicht - Sächsische ...

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Die zivilrechtliche Haftung des Arztes Die ärztliche Schweigepflicht

Die zivilrechtliche Haftung des Arztes<br />

Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong>


Impressum<br />

Herausgeber<br />

<strong>Sächsische</strong> Landesärztekammer<br />

Schützenhöhe 16<br />

01099 Dresden<br />

www.slaek.de<br />

Redaktion<br />

Knut Köhler M.A.<br />

Umschlaggestaltung<br />

form&grafik<br />

Hans Wiesenhütter<br />

Satz und Druck<br />

Druckhaus Dresden<br />

© <strong>Sächsische</strong> Landesärztekammer. Alle Rechte vorbehalten!<br />

Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers.<br />

1. Auflage – Dresden 2005


Die zivilrechtliche Haftung des Arztes<br />

Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong><br />

Dr. med. Michael Kirsch, RA Dr. jur. Jürgen Trilsch<br />

Dresden 2005


Inhalt<br />

Vorwort ........................................................................................................... 4<br />

Die zivilrechtliche Haftung des Arztes ......................................................... 5<br />

Vorbemerkung ............................................................................................... 5<br />

1.Ärztliche Behandlung = Körperverletzung? ....................................... 6<br />

2.Zivilrechtliche Haftungsgrundlagen .................................................... 6<br />

2.1. Vertragliche Haftungsgrundsätze ............................................................. 7<br />

2.2. Deliktische Haftungsgrundsätze .............................................................. 10<br />

2.3. Der Behandlungsfehler ............................................................................ 11<br />

2.4. Der Aufklärungsfehler ............................................................................. 16<br />

2.5. Die ärztliche Dokumentation ................................................................... 21<br />

2.6. Kausalität und Beweisfragen ................................................................... 23<br />

2.7. Richtlinien/Leitlinien ............................................................................... 30<br />

2.8. Haftungsumfang ...................................................................................... 30<br />

3.Einzelfragen ............................................................................................ 32<br />

3.1. Horizontale/vertikale Arbeitsteilung ........................................................ 32<br />

3.2. Belegarztvertrag ....................................................................................... 35<br />

3.3. Die kosmetische Behandlung ................................................................... 36<br />

3.4. Haftungsfragen bei Patienten mit psychischen Erkrankungen ................ 36<br />

3.5. Urlaubsvertretung; Gemeinschaftspraxis ................................................. 37<br />

3.6. Die Berufshaftpflichtversicherung ........................................................... 38<br />

3.7. Umgang mit dem unzufriedenen Patienten bzw. mit dem Rechtsanwalt<br />

des Patienten ............................................................................................ 40<br />

3.8. Das Schlichtungsverfahren bei der <strong>Sächsische</strong>n Landesärztekammer<br />

bzw. das gerichtliche Verfahren einschließlich<br />

selbstständiges Beweisverfahren. ............................................................. 41<br />

4.Zusammenfassung ................................................................................. 42


Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> ........................................................................ 48<br />

1.Allgemeines zur ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> ........................................ 48<br />

2.Rechtsgrundlagen der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> .............................. 48<br />

3.Die Strafvorschrift des § 203 StGB ...................................................... 49<br />

4.<strong>Schweigepflicht</strong> und die ärztliche Berufsordnung .............................. 55<br />

5.<strong>Schweigepflicht</strong> und Zivilrecht ............................................................. 56<br />

6.<strong>Schweigepflicht</strong> und Datenschutz ......................................................... 57<br />

7.<strong>Schweigepflicht</strong> und Zeugnisverweigerungsrecht ............................... 59<br />

8.Einzelfragen ............................................................................................ 60<br />

8.1. <strong>Schweigepflicht</strong> des ärztlichen Gutachters .............................................. 60<br />

8.2. <strong>Schweigepflicht</strong> bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen ..... 61<br />

8.3. <strong>Schweigepflicht</strong> des psychiatrisch tätigen Arztes .................................... 62<br />

8.4. <strong>Schweigepflicht</strong> und elektronische Datenträger ...................................... 62<br />

8.5. <strong>Schweigepflicht</strong> und Informationsanspruch des Patienten ...................... 63<br />

8.6. Postmortale <strong>Schweigepflicht</strong> ................................................................... 64<br />

8.7. <strong>Schweigepflicht</strong> und Praxisveräußerung .................................................. 65<br />

8.8. <strong>Schweigepflicht</strong> gegenüber der GKV und PKV<br />

sowie gewerbliche Verrechnungsstellen ................................................... 65<br />

8.9. <strong>Schweigepflicht</strong> unter Ärzten .................................................................. 66<br />

9.Zusammenfassung ................................................................................. 66


Vorwort<br />

Das Dresdener Medizinrechtsforum wurde im Januar 2003 von Herrn Dr. med.<br />

Michael Kirsch, niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, und<br />

Herrn Dr. jur. Jürgen Trilsch, niedergelassener Rechtsanwalt, mit dem Tätigkeitsschwerpunkt<br />

Medizinrecht, gegründet. Seit dem ersten Quartal 2003 wurden von<br />

den beiden Verfassern dieses Heftes bisher zehn medizinrechtliche Fortbildungsveranstaltungen<br />

durchgeführt, die im Besonderen auf die Interessen der niedergelassenen<br />

Ärztinnen und Ärzte ausgerichtet waren. In diesem Heft sind zwei<br />

Schwerpunktthemen aus dieser Fortbildungsreihe Medizinrecht publiziert.<br />

Im Mittelpunkt ihrer Darstellungen sehen die beiden Autoren die Verantwortlichkeit<br />

des freiberuflichen Arztes im Dienst am kranken Menschen. Jeder Arzt<br />

wird heute täglich mit rechtlichen Fragen konfrontiert. Während die Konjunktur<br />

im <strong>Arzthaftung</strong>srecht fortdauert, das Material des Arztrechts und der zivilrechtlichen<br />

Haftung des Arztes weiter zunimmt und für Teilgebiete bereits umfangreiche<br />

Handbücher vorliegen, haben die beiden Autoren ihre Beiträge trotz<br />

Kurzfassungen umfassend und übersichtlich dargestellt.<br />

Die Rechtsgrundlagen der <strong>Schweigepflicht</strong> als Pflicht des Arztes, über alle ihm<br />

in beruflicher Eigenschaft bekannt gewordenen Tatsachen und Umstände Stillschweigen<br />

zu bewahren, sind das Grundrecht des Patienten auf Achtung der<br />

Intimsphäre. Grundsätzlich besteht eine ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> gegenüber<br />

jedermann. Dies gilt auch über den Tod des Patienten hinaus.<br />

Der Mensch, der sich in ärztliche Behandlung begibt, muss und darf erwarten,<br />

dass alles was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung erfährt, geheim<br />

bleibt und nicht zur Kenntnis Unbefugter gelangt. Nur so kann zwischen Arzt<br />

und Patient jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen<br />

Wirkens zählt.<br />

Das Autorenteam aus den Bereichen Arztrecht und Medizin hat wichtige juristische<br />

Definitionen unter Verwendung der korrekten juristischen Terminologie<br />

komplex und vor allem für Nichtjuristen verständlich dargestellt. Die beiden<br />

Beiträge liefern Anregungen für die Rechtsanwendung und für die Rechtsfortbildung<br />

und können zur Klarheit im ärztlichen Alltag beitragen. Entscheidungen<br />

und aktuelle Rechtsprechungen verdeutlichen die Darstellung medizinischer<br />

Rechtsfragen. Durch die genaue Gliederung eignet sich dieses Heft auch bestens<br />

als Nachschlagewerk in der Praxis.<br />

Prof. Dr. med. habil. Winfried Klug<br />

Vorsitzender des Redaktionskollegiums „Ärzteblatt Sachsen“


Die zivilrechtliche Haftung des Arztes<br />

Dr. med. Michael Kirsch, RA Dr. jur. Jürgen Trilsch<br />

Vorbemerkung<br />

Die veröffentlichte Literatur und die Rechtsprechung zum Thema <strong>Arzthaftung</strong><br />

sind sehr umfangreich. Hier sollen nur die wesentlichen Grundzüge mit Blick<br />

auf die jüngere Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofes vorgestellt<br />

werden, wobei auch auf Entscheidungen von Oberlandesgerichten, insbesondere<br />

des OLG Dresden, eingegangen werden soll.<br />

Am 01.01.2002 trat das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz in Kraft, welches<br />

auch Neuerungen – beispielsweise im Verjährungsrecht – für die hier zu erörternde<br />

Materie enthält. Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz novelliert das Bürgerliche<br />

Gesetzbuch (BGB). Durch ein weiteres Reformgesetz, welches am 01.08.2002<br />

in Kraft getreten ist, traten Änderungen ein, die sich ebenso auf das Recht der<br />

<strong>Arzthaftung</strong> auswirken. Es handelt sich dabei um das Zweite Schadensrechtsänderungsgesetz.<br />

Auch dieses Gesetz novelliert das Bürgerliche Gesetzbuch. Die<br />

Änderungen betreffen insbesondere Regelungen zum Schmerzensgeld.<br />

Schließlich darf auf folgendes verwiesen werden. In der Bundesrepublik existiert<br />

keine spezialgesetzliche Regelung für die zivilrechtliche <strong>Arzthaftung</strong>.<br />

Neben den allgemeinen Haftungsgrundsätzen des BGB ist zu berücksichtigen,<br />

dass die Kernfragen der <strong>Arzthaftung</strong> durch die Gerichte geklärt wurden. Hierzu<br />

gehört sowohl die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte als auch und insbesondere<br />

die Rechtsprechung des für <strong>Arzthaftung</strong>ssachen zuständigen VI. Zivilsenates<br />

beim Bundesgerichtshof. Auf wichtige Entscheidungen des Bundesgerichtshofes<br />

wird näher eingegangen.<br />

Zuallerletzt wird noch darauf hingewiesen, dass Gegenstand der folgenden<br />

Ausführungen die zivilrechtliche Haftung, nicht die strafrechtliche Haftung des<br />

Arztes ist. Die zivilrechtliche Haftung des Arztes spielt in der täglichen Rechtspraxis<br />

die dominierende Rolle gegenüber Ermittlungs- und Strafverfahren, die<br />

sich mit der ärztlichen Behandlung befassen.


1.Ärztliche Behandlung = Körperverletzung?<br />

Jeder Eingriff in die körperliche oder gesundheitliche Befindlichkeit des Patienten<br />

– unabhängig davon, ob er behandlungsfehlerhaft oder behandlungsfehlerfrei<br />

ist – stellt dann eine Verletzung des medizinischen Behandlungsvertrages<br />

und eine rechtswidrige Körperverletzung dar, wenn er nicht durch die<br />

wirksame Einwilligung des Patienten gerechtfertigt ist (1).<br />

Dieser Ansatz spielt eine erhebliche Rolle für die noch zu erörternde Aufklärungspflicht<br />

des Arztes. Es wird hier an den deliktischen Tatbestand des<br />

§ 823 BGB angeknüpft. Der rechtliche Ansatzpunkt ist dort die Körper- oder<br />

Gesundheitsverletzung. Es handelt sich dabei um einen juristisch-technischen<br />

Anknüpfungspunkt. Keinesfalls soll damit die ärztliche Therapie als solche<br />

abgewertet werden (2).<br />

Dessen ungeachtet beruht der Ansatz Heileingriff = Körperverletzung und<br />

damit Straftat auf einem verfehlten Leitbild, welches einer Korrektur bedarf.<br />

Eine solche rechtspolitisch wünschenswerte Korrektur ist jedoch nicht in Sicht.<br />

2.Zivilrechtliche Haftungsgrundlagen<br />

Die vertragliche Haftung steht gegenüber der deliktischen Haftung im Vordergrund.<br />

Die deliktische Haftung dient insbesondere dazu, die Zahl der Haftungsschuldner<br />

zu erweitern, sofern das nötig ist (3). Im Übrigen sind für die medizinische<br />

Heilbehandlung vertraglicher und deliktischer Schutz als prinzipiell<br />

identisch anzusehen.<br />

Der geborene Haftungsschuldner ist der (niedergelassene) Arzt, der mit dem<br />

Patienten einen medizinischen Behandlungsvertrag abgeschlossen hat. Der<br />

Anwalt des Patienten würde einen anwaltlichen „Kunstfehler“ begehen und sich<br />

selbst gegebenenfalls der Haftung aussetzen, würde er nicht zunächst die vertraglichen<br />

Haftungsgrundlagen abklären.<br />

Die Behandlungsbeziehung zwischen Arzt und Patient basiert sowohl auf vertraglicher<br />

als auch auf deliktischer Grundlage. Beide Ordnungen bestehen nebeneinander,<br />

keine schließt die andere aus (4). Die Vertragsbeziehung basiert auf dem<br />

medizinischen Behandlungsvertrag. Der medizinische Behandlungsvertrag ist ein<br />

Vertrag eigener Art. Er ist nicht gesondert im BGB geregelt. Ein medizinischer<br />

Behandlungsvertrag wird auch mit dem Kassenpatienten abgeschlossen.<br />

Die deliktische Haftungsordnung basiert darauf, dass die fehlerhafte ärztliche<br />

Behandlung eine so genannte unerlaubte Handlung darstellt. Der Arzt kann also<br />

6


auch dann haftungsrechtlich herangezogen werden, wenn er gar keinen Behandlungsvertrag<br />

mit dem Patienten abgeschlossen hat. Der beim niedergelassenen<br />

Arzt angestellte Arzt kann beispielsweise für eigene Behandlungsfehler haftungsrechtlich<br />

durchaus herangezogen werden – und zwar deliktisch, nicht<br />

jedoch vertraglich. Vertraglich ist ausschließlich der niedergelassene Arzt Haftungsschuldner,<br />

auch wenn er die medizinische Behandlung selbst gar nicht<br />

vorgenommen hat.<br />

Die deliktische Haftung betrifft auch den im Krankenhaus angestellten Arzt.<br />

Vertraglich richtet der Patient von Ausnahmen abgesehen (zum Beispiel Belegarzttätigkeit)<br />

seine Ansprüche gegen den Träger des Krankenhauses.<br />

2.1. Vertragliche Haftungsgrundsätze<br />

Grundlage der vertraglichen Haftung ist der bereits erwähnte medizinische Behandlungsvertrag,<br />

der fast ausnahmslos als Dienstvertrag qualifiziert wird. Ein<br />

solcher Behandlungsvertrag kommt bereits dann zustande, wenn sich der Patient<br />

in die Praxis des niedergelassenen Arztes oder in eine Klinik begibt. In der<br />

Klinik ist – von Ausnahmen abgesehen – nicht der angestellte Arzt der Vertragspartner<br />

des Patienten, sondern der Träger der Klinik.<br />

Der Vertragstyp Dienstvertrag wird in Abgrenzung zu dem so genannten Werkvertrag<br />

verwendet. Ein klassischer Werkvertrag ist beispielsweise der Vertrag<br />

über die Reparatur eines Fahrzeuges. Dort haftet der Handwerker verschuldensunabhängig<br />

für den Erfolg der Reparatur, also dafür, dass das zu reparierende<br />

Fahrzeug anschließend wieder fährt. Keineswegs soll hier die Tätigkeit des Arztes<br />

mit der einer „Reparatur“ verglichen werden. Es geht hier nur um das juristische<br />

Verständnis, um die Abgrenzung zum Werkvertrag. Der Arzt steht<br />

nämlich nicht für den Behandlungs- oder Heilerfolg ein. Er schuldet eine<br />

Dienstleistung basierend auf dem medizinischen Standard.<br />

Für die Vertragshaftung sind gem. § 280 Abs. 1 BGB folgende Tatbestandsvoraussetzungen<br />

erforderlich:<br />

a) Pflichtverletzung<br />

Bei der <strong>Arzthaftung</strong> fällt die Definition der Pflichtverletzung schwerer als in<br />

anderen Haftungsbereichen. Zum größten Teil wird man die Pflichtverletzung<br />

darin sehen, dass dem Arzt eine Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt<br />

vorgehalten wird. Genau damit überschneidet sich die Pflichtverletzung<br />

7


jedoch mit einer Verschuldensform, und zwar der Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 2<br />

BGB). Auf keinen Fall wird man dem Arzt die Nichtheilung des Patienten als<br />

Pflichtverletzung vorwerfen können.<br />

Geiß/Greiner haben folgende Vertragspflichten genannt (5):<br />

Vertragliche Hauptpflichten:<br />

– ärztliche Behandlung in Diagnose und Therapie nach dem anerkannten und<br />

gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft im Zeitpunkt der Behandlung;<br />

– Behandlungs- und Risikoaufklärung des Patienten; Sicherstellung seiner Einwilligung<br />

in die Behandlung;<br />

– sachgerechte Organisation des Behandlungsablaufs.<br />

Vertragliche Nebenpflichten:<br />

– Pflicht zur ärztlichen Dokumentation;<br />

– Pflicht zur Gewährung der Einsicht in die Krankenunterlagen;<br />

– Pflicht zur Auskunft (auf Anforderung) über Befund, Prognose und äußeren<br />

Behandlungsablauf;<br />

– Pflicht zur Berücksichtigung finanzieller Belange des Patienten.<br />

b) Rechtswidrigkeit<br />

Anders als bei der deliktischen Haftung ist die Rechtswidrigkeit im oben genannten<br />

§ 280 Abs. 1 BGB nicht erwähnt. Rechtswidrig ist ein Verhalten, das<br />

im Widerspruch zur Rechtsordnung steht. Da es kein Verschulden ohne Rechtswidrigkeit<br />

gibt, ist diese auch Wesensmerkmal der Vertragshaftung. Durch die<br />

unter a) erläuterte Pflichtwidrigkeit wird die Rechtswidrigkeit vermutet bzw. ist<br />

die Rechtswidrigkeit sogar in der Pflichtverletzung enthalten.<br />

c) Verschulden<br />

Für das Verschulden genügt Fahrlässigkeit. Praktisch spielt nur diese Schuldform<br />

im Haftungsrecht eine Rolle, Vorsatz hingegen so gut wie gar nicht.<br />

Die Zurechnung der schuldhaften Pflichtverletzung bildet die Haftungsschwelle.<br />

Nicht der schlechte Ausgang einer Behandlung wird zum Haftungsgrund, sondern<br />

das Abweichen vom Standard der medizinischen Wissenschaft. Es kommt<br />

darauf an, ob der Arzt so gehandelt hat, wie es in seinem Berufskreis erwartet<br />

wird (6).<br />

Solange der Arzt sich innerhalb des Standards bewegt – es handelt sich nicht<br />

um einen juristischen, sondern einen medizinischen Maßstab – verletzt er keine<br />

Pflicht bzw. trifft den Arzt kein Verschulden. Die Sorgfalt, die vom Arzt erwar-<br />

8


tet wird, ist normativ und objektiv-typisierend. Individuelle Unkenntnisse oder<br />

Schwächen des betroffenen Arztes entschuldigen nicht.<br />

Es ist sicherlich leicht einsehbar, dass die geforderte Sorgfalt einerseits und vertragsärztliche<br />

Zwänge andererseits (zum Beispiel Wirtschaftlichkeitsgebot) in<br />

Konflikt geraten können. Wirtschaftliche Vorgaben des Vertragsarztrechts müssen<br />

jedoch im Haftungsrecht berücksichtigt werden, denn ansonsten ist ärztliche<br />

Tätigkeit mit einem Risiko behaftet, das überhaupt nicht mehr beherrschbar ist,<br />

sondern zur Glückssache wird. Das Auseinanderdriften von Zivilrecht (Haftungsrecht)<br />

einerseits und dem Vertragsarztrecht andererseits wird in der Literatur<br />

zunehmend kritisiert (7).<br />

d) Schaden, Kausalität und Zurechnung<br />

Als Schadenersatz kann ein materieller Anspruch in Frage kommen, aber auch<br />

das immaterielle Schmerzensgeld. Früher gab es das Schmerzensgeld nur auf<br />

deliktischer Grundlage. Das 2. Schadensrechtsänderungsgesetz hat einen neuen<br />

§ 253 Abs. 2 BGB geschaffen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen steht dem Patienten<br />

nunmehr auch dann ein Schmerzensgeldanspruch zu, wenn er Ansprüche<br />

ausschließlich auf vertraglicher Grundlage geltend macht, sich also ausschließlich<br />

auf Ansprüche aus dem medizinischen Behandlungsvertrag stützt.<br />

Selbstverständlich gehört zur Haftung das Bindeglied zwischen Pflichtverletzung<br />

und Schaden – die Kausalität und die Zurechnung des Schadens zur ärztlichen<br />

Pflichtverletzung.<br />

Die haftungsrechtliche Verantwortung eines erstbehandelnden Arztes für etwaige<br />

Behandlungsfehler wird durch etwaige Behandlungsfehler nachbehandelnder<br />

Ärzte nicht aufgehoben. Der vorbehandelnde Arzt ist mithin haftungsrechtlich<br />

auch für die Behandlungsfehler des Nachbehandlers verantwortlich (8).<br />

Der Zurechnungszusammenhang entfällt nur dann, sofern die Nachbehandlung<br />

einer Krankheit oder Komplikation in keinem inneren Zusammenhang mit therapeutischen<br />

oder diagnostischen Maßnahmen des Erstbehandlers steht (8a).<br />

Zusammengefasst gilt folgendes:<br />

Die Vertragshaftung des Arztes knüpft an das Rechtsinstitut der so genannten<br />

schuldhaften Schlechterfüllung. Es geht also stets um die Frage, ob eine schuldhafte<br />

Verletzung des medizinischen Behandlungsvertrages vorliegt oder nicht.<br />

Auch bei der Behandlung unter ärztlichen Kollegen ist vom Abschluss eines<br />

medizinischen Behandlungsvertrages auszugehen. Das gilt selbst dann, wenn<br />

keinerlei Abrechnung erfolgt. Der Bundesgerichtshof hält einen vertraglichen<br />

Anspruch aus Vertragsverletzung auch in diesem Falle für möglich (9).<br />

9


Es besteht nur in sehr eingeschränktem Umfang die Möglichkeit, das Vertragsverhältnis<br />

zwischen Arzt und Patient durch gesonderte Regelungen individuell<br />

auszugestalten. Der Gestaltungsfreiheit sind durch die §§ 134, 138 BGB Grenzen<br />

gesetzt. Gesetzwidrige oder sittenwidrige Abreden sind dem Arzt untersagt.<br />

So sind Haftungsbegrenzungsabreden ohne tragenden Grund sittenwidrig. Gleiches<br />

gilt für Eingriffe, die keinem medizinischen Zweck dienen (10). Anders<br />

kann die Sachlage gegebenenfalls bei plastischen Operationen sein, die kosmetischen<br />

Zwecken dienen.<br />

In seltenen Einzelfällen kann ein Haftungsverzicht bei medizinisch nicht indizierten<br />

Maßnahmen wirksam sein, wenn der Patient über medizinische Vorkenntnisse<br />

verfügt und auf die Durchführung des Eingriffes, deren Folgen er<br />

allein tragen will, besteht (11). Das Urteil betraf die Fingeramputation bei<br />

einem Veterinärmediziner, der – wie sich herausstellte zu Unrecht – eine Gasbrandinfektion<br />

befürchtete. Es ist zu beachten, dass dieses Urteil keinesfalls zur<br />

Verallgemeinerung herangezogen werden kann. Hier bestand die besondere<br />

Situation, dass der Patient als Veterinärmediziner selbst über erhebliche medizinische<br />

Kenntnisse verfügte. Selbst dieses letzte Argument sollte jedoch mit<br />

Zurückhaltung betrachtet werden, denn bei einer Krankenschwester oder einem<br />

Tierarzt können nicht ohne weiteres die Kenntnisse eines Facharztes vorausgesetzt<br />

werden. (So beispielsweise das OLG Stuttgart (12), welches die Haftung<br />

eines Facharztes für Chirurgie bejahte, der von einer Tierärztin verklagt<br />

wurde.)<br />

Jeder Arzt tut gut daran, sich selbst einem nachhaltigen Begehren seines Patienten<br />

zu widersetzen, wenn dieser eine kontra indizierte Behandlung wünscht.<br />

Führt der Arzt auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten eine kontraindizierte<br />

Therapie durch, so haftet er allein. Der Arzt kann sich bei Eintritt eines dadurch<br />

bedingten Schadens insbesondere nicht auf ein Mitverschulden des Patienten<br />

stützen (13). Der Bundesgerichtshof hatte die Revision des beklagten Arztes<br />

durch Beschluss vom 18.09.2001 (14) nicht angenommen, so dass die hier dargestellte<br />

Rechtslage höchstrichterlich bestätigt ist.<br />

2.2. Deliktische Haftungsgrundlagen<br />

Mit der Übernahme der Behandlung erwachsen für den Arzt, aber auch für das<br />

nichtärztliche Personal gesetzliche Pflichten zum Schutz und zur Erhaltung der<br />

Gesundheit der Patienten. Gesetzliche Grundlage sind die Vorschriften über<br />

unerlaubte Handlungen, geregelt im BGB unter §§ 823 ff. BGB.<br />

10


Die Haftung basierend auf den §§ 823 ff. BGB ist Verschuldenshaftung. Das<br />

Verschulden ist hier Anspruchsvoraussetzung. Kann der Patient dem Arzt kein<br />

Verschulden nachweisen, verliert er den Schadenersatzprozess, wobei es gerade<br />

im <strong>Arzthaftung</strong>srecht viele Ausnahmen gibt, die durch die Rechtsprechung ausgeurteilt<br />

wurden.<br />

Es darf nochmals darauf hingewiesen werden, dass die Verletzung vertraglicher<br />

Pflichten basierend auf dem medizinischen Behandlungsvertrag regelmäßig<br />

auch mit einer Verletzung deliktischer Pflichten verknüpft ist. Der Patient kann<br />

seinen Anspruch also in vielen Fällen sowohl auf vertraglicher als auch auf<br />

deliktischer Grundlage geltend machen. Die vom niedergelassenen Arzt vorgenommene<br />

(fehlerhafte) Behandlung stellt mithin sowohl eine Vertragsverletzung<br />

als auch eine unerlaubte Handlung dar. Im Klinikbereich hingegen stehen<br />

zumindest beim totalen Krankenhausvertrag Ärzte und Pflegekräfte des Krankenhauses<br />

mit dem Patienten unmittelbar nur in deliktsrechtlicher Beziehung.<br />

Bis zum Inkrafttreten des Zweiten Schadensrechtsänderungsgesetzes am<br />

01.08.2002 konnten Schmerzensgeldansprüche ausschließlich auf deliktischer<br />

Grundlage geltend gemacht werden. Unter Ziff. 2 dieses Skriptes wurde das<br />

Verhältnis niedergelassener Arzt und angestellter Arzt kurz angerissen. Verursachte<br />

der Assistenzarzt (zum Beispiel Weiterbildungs- oder Entlastungsassistent)<br />

einen Gesundheitsschaden beim Patienten, so musste der Patient früher zwingend<br />

den Weiterbildungsassistenten in Anspruch nehmen, um Schmerzensgeldansprüche<br />

durchzusetzen. Durch die oben genannte Gesetzesnovellierung des BGB<br />

hat sich die Rechtslage geändert. Der Schmerzensgeldanspruch wird auch in<br />

Fällen der Vertragshaftung gewährt. Der Patient kann also auch Schmerzensgeldansprüche<br />

gegenüber dem niedergelassenen Arzt als Vertragspartner des<br />

Patienten geltend machen, der sich das Gehilfenverschulden des Assistenzarztes<br />

gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss. Das Gesetz nimmt also eine Haftungskonzentration<br />

zugunsten des Patienten vor.<br />

2.3. Der Behandlungsfehler<br />

Vorab darf bemerkt werden, dass die folgenden Ausführungen sowohl für die<br />

Vertrags- sowie Deliktshaftung des Arztes gültig sind.<br />

Der Arzt schuldet einen so genannten Soll-Standard. Qualitätsmängel, die sich<br />

gegenüber dem anerkannten und gesicherten Stand der ärztlichen Wissenschaft<br />

im Zeitpunkt der Behandlung ergeben, werden haftungsrechtlich sanktioniert.<br />

Der Sorgfaltsmaßstab ist objektiv-typisierend und nicht subjektiv individuell.<br />

11


Es kommt stets auf die im jeweiligen Fachgebiet des Arztes zu fordernde Sorgfalt<br />

an, und zwar stets zum Zeitpunkt der Behandlung. Der Sorgfaltsmaßstab<br />

orientiert sich an der Aufgabe, Qualitätsmängel gegenüber dem anerkannten<br />

und gesicherten Stand der ärztlichen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Behandlung<br />

haftungsrechtlich zu sanktionieren (15).<br />

Der medizinische Soll-Standard wird von der medizinischen Wissenschaft vorgegeben.<br />

Die Feststellung obliegt im Streitfall dem durch einen medizinischen<br />

Sachverständigen beratenen Richter. Maßgeblich ist, ob der Arzt nach den von<br />

ihm zu fordernden medizinischen Kenntnissen und Erfahrungen im konkreten<br />

Fall diagnostisch und therapeutisch vertretbar und sorgfältig zu Werke gegangen<br />

ist oder nicht (16).<br />

Die Wahl der Therapie muss der Arzt grundsätzlich nach seinem ärztlichen Beurteilungsermessen<br />

treffen können. Mithin ist die Wahl der Behandlungsmethode<br />

primär Sache des Arztes. Dieser Grundsatz gilt allerdings nur für den Fall,<br />

dass gleichwertige Methoden zur Verfügung stehen und findet seine Grenze<br />

dort, wo keine vertretbare Alternative verbleibt. Bei der Wahl der Methode muss<br />

der Arzt zwar nicht immer den sichersten Weg beschreiten. Ein höheres Risiko<br />

muss jedoch in den besonderen Sachzwängen des konkreten Falls oder einer<br />

günstigeren Heilungsprognose seine sachliche Rechtfertigung finden (17).<br />

Der Arzt ist haftungsrechtlich nicht auf sein Fachgebiet festgelegt (Kurierfreiheit).<br />

Sofern er sich jedoch auf ein anderes Fachgebiet begibt, muss er dessen<br />

Standard gewährleisten (18).<br />

Der Bundesgerichtshof stellt an die Fortbildungspflicht des Arztes hohe Anforderungen.<br />

Insbesondere muss er die einschlägigen Fachzeitschriften auf seinem<br />

Fachgebiet regelmäßig lesen (19).<br />

Geiß/Greiner strukturieren die Behandlungsfehler in folgende Fehlertypen (20):<br />

a) Generalisierte Qualitätsmängel<br />

aa) Übernahmeverschulden<br />

Hierzu gehört zunächst das Übernahmeverschulden. Jeder Arzt ist verpflichtet,<br />

eine ärztliche Behandlung nur aufgrund hinreichender Fachkenntnisse vorzunehmen.<br />

Übernimmt der Arzt Behandlungsmaßnahmen, die außerhalb seines<br />

Fachgebietes liegen, so schuldet er den Standard der übernommenen Behandlung.<br />

Sofern die Zuziehung eines Konsiliararztes geboten ist oder die Überweisung<br />

zum Arzt eines speziellen Fachgebietes oder gegebenenfalls in ein Krankenhaus<br />

12


notwendig wird, begründet die Unterlassung dieser gebotenen Maßnahme die<br />

Haftung aus Behandlungsfehler (21).<br />

Darüber hinaus muss der Arzt die nach dem Stand der Wissenschaft erforderlichen<br />

technischen Hilfsmittel und Apparate bereithalten und sich mit deren<br />

Funktionsweise vertraut machen.<br />

ab) Organisations- und Koordinierungsverschulden<br />

Zur sachgerechten Organisation und Koordinierung der Behandlungsabläufe<br />

gehört die Gewährleistung<br />

– des hygienischen Standards,<br />

– des apparativen Standards,<br />

– des Standards der Medikamentenvorhaltung,<br />

– des Standards der Geräte- und Verrichtungssicherheit,<br />

– des personellen Ausstattungsstandards,<br />

– der Regelung der internen Ablauforganisation<br />

dergestalt, dass der Facharztstandard in jeder Behandlungsphase verfügbar ist.<br />

Das Landgericht München verurteilte einen niedergelassenen Arzt für den Eintritt<br />

einer Infektion (hier Streptokokken der Gruppe A) und deren Folgen, die<br />

auf die Verletzung von Hygienevorschriften zurückzuführen war. In der Praxis<br />

des niedergelassenen Arztes wurden am Morgen Injektionen „en bloc“ aufgezogen<br />

und dann ungekühlt gelagert und über den Tag hinweg den Patienten verabreicht.<br />

In den Anmerkungen zu diesem Urteil wird darauf hingewiesen, dass es<br />

für den Arzt bei Vorliegen eines Verstoßes gegen Hygienevorschriften fast unmöglich<br />

sei, sich zu entlasten (22).<br />

b) Konkrete Qualitätsmängel<br />

ba) Fehler bei Wahl der ärztlichen Diagnostik- oder Therapiemethode<br />

Die Wahl der richtigen Diagnostik- und Therapiemethode ist grundsätzlich<br />

Sache des behandelnden Arztes. Der Arzt hat mithin einen Beurteilungsspielraum.<br />

Die rechtliche Anerkennung der Therapiefreiheit bedeutet jedoch nicht,<br />

dass dem Arzt eine schrankenlose Therapiewahl möglich ist. Es gilt das Gebot<br />

des sichersten Weges und das Verbot der Risikoerhöhung (23). Dessen ungeachtet<br />

kann der Arzt nicht stets auf den jeweils sichersten therapeutischen Weg festgelegt<br />

werden, da das Patienteninteresse in erster Linie auf Befreiung von der<br />

Krankheit ausgerichtet ist, wobei ein höheres Risiko in den besonderen Sachzwängen<br />

des konkreten Falls oder in einer günstigeren Heilungsprognose eine<br />

sachliche Rechtfertigung finden muss (24).<br />

13


Eine in der zurückliegenden Zeit anerkannte Therapiemethode wird erst dann<br />

fehlerhaft, wenn sie durch gesicherte medizinische Erkenntnisse überholt ist<br />

und bedenklich erscheinen muss.<br />

bb) Diagnosefehler<br />

Ein Diagnosefehler wird in der Fehlinterpretation von erhobenen oder sonst<br />

vorliegenden Befunden angenommen. Die Rechtsprechung ist hier zurückhaltender<br />

als im Therapiebereich.<br />

Der Bundesgerichtshof hat stets betont, dass Diagnoseirrtümer nur mit Zurückhaltung<br />

als Behandlungsfehler gewertet werden können, wobei dieser Gesichtspunkt<br />

dann nicht greift, wenn Symptome vorliegen, die für eine bestimmte<br />

Erkrankung kennzeichnend sind, vom Arzt jedoch nicht ausreichend berücksichtigt<br />

wurden (25). Das OLG Zweibrücken hatte einen Behandlungsfehler<br />

bejaht, wo die Anzeichen einer Hirnhautentzündung als Grippe missdeutet worden<br />

sind (26).<br />

Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten durch die Art und Weise der Diagnosemitteilung<br />

nicht in unnötige Ängste zu versetzen und ihn nicht unnötig zu<br />

belasten. Das OLG Bamberg verurteilte einen Arzt zur Zahlung eines Schmerzensgeldes<br />

in Höhe von 2.500 €. Der Arzt eröffnete dem Patienten die unzutreffende<br />

Diagnose „Hodenkrebs“, der darauf hin ca. 1 Monat in Todesangst<br />

lebte (27). Unter Bezugnahme auf die Entscheidungen von 3 anderen Oberlandesgerichten<br />

hat das OLG Bamberg darauf hingewiesen, dass für eine Haftung<br />

über den unzutreffenden Inhalt einer Diagnosemitteilung folgende 4 Voraussetzungen<br />

zusammentreffen müssen: Erstens ist die Diagnose objektiv falsch,<br />

zweitens besteht dafür keine hinreichende tatsächliche Grundlage, drittens lässt<br />

sie den Laien auf eine schwere, unter Umständen lebensbedrohliche Erkrankung<br />

schließen und viertens ist die Art und Weise der Mitteilung unter den<br />

gegebenen Umständen auch geeignet, den Patienten in psychischer Hinsicht<br />

schwer zu belasten, insbesondere bei ihm Überreaktionen auszulösen.<br />

bc) Nichterheben erforderlicher Diagnose- und Kontrollbefunde<br />

Die Rechtsprechung ist im Bereich der Nichterhebung erforderlicher Befunde<br />

als Grundlage für eine differenzierte Diagnostik und Therapie streng.<br />

Vom Arzt wird verlangt, dass er nicht nur die erhobenen Befunde bewertet, er<br />

hat in der Regel nach ersten Schlussfolgerungen weitere Befunde zu erheben,<br />

und zwar insbesondere dann, wenn die ersten Befunde oder die Anamnese den<br />

Verdacht auf das Vorliegen einer Krankheit ergeben. Den Verdacht hat der Arzt<br />

14


durch übliche Befunderhebungen weiter abzuklären, zu erhärten oder auszuräumen.<br />

Die Unterlassung der gebotenen Befunderhebung stellt regelmäßig einen<br />

Behandlungsfehler dar (28).<br />

bd) Fehler der konkreten Therapie<br />

Nicht nur das falsch behandeln, auch das Unterlassen anerkannter und gesicherter<br />

Standards ist fehlerhaft.<br />

Die Rechtsprechung zu Behandlungsfehlern in Bezug auf die konkrete Therapie<br />

ist sehr umfangreich. Es existieren mehrbändige, immer wieder aktualisierte<br />

Urteilssammlungen in den juristischen Bibliotheken, die sich mit Behandlungsfehlern<br />

der einzelnen Arztgruppen befassen.<br />

be) Nichterteilung der erforderlichen therapeutischen (Sicherungs-)Aufklärung<br />

Die therapeutische Sicherungsaufklärung kann sich mit der Selbstbestimmungsaufklärung<br />

überschneiden, ist mit ihr jedoch nicht identisch. Hier geht es<br />

um die notwendige Erteilung von Schutz- und Warnhinweisen zur Mitwirkung<br />

des Patienten an der Heilung sowie zur Vermeidung einer Selbstgefährdung.<br />

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang ein Urteil des BGH vom 08.03.2003,<br />

Az: VI ZR 265/02 (29). Dort geht es um die Pflicht zur Überwachung sedierter<br />

Patienten bei ambulanter Behandlung. Der Arzt hatte den Patienten ausreichend<br />

darüber belehrt, dass dieser nach dem Eingriff kein Kraftfahrzeug führen dürfe.<br />

Nach einiger Wartezeit entfernte sich der Patient eigenmächtig und vorzeitig,<br />

um sich zur Heimfahrt ans Steuer seines Wagens zu begeben. Mit dem Wagen<br />

verunglückte er tödlich. Der Bundesgerichtshof verlangt eine ständige Beobachtung<br />

in einem Vorzimmer oder besonderen Wartezimmer.<br />

Zu diesem Komplex gehört auch die Notwendigkeit, dass der Arzt einen Patienten<br />

bei einem konkreten Tumorverdacht wieder einbestellt (30). Weigert<br />

sich ein Patient, Untersuchungen vornehmen zu lassen oder einer Krankenhauseinweisung<br />

zu folgen, dann entlastet dies den Arzt nur, wenn er den Patienten<br />

auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Untersuchung hingewiesen<br />

hat (31).<br />

Die Nichtbeachtung der therapeutischen Sicherungsaufklärung stellt einen<br />

Behandlungsfehler dar. Sie ist nicht mit der Selbstbestimmungsaufklärung zu<br />

verwechseln.<br />

Am 16.11.2004 hat der Bundesgerichtshof unter dem Aktenzeichen IV ZR 328/03<br />

(32) eine Entscheidung verkündet, die sich wiederum mit der therapeutischen<br />

15


Sicherungsaufklärung (Warnhinweise) befasst. Folgender Sachverhalt liegt dieser<br />

wichtigen Entscheidung zugrunde:<br />

Am 06.01.2000 bemerkte der klagende Patient abends Lichtblitze in seinem<br />

linken Auge. Er begab sich daraufhin noch am selben Tag in den augenärztlichen<br />

Bereitschaftsdienst, den die beklagte Augenärztin wahrnahm. Die von<br />

der Ärztin durchgeführten Untersuchungen ergaben keinen auffälligen Befund.<br />

Ebenso wenig wurden pathologische Veränderungen bei der Untersuchung des<br />

Augenhintergrundes nach Erweiterung der Pupille festgestellt. Am 11.01.2000<br />

trat bei dem Patienten eine massive Netzhautablösung im linken Auge auf.<br />

Trotz zweier Operationen in der Universitätsklinik ist die Sehfähigkeit des<br />

klagenden Patienten beeinträchtigt. Der Bundesgerichtshof bejahte Schadenersatzansprüche.<br />

In seiner Entscheidung weist das Gericht unter anderem auf<br />

folgende Aspekte hin:<br />

Bei dem Patienten lag eine beginnende Glaskörperabhebung als Vorstufe einer<br />

Netzhautablösung nahe und die beklagte Ärztin hatte dies erkannt. Sie war<br />

infolge dessen verpflichtet, dem Patienten ihre Erkenntnisse sowie ihren Verdacht<br />

bekannt zu geben. Im Rahmen der ihr obliegenden therapeutischen Aufklärungspflicht<br />

hätte der Patient darauf hingewiesen werden müssen, dass er bei<br />

fortschreitenden Symptomen sofort einen Augenarzt einschaltet und im Übrigen<br />

den Befund alsbald überprüfen lässt. Darüber hinaus bestätigte der Bundesgerichtshof,<br />

dass dieser fehlende Hinweis einen groben Behandlungsfehler darstellt<br />

(vgl. dazu auch die Ausführungen unter Ziff. 2.6).<br />

bf) Koordinierungsfehler<br />

Hierzu gehört beispielsweise das Verhältnis überweisender (Haus-)Arzt zum<br />

Facharzt. So ist der überweisende Arzt bei der Übergabe der Behandlung an den<br />

weiterbehandelnden Arzt gehalten, in nicht einfach liegenden, eine besondere<br />

Überwachung erfordernden Fällen, dem nachbehandelnden Arzt neben dem<br />

Entlassungsbefund die sich für die Nachbehandlung ergebenden besonderen<br />

Konsequenzen durch einen Arztbrief mitzuteilen.<br />

2.4. Der Aufklärungsfehler<br />

Die Rechtsprechung zur Aufklärung geht auf eine strafrechtliche Entscheidung<br />

des Reichsgerichtes aus dem Jahre 1887 zurück (33). Damals stand ein Oberarzt<br />

unter Anklage wegen Körperverletzung. Der Arzt hatte bei einem siebenjährigen<br />

Kind eine Fußamputation vorgenommen, da eine tuberkulöse Ver-<br />

16


eiterung des Fußwurzelknochens vorlag. Der Vater hatte der Operation widersprochen.<br />

Das Reichsgericht sah in dem medizinisch indizierten Eingriff eine<br />

Körperverletzung, die nur durch die Einwilligung des sorgeberechtigten Vaters<br />

oder eines Pflegers hätte gerechtfertigt werden können.<br />

Die bereits in Ziff. 1 dargelegte Sach- und Rechtslage, wonach jeder Eingriff,<br />

sei er behandlungsfehlerhaft oder behandlungsfehlerfrei, als Verletzung des<br />

Behandlungsvertrages und rechtswidrige Körperverletzung zu werten, sofern<br />

keine auf einer Aufklärung basierende wirksame Einwilligung vorliegt, basiert<br />

auf dem verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht des Patienten<br />

(Art. 2 Grundgesetz).<br />

Die Aufklärung ist nicht nur eine deliktische Pflicht des Arztes, die Durchführung<br />

der Aufklärung wird auch vertraglich geschuldet. Die Aufklärung geht<br />

der Einwilligung voraus und ist Voraussetzung für die Erteilung der Einwilligung.<br />

Die Selbstbestimmungsaufklärung zielt darauf ab, dem Patienten eine allgemeine<br />

Vorstellung von der Art und dem Schweregrad der in Betracht kommenden<br />

Behandlung, von den auf den Patienten zukommenden Belastungen und Risiken<br />

zu vermitteln (34).<br />

Grundsätzlich ist die Aufklärung und Einwilligung vor allen diagnostischen<br />

und therapeutischen Behandlungsmaßnahmen geboten.<br />

Die Einwilligung muss für mehrere an der Behandlung beteiligte Ärzte dann<br />

getrennt erfolgen, sofern sie selbständige Behandlungsschritte vornehmen zum<br />

Beispiel Chirurg/Operateur – Anästhesist oder Chirurg – Radiologe bei Kontrastmitteluntersuchung<br />

in Vorbereitung einer Operation (35).<br />

Aufklärungsarten und Umfang der Aufklärung:<br />

Das Oberlandesgericht Koblenz hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 2001<br />

die unterschiedlichen Aufklärungsarten wie folgt strukturiert (36):<br />

a) Selbstbestimmungsaufklärung<br />

Die Selbstbestimmungsaufklärung schafft die Voraussetzungen für eine rechtfertigende<br />

Einwilligung. Der Patient muss im Großen und Ganzen erfahren,<br />

welche Krankheit vorliegt, welcher Eingriff geplant ist, wie dringlich er ist, wie<br />

er abläuft und welche Nebenwirkungen und Risiken damit verbunden sind. Die<br />

Aufklärung muss vorher erfolgen, unabhängig davon, ob es sich um diagnostische<br />

oder therapeutische Maßnahmen handelt.<br />

17


) Verlaufsaufklärung<br />

Die Verlaufsaufklärung erstreckt sich auf die Art, den Umfang und die Durchführung<br />

des Eingriffs. Der Patient muss wissen, was mit ihm geschehen soll<br />

und auf welche Weise der Eingriff vorgenommen wird. Dem Patient ist, sofern<br />

er nicht auf eine solche Erläuterung ausdrücklich verzichtet hat, der beabsichtigte<br />

Eingriff in einer seinem Verständnisvermögen angepassten Weise zu erläutern,<br />

dass er, wenn auch nur im Großen und Ganzen, weiß, worin er einwilligt.<br />

c) Risikoaufklärung<br />

Die Risikoaufklärung vermittelt dem Patienten Informationen über die Gefahren<br />

eines ärztlichen Eingriffs, nämlich über dauernde oder vorübergehende<br />

Nebenfolgen, die sich auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt, bei fehlerfreier<br />

Durchführung des Eingriffs nicht mit Gewissheit ausschließen lassen.<br />

Der Patient ist darüber hinaus mit Art und Schwere des Eingriffs vertraut zu<br />

machen, wobei es genügt, wenn dem Patienten ein allgemeines Bild von der<br />

Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums vermittelt wird. Sofern<br />

eine Behandlungsmethode noch nicht wissenschaftlich anerkannt ist, hat der<br />

Arzt darauf hinzuweisen, dass sich die Methode noch in der Erprobungsphase<br />

befindet und unbekannte Risiken nicht auszuschließen sind.<br />

Über Risiken, die mit der Eigenart des Eingriffs spezifisch verbunden sind, ist<br />

unabhängig von ihrer Komplikationshäufigkeit aufzuklären.<br />

Der Arzt muss den Patienten über Behandlungsalternativen aufklären, wenn die<br />

von ihm gewählte Methode und die Alternativmethode durch unterschiedliche<br />

Erfolgschancen einerseits sowie unterschiedliche Belastungen und Risiken<br />

andererseits gekennzeichnet sind und deshalb der Patient in die Entscheidungsfindung<br />

einzubeziehen ist (37).<br />

Das OLG Dresden hatte mit Urteil vom 23.10.2003 über die konservative Therapie<br />

einer distalen Unterschenkelfraktur rechts zu befinden (38). Der Patient<br />

rügte, dass über die Möglichkeit einer operativen Behandlung nicht aufgeklärt<br />

worden sei. Das Gericht ließ – sachverständig beraten – diese Aufklärungsrüge<br />

nicht gelten und wies darauf hin, dass die operative Behandlung keine echte<br />

Behandlungsalternative zur konservativen Behandlung gewesen sei. Ähnlich<br />

entschied das OLG Dresden mit Urteil vom 17.05.2001 (39). Dort war das<br />

Gericht mit der Frage befasst, ob ein Patient, dessen verletzter Finger nach<br />

einer operativen Versorgung mit der so genannten „Nahlappenmethode“ infektionsbedingt<br />

teilamputiert werden musste, vor dem Eingriff über die alternative<br />

Operationstechnik der „Fernlappenmethode“ hätte informiert werden müssen.<br />

18


Das OLG Dresden verneinte dies, da die Fernlappenmethode nach den Feststellungen<br />

des Gutachters zwar die „elegantere“, jedoch keine der Nahlappenplastik<br />

grundsätzlich überlegene Methode darstellt, wobei die Besonderheit hinzukam,<br />

dass eine Entscheidung für die Nahlappenmethode als alternative<br />

Operationstechnik erst intraoperativ möglich gewesen wäre.<br />

d) Aufklärung über die Dringlichkeit des Eingriffs<br />

Sofern eine Operation noch kurze Zeit hinausgeschoben werden kann, jedoch<br />

die Möglichkeiten einer konservativen Behandlung des Schmerzzustandes erschöpft<br />

sind, ist daraus kein ärztliches Aufklärungsversäumnis herzuleiten.<br />

Bei diagnostischen Eingriffen ohne therapeutischen Eigenwert gelten strengere<br />

Maßstäbe für die Aufklärung des Patienten über die mit der medizinischen<br />

Maßnahme verbundenen Gefahren, sofern der invasive Schritt nicht dringend<br />

oder sogar vital indiziert erscheint. Hier hat der Arzt dem Patienten selbst entfernt<br />

liegende Komplikationsmöglichkeiten in angemessener Weise mitzuteilen.<br />

e) Aufklärung über die Heilungschancen<br />

Das Kammergericht Berlin, welches den Status eines Oberlandesgerichtes hat,<br />

wies in einer Entscheidung vom 15.12.2003 darauf hin, dass eine Aufklärung<br />

des Patienten nicht nur über die Risiken zu erfolgen habe, sondern auch die<br />

Heilungschancen aufgezeigt werden müssten (40).<br />

Auch Gehrlein weist darauf hin, dass der Patient den Nutzen des Eingriffs und die<br />

Wahrscheinlichkeit seiner Realisierung erst dann einzuschätzen weiß, wenn er<br />

imstande ist, Nutzen und Risiken des Eingriffs gegeneinander abzuwägen (41).<br />

Sonstiges zur Aufklärung:<br />

Auch die vitale oder absolute Indikation entbinden den Arzt nicht von der Aufklärung.<br />

Ein so genanntes „therapeutisches Privileg“ steht dem Arzt nicht zur Verfügung.<br />

Eine Reduktion der Aufklärung ist nur in sehr wenigen Konstellationen<br />

denkbar. Das Aufklärungsgespräch sollte in rücksichtsvoller Art und Weise<br />

durchgeführt werden.<br />

Die Aufklärung ist vom Arzt durchzuführen, nicht von der Schwester oder Helferin.<br />

Die Aufklärung wird in einem persönlichen Arzt-Patientengespräch<br />

durchgeführt. Aufklärung und Einwilligung bedürfen nicht der Schriftform. Die<br />

Dokumentation der Aufklärung in den Patientenunterlagen muss jedoch dringend<br />

empfohlen werden.<br />

19


Aufklärungszeitpunkt<br />

Das Aufklärungsgespräch muss stets so früh geführt werden, dass das Selbstbestimmungsrecht<br />

des Patienten gewährleistet ist. Es wird empfohlen, das Aufklärungsgespräch<br />

schon bei der Vereinbarung eines Operationstermines vorzunehmen,<br />

sofern es sich nicht um einen Notfall handelt. Diese Empfehlung gilt<br />

auch für diagnostische Eingriffe (42).<br />

Regelmäßig ist eine Aufklärung am Vorabend der Operation zu spät. Lediglich<br />

bei einfachen Eingriffen mit geringem Risiko wird eine Aufklärung noch am<br />

Tag der Operation als ausreichend erachtet. Dem Patienten muss allerdings<br />

auch dann Zeit und Ruhe zur Verfügung gestellt werden, um eine eigenständige<br />

Entscheidung ohne psychischen Druck treffen zu können. Der Bundesgerichtshof<br />

hat dies in seiner jüngsten Entscheidung zu dieser Frage am 25.03.2003<br />

nochmals ausdrücklich bestätigt (43).<br />

Bewusstloser oder willensunfähiger Patient<br />

Hier gilt in Anlehnung an die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag<br />

gemäß § 683 BGB Folgendes:<br />

Es ist zu prüfen, ob eine mutmaßliche Einwilligung des Patienten vorliegt, das<br />

heißt, ob die ärztliche Behandlung des Bewusstlosen in dessen objektiv verstandenem<br />

Interesse liegt und seinem wirklich geäußerten oder mutmaßlich anzunehmenden<br />

subjektiven Willen entspricht.<br />

Die mutmaßliche Einwilligung ist nur dann heranzuziehen, wenn der ärztliche<br />

Eingriff bzw. die notwendige ärztliche Behandlung unaufschiebbar erscheint.<br />

Andernfalls hat der Arzt abzuwarten, bis der Patient wieder das Bewusstsein<br />

erlangt hat oder es ist für eine vom Gericht zu berufende, gesetzliche Vertretung<br />

zu sorgen (44).<br />

Wirtschaftliche Aufklärung<br />

Fragen der wirtschaftlichen Aufklärung spielen durchaus eine Rolle. Sofern der<br />

Arzt weiß, dass eine bestimmte ärztliche Behandlung von der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />

nicht oder nur unter bestimmten fraglichen vorliegenden Voraussetzungen<br />

getragen wird, ist er verpflichtet, den Patienten hierauf hinzuweisen (45).<br />

Bei der Anwendung alternativer Methoden ist der Arzt verpflichtet, den Patienten<br />

darauf hinzuweisen, dass diese auch vom privaten Krankenversicherer<br />

regelmäßig nicht ersetzt werden (46).<br />

Bietet der Arzt Krebspatienten im letzten Stadium der Krankheit eine kostenintensive<br />

Therapie an, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nicht erwiesen ist und<br />

20


deren Kosten von der Gesetzlichen Krankenversicherung regelmäßig nicht übernommen<br />

werden, so ist er verpflichtet, den Patienten unmissverständlich darauf<br />

hinzuweisen, dass er die Therapie voraussichtlich selbst bezahlen muss. Der<br />

Patient ist darüber hinaus klar und eindeutig über die realistischen Chancen<br />

einer ins Auge gefassten Therapie aufzuklären (47).<br />

Zusammenfassung zur Aufklärungsfehlerhaftung<br />

Niemand wird heute die Notwendigkeit der Aufklärung des Patienten ernsthaft<br />

bestreiten.<br />

Jeder Arzt muss sich aus haftungsrechtlichen Gründen bemühen, den rechtlichen<br />

Anforderungen bestmöglich gerecht zu werden. Dessen ungeachtet stellt<br />

sich jedoch die Frage, ob die strengen Anforderungen der Rechtsprechung für<br />

den Arzt in dem juristisch geforderten Umfang wirklich in jedem Fall vollständig<br />

erfüllbar sind.<br />

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wieviel Aufklärung der Patient verkraftet,<br />

wieviel er aufnehmen kann. Die Aufnahme sowie die Verarbeitung von Informationen<br />

erfordern Zeit und Aufklärung und wird oft nur als Prozess gelingen<br />

(48). Flipp und Aymanns weisen darauf hin, dass der Arzt berücksichtigen<br />

muss, wie viele Informationen der Patient – seinen individuellen Abwehr-versus<br />

Vigilanztendenzen entsprechend – verarbeiten kann, bevor er ihn über seine<br />

Erkrankung oder deren Behandlung informiert (49). In welchem Verhältnis stehen<br />

diese ärztlichen Forderungen zu der eindeutigen Rechtslage, wonach es kein<br />

„therapeutisches Privileg“ gibt? (50) Sind nicht zum Beispiel Fallgestaltungen<br />

denkbar, wo ein Aufklärungsgespräch stückweise gegebenenfalls erst zu einem<br />

späten Zeitpunkt – haftungsrechtlich möglicherweise zu spät mit der Folge der<br />

Haftung des Arztes – auch für den Patienten besser sein kann?<br />

Die oben genannten Fragen nützen dem Arzt als niedergelassenen Praktiker oder<br />

als Kliniker im Haftungsfall wenig, sie machen jedoch deutlich, dass auch im<br />

Bereich der Aufklärungsfehlerhaftung durchaus noch Gesprächs- und gegebenenfalls<br />

Handlungsbedarf zwischen Justiz und Medizin besteht, um eine für alle<br />

Beteiligten optimale Lösung anzustreben.<br />

2.5. Die ärztliche Dokumentation<br />

Die Dokumentationspflicht wird vom Arzt vertraglich und deliktisch geschuldet.<br />

Die Dokumentation zielt nicht in erster Linie auf juristische Beweissicherung<br />

ab. Sie dient dazu, eine sachgerechte medizinische Behandlung durch<br />

21


einen Ersatzarzt oder weiterbehandelnden Arzt zu gewährleisten, wobei eine<br />

Dokumentation, die medizinisch nicht erforderlich ist, auch aus Rechtsgründen<br />

nicht geboten sein kann (51).<br />

Trotzdem kommt man nicht umhin, der ärztlichen Dokumentation neben der<br />

Therapiesicherung auch die Aufgabe der Rechnungslegung und Beweissicherung<br />

zuordnen zu müssen.<br />

Zu dokumentieren sind<br />

– Anamnese,<br />

– Befunde,<br />

– Diagnostik und Therapie (einschließlich Diagnose-Kontrolluntersuchungen<br />

mit Befunden, Medikamentation, Operationsbericht, Narkoseprotokoll),<br />

– wichtigste Daten zum Therapieablauf (Standardverlauf, Abweichungen hiervon,<br />

im Eingriff angetroffene anatomische Abweichungen, Komplikationen,<br />

Wechsel des Operateurs, Behandlungsweigerung, Therapiehinweise, Sicherungsaufklärung<br />

zum Beispiel Fahruntüchtigkeit durch Nachwirkungen der<br />

Anästhesie, notwendige Wiedereinbestellungen zu Kontrolluntersuchungen).<br />

Grundsätzlich hat der Arzt in den Krankenunterlagen zu dokumentieren, wann<br />

und über welche Risiken aufgeklärt worden ist (52). Dabei ist stets zu beachten,<br />

dass der Arzt den Nachweis über die vollständige und zutreffende Aufklärung<br />

zu führen hat. Bei Zweifeln an einer dokumentationsgerechten Aufklärung muss<br />

der Arzt angehört bzw. als Partei vernommen werden. Allerdings kann auch,<br />

wenn nicht dokumentiert worden ist, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden<br />

hat, der Nachweis auf andere Weise erfolgen, zum Beispiel durch Zeugenvernehmung<br />

der Schwester oder Helferin, anderer Ärzte etc.<br />

Die Aushändigung und Unterzeichnung von Merkblättern ersetzt nicht das erforderliche<br />

Aufklärungsgespräch. Ausschlaggebend ist stets das Gespräch zwischen<br />

Arzt und Patient. Die Existenz einer unterschriebenen Einwilligungserklärung ist<br />

nur ein Indiz dafür, dass überhaupt ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat (53).<br />

Die ärztliche Dokumentation ist auch eine Berufspflicht. Es wird verwiesen auf<br />

§ 10 der Berufsordnung der <strong>Sächsische</strong>n Landesärztekammer. Diese Bestimmung<br />

hat in gekürzter Fassung folgenden Wortlaut:<br />

㤠10 Dokumentationspflicht<br />

(1) Der Arzt hat über die in Ausübung seines Berufes gemachten Feststellungen<br />

und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu fertigen.<br />

Diese sind nicht nur Gedächtnisstützen für den Arzt, sie dienen auch<br />

dem Interesse des Patienten an einer ordnungsgemäßen Dokumentation.<br />

22


(2) Der Arzt hat dem Patienten auf dessen Verlangen grundsätzlich in die ihn<br />

betreffenden Krankenunterlagen Einsicht zu gewähren; ausgenommen sind<br />

diejenigen Teile, welche subjektive Eindrücke oder Wahrnehmungen des<br />

Arztes enthalten. Auf Verlangen sind dem Patienten Kopien der Unterlagen<br />

gegen Erstattung der Kosten herauszugeben.<br />

(3) Ärztliche Aufzeichnungen sind für die Dauer von zehn Jahren nach Abschluss<br />

der Behandlung aufzubewahren, soweit nicht nach gesetzlichen Vorschriften<br />

eine längere Aufbewahrungspflicht besteht.<br />

(4) .....<br />

(5) Aufzeichnungen auf elektronischen Datenträgern oder anderen Speichermedien<br />

bedürfen besonderer Sicherungs- und Schutzmaßnahmen, um deren<br />

Veränderung, Vernichtung oder unrechtmäßige Verwendung zu verhindern.<br />

Der Arzt hat hierbei die Empfehlungen der Ärztekammer zu beachten.“<br />

Die in § 10 Abs. 2 Berufsordnung dargestellte Aufbewahrungspflicht ist eine<br />

Mindestfrist. Es ist zu berücksichtigen, dass auch nach dem neuen Verjährungsrecht<br />

die Höchstfrist für den Eintritt der Verjährung 30 Jahre beträgt. Zwar<br />

beläuft sich die Verjährungsfrist grundsätzlich auf 3 Jahre (so genannte Regelverjährung<br />

gem. § 195 BGB neue Fassung). Diese Frist beginnt jedoch erst mit<br />

dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (zum Beispiel Ende der<br />

Behandlung 30.06.2003, Verjährungsbeginn möglich ab 31.12.2003) und der<br />

Patient von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des<br />

Schädigers Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.<br />

(Der oben genannte 31.12.2003 kommt also keinesfalls zwingend als Verjährungsbeginn<br />

in Betracht; erfährt der Patient erst Jahre später – zum Beispiel<br />

im Zuge einer Nachbehandlung – dass die Behandlung aus dem Jahre 2003 fehlerhaft<br />

war, so kann er noch nach Jahren Ansprüche geltend machen, ohne dass die<br />

Einrede der Verjährung greift). Eine vorzeitige Aktenvernichtung verletzt nicht<br />

nur das Recht des Patienten auf Einsicht in die Patientenunterlagen, es bringt<br />

auch im Falle eines Haftungsprozesses Nachteile mit sich, die sich insbesondere<br />

für die Behandlerseite ungünstig auswirken können.<br />

2.6. Kausalität und Beweisfragen<br />

Kausalitäts- und Beweisfragen im Bereich des Behandlungsfehlers:<br />

Der Arzt haftet nur dann aus Vertrag oder unerlaubter Handlung, wenn der bei<br />

dem Patienten eingetretene Schaden auf einem schuldhaften Behandlungsfehler<br />

23


eruht. Die Kausalität betrifft also die Frage der Verknüpfung zwischen Behandlungsfehler<br />

einerseits und Schaden des Patienten andererseits.<br />

Der Patient trägt die Beweislast für das Vorhandensein eines Behandlungsfehlers.<br />

Sofern die Behauptung des Patienten ungeklärt bleibt, ist der Behandlungsfehler<br />

zu Lasten des Patienten unbewiesen. Darüber hinaus trägt der Patient die<br />

Beweislast für ein Behandlungsverschulden. Im Kernbereich des ärztlichen<br />

Handelns findet die Verschuldungsvermutung keine Anwendung. Diese Auffassung<br />

wird auch nach der Schuldrechtsreform aus dem Jahre 2002 in der Literatur<br />

vertreten (54). Es existieren jedoch auch Auffassungen, die den Nachweis<br />

des Verschuldens nunmehr der Behandlerseite – also dem Arzt – auferlegen<br />

unter Bezugnahme auf den neu gefassten § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB (55). Diese<br />

für den Arzt ungünstige Beweissituation soll namentlich im Bereich der Vertragshaftung<br />

gelten (56).<br />

Unstrittig ist, dass im Bereich der so genannten vollbeherrschbaren Risiken die<br />

Behandlerseite die Beweislast für die Fehler- und Verschuldensfreiheit trägt.<br />

Hierzu gehören zum Beispiel Gerätesicherheit und Hygienegewähr (57).<br />

Auch für die Kausalität ist grundsätzlich der Patient beweisbelastet.<br />

Die Rechtsprechung hat für den Patienten verschiedene Beweiserleichterungsmöglichkeiten<br />

geschaffen. Einige dieser Beweiserleichterungen auf Behandlungsfehlerebene<br />

sollen hier vorgestellt werden:<br />

a) Dokumentationsmängel<br />

Dokumentationsmängel können zu Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten<br />

führen. Sofern dokumentationspflichtige Geschehnisse des Behandlungsablaufes<br />

nicht festgehalten wurden folgt daraus ein Indiz, dass das, was<br />

nicht dokumentiert wurde, auch nicht durchgeführt wurde (58). Dem Arzt steht<br />

dessen ungeachtet der Beweis offen, dass die Behandlung durchgeführt wurde<br />

oder der Befund erhoben wurde.<br />

Der Arzt muss auch dafür sorgen, dass die erhobenen Befunde gesichert werden.<br />

So müssen beispielsweise Röntgenaufnahmen aufbewahrt werden.<br />

Der Arzt ist auch verpflichtet, die Ablehnung dringend indizierter Untersuchungsmaßnahmen<br />

seitens des Patienten in die ärztliche Dokumentation aufzunehmen.<br />

b) Anscheinsbeweis<br />

Zugunsten des Patienten können gegebenenfalls die Grundsätze des Anscheinsbeweises<br />

herangezogen werden. Hierbei geht es um die Frage, ob aus dem fest-<br />

24


gestellten Behandlungsfehler typischerweise auf das Vorliegen eines Verschuldens<br />

und/oder auf die ursächliche Zuordnung des Primärschadens geschlossen<br />

werden kann. Darüber hinaus kann sich die Frage stellen, ob ein festgestellter<br />

Primärschaden typischerweise nur durch einen schuldhaften Behandlungsfehler<br />

verursacht worden sein kann (59).<br />

Sofern die Grundsätze des Anscheinsbeweises heranzuziehen sind obliegt es<br />

dem Arzt, den Anschein zu erschüttern. Der Arzt muss einen Sachverhalt<br />

beweisen, der die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Verlaufes nahelegt.<br />

c) Grober Behandlungsfehler<br />

Zugunsten des Patienten besteht die Möglichkeit der Annahme von Beweiserleichterungen<br />

bis hin zu Beweislastumkehr hinsichtlich der Ursächlichkeit des<br />

Behandlungsfehlers, und zwar für den Fall der Feststellung eines groben Behandlungsfehlers.<br />

Ein Behandlungsfehler wird dann als grob angesehen, wenn ein medizinisches<br />

Fehlverhalten vorliegt, das aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich<br />

erscheint, da ein solcher Fehler dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen<br />

darf (60).<br />

Es kommt hier keineswegs zwingend darauf an, dass dem Arzt grobe Fahrlässigkeit<br />

vorgeworfen werden muss. Entscheidend ist, ob das ärztliche Verhalten<br />

eindeutig gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse und bewährte ärztliche<br />

Behandlungsregeln und Erfahrungen verstößt (61).<br />

Die Frage, ob ein Behandlungsfehler als grob eingestuft wird oder nicht hat oft<br />

auf den Prozessausgang ausschlaggebende Wirkung. Bei einer Umkehr der<br />

Beweislast zugunsten des Patienten gelingt dem Arzt der Gegenbeweis meist<br />

nicht, so dass er den Prozess aus beweisrechtlichen Gründen verliert. Ein jüngeres<br />

Urteil des Bundesgerichtshofes macht deutlich, dass die höchstrichterliche<br />

Rechtsprechung Präzisierungen vornimmt, um Tendenzen einer Herabsetzung<br />

der Schwelle für die Beweislastumkehr wegen eines groben Behandlungsfehlers<br />

entgegen zu wirken. Der BGH hat darauf hingewiesen, dass ein grober<br />

Behandlungsfehler nicht bereits bei zweifelsfreier Feststellung einer Verletzung<br />

des maßgeblichen ärztlichen Standards gegeben sei. Der grobe Behandlungsfehler<br />

setzt neben einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln<br />

oder gesicherte medizinische Erkenntnisse die Feststellung<br />

voraus, dass der Arzt einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht<br />

mehr verständlich erscheint, da er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen<br />

darf. Ferner weist der BGH darauf hin, dass es sich hier zwar um eine juristi-<br />

25


sche Bewertung handeln würde, die jedoch zwingend durch die vom medizinischen<br />

Sachverständigen mitgeteilten Fakten getragen werden muss (62).<br />

Schließlich ist auf das Urteil des BGH vom 27.04.2004 zu verweisen (63). Die<br />

Patientin erlitt bei einem Motorradunfall Rippenbrüche. Darüber hinaus waren<br />

der dritte Lendenwirbelkörper und das Schulterblatt gebrochen. Es wurde in der<br />

Klinik nicht bemerkt, dass sie darüber hinaus eine Beckenringfraktur mit einem<br />

Sakrumkompressionsbruch rechts davon getragen hatte. Der Bundesgerichtshof<br />

konnte seiner Entscheidung zugrunde legen, dass eine Abklärung der von der<br />

Patientin nach Beginn der Mobilisierung geäußerten Schmerzen durch eine<br />

Röntgenaufnahme hätte veranlasst werden müssen, dass ferner die Beckenringfraktur<br />

bei dieser Untersuchung erkannt worden wäre und dass eine Fehlreaktion<br />

auf diesen Befund, insbesondere eine Fortsetzung der Mobilisierung ohne<br />

gleichzeitige (Teil-) Entlastung durch Unterarmstützen schlechthin unverständlich<br />

und grob fehlerhaft gewesen wäre. Dem Urteil liegt auch zugrunde, dass<br />

der Behandlungsfehler die aufgetretene Pseudoarthrose und die weiteren gesundheitlichen<br />

Beeinträchtigungen mitverursacht habe, dies jedoch unwahrscheinlich,<br />

wenn auch nicht gänzlich unwahrscheinlich sei. Der BGH hatte sich<br />

mit der Frage auseinander zu setzen, ob auf dieser Grundlage eine Beweislastumkehr<br />

der ursächlichen Auswirkung des Behandlungsfehlers eintreten muss.<br />

Der BGH führt aus, dass es ausreiche, dass der grobe Behandlungsfehler geeignet<br />

sei, den eingetretenen Schaden zu verursachen, nahelegen oder wahrscheinlich<br />

machen muss, der Fehler den Schaden hingegen nicht. Eine Verlagerung der<br />

Beweislast bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers ist nur ausnahmsweise<br />

ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründender Zusammenhang<br />

äußerst unwahrscheinlich ist. Diese Entscheidung bringt zwar mehr Rechtsklarheit,<br />

stärkt jedoch auch die Situation des klagenden Patienten zu Lasten des<br />

beklagten Arztes.<br />

Die oben genannte Entscheidung legte der Bundesgerichtshof auch später in dem<br />

unter Ziff. 2.3. vorgestellten Augenarztfall zugrunde (64) und weist darauf hin,<br />

dass ein grober Behandlungsfehler grundsätzlich zu einer Umkehr der objektiven<br />

Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler<br />

und dem Gesundheitsschaden führt. Es sei Sache der beklagten Augenärztin<br />

darzulegen und zu beweisen, dass ein ordnungsgemäßer Hinweis an den klagenden<br />

Patienten, er solle bei Befundverschlechterung umgehend eine Kontrolluntersuchung<br />

durchführen lassen, eine Netzhautablösung mit den eingetretenen<br />

Folgen weder verhindert noch hätte abgemildert werden können. Einer<br />

Umkehr der Beweislast stehe auch nicht entgegen, dass der Patient weiterge-<br />

26


hende Anzeichen als die auftretenden Lichtblitze nicht bemerkt habe. Die beklagte<br />

Ärztin hätte den Patienten zu einer baldigen Kontrolle des Augenhintergrundes<br />

veranlassen müssen.<br />

d) Verstoß gegen die Pflicht zur Erhebung und Sicherung von Befunden<br />

Der Verstoß gegen die Pflicht zur Erhebung und Sicherung von Befunden kann<br />

für den Patienten zu Beweiserleichterungen zum Nachweis der Kausalität des<br />

Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen.<br />

Für eine Beweislastumkehr werden 3 Voraussetzungen verlangt:<br />

Als erstes ist ein Befund behandlungsfehlerhaft nicht erhoben worden; zweitens<br />

hätte der Befund mit hinreichender Sicherheit ein reaktionspflichtiges Ergebnis<br />

erbracht, drittens greift eine Beweislastumkehr durch, wenn sich das Verkennen<br />

des Befunds als fundamentaler Diagnosefehler oder die Nichtreaktion als grob<br />

fehlerhaft darstellt (65).<br />

Einer Entscheidung des OLG Dresden vom 06.06.2002 (66) wurde als Leitsatz<br />

vorangestellt, dass bei unterlassener Befunderhebung nur dann eine Beweiserleichterung<br />

in Betracht kommt, wenn der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit<br />

ein medizinisch positives Ergebnis gehabt hätte. Von einer hinreichenden<br />

Wahrscheinlichkeit kann dann nicht gesprochen werden, wenn das<br />

mutmaßliche Ergebnis des Befundes völlig offen und die Wahrscheinlichkeit<br />

eines reaktionspflichtigen Befundergebnisses nicht höher als mit 50 Prozent<br />

anzusetzen ist.<br />

Kausalitäts- und Beweisfragen zum Aufklärungsfehler<br />

Auch die Aufklärungspflichtverletzung muss in einem Kausalzusammenhang<br />

zu dem vom Patienten geltend gemachten Schaden stehen. Sofern feststeht,<br />

dass der Schaden auf der Entwicklung des Grundleidens beruht und ohne den<br />

Behandlungseingriff in Ausprägung und Zeitpunkt gleichermaßen eingetreten<br />

wäre, entfällt eine Haftung aus dem Aufklärungsfehler. Man spricht hier von<br />

der Konstellation der Reserveursache.<br />

Der Arzt hat zu beweisen, dass der Patient aufgeklärt wurde und der Behandlung<br />

eingewilligt hat. Hierzu kann der Arzt die Patientenunterlagen vorlegen – sofern<br />

der wesentliche Inhalt des Aufklärungsgespräches dokumentiert wurde. In Frage<br />

kommt auch die Vernehmung von Zeugen – zum Beispiel der Schwester/Arzthelferin<br />

oder die Parteienvernehmung. Dabei kann es zur Überzeugungsfindung<br />

im Einzelfall ausreichen, wenn der Arzt durch Zeugen oder Parteienvernehmung<br />

den Nachweis erbringt, dass die ordnungsgemäße Aufklärung ständige Praxis<br />

27


ist (67). In diese Richtung geht auch ein Urteil des OLG Karlsruhe vom<br />

23.06.2004 (68). Dem Arzt, der in anderen vergleichbaren Fällen richtig aufklärt,<br />

sollte im Zweifel geglaubt werden, dass auch im konkreten Fall die Aufklärung<br />

in der gebotenen Weise erfolgt ist. An den Beweis der gehörigen Erfüllung der<br />

Aufklärungspflichten durch den Arzt dürfen – so das OLG – keine überzogenen<br />

Anforderungen gestellt werden.<br />

Formularmäßigen Einwilligungsbögen messen die Gerichte für sich genommen<br />

keinen großen Beweiswert bei, wenn sich daraus insbesondere keinerlei Hinweis<br />

dafür ergibt, dass mit dem Patienten über die konkret geplante Behandlung<br />

gesprochen wurde. Der Arzt sollte also beim Einsatz von Einwilligungsbögen<br />

durchaus die mündlichen Erklärungen gegenüber dem Patienten zum konkreten<br />

Behandlungsfall unter Zugrundelegung des Einwilligungsbogens schriftlich<br />

und patientenbezogen vermerken.<br />

Die Rechtsprechung hat – um rechtsmissbräuchlichem Vorbringen fehlerhafter<br />

Aufklärung zu begegnen – den Einwand der hypothetischen Einwilligung –<br />

auch rechtmäßiges Alternativverhalten genannt – zugelassen (69). Kann der<br />

Arzt den Nachweis der Aufklärung nicht führen, fehlt die Einwilligung. Der<br />

Arzt kann dann behaupten, dass der Patient sich auch bei ordnungsgemäßer<br />

Aufklärung zu dem Eingriff entschlossen hätte und muss den ihm obliegenden<br />

Beweis für seine Behauptung erbringen. Zunächst ist hier zu berücksichtigen,<br />

dass es sich um einen Einwand handelt, an dessen Voraussetzungen strenge<br />

Anforderungen gestellt werden. Einwand bedeutet, dass der Arzt dieses Argument<br />

in den Prozess einführen muss. Von Amts wegen wird hier keine Überprüfung<br />

durch das Gericht vorgenommen. Dem Einwand kann der Patient seinerseits<br />

entgegensetzen, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem<br />

Entscheidungskonflikt darüber befunden hätte, ob er den tatsächlich bereits<br />

durchgeführten Eingriff hätte vornehmen lassen oder nicht.<br />

Mit der hypothetischen Einwilligung beschäftigt sich ein Urteil des OLG<br />

Koblenz vom 01.04.2004 (70). In Übereinstimmung mit einem Urteil des OLG<br />

Dresden vom 23.10.2003 (71) und im Gegensatz zu einem Urteil des OLG Jena<br />

(72) erkennt das Gericht, sofern der Eingriff kraft hypothetischer Einwilligung<br />

rechtens war, wegen des bloßen Aufklärungsmangels dem Patienten auch kein<br />

Teilschmerzensgeld zusteht.<br />

Beweiswert der Patientendokumentation<br />

Die Patientendokumentation spielt im <strong>Arzthaftung</strong>sverfahren eine erhebliche<br />

Rolle. Steffen/Richter führen aus, dass die Dokumentation zwar nicht dadurch<br />

28


entwertet würde, dass sie schwer zu lesen sei und von der Sprechstundenhilfe<br />

herrühre. Andererseits könne der Arzt mit einer korrekten Dokumentation Beweis<br />

für eine fehlerfreie Behandlung und für ordnungsgemäße Aufklärung des<br />

Patienten erbringen (73).<br />

Die Gerichte gehen insbesondere auf Rüge der Patientenseite Widersprüchen in<br />

der Dokumentation nach. Darüber hinaus muss die Dokumentation in unmittelbarem<br />

zeitlichem Zusammenhang mit der Behandlung oder dem Eingriff erfolgen.<br />

Liegt zwischen der Behandlung und Eintragung ein Zeitraum von Wochen<br />

oder Monaten, so kann das die Vermutung rechtfertigen, dass die (später) dokumentierte<br />

Behandlung unterblieben ist (74).<br />

Die Glaubwürdigkeit der Patientendokumentation wird auch nicht dadurch<br />

erhöht, wenn diese nicht systematisch, nicht chronologisch geführt wurde,<br />

durch Streichungen und Änderungen etc. gekennzeichnet ist. Einerseits wird<br />

dadurch der Beweiswert der Dokumentation herabgesetzt, andererseits muss<br />

sich der Arzt möglicherweise mit dem Vorwurf auseinander setzen, die Dokumentation<br />

gegebenenfalls unter dem Einfluss eines Verfahrens nachträglich ergänzt<br />

oder verändert zu haben. Vor nachträglichen Veränderungen kann nur<br />

dringlich gewarnt werden. Die Wirkungen können nicht nur für den Zivilprozess<br />

fatal sein. Der Arzt setzt sich ohne Not strafrechtlichen Risiken aus.<br />

Die papiergeführte handschriftliche Dokumentation stellt eine Urkunde im<br />

Sinne des Zivilprozessrechts dar. Das Gesetz betrachtet den Urkundenbeweis<br />

als das sicherste Beweismittel. EDV-Datenträger und deren ausgedruckter<br />

Datenbestand stellen keine Urkunde dar, sondern sind Objekt des Augenscheins<br />

(75). Mit dem Inkrafttreten des Justizkommunikationsgesetzes am 01.04.2005<br />

wurde eine Vorschrift der ZPO neu gefasst. Der § 371 a Abs. 1 ZPO hat folgenden<br />

Wortlaut:<br />

„Auf private elektronische Dokumente, die mit einer qualifizierten elektronischen<br />

Signatur versehen sind, finden die Vorschriften über die Beweiskraft privater<br />

Urkunden entsprechende Anwendung. Der Anschein der Echtheit einer in<br />

elektronischer Form vorliegenden Erklärung, der sich aufgrund der Prüfung<br />

nach dem Signaturgesetz ergibt, kann nur durch Tatsachen erschüttert werden,<br />

die ernsthafte Zweifel daran begründen, dass die Erklärung vom Signaturschlüssel-Inhaber<br />

abgegeben worden ist.“<br />

Die oben genannte Bestimmung unterstellt also die Beweiswirkung von elektronischen<br />

Dokumenten, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen<br />

sind, dem Urkundenbeweis (76).<br />

29


2.7. Richtlinien/Leitlinien<br />

Leitlinien haben indizielle Bedeutung bei Haftungsfragen. Die Befolgung von<br />

Leitlinien indiziert ein pflichtgemäßes, sorgfältiges Verhalten.<br />

Leitlinien bedürfen allerdings – so ein Urteil des OLG Naumburg – der Konkretisierung<br />

im Einzelfall. Deshalb hat das OLG den Ärztlichen Leitlinien der<br />

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften<br />

(AMF) lediglich Informationscharakter für die Ärzte beigemessen. Eine weitergehende<br />

Bedeutung im Sinne einer verbindlichen Handlungsanleitung wurde<br />

vom OLG Naumburg nicht anerkannt (77).<br />

Das OLG Hamm hat entschieden, dass Richtlinien den Erkenntnisstand der<br />

medizinischen Wissenschaft nur deklaratorisch wiedergeben würden, nicht aber<br />

konstitutiv begründen (78).<br />

Das OLG Stuttgart hat einen Verstoß gegen in Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften<br />

niedergelegte Behandlungsregeln nicht zwingend als groben Behandlungsfehler<br />

angesehen (79).<br />

Es existiert keine Entscheidung des BGH, die die Haftung eines Arztes unmittelbar<br />

auf die Verletzung von Leitlinien stützt (80). Dessen ungeachtet sind 2<br />

höchstrichterliche Entscheidungen bekannt, die sich mit der Leitlinienproblematik<br />

befassen (81). Den Leitlinien und Richtlinien der Bundesärztekammer<br />

oder der Medizinischen Fachgesellschaften kommt zwar keine Bindungswirkung<br />

zu, sie sind aber Wegweiser für den medizinischen Standard. Eine Abweichung<br />

davon bedarf besonderer Rechtfertigung (82).<br />

2.8. Haftungsumfang<br />

a) Allgemeines<br />

Die zivilrechtliche Haftung zielt vertraglich und deliktisch auf Schadensausgleich.<br />

Der Sanktionscharakter spielt im Zivilrecht im Gegensatz zum Strafrecht<br />

eine völlig untergeordnete Rolle. Jeder Arzt – auch der noch so gewissenhafte<br />

Arzt – muss mit dem Risiko leben, einmal zivilrechtlich auf<br />

Schadenersatz in Anspruch genommen zu werden.<br />

Dieses Berufsrisiko muss der Arzt akzeptieren. Die wirtschaftlichen Risiken<br />

werden durch eine Berufshaftpflichtversicherung abgefedert, so dass deren<br />

Bedeutung nicht hoch genug betont werden muss.<br />

Zu ersetzen ist zunächst der dem Patienten entstandene materielle Schaden. Bei<br />

Verletzungen des Körpers und der Gesundheit steht dem Patienten ein so ge-<br />

30


nanntes Schmerzensgeld zu (immaterieller Schadenersatz). Lediglich beim<br />

Schmerzensgeld spielt neben der Schadensausgleichsfunktion die Genugtuungsfunktion<br />

eine Rolle.<br />

Rechtlich werden Fehler bei der Einholung der Einwilligung und der Aufklärung<br />

des Patienten den Behandlungsfehlern gleichgestellt. Hat der Arzt ohne<br />

Aufklärung und Einwilligung einen Eingriff vorgenommen und verwirklicht<br />

sich das aufklärungsbedürftige Risiko, so ist voller Ersatz des entstandenen<br />

Schadens sowie Schmerzensgeld zu zahlen (83).<br />

Die ausgeurteilten Schmerzensgeldbeträge werden auch in der Bundesrepublik<br />

höher. So hat das OLG Hamm 500.000 € Schmerzensgeld für schwerste Schädigungen<br />

eines Kindes bei der Geburt durch fehlerhaftes Geburtsmanagement<br />

ausgesprochen (84).<br />

Es ist möglich, dass der Patient nicht mehr Inhaber des Anspruches ist, soweit<br />

dieser auf den Arbeitgeber, insbesondere jedoch die Sozialversicherung oder<br />

private Versicherung übergegangen ist bzw. abgetreten wurde. Dies wird der<br />

Arzt dem Patienten entgegenhalten. Der Anspruch kann jedoch zurückübertragen<br />

werden oder der Versicherungsträger macht seine Ansprüche unmittelbar<br />

geltend.<br />

Zu beachten ist ferner folgender Aspekt:<br />

Sofern dem Arzt ein Behandlungs- oder Aufklärungsfehler unterläuft, ist der<br />

ärztliche Eingriff als rechtswidrig zu erachten mit der Folge, dass ihm ein<br />

Honoraranspruch gegen den Patienten nicht zusteht. Sofern der Patient das<br />

Honorar bereits gezahlt hat, kann er als Bestandteil seines Schadenersatzanspruchs<br />

Erstattung der Zahlung verlangen (85).<br />

b) Mitverschulden<br />

Der Einwand des Mitverschuldens auf Seiten des Geschädigten spielt im allgemeinen<br />

Zivilrecht eine nicht unerhebliche Rolle. Der Einwand muss vom Arzt<br />

bzw. dessen Anwalt im Prozess getätigt werden. Die gesetzliche Regelung ist<br />

im § 254 BGB zu finden.<br />

Im <strong>Arzthaftung</strong>srecht wird dem Mitverschuldenseinwand mit Zurückhaltung<br />

begegnet. Der Mitverschuldenseinwand ist ausnahmsweise dann berechtigt,<br />

wenn der Patient diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und<br />

verständiger Mensch zur Vermeidung eines eigenen Schadens anzuwenden<br />

pflegt. So genügt der Patient der einzuhaltenden Sorgfalt nicht, wenn er Therapievorgaben<br />

oder Kontrolluntersuchungen missachtet. Allerdings kann dem<br />

Patienten das Versäumnis einer Kontrolluntersuchung nur vorgeworfen werden,<br />

31


wenn ihm die Bedeutung der Untersuchung im Hinblick auf den bestehenden<br />

Krankheitsverdacht bekannt ist (86).<br />

c) Inanspruchnahme privatärztlicher Behandlung durch geschädigten Kassenpatienten<br />

Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 06.07.2004, unter VI ZR 266/03<br />

(87) entschieden, dass die Haftpflicht des Schädigers (hier war eine zahnärztliche<br />

Behandlung bei einem Kassenpatienten Streitgegenstand) auch die Übernahme<br />

der Kosten einer privatärztlichen Behandlung umfassen kann, wenn<br />

nach den Umständen des Einzelfalls feststeht, dass das Leistungssystem der<br />

Gesetzlichen Krankenversicherung nur unzureichende Möglichkeiten zur Schadensbeseitigung<br />

bietet oder die Inanspruchnahme der vertragsärztlichen Leistung<br />

aufgrund besonderer Umstände dem Geschädigten ausnahmsweise nicht<br />

zumutbar ist.<br />

d) Wegfall des Vergütungsanspruchs und Haftungsfall?<br />

Im Gegensatz zu einer anders lautenden Entscheidung des OLG München lässt<br />

das OLG Nürnberg in einem Urteil vom 12.07.2004 (88) den Vergütungsanspruch<br />

des Arztes trotz unzureichender Risikoaufklärung dann unberührt, wenn<br />

die Operation tatsächlich zum Erfolg geführt hat. Der Honoraranspruch entfalle<br />

bei einer Aufklärungspflichtverletzung nur dann, wenn die Dienstleistung<br />

wegen unzureichender Bemühung um den Heilerfolg unbrauchbar sei. Beruhe<br />

der Behandlungsmisserfolg auf einer schuldhaften Fehlleistung des Arztes, so<br />

läge eine vertragliche Pflichtverletzung vor mit der Folge, dass dem Patienten<br />

ein Schadenersatzanspruch zustünde, mit dem er gegen den Honoraranspruch<br />

aufrechnen könne.<br />

3.Einzelfragen<br />

3.1. Horizontale/vertikale Arbeitsteilung<br />

Horizontale Arbeitsteilung<br />

Im allgemeinen darf auf die fachliche Richtigkeit des zuarbeitenden Arztes vertraut<br />

werden. Der Vertrauensgrundsatz wird jedoch für das Strafrecht eingesetzt<br />

und hat dort seine Grenzen, wenn deutliche Hinweise zum Misstrauen gegeben<br />

sind. Im Zivilrecht geht es um die Ausgrenzung von Haftungsbereichen nach<br />

dem medizinischen Einflussbereich und medizinischen Kontrollmöglichkeiten.<br />

32


Dessen ungeachtet kann der Arzt vorbehaltlich konkreter Anhaltspunkte für<br />

Zweifel auf die objektiven im fremden Fach erhobenen einschlägigen Befunde<br />

vertrauen (89).<br />

Einem Urteil des Oberlandesgerichtes Naumburg vom 14.09.2004 wurden folgende<br />

Leitsätze vorangestellt (90):<br />

1. Wirken bei einer ambulanten Operation Chirurg und Anästhesist in horizontaler<br />

Arbeitsteilung zuammen, so hat der Chirurg nicht für Behandlungsfehler des<br />

Anästhesisten (hier: Überdosierung eines Hypnotikums; unzureichende postoperative<br />

Überwachung der Vitalfunktionen) einzustehen. 2. Es besteht grundsätzlich<br />

auch keine gegenseitige Überwachungspflicht der kooperierenden Ärzte.<br />

Der oben genannten Entscheidung liegt im wesentlichen folgender Sachverhalt<br />

zugrunde:<br />

Am 23.04.1998 nahm die erstbeklagte niedergelassene Chirurgin an dem damals<br />

fünfeinhalbjährigen Kläger in der Zeit von 9.40 Uhr bis 10.00 Uhr ambulant<br />

eine Zirkumzision zur Beseitigung einer Phimose unter Allgemeinnarkose<br />

vor. Die Narkose wurde von dem zweitbeklagten Anästhesist durchgeführt, der<br />

eine ambulante Anästhesie betreibt und schon früher von der Chirurgin hinzugezogen<br />

worden war. Dazu verabreichte er dem Kläger insgesamt 220 mg Disorivan<br />

(Wirkstoff: Profanol) sowie drei Gaben von je 1 mg Rapifen (Wirkstoff:<br />

Alfentanil). Zusätzlich legte der Anästhesist einen Penisblock mit dem Lokalanästhetikum<br />

Bupivacain. Anschließend wurde der ansprechbare und reflexaktive<br />

Kläger in den Aufwachraum verbracht, wo es zu einem Atem- und Kreislaufstillstand<br />

unter einer schweren Schädigung des Hirns kam, die der Kläger<br />

auf eine Überdosis von Rapifen und auf Überwachungsversäumnisse in der<br />

Aufwachphase zurückführt. Beide Beklagte wurden auf Schadenersatz in<br />

Anspruch genommen. Während das Landgericht der Klage gegen beide Ärzte<br />

stattgab wurde durch das OLG als Berufungsgericht die Klage gegen die beklagte<br />

Chirurgin abgewiesen, so dass ausschließlich der Anästhesist haftet.<br />

Das OLG Naumburg führte aus, dass der Anästhesist den fachärztlichen Standard<br />

fahrlässig verletzt habe, indem er dem Kläger insgesamt 3 mg Rapifen<br />

injizierte. Unter Bezugnahme auf vorliegende neurologische sowie anästhesiologische<br />

Fachgutachten sei die maximal zu rechtfertigende Dosierung um mehr<br />

als das Doppelte überschritten worden. Darüber hinaus habe der Anästhesist<br />

keine lückenlose intensive Überwachung des Klägers nach der Operation organisiert<br />

und sichergestellt. Das Gericht wies darauf hin, dass die postoperative<br />

Überwachungspflicht des Anästhesisten erst dann endet, wenn die Vitalfunktionen<br />

des Patienten (Schutzreflexe, Atmung und Kreislaufregulation) vollständig<br />

33


wiederhergestellt und solche unmittelbar mit der Narkose zusammenhängenden<br />

Komplikationen nicht mehr zu besorgen seien. Die Chirurgin hafte nicht, da im<br />

Rahmen der horizontalen Arbeitsteilung jeder Arzt grundsätzlich nur den Facharztstandard<br />

desjenigen medizinischen Fachbereiches zu gewährleisten habe, in den<br />

die von ihm übernommene Behandlung fällt. Ausnahmen von diesem Grundsatz<br />

wie zum Beispiel Anfängeroperationen bzw. Fehlleistungen des hinzugezogenen<br />

Arztes, die wegen Evidenz hätten erkannt werden müssen hätten nicht vorgelegen.<br />

Das Thüringer Oberlandesgericht hatte sich mit einem Sachverhalt zu befassen,<br />

wo weniger die Arbeitsteilung, mehr die Vor- und Nachbehandlung eine Rolle<br />

spielten. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde (91):<br />

Der Kläger begehrte Prozesskostenhilfe zur Einlegung der Berufung gegen ein<br />

Urteil des Landgerichtes Gera. Das Landgericht hatte seinen geltend gemachten<br />

Anspruch auf Schmerzensgeld für die Katarakt-Operation an seinem rechten<br />

Auge abgewiesen. Der Kläger trug vor, dem beklagten Arzt sei ein grober<br />

Behandlungsfehler unterlaufen, er habe keine Anamnese durchgeführt und deshalb<br />

nicht erkannt, dass er auch unter einer konzentrischen Gesichtsfeldeinschränkung<br />

leiden würde. Bei Kenntnis dieser Beeinträchtigung wären weitergehende<br />

Untersuchungen geboten gewesen, die zur Feststellung der tatsächlich<br />

vorhandenen tapetoretinalen Degeneration geführt hätten. Bei der Aufklärung<br />

über Chancen und Risiken der Katarakt-Operation hätte dann zusätzlich darauf<br />

hingewiesen werden müssen, dass wegen dieser Vorschädigung die erwünschte<br />

Verbesserung des Sehvermögens ganz oder teilweise ausbleiben könne. Aufgrund<br />

einer solchen Aufklärung hätte er von der Operation Abstand genommen.<br />

Deshalb sei der Eingriff rechtswidrig, so dass der beklagte Arzt haften würde.<br />

Das Gericht wies darauf hin, dass dem beklagten Arzt als Nachbehandler nicht<br />

verpflichtet gewesen sei, die Krankengeschichte des klagenden Patienten erneut<br />

abzuklären. Der Zweitbehandler konnte sich darauf verlassen, dass dies in der<br />

gebotenen Form durch den überweisenden Erstbehandler geschehen war und<br />

dieser die danach gebotenen Befunde erhoben hatte. Der Zweitbehandler war –<br />

so das OLG – nicht berechtigt, über den ihm konkret erteilten Auftrag hinauszugehen,<br />

den er behandlungsfehlerfrei erfüllt hat. Etwas anderes könnte allenfalls<br />

dann gelten, wenn der beklagte Arzt als Zweitbehandler aufgrund konkreter<br />

Anhaltspunkte Zweifel an der Diagnose des Erstbehandlers hätte haben<br />

müssen.<br />

Der Bundesgerichtshof äußerte sich zum Verhältnis Hausarzt – Krankenhaus.<br />

Ein Hausarzt darf sich im Allgemeinen darauf verlassen, dass die Klinikärzte<br />

seinen Patienten richtig behandelt und beraten haben und meist auch auf deren<br />

34


essere Sachkunde und größere Erfahrung vertrauen. Anders verhält es sich jedoch,<br />

wenn der Hausarzt ohne besondere weitere Untersuchungen erkennt oder<br />

erkennen muss, dass ernste Zweifel an der Richtigkeit der Krankenhausbehandlung<br />

und der dort seinem Patienten gegebenen ärztlichen Ratschläge bestehen.<br />

In einem solchen Fall darf der Hausarzt im Rahmen seiner eigenen ärztlichen<br />

Sorgfaltspflichten dem Patienten gegenüber Hinweisen auf offenbares Versehen<br />

oder ins Auge springende Unrichtigkeiten nicht unterdrücken (92).<br />

Vertikale Arbeitsteilung<br />

Diagnose und Therapie sind stets Sache des Arztes. Krankenschwestern und<br />

Arzthelferinnen sind grundsätzlich zur Assistenz bei ärztlichen Leistungen nur<br />

unter ärztlicher Anleitung berufen.<br />

3.2. Belegarztvertrag<br />

Die belegärztliche Tätigkeit bezieht sich darauf, dass ein niedergelassener Arzt<br />

basierend auf dem Vertrag mit einem Krankenhaus das Recht und die Pflicht<br />

hat, seine Patienten im Belegkrankenhaus unter der Inanspruchnahme der vom<br />

Krankenhausträger bereitgestellten Dienste, Einrichtungen und Mittel stationär<br />

oder teilstationär zu behandeln, ohne dafür vom Klinikträger eine Vergütung zu<br />

erhalten (93).<br />

Der Belegarzt berechnet seine Leistungen gem. § 23 Bundespflegesatzverordnung<br />

(BPflV). Er rechnet seine Leistungen unmittelbar mit dem Patienten bzw.<br />

der Kassenärztlichen Vereinigung ab. Für seine Leistungen ist der Belegarzt<br />

dem Patienten gegenüber Vertragspartner, im Übrigen ist das Belegkrankenhaus<br />

Vertragspartner für die Benutzung stationärer und teilstationärer Leistungen.<br />

Das Belegkrankenhaus berechnet den so genannten kleinen Pflegesatz.<br />

Zwischen dem Belegarzt und dem Klinikträger besteht seinerseits auch ein Vertrag,<br />

der atypischen Inhalts ist und Elemente der Leihe, der Dienstverschaffung<br />

und der Gesellschaft enthält (94).<br />

Haftungsrechtlich ist davon auszugehen, dass der Belegarzt grundsätzlich für<br />

die in sein Fachgebiet fallenden Fehlleistungen einzustehen hat. Das gilt auch<br />

für die vom Belegarzt selbst angestellten Hilfspersonen. Für die allgemeinen<br />

Krankenhausleistungen ist der Klinikträger zuständig. Dieser Grundsatz wird<br />

durch verschiedenste Sonderfälle und Ausnahmen untersetzt, so dass auf die<br />

weiterführende Literatur verwiesen werden muss (95).<br />

35


3.3. Die kosmetische Behandlung<br />

Die ärztlichen Pflichten beim kosmetischen Eingriff weisen Besonderheiten<br />

auf. An die Risikoaufklärung sind besonders strenge Anforderungen zu stellen.<br />

Dem Patienten muss das Für und Wider des Eingriffs in allen Konsequenzen<br />

verdeutlicht werden. Zudem ist eine eingehende Aufklärung über die Misserfolgsquote<br />

oder gar bleibender Entstellungen und gesundheitlicher Beeinträchtigungen<br />

solcher Eingriffe erforderlich.<br />

Das OLG Düsseldorf hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1997 bei einer<br />

kosmetischen Operation – es ging um die Entfernung von Fettpolstern – auch<br />

eine Aufklärung darüber gefordert, dass die Operation aus medizinischer Sicht<br />

unnötig ist (96). Ebenso wenig darf der Arzt einer Patientin vor Durchführung<br />

einer Fettabsaugung verschweigen, dass der gewünschte Erfolg nur durch den<br />

zusätzlichen Eingriff einer Haut- und Bauchdeckenstraffung verwirklicht werden<br />

kann und außerdem bei großflächigen Fettabsaugungen unregelmäßige<br />

Konturen zu befürchten sind (97).<br />

3.4. Haftungsfragen bei Patienten mit psychischen Erkrankungen<br />

Schutz vor Selbstgefährdung<br />

Im Bereich der Behandlungsfehlerhaftung spielen die Komplexe eine besondere<br />

Rolle, die sich mit der Fragestellung befassen, ob und inwiefern der Arzt verpflichtet<br />

sein kann, den Patienten vor Selbstgefährdung zu schützen.<br />

Der Arzt muss hier eine durch übermäßige Sicherungsvorkehrungen mögliche<br />

Beeinträchtigung bzw. Gefährdung des Therapieerfolges mit der für den Patienten<br />

entstehenden Gefahr in Relation setzen (98).<br />

Spickhoff schildert folgenden Fall:<br />

„BGH NJW 2000, 3425: Die Patientin wurde wegen einer paranoid-halluzinatorischen<br />

Psychose in einer Nervenklinik behandelt. Bei ihrer Vorstellung hatte<br />

sie geäußert, früher Gedanken an Selbstmord gehabt zu haben. Nun stünden<br />

ihre Kinder im Vordergrund. Später stürzt sie sich in Selbstmordabsicht vom<br />

ungesicherten Balkon eines Aufenthaltsraumes. Anders als das OLG meint der<br />

BGH, dass keine Verkehrssicherungspflicht verletzt sei. Ohne besondere Umstände<br />

– die hier nicht vorlägen – könne nicht verlangt werden, dass in der offenen<br />

Station einer psychiatrischen Klinik alle Türen und Fenster verschlossen<br />

werden.“ (99).<br />

36


Aufklärung und Einwilligung<br />

Der Patient mit einem psychischen Leiden ist grundsätzlich als rechts- und<br />

handlungsfähig anzusehen. Besonderheiten bestehen bei Patienten, die unter<br />

Betreuung stehen. Die frühere Entmündigung wurde 1992 abgeschafft. Der<br />

unter Betreuung stehende Patient hat einen gesetzlichen Vertreter. Er ist jedoch<br />

keineswegs rechtlos. Einerseits ist stets der Umfang der Betreuung zu prüfen,<br />

andererseits bedeutet die Anordnung einer Betreuung nicht automatisch, dass<br />

der Patient nicht mehr zu informieren oder gar einwilligungsunfähig ist. Nur<br />

wenn der Betreute nicht einwilligungsfähig ist, tritt der Betreuer an die Stelle<br />

des Patienten. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt<br />

ausgesprochen wurde. In diesem Falle ist alles von der Einwilligung<br />

des Betreuers abhängig.<br />

Die psychiatrische Therapie bedarf somit grundsätzlich auch der Aufklärung<br />

und Einwilligung des Patienten. Etwas anderes gilt nur für die Zwangsbehandlung.<br />

Im Bereich der Psychotherapie ist bisher kein Urteil bekannt, welches sich mit<br />

Aufklärungs- und Einwilligungsfragen befasst (100). Gründel vertritt die Auffassung,<br />

dass die Grundsätze der ärztlichen Aufklärung zwar nicht spiegelgleich,<br />

aber im wesentlichen für die Psychotherapie heranzuziehen seien (101).<br />

3.5. Urlaubsvertretung; Gemeinschaftspraxis<br />

Urlaubsvertretung<br />

Im Falle der Urlaubsvertretung bleibt es dabei, dass der medizinische Behandlungsvertrag<br />

zwischen dem Praxisinhaber und Patienten abgeschlossen ist. Der<br />

Urlaubsvertreter hat den Status eines Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB. Vertragliche<br />

Haftungsansprüche kann der Patient ausschließlich gegenüber dem<br />

Praxisinhaber geltend machen. Deliktisch haftet der Urlaubsvertreter hingegen<br />

für eigenes Aufklärungs- und Behandlungsverschulden, so dass der Patient<br />

zwei potentielle Haftungsschuldner zur Verfügung hat (102). Es ist also für den<br />

Praxisinhaber durchaus von Belang, wen er während seiner Urlaubszeit als Vertreter<br />

einsetzt.<br />

Zu beachten ist allerdings, dass die oben genannten Ausführungen nur für den<br />

Fall der echten Stellvertretung gelten. Die regelmäßigen Fälle der Weiterverweisung<br />

eines Patienten zur Durchführung der Behandlung an die andere Praxis<br />

sind nicht erfasst (103).<br />

37


Gemeinschaftspraxis<br />

Grundsätzlich haften die Ärzte einer Gemeinschaftspraxis vertraglich gemeinschaftlich.<br />

Dies gilt insbesondere dann, wenn die Partner der Gemeinschaftspraxis<br />

ärztliche Leistungen erbringen, die von einem wie dem anderen Partner<br />

erbracht werden können – so genannte austauschbare Leistungen und der Patient<br />

die Gemeinschaftspraxis als solche zur Behandlung aufsucht. Sofern der<br />

Patient dagegen Wert auf einen bestimmten Arzt der Gemeinschaftspraxis legt,<br />

trifft nur den Arzt seines Vertrauens die vertragliche Haftung (104).<br />

Die gesamtschuldnerische Haftung ist auch dann gegeben, wenn einem der<br />

Partner einer gynäkologischen Gemeinschaftspraxis in einer Belegklinik oder<br />

einem Geburtskrankenhaus bei der Geburtsleitung ein Behandlungsfehler<br />

unterläuft (105).<br />

3.6. Die Berufshaftpflichtversicherung<br />

Der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung mit ausreichendem Versicherungsschutz<br />

ist eine Berufspflicht. Der § 21 Berufsordnung der <strong>Sächsische</strong>n<br />

Landesärztekammer verpflichtet jeden Arzt, sich hinreichend gegen Haftungsansprüche<br />

im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit zu versichern.<br />

Für jeden Arzt ist die Berufshaftpflichtversicherung von grundlegender Bedeutung.<br />

Es ist darauf zu achten, dass im Versicherungsvertrag das ärztliche Tätigkeitsfeld<br />

richtig und umfassend genug beschrieben ist. Darüber hinaus muss die Versicherungssumme<br />

ausreichend sein, um im Schadensfall eine ausreichende Deckungssumme<br />

vorweisen zu können. Die Berufshaftpflichtversicherung übernimmt auch<br />

die Kosten für die anwaltliche Prozessvertretung des Arztes vor dem Zivilgericht.<br />

Der Arzt hat seinerseits verschiedene Obliegenheiten. Die wichtigste Obliegenheit<br />

besteht darin, den Schaden der Versicherung zu melden. Schadensfälle sind<br />

innerhalb einer Woche anzuzeigen gem. § 153 Versicherungsvertragsgesetz<br />

(VVG) i. V. m. § 5 Nr. 2 Allgemeine Haftpflichtbedingungen (AHB). Die Anzeigepflicht<br />

setzt bereits ein, wenn der Arzt weiß, dass Tatsachen eingetreten<br />

sind, durch die ein Schaden entstanden ist und weiß oder damit rechnet, dass er<br />

vom Patienten geltend gemacht werden kann. Es ist zu beachten, dass sich die<br />

Anzeigepflicht auch auf (vermutlich) unbegründete Ansprüche des Patienten<br />

bezieht. Darüber hinaus ist die vorprozessuale Vertretung mit dem Versicherer<br />

abzustimmen. Dem Arzt ist es insbesondere verboten, den Anspruch ohne vorherige<br />

Rücksprache mit der Versicherung anzuerkennen.<br />

38


Eine Anzeigepflicht besteht auch, wenn der Arzt davon erfährt, dass gegen ihn<br />

ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Der Bericht gegenüber der Versicherung<br />

sollte sich auf die tatsächlichen Vorgänge beschränken. Vermutungen<br />

und Wertungen sollte mit Zurückhaltung begegnet werden.<br />

Die hier grob skizzierten Obliegenheiten sollte jeder Arzt unbedingt beachten.<br />

Immerhin kann eine Obliegenheitsverletzung schlimmstenfalls zur Folge haben,<br />

dass der Versicherer unter Berufung auf eine Obliegenheitsverletzung nicht<br />

leistet. Dieses Risiko kann jeder Arzt leicht vermeiden.<br />

Es ist unbedingt zu empfehlen, den Versicherungsvertrag regelmäßig zu überprüfen.<br />

Es ist davon auszugehen, dass die zuerkannten Schadenersatzansprüche<br />

tendenziell zunehmen werden. Ausreichender Versicherungsschutz sichert die<br />

berufliche und die private Existenz des Arztes, so dass der Umfang des Versicherungsschutzes<br />

stets dem tatsächlichen Schadensrisiko entsprechen muss.<br />

Darüber hinaus sollte bei vertraglichen und gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen<br />

(zum Beispiel fachübergreifende Gemeinschaftspraxen, MVZ in der Freiberufler-<br />

und Angestelltenvariante, Kooperations- und Nutzungsverträge mit<br />

Kliniken) niemals die Haftungsfrage unberücksichtigt bleiben. Es ist unbedingt<br />

darauf zu achten, dass keine Versicherungslücken entstehen.<br />

Schließlich dürfte gerade bei fachübergreifenden Freiberuflergesellschaften die<br />

Rechtsformwahl auch unter haftungsrechtlichen Aspekten eine Rolle spielen. So<br />

begrenzt beispielsweise die Vorschrift des § 8 Abs. 2 PartGG (Partnerschaftsgesellschaftsgesetz)<br />

die Haftung der Partner für Verbindlichkeiten der Partnerschaft<br />

neben der Partnerschaft auf den Partner, der mit der Bearbeitung des Auftrags<br />

befasst war. Diese Norm betrifft (nur) berufliche Fehler, das heißt Behandlungsund<br />

Aufklärungsfehler wegen Nicht- oder Schlechterfüllung des Auftrags (106).<br />

Es sollte auch daran gedacht werden, dass das gesamte tatsächlich vom Arzt<br />

erbrachte Leistungsspektrum versichert ist. Will zum Beispiel der niedergelassene<br />

Arzt sein Tätigungsfeld erweitern (ambulante Operationen, Belegarzttätigkeit<br />

oder ähnliches), so ist er gut beraten, den Versicherungsumfang zuvor überprüfen<br />

zu lassen und erforderlichenfalls das Spektrum des versicherten Risikos zu<br />

erweitern. Ähnlich verhält es sich, wenn der Arzt Naturheilverfahren oder alternative<br />

Behandlungsmethoden anwenden will. Ein Blick in den Versicherungsvertrag,<br />

insbesondere die mit vereinbarten Versicherungsbedingungen kann nur<br />

dringend empfohlen werden, denn es ist keinesfalls davon auszugehen, dass<br />

hier ein vollständiger Versicherungsschutz besteht.<br />

Auch kosmetische Operationen unterliegen einem Zuschlag, soweit sie überhaupt<br />

versicherbar sind (107).<br />

39


3.7. Umgang mit dem unzufriedenen Patienten bzw. mit dem Anwalt<br />

des Patienten<br />

Zunächst kann nur jedem Arzt empfohlen werden, gegenüber dem Patienten<br />

sachlich zu bleiben und die Ruhe zu bewahren. Eine aufgeheizte Atmosphäre<br />

provoziert geradezu spätere gerichtliche Auseinandersetzungen, obwohl diese<br />

gegebenenfalls vermeidbar wären.<br />

Sobald der Patient deutlich macht, dass er Ansprüche geltend zu machen beabsichtigt,<br />

sollten etwaige beabsichtigte Gespräche zuvor mit der Haftpflichtversicherung<br />

abgestimmt werden. In jedem Falle ist die Beiziehung eines Zeugen zu<br />

empfehlen. Dieser Zeuge kann zum Beispiel ein ärztlicher Kollege sein, der eine<br />

ganz andere Distanz zu dem Geschehen hat und vielleicht in der Lage ist, den<br />

Sachverhalt aus seiner Sicht zu schildern. Der Patient muss natürlich zuvor<br />

gefragt werden, ob dessen Teilnahme gestattet wird und insofern auch eine Entbindung<br />

von der <strong>Schweigepflicht</strong> erfolgt.<br />

Der außergerichtliche Schriftverkehr mit dem Patienten bzw. dessen Anwalt<br />

wird durch die Berufshaftpflichtversicherung geführt, es sei denn, die Haftpflichtversicherung<br />

bestimmt etwas anderes.<br />

Bei etwaiger Korrespondenz mit dem Anwalt des Patienten gelten die oben genannten<br />

Ausführungen. Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass der Anwalt<br />

eine Vollmacht sowie eine <strong>Schweigepflicht</strong>entbindung vorlegt. Dies gilt auch<br />

für ein etwaiges Verlangen, die Patientendokumentation – freilich nur in kopierter<br />

Form – herauszugeben. Stets ist dringend zu empfehlen, jeden Schritt zuvor mit<br />

der Haftpflichtversicherung abzustimmen.<br />

Außergerichtlich stellt sich regelmäßig die Frage der Einsichtnahme in die Patientendokumentation.<br />

Hierzu darf auf Ziff. 8.5. des Leitfadens zur ärztlichen<br />

<strong>Schweigepflicht</strong> verwiesen werden.<br />

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Einsichtsrecht auch die Einsichtnahme<br />

durch einen beauftragten Rechtsanwalt und die Überlassung von Fotokopien<br />

gegen Unkostenerstattung erfasst (108).<br />

Allerdings ist der behandelnde Arzt im vorprozessualen Stadium außerhalb<br />

der Dokumentation grundsätzlich nicht verpflichtet, Auskunftsbegehren des<br />

Geschädigten zu entsprechen, die einen <strong>Arzthaftung</strong>sprozess vorbereiten sollen.<br />

Das Gericht erkennt einen Auskunftsanspruch über die behandelnden Ärzte<br />

an, ein Auskunftsanspruch bezüglich eventueller Behandlungsfehler besteht<br />

nicht (109).<br />

40


3.8. Das Schlichtungsverfahren bei der <strong>Sächsische</strong>n Landesärztekammer<br />

bzw.das gerichtliche Verfahren einschließlich selbstständiges<br />

Beweisverfahren<br />

Gerichtsverfahren<br />

An die Substantiierungspflichten (Darlegungspflichten) des Sachvortrages werden<br />

durch die Gerichte bei Patienten maßvolle Anforderungen gestellt, da dem<br />

Patienten das nötige Fachwissen zur Erfassung und Darstellung des Konfliktstoffes<br />

fehlt (110).<br />

Medizinische Gutachten kennzeichnen den <strong>Arzthaftung</strong>sprozess. Die Gutachten<br />

der Gutachter- und Schlichtungsstellen werden durch die Gerichte im Wege des<br />

Urkundenbeweises gewürdigt werden. In rechtlicher Hinsicht stellen sie Privatgutachten<br />

dar, haben jedoch einen nicht unerheblichen Beweiswert. Trotzdem<br />

ist es regelmäßig erforderlich, dass die Gerichte einen eigenen Sachverständigen<br />

beauftragen.<br />

<strong>Arzthaftung</strong>sprozesse werden zumindest auf der Ebene der Landgerichte, Oberlandesgerichte<br />

und des Bundesgerichtshofes fast ausschließlich von Fachkammern/Fachsenaten<br />

für <strong>Arzthaftung</strong>sangelegenheiten durchgeführt.<br />

Gutachterstelle für <strong>Arzthaftung</strong>sfragen der <strong>Sächsische</strong>n Landesärztekammer<br />

Es existiert eine Gutachterstelle für <strong>Arzthaftung</strong>sfragen bei der <strong>Sächsische</strong>n<br />

Landesärztekammer. Grundlage des Verfahrens ist die Verfahrensordnung vom<br />

19.06.2002, abgedruckt im „Ärzteblatt Sachsen“ Heft 7/2002. (Amtliche Bekanntmachungen)<br />

oder im Internet unter www.slaek.de.<br />

Die Gutachterstelle ist unabhängig und kann wegen des Vorwurfs fehlerhafter<br />

ärztlicher Behandlung angerufen werden. Die Gutachterstelle kann erst dann<br />

angerufen werden, wenn der Haftpflichtversicherer zu dem geltend gemachten<br />

Anspruch Stellung genommen hat.<br />

Der Gerichtsweg wird durch das Gutachterverfahren nicht ausgeschlossen. Die<br />

Gutachterstelle ist mit einem Vorsitzenden, der ein Arzt sein soll, und einem<br />

Juristen besetzt.<br />

Ein Antrag kann vom Patienten, dem behandelnden Arzt oder der Haftpflichtversicherung<br />

des Arztes eingereicht werden. Die Gutachterstelle gibt unter Zugrundelegung<br />

eines Gutachtens eine mit Gründen versehene Stellungnahme<br />

darüber ab, ob ein Anspruch dem Grunde nach besteht oder nicht. Zur Höhe<br />

eines etwaigen Anspruchs äußert sich die Gutachterstelle nicht.<br />

41


Selbständiges Beweisverfahren<br />

Vor der Anhängigkeit eines Rechtsstreites bzw. außerhalb eines Rechtsstreites<br />

kennt das Verfahrensrecht die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens.<br />

Es handelt sich dabei um ein Gutachterverfahren unter der Federführung des<br />

Gerichtes. In der Regel übernimmt das Gericht die einseitig von der Antragstellerseite<br />

gestellten Fragen in einem Beweisbeschluss, der dann einem vorm<br />

Gericht bestellten Sachverständigen vorgelegt wird. Typisch sind diese Verfahren<br />

in Baurechtsstreitigkeiten, wo die Frage des drohenden Verlustes oder die<br />

drohende Erschwerung der Benutzbarkeit eines Beweismittels oft eine Rolle<br />

spielt. Es war in der Vergangenheit umstritten, ob ein derartiges Verfahren auch<br />

für das <strong>Arzthaftung</strong>srecht zulässig ist. In der Zwischenzeit hat der Bundesgerichtshof<br />

entschieden. Die Frage wurde bejaht (111), wobei der BGH seine<br />

Bedenken in Bezug auf diese Verfahrensart in <strong>Arzthaftung</strong>ssachen artikulierte.<br />

Medizinische Gutachten<br />

Ein Haftungsprozess ohne Beiziehung medizinischer Gutachten ist kaum denkbar.<br />

Nur der Gutachter hat die erforderliche medizinische Sachkunde und ist in<br />

der Lage, über den Standard der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt<br />

der Behandlung Auskunft zu erteilen. Häufig wird das schriftlich erstattete<br />

Gutachten vom Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung erläutert.<br />

Dem Gutachter werden dazu Fragen gestellt.<br />

Es liegt auf der Hand, dass im <strong>Arzthaftung</strong>sprozess speziell zur Frage der Klärung<br />

eines Behandlungsfehlers dem Gutachter eine zentrale Rolle zukommt.<br />

Der Gutachter ist nicht Zeuge, sondern Gehilfe des Richters. Er ist nicht dazu<br />

da, Rechtsfragen zu beantworten.<br />

Sofern neben dem Gerichtsgutachten ein Privatgutachten erstattet wurde, hat sich<br />

das Gericht auch mit dem Privatgutachten auseinander zu setzen. Das Gericht<br />

muss insbesondere darlegen, weshalb es einem bestimmten Gutachten folgt.<br />

4.Zusammenfassung<br />

<strong>Arzthaftung</strong> ist Berufshaftung wie sie auch andere Berufsausübende – insbesondere<br />

freie Berufe wie Architekten, Ingenieure, Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer<br />

und Notare trifft. Der besondere Akzent der <strong>Arzthaftung</strong> besteht<br />

darin, dass das Verletzungsobjekt ein Mensch ist und der Tätigkeit des Arztes<br />

eine Schadensneigung innewohnt (112).<br />

42


1993 stellten in mehr als 30.000 Fällen Patienten Schadenersatzansprüche an<br />

Versicherer. Davon wurden etwa die Hälfte reguliert (113). Die Zahl dürfte sich<br />

in der Zwischenzeit eher erhöht haben. Es ist auch zu beobachten, dass die ausgeurteilten<br />

Schmerzensgeldbeträge tendenziell nach oben gehen. So hielt das<br />

OLG Hamm bei schwerstem Geburtsschaden ein Schmerzensgeld von 500.000 €<br />

für möglich (114).<br />

Patienten werden auch weiterhin berechtigte und sicher auch unberechtigte<br />

Ansprüche gegenüber Ärzten geltend machen. Die Vermeidung von Behandlungs-<br />

und Aufklärungsfehlern sollte stets Ziel jeglicher Behandlung sein.<br />

Sofern behandelnder Arzt einerseits und tatsächlicher Vertragspartner des Patienten<br />

andererseits auseinander fallen, kann sich der behandelnde (angestellte)<br />

Arzt nicht zurücklehnen und auf den Vertragspartner (zum Beispiel Träger des Klinikum)<br />

des Patienten verweisen. Die Einbeziehung zum Beispiel des angestellten<br />

Assistenzarztes beim niedergelassenen Praktiker oder des angestellten Arztes eines<br />

Krankenhauses als weitere Partei in ein Gerichtsverfahren unter Zuhilfenahme<br />

der deliktische Haftungsschiene wird oft schon aus prozesstaktischen Gründen<br />

erfolgen, um den Behandler aufgrund seiner Parteistellung als Zeugen auszuschalten.<br />

Wer Partei eines Verfahrens ist, kann nicht gleichzeitig Zeuge sein.<br />

Zu beachten ist stets, dass die sehr strenge zivilrechtliche Haftung nicht auf Bestrafung<br />

zielt, sondern auf Schadensausgleich ausgerichtet ist. Es soll zu einem<br />

Ausgleich der Interessen zwischen Schädiger und Geschädigten kommen. Ein<br />

individuell-subjektiver Maßstab spielt im Zivilrecht keine Rolle bzw. allenfalls<br />

im Rahmen der Genugtuungsfunktion beim Schmerzensgeld. Der Ansatz des<br />

Verbraucher-/Patientenschutzes wird im Zivilrecht – so auch im <strong>Arzthaftung</strong>srecht<br />

– immer wieder deutlich.<br />

Zu beachten ist auch, dass sich die äußeren Rahmenbedingungen laufend verändern.<br />

Der zunehmende Wettbewerb unter Anwälten, die Existenz von Prozessfinanzierern,<br />

der zunehmende Einfluss rein kommerzieller Elemente in der<br />

Medizin, die Betrachtung ärztlicher Tätigkeit als reine Dienstleistung sind nur<br />

einige Faktoren, die nach unserer Meinung nicht völlig ohne Einfluss auf das<br />

hochsensible Arzt-Patientenverhältnis sein dürften.<br />

Kein Mensch kann 24 Stunden am Tag perfekt arbeiten. Trotzdem gilt im Zivilrecht<br />

der Grundsatz, dass schon die geringste Abweichung vom Standard –<br />

selbst leichte Fahrlässigkeit aufgrund subjektiv entschuldbarer Umstände –<br />

zivilrechtlich zur Haftung führt. Jeder Arzt muss also mit dem Berufsrisiko der<br />

zivilrechtlichen Haftung leben. Für den tatsächlich betroffenen Arzt wird dieses<br />

Wissen sicherlich wenig tröstlich sein, denn jeder Gerichtsprozess – auch ein<br />

43


Zivilprozess – ist für den betroffenen Arzt eine erhebliche psychische Belastung,<br />

mit der er fertig werden muss.<br />

Die vorliegenden Ausführungen können nur einen allgemeinen und groben<br />

Überblick geben. Um einen vollständiger Überblick über das <strong>Arzthaftung</strong>srecht<br />

zu erhalten, muss auf die immer umfangreicher werdende Fachliteratur und die<br />

Rechtsprechung der Obergerichte, insbesondere die mehrbändige Sammlung<br />

zur <strong>Arzthaftung</strong>srechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der Oberlandesgerichte<br />

(AHRS) verwiesen werden.<br />

Literaturverzeichnis<br />

(1) Geiß/Greiner, <strong>Arzthaftung</strong>srecht, 3. Auflage, C.H. Beck, S. 137 Rdnr. 1<br />

(2) Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 5. Auflage, Springer, S. 85, Rdnr. 126<br />

(3) Geiß/Greiner, a. a. O, S. 3 , Rdnr 1<br />

(4) Steffen/Dressler, <strong>Arzthaftung</strong>srecht, 9. Auflage, RWS, S. 1 Rdnr. 1<br />

(5) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 4/5 Rdnr. 5 – 7<br />

(6) Deutsch/Spickhoff, a. a. O. S. 98, Rdnr. 140<br />

(7) z. B. Schimmelpfennig-Schütte, Der Arzt im Spannungsfeld der Inkompatibilität<br />

der Rechtssysteme, MedR 2002, 286 ff., ebenso Kern, MedR<br />

2004, 300 ff.<br />

(8) BGH NJW 1999, 2731<br />

(8a) Martis/Winkhart, <strong>Arzthaftung</strong>srecht aktuell, Fallgruppenkommentar, Otto<br />

Schmidt, S. 39<br />

(9) weiterführend Deutsch/Spickhoff, a. a. O, S. 42, Rdnr. 64<br />

(10) Deutsch/Spickhoff, a. a. O, S. 63, Rdnr. 98<br />

(11) OLG Saarbrücken, NJW 1999, 871<br />

(12) OLG Stuttgart, VersR 2002, 1563<br />

(13) OLG Düsseldorf, VersR 2002, 492<br />

(14) VI ZR 419/00<br />

(15) Geiß/Greiner, a. a. O, S. 35, Rdnr. 2<br />

(16) OLG Brandenburg, VersR 2004, 199<br />

(17) Gehrlein, Neuere Rechtsprechung zur Arzt-Berufshaftung, ARGE MedR<br />

des DAV, 20.05.2004, S. 2<br />

(18) BGH VI ZR 69/80<br />

(19) BGH VI ZR 206/90, VersR 1991, 469<br />

(20) Geiß/Greiner strukturieren die Behandlungsfehler in folgende Fehlertypen<br />

(Geiß/Greiner a. a. O., S. 39 ff.<br />

44


(21) Geiß/Greiner a. a. O., S. 40 Rdnr. 15<br />

(22) LG München, Urteil vom 07.07.2004, GesR 2004, 512 mit Anmerkung<br />

von Jorzig<br />

(23) Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 3. Auflage, S. 27, Rdnr. 19d<br />

(24) Steffen/Dressler, <strong>Arzthaftung</strong>srecht, 8. Auflage, S. 68/69 Rdnr. 157 a<br />

(25) BGH, NJW 2003, 2827<br />

(26) OLGR Zweibrücken 2003, 92<br />

(27) OLG Bamberg, VersR 2004, 198<br />

(28) BGH, NJW 2004, 293 ff.<br />

(29) Urteil des BGH vom 08.03.2003, Az: VI ZR 265/02. (www.bundesgerichtshof.de,<br />

Entscheidungen, dann Az eingeben)<br />

(30) OLG Düsseldorf VersR 2003, 1310<br />

(31) OLGR Zweibrücken, 2003, 92<br />

(32) Bundesgerichtshof unter dem Aktenzeichen IV ZR 328/03 (nachzulesen<br />

im Volltext unter www. bundesgerichtshof.de)<br />

(33) RGSt 25, 375<br />

(34) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 138 Rdnr. 4<br />

(35) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 138, Rdnr. 6<br />

(36) NJW-RR 2002, 817 ff.<br />

(37) Gehrlein, a. a. O., S. 18 ff.<br />

(38) Az: 4 U 980/03<br />

(39) VersR 2002, 440<br />

(40) KG Berlin, NJW-RR 2004, 458 ff.<br />

(41) Gehrlein a. a. O., S. 20<br />

(42) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 170, Rdnr. 97<br />

(43) Urteil des BGH vom 25.03.2003, Az: VI ZR 131/03, zu downloaden<br />

unter www. bundesgerichtshof.de unter dem Stichwort „Entscheidungen“<br />

(44) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S.138, Rdnr. 201<br />

(45) Martis/Winkhart, <strong>Arzthaftung</strong>srecht aktuell, Fallgruppenkommentar,<br />

S. 73<br />

(46) Martis/Winkhart, a. a. O., S. 74<br />

(47) Martis, Winkhart, a. a. O., S. 74<br />

(48) Köhler in, Uexküll, Psychosomatische Medizin, 6. Auflage, S. 59<br />

(49) Uexküll, a. a. O., S. 304<br />

(50) Steffen/Dressler, <strong>Arzthaftung</strong>srecht, 8. Auflage, S. 160, Rdnr. 389<br />

(51) Geiß/Greiner, a. a. O, S. 99, Rdnr. 202<br />

(52) Martis/Winkhart, <strong>Arzthaftung</strong>srecht, Fallgruppenkommentar, S. 167<br />

45


(53) Gehrlein, a. a. O., S. 22<br />

(54) Steffen/Dressler, a. a. O, S. 249, Rdnr. 492<br />

(55) Jaeger/Luckey, Das neue Schadensersatzrecht, ZAP, S. 87, Rdnr. 159<br />

(56) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 100, Rdnr. 143<br />

(57) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 104, Rdnr. 214<br />

(58) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 99, Rdnr. 202<br />

(59) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 109, Rdnr. 231<br />

(60) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 116, Rdnr. 252<br />

(61) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 117, Rdnr. 252<br />

(62) BGH, Urteil vom 28.05.2002, VI ZR 42/01, MedR 2003, 169<br />

(63) VI ZR 34/03, ZMGR 2004, 123 ff.<br />

(64) Urteil vom 16.11.2004, VI ZR 328/03<br />

(65) Gehrlein ZMGR, 2003, 7, 9 f.<br />

(66) OLG Report 9/2003, S. 208 ff<br />

(67) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 181, Rdnr. 134<br />

(68) GesR 2004, 469<br />

(69) Geiß/Greiner a. a. O., S. 182, Rdnr. 137<br />

(70) GesR 2004, 330 ff.<br />

(71) GesR 2004, 22<br />

(72) MDR 1998, 536<br />

(73) Steffen/Dressler, Neue Entwicklungen der BGH-Rechtsprechung, 8. Auflage,<br />

S. 237, 471 und 472<br />

(74) Martis/Winkhart, <strong>Arzthaftung</strong>srecht aktuell, S. 268<br />

(75) Zöller, 24. Auflage, 2004, vor § 415, Rdnr. 2<br />

(76) Viefues, NJW 2005, 1014<br />

(77) MedR 2002, 471<br />

(78) VersR 2002, 857<br />

(79) MedR 2002, 650<br />

(80) so Ziegler, VersR 2003, 545 ff.<br />

(81) BGH, VI ZR, 193/85 sowie BGH VI ZR 48/99<br />

(82) Steffen/Dressler, a. a. O., S. 87 Rdnr. 161 b<br />

(83) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 226, Rdnr. 346<br />

(84) OLG Hamm, VersR 2004, 386<br />

(85) OLG Düsseldorf, VersR 2004, 386<br />

(86) Gehrlein, a. a. O., S. 17<br />

(87) GesR 2004, 412 ff.<br />

(88) GesR 2004, 514<br />

46


(89) Steffen/Dressler, a. a. O., S. 128, Rdnr. 235<br />

(90) MedR 2005, 232 ff.<br />

(91) OLG Jena, Beschluss vom 15.01.2004, OLG Report, 7/2004 S. 140<br />

(92) Gehrlein, ZMGR 2003, 8 sowie BGH, NJW 2002, 2944<br />

(93) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 11, Rdnr 31<br />

(94) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 77, Rdnr. 116<br />

(95) z. B. Steffen/Dressler, a. a. O., S. 12 ff., Rdnr. 24<br />

(96) VersR 1999, 61<br />

(97) OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 1331<br />

(98) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 109, Rdnr. 158<br />

(99) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 109, Rdnr. 158<br />

(100) so Gründel, NJW 2002, 2988<br />

(101) NJW 2002, 2992<br />

(102) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 7, Rdnr. 16<br />

(103) Steffen/Dressler, a. a. O., S. 35, Rdnr. 73 a<br />

(104) Steffen/Dressler, a. a. O., S. 41, Rdnr. 86<br />

(105) OLG Hamm, VersR 2003, 1312<br />

(106) Michalski/Römermann, Vertrag der Partnerschaftsgesellschaft, 3. Auflage,<br />

RWS Verlag, S. 60, Rdnr. 231, 232<br />

(107) Teichner/Schneider, MedR 2005, 128<br />

(108) Martis/Winkhart, <strong>Arzthaftung</strong>srecht aktuell, S. 272<br />

(109) OLG Koblenz, Urteil vom 15.01.2004, GesR 4/2005 und die Anmerkung<br />

von Jorzig<br />

(110) Steffen/Dressler, a. a. O., S. 296, Rdnr. 580<br />

(111) BGH, Beschluss vom 21.01.2003, VI ZB 51/02, MedR 2003, 405<br />

(112) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 83, Rdnr. 123<br />

(113) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 84, Rdnr. 124<br />

(114) VersR 2002, 1163<br />

47


Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong><br />

Dr. med. Michael Kirsch & RA Dr. jur. Jürgen Trilsch<br />

„Was immer ich sehe und höre bei der Behandlung oder außerhalb der Behandlung<br />

im Leben der Menschen, so werde ich von dem, was niemals nach<br />

draußen ausgeplaudert werden soll, schweigen, indem ich alles Derartige als<br />

solches betrachte, das nicht ausgesprochen werden darf.“ Eid des Hippokrates<br />

1.Allgemeines zur ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong><br />

Nach allgemeiner Ansicht liegt der Ursprung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> im<br />

Eid des Hippokrates.<br />

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die <strong>Schweigepflicht</strong> von einer Berufspflicht<br />

in eine Rechtspflicht, und zwar durch die mit Verabschiedung des Strafgesetzbuches<br />

von 1871 geschaffene Einführung der strafrechtlich sanktionierten<br />

Pflicht des Arztes, die <strong>Schweigepflicht</strong> einzuhalten (1).<br />

Heute finden sich Regelungen zur ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> neben der Strafbestimmung<br />

des § 203 StGB insbesondere in den Berufsordnungen der auf<br />

Landesebene existierenden Ärztekammern.<br />

2.Rechtsgrundlagen der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong><br />

Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> beruht auf folgenden rechtlichen Grundlagen:<br />

1. dem Grundrecht des Patienten auf Achtung der Intimsphäre;<br />

2. der Strafvorschrift des § 203 StGB. Danach macht sich strafbar, wer als<br />

Angehöriger der im Gesetz genannten Personen ein fremdes Geheimnis, das<br />

ihm anvertraut worden oder bekannt geworden ist, unbefugt offenbart;<br />

3. der in den ärztlichen Berufsordnungen verankerten <strong>Schweigepflicht</strong>;<br />

4. dem Arztvertrag. Die Beachtung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> stellt eine so<br />

genannte ärztliche Nebenpflicht des mit dem Patienten abgeschlossenen<br />

Arztvertrages dar (2).<br />

Zusammengefasst ergibt sich folgendes: Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> lässt<br />

sich nicht auf das Verfassungsrecht (Grundrechte) und das Strafrecht reduzieren.<br />

Die Einhaltung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> ist auch eine Rechtspflicht<br />

in berufsrechtlicher Hinsicht. Darüber hinaus kann die Verletzung der ärztlichen<br />

<strong>Schweigepflicht</strong> zivilrechtliche Konsequenzen für den Arzt haben, indem<br />

beispielsweise Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden.<br />

48


3.Die Strafvorschrift des § 203 StGB<br />

Die Geheim- und Individualsphäre des Einzelnen wird strafrechtlich geschützt. Darüber<br />

hinaus schützt das Gesetz jedoch auch die Funktionstüchtigkeit des Arztberufes,<br />

denn die <strong>Schweigepflicht</strong> einerseits und das erforderliche Vertrauensverhältnis<br />

zwischen Patient und Arzt andererseits sind engstens miteinander verknüpft.<br />

Strafverfahren gegen Ärzte wegen Verletzung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong><br />

spielen in der Praxis und im Justizalltag nur eine äußerst geringe Rolle, was vor<br />

allem auf drei Gründe zurückzuführen ist:<br />

Es handelt sich bei dem Vorwurf der Verletzung von Privatgeheimnissen im<br />

Sinne des § 203 StGB um ein absolutes Antragsdelikt. Das bedeutet, dass der<br />

Patient einen fristgerechten Strafantrag stellen muss, um die Verfolgung in<br />

Gang zu setzen (§ 205 StGB). Darüber hinaus handelt es sich um einen Vorsatztatbestand.<br />

Die Strafverfolgung setzt also einen bewussten und gewollten Geheimnisbruch<br />

voraus (3). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Bereitschaft<br />

der Ärzteschaft in Sachsen groß ist, gerade in diesem Bereich rechtliche<br />

Fragen mit der <strong>Sächsische</strong>n Landesärztekammer abzuklären, was für ein hohes<br />

Problembewusstsein spricht.<br />

Trotzdem darf die Bedeutung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> nicht unterschätzt<br />

werden. Der Bundesgerichtshof hatte in einer Grundsatzentscheidung zu einer<br />

wesentlichen Stärkung beigetragen (4). Der BGH hat insbesondere das umfassende<br />

Schweigerecht von Ärzten in Strafprozessen gestärkt. Entbindet ein Angeklagter<br />

nämlich einen Arzt nicht von der <strong>Schweigepflicht</strong>, so darf ihm (dem<br />

Angeklagten) eine solche Vorgehensweise im Strafverfahren nicht als belastendes<br />

Indiz angelastet werden.<br />

Die Vorschrift des § 203 hat in in gekürzter Fassung folgenden Wortlaut:<br />

„(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen<br />

Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis<br />

offenbart, das ihm als<br />

1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehöriger eines anderen Heilberufs,<br />

der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung<br />

eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, anvertraut worden oder sonst<br />

bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit<br />

Geldstrafe bestraft. ......<br />

(2) .... Den in Absatz 1 und Satz 1 Genannten stehen ihre berufsmäßig tätigen<br />

Gehilfen und die Personen gleich, die bei ihnen zur Vorbereitung auf den<br />

Beruf tätig sind. ....“<br />

49


Zum Personenkreis<br />

Der strafrechtlichen <strong>Schweigepflicht</strong> unterliegen auch nichtärztliche Psychotherapeuten,<br />

Krankenschwestern, Hebammen, Masseure, Diätassistenten, Physiotherapeuten,<br />

Logopäden, Ergotherapeuten, Rettungsassistenten, nicht jedoch<br />

Heilpraktiker.<br />

Zu den berufsmäßig tätigen Gehilfen des Arztes gehören auch die Arzthelferinnen<br />

und das Krankenpflegepersonal.<br />

Das Geheimnis<br />

Tatobjekt ist ein Geheimnis, das einen anderen Menschen betrifft und das dem<br />

persönlichen Lebens- und Geheimbereich des Betroffenen angehört.<br />

Das Geheimnis ist eine Tatsache, die nur einem Einzelnen oder nur einem beschränkten<br />

Personenkreis bekannt ist und an deren Geheimhaltung der Betroffene<br />

ein schutzwürdiges Interesse hat (5).<br />

Die Tatsache muss geheim sein, also höchstens einem beschränkten Personenkreis<br />

bekannt sein.<br />

Geheimnisse sind nicht nur Tatsachen und Umstände, die sich auf den Gesundheitszustand<br />

des Patienten beziehen. Zu den Geheimnissen gehören auch alle<br />

Gedanken, Meinungen, Empfindungen, Handlungen, die familiären, finanziellen<br />

sowie beruflichen Verhältnisse, an deren Geheimhaltung der Patient erkennbar<br />

ein Interesse hat. Hierzu gehört auch das so genannte Drittgeheimnis. Rieger<br />

nennt folgendes Beispiel: der Patient berichtet dem Arzt, dass sein Nachbar<br />

sich einer Alkoholentziehungskur unterzogen habe (6).<br />

Zum schutzwürdigen Geheimnis gehört bereits der Name des Patienten sowie<br />

die Frage, ob überhaupt jemand den Arzt aufgesucht hat.<br />

Kein Geheimnis hingegen ist das, was offenkundig ist.<br />

Schließlich muss der Betroffene ein Interesse an der Geheimhaltung haben. Es<br />

muss sich also sowohl objektiv als auch subjektiv um ein Geheimnis handeln.<br />

Geschützt sind nur solche Geheimnisse, die dem Arzt in seiner Eigenschaft als<br />

Arzt – nicht dagegen als Privatmann – anvertraut wurden. Es muss also ein<br />

innerer Zusammenhang zur ärztlichen Berufstätigkeit – ein so genannter berufsrechtlicher<br />

Konnex – vorhanden sein. Es kommt dabei allerdings nicht darauf<br />

an, ob ihm das Geheimnis in der Praxis, beim Hausbesuch oder auf der<br />

Straße übermittelt wurde. Entscheidend ist, dass er in seiner Eigenschaft als<br />

Arzt von dem Geheimnis erfuhr. Daran fehlt es, wenn der Arzt das Geheimnis<br />

gänzlich außerhalb seiner Berufsausübung bei privaten gesellschaftlichen Anlässen<br />

erfahren hat (7).<br />

50


Die Abgrenzung dürfte im Einzelfall schwierig sein, so dass sich im Zweifelsfalle<br />

empfiehlt zu schweigen.<br />

Das Offenbaren<br />

Unter „Offenbaren“ ist die Weitergabe des Geheimnisses und die Benennung<br />

seines Trägers an einen Dritten zu verstehen, dem die Tatsache noch nicht bzw.<br />

noch nicht sicher bekannt ist.<br />

Das Anvertrauen bzw. sonst bekannt geben<br />

Anvertrauen bedeutet die Mitteilung eines Geheimnisses unter dem (ausdrücklichen)<br />

Siegel der Verschwiegenheit oder unter Umständen, aus denen sich<br />

diese Pflicht ergibt (8).<br />

Es ist dabei unerheblich, ob die dem Arzt gegebene Information in einem unmittelbaren<br />

Zusammenhang mit der erbetenen ärztlichen Behandlung steht. Die<br />

<strong>Schweigepflicht</strong> besteht auch, sofern sich der Patient in einem allgemeinen<br />

Gespräch über sonstige Sorgen und Nöte äußert (9).<br />

Auch auf sonstige Weise, zum Beispiel durch Dritte, kann dem Arzt ein<br />

Geheimnis bekannt werden. Gleichgültig ist auch, ob der Arzt für den Patienten<br />

tätig wurde oder nicht. Sogar die Ablehnung einer Behandlung oder die Bitte<br />

um ein falsches Gesundheitszeugnis fallen unter die <strong>Schweigepflicht</strong> (10).<br />

Unbefugt sein<br />

Die Offenbarung des Geheimnisses muss unbefugt sein. Ist der Arzt beispielsweise<br />

von der <strong>Schweigepflicht</strong> durch Einwilligung des Patienten entbunden,<br />

dann stellt dies einen der so genannten Rechtfertigungsgründe dar, so dass das<br />

Offenbaren straflos ist.<br />

Die einzelnen Rechtfertigungsgründe:<br />

a) Einwilligung des Patienten<br />

Die Offenbarung des Geheimnisses ist befugt, wenn der Patient wirksam eingewilligt<br />

hat. Grundsätzlich ist die Einwilligung formlos möglich. Zur Schriftform<br />

der Einwilligung gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 des BDSG (Bundesdatenschutzgesetz)<br />

wird auf Ziff. 6 verwiesen.<br />

Für die strafrechtliche Einwilligung kommt es ausschließlich darauf an, ob der<br />

Patient eingewilligt hat oder nicht.<br />

51


) Konkludente Einwilligung<br />

Die Einwilligung kann auch konkludent (stillschweigend) erteilt werden. Sofern<br />

für den Patienten beispielsweise in Fällen der Mit-, Weiter- und Nachbehandlung<br />

eine Koordination der einzelnen ärztlichen Maßnahmen zwischen den beteiligten<br />

Ärzten erkennbar unumgänglich ist, kann das stillschweigende Einverständnis<br />

des Patienten vorausgesetzt werden mit der Folge, dass die grundsätzlich<br />

auch zwischen den Ärzten bestehende <strong>Schweigepflicht</strong> aufgehoben ist (11).<br />

Konkludentes Einverständnis wird auch angenommen, wenn der Klinikarzt<br />

nach einer Einweisung dem Hausarzt berichtet (12).<br />

c) Mutmaßliche Einwilligung<br />

Kann sich der Patient beispielsweise infolge Todes, Bewusstlosigkeit oder Geistesschwäche<br />

nicht mehr äußern, so stellt sich die Frage der mutmaßlichen Einwilligung.<br />

Es geht hier um Fallgestaltungen, wo die ausdrückliche Einwilligung<br />

nicht (mehr) eingeholt werden kann und auch keine stillschweigende (konkludente)<br />

Einwilligung vorliegt.<br />

Sofern es möglich ist, die Einwilligung des Patienten einzuholen, muss dies<br />

geschehen! Der Arzt kann sich also nicht auf die mutmaßliche Einwilligung des<br />

Patienten berufen, wenn er nicht zuvor – das heißt vor dem Offenbaren des Geheimnisses<br />

– versucht hat, die Einwilligung des Patienten einzuholen.<br />

Bei der Annahme der mutmaßlichen Einwilligung werden zwei Fälle unterschieden.<br />

Der erste Fall ist die Situation, dass der Patient nicht vorher befragt<br />

werden kann. Beispiel: Die Polizei wendet sich an den Arzt und teilt mit, dass<br />

der Patient entführt worden sei und benötigt Informationen, die zur Befreiung<br />

des Patienten aus seiner misslichen Lage dienen. Hier kann der Arzt den Patienten<br />

nicht befragen. Der Patient würde jedoch mutmaßlich damit einverstanden<br />

sein, dass alles getan wird, um ihm zu helfen und zu befreien. Die zweite Fallgestaltung<br />

besteht darin, dass der Patient zweifelsfrei und erkennbar überhaupt<br />

kein Interesse an der Wahrung des Geheimnisses haben wird, da er zum Beispiel<br />

als Straftäter in Frage kommt. In diesem Fall wird der Patient mutmaßlich nicht<br />

damit einverstanden sein, dass der Arzt seine <strong>Schweigepflicht</strong> bricht. Der Arzt<br />

wird im Zweifelsfalle schweigen (13).<br />

d) Rechtfertigender Notstand gem.§ 34 StGB<br />

Ein Offenbarungsrecht besteht für den Arzt auch dann, wenn diese zum Schutz<br />

eines höherrangigen Rechtsgutes erforderlich ist. Darüber hinaus muss die<br />

Offenbarung ein angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr darstellen.<br />

52


Der § 34 StGB hat (gekürzt) folgenden Wortlaut:<br />

„Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben,<br />

Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um<br />

die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahe stehenden<br />

Person abzuwenden, handelt ohne Schuld...“<br />

Voraussetzung für die Anwendung der Bestimmung des § 34 StGB ist, dass das<br />

geschützte Rechtsgut (zum Beispiel Gesundheit oder Leben) das beeinträchtigende<br />

Rechtsgut (die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong>) wesentlich überwiegt und der Eingriff<br />

zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr zwingend notwendig ist. Das kann zum<br />

Beispiel die Anzeige einer Person zur Verhinderung einer bevorstehenden Straftat<br />

nach erfolgreichem Versuch sein, den Täter von der Tat abzuhalten (14).<br />

Dabei ist stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, so dass vom<br />

Arzt eine Güterabwägung vorgenommen werden muss.<br />

Ein viel beachteter Beschluss des OLG Frankfurt a. M. vom 08.08.1999 musste<br />

sich unter anderem mit der Vorschrift des § 34 StGB befassen (14a).<br />

Zwei Lebenspartner waren Patienten des gleichen Arztes. Der Lebensgefährte war<br />

an Aids erkrankt. Er untersagte dem Arzt jede Auskunftserteilung über die Aids-<br />

Infektion. Daraufhin schwieg der Arzt gegenüber der Lebensgefährtin. Die Lebensgefährtin<br />

wurde später HIV-positiv und verklagte den Arzt. Das OLG wies<br />

darauf hin, dass die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> in erheblichen Maße eingeschränkt<br />

war, da die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstandes gem. § 34 StGB<br />

vorgelegen hätten. Der beklagte Arzt sei gehalten gewesen, die Lebensgefährtin<br />

auch gegen den Willen des Lebensgefährten aufzuklären. Dem Schutzbedürfnis<br />

der ärztlichen Verschwiegenheit stehe gegenüber, dass insbesondere der Sexualpartner<br />

des erkrankten Patienten vor der ihm drohenden tödlichen Gefahr einer<br />

Aids-Erkrankung bewahrt werden müsse. Das OLG bejahte im konkreten Fall<br />

sogar eine Rechtspflicht des Arztes zur Offenbarung der drohenden Gefahr.<br />

Das Strafverfolgungsinteresse bezüglich bereits begangener – also zurückliegender<br />

Delikte rechtfertigt die Verletzung der <strong>Schweigepflicht</strong> grundsätzlich nicht (15).<br />

Stets muss der Arzt selbst die Interessenabwägung vornehmen, was im Einzelfall<br />

für den Arzt äußerst schwierig sein kann.<br />

e) Wahrung eigener Interessen<br />

Die Wahrung eigener Interessen kann es rechtfertigen, dass der Arzt notwendige<br />

Angaben zur Krankheit sowie zur Behandlung des Patienten macht.<br />

Es sei zum Beispiel an die gerichtliche Geltendmachung einer ärztlichen<br />

Honorarforderung gedacht.<br />

53


Darüber hinaus muss der Arzt die Möglichkeit haben, sich gegen die Ehre kränkende<br />

und beleidigende Behauptungen schützen zu können, wobei hier Zurückhaltung<br />

geboten ist.<br />

Schließlich muss er sich auch gegen strafrechtlich relevante Vorwürfe, zum<br />

Beispiel fahrlässige Tötung oder fahrlässige Körperverletzung zur Wehr setzen<br />

können. Gleiches gilt für die in der Praxis viel häufiger vorkommenden Zivilverfahren,<br />

in denen sich der Arzt dem Vorwurf eines Aufklärungs- bzw. Behandlungsfehlers<br />

ausgesetzt sieht und der Patient Schadenersatzansprüche beim<br />

Zivilgericht geltend macht.<br />

f) Besondere Rechtfertigungsgründe<br />

Die Offenbarung des Patientengeheimnisses ist zulässig, wenn sie zur Erfüllung<br />

einer gesetzlichen Offenbarungspflicht erfolgt. Rieger nennt im Lexikon des<br />

Arztrechts (S. 31, Rdnr. 70) folgende Beispiele:<br />

1. §§ 6 bis 15 IfSG (Infektionsschutzgesetz, früher Bundesseuchengesetz):<br />

Verpflichtung des Arztes, Erkrankungen oder Infektionen aufgrund von meldepflichtigen<br />

Krankheitserregern dem Gesundheitsamt mitzuteilen;<br />

2. § 18 Abs. 1 SchKG (Schwangerschaftskonfliktgesetz):<br />

Diese Bestimmung verlangt eine Auskunftspflicht der Inhaber von Arztpraxen<br />

und der Leiter von Krankenhäusern über die Zahl der durchgeführten<br />

Schwangerschaftsabbrüche;<br />

3. §§ 138, 139 Abs. 3 StGB (Strafgesetzbuch):<br />

Geplante nicht bereits begangene schwere Verbrechen – und zwar nur die im<br />

oben genannten Gesetz genannten – sind, das heißt müssen angezeigt werden.<br />

Die oben genannten Bestimmungen betreffen im wesentlichen folgende Delikte,<br />

wobei im Einzelfall der genaue Gesetzeswortlaut überprüft werden muss,<br />

bevor der Arzt das Geheimnis offenbart:<br />

– Vorbereitung eines Angriffskrieges,<br />

– Hochverrat,<br />

– Landesverrat,<br />

– Geld- oder Wertpapierfälschung,<br />

– schweren Menschenhandel,<br />

– Mord, Totschlag oder Völkermordstraftaten gegen die persönliche Freiheit,<br />

– Raub oder Räuberische Erpressung,<br />

– bestimmte gemeinschaftliche Straftaten zum Beispiel gemeinschaftliche Brandstiftung.<br />

54


Der § 139 Abs. 3 StGB befasst sich mit der Straflosigkeit der Nichtanzeige in<br />

bestimmten Fällen. Wer nämlich eine Anzeige unterlässt, obwohl er Anzeige<br />

erstatten müsste, der ist dann straffrei, wenn er sich ernsthaft bemüht hat, den<br />

Täter von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden, es sei denn es handelt<br />

sich um schwerste Verbrechen, wo sich der Arzt auch dann nicht auf Straffreiheit<br />

berufen kann, obwohl der die oben genannten Bemühungen unternommen hat.<br />

Strafanzeige ist stets bei folgenden geplanten Straftaten zu erstatten:<br />

– Mord oder Totschlag (§§ 211 oder 212),<br />

– Völkermord in den Fällen des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 oder<br />

– Erpresserischer Menschenraub (§ 239 a Abs. 1), Geiselnahme (§ 239 b Abs. 1)<br />

oder Angriff auf den Luft- und Seeverkehr (§ 316 c Abs. 1) durch eine terroristische<br />

Vereinigung (§ 129 a).<br />

4.<strong>Schweigepflicht</strong> und die ärztliche Berufsordnung<br />

Jede Ärztekammer hat als Körperschaft des öffentlichen Rechts bestimmte<br />

Rechte und Pflichten. Dazu gehört auch die Pflicht, Satzungen zu erlassen. Die<br />

für die Ärzte wichtigste Satzung ist die Berufsordnung. Die Berufsordnungen<br />

der einzelnen Ärztekammern ähneln sich, sind jedoch nicht identisch. Die<br />

Kammerversammlung der jeweiligen Länderkammer entscheidet darüber, ob<br />

sie den empfohlenen Wortlaut der (Muster-)Berufsordnung der Bundesärztekammer<br />

übernimmt oder kammerspezifisch eigene Regelungen schafft.<br />

Die Bestimmung des § 9 der Berufsordnung der <strong>Sächsische</strong>n Landesärztekammer<br />

hat folgenden Wortlaut:<br />

„(1) Der Arzt hat über das, was ihm in seiner Eigenschaft als Arzt anvertraut<br />

oder bekannt geworden ist – auch über den Tod des Patienten hinaus – zu<br />

schweigen. Dazu gehören auch schriftliche Mitteilungen des Patienten,<br />

Aufzeichnungen über Patienten, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersuchungsbefunde.<br />

(2) Der Arzt ist zur Offenbarung befugt, soweit er von der <strong>Schweigepflicht</strong> entbunden<br />

worden ist oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen<br />

Rechtsgutes erforderlich ist. Gesetzliche Aussage- und Anzeigepflichten<br />

bleiben unberührt. Soweit gesetzliche Vorschriften die <strong>Schweigepflicht</strong> des<br />

Arztes einschränken, soll der Arzt den Patienten darüber unterrichten.<br />

(3) Der Arzt hat seine Mitarbeiter und die Personen, die zur Vorbereitung auf<br />

den Beruf an der ärztlichen Tätigkeit teilnehmen, über die gesetzliche<br />

Pflicht zur Verschwiegenheit zu belehren und dies schriftlich festzuhalten.<br />

55


(4) Wenn mehrere Ärzte gleichzeitig oder nacheinander denselben Patienten<br />

untersuchen oder behandeln, so sind sie untereinander von der <strong>Schweigepflicht</strong><br />

insoweit befreit, als das Einverständnis des Patienten vorliegt oder<br />

anzunehmen ist.“<br />

Der vollständige Wortlaut der Berufsordnung ist jederzeit abrufbar unter<br />

www.slaek.de. Darüber hinaus sind auf der Homepage der Bundesärztekammer<br />

die Empfehlungen der Bundesärztekammer zur ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong>, Datenschutz<br />

und Datenverarbeitung in der Arztpraxis verfügbar (Internetadresse:<br />

www.bundesaerztekammer.de).<br />

Die in der Berufsordnung enthaltende Vorschrift zur <strong>Schweigepflicht</strong> stellt eine<br />

der zentralen Vorschriften des ärztlichen Standesrechts dar (16).<br />

Der Wortlaut des § 203 Abs. 1 StGB stimmt nicht vollinhaltlich mit dem Wortlaut<br />

des § 9 Berufsordnung überein. Der § 203 Abs. 1 StGB stellt nur das unbefugte<br />

Offenbaren eines Geheimnisses unter Strafe, während nach § 9 der Berufsordnung<br />

alles, was dem Arzt anvertraut worden oder auf sonstige Weise bekannt<br />

wurde, sanktioniert wird. Der Wortlaut geht also weiter, jedoch soll der strafrechtliche<br />

Geheimnisbegriff als Leitlinie herangezogen werden (17).<br />

Die oben genannte Strafrechtsnorm des § 203 StGB und die Norm des § 9<br />

Berufsordnung stehen nebeneinander.<br />

Die Verletzung der <strong>Schweigepflicht</strong> im Sinne des § 9 Berufsordnung stellt eine<br />

berufsunwürdige Handlung dar. Sie kann zu einer Ahndung durch das Berufsgericht<br />

für Heilberufe führen.<br />

Ein Strafurteil hindert weder im Falle des Freispruchs noch im Falle der<br />

Verurteilung die Möglichkeit der berufsgerichtlichen Ahndung derselben<br />

Tat. Aufgrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist jedoch eine zusätzliche<br />

Sanktion durch ein Berufsgericht nur dann erlaubt, wenn ein so<br />

genannter berufsrechtlicher Überhang vorliegt, wenn also die Strafe basierend<br />

auf dem Strafgesetzbuch nicht ausreicht, um den beschuldigten Arzt zur Erfüllung<br />

seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen des Berufsstandes zu<br />

wahren.<br />

5.<strong>Schweigepflicht</strong> und Zivilrecht<br />

Die Verletzung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> kann neben straf- bzw. berufsrechtlichen<br />

Konsequenzen zivilrechtliche Folgen haben.<br />

Verletzt zum Beispiel der niedergelassene Arzt die <strong>Schweigepflicht</strong> gegenüber<br />

dem Patienten, so stellt sich die Frage, ob der Arztvertrag verletzt wurde. Ein<br />

56


Arztvertrag kommt nach heute überwiegender Meinung sowohl mit dem Privatpatienten<br />

zustande als auch mit dem Kassenpatienten. Die schuldhafte Verletzung<br />

einer Pflicht des Arztvertrages kann unter dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung<br />

Schadenersatzansprüche begründen (18). Es wurde bereits ausgeführt,<br />

dass die Einhaltung der <strong>Schweigepflicht</strong> eine so genannte vertragliche<br />

Nebenpflicht des Arztvertrages ist.<br />

Ähnlich wie bei der <strong>Arzthaftung</strong> existiert neben der vertraglichen Haftungsschiene<br />

auch die Schiene der deliktischen Haftung. Klassische Fälle deliktischer<br />

Haftung sind Verkehrsunfälle. Der Verkehrsunfallverursacher und das<br />

Verkehrsunfallopfer schließen keinen Vertrag ab, bevor es zum Unfall kommt.<br />

Trotzdem haftet der Unfallverursacher gegenüber dem Opfer des Unfalles.<br />

Rechtsgrundlage sind die deliktischen Bestimmungen der §§ 823 Abs. 1 BGB<br />

wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie 823 Abs. 2 BGB<br />

i. V. m. § 203 Abs. 1 StGB wegen Verletzung eines so genannten Schutzgesetzes.<br />

Stets muss es sich um eine schuldhafte Verletzung der <strong>Schweigepflicht</strong><br />

handeln, wobei im Gegensatz zum Strafrecht Fahrlässigkeit genügt, um die<br />

Haftung begründen zu können.<br />

Die zivilrechtliche Problematik wird auch von Bender angesprochen (18a).<br />

Dort wird darauf hingewiesen, dass aufgrund der Konstellation des Vertrages<br />

mit Schutzwirkung für Dritte der Arzt verpflichtet sein kann, auch Dritten<br />

gegenüber – insbesondere gegenüber Familienangehörigen des Patienten – die<br />

<strong>Schweigepflicht</strong> einzuhalten. Namentlich erwähnt wird der Bereich der Psychotherapie,<br />

wo der Arzt/Therapeut einen tiefen Einblick in das Familienleben dritter<br />

Personen erhält.<br />

In bestimmten gesondert gelagerten Fällen sind auch zivilrechtliche Unterlassungsklagen<br />

denkbar.<br />

6.<strong>Schweigepflicht</strong> und Datenschutz<br />

In der Bundesrepublik existiert das Bundesdatenschutzgesetz. Darüber hinaus<br />

gelten in den Ländern Landesdatenschutzgesetze, die Behörden und öffentliche<br />

Stellen der Länder und Gemeinden erfassen.<br />

Das BDSG (Bundesdatenschutzgesetz) ist einschlägig für alle privaten und freien<br />

gemeinnützigen Krankenhäuser und Kliniken, für den betriebsärztlichen<br />

Dienst in privaten Unternehmen, für überbetriebliche arbeitsmedizinische<br />

Dienste in privater Trägerschaft und für alle Arztpraxen (19).<br />

Die folgenden Ausführungen befassen sich ausschließlich mit dem BDSG.<br />

57


Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> und die datenschutzrechtlichen Vorschriften gelten<br />

nebeneinander. Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> verdrängt das Datenschutzrecht<br />

nicht, so dass von einer Parallelgeltung gesprochen wird. Der Datenschutz<br />

und der Schutz der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> werden jedoch im vertragsärztlichen<br />

Bereich durch das Sozialgeheimnis modifiziert (19a). Die Regelungen<br />

dazu befinden sich insbesondere in Bestimmungen des SGB I und des SGB X.<br />

Das BDSG findet auch auf medizinische Daten Anwendung. Sowohl manuell<br />

geführte als auch computermäßig erfasste Patientendaten fallen unter das<br />

Gesetz (20).<br />

Das BDSG schützt personenbezogene Daten. Die Verarbeitung personenbezogener<br />

Daten und deren Nutzung ist zulässig, wenn sie durch Gesetz erlaubt oder<br />

durch Einwilligung des Patienten gedeckt ist.<br />

Die Datenerhebung und Datenspeicherung basieren auf dem Grundsatz der Erforderlichkeit.<br />

Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Freiwilligkeit gewährt<br />

wird. Niemand kann dazu gezwungen werden, dass Daten erhoben und gespeichert<br />

werden. Bei diesem juristischen Ansatz ist jedoch zu beachten, dass die<br />

Funktionstüchtigkeit des Praxisbetriebes gewährleistet sein muss, ganz abgesehen<br />

davon, dass die Erhebung und Speicherung von Daten auch dem Patienten<br />

zugute kommt, da der Arzt nur Daten erheben wird und erheben darf, die zur<br />

Erfüllung des Arztvertrages erforderlich sind. Die Empfehlungen der Bundesärztekammer<br />

zur ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong>, Datenschutz und Datenverarbeitung<br />

in der Arztpraxis (www. bundesaerztekammer.de, Rubrik Empfehlungen<br />

der BÄK) weisen darauf hin, dass im Rahmen der Zweckbestimmung des Patientenvertrages<br />

das Speichern von Patientendaten auch mittels EDV zulässig<br />

sei und es einer gesonderten Einwilligung und Benachrichtigung des Patienten<br />

nicht bedürfe.<br />

Anders sieht die Situation bei der Übermittlung von Patientendaten an Dritte<br />

aus. Schlund weist darauf hin, dass die Übermittlung von Daten, die dem Gebot<br />

des § 203 Abs. 1 StGB unterliegen würden, in der Regel nur basierend auf der<br />

schriftlichen Einwilligung des Patienten zulässig sei (21).<br />

Ähnlich ist die Empfehlung der Bundesärztekammer zu dieser Problematik, die<br />

folgenden Wortlaut innehat:<br />

„Die Übermittlung von Patientendaten bedarf unabhängig von der Form, in der<br />

sie erfolgt, grundsätzlich der gesetzlichen Ermächtigung oder, soweit diese<br />

nicht vorhanden ist, einer schriftlichen Einwilligungserklärung des Patienten.“<br />

In den Empfehlungen der Bundesärztekammer wird unter 4.1. weiter darauf<br />

hingewiesen, dass die Übermittlung von Patientendaten nur zulässig sei, wenn sie<br />

58


entweder durch eine gesetzliche Vorschrift, durch die Einwilligung des Patienten<br />

oder durch einen besonderen Rechtfertigungsgrund legitimiert sei. Ansonsten<br />

laufe der Arzt Gefahr, die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> zu verletzen und gegen<br />

datenschutzrechtliche Vorschriften zu verstoßen. In Fällen der Mit- und Nachbehandlung<br />

(zum Beispiel Überweisung) seien die Ärzte insoweit von der <strong>Schweigepflicht</strong><br />

befreit, als dass das Einverständnis des Patienten anzunehmen sei.<br />

Hier ist natürlich zu beachten, dass insbesondere bei der Behandlung von Kassenpatienten<br />

verschiedene datenschutzrechtliche Vorschriften des SGB dem<br />

Datenschutzrecht vorgehen. So haben beispielsweise Ärzte gem. § 295 SGB V<br />

gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen die Pflicht, die dort genannten<br />

Abrechnungsdaten aufzuzeichnen und zu übermitteln.<br />

Abschließend darf darauf hingewiesen werden, dass die wichtigsten gesetzlichen<br />

Übermittlungsbefugnisse an Dritte in den oben genannten Empfehlungen der<br />

Bundesärztekammer unter Ziff. 4.1. genannt sind (www. bundesaerztekammer.de<br />

oder Deutsches Ärzteblatt 93, vom 25. Oktober 1996, Ä-2809 ff.).<br />

7.<strong>Schweigepflicht</strong> und Zeugnisverweigerungsrecht<br />

Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> und das Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes<br />

sind zwar miteinander verknüpft, aber nicht identisch. Die maßgebliche Bestimmung<br />

für den Strafprozess ist § 53 StPO (Strafprozessordnung), für den<br />

Zivilprozess ist § 383 ZPO (Zivilprozessordnung) heranzuziehen.<br />

Die Reichweite der Bestimmungen ist bereits unterschiedlich. So haben Geistliche<br />

und Journalisten ein Zeugnisverweigerungsrecht, unterliegen jedoch nicht<br />

der <strong>Schweigepflicht</strong> im Sinne des § 203 StGB. Sozialarbeiter und Eheberater<br />

hingegen unterliegen der <strong>Schweigepflicht</strong> gem. § 203 StGB, jedoch steht ihnen<br />

kein Zeugnisverweigerungsrecht zur Seite.<br />

Der Arzt hat ein prozessuales Zeugnisverweigerungsrecht, auf das er sich berufen<br />

darf, aber nicht berufen muss. Im Zweifel wird sich der Arzt auf sein Zeugnisverweigerungsrecht<br />

berufen müssen, will er nicht Gefahr laufen, ein Geheimnis<br />

unbefugt zu offenbaren.<br />

Wenn der Patient den Arzt von der <strong>Schweigepflicht</strong> entbindet, dann ist der Arzt<br />

gem. § 53 Abs. 2 StPO verpflichtet, auszusagen. Der Arzt handelt dann auch<br />

nicht unbefugt.<br />

59


8.Einzelfragen<br />

8.1. <strong>Schweigepflicht</strong> des ärztlichen Gutachters<br />

Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> gilt grundsätzlich auch für den Gutachter.<br />

Hier soll die Tätigkeit des Gerichtssachverständigen und die Tätigkeit des privat<br />

beauftragten Sachverständigen getrennt erörtert werden.<br />

a) Gerichtssachverständiger<br />

Der Arzt wird als Gerichtssachverständiger nicht als Helfer des Kranken tätig,<br />

sondern als Helfer des Gerichtes. Der Arzt, der in dieser Funktion an die zu<br />

begutachtende Person herantritt, muss dies zu erkennen geben. Er darf die in<br />

dieser Funktion erhobenen Befunde im Gutachten nicht verschweigen, was<br />

einer der Gründe dafür ist, dass behandelnder Arzt und Gutachter nicht zusammenfallen<br />

sollten. Darüber hinaus werden dem Gutachter aufgrund des die ärztliche<br />

Behandlung kennzeichnenden Vertrauensverhältnisses objektive Aussagen<br />

erschwert (22).<br />

Baer weist bei der Erstellung psychiatrisch-psychologischer Gutachten darauf<br />

hin, dass der Proband bereits am Anfang der Exploration ausdrücklich darüber<br />

zu informieren sei, dass der Gutachter nicht der gewohnte Hausarzt ist, sondern<br />

alle Angaben, soweit sie für die Begutachtung von Bedeutung sind, mitgeschrieben<br />

werden und diese Angaben in dem schriftlich zu erstellende Gutachten wieder<br />

auftauchen (23).<br />

Gegenüber dem Gericht, das den Gutachter beauftragt hat, ist die <strong>Schweigepflicht</strong><br />

durchbrochen, sofern es sich um Erkenntnisse handelt, die der Sachverständige<br />

im Rahmen seines Gutachtenauftrages erlangt (24). Im Übrigen gilt sie<br />

auch für den Gerichtsgutachter gegenüber jedermann, es sei denn, es handelt<br />

sich um offenkundige bzw. in öffentlicher Verhandlung erörterte Tatsachen.<br />

Darüber hinaus gilt die Durchbrechung der <strong>Schweigepflicht</strong> gegenüber dem<br />

Gericht nur für das Verfahren, welches Gegenstand des gerichtlichen Auftrages<br />

war, nicht jedoch für spätere andere Verfahren (25).<br />

b) Privatgutachter<br />

Die <strong>Schweigepflicht</strong> des privat beauftragten Sachverständigen ergibt sich aus<br />

dem mit dem Auftraggeber abgeschlossenem Vertrag. Sie stellt eine so genannte<br />

vertragliche Nebenpflicht dar. Gegenüber seinem Auftraggeber hat der Sachverständige<br />

naturgemäß nicht zu schweigen. Der Auftraggeber will zum Beispiel<br />

60


vom Arzt ein Gutachten, das ein gegebenenfalls fehlerhaftes oder unvollständiges<br />

Gerichtsgutachten erschüttern soll. Dieses Gutachten wird der Sachverständige<br />

seinem Auftraggeber zukommen lassen, seine Rechnung beifügen und im Übrigen<br />

gegenüber jedermann schweigen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Auftraggeber<br />

den Gutachter anweist, das in seinem Auftrag erstellte Gutachten einem<br />

Dritten, beispielsweise einer Versicherungsgesellschaft zukommen zu lassen.<br />

8.2.<strong>Schweigepflicht</strong> bei der Behandlung von Kindern u.Jugendlichen<br />

Auch Minderjährige haben ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse. Sofern<br />

der Minderjährige das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist grundsätzlich<br />

davon auszugehen, dass der Arzt die Eltern in vollem Umfang zu unterrichten<br />

hat (26).<br />

Ab dem vollendeten 14. Lebensjahr ist das Geheimhaltungsinteresse grundsätzlich<br />

zu akzeptieren.<br />

Selbstverständlich kann der Minderjährige den Arzt von der <strong>Schweigepflicht</strong><br />

entbinden. Der Minderjährige muss jedoch die erforderliche Urteils- und Einsichtsfähigkeit<br />

besitzen, ansonsten müssen die gesetzlichen Vertreter (regelmäßig<br />

die Sorgeberechtigten) den Arzt entbinden (27).<br />

Gerade bei der Behandlung von Kindern kann die bereits unter Ziff. 3 erörterte<br />

Notstandsproblematik gemäß § 34 StGB sowie die Frage des Vorliegens eines<br />

Drittgeheimnisses eine Rolle spielen. Bender erörtert folgendes Beispiel (27a):<br />

Bei der Untersuchung eines Kindes erfährt der Arzt, dass sein Vater es sexuell<br />

missbraucht hat. Die herrschende Meinung weist darauf hin, dass die <strong>Schweigepflicht</strong><br />

auch das Drittgeheimnis erfasst, also den Vater, der – da nicht selbst<br />

Patient – Dritter ist. Die Frage, ob der Arzt dennoch befugt ist, sich zu offenbaren<br />

setzt voraus, dass eine Notstandslage vorliegt. Davon ist dann auszugehen,<br />

wenn eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben etc. vorliegt. Die kritische Frage<br />

ist die nach der gegenwärtigen Gefahr, denn liegen die Taten in der Vergangenheit<br />

und besteht keine Wiederholungsgefahr, dann entfällt auch die Rechtfertigungsmöglichkeit<br />

über § 34 StGB (27a).<br />

Bender weist darauf hin, dass eine gegenwärtige Gefahr dann bestehe, wenn ein<br />

Zustand gegeben sei, dessen Weiterentwicklung den Eintritt oder die Intensivierung<br />

eines Schadens ernstlich befürchten lasse, sofern keine Abhilfe erfolgt,<br />

wobei eine Wiederholungsgefahr nur dann ausreichend sei, wenn sie nicht nur<br />

abstrakt vorliegen würde. Darüber hinaus müsse die Offenbarung geeignet,<br />

erforderlich und verhältnismäßig sein. Die Offenbarung müsse ein angemesse-<br />

61


nes Mittel zur Abwehr der Gefahr sein, die dem Kind drohe. Der Arzt müsse im<br />

Einzelfall selbst prüfen, ob die Voraussetzungen des § 34 StGB vorliegen würden<br />

oder nicht (27a).<br />

Die Schwierigkeiten für den Arzt, die richtige Entscheidung zu treffen liegt auf der<br />

Hand. Die Vorsicht der oben genannten Ausführungen von Bender ist verständlich.<br />

Die <strong>Schweigepflicht</strong> ist ein hohes Rechtsgut, das nur ausnahmsweise durchbrochen<br />

werden darf, zumal die Anzeige nicht zwingend dem Schutzinteresse<br />

des Kindes am besten entsprechen muss. Bender weist auf das Problem, dass<br />

dringend behandlungsbedürftige Kinder möglicherweise nicht mehr behandelt<br />

würden, um eine mögliche Mitteilung oder Anzeige der Tat durch den Arzt zu<br />

vermeiden. Sie weist ferner darauf hin, dass hinreichende Verdachtsmomente<br />

vorliegen sollten, um den Täter sicher überführen zu können.<br />

8.3. <strong>Schweigepflicht</strong> des psychiatrisch tätigen Arztes<br />

Generell trifft den Arzt bei der Behandlung einer geistigen Erkrankung die gleiche<br />

<strong>Schweigepflicht</strong> wie bei der Behandlung anderer Krankheiten. In der<br />

Psychiatrie werden dem Arzt jedoch gewisse Grenzen der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong><br />

zuerkannt. So ist es erlaubt bzw. sogar geboten, einen Dritten zu warnen,<br />

dem vom Patienten Gefahr droht (28).<br />

Zunächst ist dem Patienten jedoch die Gefährlichkeit seines Tuns vor Augen zu<br />

halten. Der Arzt soll dem Patienten selbiges untersagen. Erst dann, wenn der<br />

Kranke sich nicht an sein Verbot hält, darf der Arzt tätig werden (29), um der<br />

bestehenden Gefahr entgegenzuwirken. Der Arzt wird auch in solchen kritischen<br />

Fällen eine Güterabwägung vornehmen müssen. Die <strong>Schweigepflicht</strong><br />

und die drohende Gefahr für den Patienten selbst bzw. für Dritte sind miteinander<br />

abzuwägen.<br />

8.4. <strong>Schweigepflicht</strong> und elektronische Datenträger<br />

Gemäß § 10 der Berufsordnung bedürfen Aufzeichnungen auf elektronischen<br />

Datenträgern oder anderen Speichermedien besonderer Sicherungs- und Schutzmaßnahmen,<br />

um deren Veränderung, Vernichtung oder unrechtmäßige Verwendung<br />

zu verhindern.<br />

Oft ist es mit der Speicherung auf elektronische Datenträger nicht getan. Es<br />

stellt sich die Frage der Datenübermittlung. Auch die elektronische Datenübermittlung<br />

darf nur unter Beachtung der Vorschriften über die ärztliche Schweige-<br />

62


pflicht und des Datenschutzes erfolgen. Eine Datenübermittlung an Dritte<br />

bedarf also der Einwilligung des Patienten. Sie verlangt darüber hinaus besondere<br />

Formen der Datensicherheit. Darauf wurde bereits in der Literatur 1997<br />

hingewiesen mit dem besonderen Vermerk, dass in digitalen Netzen Manipulationen,<br />

unbefugte Kenntnisnahmen und Fehler während des Transports nicht<br />

ausgeschlossen werden können.<br />

Vor dem nicht verschlüsselten Versenden von E-Mails/digitalen Röntgenbildern<br />

– dies gilt erst recht, wenn die vorherige Einwilligung des Patienten nicht<br />

eingeholt wurde – muss dringend gewarnt werden. Es mag zwar bezweifelt werden,<br />

ob das unverschlüsselte Versenden von E-Mails eine Berufsrechtsverletzung<br />

oder gar eine Straftat darstellt (29a). Es stellt sich jedoch die Frage, ob der<br />

Arzt nicht verpflichtet ist, den Patienten über die Folgen des Versendens nicht<br />

verschlüsselter E-Mails aufzuklären und dessen Einwilligung einzuholen. Ebenso<br />

wenig sollte sich der Arzt auf einen Streit einlassen, der das Verhältnis einer<br />

etwaigen Verletzung der <strong>Schweigepflicht</strong> zur Verletzung datenschutzrechtlicher<br />

Vorschriften berührt, denn nach Auffassung von Hanika gelten ärztliche<br />

<strong>Schweigepflicht</strong> und Datenschutzrecht parallel (29b).<br />

8.5. <strong>Schweigepflicht</strong> und Informationsanspruch des Patienten<br />

Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> gilt nicht im Verhältnis zum eigenen Patienten.<br />

Folglich ist auch ein Recht des Patienten auf Einsicht in die Krankenunterlagen<br />

und auf Herausgabe von Kopien zu bejahen.<br />

Ein berechtigtes Interesse ist bereits beim Behandlerwechsel anzunehmen bzw.<br />

bei der Prüfung von Ansprüchen wegen möglicher Fehlbehandlung.<br />

Der Bundesgerichtshof hat das Einsichtsrecht auf Aufzeichnungen über objektiv<br />

physische Befunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen beschränkt.<br />

Subjektive Wertungen des Arztes und die Wiedergabe persönlicher Eindrücke<br />

sollen nicht dazu gehören (30).<br />

Sofern keine schutzwürdigen Interessen des Patienten, des Arztes oder Dritter<br />

im Raum stehen, hat auch ein psychiatrischer Patient Einsicht in die Krankenunterlagen<br />

(31). Auch in den Empfehlungen der Bundesärztekammer wird<br />

unter Ziff. 5 auf diese Problematik hingewiesen, da in diese Aufzeichnungen<br />

die Persönlichkeit des Arztes ebenso wie dritter Personen umfassender einfließen<br />

und spezifische therapeutische Risiken aus einer Rekonstruktion verarbeiteter<br />

Problemfelder für den Patienten entstehen könnten.<br />

63


8.6. Postmortale <strong>Schweigepflicht</strong><br />

Der Arzt ist auch nach dem Tod des Patienten zur Verschwiegenheit verpflichtet.<br />

Nur der Patient selbst kann den Arzt von seiner <strong>Schweigepflicht</strong> entbinden,<br />

seine Angehörigen oder Erben können es nicht. Eine Ausnahme von diesem<br />

Grundsatz wird für die Erben gemacht, wenn es um die Durchsetzung von überwiegend<br />

vermögensrechtlichen Ansprüchen in Versorgungs-, Versicherungsund<br />

Rentenfragen geht oder sofern es um die Einsicht in die Krankenunterlagen<br />

geht, wenn Schadenersatzansprüche gegen den Arzt oder das Krankenhaus<br />

durchgesetzt werden sollen (32).<br />

Sobald der Intimbereich des Patienten betroffen ist, hat der Arzt zu schweigen,<br />

es sei denn, der Patient hat den Arzt von der <strong>Schweigepflicht</strong> entbunden. Dies<br />

kann ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten gegenüber dem Arzt<br />

geschehen, aber auch gegenüber einem Dritten. So kann der Erblasser einen<br />

Angehörigen ermächtigen, den Arzt zu entbinden. Liegt eine ausdrückliche<br />

oder stillschweigende Entbindung von der <strong>Schweigepflicht</strong> vor, die der Patient<br />

noch zu Lebzeiten abgegeben hat, so muss der Arzt aussagen. Umgekehrt darf<br />

sich der Arzt nicht auf den mutmaßlichen Willen des Patienten berufen, wenn er<br />

von dem später verstorbenen Patienten auf seine <strong>Schweigepflicht</strong> ausdrücklich<br />

oder konkludent (stillschweigend) hingewiesen wurde.<br />

In den wohl meisten Fällen wird es an einer Erklärung fehlen. Die höchstrichterliche<br />

Rechtsprechung verpflichtet den Arzt zur Aussage, wenn dies dem mutmaßlichen<br />

Willen des Patienten entspricht. Zum Intimbereich jedes Menschen<br />

gehört auch die Frage der Testierfähigkeit, so dass der Arzt bei seiner Entscheidung<br />

durch sein Standesethos einerseits und die Interessen des Erblassers<br />

andererseits zu einer gewissenhaften Prüfung verpflichtet ist, wobei ihm ein<br />

Entscheidungsspielraum bleibt, der durch die Gerichte nur eingeschränkt nachprüfbar<br />

ist.<br />

In der Literatur wird von einer Vermutungsregel gesprochen, wonach es dem<br />

Interesse des Verstorbenen entspricht, Zweifel über seine Geschäfts- und Testierfähigkeit<br />

auszuräumen (33). In diese Richtung weist auch eine Entscheidung<br />

des Bundesgerichtshofes (34). Danach könne nicht unterstellt werden, dass der<br />

Erblasser seinen die Testierfähigkeit ausschließenden Zustand vor dem Nachlassgericht<br />

hätte verbergen wollen. Das Interesse eines Testierunfähigen sei<br />

vielmehr darauf gerichtet, dass der Mangel offenbar und der Streit unter den<br />

Erbprätendenten möglichst bald beendet werde.<br />

64


8.7. <strong>Schweigepflicht</strong> und Praxisveräußerung<br />

Der Bundesgerichtshof verlangt vom Praxisveräußerer vor Weitergabe der Patientendokumentation<br />

an einen Nachfolger die Einholung der Zustimmung des<br />

Patienten (35).<br />

Insbesondere wird ein ganzer Übergabe-/Übernahmevertrag nichtig, wenn sich<br />

der Verkäufer zur Übertragung der Patientenkartei an den Käufer ohne Einwilligung<br />

der Patienten verpflichtet. Brauchbare Hinweise für die Vertragsgestaltung<br />

sind in den „Münchner Empfehlungen zur Wahrung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong><br />

bei Veräußerung einer Arztpraxis“ nachzulesen, abzufragen bei der<br />

Ärztekammer, veröffentlicht in MedR 1992, 207 ff.<br />

8.8. <strong>Schweigepflicht</strong> gegenüber der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />

und Privaten Krankenversicherung sowie gewerblichen<br />

Verrechnungsstellen<br />

a) Gesetzliche Krankenversicherung<br />

Bereits mit der Aushändigung der Chip-Karte gibt der Patient zu erkennen, dass<br />

er mit der Weitergabe aller für die Feststellung der Leistungspflicht der Krankenkasse<br />

erforderlichen Tatsachen einverstanden ist (§ 60 SGB I). Die Offenbarung<br />

muss sich allerdings auf das Notwendige beschränken. Die Vorlage vollständiger<br />

ärztlicher Aufzeichnungen wird als unzulässig angesehen (36).<br />

b) Private Krankenversicherung<br />

Bei Anfragen von privaten Krankenversicherungen, aber auch privaten Unfallversicherungen<br />

und privaten Lebensversicherungen ist Zurückhaltung geboten,<br />

da die mit Abschluss des Versicherungsvertrages vom Patienten unterschriebene<br />

generelle Entbindung von der <strong>Schweigepflicht</strong> rechtlich als unwirksam<br />

angesehen wird. Sicherheitshalber sollte der Arzt sich vom Patienten von der<br />

<strong>Schweigepflicht</strong> entbinden lassen bzw. erforderliche Auskünfte direkt dem Patienten<br />

zukommen lassen. Es ist dann Sache des Patienten, die erbetene ärztliche<br />

Auskunft weiterzuleiten oder dies zu unterlassen.<br />

c) Gewerbliche Verrechnungsstellen<br />

Die Abtretung einer ärztlichen Honorarforderung an eine gewerbliche Verrechnungsstelle,<br />

die zum Zweck der Rechnungserstellung und Einziehung erfolgt,<br />

verletzt die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong>, wenn der Patient der damit verbundenen<br />

65


Weitergabe seiner Abrechnungsunterlagen nicht zugestimmt hat. Ein wirksames<br />

Einverständnis setzt voraus, dass der Patient über die Forderungsabtretung unterrichtet<br />

wurde. Die Mitteilung an den Patienten, Patientendaten würden zur Abwicklung<br />

der Patientenrechnungen weitergegeben, ist nicht ausreichend (36a).<br />

8.9. <strong>Schweigepflicht</strong> unter Ärzten<br />

Es ist darauf zu achten, dass vom Grundsatz her die <strong>Schweigepflicht</strong> auch unter<br />

Ärzten besteht. Davon zu trennen ist von vornherein die Behandlung in einem<br />

Krankenhausteam oder innerhalb einer Gemeinschaftspraxis, wo von einem<br />

stillschweigenden Einverständnis des Patienten auszugehen ist (37).<br />

Auch bei einer Weiter- und Nachbehandlung des Patienten durch einen anderen<br />

Arzt ist die <strong>Schweigepflicht</strong> gelockert bzw. aufgehoben (38). Der Arzt wird in<br />

der Regel zumindest von einer stillschweigenden Einwilligung ausgehen<br />

können.<br />

Holt der Patient, der bei einem Arzt in Behandlung ist, bei einem anderen Arzt<br />

eine Zweitmeinung ein, so ist im Zweifelsfall davon auszugehen, dass der Patient<br />

gerade nicht daran interessiert ist, dass sich die Ärzte untereinander austauschen.<br />

Es liegt auch kein Fall der Vor- und Nachbehandlung vor, so dass die<br />

<strong>Schweigepflicht</strong> zu beachten ist.<br />

9.Zusammenfassung<br />

Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> ist ein stets aktuelles Thema, das der Ärztin/dem<br />

Arzt im konkreten Fall schwierige Entscheidungen abverlangen kann. Niemand<br />

kann der Ärztin/dem Arzt die manchmal mit dem ärztlichen Gewissen schwer<br />

zu vereinbarende Entscheidung abnehmen. Es ist stets zu beachten, dass die<br />

wirklich schwierigen Fälle durch Interessenkonflikte gekennzeichnet sind und<br />

der Arzt Gefahr läuft, „zwischen die Stühle“ zu geraten. So steht zum Beispiel<br />

das verständliche Interesse der Strafverfolgungsbehörden auf der einen Seite.<br />

Auf der anderen Seite steht der Patient, der ein rechtlich geschütztes Interesse<br />

daran hat, dass sich der Arzt auch an seine Verschwiegenheitspflicht hält. Nicht<br />

zuletzt können die Interessen Dritter eine Rolle spielen, zum Beispiel von Kindern<br />

oder dem Ehepartner/Lebensgefährten des Patienten.<br />

Unter Ziff. 3 wurde ein Urteil des OLG Frankfurt a. M. vorgestellt, welches die<br />

Aids-Problematik zum Gegenstand hat. Hier stellt sich spiegelbildlich die<br />

Frage, ob nicht auch der Patient eine Offenbarungspflicht gegenüber dem Arzt<br />

66


hat, wenn er weiß, dass er an Aids erkrankt ist. Heberer und Mößbauer bejahen<br />

eine Offenbarungspflicht des Patienten gegenüber dem Arzt ausdrücklich und<br />

weisen darauf hin, dass auch der Arzt darauf vertrauen können muss, dass er<br />

darauf hingewiesen wird, wenn er sich gegen Ansteckung schützen muss, um<br />

seinen Beruf ausüben zu können (39).<br />

Dieser Leitfaden kann nur grundsätzliche Fragestellungen ansprechen. Er soll<br />

eine Art Hilfestellung sein bei der Beantwortung der nicht selten komplizierten<br />

Fragestellungen um die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong>.<br />

Literatur<br />

(1) Schlund, Handbuch des Arztrechtes, Verlag C.H. Beck 2002, S. 504,<br />

Rdnr. 4<br />

(2) Rieger, Lexikon des Arztrechts, 2. Auflage, C. F. Müller, Stichwort<br />

„<strong>Schweigepflicht</strong>“, S. 1, Rdnr. 2<br />

(3) Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 2. Auflage, C. F. Müller,<br />

S. 355, Rdnr. 360 a<br />

(4) BGH, Urteil vom 22.12.1999, NJW 2000, 1426 sowie MedR 2000, 426<br />

(5) Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, 51. Auflage, Verlag C. H. Beck 2003,<br />

1263, Rdnr. 3<br />

(6) Rieger, a. a. O., S. 6, Rdnr. 14<br />

(7) Ulsenheimer, Handbuch des Arztrechts, S. 508, Rdnr. 6<br />

(8) Ulsenheimer, Handbuch des Arztrechts, S. 509, Rdnr. 7<br />

(9) Lenckner, in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Auflage,<br />

C. H. Beck, S. 1627, Rdnr. 14<br />

(10) Schlund, Handbuch des Arztrechts, S. 525, Rdnr. 1<br />

(11) Rieger, a. a. O., S. 25, Rdnr. 53<br />

(12) Lenckner, a. a. O., S. 1632, Rdnr. 24 b<br />

(13) Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, S. 366, Rdnr. 375<br />

(14) Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, S. 367, Rdnr. 376<br />

(14a) OLG Frankfurt a. M., NJW 2000, 876<br />

(15) Lenckner, a. a. O., S. 1636, Rdnr. 32<br />

(16) Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der Deutschen Ärzte<br />

(MBO), Springer Verlag, 2. Auflage, S. 61, Rdnr. 1<br />

(17) Lippert, a. a. O., S. 63, Rdnr. 5<br />

(18) Rieger, a. a. O., S. 58, Rdnr. 125<br />

(18a) Bender, MedR 2002, 626<br />

67


(19) Schlund, Handbuch des Arztrechts, S. 540, Rdnr. 19<br />

(19a) Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 5. Auflage, Springerverlag, S. 305,<br />

Rdnr. 462.<br />

(20) Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 5. Auflage, Springerverlag, S. 304,<br />

Rdnr. 459<br />

(21) Schlund, Handbuch des Arztrechts, S. 541, Rdnr. 25<br />

(22) Franzki, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 3. Auflage, Verlag C. H.<br />

Beck, S. 251, Rndr. 21<br />

(23) Baer, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, S. 876, Rdnr. 56<br />

(24) Franzki, a. a. O., S. 850, Rdnr. 52<br />

(25) Franzki, a. a. O., S. 850, Rdnr. 54<br />

(26) Rieger, a. a. O., S. 5, Rdnr. 14<br />

(27) Rieger, a. a. O., S. 19, Rdnr. 42<br />

(27a) Bender, a. a. O., S. 628<br />

(28) Deutsch, Spickhoff, a. a. O., S. 412, Rdnr. 595<br />

(29) siehe (28)<br />

(29a) Härting, NJW 2005, 1248 ff.<br />

(29b) Hanika, in Rieger, Lexikon des Arztrechts, Stichwort Datenschutz, S. 9<br />

(30) Martis/Winkhart, <strong>Arzthaftung</strong>srecht aktuell, Fallgruppenkommentar,<br />

Verlag Dr. Otto Schmidt, S. 271<br />

(31) BGH VersR 1984, 1171 und BGH VersR 1989, 252<br />

(32) Bartsch, NJW 2001, 862<br />

(33) Hülsmann, ZEV 1999, 91 ff.<br />

(34) BGH, NJW 1984, 2893 ff.<br />

(35) BGH, NJW 1992, 737<br />

(36) Schlund, Handbuch des Arztrechts, S. 529, Rdnr. 29<br />

(36a) Wasserburg, NStZ 2003, 353 ff. unter Bezugnahme auf OLG Karlsruhe,<br />

Urteil vom 15.10.1997, 13 U 8/96.<br />

(37) Schlund, Handbuch des Arztrechts, S. 525, Rdnr. 1<br />

(38) Schlund, Handbuch des Arztrechts, S. 525, Rdnr. 2<br />

(39) Heberer, Mößbauer, MedR 2004, 138<br />

68


Orientierungsplan<br />

Die <strong>Sächsische</strong> Landesärztekammer finden Sie im „Carolapark“ in Dresden-Alberstadt, Schützenhöhe 16, 01099 Dresden,<br />

Telefon (03 51) 82 67-0.<br />

Wenn Sie von der Autobahn kommen, nutzen Sie bitte die Anschlußstelle 81a „Dresden-Hellerau“, Richtung „Zentrum“. An<br />

der BP Tankstelle auf der Radeburger Straße biegen Sie links ab und können dann den Wegweisern „Hauptzollamt“/„Carolapark“<br />

folgen.<br />

Aus Richtung Stadt können Sie ab Kreuzung Königsbrücker Straße/Stauffenbergallee den Wegweisern „Hauptzollamt“/„Carolapark“<br />

folgen.<br />

Die Anbindung des gesamten Areals „Carolapark“ an den öffentlichen Personennahverkehr befindet sich im Ausbau.<br />

Wir empfehlen Ihnen folgende Verbindungen:<br />

Sie kommen vom Hauptbahnhof:<br />

Straßenbahnlinie 7 (Richtung Weixdorf) bis Haltestelle Stauffenbergallee, dann Fußweg wie unten beschrieben.<br />

Sie kommen vom Bahnhof Neustadt:<br />

Straßenbahnlinien 3 (Richtung Plauen) oder 6 (Richtung Niedersedlitz) oder 11 (Richtung Bühlau), jeweils eine Haltestelle bis<br />

Albertplatz, dort umsteigen in Linie 7 (Richtung Weixdorf) oder 8 (Richtung Hellerau) bis Haltestelle Stauffenbergallee, dann<br />

Fußweg wie unten beschrieben.<br />

Fußweg von Haltestelle Stauffenbergallee:<br />

Von der Haltestelle sind zunächst auf der Stauffenbergallee in westlicher Richtung ca. 500 m bis zum Eingang der Polizei<br />

zurückzulegen. Sie gehen durch das Steintor hindurch, weiter über den Treppenaufgang und dann noch ca. 100 m bis zum<br />

Kammergebäude.

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