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Prof. Dr. Egbert Fischer/Horst Wendt Der Dienst der ... - AGGI-INFO.DE

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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Egbert</strong> <strong>Fischer</strong>/<strong>Horst</strong> <strong>Wendt</strong><strong>Der</strong> <strong>Dienst</strong> <strong>der</strong> Bausoldaten - eine echte Alternative zum Wehrdienst in <strong>der</strong>NVA ?1. Untersuchungsbedingungen und QuellensituationAls die Veranstalter des heutigen Seminars unserer "Arbeitsgruppe Geschichte <strong>der</strong>NVA ... beim Landesvorstand Ost des DBwV" den Vorschlag unterbreiteten, sich ausNVA-Sicht zu dem obigen Thema zu äußern, haben wir zwar die Schwierigkeitenerahnt, jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht erwartet, daß es so problematischwerden würde. Zunächst muß man feststellen, daß das Thema zu DDR-Zeitenwissenschaftlich nicht bearbeitet wurde und folglich auch keine Publikationen vorliegen.Bausoldaten und damit verbundene Probleme finden im Standardwerk"Armee für Frieden und Sozialismus" keine Erwähnung. Lediglich in <strong>der</strong> Zeittafel zurMilitärgeschichte <strong>der</strong> DDR heißt es zum 7. September 1964: "Anordnung desNationalen Verteidigungsrates <strong>der</strong> DDR über die Aufstellung von Baueinheiten imBereich des Ministeriums für Nationale Verteidigung <strong>der</strong> DDR. Sie ermöglicht esjenen wehrpflichtigen DDR-Bürgern, die aus religiösen Gründen den <strong>Dienst</strong> mit <strong>der</strong>Waffe ablehnen, durch Arbeitsleistungen an <strong>der</strong> Stärkung <strong>der</strong> Verteidigungsfähigkeitdes Landes teilzunehmen."(1) Das ist die am weitesten gefaßte Wie<strong>der</strong>gabe desInhalts <strong>der</strong> Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates <strong>der</strong> DDR. In <strong>der</strong> DDR-Zeittafel von 1989 findet man unter dem gleichen Datum: "Anordnung des NationalenVerteidigungsrates <strong>der</strong> DDR über die Aufstellung von Baueinheiten imBereich des Ministeriums für Nationale Verteidigung." (2) Ein nicht Eingeweihterkonnte daraus wohl kaum eine echte Alternative zum Wehrdienst ableiten.Mit Schwierigkeiten haben wir allerdings nicht diese Erscheinung gemeint. Daß diesso war, konnte nicht überraschen. Überrascht hat uns vielmehr, daß trotz <strong>der</strong> in <strong>der</strong>NVA vorhandenen Stufen <strong>der</strong> Geheimhaltung in den Akten so wenig über dasProblem <strong>der</strong> Bausoldaten festgehalten wurde. Man könnte hier einwenden: Eshandelte sich lediglich um 0,4 bis 0,7 Prozent <strong>der</strong> Einzuberufenden - das drückt denStellenwert des Problems. Für den <strong>Dienst</strong>prozeß in <strong>der</strong> Armee mag dies stimmen,aber für seine politische Bedeutung sicher nicht. Es ist heute auch einzuschätzen,daß bestehende For<strong>der</strong>ungen zur Archivierung auf diesem Gebiet nicht einheitlichumgesetzt wurden. Das heißt, daß die Vorgesetzten verschiedener Stufen das Problemunterschiedlich behandelt haben. Obwohl uns durch Aktenaussagen beispielsweisebekannt ist, daß es in verschiedenen Baupionierbataillonen Bausoldatengegeben hat, weisen die Einen dies in ihren Befehlen, Chroniken etc. nach, währendAn<strong>der</strong>e ihre Bausoldaten mit keinem Wort erwähnen. Die Einen sagen, die schlechteStatistik bei Eingaben und Beschwerden gehe zu Lasten <strong>der</strong> Bausoldaten; dieAn<strong>der</strong>en machen die statistischen Angaben nur im Bereich <strong>der</strong> Baupioniere. Obwohlwir gute Kenntnisse über den strukturellen Aufbau des Ministeriums für NationaleVerteidigung, <strong>der</strong> Kommandos <strong>der</strong> Teilstreitkräfte und <strong>der</strong> Militärbezirke besitzen unddiese auch gezielt bei den Recherchen eingesetzt haben, müssen wir gerade deshalbfeststellen, daß es auch künftig sehr schwierig sein wird, eine auf NVA-Aktenberuhende, geschlossene Darstellung <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Bausoldaten zu erarbeiten.Es wird dies zudem eine sehr zeitraubende, über Jahre gehende Recherchetätigkeiterfor<strong>der</strong>n.Es gibt noch weitere Fakten, die Untersuchungsbedingungen und den Charakterunseres Beitrages beeinflussen. Bekanntlich wurde Ende vergangenen Jahres dasin Potsdam befindliche Militärische Zwischenarchiv nach Freiburg an den Standortdes Militärarchivs umgelagert. Das bedeutet, die Zugriffsfähigkeit zu den Akten undgedruckten Materialien (Anordnungs-und-Mitteilungs-Blätter) ist zur Zeit noch nichtvollständig gewährleistet. Hinzu kommt , daß sich noch zirka 400 Akten aus dem


Bereich des Ministers für Nationale Verteidigung und seiner Stellvertreter im Zusammenhangmit noch laufenden Strafprozessen in Berlin-Hoppegarten befinden.Übrigens sei nebenbei erwähnt, daß diese Umlagerung des NVA-Aktenmaterials fürall die, die sich ehrenamtlich mit geschichtlichen Problemen befassen, weitgehenddas „Aus“ bedeutet. Ein Schelm, wer denkt, dies sei Absicht gewesen. Vertreterunserer Arbeitsgruppe haben sich nur mit Hilfe des DBwV im September diesesJahres eine Woche in Freiburg mit dem Sachverhalt befassen können.All dies führte uns zunächst zu <strong>der</strong> Überlegung, auf den Beitrag zu verzichten. Daaber alle bisherigen Darstellungen (so u.a. auch die von Uwe Koch für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages angefertigte Expertise zum Thema :"DieBaueinheiten <strong>der</strong> Nationalen Volksarmee <strong>der</strong> DDR - Einrichtung, Entwicklung undBedeutung") als Quellen im Prinzip nur die Erfahrungen <strong>der</strong> Kirchen, <strong>der</strong> Bausoldatenselbst bzw. nach <strong>der</strong> Wende einige unvollständige Bestände <strong>der</strong> Staatssicherheitausweisen, möchten wir doch die Ergebnisse <strong>der</strong> Recherchen in den NVA-Akten -auch wenn sie zur Zeit nur Teilprozesse wi<strong>der</strong>spiegeln - zur Diskussion stellen. Esgeht uns weniger um Korrekturen. Vieles, was geschrieben wurde, bestätigen unsereRecherchen, manches wird eventuell relativiert. Aber es geht uns um geschichtlicheAnalysen, die alle beteiligten Seiten berücksichtigen. Zur Zeit sind - auch dies mußeinschränkend festgestellt werden - die Erfahrungen und Positionen <strong>der</strong> Berufs- undZeitsoldaten, denen Bausoldaten anvertraut waren, noch nicht berücksichtigt.2. Zu Problemen <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> gesetzlichen und militärischen Grundlagen fürden Aufbau von Baueinheiten in <strong>der</strong> NVADie gesetzlichen Grundlagen waren das Wehrpflichtgesetz vom 24. Januar 1962und Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates über die Aufstellung von Baueinheitenim Bereich des Ministeriums für Nationale Verteidigung vom 7. September1964. Im Ergebnis <strong>der</strong> Recherchen kann in diesem Zusammenhang schlüssig davonausgegangen werden, daß es im Gesetzbildungsprozeß keine Überlegungen gegebenhat, von Anfang an eine Alternative zum Wehrdienst etwa in Form einesZivildienstes außerhalb <strong>der</strong> NVA zu schaffen. Die Grundhaltung <strong>der</strong> Führungskräfte<strong>der</strong> NVA kam in <strong>der</strong> Positionsbestimmung des Ministers für Nationale Verteidigungzur Gesetzesbegründung treffend zum Ausdruck. Heinz Hoffmann betonte in seinerRede vor <strong>der</strong> Volkskammer am 24. Januar 1962, daß es keine gerechtere Sachegäbe, als in dieser rechtmäßigen und wahrhaft nationalen Armee die sozialistischenErrungenschaften des Volkes mit <strong>der</strong> Waffe in <strong>der</strong> Hand zu schützen. (3) Zubedenken ist außerdem, daß die spätere Einführung <strong>der</strong> Bausoldaten in <strong>der</strong> DDRinnerhalb <strong>der</strong> Staaten des Warschauer Vertrages ein Son<strong>der</strong>fall war, auf den diesowjetische Seite auch stets hingewiesen hat.Die Diskussion zum Problem <strong>der</strong> Wehrdienstverweigerung setzte allerdings inFührungskreisen <strong>der</strong> NVA bereits im Frühjahr 1963 ein. Anlaß dafür waren die bisdahin gesammelten Einberufungserfahrungen. So legte <strong>der</strong> Stellvertreter des Ministersfür Nationale Verteidigung und Chef des Hauptstabes am 4. Mai 1963 inAuswertung <strong>der</strong> ersten Einberufungen einen Bericht über Verweigerungserscheinungenvor. Er wies ein Ansteigen <strong>der</strong> Verweigerungen von 1962 mit insgesamt 518auf 439 Verweigerungen im Frühjahr 1963 nach. Es handelte sich um 0,38 Prozent<strong>der</strong> zur Einberufung anstehenden Jahrgänge. Sicher eine geringe Anzahl, die allerdingsdas Verweigerungspotential nicht vollständig wi<strong>der</strong>spiegelte. Probleme <strong>der</strong>persönlichen Perspektive, zum Beispiel die geplante Aufnahme eines Studiums, <strong>der</strong>Beruf und die Familie waren trotz eventuell entgegenstehen<strong>der</strong> Glaubensvorstellungenbzw. politischer Einstellungen wesentliche Gründe , um den gesetzlichen Anfor<strong>der</strong>ungennachzukommen.


Territorial konzentrierten sich die meisten Verweigerungen auf die Bezirke Karl-Marx-Stadt, Halle, <strong>Dr</strong>esden und Magdeburg, also jene Teile Sachsens, Thüringensund Sachsen-Anhalts, wo kirchliche Bindungen noch am stärksten vorhanden waren.In den Musterungen erklärten in <strong>der</strong> Regel - dies gilt auch für die folgenden Jahre -zwischen 50 bis 60 Prozent aller Verweigerer sich nicht bereit, mit <strong>der</strong> Waffe <strong>Dienst</strong>zu tun. Das heißt, mit Einführung <strong>der</strong> Bausoldaten konnten die Totalverweigerungenauf rund die Hälfte reduziert werden. Hierin ist u.a. ein wesentlichen Grund für dieEinführung von Baussoldaten zu sehen.In den meisten Fällen wurden in den Musterungsgesprächen religiöse Hin<strong>der</strong>ungsgründegenannt, um entwe<strong>der</strong> den <strong>Dienst</strong> mit <strong>der</strong> Waffe o<strong>der</strong>, wie durch Anhänger<strong>der</strong> "Zeugen Jehovas", jeglichen militärischen <strong>Dienst</strong> zu verweigern. Dezidiert weist<strong>der</strong> Bericht auf das den Wehrpflichtigen durch die Kirchen in Gesprächen vermittelteBeispiel des Zivildienstes in <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland hin. Bei Wertungen istzu beachten, daß die Bindungen <strong>der</strong> Kirchen Ost/West künftig den Aufbau, dieEntwicklung und den Einsatz <strong>der</strong> Baueinheiten begleiteten. Zuspitzungen zwischenStaat und Kirche und über diesen Konflikt zwischen <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong> BundesrepublikDeutschland sollten möglichst vermieden werden. <strong>Der</strong> Bericht des Hauptstabesmahnte auch baldmöglichst Entscheidungen an, weil in den MusterungenArgumente wie: "Wir wissen, daß wir bei Verweigerung des Wehrdienstes nichteinberufen werden. Im vorigen Jahr ist auch nichts o<strong>der</strong> nicht viel passiert" (4),immer öfter angeführt wurden. <strong>Der</strong> Chef des Hauptstabes schlug in seinem Berichtdeshalb schlußfolgernd vor: "Bei den Pioniertruppen außerhalb des StellenplanesBautruppen zu schaffen, <strong>der</strong>en Aufgabe die Mitwirkung an <strong>der</strong> Realisierung vonBauvorhaben <strong>der</strong> NVA sein müßten." Abschließend heißt es dazu: "Dieser <strong>Dienst</strong> ...sollte als Wehrersatzdienst anerkannt werden." (5)Die Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates war Gegenstand <strong>der</strong> Tagesordnungbereits auf seiner 16. Sitzung am 20. September 1963. Die dort erteilte Aufgabe,durch das Ministerium für Nationale Verteidigung die entsprechenden Befehleund Durchführungsbestimmungen zu erarbeiten und zu erlassen, beeinflußten auchden Text und damit zeitlich die Inkraftsetzung <strong>der</strong> Anordnung selbst. Die Diskussionin den militärischen Führungsgremien setzte dazu 1963/64 ein. Sie konzentriertesich darauf, die Zahl <strong>der</strong> Verweigerer möglichst gering zu halten. Einige Vorschlägein den Mitzeichnungen zu dem Befehlsentwurf beinhalteten negative Bewertungendieses <strong>Dienst</strong>es. Zu den Bausoldaten sollten auch jene einberufen werden, die alsunwürdig zum <strong>Dienst</strong> mit <strong>der</strong> Waffe einzustufen seien. Dagegen wendete sich ineiner Mitzeichnung vor allem <strong>der</strong> Vertreter <strong>der</strong> Rechtsabteilung im Ministerium fürNationale Verteidigung. Es gab auch den Vorschlag, die Anordnung nicht imGesetzblatt zu veröffentlichen, um die Möglichkeit des Dienens ohne Waffe nichtpublik zu machen. Dagegen wandte sich die Politische Hauptverwaltung. Sie trat fürdie Veröffentlichung im Gesetzblatt ein. Es gab Diskussionen um beson<strong>der</strong>e Uniformenusw. Das Ganze zeigte, daß die Sache nicht wenigen führenden Militärsunangenehm war. Bedenkt man noch die ausgesprochen atheistische Einstellung<strong>der</strong> Berufssoldaten - eine Grundfor<strong>der</strong>ung für ihre Parteizugehörigkeit -, dann wirdauch von hier aus deutlich, warum in <strong>der</strong> NVA das Problem <strong>der</strong> Bausoldaten wohl zukeiner Zeit eine positive Bewertung erhielt und schon gar nicht in <strong>der</strong> Propagandaeine Rolle spielte.Im Resultat <strong>der</strong> Diskussionen in den Verwaltungen des Ministeriums unterbreitete<strong>der</strong> Minister für Nationale Verteidigung den Vorschlag, die Anordnung des NVR imParagraph 4 zu än<strong>der</strong>n. Außer <strong>der</strong> Formulierung, daß in den Baueinheiten Wehrpflichtigeherangezogen werden können, die den <strong>Dienst</strong> mit <strong>der</strong> Waffe ablehnen,wurde <strong>der</strong> Passus durch die Aussage "o<strong>der</strong> aus ähnlichen Gründen" ergänzt. Außerdemwurde vorgeschlagen, die Anordnung im Gesetzblatt <strong>der</strong> DDR zu veröffent-


lich dachten und fühlten, wie ihre Einglie<strong>der</strong>ung in die militärischen Kollektive verliefund wie ihre Arbeitsleistungen einzuschätzen sind, läßt sich mit Hilfe <strong>der</strong> Akten nurbruchstückhaft darstellen. So führte <strong>der</strong> Minister für Nationale Verteidigung am 5.Juli 1965 mit Kommandeuren und Politstellvertretern eine Beratung über Stand undAufbau <strong>der</strong> Baupioniereinheiten durch. Die Information darüber beinhaltete vorwiegendtechnische Probleme. Beklagt wurde von den Kommandeuren, daß dietechnische Ausstattung <strong>der</strong> Einheiten mit Bausoldaten völlig unzureichend sei, daßdie Arbeitsaufgaben einen dezentralisierten Einsatz von Kommandos mit nur 4 bis 5Bausoldaten erfor<strong>der</strong>lich mache u.ä. Ein Erfahrungsbericht, erarbeitet im Ministeriumfür Nationale Verteidigung, schätzte nach einem Jahr Tätigkeit <strong>der</strong> Baueinheitenein , daß eine gute Arbeitseinstellung bei den Bausoldaten festzustellen sei.Wörtlich: "<strong>Der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Bausoldaten sieht in <strong>der</strong> Gesetzgebung über denWehrersatzdienst ein großes Entgegenkommen <strong>der</strong> Regierung <strong>der</strong> DDR." (11) Werden Weg solcher Informationen kennt, wird in bezug auf das tatsächliche Denken<strong>der</strong> Bausoldaten sicher Zweifel anmelden. Die Berichte und Einschätzungen <strong>der</strong>Bataillone, soweit es überhaupt welche gibt, sind kritischer angelegt. In <strong>der</strong> Chronikdes Baupionierbataillons 15, Standort Torgelow, für das Ausbildungsjahr 1973/74wird zwar die Bereitschaft <strong>der</strong> Bausoldaten zur Aufgabenerfüllung hervorgehoben,aber zugleich gewertet, daß Anstrengungen zur Aufgabenübererfüllung nichtvorhanden seien. Weiter wurde eingeschätzt, daß die Bausoldaten politischeProbleme aufmerksam verfolgten, aber keine klassenmäßigen Wertungen dazuabgäben. Eine Reihe von Bausoldaten würde sich voll und ganz mit <strong>der</strong> politischenLinie <strong>der</strong> BRD identifizieren. Sie würden jede Gelegenheit nutzen, um sich bei denwestlichen Massenmedien zu informieren. Ihre Beteiligung bei Spendenaktionen seigering. Nur 13 Prozent <strong>der</strong> Bausoldaten beteiligten sich an zentralen Spendenaktionen.Die gefor<strong>der</strong>ten Grundüberzeugungen, so abschließend die Einschätzungin <strong>der</strong> Chronik, konnten nicht durchgesetzt werden. (12)Einen gewissen Eindruck von <strong>der</strong> tatsächlichen Situation <strong>der</strong> Bausoldaten gebenauch Informationen über die disziplinare Praxis in den Baupionierbataillonen. ImBaupionierbataillon 15 wurden 1973/74 insgesamt 552 Belobigungen ausgesprochen.Soldaten und Baussoldaten waren daran mit 77 Prozent beteiligt. ImBataillon gab es 6 beson<strong>der</strong>e Vorkommnisse, darunter zwei Selbsttötungsversuche.Bei den geahndeten Disziplinarverstößen betrug <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Bausoldaten 78Prozent. Es gab vier Eingaben und Beschwerden von Bausoldaten. Sie betrafen dieEinhaltung von <strong>Dienst</strong>vorschriften, Arbeit mit den Menschen und Versorgungsfragen.Die Statistik im Baupionierbataillon 44 weist im Ausbildungsjahr 1986/87 aus, daß es71 Eingaben im Bataillon gegeben hat. Daran waren die Bausoldaten mit 83 Prozentbeteiligt. 1987/88 waren es im gleichen Bataillon 179 Eingaben, davon 122 Eingabenvon Bausoldaten. In den bisher aufgefundenen Dokumenten waren Vorkommnisse,Eingaben und Beschwerden dieser Art kaum Gegenstand umfangreicher Analysenauf höheren Führungsebenen. (13) Überhaupt gewinnt man beim Aktenstudium denEindruck, daß <strong>der</strong> Bestand von Bausoldaten die Verantwortlichen für die Realisierung<strong>der</strong> Musterungen und Einberufungen nicht übermäßig beschäftigte. In vielenausgewerteten Jahrgangsprotokollen von Leitungssitzungen <strong>der</strong> Wehrbezirkskommandosund Berichten von Inspektionen in Wehrkreiskommandos wurden dieseProbleme nur in absoluten Zahlen und Prozentwerten erwähnt.Zweifelsfrei waren aber zwei Tendenzen erkennbar: Einmal deuten diese Zahlen aufsich verschlechternde Bedingungen für die Bausoldaten in den 80er Jahren hin, zuman<strong>der</strong>en wird eine stärkere Verknüpfung von Glaubens- und Gewissensfragen mitpolitischen Positionen erkennbar. Die Berichte <strong>der</strong> Baussoldaten in <strong>der</strong> veröffentlichtenLiteratur über ihre Haltungen bei Wahlen zur Volkskammer, zu den BezirksundGemeindevertretungen unterstreichen dies. Auch <strong>Dienst</strong>verweigerungen beimEinsatz zum Bau militärischer Einrichtungen - beson<strong>der</strong>s im Falle von Schießplatz-


von Bausoldaten in einem 18-Monate-Zyklus die Zahl von1.500 nicht überschreiten -unabhängig davon, wieviel Wehrpflichtige sich für den <strong>Dienst</strong> als Bausoldatentscheiden würden . Insgesamt wären dies rund 24,000 Bausoldaten bis 1990gewesen.Die Zahlen in den 60er und 70er Jahren erreichen aber schon in den Musterungennicht annähernd diesen Wert. 1964 waren es 256, die als Bausoldat einberufenwurden. 1965 wurden 312 Wehrpflichtige von 713 einberufen, die zu diesemZeitpunkt als Baussoldaten gemustert waren. 1966 in <strong>der</strong> Frühjahrs- undHerbsteinberufung wurden 415 von insgesamt 837 Wehrpflichtigen, die alsBausoldaten in Frage kamen, einberufen. 1967 waren es 426 von 742. In den 70erJahren wurden stets konstant 388 zur Sicherstellung des dezentralisierten Einsatzesund etwas über 100 für Verwendungen in den Baupionierbataillonen im 18-Monate-Zyklus zum <strong>Dienst</strong> als Bausoldaten herangezogen.(18) Rechnet man die Zahlen,die aus einzelnen Wehrbezirkskommandos zugänglich waren, für die 80er Jahrehoch, dann war mit einen Musterungsbestand zwischen 900 und 1.000Wehrpflichtigen zu rechnen. Anfang <strong>der</strong> 80er Jahre teilte das Ministerium fürNationale Verteidigung selbst mit, daß zu diesem Zeitpunkt zwischen 400 und 500Bausoldaten einberufen wurden. Zahlen von 10.000 bis 12.000 gedienten Bausoldatenfür den Gesamtzeitraum scheinen uns realistisch zu sein. Für diesen Weghatten sich allerdings mehr entschieden, als tatsächlich einberufen wurden. DieWeigerungen, auch diesen <strong>Dienst</strong> ohne Waffe abzulehnen, lagen nochmals indieser Größenordnung. Denn die Musterungsprotokolle zeigen, daß zur Zahl <strong>der</strong>Bereitschaftserklärungen als Bausoldat ungefähr die gleiche Zahl Totalverweigerungenkam. Für die 80er Jahre muß dies noch genau recherchiert werden, eheman endgültige Zahlen nennen kann. Bei all diesen Problemen sollte bedachtwerden, daß es aus finanziellen und an<strong>der</strong>en vorwiegend materiellen Gründen nichtmöglich war, völlig außerhalb jeglicher Vorplanungen entsprechende Einberufungenvorzunehmen. Beispielsweise wurde für die Landstreitkräfte im Jahre 1983 kritischvermerkt, daß sie 23 Bausoldaten überplanmäßig im Bestand hatten, dies müßte mit<strong>der</strong> nächsten Einberufung korrigiert werden.Die aufgefundenen Dokumente belegen, daß bei den Einberufungen Bausoldatenund Totalverweigerer einem getrennten Proze<strong>der</strong>e unterlagen. Totalverweigererwurden von Zeit zu Zeit in normale Linieneinheiten einberufen, wobei den Militäroberstaatsanwaltdie Listen im Voraus übergeben wurden. Praxis war , daß bis aufganz geringe Ausnahmen, zum Beispiel bei einer nachträglichen Erklärung für den<strong>Dienst</strong> Bausoldat, die Wehrpflichtigen polizeilich zugeführt werden mußten. In nahezuallen Fällen erfolgte im Zusammenhang mit <strong>der</strong> <strong>Dienst</strong>ablehnung eine gerichtlicheVerurteilung entsprechend <strong>der</strong> Strafgesetzgebung; in <strong>der</strong> Regel bis zu 10 MonatenHaft. (19) Die Vorgehensweise, die nicht alle Verweigerer in dieser Art traf, dientedazu, weitere Wehrpflichtige von solchen Schritten abzuhalten und nicht bei Ihnenden Eindruck zu erwecken, es geschähe ja ohnehin nichts, wenn man denWehrdienst verweigere. In den Einberufungsfestlegungen wurde streng daraufgeachtet, daß ehemalige Straftäter (Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren) undAntragsteller auf Ausreise nicht zu den Bausoldaten einberufen wurden. Inwieferndiese Absicht in <strong>der</strong> Praxis realisiert wurde, lassen die Akten nicht erkennen.Zusammenfassend möchten wir erstens einschätzen, daß unser mit Fragezeichenversehenes Thema " <strong>Der</strong> <strong>Dienst</strong> als Bausoldaten - eine echte Alternative zumWehrdienst ?" gemäß den nachgewiesenen Fakten wie folgt zu beantworten ist: <strong>Der</strong><strong>Dienst</strong> als Bausoldat in <strong>der</strong> NVA war keine echte Alternative zum Wehrdienst. DieFakten zeigen: er war eine beson<strong>der</strong>e Form des Wehrdienstes, ein <strong>Dienst</strong> mit dengleichen Rechten und Pflichten wie an<strong>der</strong>e Wehrpflichtige, aber ohne Waffeneinsatzund Waffenausbildung. Er sollte aber, wie die Anordnung des Nationalen Verteid-


igungsrates und darauf beruhen<strong>der</strong> Befehle demonstrierten, <strong>der</strong> Stärkung <strong>der</strong>Verteidigungskraft des Landes dienen. <strong>Der</strong> Einsatz <strong>der</strong> Bausoldaten und die Aufgaben,sie erhielten, hat dies bestätigt.Zweitens: <strong>Der</strong> <strong>Dienst</strong> als Bausoldat löste den Glaubens- und Gewissenskonflikt,welcher <strong>der</strong> Entscheidung, als Bausoldat zu dienen, zugrunde lag, in keiner Weise.Im Gegenteil, die Erfahrungsberichte <strong>der</strong> Bausoldaten demonstrieren eindeutig, daßer ihn zum Teil verschärft hat. Zweifelsohne war bei dem gegebenen staatlichen undpolitischen <strong>Dr</strong>uck, <strong>der</strong> auf die Wehrpflichtigen ausgeübt wurde, die Entscheidung, alsBausoldaten zu dienen, ein Schritt gegen Werte und For<strong>der</strong>ungen, welche dieDDR-Führung mit allen Formen <strong>der</strong> Propaganda vermittelte. Es wäre jedoch genauso falsch, aus dieser Entscheidung von vornherein eine systemkritische Gesamthaltungfür alle Bausoldaten abzuleiten. Richtig ist, daß bei einem Teil <strong>der</strong> Bausoldatenauf Grund <strong>der</strong> restriktiven Methoden bei <strong>der</strong> Verwirklichung des <strong>Dienst</strong>es inden politischen Bereich hineinreichende, systemkritische Haltungen eher geför<strong>der</strong>tals abgebaut wurden.<strong>Dr</strong>ittens: Zweifellos waren bei <strong>der</strong> Entscheidung <strong>der</strong> Führung <strong>der</strong> DDR, diese Formdes Wehrdienstes zu schaffen, ihre Beziehung zu den Kirchen in <strong>der</strong> DDR und diedamit verbundenen Ost/Westprobleme von gravieren<strong>der</strong> Bedeutung. Die Entscheidungmußte im Ergebnis <strong>der</strong> eingangs geschil<strong>der</strong>ten Umstände getroffen werden.Aber es war auch für die DDR selbst ein Weg, um die sich sonst bedeutend steigerndeZahl <strong>der</strong> Wehrdienstverweigerer um gut die Hälfte zu senken. Festzustellenist, daß <strong>der</strong> <strong>Dienst</strong> in Baueinheiten den Wehrpflichtigen nicht von vornherein alsAlternative angeboten wurde. Eine diesbezügliche Öffentlichkeitsarbeit hat es nichtgegeben. Baueinheiten mit Bausoldaten waren ein Mittel, um junge Wehrpflichtigenicht von <strong>der</strong> Wehrpflicht zu entbinden . Allerdings ist es zu keiner Zeit gelungen,das Verweigerungspotential vollständig in diese Richtung zu kanalisieren.Die Armeeführung hat in <strong>der</strong> Wendezeit (1989/90) auf <strong>Dr</strong>uck <strong>der</strong> sich verän<strong>der</strong>ndenUmstände versucht, daraus entsprechende Schlüsse zu ziehen. Die im Februarvorgestellte Zivildienstordnung beendete den Bausoldatendienst in <strong>der</strong> NVA.Ähnlich wie bis heute in <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland sollte eine <strong>der</strong> Ableistungdes Wehrdienstes gleichgestellte Tätigkeit auf sozialem und medizinischem Gebietin Verantwortung des Ministers für Gesundheitswesen realisiert werden. Allerdingswar das heute vorgeschriebene Feststellungsverfahren in dieser Ordnung nichtenthalten.Anmerkungen:1 Zeittafel zur Militärgeschichte <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik, 1949 bis1988, Militärverlag <strong>der</strong> DDR, Berlin 1989, S, 1912 Unser Staat. DDR - Zeittafel 1949-1988, Dietz Verlag, Berlin 1989, S. 1103 Neues Deutschland, Berlin, 25. Januar 19624 Vgl. Bundesarchiv/Militärarchiv (BA/MA), VA-01/22663, Bl. 135 Vgl. Ebenda, Bl. 156 Vgl. BA/MA, VA-01/17778, Bl. 1297 Vgl. Ebenda, Bl. 1658 Vgl. BA/MA,VA-04/29797, Bl.1699 Vgl. BA/MA, VA-01/1778, Bl. 15610 Vgl. Ebenda, Bl. 4 ff; Bl. 86


11 BA/MA, VA-01/17778, Bl 17112 Vgl. BA/MA, AZN 16442, Bl. 613 Vgl. Ebenda; AZN 24274, Bl.275F und 285 f14 Vgl. Uwe Koch, Die Baueinheiten <strong>der</strong> Nationalen Volksarmee <strong>der</strong> DDR – Einrichtung,Entwicklung und Bedeutung. In: Enquete-Kommission "Aufarbeitungvon Geschichte und Folgen <strong>der</strong> SED-Diktatur, Band II/3, Baden-Baden,Nomos-Verlag 1995, S. 184415 Vgl. BA/MA, VA-01/26567, Bl. 4 ff.16 Vgl. Bekanntmachung über den <strong>Dienst</strong>, <strong>der</strong> Ableistung des Wehrdienstesentspricht. Gesetzblatt <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik, 2. April1982, Teil I/Nr.1217 Vgl. BAMA, VA-01/26567, Bl. 618 Vgl. BA/MA, VA-01/22663, Bl.1ff, Bl 6, Bl.9ff19 Vgl. BA/MA, Va-01/22657, Bl.3

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