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Oberst a. D. Prof. Dr. sc. Wilfried Hanisch Die NVA ... - aggi-info.de

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<strong>Oberst</strong> a. D. <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>sc</strong>. <strong>Wilfried</strong> Hani<strong>sc</strong>h<strong>Die</strong> <strong>NVA</strong> während <strong>de</strong>r zugespitzten Krise in <strong>de</strong>r DDR im Herbst 1989. Wen<strong>de</strong>,Vereinigungsprozeß und Rolle <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>(Vortrag beim wissen<strong>sc</strong>haftlichen Seminar „<strong>Die</strong> Nationale Volksarmee im KaltenKrieg“ <strong>de</strong>r Karl-Theodor-Molinari-Stiftung am 13.-15. Juni 1994)Um zu verhin<strong>de</strong>rn, daß die Formulierung meines Themas Erwartungen weckt, <strong>de</strong>nenich beim besten Willen nicht gerecht wer<strong>de</strong>n kann, muß ich zwei Bemerkungenvoran<strong>sc</strong>hicken:1. Da <strong>de</strong>r unmittelbare Gegenstand unseres Seminars das Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> inKrisen- und Konfliktsituationen betrifft, be<strong>sc</strong>hränkte sich mein Thema zunächstauf <strong>de</strong>n ersten Teil - die Krise im Herbst 1989. Da jener Zeit tiefe Umbrüchenachfolgten - nicht nur in <strong>de</strong>r Gesell<strong>sc</strong>haft <strong>sc</strong>hlechthin, son<strong>de</strong>rn auch in <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>bis hin zu ihrem En<strong>de</strong>, konnten und wollten wir das nicht im Raum stehen lassen.Das Thema wur<strong>de</strong> erweitert, natürlich mit <strong>de</strong>r kaum erfüllbaren Konsequenz, nochweiter zu straffen.2. Da es sich um <strong>de</strong>n allerjüngsten Ge<strong>sc</strong>hichtsab<strong>sc</strong>hnitt han<strong>de</strong>lt - also um eigentlichnoch gar nicht so vollständig „geronnene Politik'“, ist <strong>de</strong>r Zugang zu soli<strong>de</strong>nQuellen oft noch kompliziert o<strong>de</strong>r gar nicht möglich, ist die Arbeit zur sachlichenErfor<strong>sc</strong>hung noch arg am Anfang und sind sichere Wertungen auf einer solchenAusgangsbasis kaum möglich - es sei <strong>de</strong>nn, man arbeitet wie jene auch im Archivangetroffenen Herren - zumeist Journalisten - die lediglich Fakten für vorher<strong>sc</strong>hon längst feststehen<strong>de</strong> Wertungen suchten.Ich muß also um Nachsicht bitten. Themati<strong>sc</strong>h will ich mich knapp auf drei Problemkreisekonzentrieren:Erstens auf die Haltung <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> in <strong>de</strong>r genannten Krise im Herbst 1989,zweitens - und ab hier notgedrungen kürzer - auf Inhalt und Ergebnisse <strong>de</strong>r begonnenenMilitärreform unddrittens auf die Rolle <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> im <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>hen Vereinigungsprozeß.Zum ersten Problem.Beson<strong>de</strong>rs das Verhalten <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> in <strong>de</strong>r zugespitzten gesell<strong>sc</strong>haftspoliti<strong>sc</strong>hen Kriseim Herbst 1989 wird bis heute sehr konträr beurteilt. Auch histori<strong>sc</strong>h betrachtet er<strong>sc</strong>heintes als bemerkenswertes Phänomen: In Existenzkrisen befindliche Staatenhaben in <strong>de</strong>r Regel alle verfügbaren Mittel, auch Repressionsmittel als Ultima ratiound bis zur letzten Konsequenz eingesetzt, wenn es für <strong>de</strong>n Machterhalt erfor<strong>de</strong>rlich<strong>sc</strong>hien. Warum ge<strong>sc</strong>hah es diesmal nicht? Zwar sind in <strong>de</strong>r zugespitzten Krisensituationim Herbst 1989 bis zu 183 Hun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften aus Teilen <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> und <strong>de</strong>r Grenztruppenals nichtstrukturmäßige Einheiten zur Unterstützung <strong>de</strong>r Ordnungs- undSicherungskräfte gebil<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n, aber sie kamen kaum zum Einsatz und vor allenDingen, es fiel kein einziger Schuß.Insbeson<strong>de</strong>re ehemalige Angehörige <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> begrün<strong>de</strong>n dieses Verhalten mit ihremSelbstverständnis als Volksarmee. das ihnen auch <strong>de</strong>r letzte Verteidigungs- un<strong>de</strong>rste Abrüstungsminister <strong>de</strong>r DDR, Rainer Eppelmann, ausdrücklich be<strong>sc</strong>heinigthabe. In <strong>de</strong>ssen für die Frühjahrsentlassungen 1990 herausgegebenem und vor angetretenerTruppe zu verlesen<strong>de</strong>m Schreiben hatte es geheißen: „Ich glaube. esgehört zum Wertvollsten <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r DDR, daß sie friedlich vollzogen wur<strong>de</strong>.<strong>Die</strong> Armee blieb inmitten <strong>de</strong>s Volkes und an seiner Seite. Selbst in <strong>de</strong>n kriti<strong>sc</strong>hsten


Situationen <strong>de</strong>s vergangenen Herbstes hat sie diesen Platz nicht verlassen, sie istihrem Namen 'Volksarmee' treu geblieben." (1)Im Gegensatz dazu steht das Urteil eines altbun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>hen Militärhistorikers, daßdie <strong>NVA</strong> fakti<strong>sc</strong>h <strong>sc</strong>hon seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 70er Jahre nicht mehr einsatzfähig gewesensei. In einer Analyse <strong>sc</strong>hätzt er ein, „daß seit 1980 etwa 70 Prozent <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>-Soldaten<strong>de</strong>m von <strong>de</strong>r Armeeführung vorgegebenen politi<strong>sc</strong>hen und militäri<strong>sc</strong>hen Kursgleichgültig und indifferent gegenüberstan<strong>de</strong>n“. (2)Es bleibt offen, worauf sich diese Ein<strong>sc</strong>hätzung stützt. Sie wird we<strong>de</strong>r belegt durchjetzt zugängliche, damals streng geheime Ergebnisse periodi<strong>sc</strong>her soziologi<strong>sc</strong>herUntersuchungen, noch durch heutige Analysen <strong>de</strong>s damaligen militäri<strong>sc</strong>hen Alltags,<strong>de</strong>r bis 1989 im wesentlichen normal im Rahmen <strong>de</strong>r Planungen <strong>de</strong>r VereintenStreitkräfte <strong>de</strong>r Staaten <strong>de</strong>s War<strong>sc</strong>hauer Vertrages verlief. In Wirklichkeit befand sichm. E. die <strong>NVA</strong> in jener Zeit in einer Art Umbruchsituation. Es wirkte eine Reihe vonzum Teil <strong>sc</strong>hon tiefgreifen<strong>de</strong>n, aber auch von erst anfänglichen Prozessen, die offensichtlichmit aus<strong>sc</strong>hlaggebend wur<strong>de</strong>n für das Verhalten <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> im Herbst 1989 unddanach. Sie entwickelten sich nach meiner Auffassung vor allem im Zusammenhangmit folgen<strong>de</strong>n Problemen und Ereignissen:An erster Stelle muß man wohl das zunehmen<strong>de</strong> Erkennen <strong>de</strong>r Sinnkrise <strong>de</strong>s Soldatseinsim Nuklearzeitalter und <strong>de</strong>n Versuch eines Auswegs auf <strong>de</strong>r Grundlage einerneuen Militärdoktrin nennen. Da hierzu ein spezieller Beitrag folgt, (3) kann ich michsehr kurz fassen. Be<strong>sc</strong>häftigten sich mit diesem Problem bis zur ersten Hälfte <strong>de</strong>r80er Jahre in <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> zunächst vor allem Offiziere an militäraka<strong>de</strong>mi<strong>sc</strong>hen Lehreinrichtungenund in höheren Führungsstellen, so wur<strong>de</strong> es mit <strong>de</strong>n 1987 be<strong>sc</strong>hlossenenGrundsätzen einer betont <strong>de</strong>fensiven Militärdoktrin bei allen Wi<strong>de</strong>rsprüchenzunehmend zu einer prakti<strong>sc</strong>hen militäri<strong>sc</strong>hen Frage und mit <strong>de</strong>r auf dieserGrundlage vom Nationalen Verteidigungsrat <strong>de</strong>r DDR im Januar 1989 be<strong>sc</strong>hlossenenAuflösung von 6 Panzerregimentern und einem Jagdfliegerge<strong>sc</strong>hwa<strong>de</strong>r <strong>sc</strong>hließlichsogar zu einem Problem <strong>de</strong>r persönlichen beruflichen Perspektive für nicht Wenige.Noch be<strong>de</strong>utsamer waren aber offensichtlich die damit verbun<strong>de</strong>nen inhaltlichenFragen, vor allem hinsichtlich <strong>de</strong>s Abbaus bisheriger stereotyper Feindbil<strong>de</strong>r. Trotzaller gegenteiligen Bemühungen von Hardlinern auf allen Führungsstufen bewirktenDiskussionen und prakti<strong>sc</strong>he Maßnahmen im fort<strong>sc</strong>hreiten<strong>de</strong>n politi<strong>sc</strong>hen Entspannungsprozeß,wie Austau<strong>sc</strong>h von Manöverbeobachtern und an<strong>de</strong>re vertrauensbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>Maßnahmen, <strong>sc</strong>hon tiefe Ein<strong>sc</strong>hnitte in früher unüberbrückbare Dogmen <strong>de</strong>räußeren Sicherheit bei einem Großteil <strong>de</strong>r Soldaten. Das war offensichtlich einewichtige Erfahrung und unverzichtbare Grundlage für die spätere Bereit<strong>sc</strong>haft undFähigkeit zum Um<strong>de</strong>nken auch auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r inneren Sicherheit.In die gleiche Richtung wirkte - und das sei an zweiter Stelle kurz genannt - <strong>de</strong>rbefehlgemäß langfristige Einsatz einer immer größeren Anzahl von Soldaten in <strong>de</strong>rVolkswirt<strong>sc</strong>haft als Arbeitskräfte - laut Ministerbefehl sollten 1989 insgesamt 10000Armeeangehörige und Grenzsoldaten ständig, d.h. ganzjährig, in ausgewähltenIndustriebetrieben zur Lösung von Schwerpunktaufgaben arbeiten (am 10.Juli 1989waren es dann aber tatsächlich <strong>sc</strong>hon über 12000). (4) Obwohl die Quellen belegen,daß die große Masse <strong>de</strong>r Soldaten auch bei diesem, im Vergleich zu früherenbefristeten Ernte- und Katastropheneinsätzen ungewöhnlichen Auftrag sehr fleißigarbeitete, mußte er hinsichtlich <strong>de</strong>s eigentlichen militäri<strong>sc</strong>hen Auftrags zugleichäußerst <strong>de</strong>motivierend wirken. Schließlich hatte man unter diesen Bedingungen dieHälfte <strong>de</strong>r Mot.-Schützenregimenter aus <strong>de</strong>m ständigen System <strong>de</strong>r Gefechtsbereit<strong>sc</strong>haftherausnehmen müssen, je Division befan<strong>de</strong>n sich durch<strong>sc</strong>hnittlich jeweils


zwi<strong>sc</strong>hen 1100 und 1800 Armeeangehörige im Arbeitseinsatz. <strong>Die</strong> sofortige Verfügbarkeit<strong>de</strong>r 7.Panzerdivision betrug beispielsweise bei einer Überprüfung im April1989 lediglich 60 Prozent. Auch die sonst für unabdingbar erklärte volle militäri<strong>sc</strong>heAusbildung war fakti<strong>sc</strong>h unmöglich gewor<strong>de</strong>n.<strong>Die</strong> ab 1.Mai 1989 begonnene Schaffung spezieller Arbeitseinheiten (an die Stelle<strong>de</strong>r aufgelösten Panzerregimenter traten sog. Ausbildungsbasen, aus <strong>de</strong>nen dieWehrpflichtigen nach 6 bzw. 12 Wochen militäri<strong>sc</strong>her Ausbildung in die Einsatzbetriebegingen) konnte zwar noch etwas die genannten Auswirkungen auf dieGefechtsbereit<strong>sc</strong>haft mil<strong>de</strong>rn, än<strong>de</strong>rte jedoch nichts Wesentliches daran, daß auchdurch diese langfristigen Arbeitseinsätze Zweifel an <strong>de</strong>r Notwendigkeit <strong>de</strong>rVerteidigungsanstrengungen geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>n und zu<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Unmut über diese Artvon Verwendung zunehmend wuchs. „Wäre ich dort geblieben, wo ich war, hätte ich<strong>de</strong>r Volkswirt<strong>sc</strong>haft Nutzen gebracht und min<strong>de</strong>stens 1 000,- Mark verdient" war einenicht mehr seltene Haltung. (5)<strong>Dr</strong>ittens möchte ich betonen. daß ent<strong>sc</strong>hei<strong>de</strong>nd für das <strong>sc</strong>hließlich ra<strong>sc</strong>he Zusammenbrechen<strong>de</strong>s Vertrauens in die damalige politi<strong>sc</strong>he Führung offensichtlich dann<strong>de</strong>ren Sprachlosigkeit und Ignoranz gegenüber <strong>de</strong>r ab Sommer 1989 wachsen<strong>de</strong>nAusreisewelle von Jugendlichen und an<strong>de</strong>ren Bürgern wur<strong>de</strong>. Schon seitGorbat<strong>sc</strong>hows Glasnost und Perestroika waren auch in <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> die kriti<strong>sc</strong>henStimmen gegen die unrealisti<strong>sc</strong>he Erfolgspropaganda in <strong>de</strong>r DDR und gegen dieBehauptung gewachsen, daß die DDR solche Reformpolitik nicht nötig, son<strong>de</strong>rnlängst vollzogen habe. Ein wirklich qualitativer Um<strong>sc</strong>hwung in <strong>de</strong>r Truppe vollzogsich dann aber tatsächlich erst ab Mitte 1989, wie die Analysen von Stimmungs- undMeinungsbil<strong>de</strong>rn und von beson<strong>de</strong>ren Vorkommnissen mit einer verblüffen<strong>de</strong>nDeutlichkeit belegen. Als Beispiel seien hier die Fahnenfluchten angeführt: Vom1.Juni 1988 bis zum 31. Mai 1989 stieg die Anzahl <strong>de</strong>r Fahnenfluchten bei <strong>NVA</strong> undGrenztruppen insgesamt gegenüber <strong>de</strong>m gleichen Zeitraum <strong>de</strong>s Vorjahrs von 46 auf55, also um neun. Allein in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n drei Monaten - genau vom 1. Juni bis7.September 1989 - kamen 39 Fahnenfluchten hinzu (6) (übrigens gingen in <strong>de</strong>rgleichen Zeit auf fast allen an<strong>de</strong>ren Gebieten im Vergleich zum Vorjahr die beson<strong>de</strong>renVorkommnisse zurück - man darf also auch hier nicht vereinfachen, es warkeine allgemeine Auflösung <strong>de</strong>r Disziplin).Es funktionierte auch nicht mehr wie in früheren Jahren die Disziplinierung über <strong>de</strong>nParteiweg, obwohl man von oben auf eine harte Linie drängte. So wur<strong>de</strong>n vomDezember 1988 bis September 1989 innerhalb <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> 1466 Parteimitglie<strong>de</strong>r undKandidaten gestrichen bzw. ausge<strong>sc</strong>hlossen o<strong>de</strong>r traten selbst aus, wobei <strong>de</strong>rBericht vermerkt, daß „insbeson<strong>de</strong>re seit <strong>de</strong>m 01.07.89 eine steigen<strong>de</strong> Anzahl zuverzeichnen“ war.Wie <strong>de</strong>nnoch damit nicht mehr die Rebellion in <strong>de</strong>n eigenen Reihen unterdrücktwer<strong>de</strong>n konnte und <strong>sc</strong>hließlich auch <strong>de</strong>r Umgang damit geän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n mußte.wi<strong>de</strong>rspiegelt sich beispielsweise <strong>de</strong>utlich selbst in <strong>de</strong>n nach oben gemel<strong>de</strong>ten und<strong>de</strong>shalb in <strong>de</strong>r Regel sehr „abgewogen“ formulierten „aktuellen Stimmungs- undMeinungsbil<strong>de</strong>rn" <strong>de</strong>r Politi<strong>sc</strong>hen Verwaltung <strong>de</strong>r Landstreitkräfte: Hatte diese imJanuarbericht von 1989 kriti<strong>sc</strong>he Meinungen fast aus<strong>sc</strong>hließlich noch als Ergebnis<strong>de</strong>r „i<strong>de</strong>ologi<strong>sc</strong>hen Diversion <strong>de</strong>s Gegners" abgetan, so lautete es im Bericht vonEn<strong>de</strong> September 1989 völlig an<strong>de</strong>rs: „<strong>Die</strong> Mitglie<strong>de</strong>r und Kandidaten verstehen. daßes Schwierigkeiten und Probleme in unserer Entwicklung gibt. Sie verstehen jedochnicht, daß die dafür bestimmen<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong> nicht vor <strong>de</strong>m Volk genannt wer<strong>de</strong>n....Unmut wird darüber geäußert, daß in unseren Medien nur Erfolge gemel<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n,aber im Han<strong>de</strong>l davon nichts spürbar sei.“ Und zum nunmehr massenhaften Verfas-


sen <strong>de</strong>r DDR wur<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>rgegeben: „Man sollte diese Frage nicht nur auf diei<strong>de</strong>ologi<strong>sc</strong>he Diversion o<strong>de</strong>r das Wirken <strong>de</strong>s Westfernsehens reduzieren, son<strong>de</strong>rnGrün<strong>de</strong> auch bei uns suchen...“Im Gegensatz zu solchen Erwartungen <strong>de</strong>r Soldaten blieb jedoch neben <strong>de</strong>r ParteiundStaatsführung auch die damalige Armeeführung beim Kurs <strong>de</strong>s Ignorierens vonRealitäten, wovon beson<strong>de</strong>rs das Referat <strong>de</strong>s seinerzeitigen Verteidigungsministersauf <strong>de</strong>r Komman<strong>de</strong>urstagung zur Auswertung <strong>de</strong>s Ausbildungsjahres gegen En<strong>de</strong>September 1989 sowie Re<strong>de</strong>n und Befehle zum 7.Oktober 89 zeugten.Ich halte diese - hier natürlich nur ange<strong>de</strong>utete - Analyse <strong>de</strong>s Denkens und Han<strong>de</strong>lnsvon Armeeangehörigen am Vorabend <strong>de</strong>r ereignisreichen Herbsttage - und auch ihrweiteres Vertiefen – für unverzichtbar, um zu einem möglichst realisti<strong>sc</strong>henEin<strong>sc</strong>hätzen <strong>de</strong>r Beweggrün<strong>de</strong> für das nachfolgen<strong>de</strong> Verhalten zu kommen. BegonnenesUm<strong>de</strong>nken im äußeren Sicherheits<strong>de</strong>nken und beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Vertrauensverlustgegenüber <strong>de</strong>r obersten politi<strong>sc</strong>hen und militäri<strong>sc</strong>hen Führung bei prinzipiellemFesthalten <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r Armeeangehörigen an Sozialismus und DDRwaren offensichtlich wichtige Ausgangsgrößen für <strong>de</strong>ren Han<strong>de</strong>ln im Herbst 1989.<strong>Die</strong> Ursache <strong>de</strong>r sich zuspitzen<strong>de</strong>n Krise wur<strong>de</strong> dabei in <strong>de</strong>r Armee wie überwiegendgenerell in <strong>de</strong>r DDR in <strong>de</strong>r Unfähigkeit <strong>de</strong>r vergreisten Führung gesehen und dieHoffnung auf einen baldigen Führungswechsel gerichtet, über <strong>de</strong>n eine Reformierung<strong>de</strong>r Gesell<strong>sc</strong>haft für notwendig und möglich gehalten wur<strong>de</strong> - sicher mit sehrunter<strong>sc</strong>hiedlichen Vorstellungen über <strong>de</strong>ren Inhalt.Wohl für alle völlig unerwartet traten aber innerhalb weniger Tage Ereignisse ein, diedie <strong>NVA</strong> unvermittelt in die größte Herausfor<strong>de</strong>rung ihrer gesamten Ge<strong>sc</strong>hichtestellten. Ich muß Sie dabei um Verständnis bitten, daß ich we<strong>de</strong>r die gesell<strong>sc</strong>haftlichenGesamtprozesse noch die dramati<strong>sc</strong>hen Ereignisabläufe in einigen Städtenauch nur annähernd umfassend betrachten kann, son<strong>de</strong>rn mich auf einige unmittelbardie <strong>NVA</strong> betreffen<strong>de</strong> Probleme konzentrieren muß.Zunächst einige Bemerkungen zur Vorbereitung <strong>de</strong>s Einsatzes von Kräften <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>am Vorabend <strong>de</strong>s 40.Jahrestages <strong>de</strong>r DDR.An sich war es zunächst nicht außergewöhnlich. daß anläßlich politi<strong>sc</strong>her Feier- undJahrestage nicht nur für die Grenztruppen. son<strong>de</strong>rn auch für bestimmte Teile <strong>de</strong>r<strong>NVA</strong> Maßnahmen zur erhöhten Gefechtsbereit<strong>sc</strong>haft befohlen wur<strong>de</strong>n. Das entsprach<strong>de</strong>r damaligen, aus heutiger Sicht weit überzogenen Sicherheitsdoktrin, dieu.a. davon ausging, daß <strong>de</strong>r „Gegner“ solche Zeiten bevorzugt zu Provokationeno<strong>de</strong>r gar zur Ausnutzung <strong>de</strong>s Überra<strong>sc</strong>hungsmomentes mißbrauchen könnte. (Heutewissen wir, daß dieser, wenn solch ein Tag auf das Wochenen<strong>de</strong> fiel. nur zu 10 %präsent war.) Noch nicht voll zu beantworten ist die Frage, was seinerzeit üblichenRegelungen entsprach und wo in Vorbereitung <strong>de</strong>s 7.Oktober 1989 die Beson<strong>de</strong>rheitenbegannen.Offensichtlich war es <strong>sc</strong>hon ein Novum, daß <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s NationalenVerteidigungsrates selbst Sicherheitsmaßnahmen zum Jahrestag anordnete „ZurGewährleistung <strong>de</strong>r Sicherheit und Ordnung“ und „zur Verhin<strong>de</strong>rung von Provokationenunter<strong>sc</strong>hiedlicher Art bei <strong>de</strong>r Vorbereitung und Durchführung <strong>de</strong>r Veranstaltungenanläßlich <strong>de</strong>r Feierlichkeiten zum 40.Jahrestag <strong>de</strong>r Deut<strong>sc</strong>hen Demokrati<strong>sc</strong>henRepublik'“ befiehlt er am 26.September 1989, daß die Bezirks-- und Kreiseinsatzleitungen(bekanntlich waren das die territorialen Organe in <strong>de</strong>r DDR zurVorbereitung auf <strong>de</strong>n Verteidigungszustand und zur Gewährleistung wesentlicherAufgaben unter solchen Bedingungen „auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s Statuts <strong>de</strong>r Einsatz-


leitungen... mit sofortiger Wirkung die Führungsbereit<strong>sc</strong>haft in ihren stationärenObjekten herzustellen“ haben. (7)<strong>Die</strong>se Festlegungen betrafen nicht die <strong>NVA</strong> als solche, aber - wie ein gemeinsamerUntersuchungsbericht von Armeeangehörigen und Vertretern von Bürgerkomiteesaus <strong>de</strong>m Jahre 1990 feststellte - erfolgte im Rahmen dieser allgemeinen Vorbereitungenauch „die Planung von Teilkräften <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> für einen eventuellen Polizeieinsatzzur Unterstützung <strong>de</strong>r Ordnungs- und Sicherungskräfte <strong>de</strong>r DDR“ (8)Konkret ge<strong>sc</strong>hah dies durch <strong>de</strong>n Befehl Nr. 105/89 <strong>de</strong>s Ministers für NationaleVerteidigung vom 27. September 1989,aber im Unter<strong>sc</strong>hied zur Aussage in <strong>de</strong>mgenannten Untersuchungsbericht noch nicht bis hin zur Festlegung <strong>de</strong>r „organisatori<strong>sc</strong>henGrundlagen" in Form <strong>de</strong>r <strong>sc</strong>hon erwähnten nichtstrukturmüßigenHun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften. Vielmehr ordnete er Vorbereitungen für einen möglichen Übergangzu einer höheren Stufe <strong>de</strong>r Gefechtsbereit<strong>sc</strong>haft und bei <strong>de</strong>r Festlegung vonSicherheitsmaßnahmen für die <strong>NVA</strong> vom 6. bis 9.10.89 die erhöhte Gefechtsbereit<strong>sc</strong>haftvon konkret benannten Struktureinheiten (wie ein Mot.-Schützenbataillonim Standort Stahnsdorf, eine Fall<strong>sc</strong>hirmjägerkompanie im Standort Lehnin, eineHub<strong>sc</strong>hrauberstaffel auf <strong>de</strong>m Flugplatz Bran<strong>de</strong>nburg/Briest) für diesen Zeitraum an -also aus<strong>sc</strong>hließlich aus <strong>de</strong>r Umgebung Berlins - d.h. <strong>sc</strong>heinbar eine übliche „Sicherheitsperio<strong>de</strong>".Völlig neu hieß es dann aber in Richtung auf <strong>de</strong>n späteren tatsächlichen Einsatz:„<strong>Die</strong> Bereitstellung <strong>de</strong>r Reserven hat mit <strong>de</strong>m Ziel zu erfolgen, im Zusammenwirkenmit <strong>de</strong>n Kräften <strong>de</strong>s Ministeriums für Staatssicherheit und <strong>de</strong>s Ministeriums <strong>de</strong>sInnern je<strong>de</strong>rzeit zuverlässig Aufgaben zur Gewährleistung <strong>de</strong>r gesamtstaatlichenSicherheit, <strong>de</strong>r öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie einer stabilen politi<strong>sc</strong>henLage in <strong>de</strong>r Hauptstadt <strong>de</strong>r DDR, BERLIN, erfüllen zu können.“ (9) Der über üblichemilitäri<strong>sc</strong>he Aufgaben hinausgehen<strong>de</strong> mögliche Einsatz war also ein<strong>de</strong>utig benannt.aber ohne Erwähnung beson<strong>de</strong>rer Strukturen und unter ausdrücklichem Bezug nurauf Berlin als möglichen Einsatzort, sowie mit Einsatzvorbehalt durch <strong>de</strong>n Minister.Schon die Vorbereitung von Teilkräften <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> für einen eventuellen Polizeieinsatzwirft eine Reihe von Fragen auf. Sie beginnen bereits mit <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r gesetzlichenGrundlage dafür. <strong>Die</strong> gültige Verfassung <strong>de</strong>finierte die Aufgaben <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> ein<strong>de</strong>utigauf <strong>de</strong>n Schutz „gegen alle Angriffe von außen“. <strong>Die</strong> Untersuchungen bestätigten,daß die <strong>NVA</strong> <strong>sc</strong>hon seit vielen Jahren nicht mehr für irgen<strong>de</strong>inen Einsatz im Innernvorgesehen war, ein letztes Dokument dafür datierte aus <strong>de</strong>m Jahre 1966. Zeitzeugenbekräftigten, daß man bei <strong>de</strong>r Abfassung <strong>de</strong>s Verteidigungsgesetzes von1978 bewußt darauf verzichtet habe. einen möglichen inneren Einsatz analog wie fürdie Bun<strong>de</strong>swehr durch die Notstandsgesetzgebung vorzusehen. da man das angesichts<strong>de</strong>r angenommenen Stabilität <strong>de</strong>r DDR für überflüssig hielt. Es gab <strong>de</strong>shalbfür solche Fälle we<strong>de</strong>r <strong>sc</strong>hon vorliegen<strong>de</strong> Planungen noch an<strong>de</strong>re Vorbereitungen.Rechtliche Grundlage sei daher 1989 ein „übergesetzlicher Notstand' gewesen, <strong>de</strong>reingetreten war.Offen bleibt auch noch, wann, wo, durch wen und mit welcher Argumentation solchefür Armeen zumeist untypi<strong>sc</strong>hen Planungen bezüglich nichtstrukturmäßiger Hun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haftenberaten und ent<strong>sc</strong>hie<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n. Glaubwürdig er<strong>sc</strong>heint. daß man aufArmeekräfte als zusätzliche Sicherheitsreserve zurückgreifen wollte, ohne dieunkalkulierbaren Risiken einzugehen, die ein Armeeeinsatz mit Kampftechnik stetsim Innern mit sich bringe. Schließlich waren die Vorgänge auf <strong>de</strong>m Pekinger „Platz<strong>de</strong>s Himmli<strong>sc</strong>hen Frie<strong>de</strong>ns“ noch in aller Gedächtnis - nicht nur unten.


Bekanntlich erfolgte <strong>de</strong>r erste Einsatz von Armeehun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften noch vor <strong>de</strong>mfestgelegten Sicherheitszeitraum und nicht in Berlin. son<strong>de</strong>rn in <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong> Ursachedafür ergab sich aus <strong>de</strong>r aus reinem Prestige<strong>de</strong>nken entstan<strong>de</strong>nen FestlegungE. Honeckers, daß die Züge mit <strong>de</strong>n Bot<strong>sc</strong>haftsflüchtlingen aus Prag über DDR-Territorium zu fahren hätten, damit die Ausreisen<strong>de</strong>n auf diesem Wege Ausreisevisa<strong>de</strong>r DDR erhalten könnten. Das sollte vor aller Welt <strong>de</strong>monstrieren, die Ausreisegenehmigungsei eine Ent<strong>sc</strong>heidung <strong>de</strong>r DDR und nicht an<strong>de</strong>rer Staaten. Angesichts<strong>de</strong>r damals aufs äußerste zugespitzten und über die Medien genügend bekanntenAusreisewelle war damit eigentlich eine Katastrophe vorprogrammiert. Um trotz allergebotenen Kürze die <strong>de</strong>m zugrun<strong>de</strong>liegen<strong>de</strong>n gesell<strong>sc</strong>haftlichen Prozesse zumin<strong>de</strong>stanzu<strong>de</strong>uten. sei dazu kurz <strong>de</strong>r <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>ner Superinten<strong>de</strong>nt Ziemer zitiert:„In <strong>de</strong>n Sommermonaten kommt es zu einem sprunghaften Anstieg <strong>de</strong>r Ausreisezahlen,beson<strong>de</strong>rs nach <strong>de</strong>r Öffnung <strong>de</strong>r Grenzen durch die ungari<strong>sc</strong>he Regierung.<strong>Die</strong> massenhafte Ent<strong>sc</strong>heidung zur Ausreise führt auch bei <strong>de</strong>nen, die bleibenwollen, zu größerem Selbstbewusstsein, die Unzufrie<strong>de</strong>nheit wird lauter und freierartikuliert. Im Spätsommer konstituieren sich neue Bürgerbewegungen und Parteien.die eine Reform und Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Systems einklagen. Das Verbot <strong>de</strong>s NEUENFORUM führt zu einer breiten Solidarisierung in <strong>de</strong>r Bevölkerung. Künstler mel<strong>de</strong>nsich zu Wort In <strong>de</strong>n Kirchen. die seit Jahren immer wie<strong>de</strong>r die notwendigengesell<strong>sc</strong>haftlichen Verän<strong>de</strong>rungen öffentlich gemacht haben, beherr<strong>sc</strong>ht die politi<strong>sc</strong>heSituation alle Gespräche. Der bevorstehen<strong>de</strong> vierzigste Jahrestag treibt<strong>sc</strong>hließlich <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rspruch zwi<strong>sc</strong>hen <strong>de</strong>r reformunwilligen Führung und <strong>de</strong>m Volkauf ein unerträgliches Maß. <strong>Die</strong> Schließung <strong>de</strong>r Grenzen zur CSSR ist dann <strong>de</strong>rberühmte Tropfen, <strong>de</strong>r das Faß zum Überlaufen bringt.“ (10)Zurück zur konkreten histori<strong>sc</strong>hen Entwicklung: In <strong>de</strong>r Nacht vom 30.September zum1.Oktober 1989 hatten sechs Reisezüge mit Ausreisewilligen aus Prag <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>npassiert, das sprach sich natürlich herum. Vor allem Jugendliche aus <strong>de</strong>m Sü<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rDDR begannen eine regelrechte Belagerung <strong>de</strong>s <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>ner Hauptbahnhofs. Am 3.Oktober erhielt man nun auch dort die erwähnte Mitteilung über „die zeitweiligeAussetzung <strong>de</strong>s Reiseverkehrs mit <strong>de</strong>r CSSR", nach<strong>de</strong>m die Stimmung ohnehin dort<strong>sc</strong>hon <strong>info</strong>lge ausbleiben<strong>de</strong>r erwarteter Reisezüge sehr gereizt war. Es kam zu <strong>de</strong>naus <strong>de</strong>n Medien bekannten Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen zwi<strong>sc</strong>hen Bürgern und Sicherheitskräften,die bis dahin in solchen Ausmaßen in <strong>de</strong>r DDR unbekannt waren.<strong>Die</strong> Eskalation von Gewalt und Gegengewalt am 3. Oktober und vor allem am Abend<strong>de</strong>s 4. Oktober 1989 in <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n, bei <strong>de</strong>r es viele verletzte Bürger und Polizeiangehörigegegeben hatte und bei <strong>de</strong>r große Teile <strong>de</strong>s Bahnhofs und seinesVorgelän<strong>de</strong>s verwüstet wor<strong>de</strong>n waren, hatte wohl unmittelbar zur Schlußfolgerunggeführt, daß die vorhan<strong>de</strong>nen Sicherheitskräfte nicht ausreichend wären. Denn nach<strong>de</strong>m bereits erwähnten Bericht <strong>de</strong>s Untersuchungsaus<strong>sc</strong>husses wur<strong>de</strong> noch am04.10.1989. gegen 22.30 Uhr „bei <strong>de</strong>r Generalprobe <strong>de</strong>r Ehrenpara<strong>de</strong> in Berlin nacheinem Telefongespräch, das nach heutiger Erkenntnis zwi<strong>sc</strong>hen Heinz Keßler undErich Mielke erfolgte, <strong>de</strong>r Einsatz von Kräften <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> in <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n befohlen". Dazuwur<strong>de</strong> das Signal „erhöhte Gefechtsbereit<strong>sc</strong>haft" für <strong>de</strong>n Militärbezirk III ausgelöstund durch befehlsgemäße Umunterstellung von Teilen <strong>de</strong>r 7. Panzerdivision unterdas Kommando <strong>de</strong>s damaligen Chefs <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie „Friedrich Engels",Generalleutnant Gehmert, „für <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n eine Gruppierung zur Unterstützung <strong>de</strong>rVolkspolizei ge<strong>sc</strong>haffen. Zu dieser gehörten außer<strong>de</strong>m Kräfte <strong>de</strong>r Offiziershoch<strong>sc</strong>hulenLöbau, Kamenz und Bautzen sowie <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie'“. (11)Aus diesem Personalbestand wur<strong>de</strong>n noch in <strong>de</strong>r Nacht vom 4. zum 5.Oktober 1989zunächst 6 und später weitere Hun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften aus an<strong>de</strong>ren Einheiten gebil<strong>de</strong>t. <strong>Die</strong>


an<strong>sc</strong>hließen<strong>de</strong>n Ge<strong>sc</strong>hehnisse wi<strong>de</strong>rspiegelt <strong>de</strong>r Untersuchungsbericht wie folgt:„Am 05.10.1989 rückten von 01.00 Uhr bis 03.00 Uhr drei und in <strong>de</strong>r Zeit von 22.00Uhr bis 06.10. 1989, 01.00 Uhr fünf Hun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften aus ihren Objekten aus. Eskam zu keinen unmittelbaren Kontakten mit <strong>de</strong>r Zivilbevölkerung. <strong>Die</strong> Waffen und dieMunition (in <strong>de</strong>r Magazinta<strong>sc</strong>he) wur<strong>de</strong>n mitgeführt. (Mit Auslösung <strong>de</strong>r erhöhtenGefechtsbereit<strong>sc</strong>haft waren je 30 Schuß Munition für MPi und 12 Schuß für Pistoleausgegeben wor<strong>de</strong>n, „nur für <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>s eigenen Lebens“, ansonsten bestandgenerelles Verbot <strong>de</strong>r Anwendung von Schußwaffen - <strong>de</strong>r Verf.)In Erkenntnis <strong>de</strong>r allein durch das Mitführen <strong>de</strong>r Waffen herbeigeführten Gefahrenwur<strong>de</strong> auf Ersuchen <strong>de</strong>r in <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n eingesetzten Generale und Offiziere am06.10.1989 gegen 10.25 Uhr durch <strong>de</strong>n Minister für Nationale Verteidigung <strong>de</strong>rVerbleib von Waffen und Munition in <strong>de</strong>n Objekten befohlen und gleichzeitig mit <strong>de</strong>rZuführung von Schlagstöcken zu <strong>de</strong>n Einheiten begonnen.Gegen 21.00 Uhr am 06.10.1989 verließen 5 Hun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften mit <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>rAbsperrung am Hauptbahnhof ihre Objekte. Eine dieser Hun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften wur<strong>de</strong>gemeinsam mit <strong>de</strong>r Volkspolizei zum Freimachen zweier VP-Fahrzeuge als Räumketteeingesetzt. <strong>Die</strong> Soldaten wur<strong>de</strong>n mit Steinen und an<strong>de</strong>ren Gegenstän<strong>de</strong>nbeworfen und be<strong>sc</strong>himpft. <strong>Die</strong> Gummiknüppel kamen gegen die zurückweichen<strong>de</strong>Menge nicht zum Einsatz. Zwei Soldaten wur<strong>de</strong>n durch Steinwürfe verletzt.Aus dieser Hun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haft wur<strong>de</strong>n später zwanzig Angehörige <strong>de</strong>s Fernaufklärungszugesherausgelöst, um unter Leitung ihres Zugführers auf Weisung eines VP-Offiziers 4 bis 5 Personen, die von <strong>de</strong>r Polizei bezeichnet wur<strong>de</strong>n, aus <strong>de</strong>r Menge zugreifen und hinter die Sperrkette <strong>de</strong>r VP zu bringen.<strong>Die</strong>ser Einsatz en<strong>de</strong>te für zwei <strong>de</strong>r Hun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften nach 3 und für drei nach 5 1/2Stun<strong>de</strong>n.“<strong>Die</strong>se faktenmäßige Rekapitulation <strong>de</strong>r Ereignisse durch <strong>de</strong>n Untersuchungsberichtsagt also aus, daß es in <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Tat. zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>n Abend- und Nachtstun<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s 6.Oktober 1989 bis zur unmittelbaren Konfrontation zwi<strong>sc</strong>hen <strong>NVA</strong>-Angehörigen und Demonstranten kam, erfreulicherweise ohne Opfer. Sie besagtaber nichts über das Selbstverständnis <strong>de</strong>r Eingesetzten. Hierzu sind vor allem nochweitere sachliche Äußerungen von solchen Armeeangehörigen notwendig, diebefehlsgemäß in Hun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften eingeglie<strong>de</strong>rt und später dann auch eingesetztwur<strong>de</strong>n. Bei aller sicher vorhan<strong>de</strong>nen Differenzierung, trifft wohl für einen großenTeil das zu, was <strong>Dr</strong>. Raimund Kokott aussagte, <strong>de</strong>r als Generalmajor <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> undBeauftragter <strong>de</strong>s Verteidigungsministers während jener Ereignisse in <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n zurUnterstützung von Generalleutnant Gehmert eingesetzt wor<strong>de</strong>n war. Beson<strong>de</strong>rsunter <strong>de</strong>m Eindruck <strong>de</strong>r Gewalttätigkeiten am <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>ner Hauptbahnhof gingen sieanfänglich „noch davon aus, daß es sich hier um gegen unseren Staat gerichteteaggressive Kräfte, Rowdys und Kriminelle han<strong>de</strong>le, <strong>de</strong>ren Aktivitäten unterbun<strong>de</strong>nwer<strong>de</strong>n mußten“. (12) Aus <strong>de</strong>n Erfahrungen <strong>de</strong>r nachfolgen<strong>de</strong>n Demonstrationenhätten sie dann ge<strong>sc</strong>hlußfolgert, daß es einen harten Kern von Gewalttätern gäbe,aber die absolute Mehrheit <strong>de</strong>r Demonstranten für Gewaltlosigkeit eintrete.<strong>Die</strong>se wachsen<strong>de</strong> Erkenntnis bei <strong>de</strong>n eingesetzten <strong>NVA</strong>-Angehörigen über <strong>de</strong>neigentlich bestimmen<strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>r Demonstrationen als offenes Aufbegehrenvon Bürgern für <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>he Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r DDR war zweifellosent<strong>sc</strong>hei<strong>de</strong>nd für ihr weiteres Verhalten. Bisher ist dazu bekannt, daß „eine zunächstgeringe, dann wachsen<strong>de</strong> Anzahl selbst von Unteroffizieren und Offizieren dieTeilnahme an Einsätzen zur ‚Aufrechterhaltung bzw. Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>r Ordnungund Sicherheit‘ wegen politi<strong>sc</strong>her und morali<strong>sc</strong>her Be<strong>de</strong>nken, auch aus Sorge um die


eigenen Familien (ablehnte). Soldaten und Offiziers<strong>sc</strong>hüler äußerten starke Vorbehalte,weil sie gegen Personen eingesetzt wer<strong>de</strong>n könnten, <strong>de</strong>ren For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>neigenen Wün<strong>sc</strong>hen nahekämen." (13)Dennoch muß man dieses Problem wohl sehr nüchtern betrachten, <strong>sc</strong>hließlichhan<strong>de</strong>lte es sich um Soldaten. die einem Befehlsmechanismus unterlagen. Einewirklich friedliche Lösung <strong>de</strong>r angestauten Probleme war letztlich dauerhaft nurmöglich, wenn nicht nur „unten'“, son<strong>de</strong>rn auch „oben“ ein ähnliches Um<strong>de</strong>nkenerfolgte und an die Stelle <strong>de</strong>r Konfrontation <strong>de</strong>r Dialog trat. So gesehen ist es sichernicht zu hoch gegriffen. wenn man <strong>de</strong>n 8.Oktober 1989 ab eine Art Wen<strong>de</strong>punkt <strong>de</strong>rHerbstereignisse in <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n bezeichnet. (14) Bereits während <strong>de</strong>r operativenLagebesprechung dieses Tages hatte sich <strong>Dr</strong>. Hans Modrow, <strong>de</strong>r als 1. SED-Bezirkssekretär <strong>sc</strong>hon länger dafür bekannt war, daß er prinzipielle Vorbehalte zueinigen Grundfragen <strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>r Führung hatte, offen gegen die Ein<strong>sc</strong>hätzung <strong>de</strong>rPartei- und Staatsführung ausgesprochen, daß es sich um Aktionen konterrevolutionärerKräfte han<strong>de</strong>le. Es sei vielmehr eine <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>he Bewegung zur Erneuerung<strong>de</strong>r DDR. <strong>Die</strong> Lösung <strong>de</strong>r Konflikte könne nur politi<strong>sc</strong>h erfolgen. Deshalbsollten die Sicherungskräfte diesen Prozeß durch ihre Präsenz begleiten undabsichern, aber jegliches Eingreifen vermei<strong>de</strong>n.<strong>Die</strong> prakti<strong>sc</strong>he Ent<strong>sc</strong>heidung fiel dann an diesem Tage, d.h. am 8..Oktober, während<strong>de</strong>r bis dahin größten Demonstration in <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n, die als „nichtgenehmigte“ gemäßeinem ein<strong>de</strong>utigen Fern<strong>sc</strong>hreiben E. Honeckers hätte aufgelöst wer<strong>de</strong>n müssen undsich <strong>sc</strong>hließlich in <strong>de</strong>r Prager Straße festsetzte - trotz polizeilicher Auffor<strong>de</strong>rungenwichen die Demonstranten nicht vom Platz. Zu jenem Zeitpunkt befan<strong>de</strong>n sich auch4 Hun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften <strong>de</strong>r 7. Panzerdivision im Stadtgebiet und 2 Hun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften <strong>de</strong>rMilitäraka<strong>de</strong>mie in ihrem Objekt in Bereit<strong>sc</strong>haft. In dieser angespannten Situationwandte sich gegen 21.00 Uhr ein Geistlicher aus <strong>de</strong>m Kreis <strong>de</strong>r Demonstranten,Kaplan Frank Richter, an einen Polizeioffizier mit einer Petition, die insbeson<strong>de</strong>reVerhandlungen über:- die Zulassung <strong>de</strong>s Neuen Forums,- die Freilassung Inhaftierter sowie- Reise- und Pressefreiheit for<strong>de</strong>rte.Außer<strong>de</strong>m <strong>sc</strong>hlug er vor, daß Vertreter <strong>de</strong>r Demonstranten <strong>de</strong>m Oberbürgermeisteram nächsten Tag die vollständigen For<strong>de</strong>rungen übergeben könnten und die Ergebnisse<strong>de</strong>s Gesprächs auf einer Kundgebung mitgeteilt wer<strong>de</strong>n sollten.Der Polizeioffizier wandte sich über Funk an <strong>de</strong>n Chef <strong>de</strong>r Bezirksbehör<strong>de</strong> <strong>de</strong>rPolizei. Im Ergebnis einer sofortigen Beratung mit <strong>Dr</strong>. Modrow und <strong>de</strong>m <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>nerOberbürgermeister Berghofer kam es zur Übereinstimmung. Bi<strong>sc</strong>hof Hempel undSuperinten<strong>de</strong>nt Ziemer begaben sich auf die Prager Straße, teilten die erzielte Übereinkunftmit und bewirkten die friedliche Auflösung <strong>de</strong>r Demonstration. Damit war in<strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Dialog zwi<strong>sc</strong>hen Staatsmacht und Opposition und somit <strong>de</strong>r Weg füreine politi<strong>sc</strong>he Lösung eröffnet.<strong>Die</strong>se wichtige Ent<strong>sc</strong>heidung in <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n vom 8.Oktober 1989 ist m.E. zu Unrechthinter <strong>de</strong>r vom folgen<strong>de</strong>n Tag in Leipzig im Hintergrund verblieben, zumal diesesErgebnis dorthin sofort übermittelt wur<strong>de</strong> und dann offensichtlich beim bekannten„Aufruf <strong>de</strong>r Sechs" in Leipzig mit Pate gestan<strong>de</strong>n hat. <strong>Die</strong> Demonstration <strong>de</strong>r ca.70 000 am 9. Oktober 1989 in Leipzig, von <strong>de</strong>r dann bekanntlich eine Signalwirkungfür <strong>de</strong>n gesamten weiteren Verlauf <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung zwi<strong>sc</strong>hen Staatsmachtund Opposition in <strong>de</strong>r DDR ausging, verlief friedlich, die Sicherheitskräfte griffen nicht


ein, die dort auch vorhan<strong>de</strong>nen Armee-Hun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Tagesmeldungnicht einmal erwähnt.<strong>Die</strong>se Entwicklungen und Erfahrungen waren auch insbeson<strong>de</strong>re für die an<strong>de</strong>renHun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften be<strong>de</strong>utsam, die es in größeren Städten und Garnisonsorten vorallem im Sü<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r DDR und ebenfalls in Berlin gab - aus Zeitgrün<strong>de</strong>n kann ichdarauf hier nicht näher eingehen. Wie <strong>sc</strong>hon kurz genannt, hatten in <strong>de</strong>r Zeit vom4.Oktober bis zur endgültigen Auflösung am 11..November 1989 zeitweise bis zu 183Hun<strong>de</strong>rt<strong>sc</strong>haften bestan<strong>de</strong>n. Nach <strong>de</strong>m <strong>sc</strong>hon mehrfach genannten Untersuchungsberichthaben sie in 40 Fällen ihre Stammobjekte verlassen und in 23 Fällen wur<strong>de</strong>nSperrketten zur Sicherung von Gebäu<strong>de</strong>n und Grenzzugängen gebil<strong>de</strong>t. Dabei seifestgestellt wor<strong>de</strong>n, „daß ein Einsatz <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> zur gewaltsamen Auflösung vonDemonstrationszügen nicht vorgesehen war und daß es außer in <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n keineaktiven Handlungen <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> gab". (15)Warum das so verlief, ist wohl wert, weiter untersucht zu wer<strong>de</strong>n. Ich kann nur dreinach meinem <strong>de</strong>rzeitigen Erkenntnisstand für wichtig zu halten<strong>de</strong> Aspekte an<strong>de</strong>uten:Erstens die verän<strong>de</strong>rte Gesamtlage - im eigenen Lan<strong>de</strong> wie international - mit <strong>de</strong>nange<strong>de</strong>uteten Er<strong>sc</strong>hütterungen früherer fast uner<strong>sc</strong>hütterlicher Überzeugungen,Doktrinen und Dogmen. Dabei war aber m. E. das völlige Aus<strong>sc</strong>hließen früherer Mechanismenund Zwänge in <strong>de</strong>r Militärkoalition und speziell seitens <strong>de</strong>r sowjeti<strong>sc</strong>henTruppen - wie vorliegen<strong>de</strong> Akten belegen - keineswegs so klar, wie jetzt oft behauptet.Zweitens und beson<strong>de</strong>rs, daß große Teile <strong>de</strong>s Volkes für eine <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>heErneuerung <strong>de</strong>r DDR auf die Straße gingen und dank <strong>de</strong>r Bürgerbewegungen undvor allem <strong>de</strong>r Kirchen bald von dieser Seite Gewaltlosigkeit garantiert wur<strong>de</strong>.Dazu gehört aber auch drittens: Daß eine nach <strong>de</strong>n getroffenen Vorbereitungensicher nicht gewollte, aber von <strong>de</strong>n Ansätzen her durchaus mögliche Eskalation <strong>de</strong>rGewalt nicht eintrat, war auch das Verdienst besonnenen Han<strong>de</strong>lns von Soldaten -offensichtlich nicht nur <strong>de</strong>r untersten <strong>Die</strong>nstgra<strong>de</strong>, bei <strong>de</strong>nen Verpflichtungengegenüber <strong>de</strong>m Volk und Frie<strong>de</strong>n wohl doch nicht nur Lippenbekenntnisse waren.Wäre <strong>de</strong>m nicht so, so lassen sich die tatsächlichen Abläufe in jenen kriti<strong>sc</strong>henTagen nicht erklären - auch nicht das Verhalten <strong>de</strong>r Grenzsoldaten, die sich - nachSchabowskis Lapsus bezüglich <strong>de</strong>s Termins <strong>de</strong>r geplanten Grenzöffnung - am Abend<strong>de</strong>s 9. November 1989, völlig auf sich allein gestellt, d.h. ohne übliche Befehle, imKonflikt zwi<strong>sc</strong>hen Staatsräson und aufbegehren<strong>de</strong>n Volksmassen letztlich klar fürdas Volk - im Sinne <strong>de</strong>r eingangs zitierten Worte <strong>de</strong>s Ministers Eppelmann ent<strong>sc</strong>hie<strong>de</strong>n.Nun einige Bemerkungen zur Militärreform in <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>.Man kann wohl <strong>Dr</strong>. Martin Kutz zustimmen, wenn er in <strong>de</strong>r m. E. ersten Dokumentenpublikationzur Militärreform in <strong>de</strong>r DDR bereits im Jahre 1990 aus einerAnalyse <strong>de</strong>r eingangs auch von mir erwähnten Zwänge <strong>de</strong>s neuen Denkensableitete, daß „<strong>de</strong>n realisti<strong>sc</strong>hen Teilen <strong>de</strong>s Offizierskorps" <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> <strong>sc</strong>hon lange vor<strong>de</strong>m gesell<strong>sc</strong>haftlichen Umbruch im Herbst 1989 klar war, „daß eine tiefgreifen<strong>de</strong>Militärreform unumgänglich war. Sie war natürlich als sozialisti<strong>sc</strong>he Erneuerunggedacht, ein Systemwechsel stand also nicht zur Diskussion. Aber daß sie auf Mo<strong>de</strong>rnisierung,Demokratisierung, hinauslaufen wür<strong>de</strong>, war ihren Befürwortern wieGegnern klar. Daß sie sich also eher am sozialisti<strong>sc</strong>hen Demokratisierungsprozeß in<strong>de</strong>r Sowjetunion, als am west<strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>hen parlamentari<strong>sc</strong>hen System orientieren


wür<strong>de</strong>, war fast selbstverständlich. Ebenso ein<strong>de</strong>utig war aber auch, daß selbst einesolche Orientierung <strong>de</strong>n alten Herren in Berlin unakzeptabel er<strong>sc</strong>hien und damit dieReform nicht zum Zuge kam.“ (16)Ich betone das nicht nur <strong>de</strong>shalb, weil jetzt mögliche Archivstudien die damalshauptsächlich aus veröffentlichten Dokumenten gewonnene Schlußfolgerung bestätigten.Sie beantwortet auch die Frage, warum bereits unmittelbar am Beginn <strong>de</strong>sgesell<strong>sc</strong>haftlichen Umbruchs aus <strong>de</strong>n eigenen Reihen <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> teilweise <strong>sc</strong>hon rechtkomplexe Vor<strong>sc</strong>hläge für eine Reform <strong>de</strong>r Armee kamen - übrigens eingestan<strong>de</strong>nermaßenauch zur Überra<strong>sc</strong>hung von einigen Angehörigen <strong>de</strong>r damaligenBun<strong>de</strong>swehr, die in <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> überhaupt kein eigenes Reformpotential vermuteten.Als Beispiel solcher frühzeitigen komplexen Reformfor<strong>de</strong>rungen möchte ich <strong>de</strong>nAufruf „Quo vadis - <strong>NVA</strong>?" nennen, <strong>de</strong>n Wissen<strong>sc</strong>haftler in Uniform und Zivil - vorallem <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie, <strong>de</strong>r Militärpoliti<strong>sc</strong>hen Hoch<strong>sc</strong>hule, <strong>de</strong>s Instituts fürInternationale Politik und Wirt<strong>sc</strong>haft und <strong>de</strong>r Humboldt-Universität am 9.November1989 veröffentlichten. Im Rahmen einer Militärreform for<strong>de</strong>rten sie darin eine klareBestimmung <strong>de</strong>s Auftrags und <strong>de</strong>r Funktion <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>, Demokratisierung und mehrRechtsstaatlichkeit innerhalb <strong>de</strong>r Truppe, eine pluralisti<strong>sc</strong>h annehmbare I<strong>de</strong>ntifizierungvon Wehrdienst und Soldatenberuf, Senkung <strong>de</strong>r ökonomi<strong>sc</strong>hen und ökologi<strong>sc</strong>henBelastungen <strong>de</strong>r Gesell<strong>sc</strong>haft durch das Militär bis hin zu einer wissen<strong>sc</strong>haftlichenPlanung von Abrüstung und Rüstungskonversion. (17)Übrigens - und das gehörte mit zu <strong>de</strong>n größten Überra<strong>sc</strong>hungen bei <strong>de</strong>r Archivarbeit- mel<strong>de</strong>ten sich nicht nur Offiziere sehr zeitig mit eigenen For<strong>de</strong>rungen für eineMilitärreform zu Wort, son<strong>de</strong>rn auch Soldaten und Unteroffiziere in verblüffend großerZahl. Aktenordner sind gefüllt mit Fern<strong>sc</strong>hreiben und Briefen einzelner Personen,aber auch unterzeichnet vom Personal ganzer Einheiten o<strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nststellen, die abNovember 1989 ge<strong>sc</strong>hrieben sind und insbeson<strong>de</strong>re Verän<strong>de</strong>rungen im täglichen<strong>Die</strong>nstablauf, aber auch die Einführung wählbarer Soldatenvertretungen, Einberufungennach <strong>de</strong>m Territorialprinzip, dienstfreien Sonnabend für alle Armeeangehörigenund die Schaffung eines zivilen Wehrersatzdienstes for<strong>de</strong>rten. (18)Auch seitens <strong>de</strong>r militäri<strong>sc</strong>hen Führungsebene läßt sich nach Ablösung <strong>de</strong>r altenFührungsriege ein sehr zügiges Herangehen an eine Militärreform feststellen. Schonauf <strong>de</strong>r am 20.November 1989, am Tage seiner Berufung zum Verteidigungsminister,stattgefun<strong>de</strong>nen Komman<strong>de</strong>urstagung, referierte Admiral Theodor Hoffmann zumThema: „Welche Konturen sollte die Militärreform haben?' - natürlich nach <strong>de</strong>n <strong>sc</strong>honbei <strong>Dr</strong>. Kutz genannten, damals selbstverständlichen sozialisti<strong>sc</strong>hen Maßstäben.Sein Ausgangspunkt war: „Was für die Gesell<strong>sc</strong>haft gelten soll, muß auch uneinge<strong>sc</strong>hränktin <strong>de</strong>n Streitkräften <strong>de</strong>s Volkes gelten. Auch in ihnen müssen dieArmeeangehörigen einen Sozialismus erleben, <strong>de</strong>r in allem <strong>de</strong>n Men<strong>sc</strong>hen zugewandtist, <strong>de</strong>r sich durch Effektivität, Demokratie, soziale Sicherheit und morali<strong>sc</strong>heSauberkeit auszeichnet. Es geht um eine solche Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r militäri<strong>sc</strong>henVerhältnisse, daß bei voller Gewährleistung <strong>de</strong>r unverzichtbaren Prinzipien militäri<strong>sc</strong>herFührung und Befehlserfüllung die <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>he Mitgestaltung <strong>de</strong>s Lebens in<strong>de</strong>n Streitkräften für alle Wehrpflichtigen, Zeit- und Berufska<strong>de</strong>r, Zivilbe<strong>sc</strong>häftigtenund Reservisten verwirklicht wird.“(19) Und nach diesem <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>hen Kredoumriß er die für notwendig gehaltenen Konturen <strong>de</strong>r Militärreform. Sie umfaßtenfakti<strong>sc</strong>h <strong>sc</strong>hon <strong>de</strong>n gesamten Komplex von einer Neubestimmung <strong>de</strong>r Funktion <strong>de</strong>r<strong>NVA</strong> „als Armee <strong>de</strong>s ganzen Volkes in Übereinstimmung mit <strong>de</strong>r Militärdoktrin <strong>de</strong>rDDR sowie ihren Bündnisverpflichtungen als Koalitionsarmee“ mit <strong>de</strong>n darausresultieren<strong>de</strong>n führungs- und bündnismäßigen Konsequenzen. über die Umgestaltungvon Bestand und Gefechtsbereit<strong>sc</strong>haft <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> nach <strong>de</strong>m Prinzip <strong>de</strong>r


Hinlänglichkeit für Frie<strong>de</strong>nssicherung und Verteidigung bis zur konsequentenDurchsetzung innerer <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>her Verhältnisse, unter <strong>de</strong>nen alle Armeeangehörigenund Zivilbe<strong>sc</strong>häftigten als mündige Staatsbürger akzeptiert wer<strong>de</strong>n unddie die Armee auch nach außen transparent machen. Ausdrücklich <strong>sc</strong>hloß dasbereits die For<strong>de</strong>rung ein, daß die Armee nicht mehr nur einer Partei, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>mganzen Volke dient.Auch die dort geäußerten Gedanken über das Herangehen an eine solche Militärreformentsprachen offensichtlich nicht nur kurzzeitigen, son<strong>de</strong>rn breiten <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>henErfor<strong>de</strong>rnissen. Sie gingen davon aus, daß die Militärreform Teil <strong>de</strong>rErneuerung in <strong>de</strong>r DDR sei. Ihr Ziel war eine Armee, „die in <strong>de</strong>r Lage ist, unter <strong>de</strong>nverän<strong>de</strong>rten innen- und außenpoliti<strong>sc</strong>hen Bedingungen <strong>de</strong>n ihr übertragenenVerfassungsauftrag auf <strong>de</strong>r Grundlage eines breiten gesamtgesell<strong>sc</strong>haftlichen Konsenseszu erfüllen". Konzeptionelle Vorstellungen sollten baldmöglichst mit einerbreiten Öffentlichkeit diskutiert, bisheriger Zustand <strong>de</strong>r Armee, Führungspraktikenund Arbeitsweisen sollten <strong>sc</strong>honungslos analysiert wer<strong>de</strong>n. Fast wie ein Bonmotklingt heute, wenn nach <strong>de</strong>m Hinweis, daß bei <strong>de</strong>r Erarbeitung <strong>de</strong>r Militärreform die in<strong>de</strong>n Streitkräften <strong>de</strong>r Bru<strong>de</strong>rarmeen gewonnenen Erkenntnissee zu berücksichtigensind, wie folgt weiter formuliert wur<strong>de</strong>: „Wir sollten uns auch nicht <strong>sc</strong>heuen,Erfahrungen bürgerlicher Armeen, darunter von NATO-Staaten und von neutraleneuropäi<strong>sc</strong>hen Staaten mittlerer Größenordnung, gründlich auszuwerten.“Bereits einen Tag später, am 21.November 1989, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „KonsultationspunktMilitärreform“ in Strausberg ge<strong>sc</strong>haffen, bei <strong>de</strong>m die <strong>sc</strong>hon erwähnten vielenWortmeldungen aus <strong>de</strong>r Armee in unerwartet großer Zahl eingingen. TheodorHoffmann <strong>sc</strong>hreibt in seinem Buch, daß allein bis zum Abend <strong>de</strong>s 29.November 1989- also nach noch nicht einmal zehn Tagen - <strong>sc</strong>hon 600 Fern<strong>sc</strong>hreiben. 912 Telefonateund 115 persönliche Konsultationen gezählt wur<strong>de</strong>n (20)Und um <strong>de</strong>n zügigen Beginn weiter zu umreißen: Am 25. November folgte die ersteBeratung von 40 Generalen, Admiralen und Offizieren in Strausberg über die Militärreform,bei <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r damalige Hauptinspekteur <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>, Generalleutnant <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>.Hans Süß, über Grundsätze einer Militärreform sprach.Am 7.Dezember 1919 erließ <strong>de</strong>r Minister <strong>de</strong>n Befehl über die Bildung und Arbeit <strong>de</strong>rKommission „Militärreform <strong>de</strong>r DDR" (Leiter wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r genannte GeneralleutnantSüß). Am 9.Dezember 1989 legte <strong>de</strong>r Minister in einem Grundsatzbefehl 13 Sofortmaßnahmenbei <strong>de</strong>r Realisierung <strong>de</strong>r Militärreform <strong>de</strong>r DDR fest. (21) Sie betrafenu.a.:- ein neues Wehrdienstgesetz sollte spätestens bis März 1990 <strong>de</strong>r Volkskammervorgelegt wer<strong>de</strong>n, ein Zivildienstgesetz bis zur Frühjahrseinberufung vorliegen;- zur Ausgestaltung <strong>de</strong>r Demokratie innerhalb <strong>de</strong>r Streitkräfte sollten in geheimerWahl bestimmte Sprecher bzw. Aktive <strong>de</strong>r Militärangehörigen sowie ein Verband<strong>de</strong>r Berufssoldaten und ein Verband <strong>de</strong>r Reservisten beitragen;- auf allen Führungsebenen ab Regiment aufwärts waren noch im Dezember vorallen an <strong>de</strong>n Wochenen<strong>de</strong>n Rundti<strong>sc</strong>hgespräche zu organisieren, bei <strong>de</strong>nen dieArmeeangehörigen alle sie betreffen<strong>de</strong>n Probleme zur Sprache bringen konnten;- alle Komman<strong>de</strong>ure und Leiter erhielten das Recht, ab sofort Beginn und En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<strong>Die</strong>nstzeit entsprechend <strong>de</strong>n konkreten Bedingungen selbständig festzulegen, ab2. März 1990 sollte für Berufssoldaten die 5-Tage-Arbeitswoche eingeführt wer<strong>de</strong>n,<strong>de</strong>r Frühsport wur<strong>de</strong> ab sofort abge<strong>sc</strong>hafft.


Und am 19.Dezember 1989 konstituierte sich <strong>sc</strong>hließlich mit <strong>de</strong>m Run<strong>de</strong>n Ti<strong>sc</strong>h beimVerteidigungsminister, an <strong>de</strong>m Vertreter aus 29 Parteien, Organisationen undBewegungen teilnahmen, eine Institution unmittelbarster <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>her Mitbestimmung,wie es sie bis dahin, aber auch seither, nie gegeben hat.Hört und liest man diese ein<strong>de</strong>utig nachgewiesenen Tatsachen über das Engagementvon Soldaten und zügige Maßnahmen <strong>de</strong>r Führung zur Umsetzung <strong>de</strong>rMilitärreform, so muß man sich natürlich fragen, warum es dann erst solcher beson<strong>de</strong>renEreignisse wie <strong>de</strong>s offenen Streiks voll Soldaten in Beelitz um die Jahreswen<strong>de</strong>1989/90 bedurfte, um vor allem innerhalb <strong>de</strong>r Armee spürbar die Verhältnisse;zu verän<strong>de</strong>rn.Darüber und über die Ereignisse in Beelitz selbst ist <strong>sc</strong>hon vieles berichtet und nochmehr Gegensätzliches bewertet wor<strong>de</strong>n, weitere sachliche Unersuchungen zudiesem inzwi<strong>sc</strong>hen ge<strong>sc</strong>hichtlichen Vorgang (auch zu analogen Vorgängen, wie z.B.in Mukran) er<strong>sc</strong>heinen offenbar notwendig. Insgesamt stimme ich aber auch <strong>de</strong>rzeitnoch <strong>de</strong>r Wertung zu, die <strong>de</strong>r <strong>sc</strong>hon einmal zitierte <strong>Dr</strong>. Kutz in <strong>de</strong>r genanntenPublikation 1990 traf: „Beelitz, <strong>de</strong>r Name <strong>de</strong>r Garnison, die in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr fürMeuterei und Destabilisierung steht (tatsächlich wur<strong>de</strong> auch in jüngsten Publikationenführen<strong>de</strong>r Militärs <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr dafür ein<strong>de</strong>utig <strong>de</strong>r Begriff „Meuterei“gewählt, W.H.), ist eher verständlich als <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>hes Aufbegehren gegen die –wohl in allen Armeen – beson<strong>de</strong>rs unbewegliche Militärbürokratie unterhalb <strong>de</strong>sMinisteriums, <strong>de</strong>nn als Meuterei. Der Aufruf <strong>de</strong>s Soldatenrates von Beelitz ist einnaturwüchsiges Dokument für Normal<strong>de</strong>mokratisierung, offensichtlich keine radikaleAbrechnung mit <strong>de</strong>m Militär als solchem. Wenn <strong>de</strong>r Minister <strong>sc</strong>hon vor Beelitz 90%<strong>de</strong>r Fordrungen per Ukas angeordnet hatte, die Bürokratie es aber nicht für nötigbefand, diese Anordnungen durchzusetzen, so fin<strong>de</strong>n wir hier möglicherweise nichtnur ein gesamt<strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>hes Phänomen, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Beelitzer Reaktion nur einennatürlichen Wi<strong>de</strong>rhall von unten.“ (22)Tatsächlich wandte sich <strong>de</strong>r „24-Punkte-For<strong>de</strong>rungskatalog <strong>de</strong>r Soldaten undUnteroffiziere <strong>de</strong>s Standortes Beelitz, be<strong>sc</strong>hlossen vom Soldatenrat und Vertretern<strong>de</strong>s Verban<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Berufssoldaten im Januar 1990" (23) nicht generell gegen dieArmee, son<strong>de</strong>rn verlangte nach sehr konkret benannten inneren Verän<strong>de</strong>rungen,an<strong>sc</strong>hließend generell „einen sinnvollen Wehrdienst und sinnvolle Arbeit für dieGesell<strong>sc</strong>haft - sofort:" Und speziell diese For<strong>de</strong>rung erklärt sich daraus, daß es sichdort in Beelitz um eine <strong>de</strong>r eingangs erwähnten neuaufgestellten Ausbildungsbasenhan<strong>de</strong>lte, aus <strong>de</strong>nen die Soldaten nach kurzer militäri<strong>sc</strong>her Ausbildung zur Arbeit in<strong>de</strong>r Volkswirt<strong>sc</strong>haft eingesetzt wer<strong>de</strong>n sollten - eine von Anbeginn umstrittene Einrichtung,und zusätzlich in diesem Falle dadurch, daß die überwiegend aus <strong>de</strong>mRaum Mag<strong>de</strong>burg einberufenen Wehrpflichtigen zum Arbeitseinsatz in <strong>de</strong>n RaumLeipzig sollten. An<strong>de</strong>rerseits muß man aber in seinem Urteil auch berücksichtigen,daß ohne <strong>de</strong>n Einsatz solcher Armeekräfte zu dieser Zeit - inzwi<strong>sc</strong>hen waren es<strong>sc</strong>hon mehr als 20000 - ganze Wirt<strong>sc</strong>haftszweige und vor allem <strong>de</strong>r Transport für dietägliche Versorgung mit Grundnahrungsmitteln in manchen Regionen völlig zusammengebrochenwären.)Auch die Verzögerungen bei <strong>de</strong>r Durchsetzung <strong>de</strong>r vom Minister zumin<strong>de</strong>st <strong>sc</strong>honam 9. Dezember angeordneten Sofortmaßnahmen waren nicht allein darauf zurückzuführen,daß „reformunfähige o<strong>de</strong>r reformunwillige“ Offiziere und Generale - obwohles solche natürlich auch gab - das zu verantworten hatten, son<strong>de</strong>rn ebenfalls dadurch,weil die z.T. tiefgreifen<strong>de</strong>n Reformverän<strong>de</strong>rungen oftmals im Wi<strong>de</strong>rspruch zuan<strong>de</strong>ren, noch nicht aufgehobenen Befehlen stan<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r weil ihre Ausführung imZuständigkeitsgerangel hängen blieb, o<strong>de</strong>r einfach <strong>de</strong>shalb, weil die Doppelgleisig-


keit von zentraler Führung einerseits und bisher unüblicher sofortiger <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>herEnt<strong>sc</strong>heidung vor Ort an<strong>de</strong>rerseits damals tatsächlich auch manche Unübersichtlichkeiten<strong>sc</strong>huf. Das soll keine Rechtfertigung <strong>de</strong>s Verzögerns <strong>de</strong>r Reform sein,aber offensichtlich muß man sich auch hier hüten, vor<strong>sc</strong>hnell nur i<strong>de</strong>ologi<strong>sc</strong>heUrsachen zu sehen - wozu wir immer noch oft neigen -, wenn man eine reale Antwortauf die Frage nach <strong>de</strong>n konkreten Ursachen haben will.Dennoch muß man natürlich ebenso <strong>de</strong>utlich ein<strong>sc</strong>hätzen, daß im Gefolge <strong>de</strong>ssen –egal, aus welchem Grun<strong>de</strong> auch immer - für einen Großteil <strong>de</strong>r Soldaten sichoffensichtlich kaum etwas o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st zuwenig sichtbar und persönlich erlebbarverän<strong>de</strong>rt, an<strong>de</strong>rerseits natürlich aber die Militärreform eine große Erwartungshaltungausgelöst hatte. Deshalb war es m.E. - bei allem bis heute darüber andauern<strong>de</strong>nStreit über das Für und Wi<strong>de</strong>r - doch richtig, daß <strong>de</strong>r Minister zur Überwindung dieserKrisensituation nicht nur frühere Ent<strong>sc</strong>heidungen bekräftigte, son<strong>de</strong>rn auch manche- wie beispielsweise Wehrdienst und tägliche <strong>Die</strong>nstzeitregelungen betreffen<strong>de</strong> -zeitlich vorzog und wie<strong>de</strong>rum an<strong>de</strong>re - die Strukturelemente für <strong>de</strong>n aus<strong>sc</strong>hließlichenArbeitseinsatz - <strong>de</strong>r Regierung zur Auflösung vor<strong>sc</strong>hlug, obwohl zu jener Zeit inzwi<strong>sc</strong>henca. 250000 Arbeitskräfte fehlten und daher solche Ent<strong>sc</strong>heidungen nicht leichtfielen.Nach Darstellung von Minister a. D. Hoffmann hat ein - heute auch gela<strong>de</strong>ner, aberverhin<strong>de</strong>rter <strong>NVA</strong>-General und <strong>Prof</strong>essor damals diese Ent<strong>sc</strong>heidungen vom3.Januar 1990 als „Perestroika im Über<strong>sc</strong>halltempo bezeichnet - aber sie warenangesichts <strong>de</strong>r Lage und <strong>de</strong>r genannten Erwartungshaltung offensichtlich nicht zuumgehen, wenn man eine gewaltfreie Lösung anstrebte. Bei allen damit ausgelöstenProblemen - z.B. für die Bewachung von Objekten und Kampftechnik durchnoch weiter verringerten Bestand - trat generell eine allmähliche Stabilisierung innerhalb<strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> ein.Gleichzeitig hatte sich inzwi<strong>sc</strong>hen auch in <strong>de</strong>r Praxis bestätigt, daß <strong>de</strong>r gesamtgesell<strong>sc</strong>haftlicheCharakter <strong>de</strong>r Militärreform die Kompetenzen <strong>de</strong>r Armeeführungüberstieg. Um so dringen<strong>de</strong>r war die Einberufung <strong>de</strong>r <strong>sc</strong>hon im Dezember vorbereitetenRegierungskommission „Militärreform <strong>de</strong>r DDR“, <strong>de</strong>r ver<strong>sc</strong>hie<strong>de</strong>ne Minister undStaatssekretäre angehören und die die abgestimmte einheitliche Leitung <strong>de</strong>rMilitärreform als Teil <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>hen Erneuerung <strong>de</strong>r Streitkräfte gewährleistensollten. Ihre konstituieren<strong>de</strong> Sitzung am 16. Januar 1990 ist übrigens voll archiviert,ebenso wie die vom 20. Februar 1990. (24) Vorsitzen<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Minister fürNationale Verteidigung. <strong>Die</strong> <strong>sc</strong>hon bestehen<strong>de</strong> Kommission „Militärreform <strong>de</strong>r DDR“fungierte nunmehr als Expertengruppe innerhalb <strong>de</strong>r Regierungskommission.Es ist im Rahmen dieses Vortrags natürlich nicht möglich, die gesamte weitereEntwicklung <strong>de</strong>r Militärreform ausführlich darzustellen. Tatsächlich wur<strong>de</strong>n nun inrelativ kurzer Zeit über 50 Entwürfe von Gesetzen, Ordnungen usw. (u.a. ein neuesWehrdienstgesetz und eine neue Innendienstordnung) erarbeitet und durch dieMedien zum Teil auch publiziert, u.a. ab Januar vor allem durch eine regelmäßiger<strong>sc</strong>heinen<strong>de</strong> selbständige Zeitung, „Militärreform“. Dennoch wur<strong>de</strong>n nur die wenigstenpoliti<strong>sc</strong>h wirksam, <strong>sc</strong>hon weil sich die Regierung von einer Vielzahl an<strong>de</strong>rerlebenswichtiger Probleme bedrängt sah und die Entwicklung so ra<strong>sc</strong>h verlief, daßnicht selten zur Inkraftsetzung anstehen<strong>de</strong> Dokumente dann zu diesem Zeitpunkt<strong>sc</strong>hon nicht mehr völlig <strong>de</strong>n neuen Gegebenheiten entsprachen. Außer<strong>de</strong>m begannensich bereits im Februar 1990 die Rahmenbedingungen für eine eigenständigeMilitärreform allmählich aufzulösen, vor allem weil sich die Perspektive <strong>de</strong>r<strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>hen Einheit immer <strong>de</strong>utlicher abzeichnete. Nach <strong>de</strong>n Märzwahlen wird dieRegierungskommission Militärreform <strong>sc</strong>hon nicht mehr einberufen, <strong>de</strong>r Run<strong>de</strong> Ti<strong>sc</strong>h


<strong>de</strong>r Militärreform führte am 20.März 1990 seine letzte Zusammenkunft durch. <strong>Die</strong>zunächst noch fortbestehen<strong>de</strong> Expertengruppe Militärreform been<strong>de</strong>te <strong>sc</strong>hließlich am10. Mai 1990 auch ihre Tätigkeit. Im ganzen blieb so die eingeleitete Militärreform imWesen unvollen<strong>de</strong>t - in so kurzer Zeit auch kaum an<strong>de</strong>rs möglich. M. E. be<strong>sc</strong>hränktesie sich in ihrer Be<strong>de</strong>utung aber nicht nur auf die Fortentwicklung <strong>de</strong>s Selbstverständnissesvor allem <strong>de</strong>r Berufssoldaten <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>, son<strong>de</strong>rn verän<strong>de</strong>rte zumin<strong>de</strong>stpartiell auch <strong>sc</strong>hon das innere Gefüge <strong>de</strong>r Armee. <strong>Die</strong> im pluralisti<strong>sc</strong>hen Sinne <strong>de</strong>mganzen Volk verpflichtete und daher nicht mehr vom Führungsanspruch einer Parteigeprägte Armee von Mitte 1990, zu<strong>de</strong>m ausgestattet mit <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>hen Interessenvertretungenfür Soldaten aller <strong>Die</strong>nstgradgruppen und um äußere Transparenzbemüht, war <strong>sc</strong>hon nicht mehr vergleichbar mit <strong>de</strong>r ein Jahr davor.Ab<strong>sc</strong>hließend noch knapp einige Gedanken zur Rolle <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> im <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>henEinigungsprozeß. Knapp nicht etwa <strong>de</strong>shalb, weil dieses Problem aus meiner Sichtvon untergeordneter Be<strong>de</strong>utung und Problematik wäre - im Gegenteil, es böte sichm.E. aus histori<strong>sc</strong>her, aber vor allem auch aus aktueller Sicht sogar als Thema fürein eigenständiges Seminar an. Vielmehr zwingt die heute mir zur Verfügungstehen<strong>de</strong> Zeit zur Verknappung. Außer<strong>de</strong>m will ich nicht leugnen, daß ich selbst nocham Anfang <strong>de</strong>s Be<strong>sc</strong>häftigens mit diesem Thema auf <strong>de</strong>r Grundlage von Primärquellenbin. Aus verständlichen Grün<strong>de</strong>n stehen Archivbestän<strong>de</strong> zu diesem jüngstenZeitab<strong>sc</strong>hnitt erst sehr bedingt zur Verfügung, wobei allerdings auch eine Reihe voninzwi<strong>sc</strong>hen er<strong>sc</strong>hienenen Publikationen nicht nur subjektive Meinungen wi<strong>de</strong>rspiegelt,son<strong>de</strong>rn zumin<strong>de</strong>st partiell ebenfalls zeitgenössi<strong>sc</strong>he Dokumente undan<strong>de</strong>re Quellen wie<strong>de</strong>rgibt. Außer<strong>de</strong>m sind ja die damalige Tagespresse sowieZeit<strong>sc</strong>hriftenaufsätze zugänglich.In gegenwärtigen Darstellungen und Ein<strong>sc</strong>hätzungen wird zunehmend <strong>de</strong>r Eindruckerweckt, als habe mit <strong>de</strong>m Kurs auf die Einheit Deut<strong>sc</strong>hlands von vornherein nur diemöglichst ra<strong>sc</strong>he Auflösung <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> auf <strong>de</strong>r Tagesordnung gestan<strong>de</strong>n, als habe esnie eine an<strong>de</strong>re Alternative o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st Aussage gegeben.<strong>Dr</strong>ei Anmerkungen möchte ich dazu machen.Erstens: die <strong>NVA</strong> hat sich zu keiner Zeit gegen <strong>de</strong>n Vereinigungsprozeß gestellt, seiter auf <strong>de</strong>r Tagesordnung stand. So wie sich die Armee im Herbst 1989 <strong>sc</strong>hließlichent<strong>sc</strong>hie<strong>de</strong>n hatte, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>hen Volkswillen zu respektieren und gewaltsameLösungen aus<strong>sc</strong>hließen zu helfen, so blieb sie diesem Grundsatz auch in <strong>de</strong>r Folgetreu. Außer<strong>de</strong>m entwickelte sich <strong>de</strong>r Meinungsbildungsprozeß in dieser Frage naturgemäßin <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> ähnlich wie innerhalb <strong>de</strong>r Gesamtbevölkerung. Nach<strong>de</strong>m verständlicherweiseauch aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r Armeeangehörigen noch amBeginn <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>hen Verän<strong>de</strong>rungen die Vereinigung kein reales Thema war,votierten sie bei einer anonymen repräsentativen Meinungsumfrage in einigen Divisionenbzw. Flottillen und an<strong>de</strong>ren Einrichtungen vom 9. bis 11. Januar 1990 <strong>sc</strong>honwie folgt:- für eine Vertragsgemein<strong>sc</strong>haft zwi<strong>sc</strong>hen bei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>hen Staaten auf <strong>de</strong>rGrundlage politi<strong>sc</strong>her Selbständigkeit sprachen sich 22 % <strong>de</strong>r befragten Soldaten.27% <strong>de</strong>r Unteroffiziere und 35% <strong>de</strong>r Offiziere aus;- für eine Konfö<strong>de</strong>ration zwi<strong>sc</strong>hen <strong>de</strong>r BRD und <strong>de</strong>r DDR 36 % <strong>de</strong>r Soldaten, 31 %.<strong>de</strong>r Unteroffiziere und 40 % <strong>de</strong>r Offiziere;- für eine Vereinigung bei<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>her Staaten 40 % <strong>de</strong>r Soldaten, 41 % <strong>de</strong>rUnteroffiziere und 22 % <strong>de</strong>r Offiziere;


- noch nicht darüber nachgedacht hatten 2 % <strong>de</strong>r Soldaten. 1 % <strong>de</strong>r Unteroffiziereund 3 % <strong>de</strong>r Offiziere.Bei einer gleichgearteten Befragung in analogen Verbän<strong>de</strong>n vom 6. bis 9. März 1990sprachen sich zwar auch noch über 50 % für ein <strong>sc</strong>hrittweises Zusammenwachsen<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>hen Staaten aus, aber bereits 38 % <strong>de</strong>r befragten Soldaten undUnteroffiziere sowie 27 % <strong>de</strong>r Fähnriche und Offiziere rechneten mit einem ra<strong>sc</strong>henAn<strong>sc</strong>hluß <strong>de</strong>r DDR an die Bun<strong>de</strong>srepublik.Übrigens wün<strong>sc</strong>hten sich bei dieser Umfrage in einem künftigen vereintenDeut<strong>sc</strong>hland- ein Nebeneinan<strong>de</strong>rbestehen von Bun<strong>de</strong>swehr und <strong>NVA</strong> 41 % <strong>de</strong>r Offiziere, 16 %<strong>de</strong>r Unteroffiziere und 5 % <strong>de</strong>r Soldaten;- und eine gemeinsame Armee 31 % <strong>de</strong>r Offiziere, 45 % <strong>de</strong>r Unteroffiziere und40 % <strong>de</strong>r Soldaten. Fast alle übrigen Soldaten und Unteroffiziere befürwortetendie Auflösung - allerdings sowohl <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> als auch <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr. (25)Zweitens: <strong>Die</strong> <strong>NVA</strong> hat sich in diesem Vereinigungsprozeß mitverantwortlich dafürgefühlt und entsprechend gehan<strong>de</strong>lt, daß sich dieser Prozeß friedlich und ohneaußenpoliti<strong>sc</strong>he Destabilisierung vollzog.Innenpoliti<strong>sc</strong>h friedlich hieß natürlich nicht, daß sie sich wie<strong>de</strong>r polizeiliche Aufgabenübertragen lassen wollte, son<strong>de</strong>rn daß sie beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>n kriti<strong>sc</strong>hen Monatenbemüht war, von sich selbst auf die Gesell<strong>sc</strong>haft ausstrahlen<strong>de</strong> <strong>de</strong>stabilisieren<strong>de</strong>Wirkungen einzudämmen und vor allem stets <strong>de</strong>r großen Verantwortung für dieSicherheit von Waffen und militäri<strong>sc</strong>hem Gerät gerecht zu wer<strong>de</strong>n. Gera<strong>de</strong> inpoliti<strong>sc</strong>hen Umbruchzeiten hätte ein unbefugter Zugriff darauf verhängnisvolle Folgenhaben können. Schon auf <strong>de</strong>r Komman<strong>de</strong>urstagung vom 19.Januar 1990 hatteMinister Theodor Hoffmann die noch gestiegene Verantwortung wie folgt belegt:„Wir haben nicht nur unsere strukturmäßige Bewaffnung und die Ausrüstung <strong>de</strong>rMobilmachungstruppen, son<strong>de</strong>rn große Mengen zusätzlicher Waffen zu sichern, dievor allem vom Amt für Nationale Sicherheit und von <strong>de</strong>n Kampfgruppen übernommenwer<strong>de</strong>n.Um einen Eindruck von <strong>de</strong>n Größenordnungen dieser zusätzlichen Waffensystemezu bekommen, sollen einige Zahlen genannt wer<strong>de</strong>n:- Es sind ca. 1.000 Schützenpanzerwagen mehrerer Modifikationen, mit <strong>de</strong>renVer<strong>sc</strong>hrottung begonnen wur<strong>de</strong>,,- 2.300 Fla-MG und 2.100 Ma<strong>sc</strong>hinengewehre,- ca. 50.000 Panzerbüchsen mit über 500.000 Granaten,- über 360.000 Ma<strong>sc</strong>hinenpistolen ver<strong>sc</strong>hie<strong>de</strong>ner Typen und etwa 35.000 Pistolenmit über 300 Millionen Patronen.Hinzu kommen große Mengen an Handgranaten, Sprengstoffe unter<strong>sc</strong>hiedlicher Artund Verwendung sowie umfangreiche Spezialtechnik und materielle Mittel <strong>de</strong>sChemi<strong>sc</strong>hen und <strong>de</strong>s Pionierdienstes.Alle diese Waffen und an<strong>de</strong>ren Kampfmittel sind absolut zuverlässig zu sichern. Esist unbedingt zu gewährleisten, daß sie unter keinen Umstän<strong>de</strong>n Unbefugten in dieHän<strong>de</strong> geraten.“ (26)


Es ist sicher bekannt, daß diese Aufgabe bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> voll erfüllt wur<strong>de</strong>,aber angesichts <strong>de</strong>r be<strong>sc</strong>hleunigten Entlassung von Wehrpflichtigen oft nur mithohem persönlichen Einsatz beson<strong>de</strong>rs von BerufssoldatenAußenpoliti<strong>sc</strong>h sah sich die <strong>NVA</strong> nach wie vor in ihrer Verantwortung als über dieBündnispartner<strong>sc</strong>haft im War<strong>sc</strong>hauer Vertrag in die damalige europäi<strong>sc</strong>he Sicherheitslageeingeordnet und für diese auch ein Faktor politi<strong>sc</strong>h-militäri<strong>sc</strong>her Stabilität.Für die damalige Zeit sicher zurecht wies daher Admiral Hoffmann auf <strong>de</strong>r genanntenKomman<strong>de</strong>urstagung wie folgt auf diese Seite hin: „Friedliche, vernünftige,systemati<strong>sc</strong>he Schritte <strong>de</strong>r Annäherung, Kooperation bis hin zur Konfö<strong>de</strong>ration undauch zu weitergehen<strong>de</strong>n Entwicklungen bei<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>her Staaten können aufabsehbare Zeit die Zugehörigkeit bei<strong>de</strong>r Seiten zu ihren Bündnissystemen nichtaußer acht lassen. Eine sofortige Auflösung <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> <strong>de</strong>r DDR wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>nangestrebten Sicherheitsprozeß behin<strong>de</strong>rn. Auch eine verkleinerte Volksarmee <strong>de</strong>rDDR müßte eine solche Stabilität besitzen, um <strong>de</strong>n Bündnisverpflichtungen nachkommenzu können.“ (27)Und drittens: In Übereinstimmung mit <strong>de</strong>r genannten Verantwortung erwartete dieMehrheit <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>-Angehörigen - wie auch die vorhin zuletzt genannten Befragungsergebnissebelegen - selbst nach <strong>de</strong>r Vereinigung zumin<strong>de</strong>st für eine Überrangszeiteine weitere militäri<strong>sc</strong>he Tätigkeit und vertraute dabei zu<strong>de</strong>m auf das, was die neueRegierung und <strong>de</strong>r neue Minister für Abrüstung und Verteidigung, RainerEppelmann, dazu gesagt hatten:„<strong>Die</strong> Regierung will nachdrücklich darauf hinwirken, daß <strong>de</strong>r <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>he Einheitsprozeßim Einklang mit <strong>de</strong>m gesamteuropäi<strong>sc</strong>hen Einigungsprozeß vonstatten geht.... Eswird auch nach <strong>de</strong>r Vereinigung auf DDR-Territorium eine zweite <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>he Armeegeben, die, in kein Militärbündnis integriert, eigene territoriale Sicherheitsfunktionenausüben wird und <strong>de</strong>mentsprechend strukturiert, ausgerüstet und ausgebil<strong>de</strong>twer<strong>de</strong>n muß.“Und <strong>de</strong>r Minister hatte hinzugefügt: „Ich will in <strong>de</strong>r mir anvertrauten Armee dafürsorgen, daß alle diejenigen, die jetzt aufgrund <strong>de</strong>r Abrüstungsverhandlungen in Wieno<strong>de</strong>r aufgrund <strong>de</strong>r Vereinigung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>hen Volkes entlassen wer<strong>de</strong>n müssen,nicht einfach auf die Straße gesetzt wer<strong>de</strong>n.“ (28)<strong>Die</strong>se und ähnliche Äußerungen wer<strong>de</strong>n heute sehr unter<strong>sc</strong>hiedlich kommentiert -manchmal als Beweis für nachfolgen<strong>de</strong>n Betrug, manchmal aber auch als naivbelächelt.Ich persönlich halte diese seinerzeitigen Verlautbarungen für subjektiv ehrlich undmöchte außer<strong>de</strong>m darauf verweisen, daß es auch damalige Aussagen führen<strong>de</strong>rPolitiker und Militärs <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik gibt, die prinzipiell in die gleiche Richtungwiesen. Beispielsweise hielten Bun<strong>de</strong>saußenminister Hans-<strong>Die</strong>trich Gen<strong>sc</strong>her undVerteidigungsminister Gerhard Stoltenberg in einer auf Intervention <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>skanzlerserfolgten Ministererklärung am 19. Februar 1990 fest, daß keine <strong>de</strong>r „NATOassigniertenund nicht assignierten Streitkräfte <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr“ künftig auf <strong>de</strong>mGebiet <strong>de</strong>r DDR stationiert wer<strong>de</strong>n sollten. (29)Auch das Bemühen <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> um Sicherheitspartner<strong>sc</strong>haft mit <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr unddabei vor allem um Abbau alter Feindbil<strong>de</strong>r blieb nicht einseitig. Nach<strong>de</strong>m es amRan<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Wiener KSZE-Seminars über Militärdoktrinen im Januar 1990 zwi<strong>sc</strong>hen<strong>de</strong>m Chef <strong>de</strong>s Hauptstabes <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong>, Generalleutnant Grätz, und <strong>de</strong>m Generalinspekteur<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr, Admiral Wellershoff, zu einem Gespräch gekommenwar, bei <strong>de</strong>m man sich - obwohl <strong>de</strong>r offizielle Start<strong>sc</strong>huß dazu noch fehlte - prinzipiell


für Kontakte zwi<strong>sc</strong>hen Einrichtungen bei<strong>de</strong>r Armeen ausgesprochen hatte, kamendiese vor allem „von unten“ ins Rollen,. Wie Admiral Hoffmann in seinem Buchbe<strong>sc</strong>hreibt, insbeson<strong>de</strong>re durch Besuche von <strong>NVA</strong>-Angehörigen bei <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr,teilweise sogar in Uniform. Aber auch Offiziere <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr sprachen bei<strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> vor und lu<strong>de</strong>n zu Treffen in die Bun<strong>de</strong>srepublik ein. Wie noch in <strong>de</strong>r Auswertungbefindliche Archivalien belegen, fan<strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>rs auch die Kontaktbestrebungen<strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> zur Führungsaka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehrechte Resonanz. Lehroffiziere <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie waren ebenfalls aktiv beteiligt, alses im März 1990 in Ba<strong>de</strong>n-Ba<strong>de</strong>n zum Gründungstreffen „eines <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>henGesprächskreises höherer Offiziere“ kam, bei <strong>de</strong>m seitens <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehr u.a.Flottillenadmiral a. D. Elmer Schmähling und Briga<strong>de</strong>general Winfried Vogelteilnahmen (im September 1990 fand dann <strong>de</strong>s zweite Treffen in <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n statt).(30)Nicht unerwähnt darf auch bleiben, daß <strong>sc</strong>hon am 20. Februar 1990 <strong>de</strong>r Wehrbeauftragte<strong>de</strong>s Deut<strong>sc</strong>hen Bun<strong>de</strong>stages, Willi Weiskirch, das mot. Schützenregiment<strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> in Bad Salzungen besuchte und sich dabei für mehr Begegnungenzwi<strong>sc</strong>hen <strong>NVA</strong> und Bun<strong>de</strong>swehr aussprach. (31) Vor allem muß ich bei unseremheutigen Seminar das aktive Bemühen <strong>de</strong>s Deut<strong>sc</strong>hen Bun<strong>de</strong>swehrverban<strong>de</strong>s undinsbeson<strong>de</strong>re auch <strong>de</strong>ssen damaligen Vorsitzen<strong>de</strong>n, <strong>Oberst</strong> Rolf Wenzel, hervorheben,das aufrichtige Aufeinan<strong>de</strong>rzugehen zum Abbau alter Vorbehalte zwi<strong>sc</strong>henSoldaten bei<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>her Armeen zu för<strong>de</strong>rn. <strong>Die</strong> erste offizielle Begegnungzwi<strong>sc</strong>hen von <strong>de</strong>n jeweiligen Vorsitzen<strong>de</strong>n geleiteten Delegationen <strong>de</strong>s Deut<strong>sc</strong>henBun<strong>de</strong>swehrverban<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>s damals gera<strong>de</strong> erst gegrün<strong>de</strong>ten Verban<strong>de</strong>s <strong>de</strong>rBerufssoldaten <strong>de</strong>r DDR (damaliger Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>Oberst</strong>ltn. <strong>Dr</strong>. Eckhardt Nickel) waram 22. und 23. Februar 1990 in Strausberg. Und in <strong>de</strong>r Zeit vom 27. bis 29. März1990 fand dann bereits das auch damals von <strong>de</strong>r Karl-Theodor-Molinari-Stiftung e. V.mitgetragene erste Seminar von Mitglie<strong>de</strong>rn bei<strong>de</strong>r Verbän<strong>de</strong> in Bonn – BadGo<strong>de</strong>sberg zum Thema „Soldatsein in Deut<strong>sc</strong>hland" statt, an <strong>de</strong>m ich ebenfallsteilnehmen durfte und das - man gestatte mir diese persönliche Reminiszenz -aufgrund <strong>de</strong>s bei<strong>de</strong>rseits ehrlichen Aufeinan<strong>de</strong>rzugehens unvergeßliche Eindrückehinterlassen hat. Auch wenn die seinerzeit diskutierte I<strong>de</strong>e von gemeinsamen <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>henStreitkräften von <strong>de</strong>r Ge<strong>sc</strong>hichte überholt wur<strong>de</strong>, möchte ich doch einenPassus aus <strong>de</strong>n damals einstimmig be<strong>sc</strong>hlossenen Arbeitsergebnissen kurz zitieren -und zwar <strong>de</strong>n über „Zukünftige Rolle <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>her Streitkräfte eines vereintenDeut<strong>sc</strong>hlands:1. Deut<strong>sc</strong>he Streitkräfte. die sich aus Verbän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> und Bun<strong>de</strong>swehr zusammensetzensollten, wer<strong>de</strong>n ein Teil <strong>de</strong>r europäi<strong>sc</strong>hen Verteidigungsstruktur.2. <strong>Die</strong>se Streitkräfte sollten auf das funktional Notwendige begrenzt sein, um <strong>de</strong>nAuftrag <strong>de</strong>r europäi<strong>sc</strong>hen Sicherheitsinteressen zu erfüllen.3. Kontingente <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>her Streitkräfte könnten nach Schaffung <strong>de</strong>r gesetzlichen Voraussetzungenfrie<strong>de</strong>nserhalten<strong>de</strong> Aufgaben im Rahmen <strong>de</strong>r UNO erfüllen.“ (32)Gera<strong>de</strong> angesichts <strong>de</strong>r Tatsache, daß darin gemeinsam auch Probleme angepacktwur<strong>de</strong>n, die heute noch einer befriedigen<strong>de</strong>n Lösung harren, möchte ich meinBedauern äußern, daß solchen Anfängen auch wirklicher innerer Einheit im Vorfeldvom und vor allem nach <strong>de</strong>m Kaukasus-Gipfel zwi<strong>sc</strong>hen Bun<strong>de</strong>skanzler Kohl undPräsi<strong>de</strong>nt Gorbat<strong>sc</strong>how bald rigoros <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n entzogen wur<strong>de</strong> und statt Integrationeine im Prinzip ra<strong>sc</strong>he Auflösung <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> erfolgte. (Dabei muß man aber betonen,daß <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>swehrVerband auch unter <strong>de</strong>n verän<strong>de</strong>rten Bedingungen seine offenePosition gegenüber <strong>de</strong>n neuen Kamera<strong>de</strong>n behielt).Ohne heute hier auf diesenZeitab<strong>sc</strong>hnitt näher eingehen zu können, möchte ich doch betonen, daß ich es auchheute noch für richtig halte, daß in jener nicht leichten Zeit innerhalb <strong>de</strong>r Armee alle


Anstrengungen darauf gerichtet wur<strong>de</strong>n, daß die <strong>NVA</strong> zu keinem Sicherheitsrisikowur<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r DDR geordnet an die Bun<strong>de</strong>swehr übergebenwer<strong>de</strong>n konnte. Hierzu und zugleich statt einer Schlußbemerkung möchte ich ab<strong>sc</strong>hließendEgon Bahr zitieren, <strong>de</strong>r vom 1. Juli bis zum 2.Oktober 1990 in als Beratervon Minister Rainer Eppelnann tätig war und <strong>de</strong>shalb gewissermaßen als Kronzeuge<strong>de</strong>r Ereignisse bis zur buchstäblich letzten Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> gelten kann:„Zur Ge<strong>sc</strong>hichte <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> gehört, daß sie lange vor <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong>, wozu noch Mutgehörte, <strong>de</strong>r politi<strong>sc</strong>hen Führung <strong>de</strong>r DDR klarmachte, daß sie sich nicht gegen dasVolk einsetzen lassen wür<strong>de</strong>. Was später ‚friedliche Revolution‘ genannt wur<strong>de</strong>, fandseine Fortsetzung in einer verantwortungsbewußten Haltung, die nicht zuließ, <strong>de</strong>nNeigungen nachzugeben, die <strong>de</strong>n eigenen For<strong>de</strong>rungen durch Demonstration Nachdruckverleihen wollten: Rollen<strong>de</strong> Panzer (voll betankt und munitioniert waren sieje<strong>de</strong>rzeit einsatzfähig) hätten mehr Eindruck gemacht als die Bauern, die vor <strong>de</strong>rVolkskammer ihre Milch ver<strong>sc</strong>hütteten. Es war <strong>de</strong>r Stolz einer Armee, sich geordnetund diszipliniert einzubringen o<strong>de</strong>r zu übergeben o<strong>de</strong>r sich aufzulösen, je<strong>de</strong>nfalls ihreGe<strong>sc</strong>hichte zu been<strong>de</strong>n. Es ist zweifelhaft, ob das auch so ruhig verlaufen wäre,wenn <strong>de</strong>n Betroffenen in vollem Umfang die Konsequenzen <strong>de</strong>r Regelungen klargewesen wären, die am 12. September die west<strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>he Seite vorlegte und die imwesentlichen nur noch angenommen und durch <strong>de</strong>n Minister, <strong>de</strong>r sich immer nochals verantwortlich bezeichnete, verkün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n konnten.Von da an wur<strong>de</strong> nur noch umgesetzt, abgewickelt, aufgelöst, übergeben. <strong>Dr</strong>eiWochen später, am 3. Oktober, verweigerte die west<strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>he Seite <strong>de</strong>r ost<strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>hen<strong>de</strong>n symboli<strong>sc</strong>hen Akt <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong>, die alte Fahne einzuholen, die neue zuhissen, <strong>de</strong>n Ein<strong>sc</strong>hnitt auch musikali<strong>sc</strong>h durch das Abspielen <strong>de</strong>r alten und dann <strong>de</strong>rneuen Hymne zu markieren. <strong>Die</strong> Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s alten Ministers anläßlich <strong>de</strong>r Übergabe<strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> vergaß man zu drucken. In <strong>de</strong>r Nacht wur<strong>de</strong> die Ehrenformation in dieneuen Uniformen eingeklei<strong>de</strong>t; es kostete Überzeugungskraft, um zu bewirken, daßalle neuen Bun<strong>de</strong>swehrsoldaten die üblichen Uniformen tragen durften, also nicht nurdie Kampfanzüge, in die man sie stecken wollte. Damit das keine psychologi<strong>sc</strong>henVerletzungen hervorrief, verklei<strong>de</strong>ten sich die hohen Offiziere aus Bonn, die zumÜbergabe-Akt Minister Stoltenberg begleiteten, auch in Kampfanzüge, in <strong>de</strong>nen sichdie meisten noch nie gesehen hatten, was sie recht komi<strong>sc</strong>h fan<strong>de</strong>n, zumal einigeHerren etwas voller gewor<strong>de</strong>n waren. Ebenso verständlich, daß die neuen Kamera<strong>de</strong>n,erstmals äußerlich ununter<strong>sc</strong>heidbar, das Gefühl <strong>de</strong>r Komik nicht teilenkonnten. Viele aus Bonn hatten ihre Damen mitgebracht, es war ja auch ein tollerAnlaß. <strong>Die</strong> neuen Bun<strong>de</strong>swehroffiziere waren ohne weibliche Begleitung; vielleichthatte man vergessen, sie einzula<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn niemand wollte die frem<strong>de</strong>n Landsleuteverletzen. Das wäre alles nicht erinnernswert, wür<strong>de</strong> es nicht die psychologi<strong>sc</strong>heVerkrampfung zeigen, die auch aus <strong>de</strong>r Diskrepanz zwi<strong>sc</strong>hen <strong>de</strong>r bekun<strong>de</strong>ten Freu<strong>de</strong>über die Wie<strong>de</strong>rvereinigung und <strong>de</strong>r Realität herrührte.“ (33)Eine wohl notwendige Nachbemerkung: Ich habe lange gezögert. ob ich diese drasti<strong>sc</strong>heSchil<strong>de</strong>rung über das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> - die mir bisher auch nicht bekannt war -an <strong>de</strong>n Schluß meines Vortrags stellen kann. Ich habe mich dann doch dazu ent<strong>sc</strong>hlossen,nicht um anzuklagen, son<strong>de</strong>rn um zu mehr Normalität im <strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>h<strong>de</strong>ut<strong>sc</strong>henUmgang miteinan<strong>de</strong>r aufzufor<strong>de</strong>rn. Nach <strong>de</strong>m Erleben <strong>de</strong>r freimütigenDiskussion in <strong>de</strong>n letzten bei<strong>de</strong>n Tagen muß ich konstatieren, daß es einer solchenAuffor<strong>de</strong>rung in diesem Kreise wohl nicht unbedingt bedurfte.


Anmerkungen1. Schreiben <strong>de</strong>s Ministers für Abrüstung und Verteidigung, Rainer Eppelmann.Kopie im Besitz <strong>de</strong>s Verfassers.2. Zitiert nach einem Interview mit Joachim Goldbach, im Besitz <strong>de</strong>s Verfassers .3. Wolfgang Scheler: <strong>Die</strong> Sinnkrise <strong>de</strong>s Militärs. Eine geistige Vorbedingung für dasVerhalten <strong>de</strong>r <strong>NVA</strong> in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokrati<strong>sc</strong>hen Revolution, im vorliegen<strong>de</strong>n Band S. 99ff.4. Hierzu und nachfolgend siehe Bun<strong>de</strong>sarchiv-Militärarchiv (im folgen<strong>de</strong>n BA-MA).VA-01/31884. Bl. 32 ff., VA-10/26490, Bl. 217.5. Siehe BA-MA., VA-01/31884. Bl. 259.6. Hierzu und nachfolgend siehe ebd.. VA-01/31884, Bl. 273 ff.;VA-10/26255, Bl.52; VA-01/33127, Bl. 23 a; VA-10/P-2695, Bl. 292 ff.7. Ebd.. VA-01/39592, Bl. 265 ff.8. Siehe ebd., VA-01/37603, Bl. 10 ff.9. Ebd., AZN 31908, Bl. 215.10. Zitiert nach: Eckhard Bahr: Sieben Tage im Oktober. Aufbruch in <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n,Leipzig 1990, S. 7 f.11. BA-MA, VA-01/37603 Bl. 10 f.12. Zitiert nach: <strong>Dr</strong>esdner Lebensläufe. Zeitzeugen berichten vom Leben und vomUmbruch im ehemaligen Bezirk <strong>Dr</strong>es<strong>de</strong>n. Aufgezeichnet von Werner Kaulfuß undJohannes Schulz. o.O. 1993, S. 93; siehe dazu auch: Eckhard Bahr, wie Anm.10.13. Theodor Hoffmann, Das letzte Kommando. Berlin/Bonn/Herford 1993, S.23.14. Siehe <strong>Dr</strong>esdner Lebensläufe, wie Anm. 12, ; BA-MA, VA-08/1598 und 1597.15. BA-MA VA-01/37603, Bl. 14.16. Martin Kutz: Militärreform in <strong>de</strong>r DDR (Dokumentation) 2.aktualis.Aufl., Hamburg1990. Zum Thema Militärreform siehe auch QUO VADIS - <strong>NVA</strong> ? <strong>Die</strong> unvollen<strong>de</strong>teMilitärreform. Dokumentation über die letzte Episo<strong>de</strong> <strong>de</strong>r DDR-Militärge<strong>sc</strong>hichte(November 1989 - Oktober 1990), zsgst. von Wolfgang Ro<strong>sc</strong>hlau,(Ms.), Potsdam 1991.17. Siehe Martin Kutz, wie Anm. 16, S. 53.18. Siehe u.a. BA-MA VA-01/37641.19. Zitiert nach: „Volksarmee“ Nr. 47/1989.20. Siehe Theodor Hoffmann, wie Anm. 13, S. 51.21. BA-MA, AZN 31908. Bl. 244 ff.22. Martin Kutz, wie Anm. 16, S. 13 f.23. Ebd., S. 59 (das Dokument selbst S. 56 ff.).24. Siehe BA-MA, VA-01/'37598.25. Zahlenangaben nach: Theodor Hoffmann, wie Anm. 13, S. 112 f., 185 ff.26. BA-MA VA-10/26268. Bl. 96 f.


27. Ebd., Bl. 119 f.28. Bei<strong>de</strong>s zitiert nach: Rainer Eppelmann: Wen<strong>de</strong>wege, Bonn/Berlin 1992. S. 45,47.29. Zitiert nach: Jörg Schönbohm: Zwei Armeen und ein Vaterland. Das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>rNationalen Volksarmee, Berlin 1992. S.23.30. Material. Im Besitz <strong>de</strong>s Verfassers31. Siehe „Volksarmee“ Nr. 9/1990. S. 3.32. Soldatsein in Deut<strong>sc</strong>hland, hrsg. im Auftrag <strong>de</strong>r Karl-Theodor-Molinari-Stiftunge.V. von Paul Klein, o. O. o. J., S. 147.33. Hans-Joachim Gießmann, Das unliebsame Erbe. <strong>Die</strong> Auflösung <strong>de</strong>r Militärstruktur<strong>de</strong>r DDR. Mit einem Vorwort von Egon Bahr, Ba<strong>de</strong>n-Ba<strong>de</strong>n 1992, S. 10 f.

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