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Handlungen und Haltungen der NVA in ... - AGGI-INFO.DE

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Nachdem die KPC Anfang <strong>der</strong> 60er Jahre den Aufbau des Kommunismus verkündethatte, sich im folgenden die wirtschaftlichen Schwierigkeiten häuften, sollte nunmehrdurch die E<strong>in</strong>führung marktwirtschaftlicher Elemente <strong>und</strong> die Selbstverwaltung <strong>der</strong>Betriebe e<strong>in</strong> wirtschaftlicher Aufschwung erzielt <strong>und</strong> mit den Repressionsmethoden <strong>in</strong><strong>der</strong> Innenpolitik endgültig Schluß gemacht werden. Ob dieser Reformkurs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitdes Kalten Krieges e<strong>in</strong>e Chance auf Erfolg gehabt hätte, bleibt e<strong>in</strong>e offene Frage,<strong>und</strong> sie ist zu spektakulär, um e<strong>in</strong>e Antwort zu suchen.Die Prager Reformer begannen im Frühjahr 1968 e<strong>in</strong>e Gratwan<strong>der</strong>ung. In Moskau,Ostberl<strong>in</strong>, Warschau <strong>und</strong> Sofia stieß ihre Politik auf entschiedene Ablehnung. In denLän<strong>der</strong>n des Westens fanden sich politische Kräfte, die ihnen Beifall zollten. WillyBrandt, damals Außenm<strong>in</strong>ister <strong>der</strong> BRD, erklärte, „daß wir (<strong>und</strong> damit me<strong>in</strong>te er dieRegierung - <strong>der</strong> Autor) diesen Prozeß mit Interesse <strong>und</strong> Aufgeschlossenheit verfolgen".(3) Helmut Schmidt <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esbankpräsident Bless<strong>in</strong>g sowie weiterePersönlichkeiten <strong>der</strong> BRD besuchten Prag <strong>und</strong> führten Gespräche mit verschiedenenpolitischen Kräften. Alle<strong>in</strong> dadurch gerieten Dubcek <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Mitstreiter <strong>in</strong> den Verdacht,auf Abwegen zu se<strong>in</strong>. Den Reformern wurde unterstellt, e<strong>in</strong>er Konterrevolutionden Weg zu ebnen. Bei dieser Behauptung spielte die Tatsache e<strong>in</strong>e dom<strong>in</strong>ierendeRolle, daß sich im Rahmen <strong>der</strong> im Frühjahr 1968 e<strong>in</strong>geführten Me<strong>in</strong>ungs- -<strong>und</strong> Pressefreiheit auch antisozialistische Stimmen zu Wort meldeten. Ohne Zweifelgab es <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR antisozialistische Kräfte aus Gründen politischer Verfolgung,weltanschaulicher Gegnerschaft o<strong>der</strong> religiöser Motivation.Von Interesse ist auch folgende Tatsache: Während es zu diesem Zeitpunkt <strong>in</strong> <strong>der</strong>DDR noch privatkapitalistische Betriebe <strong>und</strong> zehntausende private Handwerksbetriebegab, war <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR fast alles total verstaatlicht - Industrie, Landwirtschaft,Handel, Gaststättengewerbe, fast alle Dienstleistungse<strong>in</strong>richtungen. Während dieAngehörigen des enteigneten Großkapitals das Land verlassen hatten, war die Mehrheitdes Mittelstandes verblieben, <strong>und</strong> daß sich unter ihnen Gegner des Sozialismusfanden, liegt auf <strong>der</strong> Hand.E<strong>in</strong>e Volksbefragung <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR im Sommer 1968 hatte jedoch ergeben, daß 95 %<strong>der</strong> Bevölkerung gegen e<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>führung des Kapitalismus waren. 70 %sprachen sich für e<strong>in</strong>e Unterstützung <strong>der</strong> Reformpolitik <strong>der</strong> KPC aus. Mlynar gibtdafür folgende Erklärung: „Die Mehrheit <strong>der</strong> Bevölkerung hatte e<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>legendesoziale Sicherheit gewonnen <strong>und</strong> konnte die primären Lebensbedürfnisse mühelosbefriedigen. Deshalb suchte sie auch nicht den Weg zurück zu den ökonomischen<strong>und</strong> sozialen Verhältnissen des Kapitalismus ...“ (4)Schlußfolgerung: Es Ist nicht zu bestreiten, daß 1968 antisozialistische Kräfte <strong>in</strong> <strong>der</strong>CSSR aktiv wurden <strong>und</strong> daß sie - auch unterstützt von äußeren Kräften - die Hoffnunghatten, das sozialistische System schrittweise beseitigen zu können, <strong>und</strong> dafürden Reformkurs nutzen wollten. Aber eben so unbestreitbar ist, daß diese Kräfteke<strong>in</strong>e Massenbasis hatten, daß sie zu ke<strong>in</strong>er Zeit die Entwicklung <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSRbestimmten <strong>und</strong> somit die Gefahr e<strong>in</strong>er Konterrevolution nicht gegeben war.Vielmehr: Hatten sich Teile <strong>der</strong> Bevölkerung <strong>und</strong> auch <strong>der</strong> KPC zunächst zögerlichzum Reformkurs verhalten, so wuchs die Popularität <strong>der</strong> Reformer nach Interventionsbeg<strong>in</strong>nweiter an.H<strong>in</strong>gegen muß gesagt werden, daß im Verlaufe <strong>der</strong> Monate März bis August 1968 <strong>in</strong><strong>der</strong> DDR <strong>und</strong> speziell <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> sich die Auffassung durchsetzte, <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR seidie Konterrevolution auf dem Vormarsch <strong>und</strong> damit die DDR <strong>in</strong> Gefahr.


II. Zur <strong>in</strong>ternationalen SituationEs gab seit Mitte <strong>der</strong> 60er Jahre Ansätze für e<strong>in</strong>e Entspannung im Ost-West-Konflikt,angestrebt von den Hauptmächten bei<strong>der</strong> Seiten. E<strong>in</strong> Symptom dieser Entwicklungsrichtung<strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Politik war <strong>der</strong> am 12.06.1968 von <strong>der</strong> 22.Vollversammlung <strong>der</strong> UNO mit Mehrheit verabschiedete Vertrag über die Nichtweiterverbreitungvon Kernwaffen. Allerd<strong>in</strong>gs waren Zielsetzungen <strong>der</strong> Außen- <strong>und</strong>Sicherheitspolitik <strong>der</strong> USA <strong>und</strong> <strong>der</strong> UdSSR im wesentlichen unverän<strong>der</strong>t geblieben.Der Rüstungswettlauf lief weiterh<strong>in</strong> auf vollen Touren <strong>und</strong> das <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auf demGebiet <strong>der</strong> strategischen Waffensysteme. Die UdSSR hatte e<strong>in</strong>en Vorsprung beiRaketen <strong>in</strong>terkont<strong>in</strong>entaler Reichweite, die USA bei kernenergiegetriebenen Raketen-U-Booten<strong>und</strong> strategischen Fliegerkräften, <strong>und</strong> jede Seite versuchte, ihren Vorsprungaufrechtzuerhalten <strong>und</strong> das „Zurückbleiben" auf bestimmten Gebieten auszugleichen.Die sensibelste Zone unter militärstrategischen Gesichtspunkten blieb weiterh<strong>in</strong>Europa. Hier standen sich die stärksten strategischen Gruppierungen <strong>der</strong> NATO <strong>und</strong>des Warschauer Vertrages gegenüber. Hauptkonzentrationszone <strong>der</strong> Streitkräftebei<strong>der</strong> Bündnisse waren beide deutsche Staaten, ihre Reduzierung nicht <strong>in</strong> praktischerSicht. Aus me<strong>in</strong>er heutigen Erkenntnis war e<strong>in</strong> solcher Schritt für die NATOdamals nicht annehmbar, da ihr die e<strong>in</strong>deutige numerische Überlegenheit sozialistischerStreitkräfte zwischen Elbe <strong>und</strong> Beres<strong>in</strong>a bekannt war. Das Denken <strong>der</strong><strong>NVA</strong>-Angehörigen war jedoch von <strong>der</strong> Auffassung geprägt, daß die NATO sich aufe<strong>in</strong>e Aggression gegen die sozialistischen Staaten Europas vorbereitete <strong>und</strong> damitdie DDR erstes Angriffsziel se<strong>in</strong> müsse.Das Verhalten <strong>der</strong> <strong>NVA</strong>-Angehörigen während <strong>der</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR im Frühjahr<strong>und</strong> Sommer 1968 sehe ich <strong>in</strong> diesem Zusammenhang. Ihr Blick war nicht nurnach Süden, son<strong>der</strong>n immer auch nach Westen gerichtet, <strong>und</strong> die Politik <strong>der</strong> damaligenB<strong>und</strong>esregierung gab für <strong>NVA</strong>-Angehörige ke<strong>in</strong>en Anlaß anzunehmen, daß sichdiese mit <strong>der</strong> Existenz <strong>der</strong> DDR abgef<strong>und</strong>en hätte. Die For<strong>der</strong>ung, Deutschland <strong>in</strong>den Grenzen von 1937 wie<strong>der</strong>zuvere<strong>in</strong>igen, wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> als e<strong>in</strong> Ziel verstanden,das nur durch militärische Gewaltanwendung zu erreichen war. Die am 30. Mai1968 vom B<strong>und</strong>estag verabschiedeten Gesetze zur Notstandsverfassung wurden alsKriegsvorbereitung gedeutet.Die <strong>in</strong>ternationale Situation wurde außerdem durch den Vietnamkrieg <strong>und</strong> den sowjetisch-ch<strong>in</strong>esischenKonflikt geprägt. Die Tet-Offensive im Frühjahr 1968 erbrachte fürdie FNL (Vietcong) <strong>und</strong> Nordvietnam e<strong>in</strong>e Wende im Verlauf dieses Krieges zu ihrenGunsten. Die USA-Regierung, vor die Frage gestellt, wie <strong>der</strong> Krieg weitergeführtwerden könnte <strong>und</strong> <strong>in</strong>nen- <strong>und</strong> außenpolitischer Kritik ausgesetzt, nahm im Mai 1968Friedensverhandlungen <strong>in</strong> Paris auf.Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, daß die sowjetische Führung <strong>in</strong> <strong>der</strong> sichabzeichnenden Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> USA <strong>in</strong> Vietnam e<strong>in</strong>e Schwächung <strong>der</strong>en weltpolitischenPositionen sah, was ihre Auffassung bestärkt hat, das politische <strong>und</strong> sche<strong>in</strong>barmilitärische Risiko e<strong>in</strong>er CSSR-Intervention gegebenenfalls e<strong>in</strong>gehen zu können.Immerh<strong>in</strong> waren bedeutende Teile <strong>der</strong> USA-Streitkräfte 1968 <strong>in</strong> Südvietnam <strong>und</strong> imSüdpazifik im Kriegse<strong>in</strong>satz, wobei allerd<strong>in</strong>gs die stärksten Gruppierungen ihrerLand-, Luft- <strong>und</strong> Seestreitkräfte <strong>in</strong> West- <strong>und</strong> Südeuropa sowie im Nordatlantik disloziertwaren.Der sowjetisch-ch<strong>in</strong>esische Konflikt hatte dazu geführt, daß die sowjetische Führungihre Streitkräfte am Amur <strong>und</strong> im Fernen Osten sowie im Nordpazifik wesentlich


verstärkt hatte. Bekanntlich begann Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong> den 60er Jahren, territoriale Ansprüchean die UdSSR zu stellen. Da Ch<strong>in</strong>a sich außerdem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Außenpolitik ansatzweiseden USA annäherten, entstand <strong>in</strong> <strong>der</strong> sowjetischen Führung die Auffassung, daß e<strong>in</strong><strong>in</strong>offizielles Bündnis zwischen den USA, Ch<strong>in</strong>a, Japan <strong>und</strong> den westeuropäischenNATO-Staaten geschmiedet wurde. Daß diese Auffassungen nicht absolut irrig waren,ist bei E. Majonica, se<strong>in</strong>erzeit Vorsitzen<strong>der</strong> des außenpolitischen Ausschusses<strong>der</strong> CDU/CSU-B<strong>und</strong>estagsfraktion nachzulesen. Er erwog <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em 1965 erschienenenBuch „Deutsche Außenpolitik. Probleme <strong>und</strong> Entscheidungen" die Möglichkeit,Ch<strong>in</strong>a als Verbündeten zu gew<strong>in</strong>nen, nach „<strong>der</strong> alten Formel, die da lautet, daß<strong>der</strong> Fe<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>es Fe<strong>in</strong>des me<strong>in</strong> Fre<strong>und</strong> ist." (5)Damals stand <strong>der</strong> sowjetische Generalstab erstmalig nach dem 2. Weltkrieg vor demProblem e<strong>in</strong>es Zweifrontenkrieges. Bei e<strong>in</strong>er bewaffneten Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mitCh<strong>in</strong>a konnte es angesichts von 120 Divisionen <strong>der</strong> CVA, <strong>der</strong> fast unerschöpflichenMenschenreserven <strong>und</strong> des riesigen Territoriums dieses Landes nur e<strong>in</strong>e Lösunggeben: Strategische Verteidigung. Gegen die NATO blieb die bisherige Konzeptiongültig: Strategischer Angriff. Dafür benötigte man <strong>in</strong> Mitteleuropa e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitlichesGlacis: die Territorien <strong>der</strong> DDR <strong>und</strong> <strong>der</strong> CSSR.Sowjetische Generäle haben 1968 darauf verwiesen, daß bei e<strong>in</strong>em Ausscheiden<strong>der</strong> CSSR aus dem Warschauer Vertrag sich tiefe Flanken an den jeweiligen Grenzen<strong>der</strong> DDR <strong>und</strong> Ungarns bilden würden, was auch Verteidigungsverhandlungenerschweren würde.Ich b<strong>in</strong> überzeugt davon, daß diese Erwägungen im KPdSU-Politbüro mehrheitlichakzeptiert wurden. Allerd<strong>in</strong>gs waren sie nicht ausschlaggebend für den Entschlußzur Intervention, denn <strong>in</strong> Moskau wußte man, daß die CSSR-Führung niemals dieIdee e<strong>in</strong>es Austritts aus dem Pakt geäußert hatte. Die CSSR-Führung wollte auch <strong>in</strong><strong>der</strong> Sicherheitspolitik e<strong>in</strong> größeres Maß an Selbständigkeit gew<strong>in</strong>nen. So wurde z.B.die Ausarbeitung e<strong>in</strong>er nationalen Militärdoktr<strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR angekündet: Das wolltedie sowjetische Führung nicht zulassen, zumal <strong>der</strong> sowjetische Generalstab seit demManöver Moldau im Jahre 1966 Zweifel an <strong>der</strong> Verteidigungsbereitschaft <strong>der</strong>Tschechoslowakischen Volksarmee (im folgenden CVA) hatte. (6)Die E<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Situation durch die SED-Führung war damalse<strong>in</strong>e Leitl<strong>in</strong>ie für das Handeln <strong>der</strong> <strong>NVA</strong>-Angehörigen. Auf e<strong>in</strong>e vere<strong>in</strong>fachte Formelgebracht, lautete diese E<strong>in</strong>schätzung: Das <strong>in</strong>ternationale Kräfteverhältnis hat sichzugunsten des Sozialismus verän<strong>der</strong>t, aber <strong>der</strong> Imperialismus unternimmt e<strong>in</strong>e neueOffensive gegen den Sozialismus <strong>in</strong> Europa.In <strong>der</strong> CSSR ist ihm e<strong>in</strong> ideologischer E<strong>in</strong>bruch gelungen. Alle Reden, die <strong>der</strong>damalige Verteidigungsm<strong>in</strong>ister <strong>der</strong> DDR, He<strong>in</strong>z Hoffmann, im Frühjahr <strong>und</strong> Sommer1968 gehalten hat, enthalten die For<strong>der</strong>ung, westlichen ideologischen E<strong>in</strong>flüssengegenüber resistent zu se<strong>in</strong>. (7)Ill. Die Vorbereitung <strong>der</strong> InterventionDie militärische Variante <strong>der</strong> Reformgegner - <strong>und</strong> solche gab es auch <strong>in</strong> Prag - warzunächst nicht dom<strong>in</strong>ant. Ulbricht erklärte am 25.10.1968 auf <strong>der</strong> 9. ZK-Tagung <strong>der</strong>SED, daß man sich „größte Mühe" gegeben habe, e<strong>in</strong>en politischen Weg zu f<strong>in</strong>den,um mit Hilfe <strong>der</strong> KPC-Führung <strong>und</strong> <strong>der</strong> CSSR-Regierung „schrittweise die konterrevolutionärstenKräfte zurückzudrängen <strong>und</strong> zu schlagen". (8)


Wahr an dieser Aussage ist, daß man e<strong>in</strong>e Intervention vermeiden wollte, da man mitnegativen außenpolitischen Folgen rechnen mußte. Unwahr ist, daß man e<strong>in</strong>e Konterrevolutionschlagen wollte, wobei ich nicht ausschließe, daß Breshnew, Ulbricht<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e <strong>in</strong> dem, was CSSR-Medien damals veröffentlichten <strong>und</strong> sendeten,tatsächlich das Gespenst <strong>der</strong> Konterrevolution sahen.Objektiv gesehen g<strong>in</strong>g es jedoch um die Beendigung <strong>der</strong> Reform, um die Dom<strong>in</strong>anz<strong>der</strong> sowjetischen Führung im Warschauer Vertrag, um die Auswirkungen desReformkurses auf die DDR, Polen <strong>und</strong> Ungarn <strong>und</strong> somit um die Rückkehr zu denalten Zuständen <strong>und</strong> Methoden, da das nach Auffassung <strong>der</strong> Reformgegner diee<strong>in</strong>zige Garantie für die Erhaltung des Sozialismus <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR war. Dubcek <strong>und</strong>se<strong>in</strong>e Mitstreiter haben solche „politische Lösung" entschieden abgelehnt. AlleVersuche <strong>der</strong> Reformgegner, im Zeitraum Anfang März bis zum 26. August 1968 diePrager Reformer von ihrem Kurs abzubr<strong>in</strong>gen, hatten ke<strong>in</strong>en Erfolg.Welche Sicht hatten damals <strong>NVA</strong>-Angehörige auf die Vorgänge <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR?Nach dem Treffen am 23. März 1968 <strong>in</strong> Dresden - an dem die Parteispitzen <strong>der</strong> späterenfünf Interventionsstaaten <strong>und</strong> <strong>der</strong> CSSR teilnahmen - wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> dieAuffassung verbreitet <strong>und</strong> mehrheitlich akzeptiert, daß <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR e<strong>in</strong>e Konterrevolutionim Gange sei. Das Anfang April veröffentlichte Aktionsprogramm <strong>der</strong> KPCwurde als Abweichung vom Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus bewertet. Der dann Ende Juni1968 <strong>in</strong> Prag veröffentlichte Appell „2000 Worte" wurde als offen konterrevolutionäresProgramm e<strong>in</strong>geschätzt. H<strong>in</strong>zu kamen Nachrichten <strong>der</strong> DDR-Medien, die das Bildvon <strong>der</strong> Konterrevolution abr<strong>und</strong>eten. Da wurde angeblich e<strong>in</strong> Waffenlager konterrevolutionärerKräfte entdeckt. Standhafte Kommunisten würden drangsaliert <strong>und</strong> <strong>in</strong>ihrer Tätigkeit beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t. Inoffiziell wurde verbreitet, <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR verfiele die Staatsmacht,es breite sich Chaos aus <strong>und</strong> Dubcek sei unfähig, e<strong>in</strong>e kommunistische Parteizu führen.Ich kann mich er<strong>in</strong>nern, daß Paul Fröhlich, damals SED-Politbüromitglied <strong>und</strong> 1.Sekretär <strong>der</strong> Bezirksleitung Leipzig, während e<strong>in</strong>er Truppenübung im Sommer 1968erklärte, <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR würde man Dubcek noch nicht e<strong>in</strong>mal die Funktion e<strong>in</strong>es Kreisvorsitzenden<strong>der</strong> Konsumgenossenschaft anvertrauen. Obwohl bis zum 21. Augustdie Begriffe „E<strong>in</strong>marsch" o<strong>der</strong> „militärische Hilfsaktion" niemals öffentlich ausgesprochenwurden, unterschwellig wurde so die Intervention - wenn auch noch nichtbeschlossen - ideologisch vorbereitetWelche militärischen Aktivitäten gab es <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> von Anfang März bis Mitte Juni1968?Das ist <strong>der</strong> Zeitraum von <strong>der</strong> Sofioter Tagung des Politisch Beratenden Ausschusses(im folgenden PBA) des Warschauer Vertrages (im folgenden WV) <strong>und</strong> dem Beg<strong>in</strong>ndes Manövers „Sumava" (Böhmerwald). Es wurden Ausbildungsmaßnahmen durchgeführtentsprechend dem Befehl 100 des M<strong>in</strong>isters für Nationale Verteidigung fürdas Ausbildungsjahr 1967/1968. Dieser Befehl <strong>und</strong> auch an<strong>der</strong>e militärische Dokumentewaren wesentlich geprägt durch die Auswertung des Krieges Israel - Ägyptenim Juni 1967. Dieser Krieg wurde als das Musterbeispiel e<strong>in</strong>er Blitzkriegführungunter mo<strong>der</strong>nen Bed<strong>in</strong>gungen gewertet. Wichtigste Schlußfolgerung <strong>der</strong> <strong>NVA</strong>-Führungwar: Die ständige Gefechtsbereitschaft muß auf e<strong>in</strong> höheres Niveau gehobenwerden. Dazu wurden konkrete Maßnahmen befohlen, so z.B. die Senkung <strong>der</strong>Normen für die Herstellung <strong>der</strong> vollen Gefechtsbereitschaft. Die Hauptsorge galtdem Bemühen, daß es e<strong>in</strong>em Aggressor nicht gel<strong>in</strong>gen dürfe, die Luftverteidigungauszuschalten <strong>und</strong> die an<strong>der</strong>en Truppen <strong>in</strong> ihren Objekten zu treffen. Weitere


Schwerpunkte waren die Verbesserung des Mobilmachungssystems <strong>und</strong> die Verr<strong>in</strong>gerung<strong>der</strong> Durchlaufzeiten von Stabs<strong>in</strong>formationen.Die Realisierung des Befehls 100 fand ihren Nie<strong>der</strong>schlag <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gefechtsausbildung<strong>der</strong> Truppen, <strong>in</strong> Kommandostabsübungen (im folgenden KSÜ), Truppenübungen (imfolgenden TÜ), Mobilmachungsübungen <strong>und</strong> Alarmierungsübungen.Drei Beispiele:Vom 03. bis 10.04. führten Luftverteidigungskräfte <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> e<strong>in</strong>e TÜ zum Thema„Gefechtshandlungen e<strong>in</strong>es Verbandes <strong>der</strong> Luftverteidigung bei überraschendemKriegsbeg<strong>in</strong>n" durch. Im gleichen Monat führte das Kommando des Militärbezirks III(im folgenden MB) die KSÜ „Hauptstoß S" durch. Thema: „Abwehr e<strong>in</strong>es Angriffs <strong>der</strong>VII. US-Armee im Raum <strong>der</strong> Staatsgrenze <strong>und</strong> im folgenden Angriffshandlungen <strong>in</strong>Mittelgebirgsräumen." Ebenfalls im April fand e<strong>in</strong>e Überprüfung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satzbereitschaft<strong>der</strong> territorialen Verteidigungskräfte <strong>in</strong> den Bezirken Potsdam <strong>und</strong> Magdeburgunter <strong>der</strong> Bezeichnung „Frühl<strong>in</strong>gssonne" statt. (9)Es gibt ke<strong>in</strong>e dokumentarische Beweise dafür, daß die <strong>NVA</strong> im Zeitraum März bisMitte Juni <strong>in</strong> konkrete militärische Maßnahmen zur Vorbereitung <strong>der</strong> Interventione<strong>in</strong>bezogen worden ist. Das belegen alle Dokumente über diesen Zeitraum, die imMilitärischen Zwischenarchiv <strong>in</strong> Potsdam lagern. Man könnte me<strong>in</strong>en, daß <strong>der</strong> Befehldes M<strong>in</strong>isters für Nationale Verteidigung vom 28. März über die Erhöhung <strong>der</strong>ständigen Gefechtsbereitschaft <strong>und</strong> die Alarmierungsübung <strong>der</strong> 11. MSD am 19.April zu diesen Maßnahmen gehören. Dem ist entgegenzuhalten, daß mit diesemBefehl die <strong>NVA</strong> auf die Möglichkeit des Übergangs auf den Verteidigungszustande<strong>in</strong>gestellt wurde <strong>und</strong> <strong>in</strong> allen Teilstreitkräften Überprüfungen des Standes <strong>der</strong>Gefechtsbereitschaft erfolgten. (10)Man kann davon ausgehen, daß die militärische Planung <strong>der</strong> Intervention im sowjetischenGeneralstab erfolgt ist, während ihre Durchführung dem Oberkommandierenden(im folgendem OK) <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>ten Streitkräfte (im folgenden VSK) übertragenwurde. Marschall Jakubowski <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em Stab oblag demzufolge auch dieVorbereitung „vor Ort".Es läßt sich nicht mehr ermitteln, wann im sowjetischen Generalstab die erstenErwägungen für e<strong>in</strong>e Intervention angestellt <strong>und</strong> zu welchem Term<strong>in</strong> die Planungbegann. Dagegen lassen sich Aussagen über die politischen Entscheidungentreffen. E<strong>in</strong>e Vorentscheidung dürfte auf <strong>der</strong> PBA-Tagung am 17. Mai <strong>in</strong> Warschaugetroffen worden se<strong>in</strong>, an <strong>der</strong> die CSSR-Führung ihre Teilnahme verweigert hatte.Daraufh<strong>in</strong> erhielt die KPC-Führung von den Tagungsteilnehmern e<strong>in</strong>en Brief ultimativenCharakters. In den folgenden Wochen gab es im Politbüro <strong>der</strong> KPdSUMe<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten wann <strong>und</strong> wie man <strong>der</strong> Reform <strong>der</strong> CSSR e<strong>in</strong> Endebereiten könnt (11). Die endgültige Entscheidung ist auf <strong>der</strong> KPdSU-Politbürositzungam 16. o<strong>der</strong> 17. August gefallen.Vom 19. bis 30. Juni fand die im Plan des Vere<strong>in</strong>ten Oberkommandos (im folgendenVOK) vorgesehene KSÜ „Sumava" (Böhmerwald) statt. Thema: „Die <strong>Handlungen</strong>e<strong>in</strong>er Front bei <strong>der</strong> Abwehr e<strong>in</strong>es Angriffs von NATO-Streitkräften durch Begegnungsschläge<strong>und</strong> Verteidigungshandlungen <strong>und</strong> Übergang zum Angriff". Seitens<strong>der</strong> <strong>NVA</strong> nahmen teil: e<strong>in</strong>e operative Gruppe des Hauptstabes, die Feldführung desKommandos des MB III <strong>und</strong> die Führungsorgane <strong>der</strong> 7. PD <strong>und</strong> 11. MSD sowieSicherstellungs- <strong>und</strong> Darstellungstruppen. Mit Ausnahme <strong>der</strong> Operativen Gruppe (imfolgenden OG) handelten alle an<strong>der</strong>en <strong>NVA</strong>-Kräfte ausschließlich auf dem Territorium<strong>der</strong> DDR, im Raum des Hermsdorfer Kreuzes. (12)


Zu den Offizieren <strong>der</strong> OG <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> gehörte <strong>der</strong> Stellvertreter des Chefs Nachrichtenim MFNV, Oberst Paduch. Ich zitiere aus e<strong>in</strong>em Erlebnisbericht, den Paduch imOktober 1992 verfaßt hat: „Persönlich gewann ich - wie auch an<strong>der</strong>e Offiziere –zunehmend den E<strong>in</strong>druck, daß die KSÜ immer mehr <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> trat <strong>und</strong> letztlichnur als Vorwand diente, um das eigentliche Ziel zu verschleiern. Dieses Zielbestand dar<strong>in</strong>, die Führung <strong>der</strong> CSSR <strong>und</strong> <strong>der</strong> CNA davon zu überzeugen, daß dieTruppen <strong>der</strong> VSK, vor allem <strong>der</strong> Sowjetarmee, unmittelbar aus <strong>der</strong> Übung heraus zurBeherrschung <strong>der</strong> entstandenen Lage <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR verbleiben sollten." (13)Als Beweise für se<strong>in</strong>e Auffassung gibt P. an:- H<strong>in</strong>haltende Langatmigkeit <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> KSÜ,- viel zu detaillierte Aufklärung von Marschrouten, Brücken <strong>und</strong> Räumen,- Verzögerungstaktik bei <strong>der</strong> Rückführung sowjetischer Stäbe <strong>und</strong> Truppen.Es wurden auch Versuche unternommen, Offiziere <strong>der</strong> CVA im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Reformgegnerzu bee<strong>in</strong>flussen. M.E. ist das e<strong>in</strong> weiterer Beweis dafür, daß man e<strong>in</strong>e offeneIntervention vermeiden wollte. Die CSSR-Führung bestand jedoch auf den Abzug<strong>der</strong> sowjetischen Truppen. Die letzten verließen am 03. August das CSSR-Territorium,d.h., fünf Wochen nach dem Ende <strong>der</strong> KSÜ.Zu den <strong>Handlungen</strong> von <strong>NVA</strong>-Kräften während „Sumava“Oberst <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> a. D. Dr. E. Sturm, se<strong>in</strong>erzeit als Major Oberoffizier <strong>in</strong> <strong>der</strong> UnterabteilungOperativ <strong>der</strong> 7. PD, hat mir e<strong>in</strong>en Bericht zur Verfügung gestellt, <strong>der</strong> weitere<strong>in</strong>teressante Details über „Sumava" enthält. Ich kann nur e<strong>in</strong> Beispiel anführen.Sturm schreibt: „Die 7. PD war beim allgeme<strong>in</strong>en Übergang zum Angriff <strong>in</strong> <strong>der</strong> erstenStaffel an <strong>der</strong> l<strong>in</strong>ken Flanke <strong>der</strong> <strong>NVA</strong>-Armee e<strong>in</strong>gesetzt, ihr l<strong>in</strong>ker Nachbar war e<strong>in</strong>eDivision <strong>der</strong> CVA... Während <strong>der</strong> Dynamik kam es zu e<strong>in</strong>er völlig überraschendenPräzisierung <strong>der</strong> Aufgaben <strong>der</strong> 7. PD, da <strong>der</strong> l<strong>in</strong>ke Nachbar nach Erreichen <strong>der</strong>Staatsgrenze CSSR/BRD den Angriff e<strong>in</strong>stellte <strong>und</strong> erst nach e<strong>in</strong>er längeren Zeitspannedurch e<strong>in</strong>e neu e<strong>in</strong>geführte sowjetische Division ersetzt wurde." (14)E<strong>in</strong>e Erklärung dafür könnte se<strong>in</strong>, daß die Führung <strong>der</strong> CVA <strong>der</strong> vom sowjetischenGeneralstab entwickelten strategischen Konzeption vom Zerschlagen des Gegnersauf se<strong>in</strong>em Territorium nicht mehr Folge leisten wollte. Nach Sturm deuteten dieStabsoffiziere <strong>der</strong> 7. PD diesen Vorgang so, daß die Entwicklung <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR auchzu e<strong>in</strong>em Herausbrechen aus <strong>der</strong> Militärkoalition führen könnte, e<strong>in</strong>e Auffassung, diedamals <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> verbreitet war.Nachdem die Absicht <strong>der</strong> sowjetischen Führung, Truppen <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR verbleiben zulassen, gescheitert war <strong>und</strong> zudem Ende Juni <strong>der</strong> Appell „2000 Worte" erschienenwar, wurde <strong>der</strong> wichtigste praktische Schritt zur Vorbereitung <strong>der</strong> Intervention getan.Anfang Juli 1968 nahm bei Legnica (Liegnitz) e<strong>in</strong> von Marschall Jakubowski geleiteterStab die Tätigkeit zur detaillierten militärischen Planung, Organisation <strong>und</strong>Führung <strong>der</strong> Intervention auf. Dieser Stab war se<strong>in</strong>er Zusammensetzung nach e<strong>in</strong>sowjetischer Stab. Seitens <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> polnischen Armee war ihm jeweils e<strong>in</strong>eOperative Gruppe beigegeben worden. Leiter <strong>der</strong> OG <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> war <strong>der</strong> damaligeChef des Stabes des MB III, Fritz Peter, se<strong>in</strong>erzeit Generalmajor. Seitens <strong>der</strong> <strong>NVA</strong><strong>und</strong> <strong>der</strong> PVA waren Offiziere nur zeitweilig anwesend.Alle gr<strong>und</strong>sätzlichen Fragen wurden durch Jakubowski o<strong>der</strong> durch den Chef desStabes entschieden. Die Operativen Gruppen hatten die erfor<strong>der</strong>lichen Zuarbeitenzu leisten, d.h., den Entschluß des OK <strong>der</strong> VSK für ihre nationalen Kont<strong>in</strong>gente operativ-taktisch<strong>und</strong> technisch zu untersetzen. Von e<strong>in</strong>em Koalitionsstab konnte also


nicht die Rede se<strong>in</strong>. Das entsprach auch dem Anteil <strong>der</strong> sowjetischen Truppen während<strong>der</strong> Intervention, <strong>der</strong> nach me<strong>in</strong>en Schätzungen bei 90 % lag. Es war demzufolgee<strong>in</strong>e sowjetische Intervention, die durch die Beteiligung ger<strong>in</strong>gfügiger Kont<strong>in</strong>gentean<strong>der</strong>er Armeen den Anstrich e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Aktion <strong>der</strong> WarschauerVertragsstaaten erhalten sollte.Die Vorbereitung des E<strong>in</strong>marsches vollzog sich unter strengster Geheimhaltung <strong>und</strong>wurde als Truppenübung unter <strong>der</strong> Bezeichnung „Dunai“ (Donau) getarnt. (15)Paduch, <strong>der</strong> zur OG <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> gehörte <strong>und</strong> für die Nachrichtenverb<strong>in</strong>dungen verantwortlichwar, berichtet: „Wir wurden <strong>in</strong> die Lage <strong>und</strong> Aufgaben e<strong>in</strong>gewiesen, die - kurzgesagt - dar<strong>in</strong> bestand, unter Beachtung <strong>der</strong> operativen Tarnung den E<strong>in</strong>marsch <strong>in</strong>die CSSR <strong>und</strong> - so Jakubowski wörtlich – ‚die Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> Ordnung‘ vorzubereiten.Alle <strong>in</strong> Legnica arbeitenden Offiziere waren damals vom Heranreifen e<strong>in</strong>erkonterrevolutionären Situation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Notwendigkeit des militärischen E<strong>in</strong>greifenszur Aufrechterhaltung des Nachkriegs-Status quo <strong>und</strong> des Friedens <strong>in</strong> Europa sowiezum Schutze des Sozialismus <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR überzeugt.“ (16)Zur Interventionsvorbereitung gehörten e<strong>in</strong>ige TÜ, die im Juli <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> 1. Augusthälfte1968 mit dem Ziel durchgeführt wurden, Sicherstellungse<strong>in</strong>heiten aufzufüllen.Das trifft vor allem auf TÜ „Njemen" <strong>der</strong> Rückwärtigen Dienste <strong>der</strong> Sowjetarmee, <strong>der</strong>Polnischen Armee <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> zu (27.07. bis 10.08.). Im Rahmen dieser TÜ wurdendie Feldbäckereikompanien, die Transport- <strong>und</strong> die mediz<strong>in</strong>ischen Bataillone <strong>der</strong> 7.PD <strong>und</strong> <strong>der</strong> 11. MSD mit Personal <strong>und</strong> Fahrzeugen aufgefüllt. E<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Rollespielte die Nachrichtenrahmenübung <strong>der</strong> Sowjetarmee, <strong>der</strong> Polnischen Armee <strong>und</strong><strong>der</strong> <strong>NVA</strong> vom 11. bis 20.08., die <strong>der</strong> operativen Tarnung von „Dunai" diente.Im übrigen wurden alle nationalen <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>samen Übungen, die <strong>in</strong> den Jahresplänenstanden, durchgeführt bzw. weiter vorbereitet. Das betrifft alle für die Interventionnicht vorgesehenen Truppen-, Flieger- <strong>und</strong> Flottenkräfte, offensichtlich warbezweckt, <strong>der</strong> NATO-Militäraufklärung das Bild normaler Ausbildungstätigkeit vorzutäuschen.(18)Für die <strong>NVA</strong>-Teilnahme am E<strong>in</strong>marsch wurden die 7. PD <strong>und</strong> die 11. MSD vorbereitet.Ihre Verlegung' <strong>in</strong> die Konzentrierungsräume - die 7. PD <strong>in</strong> den RaumNochten <strong>und</strong> die 11. MSD <strong>in</strong> den Raum Plauen - erfolgte <strong>in</strong> den Tagen um den 20.Juli. Wie Sturm schreibt, wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> 2. Julihälfte im Stab <strong>der</strong> 7. PD e<strong>in</strong>e personelleng begrenzte Planungsgruppe gebildet. „Anliegen war, die 7. PD im vollen Bestandgedeckt <strong>in</strong> die „volle Gefechtsbereitschaft" zu überführen, sie im Raum Nochten zukonzentrieren <strong>und</strong> ihre Unterstellung an e<strong>in</strong>e sowjetische Armee vorzubereiten." (19)Diese Angaben s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sofern von Interesse, da <strong>der</strong> M<strong>in</strong>ister für Nationale Verteidigungam 26. Juli den Befehl 73/68 „Vorbereitung e<strong>in</strong>er Truppenübung im August"erließ, d.h., zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt, da beide Divisionen sich bereits <strong>in</strong> den Konzentrierungsräumenbefanden. Nach diesem Befehl erfolgte die operative Unterstellungbei<strong>der</strong> Divisionen unter sowjetische Armeebefehlshaber, die 7. PD dem Befehlshaber1. Gardepanzerarmee (GPA), die 11. MSD dem Befehlshaber <strong>der</strong> 20. Gardearmee(GA). (20).Die operative Unterstellung bereitete Schwierigkeiten. Sowjetische Armeen konnten<strong>NVA</strong>-Divisionen nicht mit <strong>NVA</strong>-spezifischen Mitteln versorgen. Es wurde entschieden,die rückwärtige, technische <strong>und</strong> mediz<strong>in</strong>ische Sicherstellung <strong>in</strong> Verantwortungdes Kommandos des MB III zu belassen.E<strong>in</strong> weiteres Problem war die Organisation <strong>der</strong> Nachrichtenverb<strong>in</strong>dungen. <strong>NVA</strong>-Divisionen verfügten damals noch nicht über jene Fernschreibtechnik, die <strong>in</strong>


sowjetischen Armeestäben vorhanden war. Deshalb entfalteten auf den Gefechtsständen<strong>der</strong> 7. PD <strong>und</strong> <strong>der</strong> 11. MSD je e<strong>in</strong>e sowjetische operative Verb<strong>in</strong>dungsgruppemit entsprechenden Nachrichtenmitteln, <strong>und</strong> zu den sowjetischen Armeestäbenwurden Verb<strong>in</strong>dungsgruppen <strong>der</strong> 7. PD bzw. <strong>der</strong> 11. MSD mit Nachrichtenmittelnentsandt. Der Hauptstab <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> legte größten Wert darauf, ständig überLage <strong>und</strong> <strong>Handlungen</strong> bei<strong>der</strong> Divisionen <strong>in</strong>formiert zu se<strong>in</strong>. Auch die OG <strong>der</strong> <strong>NVA</strong>beim Führungsstab <strong>der</strong> Interventionstruppen hatte e<strong>in</strong>e Funkverb<strong>in</strong>dung mit demHauptstab, um - so Paduch – „tägliche Lageberichte an das MfNV <strong>und</strong> W. Ulbrichtdirekt, schnell <strong>und</strong> gedeckt zu übermitteln." (21)Die beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit <strong>der</strong> <strong>NVA</strong>-Führung galt <strong>der</strong> politischen Arbeit <strong>in</strong>beiden Divisionen. Der Chef <strong>der</strong> PHV befahl die Bildung von 2 Propagandabrigaden,die <strong>in</strong> den Divisionen tätig wurden. Zusammen mit den Kommandeuren, Politoffizieren<strong>und</strong> Parteiorganisationen leisteten sie e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive politische Bee<strong>in</strong>flussung<strong>der</strong> Armeeangehörigen im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> SED-Führung. Der Inhalt dieserBee<strong>in</strong>flussung geht aus e<strong>in</strong>er Rede hervor, die VM He<strong>in</strong>z Hoffmann am 12. Augustvor Parteiaktivisten <strong>der</strong> 7. PD gehalten hat. H. deutete an, daß es zum E<strong>in</strong>marsch <strong>in</strong>die CSSR kommen werde. Es sei erfor<strong>der</strong>lich, „dem bedrohten Land mit allen erfor<strong>der</strong>lichenKräften <strong>und</strong> Mitteln zur Seite zu stehen - auch wenn das mancher nichtsofort verstehen sollte.“ (22) H. sprach davon, daß „unsere an <strong>der</strong> Übung beteiligtenVerbände <strong>und</strong> Truppenteile zu e<strong>in</strong>er geschichtlichen Entscheidung" beitragenwürden. (23)Aufgaben <strong>und</strong> <strong>Handlungen</strong> <strong>der</strong> 7. PD <strong>und</strong> <strong>der</strong> 11. MSDDie 7. PD sollte als 2. Staffel <strong>der</strong> 1. GPZA handeln, auf Signal den Hauptkräftendieser Armee auf festgelegten Marschstraßen folgen <strong>und</strong> den Raum Liberec„beziehen". (Der Begriff „besetzen" wurde <strong>in</strong> den Planungsdokumenten vermieden.)Nach Sturm waren zur Blockierung von Flugplätzen <strong>und</strong> ähnlichen Aufgaben ausdem Bestand des Mot.-Schützenregiments 7 <strong>und</strong> des Aufklärungsbataillons 7spezielle E<strong>in</strong>satzgruppen vorgesehen. Gefechtshandlungen wurden nicht geplant,aber Sicherungsmaßnamen für die Marschkolonnen festgelegt.Die 11. MSD sollte als 2. Staffel <strong>der</strong> 20. GA den Raum Karlovy Vary beziehen <strong>und</strong>ähnlich wie die 7. PD handeln.Im Konzentrierungsraum wurden die Kommandeure <strong>der</strong> Regimenter <strong>und</strong> selbständigenBataillone <strong>in</strong> die Aufgaben ihrer Truppen e<strong>in</strong>gewiesen, die bis Ebene Kompanieaufgeschlüsselt waren. Sie erhielten die Planungsunterlagen <strong>in</strong> verschlossenenUmschlägen, die nur auf Befehl geöffnet werden durften.Stäbe <strong>und</strong> Truppen wurden <strong>in</strong> den Konzentrierungsräumen feldmäßig untergebracht.Für Gefechtsfahrzeuge, Geschütze <strong>und</strong> Transportfahrzeuge wurden getarnteDeckungen geschaffen. In <strong>der</strong> Ausbildung hatte das Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g von Elementen <strong>der</strong>Gefechtsbereitschaft den Vorrang. Somit waren beide Divisionen bis zum 21.August <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> folgenden Zeit für die Teilnahme an <strong>der</strong> Intervention vorbereitet.In den späten Nachmittagsst<strong>und</strong>en bzw. frühen Abendst<strong>und</strong>en erhielten die Stäbebei<strong>der</strong> Divisionen von dem jeweiligen sowjetischen Armeestab das Signal zur Herstellung<strong>der</strong> vollen Gefechtsbereitschaft. Daraufh<strong>in</strong> stellten die E<strong>in</strong>heiten, die an <strong>der</strong>Spitze marschieren sollten, die Marschbereitschaft her. Das dann erwartete Signal„Marschbeg<strong>in</strong>n" traf jedoch nicht e<strong>in</strong>. Ich kann daraus nur die Schlußfolgerung ziehen,daß die Befehlshaber <strong>der</strong> 1. GPZA bzw. <strong>der</strong> 20. GA über die Nichtteilnahme <strong>der</strong><strong>NVA</strong>-Divisionen sozusagen erst <strong>in</strong> letzter St<strong>und</strong>e <strong>in</strong>formiert wurden.


Nach e<strong>in</strong>em Bericht von Generalmajor <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> a. D. P. Herricht, se<strong>in</strong>erzeit operativerOffizier im Stab <strong>der</strong> 7. PD, wurde die Divisionsführung sowjetischerseits erstmaligam 25. o<strong>der</strong> 26. August durch den Leiter <strong>der</strong> Politischen Verwaltung <strong>der</strong> 1.GPZA über die Nichtteilnahme <strong>in</strong>formiert.In diesem Zusammenhang e<strong>in</strong> persönliches Erlebnis: Ich habe am 20. August gegen17.00 Uhr den Auftrag erhalten, e<strong>in</strong>en handgeschriebenen Brief W. Ulbrichts an H.Hoffmann zu überbr<strong>in</strong>gen. Ich traf H. H. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wohnung - Strausberg, Fontanestraße- <strong>in</strong> Zivil an. Ich werde me<strong>in</strong>e Auffassung, was <strong>der</strong> Inhalt dieses Briefes gewesense<strong>in</strong> könnte, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Diskussion darlegen. Nur so viel: H. H. hat am 21. August,00.30 Uhr mittels Befehl die gesamte <strong>NVA</strong> <strong>in</strong> erhöhte Gefechtsbereitschaft versetzt.Beide Divisionen verblieben bis zu ihrer Rückverlegung <strong>in</strong> die Standorte im September<strong>in</strong> den Konzentrierungsräumen, die 11. MSD als 2. Staffel <strong>der</strong> 20. GA <strong>und</strong> die 7.PD als Reserve des OK <strong>der</strong> VSK.Welche <strong>NVA</strong>-Kräfte befanden sich mit Interventionsbeg<strong>in</strong>n auf dem Territorium <strong>der</strong>CSSR?Sieht man von dem DDR-Militärattache <strong>in</strong> Prag ab, so waren am 21. August nur <strong>der</strong>damalige Oberst Goldbach, <strong>der</strong> als Beobachter e<strong>in</strong>er TÜ <strong>der</strong> westböhmischen Armeemit 4 weiteren <strong>NVA</strong>-Angehörigen bereits Tage vorher e<strong>in</strong>gereist war, auf dem Territorium<strong>der</strong> CSSR. Nach Interventionsbeg<strong>in</strong>n wurde <strong>der</strong> Führungsstab <strong>der</strong> Interventionstruppenvon Legnica nach Milovice verlegt, mit ihm die OG <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> - offiziell alsVerb<strong>in</strong>dungsstab bezeichnet - <strong>und</strong> die ihr unterstellten <strong>NVA</strong>-Nachrichtenkräfte. Diepersonelle Stärke <strong>der</strong> <strong>NVA</strong>-Kräfte betrug etwa 30 Mann.Alle an<strong>der</strong>en Darstellungen über <strong>Handlungen</strong> von <strong>NVA</strong>-Truppen <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSRentsprechen nicht <strong>der</strong> Wahrheit.Bleibt die Frage: Welche Gründe führten zur Nichtteilnahme bei<strong>der</strong> <strong>NVA</strong>-Divisionenam E<strong>in</strong>marsch?Ausschlaggebend dürfte die Überlegung gewesen se<strong>in</strong>, daß <strong>der</strong> E<strong>in</strong>marsch von <strong>NVA</strong>-Kampftruppen e<strong>in</strong>e negative Reaktion unter <strong>der</strong> CSSR-Bevölkerung hervorgerufenhätte. Immerh<strong>in</strong> hatten die Tschechen <strong>und</strong> Slowaken nicht nur 1938, son<strong>der</strong>n auchim 2. Weltkrieg schlimme Erfahrungen mit den Deutschen <strong>in</strong> Uniform gemacht. MilitärischeGründe, auf die ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Diskussion e<strong>in</strong>gehen werde, dürften e<strong>in</strong>e sek<strong>und</strong>äreRolle gespielt haben.Fazit: Die <strong>NVA</strong> ist zwar nicht e<strong>in</strong>marschiert, aber die DDR war an <strong>der</strong> Interventionbeteiligt. Die <strong>NVA</strong>-Führung hatte zwei Divisionen dafür vorbereitet. Ulbricht ware<strong>in</strong>er <strong>der</strong> schärfsten Kritiker des Reformkurses <strong>und</strong> gilt als e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> entschiedenstenVerfechter <strong>der</strong> Intervention. Außerdem führte die DDR-Führung eigenständige Maßnahmen,die im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Intervention stehen, durch. Ich verweise aufzwei Tatsachen: Das ist erstens die Herstellung <strong>der</strong> erhöhten Gefechtsbereitschaft<strong>der</strong> Kräfte <strong>der</strong> territorialen Verteidigung durch Befehl Ulbrichts am 22. August 1968.Zweitens ließ sie am 21. August die Grenzübergänge zur CSSR schließen <strong>und</strong> befahlan dieser Grenze den Übergang von <strong>der</strong> Grenzüberwachung zu e<strong>in</strong>er Art militärischerGrenzsicherung. Dafür war bereits Anfang Juli die 13. Grenzbrigade gebildetworden, die ihre Kräfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Staatsgrenze zur CSSR bereitstellte. (26)


IV. Die Haltung <strong>der</strong> DDR-Bevölkerung <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>NVA</strong>-Angehörigen zur InterventionDa die Stimmung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> immer e<strong>in</strong> Spiegelbild <strong>der</strong> Stimmung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerungwar, stellt sich die Frage: Welche Auffassungen gab es <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR-Bevölkerung zurIntervention? Wurde sie mehrheitlich abgelehnt o<strong>der</strong> akzeptiert? Mangels beweiskräftigenMaterials kann ich diese Frage nicht e<strong>in</strong>deutig beantworten. Aber es ist bemerkenswert,daß bei dem am 06. April 1968 durchgeführten Volksentscheid überdie neue Verfassung 94,5 % <strong>der</strong> Wahlberechtigten - nicht <strong>der</strong> Wahlbeteiligten - sichmit „ja" entschieden hatten. Selbst wenn man davon ausgeht, daß dieses Wahlergebnismanipuliert war, kann man nicht zu dem Schluß kommen, daß e<strong>in</strong>e Mehrheitdamals die SED-Politik gr<strong>und</strong>sätzlich abgelehnt hat. Immerh<strong>in</strong> befand sich die DDRdamals noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs <strong>und</strong> hatte <strong>in</strong>ternationalesAnsehen gewonnen. Und ich möchte auch darauf verweisen, daß durch dieseVerfassung <strong>der</strong> Führungsanspruch <strong>der</strong> SED erstmalig gesetzlich verankert wurde.M. E. gab es damals bei e<strong>in</strong>er Mehrheit so etwas wie e<strong>in</strong> DDR-Selbstbewußtse<strong>in</strong>. Eswar das Gefühl, trotz schlechterer Ausgangsbed<strong>in</strong>gungen auf wirtschaftlichem Gebietals die BRD, etwas geleistet zu haben, es war die Kenntnis des gesetzlich verbrieftenRechtes auf Arbeit <strong>und</strong> Wohnung, praktisch erlebte soziale Sicherheit, die Hoffnung,daß <strong>der</strong> errungene bescheidene materielle Wohlstand sich weiter erhöhten würde<strong>und</strong> nicht zuletzt die Überzeugung, daß die DDR Friedenspolitik betrieb.Nach me<strong>in</strong>er Auffassung sahen 1968 bedeutende Teile <strong>der</strong> DDR-Bevölkerung -des<strong>in</strong>formiert durch die Medien - <strong>in</strong> den Vorgängen <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR e<strong>in</strong>e Gefahr für denFrieden <strong>in</strong> Mitteleuropa. Die Furcht vor e<strong>in</strong>em Krieg - <strong>der</strong> durch das E<strong>in</strong>greifen vonNATO-Streitkräften ausgelöst werden könnte - war vor allem <strong>in</strong> den Grenzkreisen zurCSSR ausgeprägt. Bei e<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ungsumfrage im Jahre 1968 sprachen sichimmerh<strong>in</strong> 63 % <strong>der</strong> Befragten dafür aus, daß die DDR im Falle e<strong>in</strong>es Angriffs mitWaffengewalt verteidigt werden müsse. (27) Aus eigenen Beobachtungen kann ichsagen, daß die <strong>NVA</strong> damals <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR-Bevölkerung große Akzeptanz genoß. DasVerhalten <strong>der</strong> <strong>NVA</strong>-Angehörigen zur Intervention wi<strong>der</strong>spiegelte die Bevölkerungsstimmung,wobei zu berücksichtigen ist, daß die <strong>NVA</strong>-Angehörigen e<strong>in</strong>er weitaus<strong>in</strong>tensiveren politischen Bee<strong>in</strong>flussung unterlagen als die Mehrheit <strong>der</strong> Bevölkerung.Herr Wenzke wird zum Thema „Haltung <strong>der</strong> <strong>NVA</strong>-Angehörigen im August 1968“ ausführlichsprechen. Ich möchte deshalb nur auf den Unterschied zwischen offiziellerBewertung dieser Haltung <strong>und</strong> nicht publikgemachten Auffassungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NVA</strong>e<strong>in</strong>gehen.In den offiziellen Dokumenten <strong>der</strong> SED- <strong>und</strong> <strong>NVA</strong>-Führung f<strong>in</strong>det man zu diesemThema vorwiegend Klischees, wenngleich sie rationelle Kerne enthalten. E<strong>in</strong>e Wertungdieser Art f<strong>in</strong>det man <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rede Ulbrichts vor Absolventen <strong>der</strong> Militärakademienam 17. Oktober 1968. Lapidar heißt es: „Als es darum g<strong>in</strong>g, den Waffenbrü<strong>der</strong>n<strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR zu helfen, bewiesen die Soldaten, Unteroffiziere, Offiziere <strong>und</strong>Generale <strong>der</strong> <strong>NVA</strong>, daß sie dem Sozialismus treu ergeben <strong>und</strong> rückhaltlos bereits<strong>in</strong>d, den Sozialismus überall dort zuverlässig zu schützen, wo ihn <strong>der</strong> Imperialismusanzufassen wagt." (28) Das Gr<strong>und</strong>klischee hieß demzufolge: Die <strong>NVA</strong>-Angehörigenbewiesen „klassenmäßige Haltung". Versteht man darunter die Bereitschaft <strong>der</strong>Mehrzahl <strong>der</strong> <strong>NVA</strong>-Angehörigen, nicht nur die DDR gegen äußere Angriffe zuverteidigen, son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong>em Interventionsbefehl Folge zu leisten, so entsprichtdas m. E. <strong>der</strong> Wahrheit. In bezug auf die Bereitschaft, an e<strong>in</strong>er Intervention teilzunehmen,wird das Ausmaß <strong>der</strong> Täuschung sichtbar, dem <strong>NVA</strong>-Angehörigeunterlagen.


Es gibt aus me<strong>in</strong>er Kenntnis ke<strong>in</strong>e Belege dafür, daß es massenhafte Befehlsverweigerungeno<strong>der</strong> mangelhafte Erfüllung von Befehlen gegeben hat. AuchSabotagehandlungen s<strong>in</strong>d nicht zu verzeichnen. Die sogenannten beson<strong>der</strong>en Vorkommnisseüberschritten nicht das übliche Maß. Allerd<strong>in</strong>gs hat es politische Diskussionensowohl unter den Wehrpflichtigen als auch unter den Berufssoldaten gegeben,die nicht <strong>in</strong> das Klischee von <strong>der</strong> „klassenmäßigen Haltung" passen. Es ist wohlke<strong>in</strong> Zufall, daß H. Hoffman auf <strong>der</strong> Kommandeurstagung am 31. Oktober 1958 for<strong>der</strong>te,die offensive ideologische Arbeit zu verstärken, um „die ideologischen Angriffe<strong>und</strong> Diversionen des Gegners unwirksam zu machen.“ (29)Da es zu den Praktiken <strong>der</strong> SED-Politik gehörte, bestimmte Mängel - soweit sie dempolitischen Gegner E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die <strong>in</strong>nere Situation ermöglichten - nicht offen anzusprechen,son<strong>der</strong>n sie als vorwärtsweisende Aufgaben zu formulieren, kann man mitSicherheit annehmen, daß bestimmte politische Diskussionen als Mängel im ideologischenZustand <strong>der</strong> Truppen gewertet wurden.Nach me<strong>in</strong>er Kenntnis waren es vor allem zwei Fragen, die Angehörige bei<strong>der</strong> Divisionenbewegten:Erste Frage: Wird es zum Krieg kommen? In diesem Zusammenhang traten Zweifelan <strong>der</strong> angeblichen Aggressionsbereitschaft <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eswehr auf <strong>und</strong> auch die nationaleFrage - Krieg Deutscher gegen Deutsche - spielte e<strong>in</strong>e Rolle. Allgeme<strong>in</strong> jedochherrschte die Auffassung: Je schneller die „Konterrevolution" <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR geschlagenwird, um so ger<strong>in</strong>ger s<strong>in</strong>d die Chancen e<strong>in</strong>es militärischen E<strong>in</strong>greifens <strong>der</strong>NATO.Zweite Frage: Wie wird sich die Bevölkerung <strong>der</strong> CSSR verhalten, wenn <strong>NVA</strong>-Truppen e<strong>in</strong>marschieren? Diese Frage bewegte wahrsche<strong>in</strong>lich vorwiegend jeneBerufssoldaten, die <strong>in</strong> die Interventionspläne e<strong>in</strong>geweiht waren. Für e<strong>in</strong>ige Offiziere,die ihre Bedenken öffentlich geäußert hatten, brachte das Konsequenzen. Sie wurdenaus <strong>der</strong> SED ausgeschlossen, zum Soldaten degradiert <strong>und</strong> fristlos entlassen.Ich möchte das am Beispiel des Oberstleutnant Mantzsch beweisen.Mantzsch war Parteisekretär im Stab <strong>der</strong> 7. PD. Ich zitiere nun aus e<strong>in</strong>em Berichtvon Sturm: „Unter den Offizieren des Stabes, von denen e<strong>in</strong> nicht ger<strong>in</strong>ger TeilUmsiedler aus Polen <strong>und</strong> <strong>der</strong> CSSR war <strong>und</strong> die letzten Kriegs- <strong>und</strong> ersten Nachkriegsjahrebewußt erlebt hatte, gab es allgeme<strong>in</strong> Bedenken, wie die tschechischeBevölkerung auf den E<strong>in</strong>marsch deutscher Truppen reagieren könnte <strong>und</strong> daßdaraus e<strong>in</strong>e Belastung für die künftigen Beziehungen <strong>der</strong> benachbarten Völkermöglich wäre. An<strong>der</strong>erseits erwartete man von <strong>der</strong> politischen Führung, daß siesolche Überlegungen teile <strong>und</strong> den E<strong>in</strong>marsch nur als letzte Möglichkeit sehe.Solche Gespräche wurden jedoch nur im kle<strong>in</strong>sten Kreis geführt. Sie hatten ke<strong>in</strong>enE<strong>in</strong>fluß auf die E<strong>in</strong>stellung zur bed<strong>in</strong>gungslosen Ausführung von Befehlen. E<strong>in</strong>eähnliche Haltung <strong>und</strong> nicht mehr vertrat <strong>der</strong> Oberstleutnant Werner Mantzsch, se<strong>in</strong>‚Fehler‘ war es, als Parteisekretär des Stabes diese von <strong>der</strong> Mehrzahl getrageneMe<strong>in</strong>ung im größeren Kreis zu diskutieren <strong>und</strong> darüber auch zu <strong>in</strong>formieren. Fehler<strong>und</strong> Feigheit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, zu denen sich auch <strong>der</strong> Autor bekennt, waren es, zugelassen<strong>und</strong> mitgemacht zu haben, als an Oberstleutnant Mantzsch e<strong>in</strong> Exempelstatuiert wurde." (30)Dieser Vorgang ist charakteristisch für die Rigorosität, mit <strong>der</strong> gegen <strong>NVA</strong>-Angehörige vorgegangen wurde, die ke<strong>in</strong>en Befehl verweigert hatten, aber ihreBesorgnisse über die politischen Folgen e<strong>in</strong>es für möglich gehaltenen Befehlsgeäußert haben.


Das Fazit me<strong>in</strong>es Vortrages: Die Partei-, Staats- <strong>und</strong> Armeeführung <strong>der</strong> DDR warenan <strong>der</strong> Vorbereitung <strong>der</strong> Intervention gegen die CSSR aktiv beteiligt. Zwei Divisionen<strong>der</strong> <strong>NVA</strong> waren auf den E<strong>in</strong>marsch vorbereitet. Die Mehrheit ihrer Angehörigen warbereit, entsprechende Befehle zu erfüllen. Sie unterlagen e<strong>in</strong>er Täuschung <strong>und</strong>konnten we<strong>der</strong> die tatsächlichen Vorgänge <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR noch die H<strong>in</strong>tergründe desInterventionsentschlusses erkennen. Der Nichte<strong>in</strong>marsch erfolgte aus politischenGründen.E<strong>in</strong>e Schlußfolgerung für unsere Zeit: Setzt die Politik Streitkräfte e<strong>in</strong>, so müssenVolk <strong>und</strong> Streitkräfteangehörige eben durch die Politik <strong>in</strong> die Lage versetzt werden,die tatsächlichen Motive zuerkennen. Dabei muß <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmungmit <strong>der</strong> Verfassung, gegebenenfalls mit den Bündnispflichten <strong>und</strong> dem Völkerrechtstehen.Anmerkungen1. R. Wenzke/R. Zöbisch: Die tschechoslowakischen Ereignisse 1968 <strong>und</strong> die <strong>NVA</strong> In:Militärwesen H. 5/1990; W. Hanisch: Nochmals: E<strong>in</strong>marsch <strong>in</strong> die CSSR, aber ohneBeteiligung von <strong>NVA</strong>-Truppen. In: Europäische Sicherheit H. 9/1991.2. Zdenek Mlynar: Nachtfrost. Das Ende des Prager Frühl<strong>in</strong>gs, Frankfurt a.M. 1988, S. 30.3. „Neues Deutschland“ vom 21./22. August 1993, S. 13.4. Mlynar, wie Anm. 2, S. 64.5. E. Majonica: Deutsche Außenpolitik. Probleme <strong>und</strong> Entscheidungen, Stuttgart 1965, S.151.6. He<strong>in</strong>z Brahm, Die Intervention <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSSR. Berichte des Instituts für ostwissenschaftliche<strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationale Studien, H. 15/1969, S. 4.7. H. Hoffmann, Sozialistische Landesverteidigung. Aus Reden <strong>und</strong> Aufsätzen 1963 - 1970,Berl<strong>in</strong> 1971.8. W. Ulbricht, Die weitere Gestaltung des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus,Berl<strong>in</strong> 1968, S. 59.9. B<strong>und</strong>esarchiv-Militärarchiv (im folgenden BA-MA) VA - 02/28511, VA - 01/21353/;Arbeitsbuch des Autors 1968.10. BA-MA VA - 01/21357, VA - 03/88330.11. He<strong>in</strong>z Brahm, wie Anm. 6, S. 10 f.12. Bericht von Oberst <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> a. D. Sturm, im Besitz des Autors (im folgenden Sturmbericht).13. Bericht von Generalleutnant <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> a. D. Walter Paduch. Kopie im Besitz des Autors(im folgenden Paduchbericht).14. Sturmbericht15. BA-MA VA - 01/12824 - 12841.16. Paduchbericht.17. BA-MA VA - 01/340118. Ebd., VA - 01/5607, VA 02/33312, VA -04/19707.19. Sturmbericht.20. BA-MA, VA - 01/12824.21. Paduchbericht.


22. BA-MA, VA - 01/5608, Bd. 2.23. H. Hoffmann, wie Anm. 7, S.. 738.24. Bericht von Generalmajor <strong>der</strong> <strong>NVA</strong> a. D. Peter Herricht, im Besitz des Autors.25. BA-MA, VA - 01/12824.26. Ebd., GT - 8423.27. „Neues Deutschland“ vom 5./6. Februar 1994, S. 10.28. W. Ulbricht: Unsere vere<strong>in</strong>te Verteidigungskraft zügelt jeden Aggressor. Berl<strong>in</strong> 1968, S.30.29. H. Hoffmann, wie Anm. 7, ., S. 754.30. Sturmbericht.

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