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3.3.2 Strukturfunktionalistische Erklärung von - marinahennig.de

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66<br />

Nach Durcharbeitung <strong>de</strong>r Materialien auf <strong>de</strong>n vorausgegangenen<br />

Seiten ist nun ein Punkt erreicht,<br />

wo sich die Frage ergibt, wie sich innerhalb <strong>de</strong>s<br />

strukturfunktionalistischen Ansatzes<br />

Sozialisation<br />

62 I<strong>de</strong>ntität und Sozialisation<br />

entwickelt. Zu<strong>de</strong>m muß noch herausgearbeitet<br />

wer<strong>de</strong>n, wie <strong>de</strong>nn nach Parsons I<strong>de</strong>ntität zu<br />

fassen ist. Zur Klärung dieser bei<strong>de</strong>n<br />

Fragen sollen die nachfolgen<strong>de</strong>n Materialien<br />

dienen.<br />

Die analytische Unterscheidung zwischen Organismus und Persönlichkeit hat somit auf die Tatsache<br />

abzustellen, daß die Struktur <strong>de</strong>s Persönlichkeitssystems sich aus Objekten aufbaut, die durch Erfah-rung<br />

im Verlauf <strong>de</strong>s Lebens gelernt wur<strong>de</strong>n – wobei diese Erfahrung mittels kultureller, symbolisch generalisierter<br />

Medien ‚kodifiziert' (systematisches Erfassen aller Fakten, d. V.) wur<strong>de</strong> ...<br />

Die Erforschung <strong>de</strong>s Sozialisationsprozesses, zu <strong>de</strong>r Freud am meisten beigetragen hat, erlaubt uns, die-sen<br />

Aspekt <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>r Persönlichkeit am Einzelfall grob zu skizzieren.<br />

Den Angelpunkt bil<strong>de</strong>t Freuds fundamentale Einsicht, daß <strong>de</strong>r Kern <strong>de</strong>r ‚Realität' (sein Realitätsprin-zip)<br />

in <strong>de</strong>r Realität <strong>de</strong>r sozialen Beziehungen <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s besteht; daher sind ‚Objektbeziehungen' so-ziale<br />

Beziehungen, nicht Beziehungen zu physischen Objekten. Das Persönlichkeitssystem <strong>de</strong>s Indivi-duums<br />

baut sich auf durch Internalisierung <strong>von</strong> sozialen Objekten ... Internalisiert wird sowohl eine Rollenbeziehung<br />

als auch eine Bezugsgruppe (collectivity) als Objekt. Freud sagt <strong>de</strong>utlich, daß das Kind<br />

beim Lernen seiner eigenen Rolle auch die reziproke Rolle <strong>de</strong>r Eltern lernen muß (Freud 1961a). Somit<br />

kompliziert sich <strong>de</strong>r Erwerb einer Rolle durch die Notwendigkeit, min<strong>de</strong>stens eine komplimentäre Rol-le<br />

<strong>de</strong>sselben Systems zu verstehen und – in Grenzen – spielen zu können. Der Bezugsgruppenaspekt<br />

(collectivity-aspect) thematisiert daher sozusagen die Basis, aufgrund <strong>de</strong>ren die bei<strong>de</strong>n (o<strong>de</strong>r mehr) Rol-len<br />

tatsächlich komplementär, d. h. miteinan<strong>de</strong>r ‚integriert' sind. Eine solche Integration erfor<strong>de</strong>rt vor allem<br />

die Internalisierung gewisser normativer Komponenten, die die Beziehungen zwischen <strong>de</strong>n komplementären<br />

Rollen normativ festlegen. Die umgangssprachliche Tria<strong>de</strong> <strong>von</strong> ,Ich-Wir-Du` bietet einen<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Bezugspunkt. Rollentheoretisch formuliert: mein Han<strong>de</strong>ln und das <strong>von</strong> mir – im normativen<br />

und prognostischen Sinne – erwartete Han<strong>de</strong>ln ,ergeben keinen Sinn' ohne Bezugnahme auf<br />

wechselseitige Erwartungen, die ein Du voraussetzen. Die Beziehung zwischen Ich und Du impliziert<br />

jedoch einen dritten Begriff, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s gemeinsamen Wir. Einige <strong>de</strong>r normativen Komponenten sind verschie<strong>de</strong>n<br />

– <strong>von</strong> Dir und Mir erwartet man nicht, daß wir uns gleich verhalten. An<strong>de</strong>re Komponenten jedoch<br />

wer<strong>de</strong>n geteilt, bei<strong>de</strong> Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> gehören zur selben Bezugsgruppe, und es gibt Probleme <strong>de</strong>r Bezugsgruppe<br />

(collectivity), die uns gemeinsam betreffen.<br />

In diesem theoretischen Rahmen schreitet die Sozialisation über Differenzierungsprozesses (und natürlich<br />

komplementäre Prozesse <strong>de</strong>r Integration) voran, wobei die einfachste dyadische Struktur, nämlich die<br />

zwischen Mutter und Kind, <strong>de</strong>n Ausgangspunkt bil<strong>de</strong>t. Die – im Freudschen Sprachgebrauch – er-ste<br />

I<strong>de</strong>ntifikation kann begriffen wer<strong>de</strong>n als die Gemeinschaft (collectivity), die durch diese Verbindung <strong>von</strong><br />

Mutter und Kind gebil<strong>de</strong>t wird, wobei die Autonomie <strong>de</strong>r kindlichen „Persönlichkeit" minimal ist. Die<br />

nächsten Schritte bestehen dann in <strong>de</strong>r Internalisierung einer aktiv und autonom vom Kind mitbestimmten<br />

Liebesbeziehung zwischen Mutter und Kind in <strong>de</strong>r prä-ödipalen Phase, dann <strong>de</strong>r ödipalen Pha-se<br />

usw.<br />

Dieser Prozeß kann hier nicht en <strong>de</strong>tail diskutiert wer<strong>de</strong>n. Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, daß<br />

die Sozialisationsagenturen zunehmend differenziertere soziale Systeme sind – in <strong>de</strong>r ödipalen Pha-se die<br />

Kernfamilie als Ganzes, dann (in mo<strong>de</strong>rnen Gesellschaften) Familie plus Schule usw. bis zu <strong>de</strong>n<br />

differenzierten Rollensystemen <strong>de</strong>s Erwachsenen. Mit je<strong>de</strong>m Entwicklungsschritt wird <strong>de</strong>m gegebenen<br />

Rollenrepertoire min<strong>de</strong>stens eine neue Rolle eines komplexeren und umfassen<strong>de</strong>ren Bezugsgruppensystems<br />

hinzugefügt. So ist beispielsweise die Rollenstruktur <strong>de</strong>r Grundschule erheblich komplexer als die<br />

innerfamiliale Lebenswelt <strong>de</strong>s prä-ödipalen Kin<strong>de</strong>s; Analoges gilt für das Verhältnis <strong>de</strong>r Lebenswelt <strong>de</strong>s<br />

Jugendlichen und <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s jungen Schulkin<strong>de</strong>s.<br />

Von einem entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Blickwinkel her kann dieser ganze Prozeß als Aufstieg beschrieben wer<strong>de</strong>n.<br />

Man erwartet <strong>von</strong> <strong>de</strong>m Kind und erlaubt ihm eine neue Rolle innerhalb einer Gemeinschaft, <strong>von</strong> <strong>de</strong>r es<br />

bislang ausgeschlossen war, zu spielen. Die Zugehörigkeit zu dieser neuen Gemeinschaft verleiht dabei

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